1 Einleitung

Studienabbrüche und deren Ursachen waren schon immer im Fokus der Evaluierung von Hochschulen, vgl. den Überblick von Neugebauer et al (2019). So hat das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) hierzu mehrfach breit angelegte Befragungen unter Studienabbrechern und Studienabsolventen vorgelegt, vgl. Heublein et al (2017). Hierbei handelt es sich um retrospektive Befragungen, in denen die Befragten über ihr früheres Studium berichten. Ihre Auswahl erfolgte über zwei Stichproben: Eine Stichprobe aus dem Kreis der Exmatrikulierten, die als Grund „Studienabbruch“ oder „endgültig nicht bestandene Prüfung“ angaben, sowie eine Stichprobe aus dem Kreis der erfolgreichen Studienabsolventen. Die Stichprobenmitglieder wurden postalisch ein halbes Jahr nach Verlassen der Hochschule kontaktiert. Die Autoren geben eine Rücklaufquote von 23 % an.

Die „Konstanzer Studiensurveys“ verwenden ein querschnittsorientiertes Befragungsdesign (Georg 2008). Hier wird während des Studiums nach der Absicht der Studierenden gefragt, ob sie eventuell an einen Studienabbruch denken. Die Befragung erfolgt wiederum postalisch durch Versendung eines Fragebogens mit einer Rücklaufquote von 35 %.Footnote 1 Diese Befragung wird in regelmäßigen zeitlichen Intervallen wiederholt.

Isphording and Wozny (2018) benutzen dagegen einen Panel-Ansatz. Sie benutzen die 2010/11 Kohorte der Studienanfänger im Nationalen Bildungspanel (NEPS). Analysiert wird ein Zeitraum von 10 Semestern. Die Befragung streut breit über Fächer und Hochschulen.

In diesem Aufsatz präsentieren wir zu diesem Thema ein neues Erhebungsdesign. Es ist ein prospektives Erhebungsdesign, das nahezu ohne Verluste durch Nonresponse auskommt. Ein prospektiver Ansatz ist zwar schon in früheren Arbeiten zum Studienerfolg benutzt worden, vgl. die Arbeiten von Bean (1982), Gold (1988), Brandstätter et al (2006) sowie Fleischer et al (2019). Allerdings weisen die hierbei benutzten Erhebungsdesigns gewisse Einschränkungen auf. So wird der Studienverlauf nur auf Basis von Studierenden ermittelt, die vorher an einer schriftlichen Befragung teilgenommen haben, wie beispielsweise bei Bean (1982). Hier ist der zeitliche Abstand zwischen der Befragung und der Ermittlung der Studienleistung mit einem Jahr relativ kurz. Bei Brandstätter et al (2006) werden die Studierenden vor Aufnahme des Studiums und zu einem späteren Zeitpunkt während des Studiums befragt.

Prospektive Studien ohne Verluste durch Survey-Nonresponse wie etwa Berens et al (2019), Danilowicz-Gösele et al (2017), Schneider et al (2019) oder Fleischer et al (2019) können in Deutschland seit der breiten Umstellung der Prüfungsverwaltungen auf eine moderne EDV-Infrastruktur auf Basis der administrativen Daten analysiert werden. Allerdings sind hier die datenschutzrechtlichen Hürden hoch und es fehlen Angaben zur Studienmotivation, zum sozialen Hintergrund und zur ökonomischen Lage der Studierenden. Häufig – jedoch nicht immer – können Angaben aus dem Zulassungsverfahren, wie etwa die Abiturnote, das Bundesland der Hochschulberechtigung neben dem Geschlecht und dem Alter für die Analysen genutzt werden. Bei Berens et al (2019, Table 1) werden die Merkmale aus dem Hochschulstatistik-Gesetzes dazu genutzt, um den sozialen Hintergrund der Studierenden über die Art der Krankenversicherung und den lokalen Kaufkraftindex zu erschließen.

In diesem Aufsatz berichten wir über ein Pilotprojekt, das im Sommersemester 2016 am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität Berlin gestartet wurde. Es war das Ziel des Projekts „Studienverläufe“, die Studierenden direkt im Hörsaal zu erreichen, sie über einen Fragebogen zu befragen sowie sie um ihre Einwilligung zu bitten, die Antworten mit Ihren Prüfungsdaten verknüpfen zu dürfen. Diese Einwilligung wurde in 95 % aller Fälle gegeben. Eine hohe Responserate bei den Fragebögen wurde erzielt, weil die Studierenden bei Start einer Pflichtveranstaltung („Statistik für Wirtschaftswissenschaftler“) direkt im Hörsaal angesprochen wurden. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Studierenden am Anfang des zweiten Fachsemesters. Sie hatten also schon Erfahrungen mit ihrem Studium (Bachelor Betriebswirtschaftslehre (BA BWL) und Bachelor Volkswirtschaftslehre (BA VWL) gemacht und konnten sich über mögliche Absichten zur Fortsetzung der Studiums äußern beziehungsweise über eine Absicht, den Studiengang zu verlassen.

Dieser verlaufsorientierte Ansatz bietet einige Vorteile gegenüber dem retrospektiven Ansatz von Heublein et al (2017) sowie dem querschnittsorientierten Ansatz von Georg (2008). Zum einen liegt nach einer gewissen Wartezeit der vollständige Prüfungsverlauf bis zur Exmatrikulation vor. Man kann also überprüfen, ob Studienabbrecher an vielen Prüfungen erfolglos teilgenommen haben oder ob sie sich eher aus dem Prüfungsbetrieb zurückgezogen haben. In dieser reichhaltigen Fülle von objektiven Leistungsmessungen liegt auch der Vorteil gegenüber der Survey-Messung im Rahmen eines Panel-Ansatzes von Isphording and Wozny (2018). Hinzu kommen bei Panel-Surveys die Ausfälle im Verlauf des Panels, die sogenannte Panel-Mortablität. Hier belegt beispielsweise Schimpl-Neimanns (2008), dass Bildungsverläufe gerade in Wechselsituationen nicht ignorierbaren Ausfallmustern unterliegen und Wechsel unterschätzt werden. Basic and Rendtel (2007) belegen einen selektiven Einfluss von Umzügen auf Analysen des Erwerbsverhaltens mit dem Mikrozensus. Der hier präsentierte Ansatz bleibt von diesem Problem unberührt. Der Ansatz über die Hörsaalbefragung in einer Pflichtveranstaltung ermöglicht eine sehr hohe Teilnahmerate und minimiert vor allem die Verluste durch fehlende schriftliche Einwilligungserklärungen zur Verknüpfung mit den Prüfungsdaten. Der Vorteil, Studierende direkt in Veranstaltungen anzusprechen, wurde auch von Himmler et al (2019) genutzt. Hierbei wurde eine EinführungsveranstaltungFootnote 2 genutzt, um die Studierenden auf ein Commitment hinsichtlich des Studienabschlusses anzusprechen.

Die individuelle Zufriedenheit mit dem Studium spielt neben der sozialen und akademischen Integration (Tinto (1975)) der Studierenden eine zentrale Rolle in der Literatur zu Studienerfolg und Studienabbruch, vgl. Gold (1988), Wiers-Jenssen et al (2002), Schiefele and Jacob-Ebbinghaus (2006), Brandstätter et al (2006) und Multrus et al (2017). Auch aus diesem Grund erscheint eine Messung dieser zentralen Größe zu Beginn des zweiten SemestersFootnote 3 angemessen zu sein, da die Studierenden nun ein vollständiges Bild über ihr erstes Semester und den dabei erzielten StudienerfolgFootnote 4 haben.

Während sich viele Analysen auf die Kausalität und die Rolle der Einflussfaktoren auf den Studienabbruch richten, ist die Identifikation potentieller Studienabbrecher eine hiervon verschiedene Aufgabe. Eine frühe, zuverlässige Prognose eines Studienabbruchs ist ein wertvolles Hilfsmittel für Mentorenprogramme. Fleischer et al (2019) haben in diesem Zusammenhang die Äußerung eines möglichen Studienabbruchs als Prognoseinstrument untersucht. Sie kommen für die naturwissenschaftlichen Fächer zu dem Ergebnis, dass die Studienergebnisse am Ende des ersten Semesters die Prognosen erheblich verbessern. Unter einem anderen Aspekt untersuchen Berens et al (2019) administrative Prüfungsdaten auf ihre Prognosefähigkeit mit Hilfe von Machine Learning Methoden und kontrastieren sie mit dem Standard-Ansatz über ein Logit-Modell. Mit unserem Erhebungsdesign stehen uns zusätzlich sozio-demographische Hintergrundmerkmale sowie die Zufriedenheit mit dem Studium für die Prognose zur Verfügung.

Schließlich bietet die Kenntnis der individuellen Prüfungsprofile in Verbindung mit den Hintergrundvariablen zahlreiche weitere Analysemöglichkeiten: Etwa, wie schnell Verzögerungen gegenüber dem Studienplan wieder aufgeholt werden oder bis zu welchem Grad den Empfehlungen des Studienplans überhaupt gefolgt wird. Eine erste Beschreibung der Möglichkeiten, administrative Prüfungsdaten zu nutzen findet man bei Hahm and Storck (2018).

Die Verallgemeinerbarkeit der Befunde ist bei diesem Erhebungsdesign jedoch dadurch eingeschränkt, dass nur Befunde aus dem Prüfungsregister einer Universität für die Analyse zu Verfügung stehen. Im der hier vorgestellten Analyse war es jedoch möglich, einige Analysen an einer zweiten Berliner Universität, der Humboldt Universität zu BerlinFootnote 5 im selben Studienfach für dieselben Studienkohorten zu replizieren, so dass Rückschlüsse über die einzelnen Universitäten hinaus möglich sind.

Der Artikel ist wie folgt gegliedert: Im folgenden zweiten Abschnitt beschreiben wir die Erzeugung des Datensatzes; insbesondere die datenschutzrechtlichen Aspekte der Zusammenführung der Prüfungsdaten mit den Umfragedaten. Der dritte Abschnitt präsentiert einige beschreibende Darstellungen der Studienverläufe. Schließlich untersuchen wir in Abschnitt 4 in wie weit sich zeitliche Defizite gegenüber dem Studienplan im Laufe des Studiums verstärken oder verringern. Im fünften Abschnitt beschäftigen wir uns mit der Studieneingangsphase, konkret mit den erworbenen Studienpunkten während des ersten Studienjahrs und ihrer Prognosekraft auf die Studienwechselneigung (Georg 2008) und einen späteren Abbruch des Studiums. Im 6. Abschnitt prüfen wir den Einfluss der Abiturnote auf die universitäre Performance der Studierenden, also den Abschluss des Studiums und die hierbei erzielte Note im Bachelor. Im Resümee ziehen wir Folgerungen für die Betreuung der Studierenden sowie für die Zulassung zum Studium.

2 Die Erzeugung des Datensatzes

Für die Realisierung des Projekts waren einige Voraussetzungen notwendig. Auf der Seite der zentralen Prüfungsverwaltung musste es möglich sein, individuelle Studienverläufe aus einer Datenbank für bestimmte Studiengangskohorten abzurufen. Diese Voraussetzung ist beispielsweise im lokalen Prüfungsbüro des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft nicht gegeben, da dort nur das aktuelle Prüfungskonto einzelner Studierender abgerufen werden kannFootnote 6 Weiterhin gestatten DatenschutzvorbehalteFootnote 7 nur die Verwendung einer pseudonymisierten Matrikelnummer, die zwar über die Zeit eindeutig und fix ist, allerdings keine Rückschlüsse auf die wahre Matrikelnummer zulässt.

Weiterhin muss die Zusammenführung der Fragebogeninhalte und der Studienverlaufsinformation in einer datenschutzrechtlich abgesicherten Weise erfolgen. Die Basis hierfür ist eine schriftliche Einwilligungserklärung der Studierenden, die über den Zweck der Untersuchung, die Verwendung der Daten sowie den Abschluss des Projekts aufklärt. Diese Einverständniserklärung enthielt die Fragebogennummer. Die Erklärung wurde im Anschluss der Hörsaalbefragung vom Fragebogen abgetrennt. Auf der EinverständniserklärungFootnote 8 konnten die Studierenden ihre wahre Matrikelnummer eintragen. Die separaten Einverständniserklärungen wurden dann der Datenschutzbeauftragten der FU als Treuhänderin übergeben. Diese leitete die echte Matrikelnummern an die Prüfungsverwaltung weiter, die als einzige Stelle den Umstiegsschlüssel zu den pseudonymisierten Matrikelnummern besitzt. Von der Prüfungsverwaltung haben wir dann eine Liste erhalten, die jeder pseudonymisierten Matrikelnummer die Nummer des zugehörigen Fragebogens zuordnet. Anhand dieser Daten konnten dann die Studienverläufe und die Fragebögen zusammengeführt werden. Abb. 1 stellt das Verfahren noch einmal im Zusammenhang dar.

Abb. 1
figure 1

Die Zusammenführung der Umfragedaten mit den Prüfungsverläufen

Befragt wurden im Sommersemester 2016 insgesamt 322 Studierende, die überwiegend im Wintersemester 2015/16 ihr Studium aufgenommen hatten. Von diesen 322 Teilnehmern erhielten wir 305 (\(=0{,}95\) %) Einwilligungserklärungen zur Zusammenführung mit den Prüfungsverläufen. Da in der Vorlesung auch einige Teilnehmer aus anderen Kohorten anwesend waren, war die Anzahl der zusammengeführten Verläufe aus der Zielkohorte WS 2015/16 mit 233 etwas geringer. Insgesamt wurden 53 % der Zielkohorte erreicht. Die Ausfälle erklären sich damit aus Verlusten, die vor dem zweiten Semester eingetreten sind, aus dem Nichtbesuch der Auftaktveranstaltung im Pflichtmodul Statistik für Wirtschaftswissenschaftler, aus Nonresponse beim Ausfüllen des Fragebogens, aus einer fehlenden Einwilligungserklärung sowie aus einer unleserlichen Angabe der Matrikelnummer, die ein Matching mit den Daten der Prüfungsverwaltung verhinderte.

Ein klassischer Ansatz zur Überprüfung der Repräsentativität der erhobenen Stichprobe vergleicht die Stichprobenverteilung mit bekannten Verteilungen der Population. Dies ist in diesem Fall die Verteilung der Studierenden am FB Wirtschaftswissenschaft nach Geschlecht und Fachrichtung.

Mit den Daten von Tab. 1 ergeben sich keine signifikanten Unterschiede zu der Population am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft. Reduziert man allerdings die Population auf das zweite Fachsemester, so zeigt sich eine signifikante Überrepräsentation der BWL-er mit 67 % gegenüber 58 % in der Population. Da aber für alle Analysen das Geschlecht und der Studiengang als Kontrollvariablen benutzt wurden, fällt diese Überrepräsentation der BWL-er nicht weiter ins Gewicht.

Tab. 1 Vergleich der Stichprobenverteilung mit der Verteilung nach Geschlecht und Studiengang am FB Wirtschaftswissenschaft

Der Zugang zu den administrativen Daten eröffnet jedoch weitere Möglichkeiten der Nonresponse-Kontrolle. So konnten wir die Verteilung der erreichten Leistungspunkte (LP) für die Respondenten mit denen der Nonrespondenten vergleichen. Um die Vergleichbarkeit zu erhöhen, wurden untypische Studierende unter den Nonrespondenten ausgeschlossen. Dies betrifft Studierende, die im ersten Fachsemester keine Leistungspunkte erworben haben. Hierbei handelt es sich meist um Studierende, die nach Semesterbeginn einen anderen Studienplatz im Nachrückverfahren erhalten haben. Weiterhin wurden Studierende ausgeschlossen, die mehr als 42 LP im ersten Semester erworben haben. Hierbei handelt es sich typischerweise um Studierende, die Leistungen aus anderen Studiengängen in den Bachelor eingebracht haben.

Abb. 2 vergleicht die Kerndichteschätzer der Respondenten (Beobachtet = ja) und der Nonrespondenten (Beobachtet = nein). Hierbei zeigt sich schon im ersten Fachsemester (Semester = 1), dass die Antwortenden etwas erfolgreicher im Studium waren als die Nonrespondenten. Diese Tendenz vergrößert sich in den folgenden beiden Semestern deutlich. Hierbei zeigt sich eine deutliche bimodale Struktur. Sowohl bei den Teilnehmern an der Befragung als auch bei den Nichtteilnehmern gibt es ein Cluster von Studierenden, die kaum noch Leistungspunkte erwerben, das sich deutlich von dem zweiten Cluster unterscheidet, wo Studierende Leistungspunkte im geforderten Bereich erwerben. Allerdings ist der Anteil des ersten Clusters bei den Nichtteilnehmern an der Befragung deutlich größer. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die engagierteren Studierenden auch befragungsbereiter sind. Ein derartiger „Erfolgsbias“ wurde von Kühn et al (2018) für die empirische Bildungsforschung postuliert und ist in diesem Fall klar erkennbar.

Abb. 2
figure 2

Vergleich der erworbenen Leistungspunkte (LP) zwischen Respondenten und Nonrespondenten in den ersten drei Fachsemestern (a BWL, b VWL). Nonrespondenten mit \(0<LP<42\) im ersten Fachsemester. Kerneldensity Schätzung mit automatischer Wahl des Glättungsparameters

Ohne eine Kontrolle, zum Beispiel über die erreichten Leistungpunkte, sind damit Aussagen über den Studienerfolg allein auf Basis der Stichprobe zu optimistisch. Auch aus diesem Grund haben wir uns bei der folgenden Ermittlung der Abbrecherquoten ganz auf eine Längsschnittauswertung der administrativen Daten verlassen. Bei der Ermittlung der Abbruchrisiken haben wir jedoch immer die erworbenen Leistungspunkte als Kontrollvariable benutzt.

Damit die Studienverläufe bis zum 8. Semester Eingang in die Analyse finden, muss bis zum Sommersemester 2019 auf die Prüfungs- und Rückmeldedaten gewartet werden. Diese zeitliche Differenz ist dem prospektiven Ansatz geschuldet. Allerdings wurden für frühere Kohorten Prüfungsverläufe bis zum 12. Fachsemester erstellt. Dies betrifft die Studienanfänger des Wintersemesters 2010/11, die im Sommersemester 2016 ihr 12. Fachsemester abgeschlossen haben. Allerdings fehlen für diese Kohorten die Hintergrundmerkmale.

Ungefähr 2/3 der StudierendenFootnote 9 war im Bachelor BWL eingeschrieben. Der Rest studierte im Bachelor VWL. Bei den folgenden Analysen werden diese beiden Studiengänge häufig separat analysiert, um Unterschiede im Studienerfolg, in der Studienmotivation und in den Erwartungen der Studenten darzustellen.

Um einige Ergebnisse auch über den Rahmen des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der FU abzusichern, haben wir im Rahmen einer Kooperation mit der HU für die gleiche Kohorte Ergebnisse über Studienverläufe an der dortigen Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät ausgetauscht. Allerdings fehlen hier die Hintergrundvariablen aus der Umfrage. Nur hinsichtlich der erzielten Noten sind die Informationen aus der HU umfangreicher. Diese fehlen in unserer UntersuchungFootnote 10.

Insgesamt werden in dieser Analyse also verschiedene Datensätze analysiert, die in der folgenden Übersicht noch einmal zusammengestellt werden:

  1. 1.

    Datensatz 1: Kohorte WS 2015/16 FU: Teilnehmer an Befragung im 2. Fachsemester, im SS2019 im 8. Fachsemester. Mit Hintergrundmerkmalen. Nur Studienpunkte und Studienstatus.

  2. 2.

    Datensatz 2: Kohorten WS 2010/11 bis WS 2013/14 FU: Seit 1. Fachsemester, Kohorten sind bei Abfassung des Manuskripts schon im 12. Fachsemester. Ohne Hintergrundmerkmale, Nur Studienpunkte und Studienstatus, Kein Zugang zu Noten. Darstellung von vollständigen individuellen Studienprofilen bis 12. Semester.

  3. 3.

    Datensatz 3: Kohorte WS 2015/16 HU: Seit 1. Fachsemester, Ohne Hintergrundmerkmale, Mit Zulassungsmerkmalen, mit Studienpunkten und Studienstatus, mit detailliertem Prüfungsverhalten und Noten. Direkte Vergleiche mit FU Datensatz und Ergänzung zu Aussagen über Noten.

  4. 4.

    Datensatz 4: Kohorten WS 2010/11 bis WS 2013/14 HU: Seit 1. Fachsemester, Kohorten sind bei Abfassung des Manuskripts schon im 12. Fachsemester. Ohne Hintergrundmerkmale, Mit Zulassungsmerkmalen, mit Studienpunkten und Studienstatus, mit detailliertem Prüfungsverhalten und Noten. Einfluss von Zulassungsnoten auf Modul- und BA-Noten.

3 Deskriptive Darstellung von Studienverläufen

Eine Möglichkeit den Studienerfolg im Längsschnitt darzustellen, besteht darin, die jeweils erreichten Studienpunkte bis zum Studienabschluss bzw. bis zur Exmatrikulation dazustellen. Abb. 3 zeigt die Summe der individuell erreichten Studienpunkte bis zum 12. Fachsemester.Footnote 11 Jeder Student erzeugt also eine Linie,Footnote 12 die dann stoppt, wenn der Student sich exmatrikuliert.

Abb. 3
figure 3

Entwicklung der individuell erreichten Studienpunkte (Kum_LP) nach Semester (a BWL, b VWL). Der empfohlene Verlauf ist in schwarz als Referenz abgebildet

Zur Orientierung ist als Treppenfunktion das Soll von 30 Leistungspunkten (LP) pro Semester eingezeichnet, die bis zu den 180 LP ansteigt, die die Studierenden zum Abschluss ihres Bachelor benötigen. Da allerdings einige Pflichtveranstaltungen abgeschlossen werden müssen, kann es vorkommen, dass ein Student mehr als 180 Studienpunkte braucht, um seinen Abschluss zu machen. Diese „Spaghetti-Plots“ sind für BWL-er und VWL-er separat dargestellt. In beiden Studiengängen sieht man eine Gruppe von Studierenden, die in höheren Fachsemestern keine Studienleistungen mehr erbringen, was sich in sehr flachen Zuwachskurven äußert.

Eine zweite Möglichkeit besteht darin, den Kohortenverbleib über der Studiendauer abzutragen. Hierbei können verschiedene Zustände identifiziert werden: Der Studierende ist noch im Studiengang eingeschrieben, er hat ihn abgeschlossen, er hat den Studiengang gewechselt oder er hat sich ohne Abschluss exmatrikuliert. Für eine Untersuchung auf Basis von administrativen Daten einer Universität kann der letzte Zustand nicht weiter differenziert werden. Vor demselben Problem standen auch die Untersuchungen von Berens et al (2019) für Wuppertal, Danilowicz-Gösele et al (2017) für Göttingen und Fleischer et al (2019) für Duisburg/Essen. Die Exmatrikulation ohne Abschluss bedeutet nicht in jedem Fall einen Austritt aus der tertiären Ausbildung, vgl. Heublein et al (2017). Es bestehen diverse Möglichkeiten im universitären System zu verbleiben:

  • Es wird lediglich die Universität gewechselt, aber das Studium wird in demselben Studiengang fortgesetzt.

  • Es wird die Universität und der Studiengang gewechselt.

  • Das Studium wird unterbrochen (wegen Finanzierung, Kinderbetreuung, Krankheit etc.) und später fortgesetzt.

Bei einer retrospektiven Erhebung unter Studienabbrechern können diese Sachverhalte erfragt werden, vgl. Heublein et al (2017). Allerdings besteht auch hier das Problem, dass längere Studienpausen nur mit einem großen zeitlichen Abstand zu erkennen sind. Weiterhin sind bei einem Wechsel des Studienorts Nonresponse-Probleme virulent, vgl. Basic and Rendtel (2007) und Schimpl-Neimanns (2008). Erst nach Realisation der im Hochschulstatistik-Gesetzes § 3 festgelegten Merkmale (vgl. https://www.gesetze-im-internet.de/hstatg_1990/index.html) in einem für die Wissenschaft zugänglichen Register können Analysen an dieser Stelle differenzierter gestaltet werden.

Letztendlich ist die Ermittlung der Anzahl der Studienabbrecher auch eine definitorische Frage, was ein Studienabbruch ist, vgl. etwa Schröder-Gronostay (1999). Je nach Definition wird man dabei zu unterschiedlichen Abbruchraten kommen. Allerdings ergibt sich bei weniger restriktiven Definitionen von Studienabbruch das Problem der Schätzung der Ausfallquote. Hier benutzt das DZHW eine synthetische Erfolgsquote auf Basis der Hochschulstatistik, die alle Abschlüsse in einem Studienfach in einem Jahr zu einem synthetischen Studienanfängerjahrgang ins Verhältnis setzt. Allerdings mittelt eine solche fachbezogene Quote über alle Universitäten. Über die Performance eines Studiengangs an einer bestimmten Universität ist damit noch nichts ausgesagt.

Aus der ökonomischen Sicht der betroffenen Fachbereiche stellt jeder Wechsel aus dem lokalen Studiengang ohne Abschluss einen Verlust dar, der bei der Vergabe der universitären Mittel negativ zu Buche schlägt. Aus diesem Grund und wegen der Restriktion auf die Prüfungsdaten einer Universität, benutzen wir hier eine restriktive Definition von Studienabbruch, als Exmatrikulation ohne Abschluss im gewählten Studiengang.Footnote 13

Abb. 4 stellt die Kohorte WS 2010/11 nach ihrem Verbleib im Studiengang dar. Der sich über die Semester vergrößernde dunkel blaue Bereich (rechts oben) zeigt den Anteil derjenigen, die im Studiengang ihren Abschluss gemacht haben. Im unteren roten Teil der Graphik ist der Anteil derjenigen Studierenden dargestellt, die noch im jeweiligen Studiengang eingeschrieben sind. Im mittleren Bereich sind die Exmatrikulierten (Farbe türkis) sowie die Studienfachwechsler an der FU (Farbe orange) aufgeführt. Bei den Exmatrikulierten fehlt die Information, ob lediglich die Universität gewechselt wird oder ob es sich um einen Studienabbruch handelt. Wiederum wird die Entwicklung für die BWL (obere Grafik) und die VWL (untere Grafik) separat dokumentiert.

Abb. 4
figure 4

Entwicklung des Bestands der Kohorte WS 10/11 nach Studiengang (a BWL, b VWL)

Zunächst fällt auf, dass schon im ersten Semester ein Schwund von 10 Prozent des Bestands der Kohorte eingetreten ist. Dahinter verbergen sich meist verspätete Zulassungen in anderen Studiengängen oder Universitäten, für die die Studierenden eine höhere Präferenz haben. Weiterhin zeigt sich, dass der Bestand an Studierenden mit einem Abschluss in 8 Semestern (= Regelstudienzeit + 2 Semester) bei den BWL-ern mit 42 % deutlich größer ist als bei den VWL-ern mit 28 %. Allerdings ist der Bestand an Langzeitstudenten mit mehr als 12 Semestern, die noch im Studiengang verbleiben, bei beiden Studiengängen mit 7 % bzw. 5 % in etwa gleich. Insgesamt ist der Anteil der VWL-er mit einem Wechsel des Studiengangs an der FU deutlich größer als bei der BWL. Dies gilt auch für die Exmatrikulationen.

An der HU erhält man für die gleiche Kohorte ähnliche Stabilitätsziffern: Dort erreichen 39 % der BWL-Studenten bis zum 8. Semester einen Abschluss. Allerdings ist hier die Erfolgsrate bei der VWL mit 36 % im Vergleich zu 28 % an der FU doch deutlich höher. Der Anteil der Langzeitstudenten fällt mit 7 % für beide Studiengänge wie an der FU aus.

Allerdings lassen sich in Abb. 4 die universitätsinternen Studienfachwechsler (Bereich ocker oberhalb der Bestands im Studiengang) direkt identifizieren. Für die BWL ist dieser Anteil sehr gering und auch bei der VWL ist der kumulative Anteil der Fachwechsler bis zum 12 Fachsemester nicht größer als 10 Prozent des Ausgangsbestands bei Start des Studiums. Insgesamt scheinen Fachwechsel an derselben Universität keine große Rolle zu spielen. Studiengangwechsler, die aber die Universität wechseln, lassen sich in dem von uns verfolgtem Ansatz nicht identifizieren. Jedoch lässt die Auswertung der Hörsaalbefragung den Schluss zu, dass die meisten Studierenden nach einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Studiengang ein anderes Studium anstreben (84,3 % der Studierenden mit Studienwechselneigung).

Eine weitere Darstellung der Studienleistung benutzt eine Gruppierung der Studierenden nach der Dauer bis zu ihrem Studienabschluss. In der folgenden Abb. 5 wird für jedes Fachsemester die Summe der erworbenen Leistungspunkte über ein Boxplot dargestellt. In dieser Darstellung sind die Daten von vier Kohorten (WS 10/11 bis WS 13/14) zur Erhöhung der Fallzahlen kumuliert worden.

Abb. 5
figure 5

Erworbene Leistungspunkte nach unterschiedlichen Gruppen. (a BWL, b VWL). Kumulation über die Kohorten WS 10/11 bis WS 13/14

Die Darstellung differenziert nach BWL-ern (Oben) und VWL-ern (unten). Die Gruppe, die ihren Abschluss in der Regelstudienzeit von 6 Semestern schafft, erfüllt in jedem Semester im Mittel die in den Studienplänen geforderte Norm von 30 Leistungspunkten. Hier gibt es keine Unterschiede von BWL-ern und VWL-ern. Die nächste Gruppe ist definiert durch einen Studienabschluss bis zu 8 Semestern. Hier liegt die Studienleistung im 5. Semester etwas geringer, insbesondere bei den VWL-ern. Hier zeigen sich die Auswirkungen der Erasmus-Aufenthalte, die bevorzugt im 5. Semester absolviert werden. Wie man aus der Darstellung entnimmt, wird dies im 6. Semester teilweise wieder kompensiert. Dies gilt für beide Studiengänge. Wirklich dramatisch ist Studienleistung bei den Studierenden, die bis zum 8. Semester noch keinen Abschluss gemacht haben. Hier ist die Studienleistung vom Studienstart an gleichmäßig sehr gering. Im Mittel werden nur 1 bis 2 statt der im Studienplan vorgesehenen 5 Module absolviert. Allerdings werden in dieser Darstellung nur die erreichten Leistungspunkte dokumentiert. Auch hier zeigen sich keine auffälligen Unterschiede zwischen den beiden Studiengängen.

Der Erwerb der Studienpunkte bei Studierenden ohne Abschluss bis zum 8. Semester liegt also mit ca. 6 bis 10 LP pro Semester deutlich unter der in der Studienordnung vorgesehenen Norm von 30 LP. Hier sind zwei Szenarien möglich. Diese Studierenden erwerben unterdurchschnittlich viele Leistungspunkte, weil sie viele Prüfungen nicht bestehen,Footnote 14 oder aber die Studierenden belegen gar nicht so viele Module. Dies kann mit unterschiedlicher Motivation geschehen. Zum einen kann ein Job während der Vorlesungszeit zu mangelnder Zeit für das Studium führen und damit eine Art TeilzeitstudiumFootnote 15 erzwingen. Zum anderen gibt es die Strategie schwacher Studierender, sich erst mal auf wenige Veranstaltungen zu konzentrieren, die man dann nach und nach mit viel Vorbereitung auch abschließt.

Abb. 6 zeigt die Studiensituation für die BWL an der HU. In der oberen Graphik sind die in den jeweiligen Fachsemestern erworbenen Leistungspunkte (LP) aufgeführt. Basis sind Studierende ohne Abschluss bis zum 8. Semester. Auch hier zeigt sich wie an der FU ein über alle Semester gleichmäßig geringer Studienerfolg von ca 10 LP, was etwa zwei abgeschlossenen Modulen entspricht. Allerdings nimmt auch hier der Studienerfolg nach dem 8. Semester noch einmal deutlich ab. Dies war auch an der FU zu beobachten. Weiterhin stehen insbesondere im ersten Studienjahr diesem geringen Leistungspunkteerwerb kaum nicht bestandene bzw. nicht angetretene Prüfungen gegenüber, vgl. die beiden unteren Graphiken in Abb. 6. Man kann es nicht anders sagen: Die Langzeitstudierenden gehen ihrem Studium nur mit geringer Intensität nach, und dies gilt von Beginn des Studiums an!

Abb. 6
figure 6

Erworbene Leistungspunkte, kumulierte Punkte von nicht bestandenen Prüfungen bzw. nicht angetretenen Prüfungen bei Studierenden ohne Abschluss bis zu 8. Semester (BWL HU). Kumulation über verschiedene Kohorten

Bei der VWL ist diese Entwicklung ähnlich, vgl. Abb. 7. Allerdings ist hier die Neigung Prüfungen nicht zu bestehen bzw. nicht anzutreten etwas größer als in der BWL. So sind am Ende des ersten Studienjahrs im Mittel 2 PrüfungenFootnote 16 nicht erfolgreich abgeschlossen worden, während es in der BWL im Mittel deutlich weniger als eine Prüfung war. Auch nach dem 8. Semester steigt in der BWL die Anzahl der nicht erfolgreich abgeschlossenen Prüfungen nicht an. Anders in der VWL: Die Langzeitstudenten der VWL scheinen nach dem 8. Semester noch einmal einen – allerdings erfolglosen – Versuch zu unternehmen, zu einem Studienabschluss zu kommen.

Abb. 7
figure 7

Erworbene Leistungspunkte, kumulierte Punkte von nicht bestandenen Prüfungen bzw. nicht angetretenen Prüfungen bei Studierenden ohne Abschluss bis zu 8. Semester (VWL HU). Kumulation über verschiedene Kohorten

4 Verzögerungen im Studienablauf

Die Studienpläne empfehlen für jeden Abschluss einen mehr oder weniger strengen Ablauf von Modul-Prüfungen. Beispielsweise sieht der BA VWL an der FU im ersten Semester das Modul „Mathematik“ vor, gefolgt von einer „Statistik für Wirtschaftswissenschaftler“ im zweiten Semester und einer „Schließenden Statistik“ im dritten Semester. Theoretisch ließe sich die Befolgung dieser empfohlenen Sequenzen anhand der Studienverläufe überprüfen. Doch dies scheitert in der Regel an der Vielfalt der sehr spezifischen Sequenzen. Etwas einfacher ist die Prüfung, wann welches Modul im wievielten Fachsemester abgeschlossen wurde, vgl. Hahm and Storck (2018). In der Regel treten Verspätungen von einem oder sogar zwei Jahren auf. Diese Verspätungen sind dem jährlichen Angebotsrhythmus der jeweiligen Module geschuldet. Wenn die Prüfung im Mathematik-Modul im ersten Semester nicht bestanden wurde, so muss man bis zum dritten Semester für einen nächsten Versuch warten.

Eine andere Art der Verzögerung ergibt sich aus dem geforderten Soll von 30 Leistungspunkten pro Semester. Defizite können hier durch nicht bestandene Modulprüfungen entstehen oder dadurch, dass Modulprüfungen überhaupt nicht angetreten werden. Im Extremfall wird das Studium nur noch sporadisch betrieben, so dass die Studierenden von Semester zu Semester immer weiter gegenüber dem 30 LP Leistungslimit zurückbleiben.

Die folgende Tab. 2 gibt einen Überblick wie dynamisch der Prozess des Leistungsverzugs ist. Da im BA-Studium jedes Modul 6 Leistungspunkte (LP) erbringt, bedeuten die ausgewiesenen Kategorien einen Leistungsverzug von einer bis zu sechs und mehr Modulprüfungen.Footnote 17 Es zeigt sich, dass zwei Drittel der Studierenden ohne Leistungsverzug von einem Semester ins nächste Semester ohne weiteren Leistungsverzug kommen. Diese Studenten bleiben also im Studiensoll. Ein Viertel kann einen Verzug von einem Modul im kommenden Semester wieder kompensieren. Die Hälfte der Studierenden mit einem Verzug von 6 LP erleidet im kommenden Semester jedoch einen weiteren Verzug, meist um ein oder zwei Modulprüfungen (41 % kumuliert). Dieses Ungleichgewicht impliziert einen Abwärtstrend im Verlauf des Studiums. Bei noch größeren Verzögerungen in der Studienleistung sieht es ziemlich hoffnungslos aus. 94 % der Studierenden mit einem Verzug von mehr als 5 Modulen bleiben in dieser Kategorie. Bei Verzug von 4 Modulen tritt in zwei Drittel aller Fälle eine weitere Verschlechterung ein.

Tab. 2 Übergangsmatrix des Verzuges in den ersten 6 Semestern

Die hier aufgezeigte Dynamik belegt deutlich, dass größere Verzögerungen im Studienablauf nicht mehr aufgeholt werden sondern sich im Gegenteil weiter vergrößern.

Auf Grund dieser Erkenntnis haben wir untersucht, in wie weit sich die Leistungspunkte, welche zu Beginn des Studiums erworben werden, durch a‑priori bekannte FaktorenFootnote 18 erklären lassen. Insbesondere interessieren wir uns hier für den Einfluss der Hochschulzugangsberechtigungsnote (HZB-Note, Bezeichnung „Abi“) sowie soziodemografischer Hintergrundvariablen. Die Variablenselektion erfolgte automatisch unter Optimierung des BIC. Das resultierende Modell ist in Tab. 3 dargestellt. Das zugehörige Bestimmtheitsmaß beträgt nur 13 % und das adjustierte Bestimmtheitsmaß lediglich 9 %. Somit bleiben 87 % des Leistungspunkterwerbs unerklärt.

Tab. 3 Regression des kumulierten Erwerbs von LP in den ersten zwei Semestern

Es steht demnach kein starker Prädiktor für den Studienerfolg zur Verfügung. Insbesondere zeigt dies, dass die HZB-Note nur wenig über die Studieneignung aussagt, wenngleich sie besser geeignet ist als nahezu alle anderen a‑priori bekannten VariablenFootnote 19. Man kann zusammenfassend sagen, die HZB-Note ist der beste Indikator von vielen schlechten Prädiktoren.

Wir versetzten jetzt den Betrachtungszeitpunkt auf den Beginn des zweiten Semesters und stellen uns wieder die Frage, wie gut wir den Erwerb von LP in den folgenden zwei Semestern vorhersagen können. Zu diesem Zeitpunkt stehen erste Verlaufsdaten zur Verfügung, insbesondere sind die im ersten Semester erworbenen Leistungspunkte bekannt, welche wir als Kovariate ergänzen.

Das resultierende Modell in Tab. 4 weist ein Bestimmtheitsmaß von 45 % sowie ein adjustiertes Bestimmtheitsmaß von 43 % auf, erklärt somit den Leistungspunkterwerb wesentlich besser als ein Modell ohne Verlaufsdaten. Für jeden erworbenen Leistungspunkt im ersten Semester steigt die mittlere Anzahl LP in Semester zwei und drei um etwa einen LP. Ein Student, der also die planmäßigen 30 LP im ersten Semester erworben hat und für den keine der im Modell enthaltenen Dummyvariablen zutrifft, erwirbt über die nächsten zwei Semester im Mittel weitere 62,3 LP. Eine HZB-Note schlechter als 1,5 und ein nicht in Berlin erworbenes Abitur verschlechtern den Leistungspunkterwerb dagegen tendenziell. Überrascht wurden wir von dem negativen EffektFootnote 20, die Hochschulzulassungsberechtigung nicht in Berlin erworben zu haben. Als mögliche Erklärung vermuten wir, dass die Wahl des Wohnortes eventuell wichtiger war, als der Studiengang und die Universität.

Tab. 4 Regression des kumulierten Erwerbs von LP in den Semestern 2 und 3

5 Studienwechselneigung und Studienabbruch

In der Studieneingangsphase konkretisieren sich die Erwartungen der Studierenden an ihr Studium. Aber auch die Studierfähigkeit der Schulabgänger zeigt sich nach den ersten Prüfungen. In dieser Studienphase werden bereits erste Erwartungen hinsichtlich des Abschlusses des Studiums formuliert. In dieser Hinsicht ist der Beginn des zweiten Semesters, wenn alle Prüfungsergebnisse aus dem ersten Semester vorliegen, ein geeigneter Zeitpunkt für die Erhebung einer Studienwechselneigung.Footnote 21 Allerdings ist nicht klar, inwieweit eine hohe Studienwechselneigung auch ein guter Indikator für einen realen Studienabbruch ist.

In der Literatur wurde diese Fragestellung mit unterschiedlichen Ergebnissen diskutiert. Gold (1988) und Bean (1982) berichten mit stichprobenbasierten Untersuchungen von einem Zusammenhang zwischen Studienwechselneigung und Studienabbruch, während Georg (2008) mit einer retrospektiven Querschnittserhebung diesen Zusammenhang als Spekulation bewertet. Die Untersuchung von Brandstätter et al (2006) findet für österreichische Studenten auf Basis einer Stichprobenauswahl keinen empirischen Zusammenhang zum Studienabbruch. Diese fachübergreifenden Studien wurden von Fleischer et al (2019) kritisiert, da Hinweise vorlagen, dass das Abbruchsverhalten zwischen den Studiengängen variiert. In einer fachspezifischen Untersuchung von naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen untersuchen sie daher das Abbruchsverhalten in der Studieneingangsphase, konkret Exmatrikulation bis zum Ende des zweiten Semesters. Die Rekrutierung an dieser freiwilligen Befragung erfolgte ebenfalls über Lehrveranstaltungen.Footnote 22 Hierbei wird die Wechselneigung am Ende des ersten Semesters erfragt, so dass der Prognosezeitraum bis zum Ende des zweiten Semesters lediglich 6 Monate beträgt. Für diesen Prognosezeitraum stellen Fleischer et al (2019) in allen Studiengängen einen signifikanten Einfluss der Wechselneigung auf den Studienabbruch fest.

In dieser Studie soll die Studienwechselneigung und ihre Prognosekraft über einen deutlich längeren Zeitraum überprüft werden. Im Rahmen unserer Studie war dies ein Zeitraum von 3,5 Jahren (= Abschluss 8. Fachsemester).Footnote 23 Zusätzlich wurden jedoch noch weitere Hintergrund- und Motivationsmerkmale im Rahmen einer multiplen Logitanalyse verwendet. Die Liste aller verwendeten Merkmale ist im Anhang A wiedergegeben. Aus prinzipiellen Gründen wurde das Merkmal Geschlecht in allen Analysen beibehalten.Footnote 24

Die Studienwechselneigung und mögliche Ursachen wurden im Rahmen der Hörsaalbefragung explizit erfragt. Die Formulierung lehnte sich an die Querschnittsbefragung von Georg (2008) an: „Bedenken Sie einen Wechsel des Studiengangs?“ mit den Antwortkategorien „ja“, „unsicher“ und „nein“. Bereits bei Beginn des zweiten Semesters zeigte sich bei einem großen Teil der Studierenden doch Zweifel, ob sie den Studiengang zu Ende führen, vgl. Abb. 8. Genau ein Drittel der 315 Antwortenden war sich nicht mehr sicher, ob sie ihr Studium zu Ende führen. Hierbei zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Studienrichtungen BWL und VWL.

Abb. 8
figure 8

Studienwechselneigung nach Studiengang BWL und VWL

Bei der Analyse der Studienwechselneigung wird in der Literatur zwischen zwei Merkmalsgruppen unterschieden. Die Bedingungsfaktoren beziehen sich auf Einflüsse vor Beginn des Studiums wie Herkunft, Elternhaus, Belastung durch Nebenerwerbstätigkeit oder mangelnde Information über den Studiengang. Eine abgeschwächte Studienwechselneigung wird für die folgenden Merkmale erwartet:

  • Gute kognitive Eingangsvoraussetzung (Hinneberg 2003), die über die Hochschulzulassungsnote operationalisiert wird.

  • Weiblich (Heublein et al 2017)

  • Akademischer familiärer Hintergrund (Sarcletti and Müller 2011)

  • Abgeschlossene Berufsausbildung (Heublein et al 2017)

Dagegen bezieht sich die Merkmalsgruppe „Motivation“ direkt auf den Studiengang. Hierzu gehören Leistungsprobleme, mangelnde Motivation und negativ wahrgenommene Studienbedingungen. Unser Fragebogen ging auf mögliche Leistungsprobleme und Probleme bei der Realisation des Studiums detailliert ein, vgl die Dokumentation im Anhang A:

  • Leistungspunkte (LP bzw. ECTS):

    • Erreichte LP im ersten Semester

    • Geplante LP

    • Differenz geplante – erreichte LP

  • Prüfungen: ungeplante, nicht bestandene Prüfungen sowie geplante, nicht bestandene PrüfungenFootnote 25

  • Sicherheit bei der Wahl des Studiengang (5 stellige Likert Skala mit den Stufen „sehr sicher“ (5) bis „sehr unsicher“ (1))

  • Ob der Studiengang die erste Wahl war

  • Veränderung der Studienmotivation (5 stellige Likert Skala mit den Stufen „Starke Zunahme“ (5), „keine Veränderung“ (3) und „starke Abnahme“ (1).

  • Wahl des Studiums aufgrund eines speziellen Schwerpunkts.

  • Ausreichendes Modulangebot im Interessengebiet.

Da hier insbesondere die Unterschiede zwischen den Studiengängen BWL und VWL beleuchtet werden sollen, sei hier auf die unterschiedliche Bedeutung der Motivationsvariable „Wahl des Studiengangs wegen eines Studienschwerpunkts (ja/nein)“ verwiesen. Abb. 9 zeigt, dass für den Studiengang BWL die Bedeutung eines speziellen Studienschwerpunkts nur eine untergeordnete Rolle für das Studienabbruchempfinden hat. Beim Studiengang VWL liegen die Dinge jedoch anders. Wer hier keine feste Bindung an einen Studienschwerpunkt hat, schließt schon nach dem ersten Semester in 50 % aller Fälle eine Studienwechsel nicht aus. Dies ließe sich im Sinne eines VerlegenheitsstudiumsFootnote 26 interpretieren. In der BWL scheint dagegen eine klare Perspektive zu herrschen. Das häufige Vorurteil, die hohe Abbruchquote in der VWL läge an dem häufigen Wechsel in die BWL, können wir in unseren Daten nicht beobachten. Die Wechsel zwischen den Studiengängen BWL und VWL an der FU liegt in der betrachteten Kohorte im einstelligen Bereich und finden bidirektional statt. Insgesamt wechselte lediglich ein VWLer mehr in die BWL als andersherum.

Abb. 9
figure 9

Studienwechselneigung nach Studiengang BWL und VWL. Interaktion nach Wahl des Studiengangs wegen eines Studienschwerpunkts (ja/nein)

Bei der Beurteilung der Unterschiede zwischen den Studiengängen BWL und VWL sollte auch die unterschiedliche Zusammensetzung hinsichtlich Note und Geschlecht berücksichtigt werden. Aufgrund der hohen Studiennachfrage ist der Leistungsdurchschnitt bei den BWL-ern deutlich günstiger (Median Abiturnote 1,8 (BWL) vs. 2,1 (VWL) ). Weiterhin ist der Frauenanteil bei den BWL-ern mit 61 % deutlich höher als bei den VWL-ern mit 35 %. Aus diesem Grund müssen beide Merkmale bei einer multiplen Analyse mit berücksichtigt werden.

Nachfolgend sollen nun der simultane Einfluss die verschiedenen Merkmale auf die Variable \(Y\) = Studienwechselneigung mit einem ordinalen LogitmodellFootnote 27 (Fahrmeir et al 2013) geschätzt werden. Die Modellselektion wurde mittels schrittweiser Variablenselektion durchgeführt. Es wurde mit dem vollen Modell gestartet (siehe Appendix A) und in jeder Iteration konnten Kovariaten sowohl entfernt, als auch hinzugefügt werden. Da diese automatische Modellselektion grundsätzlich in der Kritik steht, zu einer Überanpassung zu führen, wurde anstelle des häufig verwendeten Akaike-Informationskriterium (AIC) das strengere Bayessche Informationskriterium (BIC) optimiert. In Tab. 5 sind die Koeffizientenschätzer des nach BIC optimalen Modells dargestellt. Es ergeben sich drei signifikante Variablen: Die erworbenen Leistungspunkte des ersten Semesters, der Rang des Studiengangs (erste, zweite, dritte Wahl) sowie die Sicherheit, mit der das Studium gewählt wurde. Interessant ist, dass die anderen Merkmale zu Erfahrungen mit dem Studiengang, z. B. ein Indikator, ob sich gewisse Vorstellungen über den Studiengang negativ bestätigt, keinen signifikanten Einfluss auf die Studienwechselneigung haben. Auch der Einfluss der VWL auf die Studienwechselneigung liegt unterhalb der üblichen Signifikanzniveaus. Der große Wert des Koeffizienten für die Nennung des Studiengangs als dritte Wahl zeigt an, dass fast alle Studierenden mit dieser Einschätzung eine Studienwechselneigung äußern.

Tab. 5 Geschätzte Koeffizienten des ordinal-logistischen Modells zur Erklärung der Wechselneigung

Die Betrachtung der Prädiktionsgüte des ordinal-logistischen Modells zeigt, dass es nur schlecht in der Lage ist, zwischen den Ausprägungen „unsicher“ und „ja“ zu diskriminieren. Aus diesem Grund fassen wir diese beiden Kategorien in der neuen Variable „wechselneigung Bin“ wie folgt zusammen:

$$\text{wechselneigung Bin}_{i}=\begin{cases}0&\text{f{\"u}r Wechselneigung ordinal}_i = \text{nein}\\ 1& \text{sonst} \end{cases}$$

Für diese neu definierte Wechselneigung führen wir erneut eine Variablenselektion nach BIC aus. Hierbei verwenden wir das gleiche Verfahren und die gleichen Variablenbasis wie schon für das ordinale Modell. Das resultierende Modell ist in Tab. 6 dokumentiert. Die area under the curve (AUC) beträgt 0,82, was auf einen guten Modellfit hindeutet.

Tab. 6 Geschätzte Koeffizienten des binär-logistischen Modells zur Erklärung der Wechselneigung

Die Interpretation der Koeffizienten ist hier dieselbe wie bei dem ordinalen Logitmodell von Tab. 5. Auffällig ist hier wieder der hohe Wert für die Bezeichnung des Studiengangs als dritte Wahl. Hier müssen fast alle Studierenden mit dieser Nennung einen Wechsel des Studiums genannt habenFootnote 28. Dies erscheint auch plausibel. In diesem Modell ist die Klassifikationsmatrix in Tab. 7 deutlich günstiger. Insgesamt werden in diesem Modell 77,8 Prozent der Studierenden hinsichtlich ihrer Studienwechselneigung richtig eingeschätzt.

Tab. 7 Klassifikationsmatrix der Wechselneigung aus dem Modell in Tab. 6

Im folgenden soll nun überprüft werden, ob die am Anfang des zweiten Semesters geäußerte Studienabbruchneigung ein zuverlässiger Indikator für den tatsächlichen Studienabbruch ist. Allein die Größenverhältnisse der beiden Teilmengen lassen erwarten, dass es noch zu deutlichen Verschiebungen im Verlaufe der nächsten 7 Semester kommt. Während 2/3 der Studierenden an Anfang des zweiten Semesters keine Studienwechselneigung zeigen, schaffen jedoch nur ca. 40 Prozent der Studierenden einen Abschluss bis zum 8. Semester.

Wir interessieren uns also nicht mehr für die Wechselneigung der betrachteten Studierenden als abhängige Variable sondern wir möchten ermitteln, in wie weit mit den Informationen zu Beginn des zweiten Semesters ein späterer tatsächlicher Wechsel bzw. ein Studienabbruch prognostiziert werden kann. Zu diesem Zweck generieren wir aus den administrativen Verlaufsdaten für die Teilnehmer der Hörsaalumfrage eine Binärvariable „Abbruch erfolgt“ nach folgender Logik: Wenn der Studierende zum Ende des achten Hochschulsemesters noch in seinem Studiengang eingeschrieben ist oder diesen erfolgreich abgeschlossen hat bzw. schon ein MasterstudiumFootnote 29 aufgenommen hat, nimmt die Variable den Wert 0 an und 1 in den übrigen Fällen. Ob ein Abbruch/Wechsel erfolgte, modellieren wir durch ein binäres logistisches Regressionsmodell. Die Variablenselektion erfolgt wie bei den vorangegangen Modellen durch eine schrittweise Selektion unter Optimierung des BIC, die Liste der verwendeten Variablen ist in Appendix A gegeben.

Das resultierende Modell ist in Tab. 8 gegeben. Die in-sample Vertrauenswahrscheinlichkeit beträgt 0,74 %. Zur Bestimmung dieses Gütemaßes wurde die Fläche unter der ROC-Kurve optimiert (AUC = \(0{,}80\)), um einen geeigneten Grenzwert zu ermitteln. Beobachtungen mit einer Wahrscheinlichkeit unterhalb oder gleich dieses Grenzwerts werden mit 0 klassifiziert andernfalls mit 1.

Tab. 8 Logistische Regression des Abbruchs/Studienwechsels bis einschließlich des achten Semesters

Eine geringe Zahl von Leistungspunkten im ersten Semester und die Äußerung einer Wechselneigung zu Beginn des zweiten Semesters vergrößern nachhaltig das Risikos eines Abbruchs. Quantitativ vergrößert die Antwort, dass man an einen Wechsel denkt, das Abbruchrisiko um den Faktor 7,6. Wer dagegen nur unsicher ist, ob er das Studium weiterführt, vergrößert gegenüber den Sicheren das Risiko nur um den Faktor 4,2. Das Verhalten ist also durchaus sensibel hinsichtlich der Deutlichkeit, mit der eine Wechselneigung ausgedrückt wird. Wer nur 12 statt der geforderten 30 LP erworben hat, vergrößert sein Abbruchrisiko um den Faktor \(\exp((30-12)\times 0{,}07)=5{,}4\). Treffen beide Ereignisse zu, so vergrößert sich bei der Nennung „Wechsel = ja“ und nur zwei abgeschlossenen Modulen das Abbruchrisiko um den Faktor \(7{,}6\times 5{,}4=41{,}06\). Damit kann schon am Beginn des 2. Semesters die Risikogruppe der späteren Studienabbrecher relativ genau abgegrenzt werden.

6 Schulische Leistungsindikatoren und Studienerfolg

Schulische Leistungsindikatoren nehmen eine herausragende Stellung bei der Vergabe der Studienplätze ein. Das weitaus größte Gewicht hat dabei die Note der Hochschulzugangsberechtigung (HZB-Note). 60 Prozent der Studienplätze werden in Berlin über die HZB-NoteFootnote 30 vergeben. 20 Prozent werden über eine Warteliste vergeben, deren Reihung ihrerseits die Abiturnoten vor Eintritt in die Wartezeit widerspiegelt. Die verbleibenden 20 Prozent werden über Härtefallregelungen vergeben. Die Begründung für die starke Berücksichtigung der Abiturnote besteht in der „berechtigten Annahme einer höheren Wahrscheinlichkeit für einen Studienabschluss“, so Heublein et al (2017).

Die empirische Basis für diese Einschätzung beruht in der Mehrzahl der Fälle auf Korrelationsanalysen der Abiturnote mit der Abschlussnote an der Universität. In einer Metaanalyse untersuchen Trapmann et al (2007) 26 internationale Studien zum Zusammenhang von schulischer Leistung und Studiennote. Nach diesen Studien ist die Korrelation zwischen der Abiturnote und Studiennote in Deutschland am höchsten. Allerdings kann eine Studiennote nur bei Abschluss eines Studiums ermittelt werden. Die Anzahl der analysierten Studien, die sich lediglich auf den Abschluss des Studiums beziehen, ist mit 4 wesentlich kleiner.

Stellvertretend sei hier die Studie von Heublein et al (2017) genannt. Sie basiert auf einem Vergleich der Abiturnoten der Studienabbrecher und der Absolventen des Studiums. Danach liegt die Durchschnittsnote für Absolventen bei 2,3 während sie bei den Studienabbrechern bei 2,7 liegt, vgl. Abbildung 5.22 in Heublein et al (2017). Allerdings deuten die Ergebnisse auch auf eine erhebliche Streuung der schulischen Leistungsindikatoren und des Studienerfolgs. So sind unter den Studienabbrechern allein 16 Prozent mit einem Abiturdurchschnitt von besser als 2,0. Umgekehrt sind unter den Absolventen 12 Prozent mit einer Abiturnote schlechter als 3,0, vgl. Abbildung 5.23 in Heublein et al (2017).

Wir untersuchen im Folgenden den Zusammenhang zwischen der HZB-Note und dem Erfolg im Studium. Wir betrachten Erfolg als ein ein zweiteiliges Konzept: zum Einen das Erreichen des avisierten Abschlusses in angemessener Zeit, zum anderen die im Studium erzielten Noten. Dem ersten Teil haben wir uns bereits in Abschnitt 4 gewidmet. Konditioniert man auf die erreichten Leistungspunkte im ersten Semester und die individuelle Studienmotivation so ergibt sich kein zusätzlicher Effekt der Abiturnote auf den Abschluss des Studiums, vgl. Tab. 8. Allerdings wirkt sich die Abiturnote auf die Anzahl der erreichten Leistungspunkte im ersten Semester aus. Inspiziert man jedoch die Koeffizienten für den Einfluss der Abiturnote auf die Leistungspunkte in Tab. 3 so zeigt sich, dass der Einfluss von 1,0 bis zur Note 2,5 praktisch identisch ist. Dies ist aber der Bereich, in dem der Numerus Clausus stark unterschiedliche Zugangschancen für das Studium setzt.

Dieser Zusammenhang von Abiturnote und dem Erfolg im ersten Studienjahr soll hier noch einmal bivariat über einen Scatterplot-SmootherFootnote 31 und separat für die BWL und die VWl mit Ergebnissen aus der HU (Kohorte WS 2014/15) dargestellt werden.Footnote 32 Die Abb. 10 zeigt für die BWL-er praktisch keinen Einfluss der Abiturnote in einem breiten Bereich von den Bestnoten bis etwa zur Marke von 2,5. Erst für schlechtere Schulnoten zeigt sich im Mittel eine Tendenz zu einem geringeren Studienerfolg. Die Ergebnisse stimmen sehr gut mit der multivariaten Schätzung für die FU überein. Allerdings offenbart die separate Schätzung des bivariaten Effekts für die VWL, dass in der VWL der Einfluss der Abiturnote auch bei den guten Schulnoten noch deutlich messbar ist. Diese Ungleichheit des Einflusses der Schulnoten zwischen den beiden Studiengängen wird auch bei den einzelnen Modulnoten auftreten. Analysiert man den Zusammenhang von Schulnoten und Studienerfolg im Sinne klassischer Korrelationsmaße, so erhält man für die BWL \(R^{2}=0{,}10\) und für die VWL \(R^{2}=0{,}18\). Die unerklärte Residualvarianz ist also der bestimmende Faktor für den Erfolg in der Studieneingangsphase!

Abb. 10
figure 10

Der Einfluss der Abiturnote auf erreichten Leistungspunkte am Ende des ersten Studienjahrs (Kohorte WS 2014/2015, HU). a BWL, b VWL. Farben: Unterscheidung nach dem Studienstatus am Ende des 9. Semesters (Grün mit Abschluss, Rot ohne Abschluß exmatrikuliert, Gelb im Studiengang verbleibend)

Bevor wir den Einfluss der HZB-NoteFootnote 33 auf die bei Studienabschluss erzielten Noten untersucht werden, werfen wir einen Blick auf den Einfluss der Abiturnote auf einzelne Modulnoten.

Selbst im Fall einer erfolgreichen Teilnahme an einer Modulprüfung gibt es Gründe für Zweifel an einer hohen Korrelation von Modulnote und Abiturnote. Beispielsweise hat das im Modul abgefragte Wissen in der Regel nur wenig mit dem Schulwissen gemeinsam. Auch sind die Ergebnisse schriftlicher Klausuren, die am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft die Regel sind, von gewissen Zufälligkeiten abhängig, wie zum Beispiel Koinzidenzen von Prüfungsstoff und individueller Vorbereitung.

Die Abb. 11 und 12 belegen diese geringe Korrelation mit diversen Streudiagrammen von Modulnoten und Abiturnote (HZB-Note) an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der HU. Aus Gründen der Erhöhung der Fallzahl, aber auch aus Gründen der Anonymisierung wurden diese Ergebnisse über mehrere Kohorten (WS 2010/11 bis WS 2015/16) gepoolt.

Abb. 11
figure 11

Erreichte Modulnoten nach Abiturnote (HZB-Note) in BWL. Scatterplot Smoother (LOESS) mit Konfidenzintervall

Abb. 12
figure 12

Erreichte Modulnoten nach Abiturnote (HZB-Note) in VWL. Scatterplot Smoother (LOESS) mit Konfidenzintervall

Die Streudiagramme werden durch einen Scatterplot Smoother ergänzt. Hier zeigt sich bei den BWL-ern ein systematischer Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Mathematik I Moduls und der Schulnote. Wegen der Nähe der Mathematikausbildung zum Schulstoff erscheint dies wenig verwunderlich. Bei allen anderen Pflichtmodulen existiert jedoch gar kein Zusammenhang. Hervorstechend ist in erster Linie die hohe Residualvarianz, die alle systematischen Zusammenhänge überlagert.

Wechselt man von den BWL-ern zu den VWL-ern, so zeigen sich bei allen Modulen stärkere Zusammenhänge zwischen der Abiturnote und der Modulnote. Dies gilt selbst für Module, die sich wenig mit dem üblichen Schulstoff überlappen, wie zum Beispiel das Modul Recht. Viele Module im BA-Studium werden von BWL-ern und VWL-ern gemeinsam besucht.Auch die Prüfungsform ist bei beiden Studiengängen durchgängig eine schriftliche Klausur. Diese Differenzen im Studienerfolg können daher nur mit unterschiedlichen LernkulturenFootnote 34 in diesen beiden Studiengängen erklärt werden. Trotzdem ist auch bei den VWL-ern die Residualvarianz die bestimmende Größe.

Es ist daher zu erwarten, dass die Bachelornote als Resultat dieser stark streuenden Modulnoten ebenfalls stark um die Abiturnote schwanken. Abb. 13 zeigt auf Basis der Daten der HUFootnote 35 den Zusammenhang zwischen der Abiturnote (Note der Hochschulzulassung) und der erreichten Bachelor-Note. Für die BWL weist der Scatterplot Smoother keinen Zusammenhang von Schulnote und BA-Abschlussnote für einen weiten Bereich von Schulnoten aus. Wie bei der Entscheidung, ob der Studiengang vollendet wird oder abgebrochen wird, ist die Schulnote in dem Bereich bis zur Note 2,5 praktisch irrelevant. Dies ist aber der Bereich, wo die NC-Regelungen zwischen Zulassung und Nicht-Zulassung diskriminieren. Ein ganz anderes Bild ergibt sich bei der VWL: Hier ergibt sich ein deutlicher, fast linearer Zusammenhang zwischen der Abiturnote und der erreichten BA-Abschlussnote. Dies resultiert in einem \(R^{2}\) von ungefähr 30 %. Allerdings zeigt sich auch hier eine nicht unbeträchtliche Residualstreuung.

Abb. 13
figure 13

Der Einfluss der Abiturnote auf die BA-Note (HU Kohorten WS 2011/12 bis WS 2016/17). a BWL, b VWL

Auch Danilowicz-Gösele et al (2017) präsentieren in ihrer Figure 1 für Ökonomen Streudiagramme von Abiturnote und Abschlussnote mit einer hohen Residualstreuung. Ihr \(R^{2}\) ist mit 0,247 sogar etwas geringer als der hier präsentierte Wert für den BA-VWL. Allerdings fasst die Analyse alle Abschlüsse am FB Wirtschaftswissenschaft zusammen und differenziert hierbei nicht zwischen Bachelor- und Masterabschlüssen und zwischen den Studiengängen BWL und VWL. Diese größere Heterogenität könnte für das geringere \(R^{2}\) verantwortlich sein.

Insgesamt zeigt sich eine allenfalls schwache Prädiktion der Schulnote sowohl für den Abschluss des BA-Studiums als auch für die dabei erreichte BA-Note. Für den stark nachgefragten Studiengang BA-BWL mit strikten NC-Grenzen zeigt sich im NC-relevanten Bereich bis zur Note 2,5 überhaupt kein Zusammenhang von Schulnote und BA-Note. Für die VWL, wo der NC weitaus großzügiger ist, ist jedoch ein erkennbarer Zusammenhang von Schulnote und BA-Note gegeben, wenngleich die Residualstreuung immer noch so hoch ist, dass Prognosen auf den Studienerfolg wenig aussagekräftig sind.Footnote 36

7 Resümee

Diese Analyse hat gezeigt, dass die Kombination von Befragungsdaten und administrativen Prüfungsdaten zahlreiche Ergebnisse zu Studienabbruchrisiken und deren Ursachen liefert, die mit retrospektiven Befragungsansätzen bzw. Querschnittsbefragungen nicht oder nur um den Preis von hohen Nonresponsequoten und Messfehlern zu erhalten sind. Insbesondere zeigt sich, dass leistungsfähigere Studenten auch in Befragungen auskunftsbereiter sind. Dies ist ein Hinweis auf einen gewissen „Erfolgsbias“ bei Umfragen in der empirischen Bildungsforschung.

Weiterhin zeigt sich, dass die elterliche Bildung, mögliche Nebentätigkeiten während des Studiums sowie andere Hintergrundmerkmale keinen Einfluss auf den Studienabschluss haben. Dieser Befund steht in guter Übereinstimmung mit den Ergebnissen von Berens et al (2019), die ebenfalls keinen separaten Effekt von sozialen Proxy-Merkmalen (Krankenversicherung und lokale Kaufkraft) für den Studienerfolg finden. Die Tatsache, dass soziale Hintergrundmerkmale nur einen zu vernachlässigenden Einfluss auf den Studienerfolg haben, kann man als Indiz werten, dass die hier beteiligten Universitäten ihren Bildungsauftrag ohne soziale Hemmnisse erfüllen.

Allerdings sind die persönlichen Motivationsmerkmale (Sicherheit bei der Wahl des Studiengangs, Präferenz unter Alternativen und geäußerte Wechselabsicht) von hoher Relevanz für den Studienerfolg. Diese Merkmale sind zusammen mit den in der Studieneingangsphase erreichten Leistungspunkten ein sehr guter Indikator für den zukünftigen Studienerfolg.

Insgesamt zeigt sich, dass schon am Ende des ersten Studienjahres zuverlässige Vorhersagen über den Studienerfolg bis zum 8. Semester allein auf Basis der erzielten Leistungspunkte und einer persönlichen Einschätzung eines Studienwechsels möglich sind. Grundlage für diese hohe Prognosefähigkeit ist eine frühe, starke Bimodalität der Studierenden hinsichtlich der von ihnen erworbenen Studienpunkte. Diese Möglichkeit sollte aktiv für ein Mentorenprogramm genutzt werden. Es ist also nicht nötig, bis zum Ende der Regelstudienzeit zu warten, um gefährdete Studierende zu beraten. Eine umsetzbare Strategie würde die Studierenden, die eine gewisse Mindestanzahl von Leistungspunkten nicht erreicht haben, nach ihrer Studienmotivation fragen und sie mit ihren Prognosewerten für den Abschluss ihres Studiums konfrontieren.

Ein Wechsel des Studiengangs ist nicht per se negativ zu bewerten, obwohl der meist gebrauchte Begriff des „Studienabbruchs“ eine negative Konnotation besitzt. Häufig ist der Abbruch eines Studiengangs nur eine Station auf dem Weg zu einer endgültigen Berufsfindung.Footnote 37 Eine negative Bewertung als Vergeudung von finanziellen, aber auch persönlichen Ressourcen wie bei Berens et al (2019) ist nur dann angezeigt, wenn der Studienabbruch in einer späten Studienphase stattfindet. Aus diesem Grund ist eine Evaluation der Studierenden am Ende des ersten Studienjahres eine vielversprechende Möglichkeit, späte Studienabbrüche zu vermeiden.

Allerdings zeigen unsere deskriptiven Befunde, dass ein Großteil der Abbrüche relativ spät stattfindet. Teilweise wird bei einigen Studiengängen versucht, über Studien- bzw. Prüfungsordnungen späte Studienabbrüche zu vermeiden, indem man den Abschluss bestimmter Module innerhalb einer vorgegebener Frist vorschreibt.Footnote 38 Trotzdem ist eine derartige administrative Regelung, die erst in späteren Fachsemestern zum Tragen kommt, vermutlich langsamer als eine effiziente Evaluation nach dem ersten Studienjahr.

Der Einfluss der schulischen Bewertung über die AbiturnoteFootnote 39 auf den Studienerfolg wird in der Literatur überwiegend akzeptiert, z. B. durch die Auswertung administrativer Prüfungsdaten, vgl. Danilowicz-Gösele et al (2017) oder als Metastudie von zahlreichen Auswertungen (Trapmann et al (2007). Diese Befunde beruhen jedoch fast immer auf einer Korrelationsanalyse, die die Linearität des Einflusses der Schulnote auf die Abschlussnote im Studium unterstellt.Footnote 40 Eine derartige Linearität ist aber in den von uns untersuchten Studiengängen nicht gegeben. Gerade in den Bereichen, wo der Numerus Clausus im Fach BWL harte Zulassungsgrenzen setzt, ist keine Differenzierung des Studienerfolgs über die Schulnote zu erkennen. D. h. Studienbewerber oberhalb und unterhalb der Zulassungsgrenze haben dieselben Aussichten auf einen Studienerfolg. Zudem gibt es bedeutende Unterschiede selbst für so verwandte Studiengänge wie BWL und VWL. Auch Danilowicz-Gösele et al (2017) konstatiert große Unterschiede zwischen einzelnen Fächergruppen. Unerwartet sind Unterschiede im Studienerfolg verschiedener Studiengänge in gemeinsamen Modulen.Footnote 41 Dies weist auf unterschiedliche fachliche Motivationen und Lernweisen in den Studiengängen hin, die den Studienerfolg beeinflussen.

Der Zugang zu den individuellen Prüfungsdaten ermöglicht auch die Darstellung über Streudiagramme von Abiturnoten und Prüfungsnoten. Diese weisen klar eine überragende Residualstreuung aus, nicht nur in den von uns analysierten Studiengängen sondern auch für andere Studiengänge, zum Beispiel in Figure 1 in Danilowicz-Gösele et al (2017). Als alleiniges Mittel zur Prognose des Studienerfolgs ist die Abiturnote mit einem \(R^{2}\) von unter 0,20 wenig geeignet. Nimmt man die Studienmotivation und die Leistungsergebnisse der Studieneingangsphase mit in die Auswahl der Prognosemerkmale hinzu, so verschwindet der schulische Einfluss sofort.

Man fragt sich daher, was der Abiturnote so eine überragende Bedeutung bei der Zulassung zum Studium in Deutschland gibt. Nach Danilowicz-Gösele et al (2017) gibt es einfach keine besseren Prädiktoren vor Studienbeginn. Allerdings wurde die alleinige Anwendung der Schulnote vom Bundesverfassungsgericht als Kriterium bei der Zulassung zum Medizinstudium als verfassungswidrig verworfen.Footnote 42 Unsere Ergebnisse belegen einen hohen prognostischen Wert der Studienergebnisse des ersten Semesters und der Selbsteinschätzung der Studierenden. Diese Informationen könnte man für eine probeweise Zulassung nutzen, die nach dem ersten Studienjahr evaluiert wird. Eine Art ProbestudiumFootnote 43 gibt es bereits an der FU (siehe https://www.fu-berlin.de/universitaet/kooperationen/schulen/studierende/index.html aufgerufen am 15.7.2020. In Frankreich aber auch anderen europäischen Ländern ist eine Evaluation der Studierenden nach dem ersten Studienjahr die Regel. Die technologischen Möglichkeiten für eine Vergrößerung der Teilnehmerzahlen sind mit der Einführung der Online-Lehre und elektronischen Prüfungsräumen im Gefolge der Corona-Krise deutlich gewachsen. Frühere Restriktionen durch die Größe der Hörsäle können damit überwunden werden. Insgesamt ist damit der Spielraum für alternative Zulassungsverfahren gestiegen.