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Im Schatten keines Zweifels. Jehan Renarts Lai de l’ombre und die Auflösung des moralischen Dilemmas im Gleichnis

In the Shadow of No Doubt. Unravelling the Moral Dilemma Through Analogy: Jehan Renart’s Lai de l’ombre

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Abstract

The following article uses the example of Jehan Renart’s Lai de l’ombre to focus on a specific mode of presentation by means of exempla, in which a metaphorical concept–in this case the ›shadow‹–acts as the guiding force in order to structure the protagonists’ innate thoughts and speech acts in the text. With the adventure of the well in the Roman de Renart and its Middle High German adaptation in Heinrich der Gleißner’s Reinhart Fuchs in mind, the inner mechanism of the Minneexempel (love exemplum) can be interpreted as the systematic construction of an analogy. This interpretation allows for viewing the transformations of the umbra-motif as separate stages in the conception of a typos. With the help of this allegorical model, transmission (in language) and retransmission (in the material symbol of the ring) are used to redirect the urgedriven violence of minne towards a virtual space where the lovers can bond in a way that would be impossible for them without the analogy.

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Literatur

  1. Vgl. Ostmeyer, Karl-Heinrich: »Typos–weder Urbild noch Abbild«. In: Ruben Zimmermann (Hg.): Bildersprache verstehen. Zur Hermeneutik der Metapher und anderer bildlicher Sprachformen. Mit einem Geleitwort von Hans-Georg Gadamer. München 2000, S. 215–236, hier S. 217.

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  6. Agamben, Giorgio: Stanze. La parola e il fantasma nella cultura occidentale. Turin 1977, S. 79 (dt.: Stanzen. Das Wort und das Phantasma in der abendländischen Kultur. Aus dem Italienischen von Eva Zwischenbrugger. Zürich/Berlin 2005, S. 116). Das Minneexempel wird zitiert nach den folgenden Ausgaben: Le Lai de L’Ombre. Hg. Joseph Bédier. Paris 1913; Jehan Renart: Le Lai de L’Ombre. Übersetzung und Einführung von Adrian Tudor. Text hg. von Alan Hindley und Brian J. Levy. Liverpool 2004. http://www.liv.ac.uk (02.04.2015).

  7. Vgl. Dougherty, M.V.: Moral Dilemmas in Medieval Thought. From Gratian to Aquinas. Cambridge, Mass./New York 2011. Eine Lektüre des Lai de l’ombre und seiner argumentativen Strategien vor dem Hintergrund der Tradition ethischer perplexitas-Exempel wäre eine lohnende Aufgabe, die hier nicht bearbeitet wird. Für den Hinweis auf jene Schnittstelle von Ethik und Logik danke ich Björn Reich.

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  8. Vgl. für die literarischen Analoga den Kommentar zu Strickers »Der arme und der reiche König«. In: Grubmüller, Klaus (Hg.): Novellistik des Mittelalters. Märendichtung. Frankfurt a.M. 1996, S. 1051 f.

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  11. Zur Strategie des bien dire und zur Frage nach ihrem spielernsten Wahrheitsanspruch im Lai de l’ombre vgl. Dragonetti, Roger: Le mirage des sources. L’art du faux dans le roman médiéval. Paris 1987, S. 130–148. Dragonetti vergleicht die Rationalität des Lais wegen der Charakterisierung des Ritters als exzellenten Spielers und nicht zuletzt wegen des zugweisen Aufbaus des Sophismas in den Dialogpartien mit der Logik des Schachspiels und seiner engen Verknüpfung mit der Patho-Logik der minne in der höfischen Kultur. Er sieht darin einen ausschlaggebenden Grund für die fortlaufende Parallelisierung des Protagonisten mit der Figur Tristans, der das Spiel zugleich meisterhaft beherrscht und sich darin verliert: »dans le Lai la maîtrise du chevalier se manifeste dans tous les jeux et surtout dans celui des échecs, au point de mériter d’être comparée à celle de Tristan, ce trait se rapporte à l’épisode de la légende où Tristan, invité par les marchands à jouer aux échecs sur leur bateau, prévoit tous les coups de son partenaire, sauf celui du capitaine, qui, levant les amarres, emporte Tristan en haute mer« (S. 132).

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  12. Die Brunnenepisode wird zitiert nach den folgenden Ausgaben: Le Roman de Renart. Hg. Ernest Martin. Bd. 1. Straßburg 1882, S. 146–159 (br. IV); Heinrich der Glîchezâre: Reinhart Fuchs. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Hg. Karl-Heinz Göttert. Stuttgart 1976, V. 823–1030.

  13. So etwa im altfranzösischen Lai de Narcisse, wo der Blick des Protagonisten auf die Wasseroberfl äche der Quelle ihn eine fee de mer (V. 651), ninphe oder sonstige Göttin (duesse, V. 676 f.) sehen lässt; vgl. Thiry-Stassin, Martine/ Tyssens, Madeleine (Hg.): Narcisse. Conte ovidien français du XIIe siècle. Edition critique. Paris 1976. Dieser imaginäre Geschlechtswechsel beim Blick in den Spiegel hat–anders als manche moderne Leser meinten–nichts mit homophoben Intentionen mittelalterlicher Erzähler zu tun, die den homoerotischen Text Ovids bereinigen wollten. Vielmehr geht es darum, die Diagnose der Liebeskrankheit bei Narziss zu präzisieren. Sein Wunsch, gerichtet an das Bild im Brunnen–mostre tot ton cors! (V. 680)–, entspringt dem Minnewahn des amor heroicus als einer Krankheit zum Tode. Seine Einlösung liefe darauf hinaus, dass der Liebende sein Innerstes gewaltsam nach außen zu stülpen hätte, da die weibliche imago nichts anderes vor Augen stellt als die mentale Realität des perfekten inneren Bildes: des erotischen Phantasmas im allgemeinsten Sinne, das in der Glanzerscheinung der Nymphe auch den Nymphensohn zu schauen erlaubt.

  14. Zum intertextuellen Spiel zwischen dem Lai de Narcisse und dem Lai de l’ombre vgl. Gier, Albert: »L’Anneau et le Miroir. Le Lai de l’ombre à la lumière de Narcisse«. In: Romanische Forschungen 110 (1998), S. 445–455.

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  15. Vgl. Fabel Nr. 9: Ἀλώπεξ καὶ τράγος ἐν φρέατι. In: Aesopica. A Series of Texts relating to Aesop or ascribed to him or closely connected with the Literary Tradition that bears his Name. Hg. Ben Edwin Perry. Bd. 1: Greek and Latin Texts. Urbana 1952, S. 325. Zum variantenreichen, international verzweigten Erzählmuster vgl. Lieb, Ludger: Art. »Rettung aus dem Brunnen«. In: Rolf Wilhelm Brednich (Hg.): Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Berlin 2004, Bd. 11, Sp. 608–618.

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  16. Vgl. Eine Schweizer Kleinepiksammlung des 15. Jahrhunderts. Hg. Hanns Fischer. Tübingen 1965, Nr. 2, S. 2–5.

  17. Problematisch scheint mir dagegen die These, die Robert Pensom auf der Basis eines freudianischen Bewusstseinskonzepts aufstellt. In Unkenntnis der für das Verständnis höfischer Minne unverzichtbaren Vorstellung erotomagischer Fremdsteuerung der Seele und ihres Wahrnehmungsapparats unterstellt er dem Lai eine ironische Darstellungsintention und der Dame in diesem Kontext ein dissimulatives Verhalten, mittels dessen ihr Es das normentreue Über-Ich zu hintergehen versuche: »She is a conspirator in a plot to outwit herself«; Pensom, Robert: »Psychology in the Lai de l’ombre«. In: French Studies 36 (1982), S. 257–269, hier S. 263. Damit nimmt Pensom dem Minneexempel jene lebensweltliche Brisanz, die für höfische Literatur charakteristisch ist: die (spielernste) Suche nach Strategien für den Umgang mit und für die Limitierung von Gewaltverhältnissen, zu denen nicht zuletzt die minne zählt.

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  18. Zur Strömungsmetaphorik in der hochmittelalterlichen Minnedidaktik, die den beweglichen muot in der Kommunikation zwischen Seelengrund und Leibesoberfläche mit den Umwälzungen des Wassers zwischen tiefem Grund und Oberfläche korreliert, vgl. die fulminante Lektüre der Klage Hartmanns von Aue in Strittmatter, Ellen: Poetik des Phantasmas. Eine imaginationstheoretische Lektüre der Werke Hartmanns von Aue. Heidelberg 2013, S. 143–209.

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  19. Kay, Sarah: »Two Readings of the Lai de L’Ombre«. In: Modern Language Review 75 (1980), S. 517–527, hat darauf aufmerksam gemacht, dass solche Responsivität des Spiegelbilds das bloß flüchtige, jede Antwort verweigernde simulacrum aus Ovids Narcissus-Metamorphose umdeutet: »But whereas in the Narcissus story the watery reflection is a model of unresponsiveness, in the Lai de l’Ombre the disappearance of the image is interpreted as a sign of receptivity« (S. 526).

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Scheuer, H.J. Im Schatten keines Zweifels. Jehan Renarts Lai de l’ombre und die Auflösung des moralischen Dilemmas im Gleichnis. Z Literaturwiss Linguistik 45, 67–82 (2015). https://doi.org/10.1007/BF03379911

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