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Ganzheitliches Verhalten und Lernen bei Echinodermen

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Zusammenfassung

Alle hier angeführten Versuche beweisen, daß Echinodermen in bezug auf ihr Verhalten weder ausschließlich von Außenumständen noch allein von den Erregungen ihrer Sinnesorgane abhängig sind. Vielmehr steuern die Stachelhäuter, wie alle Organismen, in aktiver Autonomie selbst ihr Verhalten. Trotz einer gewissen Unabhängigkeit der Radien repräsentieren intakte Echinodermen festgefügte Individualitäten.

  1. 1.

    Ausdruck der Ganzheitlichkeit sind unter anderem die spontanen Bewegungen (explorating movements nach Jennings), die hier für Asteriden und Ophiuriden beschrieben werden.

  2. 2.

    Ohne Rivalität der Arme kann beim intakten Tier die Führung von einem Arm auf einen anderen übergehen; die Tätigkeit der Radien ordnet sich stets sinnvoll dem intendierten Bewegungsplan ein.

  3. 3.

    Die Individualität und Geschlossenheit intakter Echinodermen wird durch den Ringnerven (R.N.) gewährleistet. Er besitzt dementsprechend nicht nur erregungsleitende, sondern auch impulsgebende Funktionen.

  1. a)

    Einmalige interradiale Neurotomie des R.N. hat zur Folge, daß die lädierte Stelle bei Asteriden nur unter besonderen Bedingungen Vorderende sein kann ; Ophiuriden vermögen sich nie mehr, mit dem verletzten Interradius voran, fortzubewegen.

  2. b)

    Zwei- und mehrmalige Durchschneidung des R.N. führt zu einer nervösen Aufteilung des Gesamttieres; letzteres ist dann zu einer ganzheitlichen Leistung nicht mehr fähig.

  3. c)

    Der Grad spontaner Lokomotionen hängt bei Körpersektoren von der Quantität ihrer R.N.-Substanz ab.

  4. d)

    Einarmige Sektoren von Asteriden vermögen sich zur Basis, zur Spitze und zur Seite hin zu bewegen. Bei isolierten Seesternarmen, die keine R.N.-Substanz besitzen, ist die Bewegung meist zur Basis hin gerichtet; doch kann man sie durch Einschnitte in das basale Ende des Radialnerven zum Kriechen in distaler Richtung veranlassen.

  5. e)

    Der im Vergleich zu Asteriden kompliziertere Lokomotionsmodus der Ophiuriden ist vom R.N. abhängig ; einarmige Teilstücke, die noch über einen Abschnitt des R.N. verfügen, bewegen sich unsicher und fallen häufig auf den Rücken; abgeschnittene Arme bewegen sich nicht mehr spontan.

  6. f)

    Die Zusammenarbeit der Ambulaoralfüßchen wird bei intakten Asteriden und Echiniden vom R.N. gewährleistet, bei isolierten Radien vom Radiärnerven. Armstücke von Asteriden ohne Radiärnerv weisen eine irreparabel ungeordnete Füßchentätigkeit auf.

  7. 4.

    Die Umdrehbewegungen sind, wie alle Lokomotionen, von innen gesteuerte Vorgänge, die nicht durch die voneinander unabhängigen Tätigkeiten der Einzelradien zustande kommen. Ebenso wie die normale Lokomotion sind sie demzufolge von der geordneten Tätigkeit des R.N. abhängig.

  8. 5.

    Bei den Umdrehbewegungen der Asteriden und Ophiuriden werden Selbstwendung (aktives Umwenden aus der Normallage in die Rückenlage) und Lagekorrektion (Umdrehen aus der Rückenlage, Umdrehreflex) unterschieden.

  9. 6.

    Die Umdrehbewegungen werden offenbar durch Impulsstauungen im N.S. ausgelöst; solche Stauungen können infolge der Unmöglichkeit zu normaler Lokomotion auftreten. Weder der Kontakt der Rückenhaut mit Gegenständen, noch ein anormaler Zug an den Mesenterien, noch der fehlende Kontakt der Ambulacralfüßchen mit dem Untergrund kann für sich allein zu einer Umdrehbewegung führen; zweifellos sind auch die letztgenannten Paktoren nadh dem Prinzip der mehrfachen Sicherung an jeder Umdrehbewegung intakter Tiere beteiligt.

  10. 7.

    Die starke Dorsalflexion isolierter Arme ist einer Operationsnachwirkung zuzuschreiben ; die Fähigkeit, die Normallage beizubehalten, ist bei Einzelarmen also nur anfangs gestört.

  11. 8.

    Gegenüber einer Lichtquelle oder deren mehreren (Einlicht-, Zweilichter-, Fünflichterversuch) reagieren Seesterne nicht wie photochemische Automaten, sondern die Bedeutung der Lichtreize wird vom Gesamttier je nach seinem physiologischen Zustand autonom bestimmt. Die untersuchten Asteriden strebten — wenn überhaupt — stets telotaktisch einem der Lichter zu; die von just beschriebene Photo-Tropotaxis wurde durch besondere Versuchsbedingungen vorgetäuscht.

  12. 9.

    Unter geeigneten Umständen führen Asterias rubens und Psammechinus miliaris eine Lichtrückenorientierung durch, die vom Hautlichtsinn abhängt.

  13. 10.

    Das Lernvermögen von Vertretern der Asteriden, Ophiuriden und Echiniden wird erstmalig nachgewiesen. Die Gesetze einfacher Nervennetze reichen zur Erklärung des Lernens dieser Echinodermen nicht aus. Tabelle 9 stellt die Ergebnisse der von mir vorgenommenen 11 verschiedenen Assoziationsversuche dar.

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Diebschlag, E. Ganzheitliches Verhalten und Lernen bei Echinodermen. Z. f. vergl. Physiologie. 25, 612–654 (1938). https://doi.org/10.1007/BF00338299

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