In nur wenigen Bereichen der Koloproktologie hat sich die Behandlungsstrategie einer Erkrankung in den letzten 20 Jahren so radikal geändert wie bei der Sigmadivertikulitis. Über Jahrzehnte galt das Auftreten eines zweiten Erkrankungsschubes per se als Indikation zur Operation, die − mangels Alternativen − lange Zeit als offen-chirurgische Resektion durchgeführt wurde. Es ist medizinhistorisch faszinierend, dass diese Empfehlung im Wesentlichen auf eine Arbeit von Parks aus dem Jahre 1969 zurückgeht, die immer wieder dahingehend zitiert wurde, dass sie klar belege, dass Patienten, die nicht spätestens nach dem zweiten Schub der Erkrankung operiert werden, ein wesentlich höheres Risiko einer Komplikation, einer Operation unter Anlage eines Stomas oder sogar für einen letalen Verlauf haben [1]. Schaut man einmal in diese Arbeit hinein, so wird deutlich, dass von 317 Patienten, die nach einem ersten Schub in der Klinik des Autors stationär behandelt, aber nicht operiert wurden, lediglich 78 mit einem zweiten Schub wieder aufgenommen wurden. Die Krankenhausletalität der Behandlung wegen eines ersten Schubes lag bei 3 %, die unter den 78 Patienten mit einem zweiten Schub bei 6 %. Nur 12 Patienten (3,6 %) kamen mit einem dritten und nur 5 (1,8 %) mit einem vierten Schub. Für diese kleinen Subgruppen, die ja eigentlich dem Kollektiv entsprechen, für das unsere lange gepflegte Indikationsstellung zur elektiven Sigmaresektion nach dem zweiten Schub hochgehalten wurde, sind in der Arbeit gar keine behandlungsspezifischen Komplikationsraten angegeben. Zudem muss man berücksichtigen, dass die Divertikulitis damals nur radiologisch, operativ oder durch Obduktion diagnostiziert werden konnte. Es ist also davon auszugehen, dass nur wirklich schwere Formen der Divertikulitis, mutmaßlich überwiegend solche mit perforierten Stadien, auch tatsächlich als solche diagnostiziert wurden. Auch unter diesen Aspekten überrascht es, dass sich die Indikationsstellung zur elektiven Sigmaresektion aus Sorge um schwerwiegende Komplikationen ab dem zweiten Schub solange halten konnte. Erst in diesem Jahrhundert setzte sich die Erkenntnis durch, dass das Risiko für einen komplizierten Verlauf mit jedem Schub sinkt und damit die Anzahl der stattgehabten Schübe zumindest für die Indikationsstellung aus Sorge um das Auftreten akuter Komplikationen der Erkrankung irrelevant ist.

Die Umsetzung der neuen Erkenntnisse in eine restriktivere Indikationsstellung war sicher anfangs auch dadurch erschwert, dass mit der Einführung und der breiten Etablierung der minimal-invasiven Chirurgie sowie von Konzepten zur beschleunigten Genesung nach operativen Eingriffen („Enhanced Recovery after Surgery“ − ERAS) die elektive Sigmaresektion im entzündungsfreien Intervall als wenig belastend und weniger gefährlich empfunden wurde und auch war. Trotzdem ist sie bis heute mit einer relevanten Morbidität und auch Mortalität behaftet.

Die 2014 publizierte deutsche S2k-Leitlinie war Grundlage für die Umsetzung einer restriktiveren Indikationsstellung zur elektiven Sigmaresektion [2]. Auch war sie bedeutsam, weil in ihr eine neue Klassifikation der Erkrankung erarbeitet und publiziert wurde, die neben der phlegmonösen und der perforierten Divertikulitis auch verschiedene andere Erkrankungsmanifestationen ordnet, die für die Betroffenen zu einer Einschränkung der Lebensqualität führen, wie beispielsweise die symptomatische unkomplizierte Divertikelkrankheit (SUDD) oder die chronisch-rezidivierende unkomplizierte Divertikulitis. Der Artikel von Holmer setzt sich mit den Behandlungsstrategien bei diesen chronischen Formen der Divertikulitis auseinander. Er zeigt auf, dass vor allem der individualisierte Behandlungsansatz mit dem führenden Ziel der Verbesserung der Lebensqualität im Mittelpunkt der Therapie steht, wobei auch eine Operation unter dem Aspekt einer Verbesserung der Lebensqualität in bestimmten Fällen sinnvoll sein kann.

Die S2k-Leitlinie war Grundlage für die restriktivere Indikationsstellung zur elektiven Sigmaresektion

Konservative Therapiestrategien auch für diese Erkrankungsmanifestationen werden in dem Artikel von Böhm adressiert. Auch die konservative Therapie der akuten Divertikulitis unterlag in den letzten Jahren einem erheblichen Wandel, unter anderem auch durch die restriktivere Indikationsstellung zur Operation. Dabei gibt es mittlerweile gute Evidenz, dass der überwiegende Teil der akuten Divertikulitiden ambulant behandelt werden kann und dass die konservative Therapie nicht mehr grundsätzlich eine Behandlung mit Antibiotika beinhaltet. Für effektive Strategien zur Primär- und Sekundärprophylaxe existieren noch immer wenig belastbare Daten, wie ebenfalls im Artikel von Böhm dargestellt wird.

Letztlich sind auch bei der Therapie der komplizierten Divertikulitis viele Dinge im Fluss. Dies beinhaltet die Frage nach der Anwendung minimal-invasiver Operationstechniken im Notfall, die Indikationsstellung zur interventionellen Abszessdrainage, die Bedeutung der alleinigen laparoskopischen Lavage bei der perforierten Divertikulitis sowie die Frage nach der Notwendigkeit von Deviation oder Diskonnektion im Rahmen von Notfalleingriffen. Die hierzu vorhandene Evidenz wird in dem Artikel von Lauscher konklusiv dargestellt. Auch bei der perforierten Divertikulitis mit Makroabszess richtet sich die Operationsindikation mehr an der Rezidiv-Vermeidung und der zu erwartenden Verbesserung der Lebensqualität aus als an der Sorge um vital gefährdende Komplikationen im Fall eines erneuten Schubes.

Abschließend werden in einem Vergleich von 10 aktuell publizierten nationalen und internationalen Leitlinien die unterschiedlichen Empfehlungen zur Behandlung der Divertikelkrankheit vergleichend dargestellt. Hier zeigt sich, dass nach wie vor die vorhandene Evidenz unterschiedlich interpretiert wird und die Empfehlung sicherlich zum Teil auch von den in den verschiedenen Ländern zur Verfügung stehenden Ressourcen abhängig ist. Sie zeigt aber auch, dass viele Aspekte der Behandlung der Divertikulitis weiter im Fluss sind.

Die Divertikelkrankheit des Kolons stellt auch heute noch eine der häufigsten abdominellen Erkrankungen überhaupt in der westlichen Welt dar, was sich bei Fehlen effektiver Strategien zur Primärprophylaxe sicher zunächst auch nicht ändern wird. Trotz vieler, teils radikaler Änderungen in der Behandlungsstrategie sind die Bücher zur Behandlung der Erkrankung noch lange nicht geschlossen.

Prof. Dr. Jörn Gröne

Prof. Dr. Andreas Rink