1 Einleitung

Die Beurteilung von Botanical-Produkten mit Gehalten an natürlich vorkommenden Pflanzenstoffen wie Curcumin oder Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC bzw. Δ9-THC) ist eine aktuelle Herausforderung bei lebensmittelrechtlichen Begutachtungen. So enthalten beispielsweise die im Trend liegenden cannabidiolhaltigen (CBD)-Produkte aus Hanfblättern oder Hanfblüten natürlicherweise THC. Somit kann bei diesen Erzeugnissen definitionsgemäß nach Art. 1 Abs. 1 der Kontaminanten-Kontrollverordnung (EWG) Nr. 315/93 (1993) nicht von einer Kontamination ausgegangen werden.

Es stellt sich die Frage, ob diese Erzeugnisse bei Überschreitung bestimmter toxikologischer Schwellenwerte nach Art. 14 Abs. 2b in Verbindung mit Abs. 5 der Lebensmittel-Basis-Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (2002) als für den menschlichen Verzehr ungeeignet eingestuft werden können, oder ob § 12 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) (2021) als Rechtsgrundlage zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher herangezogen werden sollte.

2 Zum Verzehr ungeeignete Lebensmittel nach Basis-Verordnung (EG) Nr. 178/2002

In Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (2002) werden Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit gestellt. Hier wird zwischen gesundheitsschädlichen und für den Verzehr durch den Menschen ungeeigneten Lebensmitteln unterschieden.

In Art. 14 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (2002) heißt es:

„Lebensmittel gelten als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie

  1. a)

    gesundheitsschädlich sind,

  2. b)

    für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind.

Zur Beurteilung, ob ein Lebensmittel als gesundheits-schädlich im Sinne des Art. 14 Abs. 2a der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (2002) eingestuft wird, ist Abs. 4 zu berücksichtigen. Wird das Lebensmittel nicht als gesundheits-schädlich beurteilt, kann es dennoch für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sein. Wann ein Lebensmittel im Sinne des Art. 14 Abs. 2b der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (2002) für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist, wird in Abs. 5 weiter konkretisiert:

Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet ist, ist zu berücksichtigen, ob das Lebensmittel infolge einer durch Fremdstoffe oder auf andere Weise bewirkten Kontamination, durch Fäulnis, Verderb oder Zersetzung ausgehend von dem beabsichtigten Verwen-dungszweck nicht für den Verzehr durch den Menschen inakzeptabel geworden ist.

Es stellt sich die Frage, in welchen Fällen Art. 14 Abs. 2b in Verbindung mit Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 greift.

Für Streinz und Meisterernst (2021) steht fest, dass die Aufzählung der Fälle von Abs. 5 abschließend ist und kein Spielraum gelassen werden kann. Zipfel und Rathke (2021) gehen hingegen davon aus, dass die Aufzählung nicht abschließend ist, da die Kriterien aus Abs. 5 nur „zu berücksichtigen“ sind. Demnach ist die Aufzählung zwar konstitutiv, jedoch schließe dies nicht gänzlich aus, dass das Lebensmittel auch aus anderen Gründen für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sein könnte. Dieser Standpunkt wurde durch einen Beschluss des Verwaltungsgerichts (VG) Stade bekräftigt (05.09.2019–6 B 735/19). In dem Beschluss wird die Auffassung vertreten, dass zu berücksichtigen sei, ob ein Lebensmittel durch Fremdstoffe oder eine andere Kontamination für den Verzehr ungeeignet wurde. Weiterhin wird ausgeführt, dass durch Abs. 5 unbeabsichtigte und von außen einwirkende Ursachen zwar in besonderem Maße berücksichtigt werden sollen, aller-dings weitere Gründe nicht ausgeschlossen seien. Auch der Beschluss des VG Karlsruhe (15.10.2020–3 K 2148/19) stimmt hiermit überein und spricht dem Art. 14 Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 keinen abschließenden Charakter zu.

In dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Baden-Württemberg (17.09.2020–9 S 2343/20), welcher im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes erging, wird hingegen die Anwendbarkeit des Art. 14 Abs. 2b in Verbindung mit Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 stark eingeschränkt. Gegenstand des Verfahrens waren Kurkuma-Kapseln, die als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben wurden. Durch die Einnahme einer Kapsel wurde bereits die akzeptable tägliche Aufnahmemenge (ADI = Acceptable Daily Intake) eines Erwachsenen für Curcumin überschritten, unter Einhaltung der empfohlenen Verzehrsmenge ergab sich eine ADI-Überschreitung um mindestens das Vierfache. Allerdings ist nach der Auffassung des VGH Baden-Württemberg (17.09.2020–9 S 2343/20) eine Beurteilung des Produkts nach Art. 14 Abs. 2b der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 als für den Verzehr ungeeignet „aller Voraussicht nach nicht tragfähig.

Wie eine Entscheidung zu THC zeigt, ist jedoch auch, falls lediglich die akute Referenzdosis (ARfD) überschritten wird und keine Überschreitung der niedrigsten Dosis mit beobachteter schädlicher Wirkung (LOAEL = Lowest-Observed-Adverse-Effect-Level) vorliegt, eine Beurteilung als gesundheitsschädliches Lebensmittel im Sinne des Art. 14 Abs. 2a der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 gemäß dem Beschluss des Bayerischen VGH (12.08.2021–20 CS 21.688) nicht möglich. Erst bei einer Überschreitung des LOAEL käme eine Beurteilung nach Art. 14 Abs. 2a der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 in Frage (vgl. Beschluss VGH Baden-Württemberg vom 09.03.2022–9 S 3426/21). Ähnliches geht aus einem Beschluss des VG Karlsruhe (10.11.2021–6 K 3729/21) hervor, wo es heißt, dass die bloße Überschreitung des ADI-Wertes nicht ausreichen dürfte, um eine gesundheitsschädliche Wirkung in einem curcuminhaltigen Nahrungsergänzungsmittel zu begründen.

Für Fälle außer den eindeutigen Tatbeständen Fäulnis, Verderb oder Zersetzung, die unter Art. 14 Abs. 2b in Verbindung mit Abs. 5 fallen, muss somit festgestellt sein, dass eine Kontamination des Lebensmittels beispielsweise durch Kontakt mit kontaminierten Geräten erfolgte, also eine stoffliche Änderung stattfand. Dies ist bei Botanicals nicht gegeben, da die bedenklichen Stoffe natürlicherweise in den Pflanzen enthalten sind und absichtlich als Lebensmittelzutat eingesetzt werden. Anhand verschiedener Ge-richtsurteile zu CBD- und Kurkuma-Produkten wird deutlich, dass die Beurteilung dieser Fälle, wie z. B. THC in CBD-Produkten oder Curcumin in Kurkuma, besonders herausfordernd ist (Tab. 1). Dennoch ist bei der Beurteilung zu beachten, dass diese Pflanzeninhaltstoffe in der Regel ab-sichtlich in konzentrierter Form im Endprodukt vorliegen und nicht mehr dem ursprünglichen natürlichen Gehalt des Ausgangsmaterials entsprechen. Es handelt sich um Pflanzenextrakte und/oder um Substanzen, die aus Pflanzen isoliert und als Zutat weiterverwendet werden. Auf diesem Weg werden den Verbraucherinnen und Verbrauchern Erzeugnisse mit Stoffen und Stoffgemischen in Mengen zur Verfügung gestellt, die er im Rahmen einer normalen Ernährung oder Nahrungsergänzung niemals aufnehmen würde und deren genaue gesundheitlich-toxikologische Wirkung im Einzelfall oft nicht quantitativ abschätzbar ist. Schwierigkeiten bestehen darüber hinaus bei Stoffen, für die keine der genannten toxikologischen Schwellenwerte mangels Datenlage vorliegen.

Tab. 1 Gerichtsurteile zu Beanstandungen verschiedener CBD- und Curcumin-Produkte

Aus naturwissenschaftlich-toxikologischer Sicht sind die genannten verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen zumindest fragwürdig, da die Gerichte offensichtlich grund-legende Prinzipien der Ableitung gesundheitlicher Richt-werte verkannt haben. Die niedrigste Dosis mit beobachteter schädlicher Wirkung (LOAEL) ist die niedrigste Dosis eines Stoffs, bei der in einer exponierten Population nachteilige Wirkungen beobachtet wurden. Es wäre somit bedenk-lich, würde die Beurteilung nur auf den LOAEL abgestellt. Bei der Ableitung gesundheitlicher Richtwerte wird immer ein Sicherheitsfaktor auf diese Art “Point of Departure” aufgeschlagen (EFSA 2012). Des Weiteren sind gem. Abs. 4 bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel gesundheitsschädlich ist, auch die wahrscheinlichen, sofortigen und/oder kurzfristigen negativen Auswirkungen des Lebensmittels auf die Gesundheit der Verbraucherin und des Verbrauchers und die denkbaren kumulativen toxischen Auswirkungen zu berücksichtigen. Insofern liegt auch im Bereich zwischen ARfD und LOAEL ein Risiko vor, dass nach unserer Auffassung für ein Lebensmittel, bei dem ein lebenslanger täglicher Verzehr unterstellt werden muss (BfR 2021), nicht akzeptabel ist.

Andererseits entfalten verwaltungsgerichtliche Ent-scheidungen, gerade solche in zweiter Instanz wie die des VGH Baden-Württemberg (09.03.2022–9 S 3426/21), eine zumindest faktische Bindungswirkung. Laut Maisack (2022) ist es „guter Brauch bei den nachgeordneten Gerichten und Behörden (insbesondere also bei den Verwaltungsgerichten und den Amts- und Landgerichten), sich an der Rechtsprechung ihrer Obergerichte in vergleichbar gelagerten Fällen zu orientieren. Denn jeder nachgeordnete Richter muss damit rechnen, dass das Obergericht an seiner Rechtspre-chung festhalten und deshalb Entscheidungen von nachgeordneten Gerichten und Behörden, die davon abweichen, im Rechtsmittelverfahren entsprechend abändern oder aufheben wird. Die Orientierung an der obergerichtlichen Rechtsprechung verhindert also die Abänderung bzw. Aufhebung der eigenen Entscheidungen in einem anderenfalls stattfindenden Berufungs- bzw. Beschwerdeverfahren, vermeidet für die Prozessbeteiligten die mit diesen Verfahren verbundenen Kosten und gibt dem rechtssuchenden Bürger ein notwendiges Stück Rechtssicherheit.

Somit besteht bei Produkten mit natürlichen Stoffen, deren konzentrierte Gehalte zwar über toxikologischen Schwellenwerten aber unterhalb von Gehalten mit tatsächlich beobachteten schädlichen Effekten liegen, nach Lesart der Gerichte eine europarechtliche Regelungslücke im Verbraucherschutz. Dies wird im Folgenden an zwei Beispielen genauer ausgeführt.

3 Fallbeispiel 1: THC in Hanf-Produkten

Bereits seit einigen Jahren wächst der Markt an Hanfprodukten (Lachenmeier et al. 2019). Die meisten Produkte sind aber aufgrund fehlender Novel Food-Zulassung unzulässig (Lachenmeier et al. 2020). Abgesehen von den legalen aus Samen gewonnen Produkten wie z. B. Ölen und Mehl, sind weitere Hanf- und CBD-haltige Lebensmittel auf dem Markt zu finden. Aufgrund einer Vielzahl von wissenschaftlich nicht hinreichend sicher belegten kommerziellen Informationen vor allem im Internet erwarten die Verbraucherinnen und Verbraucher einen ernährungsphysiologischen oder gesundheitlichen Vorteil durch den Verzehr dieser Produkte. Hierdurch ist ein regelrechter „Hype“ um diese Produkte entstanden. Die Vermarktung als Lifestyleprodukte findet nahezu keine Grenzen. Neben weiteren Cannabinoiden können diese Produkte auch THC enthalten (Lachenmeier et al. 2019). THC ist ein psychotroper Inhaltsstoff, der für die berauschende Wirkung des Hanfs verantwortlich ist. THC wird in den Drüsenhaaren der Hanfpflanze gebildet. Diese sind mit Ausnahme der Samen und Wurzeln auf der gesamten Pflanze verteilt (BfR 2021; Lachenmeier 2004; Lachenmeier et al. 2019). Sofern ausschließlich die Samen verwendet werden, kann THC nur durch Kontamination mit den Drüsenhaaren in Lebensmitteln gelangen. Bei der Verwendung anderer Pflanzenteile ist THC natürlicherweise enthalten und kann je nach Herstellungsverfahren in unterschiedlichen Konzentrationen im Endprodukt enthalten sein (Lachenmeier et al. 2019).

Die Aufnahme von THC kann Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem und das Herz-Kreislauf-System haben. Aufgrund dessen hat die EFSA zur toxikologischen Einstufung von THC bei einer oralen Dosis einen LOAEL von 2,5 mg Δ9-THC pro Tag festgelegt. Bei einer Person mit 70 kg Körpergewicht (KG) entspricht dieser Wert einer Aufnahme von 36 µg/kg KG. Aus dem LOAEL wurde unter Berücksichtigung von Sicherheitsfaktoren eine ARfD von 1 µg Δ9-THC pro kg KG abgeleitet (EFSA 2015).

Für die Bewertung von THC-haltigen Produkten muss nun unterschieden werden, ob eine Kontamination vorliegt, wie es bei Hanfsamen der Fall ist, oder ob THC natürlicherweise in den Produkten enthalten sein kann. Des Weiteren muss eine Überschreitung des LOAEL überprüft werden. Wird der LOAEL überschritten, wird das Produkt als gesundheitsschädlich im Sinne des Art. 14 Abs. 2a der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 beurteilt. Im Falle einer Kontamination, wie sie bei THC-Gehalten in Hanfsamenprodukten vorliegt, mit Ausschöpfung der ARfD aber gleichzeitiger Unter-schreitung des LOAEL, kann Art. 14 Abs. 2b der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 zur Beurteilung herangezogen werden und das Produkt als für den Verzehr ungeeignet eingestuft werden. Bei Produkten, bei denen der THC-Gehalt oberhalb der ARfD aber unterhalb des LOAEL liegt und THC natürlicherweise vorkommt, wird die Beurteilung herausfordernder, da weder eine Einstufung als gesundheits-schädlich im Sinne des Art. 14 Abs. 2a (vgl. Beschluss des Bayerischen VGH vom 12.08.2021–20 CS 21.688), noch eine Beurteilung als für den Verzehr ungeeignet im Sinne des Art. 14 Abs. 2b in Verbindung mit Abs. 5 der Verord-nung (EG) Nr. 178/2002 möglich ist (vgl. Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 17.09.2020–9 S 2343/20), sofern man der Lesart der Gerichte folgt. Diese Unter-scheidung zwischen natürlichem Vorkommen und Kontamination lässt sich nur anhand der verwendeten Pflanzenteile belegen und ist analytisch nicht möglich. Die Produkte sind jedoch gleichermaßen für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet, da es für die Wirkung im Menschen unerheb-lich ist, aus welcher Quelle eine Substanz stammt, die einen toxikologischen Schwellenwert überschreitet. Ein gegenüber unseren früheren Überlegungen (Lachenmeier et al. 2019) aktualisierter Entscheidungsbaum für die recht-liche Beurteilung von Hanfprodukten ist in Abbildung 1 dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Entscheidungsbaum zur regulatorisch-toxikologischen Bewertung von THC in Hanflebensmitteln und verwandten Produkten (aktualisiert nach Lachenmeier et al. [2019])

4 Fallbeispiel 2: Curcumin in Nahrungsergänzungsmitteln

Curcumin ist ein sekundärer Pflanzeninhaltsstoff der natürlicherweise in Kurkuma enthalten ist. Durch Extraktion wird Curcumin aus den gemahlenen Rhizomen der verschiedenen Kurkumaarten, wie beispielsweise Curcuma longa L., gewonnen (BVL 2020; EFSA 2010; Kuntz et al. 2021). Kurkuma bzw. Curcumin findet häufig Anwendung als traditionelles Arzneimittel und Gewürz, aber auch als Lebensmittelzusatzstoff (als Farbstoff E 100) oder als Bestandteil von Nahrungsergänzungsmitteln (BVL/BfArM 2020).

Im Zuge der Bewertung von Curcumin als Lebensmittelzusatzstoff hat die EFSA einen ADI von 3 mg/kg KG und Tag abgeleitet basierend auf einem „No Observed Adverse Effect Level“ (NOAEL) von 250–320 mg/kg KG/Tag aus einer Reproduktionstoxizitätsstudie an Ratten. Der NOAEL ist die Dosis, bei der noch keine signifikant erhöhten toxischen Effekte beobachtet wurden. Sensitiver Endpunkt war dabei eine verminderte Körpergewichtszunahme nachfolgender Rattengenerationen (EFSA 2010). In einer aktuellen Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) vom 14. Dezember 2021 zu Curcumin in Nahrungsergänzungsmitteln zeigt das BfR auf, dass der ADI oft allein durch den Verzehr curcuminhaltiger Nahrungsergänzungsmittel überschritten werden kann (BfR 2021a). Es werden darüber hinaus Fallberichte erwähnt, die Hinweise auf potenziell leberschädigende Effekte von curcuminhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln geben. Meist enthielten diese Produkte außerdem noch weitere Zusätze zur Verbesserung der Bioverfügbarkeit von Curcumin, wie z. B. Piperin (BfR 2021a).

Überschreitet der Curcumingehalt den ADI, so muss im Einzelfall geprüft werden, ob das Produkt als gesundheits-schädlich im Sinne des Art. 14 Abs. 2a der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 beurteilt werden kann. Im Gegensatz zu Cannabis, dessen toxikologische Erkenntnisse auf Humandaten beruhen, muss dabei für Curcumin die durch die notwendige Extrapolation von Daten aus Tierversuchen entstehende Unsicherheit berücksichtigt werden. Insofern ist hier auch bereits bei Überschreitung des ADI-Wertes eine Bewertung als „gesundheitsschädlich“ denkbar. Dem lebensmittelchemisch-toxikologischen Sachverständigengutachten kommt dabei im Einzelfall ein immer höherer Stellenwert zu.

In einem Beschluss des VG Freiburg (24.03.2022–13 K 744/22) wurde das Verbot zum Inverkehrbringen von verschiedenen curcuminhaltigen Nahrungsergänzungsmitteln aufgrund deren Gesundheitsschädlichkeit zumindest teilweise bestätigt: Bei zwei Produkten wurde nicht nur wegen der mehrfachen Überschreitung des ADI-Wertes, sondern auch wegen Verstößen gegen die Dosierungsvorgabe bzw. die Kennzeichnungspflicht das überwiegende öffentliche Vollzugsinteresse festgestellt. Hingegen sieht das Gericht bei zwei weiteren Produkten das allenfalls mögliche Maß an Gesundheitsschädlichkeit mit einer eher geringen Über-schreitung des ADI als überschaubar an. Eine Beurteilung nach Art. 14 Abs. 2b in Verbindung mit Abs. 5 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 als für den Verzehr ungeeignet kann für diese Produkte jedoch ebenfalls nicht erfolgen, falls man davon ausgeht, dass dafür eine stoffliche Veränderung des Lebensmittels durch äußerlich einwirkende Ursachen stattgefunden haben muss (vgl. Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 17.09.2020–9 S 2343/20).

5 Für den Verzehr ungeeignete Lebensmittel nach § 12 LFGB

In Fällen, bei denen weder eine Beurteilung nach Art. 14 Abs. 2a in Frage kommt, noch Abs. 2b der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 einschlägig ist, ist zu prüfen, ob eine Beurteilung nach § 12 LFGB möglich ist.

Mit Inkrafttreten des Vierten Gesetzes zur Änderung des LFGBs entfielen die Irreführungstatbestände nach § 11 Abs. 2 Nr. 2 LFGB a. F., da diese laut dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung (2020) bereits durch Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 abgedeckt sind. Die restlichen Fälle, die durch den § 11 Abs. 2 Nr. 1 LFGB (2013) in der Fassung vom 3. Juni 2013 erfasst wurden, wurden im Zuge der Änderung im September 2021 in § 12 LFGB (2021) unverändert überführt:

„Es ist ferner verboten, andere als dem Verbot des Artikels 14 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2b der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 unterliegende Lebensmittel, die für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind, gewerbs-mäßig in den Verkehr zu bringen.

Nach der Einführung des Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002, wurden viele Fälle des § 17 Abs. 1 Nr. 1 LMBG durch Art. 14 Abs. 2b überlagert. Für alle verblei-benden Fälle wollte der deutsche Gesetzgeber dennoch eine eigenständige Regelung schaffen und so das Inverkehr-bringen unterbinden. Infolgedessen wurde § 17 Abs. 1 Nr. 1 LMBG in § 11 Abs. 2 Nr. 1 LFGB überführt. Gemäß dem Kommentar von Meisterernst umfasste der Begriff der zum Verzehr ungeeigneten Lebensmittel aus § 17 Abs. 1 Nr. 1 LMBG auch Fälle des Widerwillens oder Ekels (Streinz und Meisterernst 2021). Hierunter fielen auch Lebensmittel, die unter unhygienischen Umständen hergestellt, verarbeitet oder gelagert wurden und bei denen es zu keiner nachweislichen stoff-lichen Beeinträchtigung kam. Aus den Anmerkungen im Gesetzesentwurf der Bundesregierung (2004) zur Neuordnung des Lebensmittel- und des Futtermittelrechts aus dem Jahr 2004 geht hervor, dass sich § 11 Abs. 2 Nr. 1 LFGB nicht auf solche Lebensmittel, die aufgrund stofflicher Veränderungen oder Beeinträchtigungen genussuntauglich oder erkennbar von ekelerregender Beschaffenheit sind, beziehen sollte, da diese Fälle bereits von Art. 14 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2b der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 erfasst werden. § 11 Abs. 2 Nr. 1 sollte jene Fälle abdecken, in denen ein Lebensmittel ohne äußerlich erkennbare Veränderung Ekel oder Widerwillen bei Kenntnis der Produktionsbedingungen auslösen würde, z. B. Brot, über das Mäuse gelaufen sind (Bundesrat 2020). Der VGH Baden-Württemberg hat mit Beschluss vom 21.5.2019 (9 S 584/19) Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des § 11 Abs. 2 Nr. 1 LFGB mit dem Unionsrecht geltend gemacht.

Im Jahr 2021 wurde das LFGB erneut aktualisiert. In dem damaligen Gesetzesentwurf kam die Bundesregierung (2020) zu dem Schluss, am Verbot des § 11 Abs. 2 Nr. 1 fest-zuhalten, da derartige Fälle weiterhin nicht von Verordnung (EG) Nr. 178/2002 abgedeckt sind. Es wird ausgeführt, dass solche Fälle nun von § 12 LFGB erfasst sind. Im Gesetzgebungsverfahren nicht explizit erwähnt wurden Fälle mit natürlich vorkommenden, aber aus toxikologischer Sicht unerwünschten Stoffen, deren Gehalte nicht derart hoch sind, dass sie unmittelbar als gesundheitsschädlich beurteilt werden könnten. Allerdings ist der § 12 LFGB offen formuliert und nicht ausdrücklich auf Ekelfälle beschränkt und kann somit nach Meinung der Autorinnen und Autoren auch noch andere Fälle abdecken. Aus toxikologischer Sicht und für einen angemessenen und wirksamen Ver-braucherschutz wäre zudem nicht akzeptabel, § 12 LFGB für solche kritischen Fälle nicht anzuwenden und nur auf Ekelfälle zu beschränken. In Analogie zu den aufgeführten Ausführungen zu Ekel würden Lebensmittel mit überschrittenen toxikologischen Schwellenwerten vermutlich bei Verbraucherinnen und Verbrauchern ebenso einen Widerwillen auslösen, das Lebensmittel zu verzehren, wenn dieser Tatbestand bekannt geworden wäre. Beispielsweise hat eine repräsentative Verbraucherbefragung ergeben, dass etwa die Hälfte der Befragten angibt, sehr bewusst mit belasteten Lebensmitteln umzugehen und Lebensmittel zu meiden, denen eine hohe Belastung mit unerwünschten Stoffen nachgesagt wird (Koch et al. 2017).

6 Fazit

Durch verwaltungsgerichtliche Entscheidungen (vgl. Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 17.09.2020–9 S 2343/20) wurde der Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 2b der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 enger gefasst. Für Fälle, die keinem der Absätze nach Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 unterfallen, würde daher nach Auffassung der Autorinnen und Autoren der § 12 LFGB greifen. Dieser Paragraph ist nach der Anmerkung im Entwurf des Vierten Gesetzes zur Änderung des LFGB sowie anderer Vorschriften für die Beurteilung von Lebensmitteln vorgesehen, die für den Verzehr ungeeignet sind, auch wenn keine stoffliche Veränderung stattgefunden hat. Eine ausdrückliche Beschränkung auf „Ekelfälle“ ist zudem nicht vorhanden. Somit ist eine Beurteilung von Produkten mit natürlich vorkommenden Stoffen, die toxikologische Schwellenwerte überschreiten, nach teleologischer Auslegung des § 12 LFGB möglich und sinnvoll.