Das Bewusstsein für den richtigen Moment ist entscheidend Die meisten Erreger nosokomialer Infektionen werden über die Hände übertragen. Deshalb ist die Händedesinfektion von so großer Bedeutung. Wie macht man es richtig?

Die wichtigste Einzelmaßnahme, um Infektionsketten wirkungsvoll zu unterbrechen, ist die Händedesinfektion. Eine Erkenntnis, die basierend auf der bahnbrechenden Studie von Ignaz Semmelweis im Jahr 1847/48 wissenschaftlich allgemein anerkannt ist. Dennoch wird durchschnittlich nur jede zweite Händedesinfektion dann durchgeführt, wenn sie erforderlich ist. Vor diesem Hintergrund entwickelten Schweizer Wissenschaftler 2009 gemeinsam mit amerikanischen Kollegen ein anwenderorientiertes Konzept, um die Bereitschaft zur Durchführung der Händedesinfektion zu verbessern. Die sogenannten "5 Momente der Händehygiene" sind ein Kernelement der im Mai 2009 verabschiedeten WHO-Guideline zur Händehygiene und werden weltweit als Standard der Händehygiene geschult.

Anwenderorientierter Ansatz für alle Bereiche

Das "5-Momente-Konzept für die Händehygiene" beschreibt grundlegende Situationen Beschäftigter des Gesundheitswesens, in denen die Erregerübertragung während des Pflegeablaufs wirksam durch eine Händedesinfektion unterbrochen werden kann. Das Konzept bietet eine solide Basis für das Verstehen, Durchführen, Lehren, Überwachen und Berichten der Händehygienepraxis. Für die Entwicklung des anwenderzentrierten Ansatzes kombinierten die Wissenschaftler die Ergebnisse von Risikoanalysen zur Entstehung nosokomialer Infektionen und der Verbreitung multiresistenter Mikroorganismen mit Forschungsergebnissen aus Arbeitswissenschaft, Motivationsforschung, sozialem Marketing und Kommunikationswissenschaft.

Das Zwei-Zonen-Modell

Den Rahmen für die "5 Momente" bzw. die Indikationen zur Händedesinfektion bildet das Zwei-Zonen-Modell: Die direkte Patientenzone (unmittelbare Patienten- bzw. Bewohnerumgebung) und die erweiterte Patientenzone (Pflegeumgebung). In diesen zwei Zonen ist das Risiko einer Erregerübertragung in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen am höchsten. Die räumliche Einordnung des Infektionsrisikos basiert auf den Erkenntnissen über wesentliche Erregerquellen:

  • Kolonisierte oder infizierte Patienten stellen die Hauptquelle für in der Einrichtung auftretende Erreger dar.

  • Die erweiterte Patientenzone innerhalb der Einrichtung ist mit einer Vielzahl von Erregern besiedelt und bildet eine weitere Quelle für Erregerübertragungen.

  • Die unmittelbare Umgebung des Patienten ist mit Erregern der Patientenflora kolonisiert.

Direkte Patientenzone: Diese Zone besteht aus dem Patienten und seiner unmittelbaren Umgebung und umfasst die intakte Haut des Patienten und alle unbelebten Oberflächen, die bei Kontakt mit ihm berührt werden, z.B. Bettrahmen, Nachttisch, Bettwäsche, Infusionsbesteck. Auch Flächen, die häufig vom Personal berührt werden wie Bedienelemente von Monitoren gehören dazu.

Erweiterte Patientenzone: Sie beinhaltet alle Gegenstände/Personen außerhalb der direkten Patientenzone, z.B. andere Patienten und ihre Patientenzone sowie die gesamte Umgebung der stationären Einrichtung. Nicht nur auf Krankenhäuser, sondern auch auf andere Einrichtungen ist das Konzept anwendbar. Bei überwiegend bettlägerigen Bewohnern in Pflegeeinrichtungen werden die Zonen z.B. definiert als:

Direkte Bewohnerumgebung: Bewohner-/Pflegezimmer, wenn es sich um ein Mehrbettzimmer handelt: Das Bewohnerbett mit dazugehörigem Nachttisch und die darin befindlichen persönlichen Gegenstände des Bewohners sowie alle dem Bewohner zugeordneten Devices etc.

Bewohner-/Pflegezimmer, wenn es sich um ein Einzelzimmer handelt: Das gesamte Zimmer wird als direkte Bewohnerumgebung definiert.

Zur erweiterten Bewohnerumgebung gehören alle darüber hinausgehenden Bereiche des Bewohnerzimmers, wenn es sich um ein Mehrbettzimmer handelt, Gemeinschaftsräume, allgemeiner Bereich, Flur etc.

Die 5 Momente der Händedesinfektion

Eine Indikation zur Händedesinfektion entsteht in der direkten Patienten-Bewohnerzone abhängig von der Art der Tätigkeit am Patienten/Bewohner sowie beim Wechsel zwischen direkter und erweiterter Zone. Das WHO-Modell identifiziert in diesem Bezugssystem die wichtigsten Situationen, in denen eine Händedesinfektion die Übertragung von Erregern verhindern kann. Die situationsbezogenen Einzelindikationen werden in fünf Indikationsgruppen als "Momente" zusammengefasst:

  1. 1.

    VOR Patientenkontakt, z.B. vor der Messung von Vitalfunktionen, dem Umbetten.

  2. 2.

    VOR aseptischen Tätigkeiten, z.B. vor der Manipulation an einem Gefäßkatheter, subkutanen Injektionen, dem Anlegen eines Wundverbandes, der Zubereitung von Medikamenten.

  3. 3.

    NACH Kontakt mit infektiösen Materialien, z.B. nach der Behandlung von Hautläsionen, dem Öffnen von Drainagesystemen, dem Verbandwechsel, dem Hantieren mit medizinischen Instrumenten.

  4. 4.

    NACH Patientenkontakt, z.B. nach der Palpation des Abdomens, dem Blutdruckmessen, der Pulsabnahme.

  5. 5.

    NACH Kontakt mit der unmittelbaren Patientenumgebung, z.B. nach dem Abstellen eines Alarms am EKG-Monitor. Bei mobilen Bewohnern und in ambulanten, nicht-invasiven Bereichen entfällt diese Indikation (Abb. 1).

    Abb. 1
    figure 1

    Quelle: Aktion Saubere Hände

    : Die 5 Indikationen der Händedesinfektion

Damit konzentriert sich das "5 Momente-Modell" auf diejenigen Situationen, in denen im klinischen Alltag eine Händedesinfektion erforderlich ist und eine Erregerübertragung effektiv unterbrochen werden kann. Situationen, in denen eine Händedesinfektion keinen Nutzen hat, werden in dem Modell nicht abgebildet, z.B. eine Händedesinfektion, wenn man einen Flur entlangläuft.

Effektivität der Händedesinfektion

Eine Händedesinfektion kann nur dann Erregerübertragungen wirksam verhindern, wenn sie korrekt ausgeführt wird. Dazu muss zum einen die Wirksamkeit des Händedesinfektionsmittels gegenüber den zu erwartenden Erregern geprüft sein. Weiterhin muss die Einwirkzeit eingehalten werden, die für die Inaktivierung der Erreger erforderlich ist. Und schließlich müssen beim Einreiben des Desinfektionsmittels alle Areale der Hand vollständig mit dem Präparat benetzt werden. Das Wirkungsspektrum eines Händedesinfektionsmittels gibt an, gegen welche Gruppen von Erregern das Präparat wirkt. Abhängig von Einsatzbereich und Risikobewertung sind unterschiedliche Wirkungsspektren erforderlich:

Bakterizid: Die Wirksamkeit gegenüber Bakterien umfasst alle Bakterien einschließlich antibiotikaresistenter Bakterien wie z.B. den Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) sowie gramnegative Erreger wie Escherichia coli.

Levurozid: Wirksamkeit gegenüber Sprosspilzen, darunter auch gegen den Hefepilz Candida albicans.

Fungizid: Wirksamkeit gegenüber allen Pilzen und ihren Sporen wie gegen Aspergillus spp.

Mykobakterizid: Wirksamkeit gegenüber allen Mykobakterien wie gegen Mycobacterium leprae.

Begrenzt viruzid: Wirksamkeit gegenüber behüllten Viren. Dazu zählen beispielsweise Influenzaviren, das neuartige SARS-CoV-2 sowie die durch Blut und Körperflüssigkeiten übertragbaren HIV, HBV, HCV.

Begrenzt viruzid PLUS: Wirksamkeit gegenüber behüllten Viren sowie gegenüber den unbehüllten Adeno-, Noro- und Rotaviren.

Viruzid: Wirksamkeit gegenüber behüllten und unbehüllten Viren. Zu den unbehüllten und besonders widerstandsfähigen Viren gehören z.B. auch Entero- Rhino- und Hepatitis-A-Viren.

Tuberkulozid: Wirksamkeit gegenüber Mykobakterium tuberculosis.

Generell gilt: Es sollten Händedesinfektionsmittel eingesetzt werden, deren Wirksamkeit durch Listungen dokumentiert ist. Relevant sind insbesondere die Desinfektionsmittellisten des Verbunds für Angewandte Hygiene e.V. (VAH), des Robert Koch-Instituts (RKI) und des Industrieverbands Hygiene und Oberflächenschutz e.V. (IHO).

Für die Einwirkzeit bei der sogenannten hygienischen Händedesinfektion (in Abgrenzung zur chirurgischen Händedesinfektion vor invasiven Eingriffen) sind nach den Vorgaben des Robert Koch-Instituts stets die Angaben der Hersteller zu berücksichtigen. Marktübliche alkoholische Händedesinfektionsmittel erfordern in der Regel eine Einwirkzeit von 30 Sekunden. Abhängig von der Rezeptur und Alkoholkonzentration und dem Erreger können auch längere Einwirkzeiten erforderlich sein. Noroviren beispielsweise lassen sich schwerer inaktivieren.

Nicht jedes am Markt befindliche alkoholische Händedesinfektionsmittel schafft eine Inaktivierung innerhalb 30 Sekunden, sondern kann bei bestimmten Erregern bzw. Wirkspektren auch längere Einwirkzeiten von einer bis zwei Minuten benötigen. Die Einwirkzeiten der jeweiligen Händedesinfektionsmittel sind daher deutlich auf dem Etikett vermerkt. In der Routineanwendung haben sich Händedesinfektionsmittel mit dem Spektrum Begrenzt viruzid PLUS bei einer Einwirkzeit von 30 Sekunden bewährt. Sie wirken auch bei saisonal auftretenden Ausbruchserregern wie Noroviren, ohne dass ein Produktwechsel oder längere Einwirkzeiten erforderlich sind.

Die richtige Einreibemethode

Jahrzehntelang galt als beste Einreibetechnik zur Vermeidung von Benetzungslücken eine Abfolge von sechs Schritten. Diese stellen das Standardeinreibeverfahren dar, mit dem Mittel für die hygienische Händedesinfektion nach EN 1500 auf ihre Wirksamkeit geprüft werden. Eine Studie aus 2008 kam zu dem Ergebnis, dass eine "eigenverantwortliche Einreibemethode" gute Benetzungsergebnisse erzielen kann.

Die Anwender achten darauf, dass alle Areale der Hand benetzt werden, etwa so, als würden sie sich die Hände sorgfältig eincremen. Beim Einreiben sollte besonderes Augenmerk auf die Fingerkuppen und die Daumen gelegt werden. Sie weisen meist die höchste Keimdichte auf und kommen am häufigsten in Kontakt mit Haut und Gegenständen. Die eigenverantwortliche Einreibemethode ist intuitiver anzuwenden als eine vorgegebene Reihenfolge und erhöht die Wahrscheinlichkeit einer gut durchgeführten Händedesinfektion.

Barrieren erkennen und abbauen

So simpel eine Händedesinfektion anmuten mag, sie ist keinesfalls banal. So bestehen etliche Hürden, die es dem Personal erschweren, ihrer Pflicht zum Schutz des Patienten oder Bewohners gerecht zu werden. Die sogenannte Compliance bei der Händedesinfektion, die Bereitschaft, sich im richtigen Moment korrekt die Hände zu desinfizieren, ist immer noch zu gering. Dabei gibt es inzwischen nachweislich gute Strategien, wie die Bereitschaft zur Händedesinfektion im Alltag verbessert werden kann (Tab. 1).

Tab. 1 : Hürden bei der Händedesinfektion und Lösungsansätze

Die Herausforderungen der Pandemie, die Anforderungen einer hoch-technisierten Medizin, die hohe Arbeitslast und die vielen Aufgaben, mit denen das medizinische und pflegerische Personal täglich konfrontiert werden, lassen die Bedeutung der Händehygiene schnell in den Hintergrund treten. Doch mit einer einfachen Händedesinfektion können Beschäftigte im Gesundheitswesen entscheidend dazu beitragen, dass sich therapieassoziierte Infektionen nicht ausbreiten. Schätzungen zufolge wurden durch die WHO-Kampagne "Clean Care is Safer Care" jährlich weltweit bereits rund acht Millionen Menschenleben gerettet.