Einleitung

Etwa die ersten zehn Therapieeinheiten einer Einzel- oder Gruppentherapie scheinen, so es sich nicht um ein Kurztherapie-Setting handelt, ein kritisches Zeitfenster zu bilden: Hier entscheidet sich, ob ein „Ankommen“ in der Therapie und die Etablierung eines therapeutischen Bündnisses möglich sind oder das Setting wieder verlassen wird (Shamir et al. 2010). Was wissen wir über diese Phase bzw. insbesondere darüber, wie es dazu kommt, dass Patient_innen in einem gruppentherapeutischen Setting verweilen oder dieses im genannten Zeitfenster wieder verlassen?

Spezifische Befunde zu Gruppentherapien betreffen in erster Linie ihre Wirksamkeit, sowie die Relevanz von Allianz und Kohäsion (Strauß et al. 2020). Zu (früher) Beendigung dagegen ist die Befundlage spärlich. Bezieht man auch die Literatur zum einzeltherapeutischen Setting ein, wird ein Ausstieg innerhalb des genannten Fensters in der Regel als „Therapieabbruch“ oder „Dropout“ bezeichnet (Eckert 2001, S. 59) und – sowohl in der klinischen Praxis als auch in der theoretischen Konzeption – häufig als Misserfolg betrachtet (Leitner et al. 2012). Die Definition von „Therapieabbruch“ bleibt divers und Forschungsergebnisse beziehen sich mehrheitlich auf einzeltherapeutische Settings (M.J. Lambert, 2013a; Seiffge-Krenke und Cinkaya 2017; Wierzbicki und Pekarik 1993).

Entsprechende Definitionen schließen entweder quantitative Angaben zu wahrgenommenen Therapiestunden oder Einschätzungen der Therapeut_innen ein. Quantitative Formen der Definition können keine Unterscheidung dahingehend treffen, ob Patient_innen die Behandlung a) wegen einer schnellen, b) trotz oder c) wegen fehlender Verbesserung verlassen haben. Hier müssten Überlegungen zu Dosis-Wirkungs-Beziehungen miteinbezogen werden ebenso wie Forschungsergebnisse zur Kurzzeit(gruppen)psychotherapie. Zudem scheint diese Definition wenig aussagekräftig bei jenen Therapieformen ohne zuvor definierter Anzahl von Therapieeinheiten. Die Einschätzungen durch die Therapeut_innen wiederum ist eine schwer vergleichbare Operationalisierung, da diese vermutlich von der jeweiligen schulenspezifischen Ausrichtung oder anderen z. B. institutionellen (Vor‑)Erfahrungen entscheidend mitbestimmt werden (O’Keeffe et al. 2019).

Um die Beweggründe von Patient_innen, die eine Psychotherapie in der Anfangsphase verlassen zu verstehen, bieten sich direkte Befragungen dieser Zielgruppe an. Allerdings haben erstaunlich wenige Studien bisher sogenannte „Therapieabbrecher_innen“ selbst zu Wort kommen lassen (siehe z. B. O’Keeffe et al. 2019; Roe et al. 2006; Wilson und Sperlinger 2004).

Bezüglich der „Risikofaktoren“ für ein frühes Ende der psychotherapeutischen Behandlung beklagen Seiffge-Krenke und Cinkaya (2017) einen starken Überhang an Studien, in denen der Fokus ausschließlich auf Patient_innenvariablen gelegt wird. In nur 16 % der Studien, die in die Metaanalyse von Cinkaya (2016) Eingang gefunden haben, wurden Therapeut_innen- oder Prozessvariablen einbezogen. Dies ist insofern bedauerlich, als es Hinweise auf Interaktionseffekte zwischen Patient_innen- und Therapeut_innenfaktoren gibt, die Therapieoutcomes weitaus besser vorhersagen könnten als die Patient_innenvariablen allein (Leitner et al. 2012). Eine empirisch relativ gut gestützte Aussage lässt sich bezüglich einer Therapeut_innenvariable machen: Es gibt Hinweise darauf, dass mehr Arbeitserfahrung der Therapeut_innen mit geringeren Abbruchraten einhergehen (Winkler 2018).

Die Analyse der Patient_innenvariablen zeigt insbesondere niedrigeres Alter, geringeren Bildungsstand, mangelnde soziale Einbettung, geringes Einkommen, Zugehörigkeit zu ethnischen Minderheiten sowie geringere Erwartungen an Therapieerfolg und niedrige Motivation als ausschlaggebend für ein frühes Ende der Psychotherapie. Bezüglich des Einflusses der Hauptdiagnose, der Symptombelastung, des Funktionsniveaus sowie der Therapievorerfahrung, ebenso wie des Geschlechts der Patient_innen ist die Datenlage hingegen widersprüchlich (Seiffge-Krenke und Cinkaya 2017; Swift und Greenberg 2012; Wierzbicki und Pekarik 1993; Winkler 2018). Diese Ergebnisse beziehen sich sowohl auf das einzel- als auch auf das gruppentherapeutische Setting, wobei sich der Großteil der Studien einzelpsychotherapeutischen Verläufen widmete.

Hinsichtlich des Vergleichs der allgemeinen Abbruchraten bei Gruppentherapie im Vergleich zu Einzeltherapie sind Studienergebnisse uneindeutig: Es gibt sowohl Hinweise auf gleich hohe wie auch auf höhere Abbruchraten in Gruppentherapien (Winkler 2018).

Insgesamt lässt sich also sagen, dass wir über die Anfangsphase der Gruppentherapie noch wenig wissen.

Ziele und Design der Studie

In unserer Pilotstudie ging es uns insbesondere um Interaktionseffekte zwischen Patient_innen- und Therapeut_innenvariablen sowie um einen ersten Zugang zu Phänomen des frühen Therapieendes über die Perspektiven der Patient_innen und der Therapeut_innen. Letzteres Ziel wurde qualitativ verfolgt. Wir haben also für unsere Pilotstudie einen multiparadigmatischen und -methodischen Zugang gewählt. Es handelt sich um eine Studie mit einer retrospektiven quantitativen Datenauswertung und einer prospektiven qualitativen Analyse. Die Generalisierung der quantitativen Daten erfolgte über Mittelwertvergleiche, jene der qualitativen über eine systematische komparative Analyse der Fälle im Rahmen der Dokumentarischen Methode (u. a. Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014). Der Pilotstudie entsprechend sind die Ergebnisse beider Zugänge in erster Linie als Heuristik zu verstehen.

Die Untersuchung fand an der ÖAGG – psychotherapeutischen Ambulanz (pta) statt. Sie besteht seit 2015, ist psychotherapeutisch geleitet, und ist spezialisiert auf ambulante Gruppenpsychotherapie für Erwachsene. Die Gruppen werden störungs- bzw. zielgruppenspezifisch angeboten und sind bis zu vier Jahre mit wöchentlichen Gruppentherapiesitzungen von zwei Einheiten à 45 min voll kassenfinanziert. Die fachspezifische Ausrichtung der Gruppenpsychotherapeut_innen umfasst drei der vier in Österreich anerkannten Methodencluster: psychodynamisch, humanistisch und systemisch. Nach einem Eingangsprozess mit einem Informationsgespräch und ein bis zwei Einzelgesprächen mit dem/der zukünftigen Gruppentherapeut_in kommt es zur ersten Gruppentherapiesitzung.

Quantitativer Zugang

Aus den fünf Jahren des Bestehens der psychotherapeutischen Ambulanz liegen Daten von über 2500 ehemaligen und aktuell behandelten Patient_innen vor. Sie wurden retrospektiv ausgewertet. In die Stichprobe einbezogen wurden alle Patient_innen, die mindestens eine Gruppentherapieeinheit in der pta in Anspruch genommen haben. Die Auswertungen erfolgten mit dem Statistikprogramm IBM SPSS Statistics 26.

Die Anzahl der durch einen/eine Patient_in gesamt wahrgenommenen Therapieeinheiten wurde mit den jeweiligen durch die Therapeut_innen angegebenen Ausscheidungsgründen in Zusammenhang gebracht. Das Vorliegen einer Normalverteilung wurde anhand der Schiefe und Krümmung der Variablen nach Miles und Shevlin (2001) beurteilt. Die Anzahl der wahrgenommenen Therapieeinheiten war stark rechtsschief verteilt, sodass keine Normalverteilung angenommen werden konnte. Für die Berechnungen wurden mithin parameterfreie Verfahren (Mann-Whitney-U-Test) herangezogen. Zudem wurde – als Sensitivitätsanalyse – mit den logarithmisch transformierten Daten gerechnet und die Ergebnisse verglichen.Footnote 1

Bei den Analysen zum Drop-Out wurde der Einfluss von patient_innen-, therapeut_innen- und behandlungsspezifischen Variablen auf die Wahrscheinlichkeit eines Endes innerhalb der ersten 10 Einheiten berechnet. Für die Testung gruppenspezifischer Unterschiede wurde der Chi2-Test bzw. die logistische Regression angewandt.Footnote 2

Als Signifikanzniveau für die statistischen Tests wurde ein α‑Wert von 0,05 festgelegt.

Qualitative Zugänge

Prospektiv wurden sechs narrative Interviews per Telefon mit Patient_innen, drei Frauen und drei Männer, die mindestens eine und maximal zehn Gruppentherapieeinheiten wahrgenommen hatten, geführt. In der durch die Eingangsfragestellung evozierten autobiographischen Stegreiferzählung ging es dem Erkenntnisinteresse folgend nicht um die Gesamtbiographie, sondern um den Zeitraum von der Entscheidung für Psychotherapie an der pta bis zum Tag des Interviews.

Die Diskussion mit den Therapeut_innen wurden nach dem Prinzip des Gruppendiskussionsverfahrens, wie es im Rahmen der Dokumentarischen Methode entwickelt wurde, erhoben und ausgewertet (Bohnsack et al. 2010; Bohnsack 2017, Przyborski und Slunecko 2020, Przyborski und Riegler 2020). Prinzip der Durchführung ist es, ein selbstläufiges Gespräch der Teilnehmer_innen zu gemeinsamen Erfahrungen mit dem gegenständlichen Thema zu evozieren. Es nahmen sechs Therapeut_innen mit unterschiedlichen schulenspezifischen Ausrichtungen teil, die zu dem Zeitpunkt zwischen einer und drei Therapiegruppen an der pta leiteten. Die Auswertung beider Erhebungsformen erfolgte mit der Dokumentarischen Methode.

Ethische Richtlinien

Die Studie wurde vor Rekrutierung der Teilnehmer_innen bei der Ethikkommission des APG • lPS (Institut für personzentrierte Studien) eingereicht und zustimmend bewertet.

Zudem wurde die Studie im deutschen Register Klinischer Studien (German Clinical Trials Register) registriert.

Ergebnisse

Ergebnisse der statistischen Auswertungen

Deskriptive Daten

Es wurden Daten von insgesamt 2556 Patient_innen ausgewertet, 61,6 % davon weiblich. Das Durchschnittsalter beträgt 42,7 Jahre (SD = 11,3) mit einer Spannweite von 16 bis 82 Jahren. Die Patient_innen haben zum Teil mehrere Diagnosen. Depressive Störungen (51,2 %), Angststörungen (24,3 %) und Persönlichkeitsstörungen (14,8 %) zählen zu den häufigsten. Etwa 28 % der Patient_innen haben einen Migrationshintergrund (entweder eine andere Staatsbürgerschaft als Österreich oder ein anderes Geburtsland). 33 Therapeut_innen, 58,6 % davon weiblich, führten die Behandlungen durch. Ihre Eintragung in die Psychotherapeutenliste lag zu Beginn der Therapie jeweils zwischen 11 Monate und 29 Jahre zurück.

Ausscheidungsgründe

Der Wilcoxon-U-Test zeigt, dass deutlich weniger Gruppentherapiestunden in jenen Fällen in Anspruch genommen worden waren, in denen die Therapeut_innen den Ausscheidungsgrund „Abbruch“ bzw. „Patient_in war nicht mehr erreichbar“ (Mdn = 7,0 Sitzungen) angegeben hatten, im Vergleich zu anderen Ausscheidungsgründen (Mdn = 17,0 Sitzungen; U = 231.052.500, Z = −10.275, p < 0,001). Andere Ausscheidungsgründe waren beispielsweise „Umzug des/der Patient_in“, oder „andere Institution passender“. Siehe Abb. 1.

Abb. 1
figure 1

Mediane der in Anspruch genommenen Gruppentherapiestunden je nach dem – durch die Gruppentherapeut_in angegebenen – Ende der Therapie: „Abbruch“ (n = 532) bzw. andere Gründe (n = 1253)

Beim Ausscheidungsgrund „Therapieerfolg“ (Mdn = 40 Sitzungen) dagegen waren signifikant mehr Gruppentherapiestunden in Anspruch genommen worden als bei anderen Ausscheidungsgründen (Mdn = 10 Sitzungen; U = 348.656,0, Z = 348.656,0, p < 0,001). Siehe Abb. 2.

Abb. 2
figure 2

Mediane der in Anspruch genommenen Gruppentherapiestunden je nach dem – durch die Gruppentherapeut_in angegebenen – Ende der Therapie: „Therapieerfolg“ (n = 303) bzw. andere Gründe (n = 1482)

In beiden Fällen bestätigt auch der T‑Test mit den logarithmierten Werten einen statistisch signifikanten Unterschied.

Einflüsse patient_innenspezifischer Variablen auf die Wahrscheinlichkeit eines frühen Therapieendes

Eine logistische Regressionsanalyse zeigt, dass das Alter der Patient_innen bei Therapiebeginn einen signifikanten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit eines Therapieendes innerhalb der ersten zehn Einheiten hat. Dabei sinkt – analog zu den erwähnten Ergebnissen anderer Studien – die Wahrscheinlichkeit eines frühen Endes mit steigendem Alter.

Die genauen statistischen Maßzahlen sind in Tab. 1 angeführt.

Tab. 1 Patient_innenspezifische Variablen und Einflüsse auf frühe Therapieenden

Ebenso zeigt sich ein signifikanter Unterschied bezüglich des Geschlechts der Patient_innen: Durchschnittlich 32 % der Männer hören in den ersten zehn Einheiten auf, im Vergleich zu 36,9 % der Frauen.

Die Tendenz, dass Frauen früher aus der Gruppentherapie aussteigen, zeigt sich etwas abgemildert durch den Besuch einer reinen Frauengruppe: Hier kommt es signifikant seltener zu Therapieenden in den ersten 10 Einheiten als in geschlechterheterogenen Gruppen (39,3 % vs. 30,4 %; Chi2 (1) = 6,7, p =0,01, n = 1472, Phi = −0,067).

Bei Patient_innen, bei denen eine Depression diagnostiziert wurde, werden signifikant seltener frühe Enden beobachtet (33,7 %) als bei Patient_innen ohne Depressionsdiagnose (37,8 %). Allerdings zeigt sich dieser Zusammenhang nur bei weiblichen Patient_innen (41,8 % bei Pat. ohne vs. 34,2 % bei Pat. mit Depressionsdiagnose), nicht aber bei männlichen (31,3 % vs. 32,9 %).

Bei einer Diagnose der PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) werden signifikant häufiger frühe Enden beobachtet (42,7 %) als bei Patient_innen ohne PTBS-Diagnose (34,8 %); auch hier zeigt sich ein Geschlechtereffekt: Bei Frauen kann kein signifikanter Unterschied beobachtet werden, dafür zeigt sich bei männlichen Patienten ein umso deutlicherer Unterschied (45,2 % vs. 31,2 %).

Bei den soziodemographischen Variablen finden sich – anders als durch frühere Forschungsergebnisse angenommen – keine signifikanten Einflüsse: Weder beim Netto-Einkommen, noch beim Bildungsstand oder der aktuellen Berufstätigkeit der Patient_innen.

Ebenso zeigt sich kein signifikanter Unterschied zwischen Patient_innen mit und ohne Migrationshintergrund. Auch dieses Ergebnis ist angesichts früherer Forschungsergebnisse überraschend.

Einflüsse therapeut_innenspezifischer Variablen auf die Wahrscheinlichkeit eines frühen Therapieendes (Tab. 2)

Tab. 2 Therapeut_innenspezifische Variablen und Einflüsse auf frühe Therapieenden

Insgesamt wird kein signifikanter Unterschied in der Wahrscheinlichkeit eines frühen Therapieendes bei der Behandlung durch eine/n männlichen bzw. weibliche Therapeut_in beobachtet.

Wird allerdings ein Interaktionseffekt zwischen dem Geschlecht des/der Therapeut_in und dem Geschlecht des/der Patient_in berücksichtigt, so zeigt sich bei männlichen Therapeuten, dass Unterschiede zwischen dem Patient_innengeschlecht verstärkt werden: Weibliche Patientinnen beendeten die Therapie hier signifikant häufiger (38,7 %) als Männer (30 %) in den ersten zehn Einheiten. Bei weiblichen Therapeutinnen zeigt sich hingegen kein signifikanter Unterschied (34,1 % der Männer vs. 35,9 % der Frauen). Siehe Abb. 3.

Abb. 3
figure 3

Anteile jener Patient_innen, die in den ersten zehn Einheiten die Gruppentherapie beendet haben – nach Therapeut_innen- und Patient_innengeschlecht

Bezüglich der schulenspezifischen Therapiemethode der Gruppenleiter_innen zeigt sich ebenfalls kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen in der Gesamtstichprobe.

Allerdings kann auch hier ein Geschlechtereffekt festgestellt werden: Wird die Stichprobe nach dem Patient_innengeschlecht aufgeteilt, so zeigen sich bei weiblichen Patientinnen signifikante Unterschiede, nicht jedoch bei männlichen Patienten. Siehe Abb. 4.

Abb. 4
figure 4

Anteil jener Patient_innen, die in den ersten zehn Einheiten die Gruppentherapie beendet haben – nach schulenspezifischer Therapierichtung des/der Gruppentherapeut_in und Patient_innengeschlecht

Bei der Arbeitserfahrung der Therapeut_innen (operationalisiert als Zeit zwischen der Eintragung in die Psychotherapeut_innenliste und dem Beginn der Gruppentherapie durch Patient_innen der Ambulanz) wird – anders als anhand des einzigen mehrfach replizierten therapeut_innenspezifischen Ergebnisses in der früheren Forschung angenommen – kein signifikanter Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit eines frühen Therapieendes gefunden.

Ergebnisse der qualitativen Auswertungen

In einem ersten Zugriff auf den wörtlichen bzw. immanenten Sinngehalt der Erzählungen (Przyborski und Slunecko 2020) der ehemaligen Patient_innen zeigen sich, außer vielen affirmativen Aussagen die Ambulanz betreffend z. B. die Kontaktaufnahme, insbesondere Zweifel und Kritik an den jeweiligen Therapeut_innen. So wird beispielsweise vom ehemaligen Patienten BmFootnote 3 bemängelt, dass die Therapeutin die Technik des „Reframings“, die einen tatsächlich „weiterbringt“, nicht vermittelt hätte. Em bemängelt, dass „in den seltensten Fällen irgendwelche Themen vorgegeben“ wurden. Ff empfindet das Geschehen als vom_von der jeweiligen Therapeut_in zu wenig strukturiert. Df sieht die Gruppentherapie als „bedrohlich für das Wohlergehen der Einzelnen“, insbesondere der „Schwächeren“ – um einige Beispiele zu nennen.

Über diese Unterschiede auf der immanenten Ebene hinweg weisen die Interviews auf der Eben des Dokumentsinns eine klare Gemeinsamkeit auf: So hält Fm fest, dass er „normal reingegangen und … ganz durcheinander raus gegangen“ ist. Wie es dazu kommt, ist für ihn kaum beschreibbar, was auf eine Unverständlichkeit des Geschehens hinweist. Bm findet, dass alles, was „wichtig“ sei „ignoriert“ werde, das „Unwichtige“ dagegen „wichtig“ genommen würde. Unwichtiges wichtig zu nehmen, kann man als „Un-Sinn“ bezeichnen, was darauf hinweist, dass sich für Bm kein Sinn erschließt. Em spricht von einem „unkoordinierten Wasserlauf“. Die Gemeinsamkeit liegt also darin, dass im Interaktionsgeschehens der Gruppentherapie keine Sinnhaftigkeit wahrgenommen werden kann.

Dem Sinnvakuum wird mit Ordnungsversuchen begegnet, die in den Interviews wesentlich mehr Raum einnehmen als Sequenzen, in welchen sich der Mangel an Sinnhaftigkeit rekonstruieren lässt. Bm erlebt die Therapeutin beispielsweise wie eine „Kindergartentante, die mit ihren Kindern im Kreis sitzt“. Bms Sinnvakuum zeigt sich darin, dass offen bleibt, was außer sitzen getan wird. In der Metapher des Kindergartens wird seine pädagogische Rahmung der Situation deutlich, in dem die Therapeutin die Rolle einer Lehrperson einnimmt.

Drei verschiedene Formen von Ordnungsversuchen, die quasi über das Interaktionsgeschehen gelegt werden, lassen sich rekonstruieren: (a) ein pädagogischer Rahmen, (b) die moderierte Diskussion und (c) das lösungsorientierte Gespräch. Vor diesen Hintergründen werden insbesondere die Interventionen der Therapeut_innen eingeordnet und bewertet. Da sie nicht aus der Situation selbst heraus verstanden werden, können sie im Nachhinein nicht positiv bewertet werden. Aus drei Interviews lässt sich herausarbeiten, dass Einzeltherapie eine Vergleichsfolie für die Situation der Gruppentherapie bildet. Letztere wird nicht grundsätzlich abgelehnt. Der Blick auf Gruppentherapie ist allerdings vom jeweiligen Verständnis der Einzeltherapie geformt. Die nachträglichen Ordnungsversuche sind nicht zuletzt daher auf die Therapeut_innen fokussiert.

Fraglich ist, ob die Gemeinsamkeit, im Interaktionsgeschehen der Gruppentherapie (zunächst) keine Sinnhaftigkeit wahrzunehmen, spezifisch für ein frühes Ende einer Therapie ist oder ev. ein Nadelöhr darstellt, durch welches auch Patient_innen kommen müssen, die ihre Therapie länger fortsetzen. Zur Klärung dieser Frage bedarf es einer komparative Analyse mit letzteren.

Zudem zeigen sich weitere Dimensionen für eine typologische Einordung der Fälle. Eine steht im Zusammenhang mit Identitätskonstruktionen und spannt sich auf zwischen a) einer temporär begrenzten Therapie zur Lösung eines Problems mit einer Perspektive auf das Leben danach und b) einer Dauertherapie, in der sich keine Perspektive auf ein Leben außerhalb der Therapie zeigt, in der mithin die Therapie den primären Rahmen für die Einordung des eigenen Lebens bildet. Patient_innen, die der zuletzt genannten Seite zugeordnet werden können, berichten in der Regel von mehreren (abgebrochenen) Therapien.

Die Gruppendiskussion mit den Gruppentherapeut_innen fördert einen in der bisherigen Forschung wenig beachteten Aspekt zu Tage. So verdichtet die Therapeutin Ef einen längeren Gesprächsabschnitt innerhalb der Diskussion damit, dass es „sehr hilfreich“ sei, wenn die Gruppe Patient_innen, die mit der Therapie beginnen, „ins Neue integriert“. Sie exemplifiziert dies dadurch, dass neue Gruppenmitglieder z. B. davon profitieren würden, dass jene Patient_innen, die schon länger dabei sind, deutlich machen würden, dass sie „am Anfang … auch gedacht“ hätten, „was reden die da für an Schmäh, und so und wozu ist des da olles und so“ und es nun „bereun“ würden, „dass sie das erste Jahr nichts gearbeitet“ hätten.

Entsprechend dominiert auch die Gruppe selbst bzw. der Zustand, in dem sich die Gruppe beim Neueintritt von Patient_innen befindet, thematisch weite Strecken der Gruppendiskussion. Es dokumentiert sich, dass es letztlich die Gruppe ist, die neu Hinzukommende aufnimmt oder eben nicht und darüber hinausgehend auch für ihre Integration in das Gruppengeschehen zentral ist.

Eingehend diskutiert werden von den Therapeut_innen dementsprechend unterschiedliche Phasen und Zusammensetzungen bzw. Zustände von Gruppen, die einer Integration von Neuen mehr oder weniger zuträglich sein können (ausführlicher: Haidl 2021). Dabei spielt das Geschlechterverhältnis eine zentrale Rolle. Die Datenlage erlaubt auch hier keine weitere Generalisierung, eröffnet jedoch etliche Fragestellungen.

Zusammenfassung und Diskussion

Einflussfaktoren auf die Wahrscheinlichkeit eines frühen Therapieendes

Die Analyse der Ausscheidungsgründe zeigt, dass Therapien, bei welchen die Therapeut_innen schwer einordnen können, warum sie beendet werden, verglichen mit jenen, bei welchen die Ausscheidungsgründe gut beurteilt werden können, kurz sind: Erstere werden im Durchschnitt nach der siebenten Einheit beendet. Therapien, die durch den/die Therapeut_innen als Erfolg beurteilt werden, sind dagegen mit durchschnittlich 40 Einheiten deutlich länger. Dies entspricht in etwa Zahlen aus der Dosis-Wirkungs-Forschung der Psychotherapie (M.J. Lambert, 2013b). Aus der Sicht der Therapeut_innen lässt sich ein Therapieende in den ersten zehn Einheiten als „Drop-Out“ werten. Auch die Patient_Innen-Perspektive zeigt eine negative Einschätzung der wenigen besuchten Gruppeneinheiten. Diese Ergebnisse müssen im Rahmen des von der pta angebotenen Settings (langfristige Gruppentherapie) interpretiert werden.

Ein augenfälliges Ergebnis der Studie ist der Einfluss des Patient_innengeschlechts und die vielfältigen Interaktionen mit Patient_innen- und Therapeut_innenmerkmalen. Dies ist auf den ersten Blick nicht überraschend, gibt es doch zahlreiche Befunde dazu, dass Frauen und Männer anders auf Lebenskrisen reagieren, unterschiedliche psychische Symptome entwickeln, von Fachleuten anders diagnostiziert und behandelt werden und Psychotherapie unterschiedlich in Anspruch nehmen und nutzen (Rohlfing et al. 2014; Rudolf 2002; Schigl 2018). Dass die männlichen Patienten der Stichprobe die Gruppentherapie deutlich seltener in den ersten zehn Einheiten verlassen als die weiblichen Patientinnen, ist hingegen unerwartet (Ogrodniczuk et al. 2004; Ogrodniczuk und Staats 2002; Staczan et al. 2017). Am deutlich geringeren Anteil früher Therapieenden bei jenen Frauen, die in einer Frauengruppe behandelt wurden, zeigt sich, dass durch das Angebot von geschlechterhomogenen Gruppen die Tendenz zu mehr Therapieabbrüchen bei Frauen möglicherweise abgemildert werden kann.

Was sich in anderen Untersuchungen (zum Teil) gezeigt hat, ist dass geschlechterhomogene Paarungen zwischen Therapeut_in und Patient_in zu geringeren Abbruchraten führen (Schigl 2018), was sich auch in unserer Studie sowohl für Männer als auch für Frauen bestätigt.

Die Geschlechtsunterschiede in Hinblick auf die Drop-Out-Rate zwischen den verschiedenen Therapiemethoden zeigten ein interessantes Muster: Frauen beenden die Therapie signifikant häufiger als Männer, wenn der/die Gruppentherapeut_in dynamische/r Gruppentherapeut_in oder Gruppenpsychoanalytiker_in ist. Das sind die beiden vertretenen Therapierichtungen aus der Tiefenpsychologisch-psychodynamischen Orientierung. Bei den vertretenen Humanistischen (Integrative Gestalttherapie, Psychodrama, Personenzentrierte Psychotherapie) bzw. Systemischen Therapierichtungen hingegen zeigen sich keine signifikanten Unterschiede, bzw. teilweise sogar tendenziell gegenläufige Ergebnisse. Parallelen lassen sich hier zu Studienergebnissen ziehen, bei welchen Frauen von einer eigens entwickelten „stützenden“ Therapiemethode mehr profitieren, (Ogrodniczuk und Staats 2002, S. 277) während männliche Patienten eher von einer „deutenden“ Behandlungsform profitieren (Ogrodniczuk et al. 2004; Ogrodniczuk und Staats 2002).

Der Einfluss des Alters auf die Wahrscheinlichkeit eines frühen Therapieendes repliziert das in Vorstudien häufig gefundene Ergebnis, dass junge Patient_innen Psychotherapie häufiger abbrechen als ältere (Seiffge-Krenke und Cinkaya 2017; Winkler 2018).

Dass sich kein signifikanter Einfluss von Indikatoren der sozialen Klasse der Patient_innen (Bildungsstand, Einkommen, Berufstätigkeit, Migrationshintergrund) in unseren Daten findet, widerspricht den Ergebnissen von vorhergehenden Metaanalysen (Wierzbicki und Pekarik 1993). Ein Grund dafür könnte sein, dass an der pta – u. a. durch die volle Kassenfinanzierung der Gruppenbehandlung – im Durchschnitt Patient_innen mit einem geringen sozioökonomischen Status und ein großer Anteil von Patient_innen mit Migrationshintergrund behandelt werden. Dies könnte zu einer geringen Stigmatisierung innerhalb der Therapiegruppen und zu einer höheren Akzeptanz der Behandlung führen.

Der qualitative Teil eröffnet zwei weitere Perspektiven: Zum einen die Schwierigkeit von Patient_innen, die die Therapie in einer frühen Phase verlassen, einen übergreifenden Sinn im Interaktionsgeschehen der Gruppensitzungen wahrzunehmen; zum anderen die große Relevanz der Gruppe selbst für die Aufnahme und Sozialisation von Neuen.