Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) ist als Bundesoberbehörde zuständig für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel wie z. B. monoklonale Antikörper, Blut- und Gewebezubereitungen, aber auch für Arzneimittel für neuartige Therapien, kurz ATMP („Advanced Therapy Medicinal Products“) genannt.

1 Einleitung

Mit dem Oberbegriff „ATMP“ werden 3 Arzneimittelgruppen zusammengefasst: (1) Gentherapeutika (GTMP), bei denen eine rekombinante Nukleinsäure (DNA oder RNA) als Wirkstoff des Arzneimittels verwendet wird; als Beispiel wären hier Genfähren zur Korrektur von Gendefekten zu nennen, aber auch Zellen wie die sog. CAR-T-Zellen, die gezielt modifiziert wurden, um Tumorzellen zu attackieren (siehe Blache et al., Kap. 8); (2) somatische Zelltherapeutika (sCT), bei denen Zellen/Gewebe, die substanziell bearbeitet wurden oder die in einer anderen als ihrer ursprünglichen Funktion eingesetzt werden, physiologisch auf den Körper einwirken, wie z. B. immun-modulatorische Zellen, und (3) biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte („tissue engineering products“, TEP). Bei TEP werden die bearbeiteten Zellen zur Regeneration oder zum Ersatz eines menschlichen Gewebes angewendet. Beispiele sind kultivierte Knorpelzellen zur Knorpelregeneration oder Stammzellen zur Regeneration der Augenhornhaut nach Verbrennungen. Von einem kombinierten ATMP spricht man, wenn Zelltherapeutika/TEP mit einem Medizinprodukt (z. B. einer künstlichen Membran) kombiniert werden.

Das Feld der ATMP entwickelt sich sehr schnell und dynamisch, nicht zuletzt aufgrund der großen technologischen und wissenschaftlichen Fortschritte auf dem Gebiet der Biotechnologie und der Medizin. ATMP bieten mit ihren „genetischen“ oder „zellulären“ Wirkmechanismen vielfältige und neue Möglichkeiten zur Arzneimittelentwicklung, insbesondere auch für Krankheiten mit bisher unzureichenden oder nicht verfügbaren Therapieoptionen. In vielen Fällen erscheint auch eine Behebung der Krankheitsursachen möglich; es können mit ATMP sogar Heilungschancen eröffnet werden, z. B. wenn ein ursächlicher Gendefekt korrigiert werden kann.

2 Die Entwicklung von ATMP ist herausfordernd

Diese neuen und komplexen Wirkmechanismen stellen aber auch eine besondere Herausforderung für die Arzneimittelentwicklung und die regulatorische Bewertung und Überwachung dar, sowohl hinsichtlich der Herstellung dieser Arzneimittel als auch der Gewinnung relevanter nicht klinischer und klinischer Daten sowie der darauf basierenden behördlichen Bewertung von Sicherheit und Wirksamkeit.

Insbesondere für aus körpereigenen Zellen hergestellte (autologe) ATMP gestaltet sich angesichts der möglichen patientenspezifischen Unterschiedlichkeit des Ausgangsmaterials die Etablierung einer konsistenten Herstellung nicht einfach. Wird ein ATMP z. B. über eine Vermehrung und Veränderung von Zellen eines einzelnen Patienten hergestellt, so können diese ein vom Individuum abhängiges, deutlich unterschiedliches Wachstums- und Entwicklungsverhalten zeigen. Die Herstellung muss gemäß der Guten Herstellungspraxis („Good Manufacturing Practice“, GMP) erfolgen. Da bei der Herstellung von Gen- und Zelltherapeutika viele Besonderheiten zu beachten sind, wurden für diese Produkte speziell angepasste GMP-Regularien entwickelt. Die Prüf- und Kontrollverfahren zur Sicherung der Qualität sind i. d. R. deutlich komplexer als für einfache chemische Moleküle. Diese spezifischen Anforderungen spiegeln sich in zahlreichen europäischen Leitfäden zu den verschiedenen Qualitätsaspekten und ATMP-Produktgruppen. Vor allem ist es wichtig, die für die therapeutische Wirkung verantwortlichen Eigenschaften der Zellen messbar zu machen. Der Herstellungsprozess und die festgelegten Inprozesskontrollen und Spezifikationen müssen geeignet sein, eine gleichbleibende Qualität und Wirksamkeit („potency“) des Produktes sicherzustellen, um so das Arzneimittel für die Anwendung freigeben zu können.

Es ist ebenso herausfordernd und bedarf meist erheblicher Zeit, die Sicherheit und Wirksamkeit eines ATMP zu erforschen und zu belegen. Vor der ersten Anwendung eines ATMP in einer klinischen Prüfung beim Menschen müssen die Entwickler in nicht klinischen Untersuchungen u. a. das Wirkprinzip untermauern („proof of concept“) und mögliche schädliche Wirkungen und Toxizitäten untersuchen. Oft sind keine vollständig geeigneten Tiermodelle verfügbar, sodass die relevanten nicht klinischen Aspekte mosaikartig in verschiedenen Tiermodellen (in vivo) und/oder Laborversuchen (in vitro) untersucht werden müssen. Die Problematik wird z. B. deutlich bei autologen zellbasierten ATMP, die als Menschenzellen im Tier zu einer unerwünschten Immunantwort und schnellen Zerstörung der Zellen führen können, sodass sich die gewünschten Wirkungen im Tier nicht entfalten bzw. nur eingeschränkt untersucht werden können. Geeignete In-vitro-Ansätze können dann genutzt werden, um die relevanten Zellprozesse und -wirkungen zu modellieren.

Für das auf den nicht klinischen Daten basierende klinische Entwicklungsprogramm, d. h. die Durchführung genehmigungspflichtiger klinischer Prüfungen, gelten grundsätzlich die gleichen Regularien wie für andere Arzneimittel. Das Design einer klinischen Prüfung erweist sich aber häufig als schwierig hinsichtlich klinisch sinnvoller Messpunkte und -methoden (Endpunkte), der Auswahl einer geeigneten Patientenkontrollgruppe, der VerblindungFootnote 1 und auch der Dauer der Prüfung. Gerade regenerative Prozesse erfolgen häufig sehr langsam, sodass die Wirksamkeit eines ATMP erst nach mehreren Jahren sichtbar sein kann. Aber auch die Sicherheit, und hier vor allem die möglichen unerwünschten Langzeitauswirkungen, bedürfen einer sorgfältigen Untersuchung, weil bestimmte Zellen oder Nukleinsäuren lange im Körper des Patienten überdauern können und in manchen Fällen auch sollen.

3 Prüfung und Zulassung von ATMP durch die Arzneimittelbehörden

Liegen entsprechende klinische Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit vor, kann ein Zulassungsantrag bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) gestellt werden. In diesem zentralisierten EMA-Verfahren erfolgt die Bewertung, indem zwei nationale Arzneimittelbehörden in der EU, wie das PEI, eine unabhängige Bewertung des ATMP vornehmen. Diese wird dann in einem speziellen ATMP-Expertengremium (Committee for Advanced Therapies, CAT), in dem alle EU-Arzneimittelbehörden vertreten sind, diskutiert und verabschiedet. Nach Abstimmung mit dem Ausschuss für Humanarzneimittel (Committee for Human Medicinal Products, CHMP) geht eine Entscheidungsempfehlung an die Europäische Kommission, die im positiven Fall dem ATMP eine Marktzulassung für die gesamte EU erteilt. Das PEI mit seiner biomedizinischen Expertise ist in beiden Ausschüssen CAT und CHMP aktiv vertreten und übernimmt häufig die Rolle eines Berichterstatters.

Eine besondere Schwierigkeit im Zulassungsverfahren für ATMP ergibt sich daraus, dass ATMP häufig für seltene Leiden entwickelt werden und damit keine großen Patientenkollektive untersucht werden können. Studienergebnisse von kleinen Patientengruppen werden stärker von den individuellen Krankheitsverläufen der Patienten beeinflusst, sodass es einer intensiven und eingehenden Analyse der Daten bedarf, um die Wirksamkeit des Arzneimittels zu bewerten. Manchmal bleiben dabei spezifische Fragen zu Wirksamkeits- und Sicherheitsaspekten offen und weitere Untersuchungen sind notwendig. Wenn aber die vorliegenden Informationen auf Basis des erwartbaren Nutzens und der möglichen Risiken dennoch eine positive Bewertung eines ATMP erlauben, kann ein solches ATMP bereits als Therapieoption für Patienten verfügbar gemacht werden, indem eine eingeschränkte Zulassung („conditional approval“) erteilt wird, während zugleich weitere Untersuchungen angeordnet werden. Bei der Nutzen-Risiko-Bewertung werden alle relevanten Aspekte eines ATMP einbezogen und gegeneinander abgewogen. Dies beinhaltet auf der einen Seite klinisch messbare Befunde wie z. B. die Überlebensdauer bei einer Tumorerkrankung, aber auch subjektiv vom Patienten wahrgenommene Wirkungen wie die Verbesserung der Lebensqualität, und auf der anderen Seite die Schwere, Dauer und Häufigkeit der Nebenwirkungen.

4 Verfügbarkeit von ATMP

In einer großen Erwartungshaltung hat man anfänglich die oben dargestellten Schwierigkeiten, ein ATMP bis zur Marktreife zu entwickeln, unterschätzt. Auch wenn bereits 2 Jahre nach der Etablierung der gesetzlichen Regularien im Jahr 2007 das erste ATMP zugelassen wurde, dauerte es doch einige Zeit, bis weitere ATMP für Patienten verfügbar wurden. Aktuell besteht für 18 ATMP eine zentralisierte europäische Zulassung. Bei 14 dieser ATMP handelt es sich um Gentherapeutika, zumeist mit onkologischen Indikationen. Aber auch bereits 2 GTMP zur Behandlung der Hämophilie wurden zugelassen. 15 der 18 zugelassenen ATMP sind Arzneimittel für seltene Leiden.Footnote 2

Eine ganze Reihe von geplanten Zulassungsanträgen konnten letztlich nicht eingereicht werden oder mussten nach Antragstellung zurückgenommen werden, da die Sicherheit und Wirksamkeit des ATMP mit den verfügbaren klinischen Daten nicht hinreichend belegt werden konnte. Dies unterstreicht, dass die Gewinnung adäquater Daten für eine Zulassung eine herausfordernde Aufgabe ist.

Für einige ATMP wurde die bereits erteilte Zulassung anschließend vom Zulassungsinhaber (MAH) zurückgenommen. Hier spielt die Kostenerstattung eine gewichtige Rolle (siehe Alex/König, Kap. 22). Können mit den zuständigen Erstattungsgremien in den EU-Mitgliedsstaaten keine aus Sicht des Zulassungsinhabers adäquaten Preise vereinbart werden, so kann dies zum Aufgeben einer Zulassung führen. Dies macht deutlich, dass allein die Zulassung eines ATMP in der EU nicht automatisch zu dessen Verfügbarkeit in einem nationalen Markt führt.

Neben diesem durchaus zeit- und arbeitsintensiven, europäisch zentralisierten Zulassungsverfahren besteht für patientenspezifische ATMP eine weitere Option für einen Marktzugang über die sog. „Hospital Exemption“ (§ 4b AMG, Arzneimittelgesetz), die aber nicht nur für Krankenhäuser anwendbar ist. Grundsätzlich kann das PEI in nationaler Zuständigkeit die Abgabe solcher patientenspezifischer ATMP genehmigen, die qualitätsgerecht (GMP) und nicht routinemäßig hergestellt werden und für die hinreichende Informationen zur Wirkungsweise, der voraussichtlichen Wirkung und den möglichen Risiken vorliegen. Dies soll die Entwicklung solcher ATMP unterstützen und Ärzten und Patienten einen frühzeitigen Zugang zu vielversprechenden Therapieoptionen ermöglichen. Derzeit (Stand Juni 2023) bestehen in Deutschland für sechs TEP und zwei somatische Zelltherapeutika derartige Genehmigungen.Footnote 3

5 Genehmigung klinischer Prüfungen mit ATMP

Bereits vor der Zulassung spielt das PEI eine bedeutende Rolle bei der ATMP-Entwicklung, indem es zum einen Entwickler zu den regulatorischen Anforderungen berät und zum anderen über die Genehmigung von klinischen Prüfungen mit ATMP in Deutschland entscheidet. Der Umfang dieser Aktivitäten ist ganz erheblich, da sich sehr viele ATMP in der Entwicklung befinden, verglichen mit den 18 erteilten Zulassungen. Während die jährlichen, zentralisierten ATMP-Zulassungsanträge laut EMA-Jahresbericht auf niedrigem Level schwanken (2019: 2; 2020: 8; 2021: 3; 2022: 1),Footnote 4 liegt die Anzahl der in Deutschland beantragten klinischen Prüfungen mit ATMP konstant auf dem hohen Niveau von 50–70 Anträgen pro Jahr (siehe Abb. 9.1). Trotz der genannten Schwierigkeiten der Marktetablierung ist das Interesse der Arzneimittelentwickler an ATMP also nach wie vor groß, was nicht verwundert angesichts ihres Potenzials, für viele Erkrankungen wertvolle neue Behandlungsoptionen zu schaffen oder gar Heilungsmöglichkeiten zu eröffnen.

Abb. 9.1
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Jährliche Anträge auf Genehmigung einer klinischen Prüfung mit ATMP durch das Paul-Ehrlich-Institut in Deutschland

6 Beratungsangebote zur Unterstützung der Entwicklungsarbeiten

Um die Entwicklung eines ATMP im Einklang mit den Regularien möglichst zügig und effizient gestalten zu können, bietet das PEI den Entwicklern Beratungen an. Das Beratungsangebot des PEI ist hierbei auf die verschiedenen Stadien der Entwicklung angepasst und beginnt bereits in frühen Phasen der Entwicklung. Sog. Orientierungsgespräche geben mit regulatorischen Vorgängen weniger vertrauten Entwicklern, oftmals aus nicht kommerziellen, akademischen Institutionen, wichtige Hinweise zum regulatorischen Umfeld und den grundlegenden regulatorischen Bewertungsprinzipien. Während der Produktentwicklung werden dann im Rahmen von wissenschaftlichen Beratungsgesprächen ganz spezifische wissenschaftliche Fragestellungen und Probleme im Vorfeld einer Antragstellung für die Genehmigung einer klinischen Prüfung diskutiert. Die Erläuterung und Diskussion der regulatorischen Anforderungen soll dem Entwickler beispielsweise bei der Konzeption der nicht klinischen Studien u. a. hinsichtlich der Wahl des Tiermodells, der Studiendauer und der zu untersuchenden Parameter helfen. Damit kann vermieden werden, dass nicht aussagekräftige, unzureichende bzw. unnötige Untersuchungen durchgeführt werden. Auch die bereits erwähnten kritischen Aspekte in Bezug auf Kontrollen bzw. Tests während und am Ende der Herstellung, aber auch zum beabsichtigten klinischen Studienprotokoll sollten frühzeitig in Beratungen erörtert werden. Dies hilft entscheidend mit, dass Anträge für die Durchführung klinischer Prüfungen mit ATMP möglichst genehmigungsreif eingereicht werden können. Die Notwendigkeit, genehmigungsreife Anträge zu stellen, hat sich mit der Einführung neuer EU-weiter Genehmigungsfristen Anfang 2023 verschärft. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens stehen Antragstellern nur noch 12 anstatt 90 Tage zur Verfügung, um kritische Punkte zu adressieren und Einwänden der Genehmigungsbehörden Rechnung zu tragen. Bleiben dabei offene Punkte, so war es bislang möglich, eine „aufschiebende Genehmigung“ zu erteilen, also eine Genehmigung, die erst nach anschließendem Erfüllen der behördlich festgelegten Bedingungen gültig wurde. Diese Option wurde von Antragstellern gegenüber einer Ablehnung zumeist als positiv begrüßt, ist im neuen Rechtsrahmen aber nicht mehr vorgesehen, und es muss eine Ablehnung des Antrags erfolgen. Es wird sich zeigen müssen, ob diese Vorgabe des EU-Rechts dem Ziel gerecht wird, die Durchführung klinischer Prüfungen zu fördern und ihre Genehmigung zu beschleunigen.

Die Beratungsstatistik für ATMP zeigt, dass das Jahr 2019 ein Beratungshoch für ATMP war; in den COVID-Pandemiejahren ging die Beratungsnachfrage um gut 30 % zurück (siehe Abb. 9.2). Für das Jahr 2023 zeichnet sich wieder eine starke Zunahme der Beratungsnachfrage ab. In den ersten 5 Monaten dieses Jahres gingen beim PEI bereits 50 Beratungsanfragen zu ATMP ein, sodass eine ähnliche oder sogar höhere Zahl im Vergleich zu 2019 erwartet werden kann.

Abb. 9.2
figure 2

Jährliche wissenschaftliche Beratungen zu ATMP durch das Paul-Ehrlich-Institut

Neben frühzeitigen Beratungen beim PEI sollten Entwickler auch die Landesbehörden rechtzeitig kontaktieren, die mit der Erteilung der Herstellungserlaubnis eine wichtige Eingangsvoraussetzung für den Beginn klinischer Prüfungen schaffen. Bei den zur Erteilung einer Herstellungserlaubnis durchgeführten Inspektionen der Landesbehörden unterstützt das PEI, indem es Sachverständige für die jeweiligen ATMP zur Verfügung stellt. Auf diese Weise können ATMP-spezifische Aspekte, die sowohl bei Erteilung der Herstellungserlaubnis als auch Genehmigung der klinischen Prüfung von Bedeutung sind, übergreifend berücksichtigt werden.

7 Ausblick

Die Entwicklung vieler ATMP steht erst am Anfang und es ist zu erwarten, dass in Zukunft viele weitere ATMP für die Behandlung von Patienten zur Verfügung stehen werden; in manchen Fällen könnte sich sogar eine Chance auf Heilung einer Erkrankung bieten. Die zell- bzw. genbasierten Wirkmechanismen der ATMP sind dabei mit besonderen Herausforderungen verbunden und die Entwicklung bedarf einer frühzeitigen und intensiven Zusammenarbeit der Entwickler und der regulatorischen Behörden. Der regulatorische Rahmen dafür ist vorhanden und geeignet, die Entwicklung und Zulassung sicherer und wirksamer ATMP zu unterstützen.