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Ambivalente Bewertungen eigener und fremder Autorschaft in Bertolt Brechts Flüchtlingsgesprächen

Ambivalent Evaluation of Authorship in the Dialogue Cycle Flüchtlingsgespräche by Bertolt Brecht

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Abstract

In the dialogue cycle Flüchtlingsgespräche the fictive dialogue partners become authors in more than one way: Aside from creating contributions to their highly artistic conversation Kalle and Ziffel develop several signs of a new pictographic writing system and moreover Ziffel makes an attempt to write his memoirs. All these forms of authorship result from the dialogue between the refugees and in all cases the authors alternate between respect and low regard for their own products. Hints at Brecht’s attitude towards his own authorship may be gained by the analysis of some of his anonymous self-quotations in the dialogue cycle: It seems that he focuses on the practical use, not on the intrinsic value of his works, and wants his readers to do the same. In another reading Kalle’s and Ziffel’s ambivalent attitude towards authorship can be interpreted as an extreme type of (dialogical) unreliability. The shifting evaluation of creative acts refers to an ideological instability or incoherence of Kalle’s and Ziffel’s world–the fictive counterpart of Brecht’s own reality: In a world, whose political and military constellations are intricate and can change within hours, the value of creative production cannot be determined in a reliable, permanent way.

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Literatur

  1. Vgl. zu den vom Konzept des impliziten Autors ausgehenden Forschungsansätzen etwa: Kindt, Tom/ Hans-Harald Müller: The implied author. Concept and controversy. New York/Berlin 2006.

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  2. So etwa in der Vorrede von Thomasius, Christian: Freymüthige Lustige und Ernsthaffte iedoch Vernunfft= und Gesetz=Mäßige Gedancken Oder Monats=Gespräche […], Bd. 1. Halle 1690.

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  3. Im Folgenden allen Zitaten und Textverweisen zugrunde gelegt und mit der Sigle ›F‹ im fortlaufenden Text zitiert wird die Ausgabe Brecht, Bertolt: Flüchtlingsgespräche. Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. Hg. von Werner Hecht u. a. Berlin/Weimar/Frankfurt a. M. 1995, Bd. 18, S. 195–327. Die Werkausgabe wird in den Fußnoten nachfolgend mit ›GBA‹ abgekürzt.

  4. Vgl. zu diesen Strukturauffälligkeiten auch Michel, Karl Markus: »Der Sozialist und der Andere. Bertolt Brecht: ›Flüchtlingsgespräche‹« (Rezension). In: Frankfurter Hefte 16 (1961), S. 559–561, hier S. 560

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  5. Neureuther, Hans Peter: »Flüchtlingsgespräche. Entstehung, Quellen, Struktur«. In: Jan Knopf (Hg.): Brecht-Handbuch in fünf Bänden. Stuttgart/Weimar 2002, Bd. 3, S. 333–348, hier S. 340

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  6. Bartl, Andrea: »Transitorische Ästhetik. Bertolt Brechts ›Flüchtlingsgespräche‹ und einige exemplarische Fragen zum Schreiben im Exil«. In: Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik 5 (2010), S. 280–283, hier S. 282. Auf wichtige Unterschiede zwischen den Redebeiträgen Kalles und Ziffels hat schon

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  8. Vgl. ähnlich zu dieser Textpassage auch Rothschild, Thomas: »Mit Entsetzen Scherz. Exil als Bedingung und Thema von Brechts Flüchtlingsgesprächen und Werfels Jacobowski und der Oberst«. In: Peter Csobádi u. a. (Hg.): Das (Musik-)Theater in Exil und Diktatur. Vorträge und Gespräche des Salzburger Symposions 2003. Anif/Salzburg 2005, S. 713–727, hier S. 716.

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  9. Vgl. zu den Erzählerberichten in den Flüchtlingsgesprächen auch Häußler, Inge: Untersuchungen zur Problematik und Gestalt der deiktischen Prosa Bertolt Brechts–dargestellt an den »Geschichten vom Herrn Keuner« und den »Flüchtlingsgesprächen«, Diss. phil. masch. Jena 1978, S. 314–324 u. ö.

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  11. Vgl. zur Ohnmacht der Flüchtlinge in ihrer spezifischen Situation schon Motekat (wie Anm. 9), S. 53; Cases, Cesare: Stichworte zur deutschen Literatur. Kritische Notizen. Wien u. a. 1969, S. 203, 207

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  12. Müller, Klaus-Detlef: »Angestiftet von Diderot. Brechts ›Flüchtlingsgespräche‹«. In: Werner Frick/ Fabian Lampart/ Bernadette Malinkowski (Hg.): Literatur im Spiel der Zeichen. Festschrift für Hans Vilmar Geppert. Tübingen 2006, S. 238–254, hier S. 252.

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  13. Die Zusammenhänge zwischen Sprache, Denken und Handeln in den Flüchtlingsgesprächen werden u. a. erörtert von Stammen, Theo: »Exil als Lebens- und Denkform. Zu Brechts ›Flüchtlingsgesprächen‹«. In: Ders./Helmut Koopmann (Hg.): Bertolt Brecht–Aspekte seines Werkes, Spuren seiner Wirkung, 2., erweiterte Auflage. München 1994, S. 273–302, hier besonders S. 296–300.

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  14. Ambivalent wird das Schriftprojekt bemerkenswerterweise nicht nur von Kalle, sondern auch von einem Interpreten der Flüchtlingsgespräche beurteilt. Dieter Thiele weist im Hinblick auf die »Ziffel- und Kalle-Schrift« darauf hin, dass zwar eigentlich »die gesellschaftliche Realität « selbst »und nicht deren sprachliche[r] Ausdruck« verändert werden müsse, dass aber »im antifaschistischen Kampf […] auch das Kleinste« nötig sei (Thiele, Dieter: »Proletarier und Intellektuelle. Brechts ›Flüchtlingsgespräche‹ als Beitrag zur Bündnispolitik«. In: Weimarer Beiträge 24 (1978) Heft 1, S. 42–68, hier S. 63).

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  15. Vgl. etwa Bräuer, Gerd: Lernen im Dialog. Untersuchungen zu Bertolt Brechts ›Flüchtlingsgesprächen‹. Pfaffenweiler 1991, S. 3 u. ö.; Cases (wie Anm. 10), S. 205; Michel (wie Anm. 5); Motekat (wie Anm. 5), S. 59–60; Rothschild (wie Anm. 8), S. 721

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  16. Weißenstein, Ulrich: »Bertolt Brecht. Die Lehren des Exils«. In: Manfred Durzak (Hg.): Die deutsche Exilliteratur 1933–1945. Stuttgart 1973, S. 373–397, hier S. 391 u. ö.

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  17. In vielen Fällen werden Selbstzitate Brechts in den Flüchtlingsgesprächen nicht einmal explizit als solche kenntlich gemacht, vgl. etwa die Gedichtzeile »Das Volk schweigt in zwei Sprachen«, die Kalle in den Mund gelegt wird, (F, S. 277), dazu Knopf, Jan u. a.: Kommentar. In: GBA, Bd. 18, S. 602–603. Einen Überblick über die Selbst- und Fremdzitate in den Flüchtlingsgesprächen liefert etwa Neureuther (wie Anm. 5), S. 340–342. Interessante Überlegungen dazu finden sich etwa bei Bartl (wie Anm. 5), S. 283; Müller (wie Anm. 10), besonders S. 239–243. Allgemein zur Intertexualität bei Brecht vgl. Hakkarainen, Marja-Leena: Das Turnier der Texte: Stellenwert und Funktion der Intertextualität im Werk Bertolt Brechts. Frankfurt a. M. u. a. 1994.

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  18. Link, Hannelore: Rezeptionsforschung. Eine Einführung in ihre Methoden und Probleme. Stuttgart u. a. 1976, S. 22.

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  20. Nünning, Ansgar: »Renaissance eines anthropomorphisierten Passepartouts oder Nachruf auf ein literaturkritisches Phantom? Überlegungen und Alternativen zum Konzept des ›implied author‹«. In: DVjs 67 (1993) S. 1–25, hier S. 4.

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  21. Karcher, Simon: Sachlichkeit und elegischer Ton. Die späte Lyrik von Gottfried Benn und Bertolt Brecht–ein Vergleich. Würzburg 2006, S. 72.

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  22. Zur Bedeutung des »Gebrauchswerts« von Literatur für Brecht vgl. etwa GBA, Bd. 21, S. 191–193, hier S. 191 (»Kurzer Bericht über 400 (vierhundert) junge Lyriker«). Ausführliche Hinweise zum Autorschaftsverständnis Brechts bzw. seinem Selbstverständnis als Dichter gibt Becker, Sabina: »Autorschaft versus Dichtertum. Moderne-Konzepte bei Brecht und Benn«. In: Achim Aurnhammer/ Werner Fricke/ Günter Saße (Hg.): Gottfried Benn–Bertolt Brecht. Das Janusgesicht der Moderne. Würzburg 2009, S. 255–271.

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  23. Über die Frage, wie Brecht zur Zeit seines Exils über die (künftige) Bedeutung seiner Autorschaft dachte, reflektiert Gudrun Pakendorf in einer beeindruckenden Interpretation seines Gedichts »Warum soll mein Name genannt werden?«, vgl. Pakendorf, Gudrun: »›Warum soll mein Name genannt werden?‹ Überlegungen zu Brechts Gedichten«. In: Hans-Jörg Knobloch/ Helmut Koopmann (Hg.): Hundert Jahre Brecht–Brechts Jahrhundert. Tübingen 1998, S. 83–98.

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  24. Dass die Benennung eines unzuverlässigen Erzählers immer schon eine »Interpretationsstrategie « darstellt, um der textinternen Diskontinuitäten Herr zu werden, betont, neben vielen anderen Forschern, Fludernik, Monika: »Unreliability vs. Discordance. Kritische Betrachtungen zum literaturwissenschaftlichen Konzept der erzählerischen Unzuverlässigkeit«. In: Fabienne Liptay/ Yvonne Wolf (Hg.): Was stimmt denn jetzt? Unzuverlässiges Erzählen in Literatur und Film. München 2005, S. 39–59, hier S. 39.

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  25. In jüngster Zeit hat die literaturwissenschaftliche Forschung allerdings zunehmend erkannt, dass sich narratologische Konzepte und Erkenntnisse auch dort fruchtbar machen lassen, wo ein Erzähler fehlt, vgl. für das Drama Nünning, Ansgar/ Roy Sommer: »The Performative Power of Narrative in Drama: On the Forms and Functions of Dramatic Storytelling in Shakespeare’s Plays«. In: Greta Olson (Hg.): Current Trends in Narratology. Berlin/New York 2011, S. 200–231, dort auch weitere Literatur. Die Berücksichtigung der Forschungen zum ›unzuverlässigen Erzählen‹ bei der Dramenanalyse halten Nünning und Sommer noch für ein Desiderat (vgl. ebd. S. 223–224), vgl. aber

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  26. Andronikashvili, Zaal: Die Erzeugung des dramatischen Textes. Ein Beitrag zur Theorie des Sujets. Berlin 2009, bes. S. 50–51, 95–97: Hier wird der Begriff der Unzuverlässigkeit auch auf das Drama angewendet. Zudem hat Tamar Yacobi bereits 1981 (Un-)Zuverlässigkeit als Merkmal von »literature as a whole« betrachtet und darauf hingewiesen, dass sie sowohl auf der Ebene der »interlocutors in dialogue«, als auch auf der Ebene des Erzählers und des Autors untersucht werden könne, vgl.

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  27. Yacobi, Tamar: »Fictional Reliabiltiy as a Communicative Problem«. In: Poetics Today 2 (1981) Heft 2, S. 113–126, hier S. 113.

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  28. Booth, Wayne C.: The Rhetoric of Fiction, 5. Aufl. Chicago/London 1965, S. 158–159 (Hervorhebungen im Original).

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  29. Martinez, Matias/ Michael Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie, 5. Aufl. München 2003, S. 99–104.

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  30. Phelan, James: Living to Tell about It. A Rhetoric and Ethics of Character Narration. Ithaca/New York 2005, S. 50

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  31. vgl. auch Phelan, James/ Mary Patricia Martin: »The Lessons of ›Weymouth‹. Homodiegesis, Unreliability, Ethics, and ›The Remains of the Day‹«. In: David Herman (Hg.): Narratologies. New Perspectives on Narrative Analysis. Columbus/Ohio 1999, S. 88–109; Fludernik (wie Anm. 37), S. 43–44.

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Doms, M.S. Ambivalente Bewertungen eigener und fremder Autorschaft in Bertolt Brechts Flüchtlingsgesprächen. Z Literaturwiss Linguistik 42, 106–124 (2012). https://doi.org/10.1007/BF03379681

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