FormalPara Infobox

Federführende Fachgesellschaft

Deutschsprachige Medizinische Gesellschaft für Paraplegiologie e. V. (DMGP)

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Leitliniengruppe

  • Bremer Jörn; Dr.med., Facharzt für Urologie, Leitender Oberarzt Querschnittgelähmtenzentrum, BDH-Klinik Greifswald gGmbH

  • Frei Isabella; Gesundheits- und Krankenschwester, Balgrist, Zentrum für Paraplegie, Zürich

  • Henauer Jörg, Dr. med., Facharzt für Allgemein- und Rechtsmedizin Balgrist, Zentrum für Paraplegie, Zürich/CH

  • Hetzer, Franc H. Prof. Dr. Leitender Arzt und Bereichsleiter allgemeine Chirurgie Viszeralchirurgie FMH, Uznach/CH

  • König Maike, Krankenschwester, Urotherapeutin, Expertin für neurogene Darmfunktionsstörung, Zentralklinik Bad Berka

  • Obereisenbuchner Jeannette, Diätassistentin, Med. Ernährungsberaterin, Kliniken Beelitz, Beelitz

  • Pehl Christian, Prof. Dr. Ärztlicher Direktor, Chefarzt Medizinische Klinik Visliburg

  • Rafler, Henry, Pflegedirektor, BG Klinikum Bergmannstrost Halle

  • Storr Martin Prof. Dr. Facharzt für Innere Medizin/Gastroenterologie, Gesundheitszentrum Starnberger See MVZ

  • Wildisen Alesandro; Dr. med., Viszeralchirurg, Chefarzt, Kantonales Spital Sursee

Präambel

Die vorliegende S2k-Leitlinie wurde federführend durch die Deutschsprachige Gesellschaft für Paraplegiologie e. V. (DMGP) erstellt. Initiiert, koordiniert und erarbeitet wurde die Leitlinie im Wesentlichen durch Mitglieder des Arbeitskreises neurogene Darmfunktionsstörungen der DMGP.

Im multiprofessionellen interdisziplinären Arbeitskreis neurogene Darmfunktionsstörungen arbeiten u. a. DMGP-Mitglieder der Fachrichtungen Paraplegiologie, Proktologie, Viszeralchirurgie, Neuro-Urologie, Gastroenterologie, Gesundheits- und Krankenpflege sowie Pflegewissenschaftler und Diätassistent/medizinische Ernährungsberater. Die DMGP ist eine Fachgesellschaft der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), eine Sektion der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) und affiliierte Gesellschaft der International Spinal Cord Society (ISCoS).

Die Leitlinie wurde im Konsensus-Verfahren erstellt (Konsensus-Konferenzen und nominaler Gruppenprozess). Sie wurde vollständig im Konsens-Meeting vom 15.09.2018 abgestimmt.

Die Empfehlungen aus den Review-Verfahren wurden am 03.07.2019 in die Leitlinie eingearbeitet. Zu Einzelheiten des Konsensus und Review-Prozesses wird auf den Leitlinienreport verwiesen.

Formulierung der Empfehlungen mit Empfehlungsstärken

Bei allen Empfehlungen ist die Stärke der Empfehlung anhand der Formulierung ersichtlich. Die Formulierungen und Bedeutung der Empfehlungsstärken sind in Tab. 1 dargelegt. In allen Kommentaren wurden die Empfehlungen anhand der zugrunde liegenden Literatur begründet. Evidenzgrade wurden in dieser S2k-Leitlinie nicht vergeben.

Tab. 1 Empfehlungsstärken der Formulierungen

In diesem Dokument wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die Nennung der männlichen und weiblichen Form verzichtet. Da die Anzahl der männlichen Querschnittgelähmten überwiegt, wird die männliche Bezeichnung gewählt. Selbstverständlich sind hierin beide Geschlechter inbegriffen.

1. Methodik

Es wird auf den Leitlinienreport unter dem Link https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/179-004m_S2k_Neurogene-Darmfunktionsstoerung-Querschnittlaehmung_2019-10.pdf verwiesen, in dem die Zusammensetzung der Leitliniengruppe, die Beteiligung wissenschaftlicher Fachgesellschaften, die Methodik der Leitlinienerstellung und das Review-Verfahren detailliert dargestellt werden.

2. Definitionen

2.1. Darmmanagement

Darmmanagement bezeichnet die Gesamtheit aller Aktivitäten, die dazu dienen, eine regelmäßige, planbare sowie zeitlich begrenzte Darmentleerung mit ausreichender Stuhlmenge sowie adäquater Stuhlkonsistenz zu erreichen, Gesundheit und Wohlbefinden zu erhalten und Komplikationen sowie ungeplante Stuhlentleerungen zu vermeiden. Das Darmmanagement ist ein Prozess, welcher das Assessment, die individuelle Planung und Durchführung der Interventionen unter Berücksichtigung individueller Einflussfaktoren, die Beurteilung des Outcomes sowie die Evaluation beinhaltet.

Ein erfolgreiches Darmmanagement erfordert immer eine multiprofessionelle Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen (interdisziplinäres Team).

Sekundäre Stuhlkontinenz

Da bei neurogenen Darmfunktionsstörungen die willkürliche Steuerung, den Stuhl sicher zu speichern und willkürlich zu entleeren lähmungsbedingt meist nicht mehr vorhanden ist, kann mit einem individuellen Darmmanagement eine sekundäre Stuhlkontinenz erreicht werden.

2.2. Stuhlinkontinenz

Stuhlinkontinenz bezeichnet die eingeschränkte oder fehlende Fähigkeit, den Abgang von Darminhalt (Darmgase [Wind]/Schleim/Faeces) willkürlich zu kontrollieren.

Eine evidenzbasierte, allgemein anerkannte Einteilung der Stuhlinkontinenz existiert nicht. Für die Menschen mit neurogenen Darmfunktionsstörungen eignet sich im klinischen Bereich die Inkontinenz-Skala in Tab. 2. Diese ist bisher allerdings nicht validiert (Konsens: 100 %).

Tab. 2 Gradeinteilung der analen Inkontinenz/Stuhlinkontinenz

Für wissenschaftliche Fragestellungen sollte ein validierter Score verwendet werden (z. B. Neurogenic Bowel Dysfunction Score [NBD-Score], International Bowel Function Spinal Cord Injury Basic Data Set Vers. 2.1/Extended Data Set Vers. 1.0; [26, 27, 29].

Formen der Stuhlinkontinenz

  • Neurogene Inkontinenz: Stuhlinkontinenz aufgrund der gestörten Innervation des Kontinenzorgans.

  • Muskuläre Inkontinenz: Stuhlinkontinenz aufgrund eines Defekts der muskulären Anteile des Kontinenzorgans (Sphincter ani externus und internus).

  • Konsistenzbedingte Inkontinenz: Stuhlinkontinenz aufgrund unpassender Stuhlkonsistenz (zu flüssig, zu breiig).

  • Überlaufinkontinenz: Stuhlinkontinenz als Folge einer unzureichenden Entleerung des Mastdarms („fecal impaction“, Stuhlausmauerung, paradoxe Diarrhoe). Eine Stuhlimpaktion kann zu einer Dauerrelaxation des Musculus sphincter ani internus mit der Folge von flüssiger Stuhlausscheidung führen.

  • Mischformen der Stuhlinkontinenz sind aufgrund einer multikausalen Genese möglich.

2.3. Obstipation

Die Kriterien in Tab. 3 umschreiben die Obstipation bei Querschnittlähmung.

Tab. 3 Kriterien zur Beschreibung der Obstipation bei Querschnittlähmung

„Slow transit constipation“

Durch eine verminderte Peristaltik des Darms wird der Stuhl verlangsamt vorwärtsbewegt. Ursache für die „slow transit constipation“ ist eine Störung der Darm-Gehirn-Darm-Achse, da die aktivierenden extrinsischen Einflüsse abhängig von der Lähmungshöhe und Vollständigkeit (inkomplett/komplett) ausfallen. Darüber hinaus finden sich unterschiedliche Lokalisationen der am häufigsten betroffenen Kolonabschnitte in Abhängigkeit von der Lähmungshöhe, zumindest bei kompletten Lähmungsformen: Während bei Tetraplegikern vor allem das Rektosigmoid betroffen ist, liegt der Schwerpunkt bei den Paraplegikern mit Schädigung des oberen motorischen Neurons (UMNL) im Colon ascendens und bei Paraplegikern mit Schädigung des unteren motorischen Neurons (LMNL) im Colon descendens [51].

„Outlet constipation“

Der im Enddarm gespeicherte Stuhl kann nicht entleert werden. Ursachen dafür können sein:

  • Dyssynergie zwischen Rektum, Beckenboden und/oder analem Sphinkterapparat,

  • morphologische Veränderungen (z. B. Rektozele, Intussuszeption, Enterozele, Cul-de-Sac-Syndrom, Analstenose),

  • die Innervationsstörungen des Beckenbodens können zu sekundären topographischen und/oder morphologischen Veränderungen (z. B. Analprolaps) führen.

Mischformen aus „slow transit“ und „outlet constipation“ sind möglich.

3. Pathophysiologie

Der neurogenen Darmfunktionsstörung bei Querschnittlähmung liegt eine Schädigung des Rückenmarks oder der Cauda equina auf unterschiedlichem Niveau zugrunde [22, 36].

Veränderungen der gastrointestinalen Funktionen nach Querschnittlähmung sind in ihrer klinischen Erscheinung abhängig von der Höhe der Läsion, der Vollständigkeit der Verletzung und dem Zeitraum, der seit Eintritt der Querschnittlähmung vergangen ist. Von entscheidender klinischer Bedeutung sind die Veränderungen von Motilität des oberen und unteren Gastrointestinaltrakts sowie die Peristaltik, die Frage, ob die Fähigkeit zur Entleerung des Rektums erhalten bleibt und der anale Verschlussmechanismus funktioniert. Bezogen auf den zeitlichen Ablauf und den klinischen Verlauf können die Veränderungen am Gastrointestinaltrakt nach einer Rückenmarkschädigung in 3 Phasen eingeteilt werden, wobei die Phasen fließend ineinander übergehen [31].

3.1. Phasenverlauf

Akutphase

In der Phase des spinalen Schocks nach einer Rückenmarkschädigung fallen alle spinal gesteuerten Funktionen unterhalb der Läsion unabhängig von der Lähmungshöhe aus. Bei allen Läsionen oberhalb S2 kommt es zunächst zum Ausfall der Peristaltik [11, 17, 41]. Klinisch ist die Folge dieser Darmatonie im Extremfall eine Paralyse. Da die zum Zeitpunkt der Verletzung im Kolon vorhandene Stuhlsäule nicht weitertransportiert wird, kann sie von der mikrobiellen Standort-Flora des Kolons erneut verarbeitet werden. Diese sekundäre Verarbeitung des Darminhaltes durch Bakterien und Hefepilze hat eine Gärung zur Folge, die zur Gasbildung führt. Das klinische Bild kann ein massiver Meteorismus sein, der zum Bild des akuten Abdomens führen kann [17].

Postakute Phase

Nach Abklingen des spinalen Schocks setzt die Peristaltik wieder ein. Die weitere Entwicklung von intestinaler Motilität und Rektumfunktion ist nun von der Höhe und dem Ausmaß der Rückenmarkverletzung abhängig. Sie entscheidet über die Aktivität von Sympathikus und Parasympathikus sowie die Auslösbarkeit der Reflexsteuerung von Kolon und Rektum. Bei Patienten mit einer Rückenmarkschädigung ist die Kolontransitzeit in der Regel verlängert: bei Lähmungsniveau oberhalb Th7 bei ca. 31 % der Patienten, unterhalb Th7 bei 63 %. Sind bei diesen Patienten (unterhalb Th7) die sakralen Reflexe erhalten, ist die Kolontransitzeit in 36 % verlängert, bei fehlenden sakralen Reflexen in 85 % [38, 51].

Langzeitverlauf

Im klinischen Alltag können im Langzeitverlauf schwerwiegende Komplikationen im Sinne von Megakolon, Paralyse und Ileus auftreten. In einer der wenigen Langzeitstudien (über 19 Jahre) nahm die Obstipation zu, während die Stuhlinkontinenz unverändert blieb [37].

3.2. Konzept der neurogenen Darmfunktionsstörung

Pathophysiologische Merkmale der neurogen veränderten Darmfunktion sind sowohl eine gestörte Sensorik und Motilität des Stuhltransports als auch die eingeschränkte bis fehlende reflektorische Steuerung von Darmentleerung und Kontinenz.

Bei der nachfolgenden klassischen Einteilung werden komplette Lähmungen angenommen.

3.2.1. Läsion des unteren motorischen Neurons

Diese Form der neurogenen Darmfunktionsstörung (nDFS) wird auch areflexiver Darm genannt [20]. Ursächlich bei der Querschnittlähmung ist eine Zerstörung der parasympathischen Nervenzellen im Conus medullaris und/oder der in der Cauda equina gebündelten sakralen Nervenwurzeln. Durch die gestörte Verbindung zwischen Kolon und Rückenmark kann es weder zu einer durch das Rückenmark vermittelten reflektorischen Peristaltik noch zu einer Reflexentleerung kommen. Allein der Plexus myentericus sorgt durch segmentale Kolonperistaltik für einen langsamen Transport des Darminhaltes. Vor allem im Bereich des Colon descendens und des Rektosigmoids ist der Transport erheblich verlangsamt [28, 51]. Der M. sphincter ani externus ist denerviert und erschlafft. Durch den Tonusverlust des M. levator ani kommt es zu einem Absinken des Beckenbodens (Descensus perinei) mit einer Veränderung des rektoanalen Winkels. Beides führt zu einem erhöhten Inkontinenzrisiko („passiv leakage“; [7]).

3.2.2. Läsion des oberen motorischen Neurons

Bei dieser Form der nDFS spricht man auch von einem reflexiven Darm [20]. Der reflexive Darm hat seine Ursache in einer Läsion oberhalb des Conus medullaris. Massenbewegungen des Kolons sind weiter möglich. Die Kontraktilität des Kolons ist erhöht. Der Transit ist hauptsächlich im linken Kolon und im Rektosigmoid verlangsamt [51]. Es kann zu einer spastischen Tonuserhöhung der Beckenbodenmuskulatur und des M. sphincter ani externus kommen. Klinisch steht deshalb eine Stuhlentleerungsstörung aufgrund einer funktionellen Auslassbehinderung („outlet constipation“) im Vordergrund.

3.2.3. Gegenüberstellung der Läsionen

In Tab. 4 werden die Störungen und Symptome kompletter Läsionen (AIS Typ A/ASIA Impairment Scale; [24]) des oberen und unteren motorischen Neurons (schematisch) gegenübergestellt. Bei inkompletter Lähmung gelten diese Symptome grundsätzlich auch, allerdings zeigt sich bei diesen Läsionen bei teilweise erhaltener Sensibilität und Motorik eine variable Ausprägung.

Erwähnt werden sollte an dieser Stelle eine ebenfalls neuropathophysiologisch orientierte, allerdings nicht so verbreitete Klassifizierung [51] nach weiteren klinisch durchaus relevanten Gesichtspunkten. Diese teilt die nDFS bei komplett Querschnittgelähmten in 3 Gruppen (Tab. 5). Diese Klassifikation erlaubt weiter differenzierte therapeutische Ansätze.

Tab. 4 Gegenüberstellung der Störungen und Symptome bei kompletter oberer und unterer Motoneuron-Läsion
Tab. 5 Einteilung der neurogenen Darmfunktionsstörungen nach Vallés et al. [51]

3.2.4. Klinische Auswirkungen neurogener Darmfunktionsstörungen

Die klinische Auswirkung einer Querschnittlähmung mit neurogener Darmfunktionsstörung kann sowohl die Inkontinenz als auch die Obstipation sein (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Unterteilung der klinischen Leitsymptome der neurogenen Darmfunktionsstörungen bei Menschen mit Querschnittlähmung

3.2.5. Komplikationen neurogener Darmfunktionsstörungen

Bei unzureichendem Darmmanagement können neben den bereits erwähnten Leitsymptomen auch die nachfolgenden Probleme auftreten oder verstärkt werden:

  • Abdominelle Schmerzen/Missempfindungen [14]

  • Anale Fissuren

  • Autonome Dysreflexie (bei Querschnittlähmung oberhalb Th6; [43])

  • Dekubitus [5]

  • Einschränkung der Atemfunktion

  • Hämorrhoidalleiden [48]

  • Harnwegsinfekte

  • Megakolon/Megarektum [42]

  • Meteorismus [40]

  • Prolaps (rektal, anal)

  • Spinale Spastik [45]

4. Diagnostik

4.1. Basisdiagnostik

  • Anamnese (z. B. Stuhlmenge und -konsistenz, Stuhlfrequenz, Entleerungsdauer, Zeitpunkt der Defäkation, Ernährung, Medikamente, Stuhlinkontinenz, erfolglose Entleerungsversuche)

  • Stuhlbeobachtung nach Bristol Stool Scale (Zusatzmaterial online: Anhang 3.)

  • Beurteilung des Abdomens mit Palpation und Auskultation

  • Anorektale Untersuchung

    • Inspektion der perianalen Region inkl. Beckenbodenbeurteilung zur Beurteilung des Hautzustands und Feststellung von proktologischen Erkrankungen, z. B. Fissuren/Marisken/perianale Thrombosen/Missbildungen

    • Prüfung der Sensibilität

    • Bei der digital-rektalen Untersuchung wird die perianale und tief anale Sensibilität sowie der Sphinktertonus in Ruhe und nach willkürlicher Kontraktion untersucht, eingeschätzt und dokumentiert (International standards of neurological classification of spinal cord injury [ISNCSCI]); Digital rectal examination scoring system (DRESS-Score; [39])

    • Überprüfung des Analreflex, Bulbocavernosusreflex

    • Kontrolle der Ampulle

Die Leitlinien-Arbeitsgruppe empfiehlt für den klinischen Alltag den nichtvalidierten nDFS-Selbsterhebungsbogen (Zusatzmaterial online: Anhang 1.). Dieser wurde von der LL-Gruppe entwickelt und konsentiert. Allerdings ist er ein Selbsterhebungsbogen, der im Rahmen der Leitlinien-Erstellung durch Anwender und Patienten erprobt wurde und von den Mitgliedern der Leitlinien-Gruppe in der Praxis genutzt wird. Für wissenschaftliche Zwecke eignet sich der validierte Neurogenic Bowel Dysfunction Score (NBD-Score; Zusatzmaterial online: Anhang 2.) oder der International SCI Bowel Function Basic Data Set Version 2.1 English (https://www.iscos.org.uk/international-sci-bowel-data-sets), der nur in Englisch vorliegt. Die vorliegenden Instrumente müssten validiert und auf Reliabilität in deutscher Sprache überprüft werden. Konsens: 100 %.

Empfehlung

Die Anamnese in Kombination mit der Überprüfung des Analsphinktertonus sollen wesentliche Eckpfeiler der Erstdiagnostik darstellen. (Konsens: 100 %)

Empfehlung

Ein Score kann als Screening zur Einschätzung des Darmmanagement genutzt werden, z. B. der nDFS-Selbsterhebungsbogen oder der NBD-Score (s. Zusatzmaterial online: Anhang 2.) (Konsens:100 %)

4.2. Erweiterte Diagnostik bei neurogenen Darmfunktionsstörungen

Nach klinischem, individuellem Bild erfolgt eine weiterführende Diagnostik:

  • Stuhlprotokoll

  • Ernährungs- und Trinkprotokoll

  • Abdomineller Ultraschall

  • Abdomen-Übersichtsaufnahme mit/ohne Kontrastmittel

  • Funktionelle Rektomanometrie

  • Assessment-gestützte Problemerhebung und Bewertung: Wir empfehlen für den klinischen Alltag die Nutzung des nichtvalidierten nDFS-Selbsterhebungsbogens (Zusatzmaterial online: Anhang 1.) (Konsens: 100 %)

  • Labor: Hb, HK, Leukozyten, Thrombozyten, Elektrolyte, TSH basal, fT3 und fT4 (Konsens: 100 %)

  • Stuhldiagnostik nach Verdachtsdiagnose

  • Proktoskopie/Rektoskopie/Koloskopie

4.3. Weiterführende Diagnostik bei speziellen Fragestellungen

  • Abdomen-CT

  • Bestimmung der Kolontransitzeit (CTT)

  • Kolonkontrasteinlauf/(MR)-Defäkographie

  • Transanale Endosonographie/Veränderung der Muskulatur

  • EMG des M. sphincter ani externus und der Puborektalisschlinge (Differenzierung der Innervierung durch S4)

  • (MR)-Angiographie (Ausschluss „non-occlusiv disease”/Angina abdominalis)

  • Erweitertes Labor

  • Weitere konsiliarische Untersuchungen nach individueller Beurteilung: Viszeralchirurg, Proktologe, Neurologe, Gynäkologe, Urologe, Gastroenterologe, Schmerztherapeut

5. Das Darmmanagement

Das übergeordnete Ziel des Darmmanagements ist das Erreichen einer sekundären Kontinenz bei regelmäßiger und ausreichender Darmentleerung innerhalb eines individuell akzeptablen Zeitrahmens. Das Darmmanagement findet in einem zyklischen Prozess statt. Für die Umsetzung des Darmmanagements in der Frühphase (bei Frischverletzten) findet sich im Zusatzmaterial online (Anhang unter 4.) das „Abführschema für Frischverletzte“.

5.1. Phasen des Darmmanagements

Die nachfolgend beschriebenen Phasen des Darmmanagements werden nach einer frisch eingetretenen Querschnittlähmung durchlaufen. Die einzelnen Phasen sind typischerweise mit jeweils spezifischen Zielsetzungen verknüpft (Tab. 6).

Tab. 6 Phasen des Darmmanagements während des stationären Aufenthalts

Beim Auftreten von Komplikationen oder bei einer Wiederaufnahme muss nach detaillierter Einschätzung der Problem- und Ressourcensituation das Darmmanagement (re)evaluiert und eventuell individuell angepasst werden.

5.2. Etablierung eines Darmmanagements

Auf der Grundlage der Ersteinschätzung lassen sich Maßnahmen zum Darmmanagement planen:

  1. 1.

    Festlegen eines Darmentleerungsrhythmus. Die tägliche bzw. zweitägige Darmentleerung ist unter pathophysiologischen Gesichtspunkten anzustreben; sie sollte möglichst immer zur selben Tageszeit durchgeführt werden.

  2. 2.

    Interventionen zur Darmentleerung, gegebenenfalls inkl. Einsatz von Laxanzien und/oder Hilfsmitteln. Vgl. Überblick Behandlung Stuhlinkontinenz s. Zusatzmaterial online: Anhang 5., Abb. 2 und Überblick Behandlung Obstipation Zusatzmaterial online: Anhang 6., Abb. 3.

Empfehlung

Für die Etablierung des Darmmanagements soll der Darmentleerungsrhythmus, die Entleerungstechnik und der Einsatz von Laxanzien und Hilfsmitteln festgelegt werden. (Konsens: 100 %)

5.2.1. Evaluation des Darmmanagements

Zur Evaluation des Darmmanagements gehören folgende Aspekte:

  • Entleerungsrhythmus „upper motor neuron läsion“ (UMNL) = 1- bis 2‑tägig/“lower motor neuron läsion“ (LMNL) = 1- bis 2‑mal täglich zur gleichen Tageszeit

  • Entleerungszeit pro Abführen <1 h

  • Stuhlmenge adäquat zur Ernährung

  • Stuhlkonsistenz

    • Typ 3–4 (Bristol Stool Scale) bei UMNL „reflexivem Darm“

    • Typ 2–3 (Bristol Stool Scale) bei LMNL „areflexivem Darm“

  • Vollständige Entleerung der Rektumampulle

  • Kontinenz

  • Erfassung möglicher Komplikationen

    • Blähungen

    • Schmerzen/Missempfindungen

    • Anorektale Komplikationen

    • Autonome Dysreflexie

    • Rezidivierende Harnwegsinfekte

Empfehlung

Zur Evaluierung des Darmmanagements soll insbesondere die Kontinenz, der Entleerungsrhythmus, die Defäkationszeit und die subjektive Patientenzufriedenheit eingeschätzt werden. (Konsens: 100 %)

5.2.2. Lebenslange Nachsorge

Neurogene Darmfunktionsstörungen können therapiert und mit dem Darmmanagement beherrscht, aber nicht geheilt werden. Aus diesem Grund muss im Rahmen der lebenslangen Nachsorge auf die Darmfunktionsstörung speziell geachtet werden. Neurogene Darmfunktionsstörungen können durch zunehmendes Alter, Komorbiditäten sowie medikamentöse Therapien beeinflusst werden. Daher ist sowohl die Überprüfung der Darmfunktionsstörung als auch das dazugehörige Darmmanagement im Rahmen der lebenslangen Nachsorge essenziell (regelmäßiges Screening, ggf. Assessment als Grundlage der Anpassung des Darmmanagements).

5.3. Überblick zum Darmmanagement

Die sog. Therapie-Pyramide zeigt eine mögliche Therapie-Eskalation bei neurogener Darmfunktionsstörung (Konsens: 71 %), die im internationalen, wissenschaftlichen Schrifttum weit verbreitet ist (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Therapie-Pyramide bei neurogenen Darmfunktionsstörungen. (Mod. nach [12])

Tab. 7 zeigt alltagstauglich den möglichen Einsatz von konservativen Interventionen und deren Kombinationen mit einer Steigerung der Invasivität nach dem Abklingen des spinalen Schocks, vereinfachend differenziert nach Läsionstyp. Die vorgestellten Maßnahmen werden individuell und bedarfsweise auch parallel angewendet.

Tab. 7 Algorithmus zum Darmmanagement

Die Anpassung des Darmmanagements orientiert sich am Erfolg (Kontinenz und Entleerungsrhythmus) und wird individuell festgelegt.

6. Konservative Methoden des Darmmanagements

Empfehlungen

Der Algorithmus sollte die Grundlage zur Erarbeitung eines ersten Darmmanagements geben. Die Anpassung des Darmmanagements soll sich am Erfolg (Kontinenz und Entleerungsrhythmus) orientieren und soll individuell festgelegt werden. (Konsens: 100 %)

Die Darmentleerung sollte optimaler Weise nach einer Mahlzeit geplant werden (Gastrokolische Antwort). (Konsens 100 %)

Der Ampullencheck nach der Stuhlentleerung sollte zur Überprüfung der kompletten Entleerung durchgeführt werden. (Konsens: 100 %)

Eine Änderung des Darmmanagements sollte erst nach ausreichender Beobachtung (3–5 Stuhlentleerungen/1 Woche) erfolgen (Ausnahme akute Interventionen). (Konsens: 100 %)

6.1. Aspekte der Ernährung

Der Essrhythmus spielt im Hinblick auf den Abführrhythmus eine wichtige Rolle. Nur bei regelmäßiger Ernährung kann auch ein regelmäßiges Abführen erwartet werden. Die zugeführte Trinkmenge sollte zwischen 1500 und 2000 ml/24 h liegen [1]. Eine ausreichende Ballaststoffzufuhr unterstützt eine geregelte Verdauung. Die D‑A-CH [10] empfiehlt eine Aufnahme von 30 g Ballaststoffen am Tag. Von dieser Empfehlung kann auch für Menschen mit Querschnittlähmung ausgegangen werden. Anpassung der Ballaststoffmenge initial mit 15 g/24 h beginnen und kontinuierlich in gleichmäßigen Schritten auf 25–30 g steigern. Bei einer Zufuhr von 30 g Ballaststoffen am Tag sind 2 Liter energiefreie Trinkflüssigkeit sinnvoll [1, 8].

Empfehlung

Eine regelmäßige Ernährung, ausreichende Flüssigkeitsaufnahme (1500–2000 ml/Tag) und Zufuhr mit Ballaststoffen (bis 30 g/Tag, löslich und unlöslich) sollte Grundlage der Ernährung sein. (Konsensus: 100 %)

6.2. Entleerungstechniken

Die folgenden Maßnahmen sind ohne Wertigkeit in alphabetischer Reihenfolge dargestellt. Kontraindikationen sind zu beachten. Korrekte Ausführungen nach fachlicher Anleitung sind obligat. Für alle rektalen Maßnahmen sind Einweghandschuhe notwendig! Vor der Darmentleerung ist die Blasenentleerung sinnvoll. Die Maßnahmen werden durch den Betroffenen selbst oder eine Pflegeperson durchgeführt (Tab. 8).

Tab. 8 Liste der Entleerungstechniken

6.3. Physikalische Maßnahmen

Neben der Sitzposition für die Darmentleerung kann jegliche Form von Bewegung einen positiven Effekt auf den Stuhltransport ausüben. Gezielt können die in Tab. 9 aufgeführten physikalischen Maßnahmen unterstützend eingesetzt werden.

Tab. 9 Liste der physikalischen Maßnahmen

7. Medikamentöse Therapie

7.1 Rektale Entleerungshilfen (Tab. 10)

Tab. 10 Liste der rektalen Entleerungshilfen

Einsatz der rektalen Entleerungshilfen

Der Einsatz der rektalen Laxanzien erfolgt nach einem Stufenplan im Sinne einer Eskalation, jeweils nach Überprüfung der Wirksamkeit (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Einsatz rektaler Entleerungshilfen

7.2 Orale Laxanzien (Tab. 11)

Tab. 11 Liste der oralen Laxanzien

Einsatz oraler Laxanzien

Die Verabreichung der oralen Laxanzien bei neurogenen Darmfunktionsstörungen erfolgt in einem Stufenplan von den Quell- und Fasermitteln zu den osmotisch wirksamen Substanzen. Erst wenn diese ausgetestet sind, werden antiabsorptiv, sekretorisch wirksame Substanzen eingesetzt (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Einsatz oraler Laxanzien

Empfehlungen

Zur Stuhlmodulation und Unterstützung der Darmfunktion sollten orale Laxanzien der Stufe 1 und 2 zur Anwendung kommen. (Konsens: 100 %)

Orale Laxanzien der Stufe 3 sollten bei Querschnittgelähmten mit neurogener Darmfunktionsstörung nur kurzzeitig zum Einsatz kommen. (Konsens: 100 %)

8. Operative Behandlungsmaßnahmen

8.1. Botulinumtoxin-A/externer analer Sphinkter (EAS)

Bei analer Sphinkterspastik mit Problemen bei der Entleerung, beim Einführen von Therapeutika oder beim digitalen Ausräumen, insbesondere wenn diese Vorgänge zur Auslösung einer autonomen Dysreflexie (siehe 9.2.) führen und sich somit Maßnahmen wie z. B. Stretching verbieten, kann nach Ausschöpfung konservativer therapeutischer Maßnahmen die Reduktion des Sphinktertonus auch durch eine Off-label-Therapie mit Botulinumtoxin‑A versucht werden. Hierbei werden von erfahrenen Anwendern einige wenige Einheiten (z. B. 10–40 IE Ona- oder Incobotulinumtoxin) intramuskulär, unter Injektionskontrolle mittels Ultraschall oder EMG, in die 4 Quadranten des M. sphincter ani externus verteilt [23]. Die Injektion sollte bei Tetraplegikern mit Risiko einer autonomen Dysreflexie unter Blutdruckmonitoring erfolgen; Inkontinenz nach zu hoher Dosierung sollte vermieden werden.

Empfehlung

Botulinumtoxin‑A kann bei „outlet constipation“ aufgrund eines spastischen Analsphinkters eingesetzt werden (off-label). (Konsens: 100 %)

8.2. Sakrale Neuromodulation/-stimulation (SNM/SNS)

Nach Ausschöpfung konservativer therapeutischer Maßnahmen kann die sakrale Neuromodulation (SNM) für ein selektives Patientenklientel mit inkompletter Querschnittlähmung in Erwägung gezogen werden [16, 34]. Prädiktoren für den Therapieerfolg sind nicht gesichert, u. a. wird die Dauer vom Zeitpunkt der neurologischen Diagnosestellung bis zur SNM als Faktor diskutiert [34]. Zur Objektivierung der 3‑ bis 4‑wöchigen Testphase ist neben klinischen Parametern auch die Beeinflussung der Lebensqualität zu überprüfen.

Kombiniert mit anderen Behandlungsmethoden (konservatives Darmmanagement) kann die SNM dazu beitragen, multiple Symptome der neurogenen Darmfunktionsstörung (nDFS) zu bessern [6].

Empfehlung

Nach Ausschöpfung konservativer therapeutischer Maßnahmen kann die sakrale Neuromodulation (SNM) für ein ausgewähltes Patientenklientel mit inkompletter Lähmung in Erwägung gezogen werden. (Konsens: 100 %)

8.3. Malone-Stoma

Es handelt sich um ein kontinentes Appendikostoma zur antegraden Spülung des Kolons. In der Literatur werden gute Ergebnisse bei Kindern mit Spina bifida beschrieben [21, 49].

Empfehlung

Ein Malone-Stoma kann als alternative Form der Behandlung einer Obstipation oder zum Erreichen einer sekundären Kontinenz bei Stuhlinkontinenz erwogen werden. (Konsens: 100 %)

8.4. Konus-Deafferentation, sakrale Deafferentation (SDAF nach Sauerwein) und sakrale Vorderwurzelstimulation (SARS nach Brindley)

Bei Auftreten einer relevanten autonomen Dysreflexie im Rahmen des Darmmanagements (z. B. während der digitalen Stimulation und Ausräumung) ist nach Ausschöpfung konservativer Maßnahmen die Deafferentation eine Therapieoption. Bei nDFS kann der Einsatz von Suppositorien, die Notwendigkeit der digitalen Evakuation oder die Applikation von Klysmen unter SARS signifikant gesenkt werden [46]. Die Darmfunktion kann mittels SARS verbessert werden, und die Patientenzufriedenheit mit dieser Therapie ist hoch [50].

Empfehlungen

Bei einer therapieresistenten autonomen Dysreflexie aufgrund des Darmmanagements sollte die Deafferentierung eine Therapieoption sein. (Konsens: 100 %)

Bei Indikation einer Deafferentierung soll der Einsatz der sakralen Vorderwurzelstimulation zur Verbesserung der Darmentleerung erwogen werden. (Konsens: 100 %)

8.5. Kolostoma

Im Langzeitverlauf unterziehen sich ca. 10 % der Querschnittgelähmten einer Stoma-Anlage [37]. Bei diesen ausgewählten Fällen kann durch eine Kolostomie eine erhebliche Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden [2]. Mit der Entscheidung zur Anlage eines Stomas sollte bei diesen problematischen Fällen nicht zu lange gezögert werden [9].

Als definitive Lösung sollte in diesen Fällen das Kolon in Form eines endständigen Kolostomas abgeleitet werden [2]. Als passagere Lösung eignet sich auch ein doppelläufiges Kolostoma, z. B. bei Dekubitus und Stuhlinkontinenz (geringer chirurgischer Eingriff und leichtere Rückverlegung).

Die Lage des Stomas soll präoperativ vom Operateur bzw. Stomatherapeuten insbesondere unter Berücksichtigung der Sitzposition im Rollstuhl und der Handfunktion angezeichnet werden, und ein Probetragen eines aufgeklebten Beutels in der geplanten Positionierung wird empfohlen [9].

Empfehlung

Ein definitives Kolostoma sollte bei Versagen sämtlicher konservativer Maßnahmen und therapierefraktärer Obstipation oder Stuhlinkontinenz erwogen werden.

Es soll dann ein endständiges Kolostoma angelegt werden. (Konsens: 100 %)

9. Komplikationen

9.1. Meteorismus

Als Meteorismus wird ein geblähtes Abdomen mit oder ohne Flatulenz (vermehrter Windabgang) bezeichnet. Ursächlich abzugrenzen ist die Aerophagie (Luftschlucken). Blähungen entstehen unter anderem, wenn die Stuhlsäule zu lange im Kolon steht. Die Darmflora beginnt, den Darminhalt nochmals zu verarbeiten, dabei bildet sich durch Gärung Gas, welches den Meteorismus verursacht. Im Weiteren können folgende Faktoren ursächlich sein:

  • Zunahme des absoluten Volumens des Darminhaltes (u. a. durch Obstipation)

  • Abnahme des Tonus der Bauchmuskulatur

  • Nahrungsmittelunverträglichkeiten (z. B. Hülsenfrüchte, Kohl, Lauch, Zwiebeln)

  • Nahrungsmittelintoleranz oder Malabsorption

  • Spastischer Analsphinkter

Bei Querschnittlähmung stellt ein Meteorismus ein ernsthaftes klinisches Symptom dar, welches neben körperlichen Symptomen (Abgang von Darmgasen, Appetitlosigkeit, Völlegefühl, Unwohlsein, Bewegungseinschränkungen u. a.) schwerwiegende Komplikationen wie respiratorische Insuffizienz, Darmparalyse bis zum Ileus oder eine autonome Dysreflexie auslösen kann.

Empfehlung

Bei störendem Meteorismus sollen vor der Symptombehandlung die Ursachen evaluiert werden. (Konsens: 100 %)

Antiflatulantien

Gegen störenden Meteorismus können Antiflatulantien (Carminativa) auf natürlicher oder synthetischer Basis in Kombination mit Kolonmassage und/oder Bauchlage eingesetzt werden. Natürliche Produkte sind ätherische Öle wie z. B. Anis, Fenchel, Kümmel, Koriander, Pfefferminzblätter, Kamillenblüten etc. Sie wirken spasmolytisch auf die glatte Darmmuskulatur und gärungshemmend auf den Darminhalt. Zu den synthetischen Produkten gehören Dimeticon und Simeticon. Es handelt sich um langkettige organische Siliciumverbindungen, die im Magen-Darm-Kanal rein physikalisch die Oberflächenspannung von eingeschlossenen Gasblasen herabsetzen und diese dadurch auflösen.

9.2. Autonome Dysreflexie

Eine autonome Dysreflexie (AD) stellt ein potenziell lebensbedrohliches Syndrom dar, das bei einer Rückenmarkschädigung oberhalb Th6 (selten auch bei tieferen Lähmungen) auftreten kann [8, 33]. Bei kompletten Lähmungsformen ist die Gefahr deutlich größer (Häufigkeit: 91 %, bei inkompletter Lähmung: 27 %) und steigt mit zunehmender Lähmungsdauer [25]. Bedrohlich kann vor allem ein anfallsweiser Blutdruckanstieg (im Sinne einer hypertensiven Krise) mit konsekutiver Bradykardie sein. Eine autonome Dysreflexie kann sich u. a. durch klopfende Kopfschmerzen, vermehrtes Schwitzen, „Flush“ und Gänsehaut bemerkbar machen.

Auslöser einer durch den Darm getriggerten autonomen Dysregulation sind: Dehnungen des Darms/Rektums, Manipulationen wie digitales Ausräumen und rektales Einführen von Suppositorien oder die transanale Irrigation [13]. Die Dehnung des Darms ist nach der Dehnung der Harnblase der zweithäufigste auslösende Faktor [47].

Bei der transanalen Irrigation treten Symptome einer AD seltener und in geringer Ausprägung als bei der digitalen Ausräumung [13] auf. Die Instillation von lidocainhaltigem Gleitgel kann das Auftreten einer AD auch bei der digitalen Ausräumung verhindern [15].

Empfehlung

Bei bekanntem Risiko für eine autonome Dysreflexie sollen auslösende Trigger im Rahmen des Darmmanagements möglichst vermieden werden. (Konsens: 100 %)

9.3. Blutabgänge

Gelegentlich berichten Patienten über Blutabgänge im Zusammenhang mit der Darmentleerung. Dabei handelt es sich oft um Verletzungen der Rektumschleimhaut oder der Hämorrhoidalpolster, welche durch Manipulationen beim Ausräumen oder Irrigieren entstehen.

Vermieden werden Verletzungen durch den Gebrauch von ausreichend Gleitmittel, Handschuhen und einem sanften Vorgehen.

Empfehlung

Bei wiederholten Blutabgängen müssen andere Blutungsursachen wie Tumoren oder entzündliche Darmerkrankungen ausgeschlossen werden. (Konsens: 100 %)

9.4. „Fecal impaction“/paradoxe Diarrhoe

Eine spezielle Situation besteht bei der sog. „fecal impaction“. Wiederholte unvollständige Darmentleerungen führen zu einem fortschreitenden Aufstau der Stuhlmassen im Kolon bis hin zur Entwicklung eines Koprolithen (Kotstein) vor allem im Rektum.

Diese Stuhlmassen werden durch das Mikrobiom des Dickdarms erneut verarbeitet. Es resultiert ein Gärungsprozess, der zu einer Verflüssigung des Stuhls aboral führt und gleichzeitig den Gasdruck über der Stuhlsäule erhöht. Gleichzeitig triggert der Koprolith den rektoanalen Inhibitionsreflex (RAIR), wodurch der M. sphincter ani internus relaxiert wird. Ausgeschieden wird entweder dünnflüssiger, übelriechender Stuhl und/oder es kommt zu explosionsartigen Entleerungen, wenn sich genügend Druck aufgebaut hat.

Ohne Kenntnisse der Ursachen wird dies fälschlicherweise als banaler Durchfall interpretiert und eventuell mit Loperamid (verlangsamt Darmbewegung) behandelt, wodurch die Obstipation schließlich noch verschärft wird. Der Nachweis eines Koprolithen erfolgt durch digitale Austastung, Sonographie oder radiologisch (Abdomen-Leeraufnahme). Gelegentlich sichert ein Kontrastmittel-Einlauf die Diagnose. Eine Computertomographie ist meist entbehrlich (außer zum Ausschluss eines ursächlich stenosierenden Tumors).

9.5. Spezifische Diarrhoe-bedingte Risiken

Diarrhoe (nahrungsmittel-, antibiotika- oder infektionsbedingt) und damit einhergehende Inkontinenzereignisse bedeuten ein Gefährdungspotenzial für die Haut und den Harntrakt. Die Therapie ist zunächst immer symptomatisch, eindickend, absorbierend, in den seltensten Fällen kausal.

Neben der ursächlichen Therapie kann eine kurzzeitige Behandlung der Diarrhoe z. B. mit Loperamid erwogen werden.

Aufgrund des häufigen Antibiotikaeinsatzes bei Querschnittgelähmten kann es zu einer Antibiotika-assoziierten Diarrhoe, z. B. durch Clostridium difficile, kommen.

9.6. Lokale Komplikationen

Perianalvenenthrombosen und Analfissuren stellen akute, je nach Lähmung auch schmerzhafte Veränderungen dar, wobei die Fissur chronifizieren kann.

Im Langzeitverlauf kann sich sowohl ein Hämorrhoidalleiden entwickeln als auch ein Anal- oder Rektumschleimhautprolaps auftreten. Die Therapie erfolgt nach proktologischen Grundsätzen.

10. Hilfsmittel (Situation in Deutschland)

Zur Unterstützung des Darmmanagements stehen zahlreiche Hilfsmittel zur Verfügung.

Die Anleitung des Betroffenen oder einer Hilfsperson in die selbstständige Anwendung oder Durchführung muss grundsätzlich vor dem Einsatz von Hilfsmitteln sichergestellt sein (Tab. 12).

Tab. 12 Hilfsmittel (beispielhaft)

Empfehlung

Die Kostenübernahme der Hilfsmittel soll vorab mit dem zuständigen Kostenträger geklärt werden. (Konsens: 100 %)