Einleitung

Aufgrund der ständig steigenden Lebenserwartung spielen kardiovaskuläre Erkrankungen eine immer größere Rolle. Obwohl die kardiovaskuläre Mortalität während der letzten Jahrzehnte verhältnismäßig stetig gesunken ist [1], stellen eben genau diese Erkrankungen dennoch nach wie vor die Todesursache Nummer eins dar [2]. Damit verbunden ist der stets weiter steigende Bedarf an Therapieoptionen für Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen. Oftmals ist eine myokardiale Ischämie der kleinste gemeinsame Nenner. Sie führt zu einer wesentlichen Störung des Energiehaushalts der Kardiomyozyten und hat, sofern nicht behandelt, den Zelltod derselben zur Folge. Zusätzlich führt aber auch die zeitgerechte Reperfusion des ischämischen Myokards zu weiterem Zellschaden (zusammengefasst von Buja et al. [3]). Eine mögliche Intervention, die auf eine Reduktion dieses Zellschadens abzielt, ist das „remote ischemic conditioning“ (RIC). Dieser Review soll einen Überblick über die Pathophysiologie des Ischämie- und Reperfusionsschadens (IRS), die bekannten Interaktionen mit RIC sowie eine Zusammenfassung von bereits gewonnenen Daten aus dem klinischen Einsatz des RIC geben.

Ischämie

Eine Ischämie, welche beispielsweise im Rahmen eins akuten Myokardinfarkts (MCI) auftritt, beschreibt ein Missverhältnis zwischen Sauerstoffangebot und -verbrauch, welches schlussendlich zu einer Minderversorgung des Myokards führt [4]. Die betroffenen Myozyten werden gezwungen, sich an die neue metabolische Situation zu adaptieren, und vollziehen einen Wechsel von aerober zu anaerober Glykolyse. Einerseits sichert dies in der Akutsituation vorübergehend die Energieproduktion, andererseits führt die sauerstofflose Energieerzeugung, langfristig gesehen, auch zu einer Ansammlung an metabolischen Abbauprodukten in den Zellen [5, 6]. Es scheint logisch, dass die Wiederherstellung der Blutversorgung in solch einer Situation einen Vorteil bringen sollte. Doch genau dieser Schritt birgt – bis zu einem gewissen Grad – einen Trugschluss, wie Jennings et al. in den 1960er-Jahren bereits nachweisen konnten [7]. Die Gruppe um Jennings zeigte, dass die Reperfusion eines ischämischen Gewebes weiteren Schaden für jene Zellen bedeutet, die zu diesem Zeitpunkt noch vital sind und schlossen daraus, dass Reperfusion nicht notwendigerweise Zelltod verhindert. Letzteres ist heute als IRS bekannt [8].

Schutz für das Herz – das „conditioning“

Während der letzten Jahrzehnte wurden viele Versuche unternommen, das Ausmaß des IRS zu reduzieren. In der Herzchirurgie, wo es fast immer zu einer geplanten Abklemmung des Herzens von seiner natürlichen Blutversorgung und damit zu einer „geplanten“ Ischämie kommt, verschafft man sich Abhilfe durch die Verwendung von kardioplegischen (= herzlähmenden) Lösungen. Sie führen meist durch Depolarisation mittels hohem intrakoronar applizierten Kalium zum Stillstand des Herzens. Da durch den Herzstillstand der Sauerstoffverbrauch um 90 % reduziert wird, bewirken diese Lösungen eine Verminderung des Zellschadens während der Operation, und das stillgelegte Herz wird somit temporär geschützt [9]. Aus kardiologischer Sicht ist dies freilich nicht so einfach. Die Ischämie aufgrund eines MCI tritt naturgemäß spontan auf und ist somit bereits immer im Gange, wenn sich der Patient in der Klinik präsentiert.

Eine vielversprechende Technik zur Reduktion des IRS ist das sog. „ischemic preconditioning“ (IPC), welches 1986 durch Murry et al. erstmals beschrieben wurde. Damit gemeint ist eine Vorbereitung oder eben, wortwörtlich übersetzt, ein Konditionieren eines Gewebes, welches anschließend einem für Zellen tödlichen IRS ausgesetzt wird. Die Konditionierung wurde von Murry et al. durch das Herbeiführen mehrerer kurzer Phasen von Ischämie und Reperfusion erreicht, welche selbst nicht zu einem Zelluntergang führten. Eine anschließend länger andauernde Ischämie, gefolgt von Reperfusion, resultierte dadurch in geringerem Zellschaden [10]. Diese Intervention wurde weiterentwickelt, wodurch mittlerweile drei Arten der Konditionierung bekannt sind:

  • IPC,

  • „ischemic postconditioning“ (IPostC),

  • RIC.

Beim IPostC wird nach Beginn der Reperfusion diese immer wieder für kurze Zeit unterbrochen, resultierend in wiederholten kurzen Phasen von Ischämie des geschädigten Gewebes [11]; beim RIC werden die Ischämie- und Reperfusionszyklen an einem gänzlich anderen Gewebe durchgeführt, z. B. an der oberen oder unteren Extremität (Abb. 1 zeigt ein gängiges RIC-Protokoll) [12].

„Remote ischemic conditioning“

Beinahe eine Dekade nach der Erstbeschreibung des IPC fanden Przyklenk et al. die ersten Hinweise darauf, dass die Konditionierungszyklen auch Gewebeareale schützen können, die weiter entfernt liegen als jenes Gewebe, an dem die Zyklen durchgeführt wurden. Dies führte folglich zur Frage, ob ein bestimmter übertragbarer Faktor für die kardioprotektive Wirkung verantwortlich ist [13]. Dieses Konzept, dass durch das Herbeiführen von kurzen Phasen von Ischämie und Reperfusion an einem Gewebe ein anderes, weiter entfernt liegendes Gewebe geschützt werden kann, wurde zum heute bekannten RIC weiterentwickelt. Dabei werden mit Hilfe einer Blutdruckmanschette die Ischämie- und Reperfusionszyklen an einer der Gliedmaßen durchgeführt (Ischämie und Reperfusion für sämtliche Gewebe der Gliedmaße), um z. B. das Myokard zu schützen [14].

Obwohl das komplexe pathophysiologische System, welches dem RIC zugrunde liegt, bis jetzt noch nicht vollständig entschlüsselt wurde, konnten zahlreiche essenzielle Bestandteile erforscht werden. Im Speziellen stellte man sich die Frage, wie es zur Übertragung des kardioprotektiven Signals kommt und ob ein spezieller Faktor bzw. ein bestimmtes Molekül dafür verantwortlich ist. Unterteilt man das Konzept des RIC, besteht es aus folgenden drei Schritten (Abb. 2):

  1. 1.

    Entstehung des kardioprotektiven Faktors durch mehrere kurze Phasen von Ischämie und Reperfusion;

  2. 2.

    Übertragung dieses Faktors zu jenem Gewebe, welches Schutz widerfährt;

  3. 3.

    Wirkung des Faktors am Endorgan.

Entstehung des kardioprotektiven Faktors

Für die Entstehung des kardioprotektiven Signals dürften intakte Nervenbahnen in jenem Gewebe, in welchem die Zyklen durchgeführt werden, von entscheidender Bedeutung sein. Dies zeigt sich insbesondere in Versuchen, bei denen die neuronalen Bahnen durchtrennt wurden, bzw. beim Vorhandensein einer die Nervenbahnen schädigenden Erkrankung, wie z. B. der diabetischen Neuropathie. Versuche unter solchen Umständen zeigten keine Reduktion des Zellschadens [1517]. Dass nicht der Diabetes an sich verantwortlich für den ausbleibenden kardioprotektiven Effekt ist, sondern der durch ihn verursachte Nervenschaden, zeigt sich im direkten Vergleich. Der gleiche kardioprotektive Effekt kann mit dem Serum von an Diabetes erkrankten Patienten erzielt werden (im Vergleich zu jenem Serum von Personen, die nicht an Diabetes erkrankt sind), nicht aber mit jenem von Patienten, bei denen es schon zur Entstehung einer diabetischen Neuropathie gekommen ist [16]. Die Wichtigkeit des Nervensystems wird außerdem durch Experimente untermauert, in denen durch eine direkte Stimulation von Nervenbahnen ein ähnlicher kardioprotektiver Effekt erzielt werden konnte. Beispiele stellen der Nervus femoralis oder aber auch die Aktivierung von C‑Fasern durch die Behandlung mit topischem Capsaicin dar [15]. In diesem ersten Schritt des RIC zeigten sich aber vor allem die parasympathischen Fasern von entscheidender Bedeutung. So erzielt man durch die Aktivierung des Nervus vagus während einer Ischämie, aber nicht nach bereits begonnener Reperfusion einen ähnlichen kardioprotektiven Effekt [18]. Dies wurde auch durch die Aktivierung von parasympathischen Gebieten im zentralen Nervensystem, dem Nucleus dorsalis nervi vagi („dorsal motor nucleus of the vagus nerve“, DVMN) gezeigt. In einem aufwändigen Versuch wurden die Zellen des DVMN gezielt stummgeschaltet. Die durch ein RIC vermittelte Kardioprotektion, welche sich in der Kontrollgruppe nach wie vor zeigte, konnte in der Interventionsgruppe nicht nachgewiesen werden. In einem zweiten Versuchsaufbau wurde der DVMN direkt stimuliert. Ohne einen zusätzlichen Reiz durch ein RIC kam es ebenso zu einem Schutz der Kardiomyozyten [19]. Diese Ergebnisse untermauern die Wichtigkeit des Nervensystems im Zusammenhang mit dem RIC, allen voran die des Nervus vagus.

Transfer des kardioprotektiven Signals

In Anbetracht der bisher publizierten Daten deutet vieles auf die Existenz eines im Blut zirkulierenden und übertragbaren kardioprotektiven Faktors (bzw. Faktoren) hin, welcher jedoch noch nicht genau bestimmt werden konnte. Dies konnte, unabhängig von den neuronalen Anteilen des RIC, durch Experimente an isolierten Tierherzen bewiesen werden. Dabei wurden Herzen unterschiedlicher Spezies isoliert und mit Serum perfundiert (in einem „isolierten Herzmodell“ werden Herzen kanüliert und mit Blut oder Puffer ex vivo perfundiert, wodurch hämodynamische Messungen unabhängig vom Spenderorganismus durchgeführt werden können). Das Serum stammte von Patienten oder Tieren, an denen zuvor RIC-Zyklen durchgeführt wurden. Durch die Verwendung des Serums konnten anschließend im isolierten Herzen erzeugte Infarkte in ihrer Größe gemindert werden, verglichen mit Kontrollgruppen, die Serum von Patienten oder Tieren erhielten, die keine RIC-Zyklen durchgemacht hatten [15, 16, 20]. Das Serum von Patienten, die einem RIC-Reiz ausgesetzt waren, zeigt auch deutliche Unterschiede in der Proteinexpression. So kommt es mit jedem Zyklus zu einer veränderten Proteinregulierung. Hochregulierte Proteine zeigen das größten Ausmaß 15 min nach dem letzten Zyklus, niederregulierte Proteine zeigen das größte Ausmaß etwa 24 h nach dem letzten RIC-Zyklus. [21]. Neuronale Bahnen scheinen zwar in der Entstehung des kardioprotektiven Signals durch das RIC eine wesentliche Rolle zu spielen, nicht jedoch bei der Übermittelung. Den Beweis hierfür erbrachten Experimente mit transplantierten Herzen, die per se keine nervale Verbindung zum Spender haben. Auch in diesen transplantierten Herzen können ischämisch bedingte Gewebeschäden durch ein RIC reduziert werden [22]. Interessanterweise dürfte es auch eine Art Gedächtnis für das RIC geben. Führt man ein RIC vor der Explantation des Herzens mit anschließender Perfusion am isolierten Herzmodell durch, ist es im Vergleich zu Herzen ohne RIC widerstandsfähiger gegenüber Infarkten [23].

Fasst man die oben beschriebenen Ergebnisse zur die Initiierung und Übertragung des kardioprotektiven Signals zusammen, kann man die Entstehung eines humoralen Faktors in Abhängigkeit des Nervensystems vermuten [15]. Viele Moleküle, von denen man ursprünglich annahm, sie wären für das RIC verantwortlich, standen über die Jahre im Mittelpunkt der Forschung. Darunter finden sich beispielsweise Opioide [24, 25] und Adenosin [26, 27], jedoch konnten keine befriedigenden Ergebnisse erzielt werden. Versuche, bei denen man nach Durchführung des RIC Serum gewonnen und mit kleinporigen Membranen gefiltert hat, legten letztendlich den Schluss nahe, dass es sich bei dem vermuteten Faktor aller Wahrscheinlichkeit nach um ein hydrophobes Molekül mit einer Größe von weniger als 15–30 kDa handelt [20].

Wirkung

In den vergangenen fünf Jahrzehnten wurden viele verschiedene Faktoren des IRS entschlüsselt. Dazu gehören verschiedene Ionenkanäle, reaktive Sauerstoffspezies (ROS), ein starker inflammatorischer Reiz sowie auch die endotheliale Dysfunktion. All diese Faktoren zusammen bilden unser heutiges Verständnis dieser komplexen Pathophysiologie. Kurz zusammengefasst, führt ein Stopp der Blut- und somit auch der Sauerstoffversorgung, gefolgt von einer Wiederherstellung der Perfusion, zu

  1. a)

    oxidativem Stress [28] durch die Entstehung von ROS, die wiederum selbst zur weiteren Radikalbildung beitragen [29];

  2. b)

    einer Störung des intrazellulären Kalziumhaushalts mit der Folge einer Überladung der Zellen [30];

  3. c)

    einer schnellen Wiederherstellung des intrazellulären pH-Wertes (von sauren Werten während der Ischämie zu physiologischen Werten durch die Reperfusion), welche selbst zu einem Schaden führt (sog. pH-Paradox, zusammengefasst durch Lemasters [33]);

  4. d)

    einem starken inflammatorischen Reiz, der insbesondere durch die Aktivierung von neutrophilen Granulozyten entsteht (zusammengefasst durch Vinten-Johansen [31]).

Die genannten Veränderungen interagieren miteinander und führen gemeinsam zur Öffnung der „mitochondrial permeability transition pore“ (MPTP), eines unselektiven Kanals für kleine Proteine in der Mitochondrienmembran [32]. Das Öffnen führt zu einem ungezielten Einstrom von Bestandteilen des Zytosols in die Mitochondrien und resultiert in einem Zusammenbruch des elektrochemischen Potenzials der innersten Mitochondrienschicht. In weiterer Folge kommt es zum Efflux von mitochondrialen Proteinen in das Zytosol, darunter auch Cytochrom C, wodurch die Caspasekaskade aktiviert wird und der Zelltod eintritt [3234].

Die Entschlüsselung des RIC zeigt sich aufgrund seiner Komplexität besonders schwierig, da es auch Unterschiede zwischen den drei verschiedenen Formen der Konditionierung zu geben scheint. Im nachfolgenden Abschnitt wird daher nicht nur das RIC behandelt, sondern auch das IPC.

Murry et al. schlussfolgerten bei der Entdeckung des IPC, dass die Reduktion der Infarktgrößen auf Basis einer reduzierten metabolischen Leistung der Zellen (im Sinne eines reduzierten Verbrauchs der energiereichen Phosphate) zustande kommt und es dadurch auch zu einer verminderten Anhäufung von Kataboliten kommt [10, 35]. Bis heute ist eine Vielzahl von möglichen Wirkungsmechanismen erforscht worden, und es zeigten sich auch einige Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten der Konditionierung. Die Unterschiede beginnen bereits mit dem gestörten intrazellulären Kalziumhaushalt, hervorgerufen durch Ischämie und Reperfusion. Im Vergleich zu IPC hat RIC z. B. keinerlei Einfluss auf den Kalziumhaushalt [26]. Es zeigte sich aber auch, dass sich verschiedene Arten der Konditionierung miteinander verbinden lassen, so z. B. das IPostC mit dem RIC [36], und dass der kardioprotektive Effekt dadurch sogar verstärkt werden konnte. Dies wirft die Frage auf, ob die Kombination beider Verfahren zu einer Verstärkung desselben Signals führt oder ob die beiden Arten der Konditionierung unterschiedliche Wirkungsmechanismen haben, die jedoch miteinander kombinierbar sind und zu einem verbesserten Schutz beitragen.

Heute weiß man auch über die Wichtigkeit von ATP (Adenosintriphosphat)-gesteuerten Kaliumkanälen (KATP) als Teil der Konditionierung Bescheid [12, 22]. Dabei dürften vor allem jene KATP, die sich in den Mitochondrien befinden, von entscheidender Bedeutung sein [23, 37]. Die oben erwähnte MPTP wird ebenfalls durch die Konditionierung wesentlich beeinflusst. Unabhängig von den KATP-Kanälen verzögert RIC auch das durch ROS vermittelte Öffnen der MPTP. Dieser Effekt ist abhängig von Signalwegen, für welche die Proteinkinase epsilon und eine Stickstoffmonoxidsynthase erforderlich sind [26]. Ebenso involviert in das RIC ist Connexin 43. Dieses Transmembranprotein aus der Gruppe der „gap junctions“ findet sich in Zellmembranen, im Sarkolemm und in den Mitochondrien und ist nach Ischämie und Reperfusion durch das RIC besser erhalten [38]. Dabei steht jedoch nicht die Funktion als interzelluläres Signalmolekül im Vordergrund [39], sondern die Aktivität in den Mitochondrien [40]. Der Gasotransmitter Stickstoffmonoxid (NO) spielt ebenso eine Rolle im RIC [41]. Höhere Konzentrationen von NO während Ischämie und Reperfusion wurden in Herzen nachgewiesen, die einem RIC-Reiz ausgesetzt waren [42], und es scheint, dass auch zirkulierendes NO ein Bestandteil des kardioprotektiven Mechanismus des RIC ist [43]. Zusätzlich hat NO auch Effekte auf das bereits erwähnte Connexin 43 [40].

Auf der Suche nach den intrazellulären Signalwegen zur Verhinderung des Zelluntergangs wurde der sog. „RISK pathway“ beschrieben. Dieser besteht aus Phosphatidylinositol-3-Kinase (PI3K), Akt (Proteinkinase B) und den p42/p44-extrazellulärsignalregulierten Kinasen 1 und 2 (ERK-1/2). Eine Phosphorylierung und damit Aktivierung von RISK, als Antwort auf einen kardioprotektiven Mechanismus zu Beginn der Reperfusion, reduziert den Reperfusionsschaden signifikant (Hausenloy und Yellon bieten eine genaue Beschreibung von RISK [44]). Nachweislich stellt die RISK-Aktivierung einen entscheidenden Bestandteil für das IPC [45] sowie für das IPostC [46] dar. Bezüglich einer Involvierung von RISK in das RIC gibt es noch keine genaue Datenlage [36, 47]. Ein zweites System der Protektion, der sog. „SAFE (‚survivor activating factor enhancement‘) pathway“, ist ebenso involviert in das „conditioning“. SAFE fasst die Signalkaskade, bestehend aus TNF (Tumornekrosefaktor)-α, dem Transkriptionsfaktor STAT3 („signal transducer and activator of transcription 3“) und dem Rezeptorsubtyp von TNF-α zusammen (erklärt durch Lecour [48]). Experimente mit STAT3-Knockout-Mäusen zeigen, dass der Transkriptionsfaktor wesentlich für das IPC ist und es ohne ihn zu keinem Schutz für das Herz kommt [49]. In diesem Zusammenhang wurde auch Apolipoprotein A1 (ApoA1) als Signalmolekül für RIC überlegt [50]. Die Applikation von ApoA1 führt nämlich zu einer signifikanten Reduktion der Infarktgröße und wird durch die Blockierung von RISK und SAFE gehemmt [51]. Interessanterweise zeigten jedoch Patienten, die sich einer Bypass-Operation unterzogen hatten und bei denen RIC angewendet worden ist, eine höhere Aktivierung von STAT5 während der Reperfusion [52]. Überlegt wird auch eine Verbindung zwischen den beiden Signalwegen RISK und SAFE [36].

Wie die bereits erwähnte unterschiedliche Proteinexpression im Serum durch das RIC [21] ändert sich auch das Expressionsmuster im Herzen [53]. Dieses zeigt einerseits eine Hochregulierung von Proteinen, die bekannte zellprotektive Eigenschaften aufweisen, und andererseits kommt es zur Unterdrückung von proinflammatorischen Genen. Besonders betroffen sind jene Gene, die für die Aktivierung von Leukozyten verantwortlich sind. Somit kann der Entzündungsreiz durch ein RIC reduziert werden [54]. Interessanterweise können die kardioprotektiven Effekte des RIC bis zu 48 h andauern. In diesem sog. späten oder zweiten Fenster des RIC kommt es unter anderem zu einer Hochregulierung von Interleukin 1 [55] und ebenso zu einer verminderten Expression von entzündungsfördernden Genen, die unter anderem verantwortlich für die Rekrutierung von Leukozyten oder auch Komplexen von neutrophilen Granulozyten und Thrombozyten sind [54].

Klinische Testung

Der Schritt, eine experimentelle Technik in der täglichen klinischen Anwendung zu etablieren, ist ein schwieriger Prozess. Aus Sicht eines Kardiologen betrifft dies vor allem das IPC, da es vor Beginn der Ischämie durchgeführt werden muss. Dies wird am besten anhand des akuten MCI ersichtlich. Das RIC ist aufgrund seiner simplen Anwendung erheblich vielversprechender, da es lediglich mittels einer herkömmlichen Blutdruckmanschette durchgeführt werden kann. Obwohl viele experimentelle Studien gute Ergebnisse für diesen starken körpereigenen Mechanismus zeigten, gibt es zahlreiche Faktoren, welche das „conditioning“ beeinflussen und in weiterer Folge auch wieder dessen Wirkung schmälern oder sogar rückgängig machen. Zu diesen Faktoren und Substanzen zählen unter anderem KATP-Kanal-Inhibitoren (z. B. Glibenclamid [22], Naloxon [20] oder auch Propofol [15, 56]), die alle für ihren negativen Einfluss auf das RIC bekannt sind und dieses entweder in der Entstehung, in der Übertragung oder in seiner Wirkung beeinträchtigen. Dadurch verkompliziert sich auch die klinische Anwendbarkeit des RIC.

Im Jahr 2010 wurde das RIC erstmals in einer prospektiven, randomisierten und kontrollierten Studie durch Bøtker et al. an Patienten mit akutem MCI getestet [14]. Per Definition wurde ein „remote ischemic perconditioning“ (PerC; [12]) angewandt, da die RIC-Zyklen nach Beginn der Ischämie, aber noch vor Beginn der Reperfusion durchgeführt wurden. Das PerC wurde bereits während des Rettungstransports der Patienten zum Herzkatheterzentrum begonnen, wodurch auch die Einfachheit der Anwendung unterstrichen werden konnte. Primärer Endpunkt der Studie war der durch zwei SPECT(„single photon emission computed tomography“)-Untersuchungen (kurz nach Reperfusion sowie 30 Tage danach) ermittelte „myocardial salvage index“ (MSI). Er gibt die Infarktgröße in Relation zur „area at risk“ (AAR: gesamtes Myokard, welches durch den Gefäßverschluss betroffen ist) an. Für 142 Patienten (PerC: 73, Kontrollgruppe: 69) wurde der primäre Endpunkt errechnet, und als Ergebnis konnte eine signifikante Verbesserung des MSI durch die Anwendung des PerC zusätzlich zur perkutanen koronaren Intervention (PCI) gezeigt werden [14]. In dieser Studie zeigte sich auch, dass insbesondere Infarkte, die ihren Ursprung in einer Läsion des Ramus interventricularis anterior (RIVA, synonym zu „left anterior descendens artery“ [LAD]) haben, bzw. sehr große Infarkte (AAR ≥ 35 % des linken Ventrikels) von einer Kombination aus PerC und primärer PCI profitieren. Die linksventrikuläre Funktion 30 Tage nach MCI war im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant erhöht [57].

Andere Studien hatten als primären Endpunkt die tatsächliche Infarktgröße, gemessen mit MRI („magnetic resonance imaging“), und zeigten ebenso bessere Ergebnisse für das RIC [11, 58]. Und auch bei Patienten mit elektiver PCI konnten durch die Anwendung des RIC die Troponinwerte und ein mögliches ischämiebedingtes Unwohlgefühl während der PCI reduziert werden [59].

Von entscheidender Bedeutung für die breite klinische Anwendung des RIC wären Daten, die auch eine Verbesserung bei klinischen (harten) Endpunkten zeigen würden, beispielsweise ein verbessertes Langzeitüberleben. Diese Studien, welche nämlich auch aus statistischer Sicht für solch eine Aussage geeignet wären, fehlen aktuell noch im kardiologischen Bereich. Dennoch zeigen die bisher publizierten (statistisch aber nicht dafür gedachten) Studien vielversprechende Ergebnisse in Bezug auf eine Reduktion von klinisch relevanten Endpunkten („major adverse cardiovascular events“, MACE), beispielsweise nach akutem MCI (Nachverfolgung der Patienten aus der oben erwähnten Studie von Bøtker et al.; [60]) oder nach elektiver PCI [61].

Bis dato wurden auch mehrere Metaanalysen, welche die Infarktgrößen nach RIC untersuchten, publiziert [62, 63]. Eine der größten ist jene von Le Page et al., in welcher insgesamt 5317 Patienten aus 53 Studien inkludiert wurden, die einer PCI, einem herzchirurgischen oder einem großen gefäßchirurgischen Eingriff unterzogen worden sind. Die Analyse zeigte, dass es in den RIC-Gruppen im Vergleich zur Kontrollgruppe zu einer signifikanten Reduktion der kardialen Biomarker Troponin und CK-MB („creatine kinase, muscle-brain type“), gemessen als „area under the curve“ (AUC) bzw. als „peak value“, kam. In einer Subanalyse mit jedoch weit geringerer Patientenanzahl kam es zu einer signifikanten Reduktion der Langzeit-MACE-Rate (>1 Jahr nach RIC), der Gesamtsterblichkeit sowie des Auftretens neuer MCI [63].

Es ist generell zu berücksichtigen, dass alle erwähnten Studien, auch jene, die in der Metaanalyse von Le Page ausgewertet wurden, klinische Endpunkte nur sekundär untersucht hatten und daher mit Vorsicht interpretiert werden müssen. Folglich waren die Erwartungen vor der Veröffentlichung zweier randomisierter, kontrollierter, multizentrischer und Sham-kontrollierter Studien, welche das RIC bei herzchirurgischen Patienten untersuchte, sehr hoch. ERRICA (1612 Patienten) untersuchte als primären Endpunkt eine Kombination aus Tod durch kardiovaskuläre Ursachen, nichttödlichem MCI, koronarer Revaskularisation oder Auftreten eines Insults 12 Monate nach Randomisierung [64]. RIPHeart (1403 Patienten) untersuchte ebenfalls einen primären kombinierten Endpunkt aus Tod, MCI, Insult oder akutem Nierenversagen [65]. Entgegen den ursprünglichen Erwartungen kamen beide Studien zu dem Schluss, dass das RIC keinerlei Vorteile in Bezug auf die untersuchten Endpunkte brachte. Retrospektiv betrachtet, könnte allerdings Propofol Einfluss auf die Effektivität des RIC gehabt haben [56], da bei den angewendeten anästhesiologischen Verfahren ein sehr häufiger Gebrauch von Propofol nachweisbar war. So wurde in der RIPHeart-Studie jeder Patient per Studienprotokoll mit Propofol anästhesiert [65], und in ERRICA gab es eine Minderheit von etwa 6 % der Patienten, die kein Propofol erhielten [64]. Dieser Umstand wurde auch von anderen Autoren kritisiert [66].

Ungeachtet der Tatsache, dass die aktuell verfügbare Literatur nach wie vor keine definitive Aussage über eine breitere klinische Anwendung des RIC machen kann, hat keine der durchgeführten Studien schwerwiegende Schäden oder unerwünschte Nebenwirkungen durch das RIC gezeigt. [14, 56, 57, 5961, 64, 65]. Zwei prospektive, multizentrische, randomisierte und kontrollierte Studien rekrutieren aktuell Patienten, um klinische Endpunkte im Rahmen einer Anwendung des RIC bei MCI-Patienten zu untersuchen. Beide Studien sind auch aus statistischer Sicht in Bezug auf die Patientenanzahl dafür geeignet. CONDI2 (NCT01857414) wird bei 4300 Patienten als primären Endpunkt die kardiale Mortalität innerhalb eines Jahres nach MCI untersuchen, und ERIC-PPCI (NCT02342522) wird einen kombinierten Endpunkt (kardiale Mortalität und Hospitalisierung aufgrund einer Herzinsuffizienz) bei 2000 Patienten untersuchen. Diese Ergebnisse werden mehr Aufschluss über den klinischen Nutzen des RIC geben und dürfen mit Spannung erwartet werden.

Fazit

  • Zusammenfassend kann das RIC als starker körpereigener Mechanismus beschrieben werden, der uns vor dem IRS, wie er beispielsweise im akuten MCI oder auch bei herzchirurgischen Eingriffen vorkommt, schützen kann.

  • In mehreren experimentellen und klinischen Studien konnten die positiven Wirkungen des RIC im Sinne einer Reduktion der Infarktgrößen nachgewiesen werden.

  • Bis heute konnten viele Aspekte des komplexen pathophysiologischen Systems, welches sich hinter dem RIC verbirgt, beleuchtet werden, ohne jedoch zu einer vollständigen Klarheit über deren Bedeutung zu gelangen.

  • Verschiedene Moleküle und Rezeptoren scheinen im RIC eine große Rolle zu spielen. Neben der „Einzelfaktoren“-Theorie könnte das RIC auch ein interaktives System darstellen, in welchem viele Bestandteile nicht nur miteinander agieren, sondern auch auf Interaktion angewiesen sind.

  • Aktuell fehlt es aber noch an großen klinischen Endpunktstudien, die eine Verbesserung durch RIC im kardiologischen Bereich zeigen. Daher kann man derzeit auch noch keine generelle Empfehlung für den klinischen Einsatz des RIC geben.

  • Vieles spricht dafür, dass das RIC prinzipiell klinisch anwendbar und bedeutsam sein könnte, wenn es in Situationen mit stark limitierten Ressourcen, wie z. B. während eines Patiententransports im Rettungswagen [14] oder mittels Ambulanzflugzeug [67], eingesetzt werden kann.

Abb. 1
figure 1

Ablauf eines gängigen RIC („remote ischemic conditioning“)-Protokolls: Eine Blutdruckmanschette wird am Oberarm angelegt und für 5 min auf 200 mmHg (bzw. 15 mmHg über systolischem Blutdruck) aufgeblasen. Danach wird für 5 min die Perfusion in der Extremität wiederhergestellt. Dieser Zyklus wiederholt sich insgesamt 3- bis 4‑mal. Im Falle eines „remote ischemic perconditioning“ (PerC) passiert dies nach Beginn der myokardialen Ischämie, aber noch vor Reperfusionstherapie (Herzkatheterdraht passiert die „culprit lesion“)

Abb. 2
figure 2

Signalweg des RIC („remote ischemic conditioning“; durchgezogene Linien durch aktuelle Literatur bestätigte Signalwege, unterbrochene Linien mögliche Signalwege, die durch die Literatur aktuell nicht bestätigt oder noch nicht gänzlich ausgeschlossen sind): Intrazellulär werden verschiedene Signalkaskaden aktiviert (z. B. RISK und SAFE), welche die genannten intrazellulären Ziele modulieren (K ATP -Kanäle ATP [Adenosintriphophat]- abhängige Kaliumkanäle, MPTP „mitochondrial permeability transition pore“, ROS reaktive Sauerstoffradikale, RISK „reperfusion injury salvage kinase pathway“, SAFE „survivor activating factor enhancement pathway“, NO Stickstoffmonoxid)