Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

meiner Meinung nach ist es durchaus sinnvoll, sich mit der Analfissur genauer zu befassen. Nicht nur wegen der ein bis zwei Karzinome, die jährlich – als Analfissur zugewiesen – in der Sprechstunde entdeckt werden. Sondern es lohnt sich auch, weil die Analfissur das Leben der Betroffenen massiv einschränkt und sie nach dem Hämorrhoidalleiden die häufigste Diagnose in der koloproktologischen Praxis darstellt.

Durch die neuen konservativen Therapien hat sich die Heilungszeit massiv verlängert

Die Analfissur wird in Expertenkreisen oft recht kontrovers diskutiert. Dies beginnt mit der Definition der chronischen Analfissur in Abgrenzung zur akuten Analfissur und setzt sich bei der Pathogenese und der Therapiewahl fort. In den letzten Jahren sind neue sphinkterrelaxierende topische Therapeutika (Kalziumkanal-Antagonisten, Nitrate) und minimal-invasive Interventionen wie die Botulinum-Toxin-Injektion eingeführt worden. Diese chemischen Sphinkterotomien ermöglichen es bei einem Teil der chronischen Analfissuren, eine Operation zu vermeiden. Allerdings hat sich durch die Einführung der neuen konservativen Therapien die durchschnittliche Heilungszeit massiv verlängert [3]. Außerdem erleidet eine große Zahl der initial erfolgreich konservativ therapierten Patienten ein Rezidiv. Die operative Therapie ist effizienter und weist signifikant weniger Rezidive auf [6, 7]. Es bleibt offen, wann der richtige Zeitpunkt ist, um von der konservativen auf die operative Therapie zu wechseln.

Auch bezüglich der optimalen operativen Therapie der chronischen Analfissur gibt es unterschiedliche Meinungen. Es bestehen ausgeprägte Unterschiede in der internationalen Wahrnehmung der lateralen Internus-Sphinkterotomie (LIS). Während die Leitlinie der American Society of Colon and Rectum Surgeons diese als beste operative Therapie für die chronische Analfissur wertet und einen primären Einsatz ohne zwingende vorherige konservative Therapie befürwortet, sind die Leitlinien der irischen und britischen Kollegen schon deutlich zurückhaltender [1, 8].

Im deutschen Sprachraum wird die LIS wegen der Gefahr der Entwicklung einer postoperativen Inkontinenz nahezu nie angewandt. Deshalb ist die Fissurektomie bei uns der Eingriff der Wahl – diese geht allerdings mit dem Nachteil einer niedrigeren Erfolgsrate und einer recht langen Heilungszeit von über 100 Tagen einher [6, 9]. Verschiedene Metaanalysen zeigen ein unterschiedliches Bild bezüglich des Risikos der Entwicklung einer Stuhlinkontinenz nach LIS. Während die Cochrane-Analyse von 2011 ein Risiko von unter 5 % fand, wurde in einer anderen Metaanalyse aus dem Jahr 2013 eine Inkontinenzrate von 14 % errechnet [4, 6]. In einer neueren Netzwerkmetaanalyse lag die Inkontinenzrate bei etwas über 9 % [2].

Es bestehen ausgeprägte Unterschiede in der internationalen Wahrnehmung der LIS

Die Deutsche S3-Leitlinie, welche im Frühjahr 2020 publiziert wurde, basiert auf einer profunden Literaturanalyse. In einer Expertendiskussion wurden die Aussagen aus der Literatur bewertet und ausgewogene, der hiesigen Praxis gerecht werdende Empfehlungen ausgearbeitet [5]. Die diskrepanten Meinungen der verschiedenen internationalen Experten wurden in der Leitlinie zwar angesprochen, jedoch nicht hervorgehoben.

In den Artikeln dieses Hefts legen die Autoren ihre persönlichen Ansichten dar und zeigen damit die verschiedenen Denkansätze zur Analfissur auf.

Die Grundlagen zur Anatomie und Pathogenese werden von M. Mitteregger eingehend beleuchtet. Dabei geht er auf die mögliche ischämische, durch einen Sphinkterhypertonus getriggerte Genese und die von anderen Autoren mehr favorisierte entzündliche Genese ein. Einen Überblick über die Therapien gibt uns R. Nelson, der schon seit Jahren Metaanalysen zur Behandlung der Analfissur publiziert. Er unterstreicht die Bedeutung der operativen Therapie und im Speziellen der LIS in der Behandlung der chronischen Analfissur. M. Schmidt-Lauber und H. Krammer haben einen Überblick zur medikamentösen Therapie geschrieben. Darin wird hervorgehoben, dass in über der Hälfte der Fälle eine noch invasivere Therapie mit der Applikation von Kalziumkanal-Antagonisten oder Nitraten vermieden werden kann. G. Brisinda und sein Team haben mit ihren Publikationen die Therapie der Analfissur mit Botolinum-Toxin-Injektionen bekannt gemacht. In diesem Heft schreibt er zusammen mit M. Chiarello und M. Cariati über diese Therapie und beleuchtet dabei auch Kostenaspekte. Wegen der langsamen Heilung nach Fissurektomie werden Möglichkeiten gesucht, diese zu beschleunigen. Die vielversprechenden Resultate der Kombination der Fissurektomie mit einer gleichzeitigen Botolinum-Toxin-Injektion werden von I. Iesalnieks bzw. der Kombination mit einer zusätzlicher Lappendeckung von E. Hancke dargestellt. M. Holzgang und D. Jayne analysieren die Vor- und Nachteile der LIS – und stellen dabei auch die britische Sicht dar.

Ich möchte mich bei den Autoren herzlich bedanken. Es ist ein interessantes, zweisprachiges Themenheft entstanden, in dem die Kontroversen zur Analfissur schön dargestellt werden.

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Dr. med. Lukas Marti