Zusammenfassung
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1.
Es wird ein Sumpfkrebs (Potamobius leptodactylus Eschh.) aus dem Balaton beschrieben, welcher an Stelle des rechten Auges eine wohlausgebildete Heteromorphose führt. Diese besitzt alle Charakteristika einer normalen Antennule. Eine Waehstumsanomalie machte dieses Gebilde zur Untersuchung seiner physiologischen Leistungen und biologisehen Bedeutung in besonders hohem Maße geeignet.
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2.
Im Verlauf der Untersuchungen wurde beobachtet, daß die normale rechte Antennule des Tieres (Seite der Heteromorphose) einen Funktionsausfall und später vollkommene Atrophie erlitt.
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3.
Chemische Reizung des Außenastes der Heteromorphose verursacht Putzen der Antennule der Gegenseite. Dem Außenast kommt also ausgesprochene chemorezeptorische Fähigkeit zu.
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4.
Wenn dieselben Reizstoffe unterhalb der Heteromorphose in das Wasser entlassen wurden, oder aber wenn das Auge in der gleichen Weise mit chemischen Stoffen in Berührung kommt, ist die in Punkt 3 angegebene charakteristische Reaktion in keinem Falle zu beobachten.
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5.
Strömungsreize verursachen kleine zuckende Bewegungen der Heteromorphose, sowie entsprechende Bewegungen des Auges und der Antennule. Dies beweist auch, daß die ehemische Reizung als solche rezipiert wird und nicht etwa als Folge des Ausströmens der, Flüssigkeit auftritt.
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6.
Verschiedene Konzentrationsstufen der Reizlösungen lösen verschiedenartige Reaktionen aus. Einwirkung schwacher Lösungen auf die Heteromorphose verursacht Antennulenputzen, starke Lösungen verursachen Putzen der Heteromorphose selbst. Auch das Auge und die Antennule werden nach Reizung mit starker Lösung geputzt.
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7.
Taktile Reize werden durch die Heteromorphose ebenfalls rezipiert und bewirken ein Putzen der gereizten Stelle mittels der Gangbeine derselben Körperseite.
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8.
Taktile Reizung verursacht auch Bewegung der Heteromorphose selbst und entsprechende Bewegungen des Auges und der Antennule.
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9.
Taktile Reizung des Auges verursacht Putzen sowohl der gereizten Stelle als auch der Heteromorphose. Diese Erscheinung wird durch das Fehlen des einen Auges gedeutet.
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10.
Die Augen rezipieren keine chemischen Reize. Die von Herbst angewandten Reizstoffe sind für chemische Reizung der Tiere ungeeignet. Bei Anwendung derselben werden auch bei Potamobius leptodactylus andere als die spezifisch-chemischen Reaktionen ausgelöst.
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11.
Aus den Ergebnissen der Versuche geht hervor, daß die Leistungen der Heteromorphose wohl mit denen einer Antennule, nicht aber mit denen eines Augenstieles (Herbst) verglichen werden können.
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12.
Es werden gleichzeitig Versuche und Beobachtungen über die Beteiligung der verschiedenen Rezeptoren und Effektoren in bezug auf die Nahrungsbewältigung mitgeteilt. Unter anderem ist Chemorezeption durch die beiden ersten Schreitbeinpaare nachgewiesen.
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Lissmann, H.W., Wolsky, A. Funktion der an Stelle eines Auges regenerierten Antennule bei Potamobius Leptodactylus Eschh.. Z. f. vergl. Physiologie 19, 555–573 (1933). https://doi.org/10.1007/BF00340667
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