Zusammenfassung
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1.
Es wird die Arbeitshypothese begründet, daß das Chloragog der Oligochäten und die Mitteldarmdrüsen der Crustaceen und Mollusken als „Zentralorgane des Stoffwechsels“ analog der Wirbeltierleber komplexen Stoffwechselaufgaben außerhalb des allgemeinen Zellstoffwechsels dienen, insbesondere der Aufbereitung, Umformung und Bereitstellung von Nähr- und Baustoffen sowie der Synthese und dem Abbau körpereigener Verbindungen.
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2.
Als erster Beitrag zur Verifizierung dieser Hypothese werden chemische Untersuchungen über den Lipidbestand im Mitteldarm und dem übrigen Körper (s. Tabelle 1) sowie über Fettresorption und -speicherung bei Lumbricus terrestris L. vorgelegt.
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3.
Der von Liebmann mit histologischen Methoden erhaltene Befund, daß im Chloragog eine Speicherung von Neutralfett stattfindet, wird mit quantitativ-chemischer Methodik bestätigt.
Der Mitteldarm kann maximal 5–7% des Frischgewichts an Neutralfett speichern. Da histologisch bewiesen ist, daß die Speicherung überwiegend im Chloragog erfolgt, entspricht dieser Wert einem Lipidgehalt im Chloragog von 12–16% des Frischgewichts, das sind etwa 40–50% des Trockengewichts.
Die Speicherung ist in den verschiedenen Abschnitten des Mitteldarms verschieden, am größten in dem vordersten Abschnitt, der den stärksten Chloragogüberzug hat.
Etwa 4/5 des aufgenommenen Neutralfetts werden im Mitteldarm, 1/5 im übrigen Körper gespeichert.
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4.
Das im Chloragog gespeicherte Neutralfett wird im Hunger wieder abgebaut. Die so freigesetzte Energiemenge reicht völlig aus zur Deckung des Grundumsatzes.
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5.
Die Resorptionsgeschwindigkeit für Olivenöl liegt mit 0,25 mg pro Tag und Quadratzentimeter resorbierender Oberfläche in der gleichen Größenordnung wie bei den Säugetieren.
Die Ausnutzung gebotenen Olivenöls beträgt etwa 12–25%.
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6.
Bei niedriger Temperatur schmelzende Fettsäureester werden von Lumbricus resorbiert, Glyzerinester (Olivenöl, Triolein, α-Monoolein) rascher als Äthylester (Äthylmyristat, Äthyloleat).
Hochschmelzende Glyzerinester (Tristearin) werden nicht aufgenommen, Caprylsäureester haben Giftwirkung.
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7.
Fettsäuren und deren Salze (Myristin-, Palmitin-, Stearin- und Ölsäure) werden von Lumbricus nicht resorbiert. Caprylsäure, in geringem Maße auch Ölsäure und ihr Natriumsalz sind giftig für den Regenwurm.
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8.
Es ist wahrscheinlich, daß bei Lumbricus Fettsäureester ohne vollständige Hydrolyse resorbiert werden, möglicherweise in Tröpfchenform.
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„Chloragog“ ist nach Burian 4 sprachlich richtiger als die gebräuchliche Wortbildung „Chloragogen“. Das Wort ist abgeleitet von χλωρόζ = grün und άγωγόζ = führend und hat nichts zu tun mit γίγνoμαι (Stamm γεν) = werden, entstehen.
Als Habilitationsschrift angenommen von der Mathematisch-Naturwissen-schaftlichen Fakultät der Freien Universität Berlin.
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Urich, K. Über die Funktionen des Regenwurm-Chloragogs insbesondere über Fettresorption und Fettspeicherung bei Lumbricus terrestris L.. Zeitschrift für vergleichende Physiologie 41, 342–363 (1958). https://doi.org/10.1007/BF00344259
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