Zusammenfassung
Funktionelle Störungen nach Rektumresektion, die unter der Definition „low anterior resection syndrome“ (LARS) zusammengefasst werden, beeinträchtigen bei vielen operierten Patienten zum Teil massiv die Lebensqualität. Nachdem die transanale Irrigation (TAI) bei ähnlicher Problematik anderer Genese als erfolgreiche Option zum Einsatz gekommen ist, wurde sie auch bei Patienten mit bereits länger bestehendem LARS angewandt. Als Folge der deutlichen Verbesserung der Rektumfunktion durch diese Therapie wurde auch eine prophylaktische Anwendung unmittelbar nach Verschluss der protektiven Ileostomie diskutiert und im Rahmen einer kontrollierten, randomisierten Studie untersucht. Dabei zeigte sich eine signifikante Reduktion der Anzahl der Defäkationsepisoden (bei Tag und Nacht), des LARS-Scores sowie des Wexner-Inkontinenz-Scores in den ersten 3 Monaten. Obwohl der positive Effekt der TAI eine Empfehlung als Therapieoption bei LARS nahelegt, verbleiben noch offene Fragen (notwendiges Irrigationsvolumen, Intervalle zwischen den Irrigationen, Behandlungsdauer) als Basis für zukünftige Untersuchungen.
Abstract
A variety of functional problems following rectal resection which have a massive negative impact on the patient’s quality of life are summarized under the term low anterior resection syndrome (LARS). After transanal irrigation (TAI) was reported to be an effective treatment option for similar symptoms in other etiologies, it was also successfully introduced as a treatment for patients suffering from a long history of LARS. As a result of a clear improvement of rectal function, a possible prophylactic application of TAI immediately following closure of the protective ileostomy was discussed and evaluated in a controlled randomized trial. Within the first 3 months a significant reduction in the number of defecation episodes (day and night) and the LARS score as well as the Wexner incontinence score was observed. These positive results allow the recommendation to use TAI as a treatment option to reduce LARS in patients following rectal resection; however, some questions remain open (necessary irrigation volume, intervals between irrigation, duration of TAI treatment?) and should be evaluated in further investigations.
Avoid common mistakes on your manuscript.
Die transanale Irrigation (TAI) hat sich in der Vergangenheit als Therapie bei zahlreichen funktionellen Darmproblemen bewährt. Sowohl bei pädiatrischen Erkrankungen (Spina bifida, Analatresie) sowie auch bei neurologischen Störungen galt die TAI bereits seit Längerem als Standardverfahren zur Durchführung einer kontrollierten Entleerung [1, 2].
Auch bei der in den 1990er Jahren des vergangenen Millenniums angewandten totalen anorektalen Rekonstruktion mittels Grazilisplastik wurde die TAI erfolgreich zur Kontrolle der massiv beeinträchtigenden Entleerungsstörungen eingesetzt [3]. Basierend auf diesen Erfahrungen lag es nach Erkennen der Problematik (und der ähnlichen Symptomatik) des „low anterior resection syndrome“ (LARS) nahe, die TAI als mögliche Option für funktionelle Störungen nach tiefer Rektumresektion einzusetzen.
Erste Erfahrungen mit der transanalen Irrigation bei LARS
Bereits 1989 berichteten Iwama und Mitarbeiter über 10 Patienten mit schweren „Entleerungsstörungen“ nach tiefer vorderer Resektion, welche durch Einsatz einer TAI mittels eines konventionellen Kolostomie-Irrigationssystem erfolgreich behandelt werden konnten [4]. Dabei kamen Irrigationsvolumen von 500–1000 ml zur Anwendung.
Durch die TAI konnten die Defäkationsepisoden bei Tag und Nacht signifikant reduziert werden
Trotz dieser sehr positiven Einzelerfahrung waren weitere Publikationen über TAI bei LARS eher sporadisch und beschränkten sich vor allem auf Patienten, welche an schweren funktionellen Störungen nach tiefer vorderer Resektion oder koloanaler Anastomosierung litten [5, 6].
Erst mit der Identifizierung der Problematik von LARS als eigene Krankheitsentität konnte in der Literatur ein Ansteigen der Publikationen, welche sich mit dieser Problematik auseinandersetzten, verzeichnet werden. Damit verbunden kam es auch zum vermehrten Einsatz von TAI als mögliche Behandlungsoption. So wurden im Rahmen einer österreichisch-schweizerischen Gemeinschaftsstudie 14 Patienten mit einer längeren LARS-Anamnese (Median: 19 Monate [9–48]) mittels TAI behandelt. Durch Einsatz eines medianen Irrigationsvolumens von 900 (500–1500) ml konnte eine signifikante Reduktion der Defäkationsepisoden bei Tag und Nacht erreicht werden. Damit verbunden kam es auch zu einer statistisch signifikanten Verbesserung des Wexner-Inkontinenz-Scores sowie der untersuchten Parameter der Lebensqualität [7].
Ähnliche Beobachtungen wurden auch von einer italienischen Arbeitsgruppe um Martellucci und Mitarbeiter berichtet. Hier wurden 27 Patienten mit LARS einer TAI zugeführt, wobei sich eine signifikante Verbesserung des LARS-Scores (Median: 35,1 vor TAI auf 12,2 nach 6 Monaten mit TAI) fand [8]. Auch in dieser Arbeit konnten die Autoren eine Verbesserung der untersuchten Lebensqualitätsparameter beschreiben. Nach Beendigung der Studie (6 Monate) verblieben 85 % bei der TAI. Sechs Patienten hatten die Irrigationstherapie während der Studie abgebrochen.
TAI als Prophylaxe
Die oben erwähnten positiven Erfahrungen mit der TAI bei schwerem oder chronischem LARS sowie das Bewusstsein der hohen Inzidenz von LARS bei tiefer Rektumresektion führten in weiterer Folge zur Planung einer multizentrischen, kontrollierten Studie, welche den prophylaktischen Einsatz der TAI unmittelbar nach Verschluss des protektiven Ileostomas untersuchen sollte [9].
Insgesamt gelangten 39 Patienten nach ultratiefer Rektumresektion (Anastomosenhöhe im Median 3 cm von der Linea dentata) mit protektiver Ileostomie zur Untersuchung. Am Tag vor Stomarückverlagerung (nach Verifizierung einer problemlosen Anastomosenheilung) wurde die Randomisierung in eine TAI-Gruppe (n = 19) und eine Kontrollgruppe (n = 20) mit supportiver LARS-Behandlung (Biofeedback, Diätberatung, Einsatz von Loperamid) vorgenommen.
Im TAI-Kollektiv wurde nach Einweisung durch eine spezialisierte Stomatherapeutin eine tägliche Irrigation mit 1000 ml H2O entweder mit dem Peristeen-System (Coloplast, Humblebaek, Dänemark) oder einem 28-Fr-Harnblasenkatheter begonnen. Die Anzahl der maximalen Defäkationsepisoden bei Tag und Nacht, LARS und Wexner-Score sowie die Evaluierung der Lebensqualität mittels SF 36-Fragebogen wurde nach 1 Woche, einem und 3 Monaten evaluiert. Dabei fand sich eine signifikante Erniedrigung der Defäkationsepisoden (Tag und Nacht) sowie des LARS-Scores nach einem und 3 Monaten im Vergleich zur Kontrollgruppe (Abb. 1, 2 und 3). Lediglich im Rahmen der ersten Evaluierung 1 Woche nach Stomarückverlagerung führte die TAI zu einer primären Verschlechterung der Beschwerden.
In einer weiteren Untersuchung nach 12 Monaten zeigte sich, dass lediglich ein Patient aus der Kontrollgruppe die Möglichkeit der TAI ergriff, jedoch 9 Patienten aus der primären TAI-Gruppe auf dieses Verfahren verzichteten [10]. Als Hauptgrund dafür wurde die Länge des Irrigationsprozesses (n = 8) angegeben. Patienten, welche nach 12 Monaten weiter mit TAI behandelt wurden, zeigten dennoch eine statistisch signifikante geringere Anzahl an Defäkationsepisoden sowohl bei Tag (Median TAI 3 [1–6] vs. Kontrolle 5 [2–10]; p = 0,018) als auch bei Nacht (Median TAI 0 [0–1] vs. Kontrolle 1 [0–5]; p = 0,004).
Risiken und offene Fragen
Ein immer wieder aufkommender Kritikpunkt gegen den Einsatz der TAI ist die mögliche Verletzung des Rektums. In diesem Zusammenhang ist sicher der Nachweis einer intakten Anastomose mit radiologischer oder endoskopischer Technik obligat zu fordern. Zusätzlich ist die Ausbildung und Betreuung der Patienten durch eine für die TAI speziell ausgebildete Fachkraft einer der wesentlichen Faktoren für den Erfolg dieser Methode [11].
Obwohl Perforationen bei TAI im Rahmen anderer Erkrankungen als LARS berichtet wurden (Spina bifida, Analatresie), ergab ein Audit über die Sicherheit ein durchschnittliches Perforationsrisiko von 1 Perforation auf 167.000 Irrigationen, sodass die TAI bei guter Ausbildung des Patienten als sehr sicheres Verfahren angesehen werden kann [12].
Volumen und Intervalle
Ein extrem störendes Symptom von LARS stellt sicher die hohe Anzahl der Defäkationsepisoden mit ständigem (unproduktivem) Stuhldrang dar, wobei diese Problematik nur durch eine suffiziente Entleerung des Kolons kontrolliert werden kann. In diesem Zusammenhang konnte gezeigt werden, dass die regelrecht angewandte TAI in der Lage ist, eine Reinigung des Kolons bis ins Colon transversum zu erreichen [13]. Eine solche für den Patienten befriedigende Situation ist jedoch mit einer gewissen Zeitdauer bis zur vollständigen Evakuierung von Stuhl sowie Spüllösung verbunden. So wurde bei der oben angeführten randomisierten Prophylaxe-Studie eine mediane Toilettenzeit von über 40 min angegeben (bei 1000 ml Spülvolumen/alle 24 h; [9]). Dies wurde auch als mögliche Erklärung für das Abkommen von der sehr erfolgreichen TAI nach 3 Monaten bei 8 Patienten angegeben [10]. Nach 12 Monaten fand sich bei den verbliebenen TAI-Patienten ein medianes Spülvolumen von 600 ml (220–1000 ml), 5 Patienten irrigierten weiterhin alle 24 h, 3 Patienten alle 48 h und 2 Patienten lediglich zweimal pro Woche.
Dauer der TAI-Therapie
Neben der noch ungeklärten Problematik des Spülvolumens und Intervalls stellt sich auch noch die Frage nach der Gesamtdauer der TAI-Behandlung. Ist diese eine dauerhaft durchzuführende Maßnahme, oder kann sie nach einiger Zeit beendet werden?
Da eine spontane Verbesserung von LARS-Beschwerden nach 6–12 Monaten zu beobachtet ist [14], kann diese Tatsache vor allem beim frühen (prophylaktischen Einsatz) der TAI berücksichtigt und ein Ausschleichen der Irrigation (Reduktion der Spülvolumina) versucht werden. Bedingt durch die spontane Verbesserung von LARS sowie einen möglichen rehabilitativen Effekt im Neorektum und Neosigma können einige Patienten in weiterer Folge auch ohne Spülung eine akzeptable Lebensqualität erreichen [14].
Im Gegensatz dazu wird der Einsatz der TAI als Therapie bei chronischem LARS zweifelsohne als Dauertherapie angesehen werden müssen.
Fazit für die Praxis
-
Das „low anterior resection syndrome“ (LARS) ist eine häufige Problematik nach Rektumresektion.
-
Multiple Defäkationsepisoden bei Tag und Nacht mit ständigem unproduktivem Stuhlgang führen zu einer massiven Einschränkung der Lebensqualität.
-
Durch frühen Einsatz der transanalen Irrigation (TAI) können diese Funktionsstörungen positiv beeinflusst werden.
-
Eine intakte Anastomosenheilung sowie die Einweisung und Begleitung durch eine/einen mit Irrigationsanwendung erfahrenen Therapeutin/Therapeuten sind die wesentlichen Vorbedingungen für die erfolgreiche Anwendung der TAI bei LARS.
Literatur
Brochard C, Peyronnet B, Hascoet J, Olivier R, Manunta A (2019) Defecation disorders in Spina Bifida: realistic goals and best therapeutic approaches. Neurourol Urodyn 38(2):719–725
Ausili E, Marte A, Brisighelli G, Midrio P, Mosiello G, La Pergola E, Lombardi L, Iacobelli BD, Caponcelli E, Meroni M, Leva E, Rendeli C (2018) Short versus mid-long-term outcome of transanal irrigation in children with spina bifida and anorectal malformations. Childs Nerv Syst 34:2471–2479
Koch SM, Uludağ O, El Naggar K, van Gemert WG, Baeten CG (2008) Colonic irrigation for defecation disorders after dynamic graciloplasty. Int J Colorectal Dis 23:195–200
Iwama T, Imajo M, Yaegashi K, Mishimay Y (1989) Self washout method for defecational complaints following low anterior rectal resection. Jpn J Surg 19:251–253
Koch SMP, Rietveld MP, Govaert B (2009) Retrograde colonic irrigation for faecal incontinence after low anterior resection. Int J Colorectal Dis 24:1019–1022
Jorge JMN, Wexner SD (1993) Etiology and management of fecal incontinence. Dis Colon Rectum 36:77–97
Rosen H, Robert J, Tentschert G (2011) Transanal irrigation improves quality of life in patients with low anterior resection syndrome. Colorectal Dis 13:335–338
Martellucci J, Sturiale A, Bergamini C, Boni L, Cianchi F, Coratti A (2018) Role of transanal irrigation in the treatment of anterior resection syndrome. Tech Coloproctol 22:519–527
Rosen HR, Kneist W, Fürst A, Krämer G, Hebenstreit J, Schiemer JF (2019) Randomized clinical trial of prophylactic transanal irrigation versus supportive therapy to prevent symptoms of low anterior resection syndrome after rectal resection. BJS Open 3:461–465
Rosen HR, Boedecker C, Fürst A, Krämer G, Hebenstreit J, Kneist W (2020) “Prophylactic” transanal irrigation (TAI) to prevent symptoms of low anterior resection syndrome (LARS) after rectal resection: results at 12-month follow-up of a controlled randomized multicenter trial. Tech Coloproctol 24:1247–1253
Bildstein C, Melchior C, Gourcerol G, Boueyre E, Bridoux V (2017) Predicitve factor for compliance with transanal irrigation for the treatment of defecation disorders. World J Gastroenterol 23:2029–2036
Christensen P, Krogh K, Perrouin-Verbe B, Leder D, Bazzocchi G, Petersen J (2016) Global audit on bowel perforations related to transanal irrigation. Tech Coloproctol 20:109–115
Christensen P, Olsen N, Krogh K, Bacher T, Laurberg S (2013) Scintigraphic assessment of retrograde colonic wash out in fecal incontinence and constipation. Dis Colon Rectum 46:68–76
Christensen P, Baeten CIM, Espin-Basany E, Martellucci J, Nugent KP, Zerib F, Pellino G, Rosen H (2021) Management guidelines for low anterior resection syndrome—the MANUEL project. Colorectal Dis 23:461–475
Funding
Open access funding provided by Sigmund Freud Privatuniversität Wien.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Ethics declarations
Interessenkonflikt
H. Rosen: Mitglied des Advisory Board für LARS-Therapie der Firma Coloplast. Coloplast war bei keiner der im Artikel angeführten Studien als Sponsor oder in der Datenauswertung eingebunden.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Additional information
QR-Code scannen & Beitrag online lesen
Rights and permissions
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de.
About this article
Cite this article
Rosen, H. Transanale Irrigation als Geheimtipp. coloproctology 45, 27–31 (2023). https://doi.org/10.1007/s00053-022-00670-5
Accepted:
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s00053-022-00670-5