FormalPara Originalpublikation

Baekr AB et al (2021) Acute complicated diverticulitis is associated with an increased advanced neoplasia diagnosis rate. A retrospective study on 1852 patients. Medicine 100(5):e24271. https://doi.org/10.1097/MD.0000000000024271.

FormalPara Ziele und Hintergründe.

Bei 4–15 % der Patienten mit der Diagnose Divertikulose entwickelt sich als häufigste Komplikation eine Divertikulitis. Die Inzidenz für Divertikulose steigt mit dem Alter, gleiches gilt auch für Kolonkarzinome. Weiters ist für die Pathogenese beider Erkrankungen das Fehlen einer „High-fiber“-Diät typisch. Daher vermuteten die Autoren ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von kolorektalen Karzinomen (CRC) bei Divertikulitispatienten.

Die akute Divertikulitis (AD) sowie deren Komplikationen werden in der Regel sowohl mittels Computertomographie (CT) diagnostiziert als auch bezüglich ihres Schweregrads klassifiziert. Trotz hoher Sensitivität und Spezifität dieser Untersuchungsmodalität wird bei Divertikulitis die Detektionsgenauigkeit einer gleichzeitigen Karzinomerkrankung des Kolons sehr kontrovers gesehen: Typische radiologische Divertikulitismerkmale sind klassischen Karzinomcharakteristika vom Aspekt her sehr ähnlich und können so die Karzinome maskieren. Aus diesem Grund werden von verschiedenen medizinischen Fachgesellschaften Kontrollkoloskopien 4 bis 6 Wochen nach einer AD-Episode empfohlen. Auf Grund der Datenlage wird die Sinnhaftigkeit der Kontrollkoloskopie sehr kontrovers diskutiert und auf Grund des damit assoziierten Risikos, der Kosten und der geringen Karzinomprävalenz oft in Frage gestellt.

Am Institut der Autoren wird Patienten nach Entlassung wegen einer AD nach 4 bis 8 Wochen eine routinemäßige Koloskopie empfohlen. Ziel dieser Studie war der Vergleich der Detektionsrate von CRC und fortgeschrittener Adenome in der AD-Patientenpopulation mittels Kontrollkoloskopie zu einer Screening-Kontrollgruppe mit normalem Risikoprofil.

FormalPara Methode.

In diese Studie wurden alle Patienten eingeschlossen, die wegen einer AD von 2008 bis 2016 im Hillel Yaffe Medical Center, einem universitätsassoziierten Spital in Israel, hospitalisiert waren. Die AD wurde mittels CT als kompliziert oder unkompliziert klassifiziert und verifiziert. In der finalen Studienpopulation musste innerhalb eines Jahres nach Hospitalisierung die Kontrollkoloskopie durchgeführt worden sein. Als Kontrollgruppe dienten jene Patienten mit durchschnittlichem Risiko, welche im selben Zeitraum einer Screening-Koloskopie unterzogen wurden.

Die Gruppen wurden auf CRC und fortgeschrittene Adenome („advanced adenomas“, AA) untersucht. AA wurden definiert als adenomatöse Polypen größer als 1 cm, mit mehr als 25 % villösem Anteilen oder dem Nachweis von hochgradigen Dysplasien. Zusätzlich wurde in einer Subgruppenanalyse zwischen komplizierten und unkomplizierten Divertikulitiden unterschieden. Als komplizierte Divertikulitiden wurden alle mit Perforation, Abszess, Fisteln oder Obstruktion klassifiziert.

FormalPara Statistik.

Unterschiede zwischen Studiengruppe (SG) und Kontrollgruppe (KG) wurden für quantitative Parameter mittels t‑Test eruiert, für kategorielle Parameter mittels Fisher’s Exact Test. Ein multivariates Regressionsmodell wurde generiert um Odds-Ratios (OR) von verschiedenen unabhängigen Parametern für die Diagnose von Neoplasien zu ermitteln (p < 0,05 wurde als statistisch signifikant erachtet).

FormalPara Ergebnisse.

Die finale Studienpopulation bestand aus 350 Patienten, bei denen mittels CT die Divertikulitis bestätigt und klassifiziert wurde. Diese Population wurde mit 1502 Screening-Koloskopie-Patienten verglichen. Von den 350 AD-Patienten mussten 57 (16 %) wegen AD-assoziierter Komplikationen einer Akutoperation unterzogen werden.

Die beiden Vergleichsgruppen zeigten keinen statistisch signifikanten Unterschied bezüglich des Alters (59,8 ± 13,3 vs. 60,1 ± 6,8 Jahre; p = 0,48). In der Studiengruppe fanden sich mehr Patientinnen (59 % vs. 41 %; p < 0,01). In der AD-Gruppe wurde die Kontrollkoloskopie durchschnittlich nach 5,4 ± 4,8 Wochen nach Hospitalisierung (Bandbreite: 1–52 Wochen) durchgeführt. Die Qualität der Darmvorbereitung war in der Studiengruppe signifikant besser (84 vs. 74 %; p < 0,01).

Die Diagnoseraten für Karzinome (1,7 % vs. 0,3 %; SG vs. KG; p = 0,09), für AA (10,6 % vs. 9,3 %; p = 0,48) und die Gesamtrate von fortgeschrittenen Neoplasien (12 % vs. 9,6 %; p = 0,19) zeigten keine signifikanten Unterschiede. Dies spiegelte sich auch in der multivariaten Analyse (Alter, Geschlecht und Darmvorbereitung) wider (Diagnose einer Neoplasie: OR 1,386, 95 % KI 0,912–2,1; p = 0,126).

Als Risikofaktoren für erhöhte Neoplasie-Detektionsraten fanden sich Alter (71 < vs. < 50 Jahre; OR 3,156, 95 % KI 1,428–6,973) und komplizierte AD (OR 3,729, 95 % KI 1,803–7,713; p = 0,001).

FormalPara Diskussion.

Die Autoren diskutieren die noch immer weit etablierte Relevanz einer Kontrollkoloskopie nach akuter Divertikulitis zum Malignitätsausschluss kontrovers. Einerseits argumentieren sie mit der verbesserten Genauigkeit von hochauflösenden CTs sowie vermehrt aktuell publizierten Studien, die keine Assoziation zwischen kolorektalen Karzinomen und Divertikulose finden konnten. Auf der anderen Seite empfiehlt die Amerikanische Gastroenterologische Gesellschaft (AGA) in ihren Guidelines immer noch eine Kontrollkoloskopie nach akuter Divertikulitis, jedoch nur bei „entsprechenden“ Kandidaten.

Da die Institution der Autoren noch routinemäßig der Empfehlung der Kontrollkoloskopie nach AD folgt, wurde diese Studie designed. Wie in rezent publizierten anderen Studien auch, zeigten sich keine erhöhten Detektionsraten für fortgeschrittene Neoplasien (12 vs. 9,6 %; p = 0,19) oder Karzinome (1,7 vs. 0,3 %; p = 0,09) nach AD im Vergleich zu einer Screening-Population. Trotz Einschluss von komplizierten AD in die Studienpopulation zeigte sich kein entsprechender Trend.

Bei Analyse der Subgruppe „komplizierte AD“ fand sich jedoch eine signifikant höhere Detektionsrate für fortgeschrittene Neoplasien im Vergleich zur Kontrollpopulation. Daher finden die Autoren für diese spezielle Population an Patienten eine frühe Kontrollkoloskopie nach AD sinnvoll und gerechtfertigt.

Kommentar

Diese Studie beschäftigt sich mit einem aktuellen Paradigmenwechsel bezüglich der Nachsorge nach akuter Divertikulitis und der Sinnhaftigkeit einer Kontrollkoloskopie zum Ausschluss eines kolorektalen Karzinoms. Baker et al. verglichen 350 Studienpatienten aus einem universitätsassoziierten Spital in Israel mit 1502 Screening-Koloskopiepatienten bezüglich der Neudetektionsraten eines kolorektalen Karzinoms und fortgeschrittenen Adenomen nach Hospitalisierung wegen Divertikulitis.

Historisch wurde nach akuter Divertikulitis eine Kontrollkoloskopie zum Malignitätsausschluss empfohlen [1]. An dieser Empfehlung wird auch immer noch von mehreren Fachgesellschaften festgehalten [2,3,4]. Hintergrund sind die etwas höheren Detektionsraten an kolorektalen Karzinomen bei Divertikulitis im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. In einer rezenten Metaanalyse fanden Rottier et al. in 2,1 % der Patienten nach akuter Divertikulitis ein Karzinom in der nachfolgenden Koloskopie [5]. In durchschnittlichen Screening-Populationen liegen diese Werte zwischen 0,4 und 1,0 % [6, 7]. Diese Werte konnten auch von Baker et al. in der vorgestellten Studie bestätigt werden.

In der Gesamtstudiengruppe konnte kein signifikanter Unterschied zur Kontrollgruppe gefunden werden, bei Patienten mit komplizierter Divertikulitis war jedoch die Detektionsrate von fortgeschrittenen Neoplasien signifikant höher. Ähnliche Ergebnisse finden sich auch bei Subgruppenanalyse von knapp 200 Patienten mit komplizierter akuter Divertikulitis aus 4 Studien mit gepoolter Prävalenz für CRC von 8,3 % (4,2–15,8 %; I2 = 40 %; [8,9,10]).s

Ursächlich für die höheren Karzinomraten dürfte die klinische Missinterpretation von Zeichen eines kolorektalen Karzinoms als akute Divertikulitis sein. Historisch entstand daraus die fälschliche Annahme einer Assoziation von Divertikulitis mit Kolonkarzinomen [11]. Ein kausaler Zusammenhang konnte allerdings bis heute nicht bewiesen werden. Es wird jedoch auch in der Literatur die Problematik der klinischen und radiologischen Ähnlichkeit der Symptome beider Erkrankungen diskutiert. Trotz steigender Accuracy durch moderne Kontrastmittel-CTs sollte bei entsprechenden radiologischen Hinweisen eine Kontrollkoloskopie nach AD durchgeführt werden. In einer Publikation im American Journal of Roentgenology fanden sich Odds-Ratios für CRC von 23,35 bei mesenteriellen Lymphknoten, 4,67 bei Abszess und 24,43 bei Obstruktion oder Wandverdickung [12].

Etwas limitierend an den Resultaten der Studie von Baker et al. sind wie von den Autoren selbst angeführt die retrospektive Datenanalyse sowie die fehlende Dokumentation von familiären Risikofaktoren und Anamnese. Weiters bleibt unklar, wie hoch der Anteil an fortgeschrittenen Neoplasien/CRC in der Resektionsgruppe war.

Empfehlung.

Basierend auf rezenter Literatur und durch diesen Artikel bestätigt, ist eine Kontrollkoloskopie nach AD nur noch bei Patienten mit komplizierter akuter Divertikulitis sinnvoll und zu empfehlen. Die restlichen Patienten sollten im Rahmen der etablierten Screening-Programme ihre regelmäßigen Koloskopien erhalten.