1 Einleitung

Die Versorgung der Bevölkerung mit sicheren Lebensmitteln und Trinkwasser ist Teil der Daseinsvorsorge und gehört damit zu den kritischen Infrastrukturen (BMI 2008). Der Schutz der Lebensmittel vor unabsichtlicher sowie absichtlicher Kontamination ist daher für den gesundheitlichen Verbraucherschutz von hoher Bedeutung. Präventionsmaßnahmen im Rahmen eines Sicherheits- und Qualitätsmanagements stellen ein wichtiges Werkzeug zur Gewährleistung des Lebensmittelschutzes dar und können anhand der Parameter Motivation (finanzieller Gewinn/gesundheitliche Auswirkungen) und Handlungsabsicht (absichtlich/unabsichtlich) unterschieden werden (Abb. 1) (Spink und Moyer 2011). Neben dem etablierten und gesetzlich verankerten Hazard Analysis and Critical Control Points (HACCP)-KonzeptFootnote 1 und weiteren Verfahren zur Lebensmittelsicherheit verfolgen auch die internationalen Lebensmittelstandards das Ziel, die Qualität und die Sicherheit von Lebensmitteln vor unabsichtlicher Beeinträchtigung zu schützen. Davon zu unterscheiden sind Präventionskonzepte gegen absichtliche Lebensmittelkontaminationen. Konzepte gegen Food Fraud (Lebensmittelbetrug) adressieren Verfälschungen von Lebensmitteln in betrügerischer Absicht zum finanziellen Gewinn. Food Defense (Lebensmittel-Produktschutz) richtet sich gegen absichtliche Kontaminationen mit dem Ziel der gesundheitlichen Schädigung von Menschen durch Lebensmittel. Hierbei werden biologische, chemische, radiologische oder physikalische Gefahrstoffe in Lebensmittel eingebracht oder in diesen generiert. Die Tätermotive reichen von Racheakten an Arbeitgebenden über politisch motivierte Sabotageakte bis hin zu Terrorismus (Bogadi et al. 2016).

Abb. 1
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Verschiedene Aspekte des Lebensmittelschutzes und deren Schnittstellen (modifiziert nach Spink und Moyer [2011])

Bekannt gewordene Ereignisse zeigen die Bandbreite möglicher Szenarien (Jurica et al. 2019; Dalziel 2009). Prominentes Beispiel eines politisch motivierten Sabotageaktes ist die im Jahr 1984 durchgeführte Kontamination einer Salatausgabe mit Salmonellen durch eine religiös-politische Gruppierung in Oregon, um die dortigen regionalen Wahlen durch die erwarteten Krankheitsfälle zu beeinflussen (Török et al. 1997). Bei einem anderen Vorfall wurde 2014 in Japan in einem Racheakt eines Mitarbeiters einer Tiefkühl-Lebensmittelproduktion eine erhebliche Menge des Pestizids Malathion in die Herstellungslinie eingebracht. Durch die kontaminierten Lebensmittel wurden vermutlich mehrere Tausend Erkrankungsfälle verursacht und einige Millionen Packungen verschiedener Lebensmittel in einem groß angelegten Rückruf vom Markt zurückgerufen (BBC 2014; Walravens 2019).

Die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser seltenen Ereignisse ist schwer abzuschätzen. Die Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung können jedoch verheerend sein und eine Beeinträchtigung der Lebensmittelversorgung bewirken. Daneben können durch Vertrauensverlust in eine Marke, ein Unternehmen oder eine ganze Branche hohe finanzielle Verluste entstehen. Demgegenüber erscheint die Implementierung von Präventionsmaßnahmen – insbesondere, wenn diese auf Basis einer spezifischen Risikoabschätzung ermittelt wurden – sinnvoll und wirtschaftlich lohnend.

Food Defense-Konzepte, die auf Abwehr und Begrenzung der Auswirkungen solcher mutwilligen Eingriffe ausgerichtet sind, können sehr vielfältige Maßnahmen einschließen und sind immer individuell an die jeweiligen Gegebenheiten des Lebensmittelunternehmens anzupassen. Die Maßnahmen können verschiedenen Bereichen zugeordnet werden, wie beispielsweise „äußerer Schutz/Zugang“ (Verhinderung des Zutritts zu Gelände/Gebäude/Transportmitteln), „innerer Schutz/Produktion“ (Verhinderung der Kontamination während des Produktionsprozesses) und „Personal/Mensch“ (Verhinderung von unbefugtem Handeln durch Mitarbeitende und externes Personal). Konkrete Beispiele sind eine Außenhautsicherung mittels Zaun und Kameraüberwachung, eine Zutrittsbeschränkung über personenbezogene Transponder oder eine aufgaben- bzw. bereichsbezogene Arbeitskleidung für Mitarbeitende. Viele dieser Präventionsmaßnahmen weisen dabei einen Mehrfachnutzen für die sich überschneidenden Bereiche des Lebensmittelschutzes auf (Taise 2018; FSIS 2019).

Im deutschen und europäischen Lebensmittelrecht ist der Begriff Food Defense nicht explizit genannt. Es existieren keine spezifischen Regelungen oder Vorgaben zu Food Defense-Maßnahmen, auch wenn nach der Lebensmittel-BasisverordnungFootnote 2 die primäre Verantwortung für sichere Lebensmittel generell beim Lebensmittelunternehmen liegt. Für viele Unternehmen besteht jedoch seit geraumer Zeit aufgrund der Anforderungen internationaler Zertifizierungsstandards oder durch Exportvorgaben eine Notwendigkeit für Food Defense-Maßnahmen. Viele der privatwirtschaftlichen Lebensmittel-, Produkt- oder Servicestandards, darunter alle von der Global Food Safety Initiative anerkannten Standards, schreiben spezifische Food Defense-Maßnahmen vor (u.a. International Featured Standards Food [IFS 2022], Brand Reputation through Compliance Global Standard for Food Safety [BRCGS 2018], Food Safety System Certification 22,000 [FSSC 2019]). Auch das US-amerikanische Lebensmittelrecht enthält konkrete Anforderungen für Food Defense, die auch für ausländische Unternehmen, die in den US-amerikanischen Markt exportieren möchten, gelten.Footnote 3

Von den amerikanischen Behörden wurden Hilfsmittel entwickelt, welche Lebensmittelbetriebe bei der Einführung eines Food Defense-Konzepts unterstützen sollen, darunter die CARVER-Analyse und der Food Defense Plan Builder (FDA 2009; FDA 2021). Weitere Hilfsmittel sind die Guideline des IFS (2014) und das sogenannte Threat Assessment Critical Control Point (TACCP)-Konzept (BSI 2017), welches sich am HACCP-Konzept orientiert. Ein zentraler Punkt dieser Hilfsmittel und Konzepte ist eine sogenannte Schwachstellenanalyse, die mögliche Angriffspunkte auf die Lebensmittel- bzw. Prozesskette erkennen und dadurch die Implementierung gezielter Food Defense-Maßnahmen ermöglichen soll. Ein Schema für das umfassende Erstellen eines Food Defense-Konzepts ist in Abbildung S1 (Supplementary Material) exemplarisch dargestellt.

Buschulte et al. (2014) beschreiben ihre Erfahrungen zu exemplarischen Schwachstellenanalysen mittels CARVER in einigen deutschen Betrieben des Fleischsektors. Dabei wurde dieses Hilfsmittel in der Anwendung als sehr komplex beschrieben und der praktische Nutzen als gering bewertet. Insbesondere für mittlere und kleine Unternehmen sowie für solche, die bisher noch keinen Kontakt mit Food Defense hatten, wurde ein Bedarf an einfachen, praktikablen Hilfsmitteln festgestellt. In dem übergreifenden, vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) koordinierten Forschungsprojekt „Sicherstellung der Futter- und Lebensmittelwarenkette bei bio- und agroterroristischen Schadenslagen (SiLeBAT)“Footnote 4 standen Lösungsansätze für Prävention, Früherkennung und Schadensbegrenzung im Fokus. Eines der Projektergebnisse ist die sogenannte BfR-Produktschutz-Checkliste. Es handelt sich dabei um ein einfach anzuwendendes Hilfsmittel zur Identifikation und Bewertung von Food Defense-Maßnahmen, welches 2014 veröffentlicht wurde und seitdem über die Internetseite des BfR frei verfügbar ist.Footnote 5

In dem vom Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Stuttgart bearbeiteten Forschungsprojekt „Vorsorge gegen Lebensmittelterrorismus (VoLT)“ wird aktuell der Stand der Umsetzung von Food Defense-Maßnahmen in ausgewählten Lebensmittelunternehmen in Baden-Württemberg anhand von Vor-Ort-Besuchen evaluiert und ein Austausch über das Thema angestoßen. Basierend auf den Erkenntnissen und Vorarbeiten aus dem SiLeBAT-Projekt wurde eine Checkliste zur Strukturierung der Fachbesuche und als Hilfsmittel für die Betriebe entwickelt und angewendet.

2 Vorgehensweise

Als Basis für die Erstellung der „Checkliste Food Defense“ diente die BfR-Produktschutz-Checkliste (see footnote 5), die anhand von aktuellen Informationen und Erkenntnissen weiterentwickelt wurde. Als weitere Grundlagen fanden interne Materialien von vorangegangenen projektbezogenen Arbeiten aus Baden-Württemberg Verwendung, sowie die Dokumente und Tools privatwirtschaftlicher Zertifizierungsstandards und amerikanischer Lebensmittelbehörden (IFS 2014; IFS 2022; BRCGS 2018; FSSC 2019; BSI 2017; FDA 2009; FDA 2021). Darüber hinaus erfolgte eine Abstimmung und ein fachlicher Austausch mit einzelnen Kontaktpersonen aus anderen Behörden und Institutionen sowie einer privaten Unternehmensberatung für Branchenstandards.

Die neu erstellte Checkliste wurde in der Praxis durch den direkten Einsatz bei angemeldeten Besuchen in Lebensmittelunternehmen unterschiedlicher Größe (mittelständische bis international agierende Betriebe) und unterschiedlicher Branchen (u.a. Lebensmittel tierischer Herkunft, Fertiggerichte, Mineralwasser, Brauereien, Großküche, Großlager) evaluiert und weiterentwickelt. Zudem wurden betriebsinterne Food Defense-Unterlagen gesichtet sowie bei einem Betriebsrundgang praktische Aspekte diskutiert. Erfahrungen aus diesen Betriebsbesuchen flossen kontinuierlich in die weitere Ausarbeitung der Checkliste ein.

3 Ergebnis

Die neue „Checkliste Food Defense“ wurde als Microsoft-Excel®-Datei erarbeitet und eignet sich zur digitalen und analogen Verwendung (Abb. 2). Die Checkliste umfasst 100 Fragen, die in die 10 Themenblöcke „Management“, „Personal (Mitarbeitende)“, „Externes Personal (Dienstleistungsunternehmen, Kundschaft, Besuchende)“, „Standort/Bauliche Bedingungen“, „Wareneingang und Lieferunternehmen“, „Produktion“, „Lagerung“, „Fertigwaren und Warenausgang“, „Zugriff auf Computersysteme“ und „Groß- und Einzelhandel; Abgabe an Endverbrauchende (u.a. Gastronomie)“ gegliedert sind (Abb. S2, Supplementary Material). Als Hilfestellung zur Beantwortung sind Unterfragen, Beispiele und Praxistipps aufgeführt. Zusätzlich werden im Tabellenblatt „Glossar“ die wichtigsten Begriffe erläutert. Zu jeder Frage können eigene Eintragungen, z.B. Anmerkungen oder Links zu Dokumenten, in die Spalte „Kommentar“ eingefügt werden.

Abb. 2
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Auszug aus dem Fragenkatalog der Checkliste Food Defense mit der Kurzform der Frage (Spalte 2), der eigentlichen Frage (Spalte 3), Unterfragen (Spalte 4), Praxistipps (Spalte 5), möglichen Antworten (Spalten 6–10): ja (j), teilweise (tw.), nein (n), nicht zutreffend (n.z.), nicht geprüft (n.g.) und einem Kommentarfeld (Spalte 11) sowie der zugeordnete Themenblock (grün hinterlegt, hier in Zeile 3)

4 Diskussion

Food Defense-Konzepte stellen eine sinnvolle Ergänzung zu anderen Konzepten des Lebensmittelschutzes dar. Trotz der Notwendigkeit zur Implementierung entsprechender Verfahren fehlt in deutschen Lebensmittelunternehmen häufig noch ein Bewusstsein für das Thema oder die Einrichtung geeigneter Maßnahmen. Zudem existieren nur wenige praktikable Hilfsmittel für Food Defense-Beauftragte. Vor diesem Hintergrund stellt die weiterentwickelte „Checkliste Food Defense“ ein einfach anzuwendendes Hilfsmittel für Lebensmittelbetriebe dar. Anhand der Fragen können Gefahrenstellen identifiziert sowie der Stand der Vorsorgemaßnahmen im Betrieb abgeschätzt werden. Die Checkliste ermöglicht Lebensmittelunternehmern einen unkomplizierten Einstieg in die Thematik sowie die Überarbeitung und Erweiterung bestehender Konzepte. Von der zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörde kann die Checkliste bei routinemäßigen Betriebskontakten genutzt werden, um einen thematischen Austausch anzuregen, die Verantwortlichen zu sensibilisieren und damit die Prävention gegen diese Art von Sicherheitsrisiken zu stärken. Eine vollständige Erfüllung der Vorgaben der Zertifizierungsstandards oder der amerikanischen Gesetzgebung kann die Checkliste jedoch nicht gewährleisten. In diesem Fall sollten weitere relevante Informationen bei den entsprechenden Stellen eingeholt werden.

5 Ausblick

Im aktuell am CVUA Stuttgart laufenden Projekt werden 2023 weitere Betriebsbesuche zum Thema Food Defense unter Einsatz der „Checkliste Food Defense“ durchgeführt. Weiterhin werden Einrichtungen der Lebensmittelüberwachung in Baden-Württemberg geschult sowie die Checkliste bei nationalen Tagungen und Veranstaltungen vorgestellt.