Liebe Leserinnen und Leser,

aktueller kann die vorliegende Ausgabe von coloproctology kaum sein, ist doch die Diskussion um eine generelle Aufklärungspflicht über traumatische Folgen einer vaginalen Entbindung zur Geburtsplanung derzeit neu entbrannt.

Bereits im Jahr 2001 hat sich der Arbeitskreis „Ärzte und Juristen“ innerhalb der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) mit dem Thema „Wunschkaiserschnitt“ beschäftigt [1]. Anlass war eine Umfrage über den gewünschten Entbindungsmodus bei Gynäkologinnen in Großbritannien [2], die auch im deutschsprachigen Raum Beachtung und Zustimmung fand [3]. Über 30 % der Befragten wollten für sich selbst eine primäre Sectio ohne medizinische Indikation aus Angst vor Langzeitfolgen, wie z. B. Harninkontinenz (100 %), Dammverletzungen (80 %) oder sexueller Dysfunktion (58 %).

Auch wenn der Arbeitskreis bereits auf mögliche Komplikationen einer vaginalen Entbindung hingewiesen hat, insbesondere auf Inkontinenz und Sphinkterverletzung, wurde dennoch postuliert, es „(…) muss der Patientin eindringlich vor Augen geführt werden, dass der Kaiserschnitt im Prinzip die unnatürliche Geburtsart ist“.

Im Protokoll [2] wird erwähnt, dass es überzogen und ethisch unvertretbar sei, eine junge Frau, die in die Geburt geht, durch Schilderung der möglichen Gefahren für Beckenboden und Sexualleben einerseits und Gefahren der Sectio wie Mortalität, Embolie und Verblutung andererseits vor dem Beginn ebendieser Geburt zu verängstigen.

Neu angestoßen wurde die Diskussion durch einen Beitrag im Deutschen Ärzteblatt mit dem Titel „Besser als bisher über vaginale Entbindungen aufklären“ [4]. Neben anschaulichem Bildmaterial zur Diagnostik einer postpartalen Sphinkterverletzung wurde auch über einen Fall aus Großbritannien berichtet, bei dem nach langem Rechtsstreit der Mutter eine 7‑stellige Schadenersatzzahlung wegen fehlender Aufklärung über die Risiken einer vaginalen Entbindung zugesprochen wurde [5]. Dabei entstand der Eindruck, die Schadenersatzzahlung wäre auf einen Aufklärungsfehler hinsichtlich eines möglichen Beckenbodenschadens bei der Mutter nach vaginaler Entbindung zurückzuführen. Dies entsprach allerdings keineswegs dem Gerichtsbeschluss, denn tatsächlich war die Höhe des Schmerzensgeldes der kindlichen Schädigung geschuldet und nicht dem Beckenbodenschaden der Frau.

Dennoch wurde diesem Artikel, trotz unsauberer Recherche oder bewusst falsch interpretiertem Schuldspruch, eine unglaubliche Beachtung geschenkt. Dies zeigte sich in der sehr kontrovers geführten Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern einer Liberalisierung der Entscheidung für eine elektive Sectio auf ausschließlichen Wunsch der Patientin. So hat sich z. B. Roland Uphoff, ein renommierter Fachanwalt für Medizinrecht dieses speziellen Themas angenommen [6]. Sein Statement dazu ist eindeutig: „Bittet eine Frau … in einer Geburtsklinik im Hinblick auf das Risiko von Beckenbodenschäden um eine Sectio, wird ihr diese Bitte abgeschlagen (…) so wird diese zwangsläufig zu einer Haftung des Geburtshelfers wegen eigenmächtiger Heilbehandlung führen.“

Nichtsdestotrotz sehen viele den vaginalen Weg als die natürliche Geburt an und halten sich auch nicht mit teils polemischer Kritik zurück: „Die Geburt (…) bleibt auch heute erst einmal ein physiologischer Akt (…). Im Kern unterscheidet er sich aber in keiner Weise von (…) diversen Hohlorganentleerungen (…). Soll darüber jetzt auch aufgeklärt werden?“ [7].

Vor dem Hintergrund des G‑BA-Beschlusses zur Förderung der natürlichen Geburt sowie der externen Qualitätssicherung mit Überprüfung des Indikators „Sectiorate“ – hier gilt ein Krankenhaus mit hoher Sectiorate als qualitativ auffällig – und der zusätzlichen Weigerung der Krankenkassen, die Kosten für einen Wunschkaiserschnitt und die daraus entstehenden Folgekosten zu übernehmen, könnte die Diskussion nicht spannender sein.

Die werdende Mutter muss in die wichtigen geburtshilflichen Entscheidungen miteinbezogen werden

Letztendlich haben die gynäkologischen Fachgesellschaften (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe [DGGG], Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin [AGG] und Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion [AGUB]) ein Statement zum Thema „vaginale Geburt und Veränderungen am Beckenboden“ erarbeitet, was deutlich mehr Klarheit in die Diskussion gebracht hat [8]. Unbestritten ist, dass die werdende Mutter in die wichtigen geburtshilflichen Entscheidungen miteinbezogen werden muss. Die Autoren unterstreichen jedoch, dass die vaginale Entbindung ein natürlicher Vorgang ist, in den nur mit Sorgfalt eingegriffen werden sollte, und unterstützen nachdrücklich die Zielsetzung der Reduktion unnötig hoher Sectioraten. Nach Ansicht der Experten müssen grundsätzlich die Risiken potenzieller und auch lebensbedrohlicher Plazentationsstörungen, die Folge wiederholter Sectiones sein können, bei der Diskussion um mögliche beckenbodenprotektive Effekte einer elektiven Sectio berücksichtigt werden.

Unabhängig von der Diskussion um eine generelle Aufklärungspflicht ist es wichtig, dass jene Disziplinen, die sich mit der Behandlung von geburtstraumatischen Schäden beschäftigen, gut informiert sind und fachübergreifend frühzeitig eine interdisziplinäre Diagnostik und Therapieplanung ins Kalkül ziehen. Auch wenn die Geburt nach wie vor zu den erfreulichsten Ereignissen im Leben einer Frau zählt, darf nicht vergessen werden, dass sich langfristige und stark lebensqualitätseinschränkende Symptome einstellen können. Man geht derzeit von einem lebenslangen Risiko für eine Senkungsoperation von 11–19 % aus, wobei fast 30 % dieser Frauen eine Rezidivoperation benötigen werden. Natürlich sollen operative Eingriffe erst nach Ausschöpfen konservativer Möglichkeiten erfolgen. Christian Fünfgeld schildert ausführlich die diagnostischen Schritte und therapeutischen Maßnahmen bei weiblicher Beckenbodeninsuffizienz und fordert zur Vermeidung unnötiger Doppeluntersuchungen die frühzeitige interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Lediglich 5 % der anorektalen Fisteln sind reine rektovaginale Fisteln (RVF). Bei dieser Gruppe stellt das Geburtstrauma in 88 % der Fälle die häufigste Ursache dar. Während Spontanheilungen bei der Gesamtheit der anorektalen Fisteln eher selten sind, wird gerade bei geburtsbedingten Fisteln durchaus ein „watchful waiting“ für 6 bis 9 Monate empfohlen. Dies kann in bis zu 50 % der Fälle erfolgreich sein. Darüber hinaus hat sich von den operativen Verfahren keine Methode der Wahl durchsetzen können. Wie Sabine Kersting und Eugen Berg in ihrer Übersicht eindrucksvoll aufzeigen können, sind zur Wahl des individuellen Verfahrens Fistelgröße, Lokalisation, Sphinkterfunktion und Gewebeverhältnisse für einen optimalen Erfolg zu berücksichtigen.

Geburtsbedingte Sphinkterläsionen werden bei intaktem Damm häufig übersehen

Gerade geburtsbedingte Sphinkterläsionen werden bei intaktem Damm häufig übersehen. Diese okkulten Schädigungen haben nach Mathias Löhnert zunehmend an Bedeutung gewonnen. Seiner Meinung nach ist es besonders wichtig, frühzeitig Risikogruppen zu identifizieren, da Beschwerden wie z. B. Stuhlinkontinenz oft erst nach Jahren auftreten. Hierbei stehen vor allem höhergradige Dammverletzungen, vaginal-operative Entbindungen und vorausgegangene Sphinkterverletzungen im Vordergrund. Auch wenn der klinischen Untersuchung natürlich eine entscheidende Rolle zukommt, werden doch 30 % der Sphinkterdefekte dadurch nicht erkannt. Auch die Sphinktermanometrie zeigt erst bei größeren Läsionen erniedrigte Werte. Okkulte Defekte lassen sich nur mit Hilfe der Bildgebung, wie Ultraschall und Magnetresonanztomographie (MRT), erkennen. Hierbei kommt dem Ultraschall in der vergleichenden Genauigkeit, insbesondere bei Defektausmaß und Fistelverlauf, eine besondere Bedeutung zu.

In der Annahme, dass die meisten und schwerwiegendsten Geburtsverletzungen in der Dritten Welt auftreten, ist es von großer Bedeutung, einen afrikaerfahrenen Geburtshelfer über die tatsächlichen Verhältnisse, hier am Beispiel von Burkino Faso, zu Wort kommen zu lassen. Das Land gehört zu den ärmsten der Welt und hat trotz großer Fortschritte in den letzten 20 Jahren immer noch eine mütterliche Mortalitätsrate von 371 pro 100.000 Lebendgeburten. Die Inzidenz an schweren Geburtsverletzungen liegt um den Faktor 20- bis 30-mal höher. Anhand der Daten einer Studie an 2 Krankenhäusern in der Stadt Dori im Nordosten von Burkino Faso konnten Jürgen Wacker und seine Mitautoren zeigen, dass mit entsprechend ausgebildetem Personal auch in einem Entwicklungsland, unter entsprechenden Bedingungen und Schulung der Geburtshelfer vor Ort, gute Geburtshilfe geleistet werden kann. Da 70–80 % der Studienteilnehmerinnen beschnitten waren, erläutert Wacker darüber hinaus sehr anschaulich, wie eine Korrekturoperation in diesen Fällen aussehen kann.

Der Inhalt des Heftes, hervorzuheben ist hier vor allem das fantastische Bildmaterial aller Artikel, zeigt erneut, wie wichtig die interdisziplinäre Zusammenarbeit aller am Beckenboden beteiligten Disziplinen ist. Möglichst frühzeitig sollten die Fachkollegen in die diagnostischen Maßnahmen und die therapeutischen Verfahren eingebunden werden. Nur so können unnötige Doppeluntersuchungen und Zweiteingriffe vermieden werden.

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Prof. Dr. Wolfgang Heyl