Zusammenfassung
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1.
Bei lange überlebenden Rückenmarksfröschen (Rana esculenta L.) konnte eine Gewohnheitsbildung nachgewiesen werden: Bei wiederholter Applikation einer täglichen Serie von 100 schwachen Kratzreizen, deren Einzelreize im Intervall von 10 sec gegeben wurden, stieg die Anzahl der ausgelösten Reflexe von durchschnittlich 10 auf 60–90 Reflexe je Serie. Dieses Ergebnis zeigte sich bei 8 von 9 Versuchstieren.
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2.
Diese durch häufige Applikation erworbene Fähigkeit, auf eine Reizserie mit einer hohen Reflexrate zu reagieren, war nach einer mit 4 Fröschen durchgeführten Pause von 20 Tagen unvermindert geblieben, nach 1 Jahr jedoch bei allen 8 erfolgreichen Versuchstieren erloschen. Diese Tatsachen sprechen für eine Bahnung der Rückenmarksverbindung in Form einer Aktivitätshypertrophie (Verworn 1907).
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3.
Das Auftreten des 1. Reflexes in der täglichen Reizserie erfolgte zu Beginn des Versuches nach dem 3.–7. Reiz, nach einigen Versuchstagen jedoch bei allen acht erfolgreich auf Reizserien reagierenden Fröschen nach dem 1. Reiz einer Serie. Da diese Sofortbeantwortung des 1. Reizes einer Serie sich nicht über die 20 Tage währende Versuchspause hielt, wird diese Erscheinung als labilerer nervöser Vorgang, wahrscheinlich als Anreicherung von Aktionssubstanzen an oftmals funktionierenden Synapsen gedeutet.
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4.
Bedingte Reflexe konnten bei lange überlebenden Rückenmarksfröschen dadurch gebildet werden, daß gleichzeitig zwei qualitativ gleiche Reize (Kratzreize) in verschiedener Stärke auf verschiedene reflexogene Zonen appliziert wurden. Bei diesen Kombinationen wurde jeweils nur der Reflex der stärker gereizten Zone ausgelöst. Nach häufiger Wiederholung der Kombination (100–350mal) konnte schließlich dieser Reflex von einer ihm fremden reflexogenen Zone her durch den schwächeren bedingten Reiz ausgelöst werden. Es konnten auf diese Weise in drei Versuchsreihen von drei verschiedenen reflexogenen Zonen aus ortsfremde Reizbeantwortungen als bedingte Rückenmarksreflexe zur Auslösung gebracht werden. Es gelang dies mit allen in Versuchsreihe 1 verwendeten 6, in Reihe 2 verwendeten 6 und in Reihe 3 verwendeten 4 Rückenmarksfröschen.
Versuche zur Bildung bedingter Reflexe durch Kombination qualitativ verschiedener Reize verliefen ergebnislos, da thermische, chemische und elektrische Reize bei häufiger Applikation die Haut oder das Zentralnervensystem schädigten. Wasserströmreize und Druckreize erwiesen sich als wirkungslos, um als bedingte Reize, mit stärkeren Reizen kombiniert, einen bedingten Reflex auszulösen.
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5.
Physiologische und histologische Kontrollen ergaben, daß die durch Querläsion an der Spitze der Rautengrube der Medulla oblongata erfolgte Trennung des Gehirns vom Rückenmark noch nach 20 Monaten vollständig war.
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Franzisket, L. Gewohnheitsbildung und bedingte Reflexe bei Rückenmarksfröschen. Z. Vergl. Physiol. 33, 142–178 (1951). https://doi.org/10.1007/BF00298976
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