Ethik in der Medizin – sprengt das nicht den Rahmen eines kardiologischen Review-Journals? Aber warum? Medizinische Tätigkeit ohne Ethos gegenüber dem Patienten darf nicht sein. Auch wenn der Eid des Hippokrates von Kos (460–370 v. Chr.) heute nicht mehr von den Ärzten geleistet wird, er ist doch die Grundlage einer ärztlichen Ethik seit über 2000 Jahren [1, 2]. Elementare Bestandteile der hippokratischen Ethik sind das Gebot, Kranken nicht zu schaden („primum nil nocere“), die ärztliche Schweigepflicht und das Verbot sexueller Handlungen an Patienten, des Schwangerschaftsabbruchs und der aktive Sterbehilfe. Das darin enthaltene Prinzip „salus aegroti suprema lex“ nimmt den Hauptgedanken des Patientenwohls auf, das in der gegenwärtigen Diskussion der Selbstbestimmung auch des kranken Menschen als „voluntas aegroti suprema lex“ seinen Widerspruch gefunden hat [3]. Das Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes stellt die ärztliche Tätigkeit unter die Leitlinie der Menschlichkeit, die als integraler Bestandteil der Berufsordnung für alle Ärzte gilt [4].

Literatur zu Ethik und Werten im Allgemeinen gibt es wie Sand am Meer. Auch zu Ethik und Moral in medizinischen Grundfragen herrscht kein Mangel bei z. T. recht divergierenden Antworten. Aber im Brennglas der Kardiologie betrachtet, sind Publikationen zur Ethik unseres medizinischen Fachgebiets recht spärlich vorhanden. Und wenn, dann erschöpfen sie sich zu oft in Allgemeinplätzen und als Empörung über Verfehlungen bei anderen. Dieser Versuchung wollten und wollen wir bei der Behandlung des Themas nicht erliegen.

Ethisches Handeln in der medizinischen Forschung und deren Veröffentlichungen sind eine logische Folgerung aus dem hippokratischen Eid und dem Genfer Gelöbnis. Aber sind das häufig nicht nur Lippenbekenntnisse? Der Wissenschaftsbetrug („scientific fraud“) durch den Research Fellow John Roland Darsee in der kardiologischen Abteilung von Eugen Braunwald an der Havard University, der in einer Nacht tierexperimentelle Befunde fabrizierte, die er als Ergebnisse chronischer, über Monate gehender Experimente ausgab, hat nicht nur die Havard University sondern auch den amerikanischen Kongress beschäftigt [5, 6, 7]. Darsee schrieb damals quasi als Entschuldigung an Braunwald ([7]; S. 1806): „This was an extremely difficult period for me. I had too much to do, too little time to do it, and was greatly fatigued mentally and almost childlike emotionally. I had not taken a vacation, sick days or even a day off from work for six years. I had put myself on a track that I hoped would allow me to have a wonderful academic job and I know I had to work very hard for it.“

Darsee verlor seinen Job an der Universität und ruinierte seine wissenschaftliche Karriere, war aber später in einer New Yorker Klinik noch jahrelang tätig. Prof. E. Braunwald blieb in seinem Amt viele weitere Jahre, aber das NIH forderte über 100.000 US-Dollar an Forschungsgeldern von der Havard University und seiner Arbeitsgruppe zurück. Dabei mutet es makaber an, dass auch heute noch etliche von Darsees Publikationen zitiert werden [8].

Kompetitives wissenschaftliches Umfeld, hoher Leistungsdruck, unzureichende Kontrolle durch vorgesetzte Instanzen und ein Umfeld, das Erfolg um (fast) jeden Preis verinnerlicht hat und dies auch so lebt, weil davon finanzielle Förderung und berufliche Karriere abhängen, sind ein fataler Nährboden für wissenschaftliches Fehlverhalten („misconduct“) bis heute. Datentrimming, -manipulation und Plagiate sind die Themen, denen sich der Herausgeber des European Heart Journal, Thomas F. Lüscher, in dieser Ausgabe von Herz widmet, fußend auf einem früheren Beitrag zum Thema [9]. Das European Heart Journal und die European Society of Cardiology waren von der Veröffentlichung Don Poldermans’ zu suspekten Daten für die präoperative Behandlung von Patienten mit Betablockern im New England Journal of Medicine, der DECREASE-Studie [10], insofern betroffen, als diese zur späteren Empfehlung in einer Leitlinie der European Society of Cardiology [11] führte mit unklaren, möglicherweise auch vital bedrohlichen Folgen für die betroffenen Patienten. Aktuelle Fälle betreffen nicht nur Don Poldermans von der Erasmus-Universität in Amsterdam, sondern finden sich auch im deutschen Sprachraum. Ganz bewusst wird hierbei auf eine namentliche Konkretisierung verzichtet, weil es nicht primär um Beschuldigungen bei noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen der Universitäten oder der Justiz geht, sondern um die Analyse von Umständen, in denen wissenschaftliches Fehlverhalten ermöglicht wird.

Plagiate, Autoplagiate und „Salami-Publishing“ stellen für jeden Herausgeber einer medizinischen Zeitschrift und ihre Gutachter eine Herausforderung dar. Das korrekte Zitieren von Quellen ist eigentlich ein kategorischer Imperativ an die Autoren, dem allzu oft nur unzureichend entsprochen wird.

Plagiate, Autoplagiate und „Salami-Publishing“ stellen für jeden Herausgeber einer medizinischen Zeitschrift und ihre Gutachter eine Herausforderung dar

Der ärztliche Beruf, so Friedrich Heubel in seinem Beitrag in Herz, ist kein Gewerbe, sondern ein freier Beruf ohne Weisungsgebundenheit von Nichtärzten. „Arztsein“ gehört zu den „Professionsberufen“ mit einer Sonderrolle, weil ärztliche Entscheidungen in der Diagnostik und der Behandlung von Patienten stets unmittelbare materielle Folgen haben. Sie dürfen nicht nur Erfüllungsgehilfen der Ökonomie sein [12]. Hier steht er im Diskurs mit dem Beitrag von Hans-Joachim Conrad, der darin folgert, dass „Gesundheitsberufe heute Berufe wie andere auch“ seien, die den ökonomischen Zwängen im Gesundheitswesen unterworfen sind. An Ihrer Meinung zu diesem kontroversen Thema sind wir interessiert.

Ethikkommissionen der medizinischen Fakultäten und Landesärztekammern bewerten seit Jahrzehnten die Forschung am Menschen und bei Tierversuchen aufgrund von gesetzlichen Vorgaben. Diese heute selbstverständliche Tätigkeit ist nicht nur verdienstvoll, sondern notwendig. In seinem Beitrag in Herz befasst sich Gerd Richter auch damit, aber zusätzlich mit der klinischen Ethikberatung als einem „ethisch qualifizierten und informierten Konfliktmanagement“ am Beispiel eines Universitätsklinikums. Im klinischen Alltag geht es dabei um „wertbehaftete Probleme und Konflikte“ in der Patientenversorgung wie dem Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen, dem Umgang mit Patientenverfügungen und der Sterbehilfe. Sie soll vor allem dem aktuell geäußerten, vorausverfügten oder mutmaßlichen Patientenwillen entsprechen.

Ethische und anthropologische Fragen spielen bei der Organentnahme bei einer Organtransplantation eine besondere Rolle. Der reale oder scheinbare Widerspruch zwischen der ethischen Setzung der „dead-donor rule“ und der herkömmlichen Todesdefinition werden von Dieter Birnbacher beleuchtet. Während die Hirntoddefinition nahezu universal anerkannt ist, ist es die Endgültigkeit des Ausfalls der Hirnfunktionen als Todeskriterium nicht. Dieser Widerstreit zwischen der ethischen Wünschbarkeit der Organentnahme beim Merkmal der Irreversibilität des Hirntodes, die aber noch nicht unbedingt die Irreversibilität des Todes bedeutet, werden in seinem Beitrag hinterfragt und Lösungsmöglichkeiten erörtert.

Giovanni Maio greift in seinem Beitrag für Herz mit dem Titel „Wenn das Annehmen wichtiger wird als das Machen“ das Thema der Patientenautonomie auf. Hier wird der Spannungsbogen von „salus aegroti suprema lex“ und „voluntas aegroti suprema lex“ für ärztliches Handeln erneut deutlich, der im Beitrag von Gerd Richter bereits anklingt. „Das Sterbenmüssen ist eine existenzielle Grunderfahrung des Menschen“, so Maio in seinem Beitrag. In unserer Zeit, die Machbarkeit und Selbstbestimmung des Menschen als nahezu selbstverständlich ansieht, werden auch das Sterben und der Tod als durch den kranken Menschen plan- und steuerbar verstanden. Aber sind eine aktive Sterbehilfe und der assistierte Suizid wirklich die richtige Antwort? In seinem Beitrag wird die Rolle der Fürsorge im Umgang mit Sterbenden herausgearbeitet, der nicht zum Widerspruch zur Patientenautonomie geraten muss.

Der Herausgeber und die Autoren dieses etwas anderen Heftes von Herz sind überzeugt, dass Sie die Beiträge nicht zur Seite legen werden, bevor Sie alle gelesen haben. Aber auch danach bleiben noch Fragen übrig, die uns zum Nachdenken und Diskutieren anregen.

Wir freuen uns auf Ihre Diskussionsbeiträge dazu sprichwörtlich „von Herzen“, Die wichtigsten ihrer Beiträge werden sie in einer späteren Ausgabe von Herz wiederfinden.

Ihr

Bernhard Maisch