Zusammenfassung
An Elritzen (Phoxinus laevis L.), die daran gewöhnt waren, ihr Futter im Sprung über der Wasseroberfläche zu erhaschen, wurde die Säurewirkung starker und schwacher Säuren verglichen.
Es zeigte sich, daß die schwach dissoziierte Essigsäure saurer schmeckt als ihr Gehalt an freien H-Ionen erwarten läßt, und zwar in bedeutend stärkerem Maße, als dies schon aus der menschlichen Geschmacksphysiologie bekannt ist. Von einer geschmacksgleichen Salzsäure und Essigsäure enthält erstere durchschnittlich etwa 160mal so viele freie.H-Ionen als letztere. Dies gilt für Konzentrationen von etwa 1,14 normaler HCl und 1,70 normaler Essigsäure. Bei schwächeren Lösungen ist die Säurewirkung der Essigsäure verhältnismäßig kleiner, bei stärkeren Lösungen verhältnismäßig größer, was mit der Dissoziationstheorie (F. W. Richards) im Einklang steht.
In neutralisiertem Wasser war die Säurewirkung der Essigsäure geringer; somit ist in der leicht alkalischen Reaktion des normalen Aquariumwassers ein Faktor aufgedeckt, der dafür verantwortlich ist, daß das Säuregradverhältnis von Salzsäure und Essigsäure bei den Fischen so auffallend groß gefunden wurde. Weitere Faktoren, die zur Erklärung herangezogen werden können, sind in der „Diskussion der Ergebnisse“ (S. 392) besprochen worden.
Versuche in angesäuertem Wasser hatten das Resultat, daß die Essigsäure im Verhältnis zur Salzsäure noch bedeutend saurer schmeckte als im gewöhnlichen Wasser (das Säuregradverhältnis, Salzsäure ∶ Essigsäure, war 450 ∶ 1). Es ist dies, wenigstens zum Teil, darauf zurückzuführen, daß infolge Gewöhnung der Fische an den sauren Geschmack die Konzentration der Säuren, mit denen das Futter angesäuert wurde, ungewöhnlich groß genommen werden mußte; größere Konzentration bedeutet größeres Säuregradverhältnis (s. o.). Aus Kontrollversuchen mit geblendeten Tieren ging hervor, daß sowohl Tiere ohne, als auch mit Vorderhirn (ohne bzw. mit Geruchssinn) Salzsäure und Essigsäure ihrer Geschmackstönung nach nicht unterscheiden konnten, wohl aber darauf zu dressieren waren, andere Geschmacksqualitäten von „Sauer“ zu unterscheiden.
Das Säuregradverhältnis von Salzsäure ∶ Borsäure wurde im Mittel als 500 ∶ 1, das von Salzsäure ∶ Phosphorsäure als 12 ∶ 1 festgestellt.
Die Reaktion der Mundschleimhaut der Elritze wurde durch elektroionometrische Messungen als genau neutral gefunden.
Vergleichsversuche mit Salzsäure und Essigsäure am Menschen erwiesen, daß sich die Geschmackswirkung beim Menschen und Fisch nur graduell unterscheidet. Das Säuerungsvermögen der Essigsäure ist beim Fisch im ganzen größer als beim Menschen. Beiden gemeinsam ist das Sinken des Säuregradverhältnisses mit abnehmender Konzentration. Je stärker die Essigsäure verdünnt wird, um so mehr nähert sie sich, sowohl im Grade der Dissoziation als auch in ihrer geschmacksphysiologischen Wirkung der Salzsäure.
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Klenk, F. Untersuchungen über die Geschmackswirkung von Säuren bei Fischen mit einem Vergleich am Menschen. Z. f. vergl. Physiologie 13, 359–396 (1930). https://doi.org/10.1007/BF00339820
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