FormalPara Originalpublikation

Lefevre JH, Mineur L, Kotti S et al (2016) Effect of Interval (7 or 11 weeks) Between neoadjuvant radiochemotherapy and surgery on complete pathologic response in rectal cancer: a multicenter, randomized, controlled trial (GRECCAR-6). Journal of Clinical Oncology. https://doi.org/10.1200/JCO.2016.67.6049

FormalPara Hintergrund und Ziele.

Derzeitige Guidelines empfehlen für T3/4- oder TxN+-Karzinome des mittleren und unteren Rektumdrittels eine neoadjuvante Strahlenchemotherapie. Diese Behandlung führt zu einer deutlichen Reduktion der Lokalrezidivraten, jedoch nicht zu einem Gesamtüberlebensbenefit. In rezenten Studien sind klinische Ansprechraten je nach Wartezeit zwischen 50 und 75 % beschrieben. Die für das Langzeitüberleben prognostisch günstige pathologisch komplette Response (pCR) im Operationspräparat beträgt zwischen 8 und 30 %. Zahlreiche Studien beschreiben bessere pathologische Ansprechraten bei längerer Wartezeit zwischen Bestrahlungsende und Operation. Der optimale Zeitraum wird jedoch immer noch kontrovers diskutiert. Derzeit werden Intervalle zwischen 6 und 10 Wochen empfohlen. Ziel dieser randomisierten Phase-III-Studie war es nun, die pCR-Rate zwischen 7 (7w) und 11 (11w) Wochen Intervall zwischen Beendigung der Radiatio und Operation zu analysieren.

FormalPara Methode.

Die GRECCAR6-Studie ist eine multizentrische randomisierte, open-label, parallel-group, kontrollierte Phase-III-Studie. Eingeschlossen wurden Patienten über 18 Jahre mit durch MR oder endoskopischen Ultraschall diagnostizierten T3/T4- oder TxN+-Karzinomen des mittleren und unteren Rektumdrittels. Die Patienten erhielten eine neoadjuvante Radiochemotherapie mit 45 bis 50 Gy mit intravenöser Fluorouracil- oder Capecitabine-Chemotherapie. Die Patienten wurden 1:1 für 7 vs. 11 Wochen Operation nach Komplettierung der neoadjuvanten Radiochemotherapie randomisiert. Das Ansprechen des Tumors auf die Radiochemotherapie wurde nach Dworak und Rödel von 2 unabhängigen Pathologen klassifiziert. Primärer Endpunkt der GRECCAR6-Studie war die pCR-Rate, definiert als ypT0N0 im Operationspräparat, bestätigt von den 2 unabhängigen Pathologen. Sekundäre Endpunkte inkludierten postoperative Morbidität, basierend auf der Clavien-Dindo-Klassifikation, Rate des Sphinktererhalts, Gesamtüberleben und rezidivfreies Überleben. Statistisch wurde die Studienpopulation an Hand folgender Null-Hyppthese kalkuliert: Es ist eine pCR-Rate von 12 % in der 7w-Gruppe im Vergleich zu 26 % in der 11w-Gruppe zu erwarten. Basierend auf einer Power von 80 %, einem zweiseitigen Test mit einem Signifikanzlevel von 0,05 und einer Drop-out-Rate von 10 % werden mindestens 264 Patienten benötigt.

FormalPara Ergebnisse.

Schlussendlich wurden 253 Patienten (125 in die 7w-Gruppe vs. 128 in die 11w-Gruppe) an 24 teilnehmenden Zentren randomisiert. Die Tumorstadien waren in den Gruppen gleich verteilt. Achtzig Prozent der Patienten wurden im vorgeschriebenen Intervall operiert (±5 Tage), in der 7w-Gruppe wurden signifikant mehr Patienten später operiert (20,8 vs. 8,6 %; p = 0,02). Die Rate zur Konversion auf offene Operation war höher in der 11w-Gruppe, des Weiteren dauerte die Operation in dieser Gruppe durchschnittlich 15 min länger (beides jedoch nicht signifikant). Der primäre Endpunkt (ypT0N0) zeigte keinen statistisch signifikanten Unterschied in einer Intention-to-treat-Analyse (7w-Gruppe, 20 von 133 [15,0 %] vs. 11w-Gruppe, 23 von 132 [17,4 %]; p = 0,5983). Die Qualität der mesorektalen Resektion in der 11w-Gruppe war signifikant schlechter (komplettes Mesorektum [I], 78,7 % vs. 90 %; p = 0,0156). Postoperativ zeigte sich eine signifikant höher Gesamtmorbidität in der 11w-Gruppe (44,5 % vs. 32 %; p = 0,04), signifikant mehr medizinische Komplikationen (32,8 % vs. 19,2 %; p = 0,01). Keine signifikanten Unterschiede zeigten sich bezüglich der Rate an Anastomosenleaks, der Heilungstendenz nach abdominoperinealer Resektion (42,9 % vs. 16,7 %; p = 0,216) und der Hospitalisierung (+2 Tage für 11w).

FormalPara Schlussfolgerung.

Die GRECCAR6-Studie konnte keinen Benefit für eine höhere cPR-Rate durch Verlängerung der Wartezeit zwischen Radiochemotherapie bis zur Operation von 7 auf 11 Wochen zeigen. Es zeigte sich jedoch eine signifikant höhere Morbidität und eine schlechtere Qualität der mesorektalen Faszie im Operationspräparat durch das längere Zuwarten.

Kommentar

Ziel dieser randomisierten Phase-III-Multizenterstudie (GRECCAR6 trial) war die Analyse des Effekts einer Verlängerung der Wartezeit von 7 auf 11 Wochen zwischen neoadjuvanter Radiochemotherapie und Operation bezüglich des Einflusses auf die kompletten pathologischen Responseraten.

Die Studie ist sauber durchgeführt, die Patientenpopulationen und Tumorcharakteristika gleich verteilt. Nachträglich betrachtet, dürfte die Null-Hypothese als größte Limitierung dieser Studie zu kritisieren sein. Die angenommenen cPR-Raten von 12 % für 7 Wochen Wartezeit wurden mit 15 % leicht übertroffen, der für 11 Wochen mit 17,4 % deutlich unterschritten. Dies könnte einerseits darauf zurückzuführen sein, dass in der 7w-Gruppe fast 21 % der Patienten später als die vorgeschriebenen 7 Wochen operiert worden sind. Generell liegen die beschriebenen cPR-Raten im Bereich der aktuellen Publikationen.

Es zeigte sich deutlich, dass längeres Abwarten des Bestrahlungseffekts Einfluss auf das chirurgische Procedere hat. Nicht nur die Konversionsrate, die Operationsdauer und Hospitalisierungsdauer waren höher für die 11w-Gruppe (beides zwar nicht signifikant), sondern auch die Qualität der onkologischen mesorektalen Resektion (79 vs. 90 %) sowie die postoperative Morbidität (32 vs. 45 %) waren signifikant schlechter für die 11w-Gruppe. Auch ein höherer Grad an Fibrose im kleinen Becken wurde beschrieben (nicht signifikant). Dies könnte die Ursache für die größere Zahl an Ureterverletzungen bei der 11w-Gruppe sein (Zahlen leider nicht angeführt).

Die Anteile an kompletter pathologischer Remission nach neoadjuvanter Chemotherapie sind in der rezenten Literatur mit 10–30 % nach Wartezeit relativ breit gestreut. Dies liegt einerseits an den unterschiedlichen Wartezeiten zwischen Bestrahlung und Operation, aber sicher auch an der Qualität der untersuchenden Pathologen.

Der optimale Zeitpunkt für die Operation wird schon seit Längerem kontrovers diskutiert und zeigte in der letzten Dekade einen Trend hin zu längeren Wartezeiten. Grund dafür ist die verzögerte Wirkung der Strahlentherapie auf die Tumorzelle. Die DNA-Schädigung erfolgt sofort, die Zelllyse jedoch erst nach einigen Wochen. Eine rezente amerikanische Analyse von mehr als 11.000 Patienten der National Cancer Database zeigte die höchste Wahrscheinlichkeit für optimales Downstaging des Tumors und Komplettheit der Operation 8 Wochen nach Strahlentherapie [1]. Im Gegensatz zur GRECCAR6-Studie steht eine andere amerikanische Metaanalyse, die an Hand von mehr als 3500 Patienten in 13 Studien eine verbesserte cPR-Rate bei Patienten mit Wartezeiten von mehr als 8 Wochen gefunden hat [2].

Kritisch zu hinterfragen ist auf jeden Fall eine nur 79 % Qualität I der mesorektalen Faszie bei der 11w-Gruppe, die nicht dem derzeitigen onkologischen Standard entspricht. Dies wird sicherlich auf das Langzeitüberleben einen signifikanten Einfluss nehmen, der nun noch nicht analysierbar war. Diese mangelnde Qualität dem strahlenassoziiert veränderten Gewebe und der damit verbundenen schwierigeren Schichtfindung zuzuschreiben, klingt plausibel. Jedoch erzielten andere Studien mit vergleichbaren Wartezeiten von länger als 8 Wochen trotzdem meist über 90 %.

Anhand der derzeitigen Datenlage ist eine Rektumresektion nach Bestrahlung in einem Zeitfenster von etwa 6–10 Wochen zu empfehlen. Bei längeren Wartezeiten ist bis zur Operation eine zusätzliche Chemotherapie anzudenken. Diesbezügliche randomisierte Studien laufen noch. Oberstes Ziel muss jedoch immer ein optimales histopathologisches Ergebnis mit kompletter Intaktheit der mesorektalen Faszie sein.