1 Einleitung

In Kap. 13 „Zelltypen aus menschlichen pluripotenten Zellen und deren Anwendung in Zelltherapien“ werden Zelltherapien, die auf pluripotenten Stammzellen beruhen, dargestellt. Pluripotente Stammzellen sind entweder nur sehr vorübergehend im menschlichen Embryo – menschliche embryonale Stammzellen (ES-Zellen) – vorhanden oder können durch Reprogrammierung von Körperzellen zu menschlichen induzierten Stammzellen (hiPS-Zellen) gewonnen werden. Gewebe und Organe des erwachsenen (adulten) Organismus haben allerdings spezifische Stammzellen, die zur Aufrechterhaltung (Homöostase) und zur Reparatur nach Verletzungen bzw. Schädigungen von Geweben und Organen benötigt werden (De Luca et al. 2019), daher die Bezeichnung adulte oder gewebespezifische Stammzellen. Der historische Nachweis adulter Stammzellen, d. h. Zellen, die sowohl Kopien von sich selbst herstellen können als auch in andere Zelltypen differenzieren können, ist den kanadischen Forschern James Till and Ernest McCullough in den 1960er-Jahren mit Blutstammzellen in der Maus gelungen. Sie konnten zeigen, dass Blutstammzellen einer Spendermaus das gesamte Blutsystem in einer Empfängermaus, die kein eigenes Blutsystem mehr besitzt, ersetzen kann. Bereits 1957 konnte Edward Donnall Thomas bei einem Leukämiepatienten zeigen, dass Knochenmarkzellen von dessen eineiigem Bruder nach einer Bestrahlung das Blutsystem neu bilden konnten. Inzwischen ist dieser Mechanismus für Gewebestammzellen in einer Vielzahl von Organen gezeigt worden (Lanza und Atala 2014). Blutstammzellen sind mittlerweile eine Standardtherapie in der klinischen Anwendung (siehe Kolb/Fehse, Kap. 11). Auch in anderen Bereichen werden vermehrt Gewebestammzellen eingesetzt bzw. Therapien in klinischen Studien entwickelt. In diesem Kapitel werden neuartige Anwendungen von hämatopoetischen Stammzellen bei Bluterkrankungen aufgrund von Genmutationen, Sichelzellanämie und β-Thalassämie und bei Autoimmunerkrankungen vorgestellt. Es wird auf die Anwendung von mesenchymalen stromalen Zellen bei Transplantat-gegen-Wirt-Erkrankungen (Graft-versus-Host-Disease), bei der Behandlung von chronischen Wunden (chronisch-venöse Ulzera) und bei Morbus Crohn eingegangen. Weiterhin wird der Einsatz von Hautersatz basierend auf Hautstammzellen und der Ersatz der Hornhaut bei Augenverletzungen diskutiert sowie die Anwendung von genetisch veränderten Muskelstammzellen, sog. Satellitenzellen, zur Behandlung von Muskelerkrankungen und -dystrophien dargestellt (De Luca et al. 2019). Darüber hinaus werden die Möglichkeiten der zukünftigen Behandlung mit extrazellulären Vesikeln bzw. Exosomen von stromalen Zellen beschrieben.

2 Hämatopoetische Stammzellen zur Behandlung von genetischen Erkrankungen und zum Immunreset bei Autoimmunerkrankungen

Die Transplantation von blutbildenden (hämatopoetischen) Stammzellen („hematopoietic stem cells“, HSC) hat sich als Standardtherapie bei einer Reihe von hämatologischen Erkrankungen etabliert, bei denen für eine kurative Therapie das blutbildende System ausgetauscht werden muss. Obwohl der Begriff „Stammzelltransplantation“ suggeriert, dass dafür eine reine Population von blutbildenden Stammzellen verwendet wird, ist dies in der klinischen Praxis nicht der Fall (und wäre meist auch nicht sinnvoll). Stattdessen werden Zellpräparate verwendet, die hauptsächlich Vorläuferzellen der verschiedensten Reifungsstadien verschiedener Linien des blutbildenden Systems mit unterschiedlichen Funktionen beinhalten, wie beispielweise Zellen des Immunsystems, Erythrozyten (rote Blutzellen) oder Thrombozyten (Blutplättchen). Im engeren Sinne sind als HSC eigentlich nur diejenigen Zellen zu bezeichnen, die nach einer Transplantation für eine lebenslange, funktionelle Bildung aller Linien des Blutes sorgen. In den klinisch eingesetzten Präparationen machen die HSC nur etwa 0,01 % der CD34-positivenFootnote 1 Stamm- und Vorläuferzellen („hematopoietic stem and progenitors cells“, HSPC) aus.

Generell gibt es zwei Varianten der Transplantation, die autologe hämatopoetische Stammzelltransplantation („hematopoietic stem cell transplantation“, HSCT), bei der ein Patient die eigenen Stammzellen zurückbekommt, und die allogene HSCT, bei der Zellen eines HLA-passenden Fremdspenders zur Therapie eingesetzt werden. Autologe Transplantationen werden bei bestimmten bösartigen Erkrankungen der Blutbildung wie dem Multiplen Myelom und zunehmend auch bei schweren Autoimmunerkrankungen, für die es zurzeit noch keine anderweitige kurative Behandlung gibt, wie beispielsweise der Sklerodermie, Systemischem Lupus Erythematodes (SLE), Multipler Sklerose oder Morbus Crohn, durchgeführt. Hierbei werden den Patienten die eigenen HSPC entnommen, um im Anschluss eine intensivierte Radio-, Chemo- und/oder Antikörpertherapie durchzuführen, die das blutbildende System im Knochenmark wie auch das Immunsystem des Patienten weitgehend zerstören. Bei Autoimmunerkrankungen ist das primäre Ziel, mit diesem Eingriff diejenigen fehlgeleiteten Immunzellen, die die körpereigenen Zellen attackieren und vernichten, zu eliminieren. Danach bekommen die Patienten ihre eigenen HSPC reinfundiert, die dann die gesamte Blutbildung, und damit auch das Immunsystem, wieder neu aufbauen. Es findet also quasi ein Reset des Immunsystems statt, das selbsttolerant wird, also nicht mehr gegen eigene Zellen vorgeht. Diese Behandlungsform verbessert erwiesenermaßen für viele Patienten die Qualität und Dauer der Krankheitsfreiheit (Remission) (Alexander und Greco 2022).

Im Fall von gut charakterisierten, vererbten monogenen Erkrankungen, die zu funktionalen Defekten im blutbildenden System führen, wie beispielsweise der kongenitalen, kombinierten schweren Immundefizienz („severe combined immuodeficiency“, SCID) oder der Sichelzellerkrankung ist die Gentherapie, d. h. die Transplantation autologer, genetisch korrigierter HSC eine zunehmend attraktive Alternative zur allogenen Stammzelltransplantation, um mit einer einzigen Behandlung eine dauerhafte Heilung des Patienten zu erzielen. Noch ist bei diesen Erkrankungen jedoch die Transplantation von allogenen Stammzellen HLA-identer Geschwister, HLA-passender unverwandter Fremdspender oder haploidenter Verwandter Therapiestandard, der allerdings mit dem signifikanten Risiko einer potenziell schwerwiegenden bis tödlichen Abstoßungsreaktion durch das transplantierte Spenderimmunsystem, der sog. Graft-versus-Host-Disease (GvHD) assoziiert ist (siehe Kolb/Fehse, Kap. 11). Es ist aber zu erwarten, dass sich für diese hämatologischen Erkrankungen die Gentherapie autologer Zellen zunehmend durchsetzen wird, insbesondere wenn sich die aktuell noch sehr hohen Kosten für die Herstellung dieser neuartigen, zellbasierten Arzneimittel (ATMP)Footnote 2 deutlich verringern (für eine Liste zugelassener ATMP aus Stammzellen in Europa siehe Tab. 14.1).

Tab. 14.1 Zugelassene ATMP aus Stammzellen in Europa [Stand Juli 2023]a

Die zur genetischen Korrektur von HSPC (wie auch für die Herstellung von CAR-T-Zellen; siehe Harrer/Abken, Kap. 10) zurzeit am besten etablierte und daher am häufigsten eingesetzte Methode ist der Gentransfer mithilfe viraler Vektoren, die sich von Retroviren ableiten (gammaretrovirale und lentivirale Vektoren). Nach Rückschlägen aufgrund von Leukämien, die in den 1990er-Jahren durch den eingesetzten Gentransfervektor verursacht wurden, hat sich die Sicherheit der Gentherapie durch Verbesserungen der Vektorarchitektur und der Gentransferprotokolle deutlich erhöht. Der Erfolg dieses Therapieansatzes führte zur ersten Zulassung einer Stammzellgentherapie auf dem europäischen Binnenmarkt im Jahr 2016 zur Behandlung einer schweren kombinierten Immundefizienz (ADA-SCID-Variante).Footnote 3 Beim Produkt mit dem Handelsnamen Strimvelis™ handelt es sich um autologe CD34-positive HSPC, in die mithilfe eines retroviralen Vektors die codierende Sequenz für das Adenosin-Desaminase-Enzym eingebracht wird, bevor sie dem immundefizienten Patienten zurückgegeben werden. Mittlerweile sind verschiedene Produkte zur Therapie von HSPC durch lenti- bzw. gammaretroviralen Gentransfer weltweit zugelassen wie z. B. Lentiglobin (Zynteglo®, Bluebirdbio) zur Behandlung der β-Thalassämie oder Skysona® zur Behandlung der X-chromosomal vererbten, zerebralen Adrenoleukodystrophie bei Kindern. Diese beiden Therapeutika wurden allerdings aus wirtschaftlichen Gründen vom europäischen Markt zurückgezogen (siehe Alex/König, Kap. 22). Darüber hinaus laufen zurzeit eine Reihe vielversprechender klinischer Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit der lenti- und gammaretroviralen Gentherapie für etliche weitere Krankheiten wie beispielsweise das Hurler-Syndrom (Mucopolysaccharidosis Typ I), Mucopolysaccharidosis Typ IIIA, Wiskott-Aldrich-Syndrom, die septische Granulomatose, Morbus Fabry oder die Fanconi Anämie (Naldini et al. 2022).

Bei der Gentherapie mithilfe viralen Gentransfers wird das defekte Gen nicht direkt repariert, sondern die fehlende Genfunktion durch eine zusätzliche, aber intakte Kopie ersetzt (Genaddition), die (relativ) zufällig ins Genom integriert wird. Diese Off-Target-Veränderung des Genoms ist deshalb mit einem potenziellen Risiko der Leukämogenese bzw. Lymphomentstehung durch Onkogenaktivierung bzw. Tumorsuppressorinaktivierung verbunden – trotz der verbesserten Architektur der eingesetzten viralen Vektoren. Um die Sicherheit der Gentherapie weiter zu erhöhen, ist es wünschenswert, den genetischen Defekt durch die gezielte und präzise, idealerweise DNA-sequenzgenaue Veränderung am Genort zu reparieren, die sog. Geneditierung. Seit 2018 wurden auf Basis dieser Methode eine Reihe von klinischen Studien zur Behandlung von Hämoglobinopathien initiiert (Zarghamian et al. 2022). Die bisherigen Ergebnisse zur Therapie der β-Thalassämie und Sichelzellkrankheit nach Transplantation von autologen HSPC, die entweder durch CRISPR/Cas9 oder eine Zinkfinger-Endonuklease geneditiert wurden, sind sehr vielversprechend (Frangoul et al. 2021; Alavi et al. 2021). Der therapeutische Effekt wurde über die gezielte Ausschaltung eines Transkriptionsfaktor-codierenden Gens (BCL11A) erreicht, das zu einer verstärkten Expression von fötalem Hämoglobin führte und dadurch die Bildung von sichelzellauslösenden Polymeren des defekten Sichelzell-Hämoglobin-Moleküls hemmte. Eine Marktzulassung der unter dem Studiennamen CTX001 bekannt gewordenen CRISPR/Cas9-Gentherapie (jetzt: exagamglogene autotemcel bzw. Exa-cel) wurde mittlerweile von der Firma Vertex/CRISPR Therapeutics bei der US-amerikanischen Food an Drug Administration (FDA) und der European Medicines Agency (EMA) beantragt. Trotz dieser sehr positiven Zwischenergebnisse wird wahrscheinlich eine langjährige Prüfung der Arzneimittelsicherheit in Patienten notwendig werden, da die in diesen Studien eingesetzte Cas9-Nuklease Doppelstrangbrüche in der DNA katalysiert und dadurch ausgedehnte Mutationen verursachen kann (Turchiano et al. 2021). Eine neue Generation von verbesserten Nukleasevarianten mit deutlich geringerer Mutagenizität, die sog. Base-Editing und Prime-Editing ermöglichen, werden zurzeit präklinisch getestet (Carusillo et al. 2023; siehe Fehse et al., Kap. 7).

Die aus genetischer Perspektive möglicherweise sicherste Form der zellulären Ex-vivo-Gentherapie wäre die Verwendung von autologen, patientenspezifischen induzierten pluripotenten Stammzellen („induced pluripotent stem cells“, iPSC) als Ausgangspunkt zur Herstellung von genkorrigierten hämatopoetischen Stammzellen. Im Gegensatz zu den HSC, die bis heute nicht ohne Verlust ihrer Stammzelleigenschaften effizient vermehrt werden können, können iPSC als Einzelzellen effizient zu sehr großen Zellzahlen unter GMP-kompatiblen Bedingungen expandiert werden (siehe dazu Abschn. 13.7). Dies würde die Möglichkeit eröffnen, nach erfolgter Genreparatur aus ausgesuchten, umfangreich charakterisierten Klonen Blutstammzellen (oder weiter differenzierte Funktionsträger wie z. B. Erythrozyten, Thrombozyten oder Immunzellen wie z. B. T-Zellen) zu produzieren und zur Transplantation bzw. Transfusion einzusetzen (siehe auch Abschn. 13.4). Allerdings wäre der zeitliche und ökonomische Aufwand, der mit diesem Vorgehen verbunden ist, sehr hoch. Eine Alternative könnte die Etablierung von iPSC-Banken sein, die in den transplantationsrelevanten Genlozi extensiv charakterisiert worden sind und als Ausgangsmaterial für die Herstellung allogener Zellersatztherapeutika verwendet werden können. Obwohl bereits erste klinische Studien mit iPSC-abgeleiteten CAR-T-Zellen durchgeführt werden (Mehta et al. 2022), existieren noch keine Protokolle, die eine gerichtete und effiziente Produktion von hämatopoetischen Stammzellen aus iPSC ermöglichen. Es kann aber erwartet werden, dass genkorrigierte blutbildende Stammzellen aus iPS-Zellen in absehbarer Zukunft ebenfalls Eingang in präklinische und klinische Studien finden werden.

3 Therapeutischer Einsatz von mesenchymalen stromalen Zellen

Mesenchymale stromale Zellen („mesenchymal stromal cells“, MSC) sind unreife Bindegewebszellen, die an Zellkulturplastik anhaftend (adhärent) wachsen und aus einer Vielzahl von Geweben isoliert werden können. Da der Nachweis der unbegrenzten Selbsterneuerungsfähigkeit, der ein Hauptkriterium für eine Klassifizierung als Stammzelle darstellt, bisher in der Zellkultur nicht erbracht werden konnte, soll der Begriff „mesenchymale Stammzellen“ hier vermieden werden zugunsten von „mesenchymale stromale Zellen“. MSC können in serum- oder plasmahaltigen konventionellen Kulturmedien ohne spezifische Wachstumsfaktoren vermehrt werden; derart expandierte MSC besitzen immunmodulierende Effekte auf Entzündungsgeschehen (Rojewski et al. 2018). Aus diesen Beobachtungen wurde die Möglichkeit einer therapeutischen Wirksamkeit bei überschießenden Immunreaktionen abgeleitet. Tatsächlich gelang es Anfang des Jahrtausends einer schwedischen Gruppe, mit MSC aus Knochenmark eine schwere GvHD, eine Komplikation der allogenen Blutstammzelltransplantation, zu kontrollieren (LeBlanc et al. 2004). Seither gab es eine Vielzahl von Versuchen, diesen Effekt systematisch mit MSC wechselnder pharmazeutischer Qualität zu reproduzieren, die aber größtenteils enttäuschten. In Deutschland ist derzeit ein MSC-Präparat (Obnitix®), in der Indikation „schwere, Steroid-refraktäre (d. h. nicht auf hohe Dosen von Cortison ansprechende) GvHD“ im Rahmen einer nationalen Genehmigung (Krankenhausausnahme, § 4b Arzneimittelgesetz) erhältlich (Maucher 2019), während das Medikament gleichzeitig in einer europäischen Zulassungsstudie an mehr als 40 Zentren kontrolliert gegen die beste jeweils verfügbare konventionelle Alternativtherapie geprüft wird.Footnote 4 Obnitix® wird einmal wöchentlich in einer Dosis von 1 bis 2 Mio. MSC/kg Körpergewicht des Patienten in eine Vene infundiert. Obnitix® besteht aus Knochenmark-MSC und unterscheidet sich von dem initial in Schweden sowie weltweit in vielen anderen Studien und Fallserien bei der GvHD angewandten MSC-Präparaten dadurch, dass es durch Zusammenführen mononukleärer Knochenmarkzellen, also einkernige Zellen mit rundem Zellkern, von acht Spendern hergestellt wird (Kuçi et al. 2016). So reagieren in den ersten Tagen der Herstellung Immunzellen der acht Spender miteinander, was in der Kulturschale eine GvHD nachbildet und zu einer Aktivierung antiinflammatorischer Signalwege in den MSC führt. Wegen dieses Mechanismus vermuten die Entwickler für Obnitix® eine stärkere Wirkung bei der GvHD als mit konventionellen MSC, was einen Durchbruch bei der meist tödlich verlaufenden Cortison-refraktären GvHD darstellen würde. Eine Behandlungsserie mit Obnitix® mit insgesamt 92 Patienten zeigte eine Verbesserung der GvHD in der überwiegenden Zahl der Fälle, darunter bei mehr als der Hälfte der Patienten ein komplettes Ansprechen der Therapie, d. h. Freiheit von GvHD, was mit einer hohen Überlebenswahrscheinlichkeit einherging (Bönig et al. 2019). Die Ursächlichkeit von Obnitix® für die klinische Verbesserung wird in der genannten klinischen Studie geprüft. Ein zweites MSC-Präparat (Amesanar®) wird aus gesundem Hautgewebe isoliert. Amesanar® wird in einer Dosis von 1 Mio./cm2 Wundfläche nach gründlicher chirurgischer Entfernung toten Gewebes auf nicht heilende Unterschenkelgeschwüre infolge einer Beinveneninsuffizienz äußerlich aufgetragen. Ein geeigneter Wundverband immobilisiert die Zellen auf der eiternden und schmerzenden Wunde (Paul-Ehrlich-Institut 2021). Das Präparat ist angereichert für eine Subpopulation der MSC, nämlich jene, die den ABC-Transporter ABCB5 tragen. ABCB5 aktiviert spezialisierte Fresszellen (Makrophagen) aus dem Blut, entzündungshemmende und Gefäßeinsprossung-fördernde Botenstoffe freizusetzen, was als mutmaßlicher Wirkmechanismus bei der Behandlung chronisch venöser Geschwüre angesehen wird. Klinische Daten von 31 Patienten, die Amesanar® im Rahmen einer nicht kontrollierten Phase-I/IIa-Studie erhalten hatten, liegen der nationalen Genehmigung gem. § 4b zugrunde. Bei zwei Drittel der Patienten war nach 12 Wochen eine Wundflächenverkleinerung um mindestens 30 % zu beobachten; wo ein Ansprechen messbar war, war dieses meist stark, betrug im Mittel mehr als 80 % (Kerstan et al. 2022).

Unter dem Einfluss spezifischer Medienzusätze gelingt eine Differenzierung von MSC in verschiedene Bindegewebslinien, u. a. Fett-, Knorpel- oder Knochengewebe. Ob diese Differenzierung lediglich in der Zellkultur geschieht oder auch nach Übertragung in den Körper, wird kontrovers diskutiert. In jedem Fall aber können MSC durch in Reaktion auf Entzündungsmediatoren freigesetzte Botenstoffe einer Geweberegeneration Vorschub leisten. So zeigten MSC in präklinischen und frühen klinischen Studien Potenzial zur Förderung der Knochenheilung sowie in weiteren regenerativen Indikationen (Rojewski et al. 2018). Ein MSC-Fertigarzneimittel, das nach erfolgreicher klinischer Prüfung in einer regenerativen Indikation bereits europäisch zugelassen ist, ist Alofisel®. Alofisel® wird aus im Rahmen von Fettabsaugungen gewonnenem Fettgewebe isoliert. Alofisel® wird bei nicht heilenden perianalen Fisteln, wie sie bei der chronischen Darmentzündung Morbus Crohn entstehen können, lokal durch Einspritzen in die Fisteln angewendet. Die Dosis beträgt 120 Mio. Zellen (EMA 2018). In der Studie, die die Zulassung von Alofisel® in Europa nach sich zog, führte Alofisel® bei beinahe der Hälfte der Patienten zu einem Abheilen der Fistel, während ohne Therapie nur gut ein Drittel der Patienten eine Fistelabheilung erfuhr (Panés et al. 2016).

Zusammenfassend sind also derzeit in Deutschland drei pharmazeutisch sehr unterschiedliche MSC-Präparate, alle drei aus Zellen gesunder Spender her- und als ungerichtetes Fertigmedikament zur Verfügung gestellt, für sehr unterschiedliche Krankheitsbilder für Patienten verfügbar. Die beiden mit einer zeitlich befristeten nationalen Genehmigung belegten Präparate müssen ihre Wirksamkeit im Rahmen kontrollierter Studien noch definitiv zeigen; lediglich Alofisel® hat bereits das regulatorisch hochwertigere, unbefristete europäische Zulassungsverfahren durchlaufen.

4 Zellersatz bei Hautverletzungen und -erkrankungen, Hornhautverletzungen und Haarersatz

Die Haut als äußerste Zellschicht schützt den Organismus vor seiner Umwelt und kann daher Schädigungen abwehren und sich nach Schädigung effektiv regenerieren. Wenn diese Schädigungen allerdings zu großflächig sind, z. B. nach Verbrennungen dritten Grades oder infolge von Genmutationen (wie bei Epidermolysis bullosa, siehe unten), die die Integrität dieses größten Organs des Körpers massiv schädigen, reicht das natürliche Regenerationspotenzial der Haut zur Reparatur nicht aus. Inzwischen gibt es klinisch etablierte Methoden, Hautregeneration in der Zellkultur durchzuführen und mit den so gewonnenen Präparaten Verbrennungsopfer am Leben zu erhalten. 1983 war es dem Forscherteam um Howard Green zum erstem Mal gelungen, zwei Jungen, die beim Spielen mit Lösungsmittel hochgradige Verbrennungen davontrugen, gesunde Haut, die im Labor expandiert wurde, zu transplantieren. Die Kinder hätten die Verletzungen nicht überlebt, doch mittels der Hauttransplantation konnte ihnen das Leben gerettet werden (Green et al. 2006). Die großflächige Expansion der gesunden Hautpartien, die aus nicht geschädigten Hautbereichen gewonnen werden konnten, basiert auf der Funktion von Hautstammzellen, sog. Basalzellen, die in vitro die Expansion der Epidermis (Oberhaut) vorantreiben. Heutzutage ist die Transplantation von Haut eine Standardtherapie, die weltweit vielen Opfern von Unfällen und Verbrennungen das Leben gerettet hat. Allerdings bestehen nach einer großflächigen Hauttransplantation gewisse Einschränkungen, da die transplantierte Haut nur die Epidermis bildet ohne die Hautanhangsorgane wie Schweiß- und Talgdrüsen und Haare. Die Regulation der Körpertemperatur ist ohne die Schweißdrüsen eingeschränkt und die Fettung der Haut ist eine zentrale Funktion der Talgdrüsen (Barrandon et al. 2012). Es wird daher intensiv erforscht, wie sich diese Drüsenzellen in vitro herstellen lassen und in die Haut integriert werden können (Hsu und Fuchs 2022).

Ein weiterer Durchbruch, der kürzlich im Feld der Forschung mit epidermalen Stammzellen zu verzeichnen war, gelang dem Forscherteam um Michele De Luca (Hirsch et al. 2017). Ein siebenjähriger Junge litt an einer Mutation im Gen für das Protein Laminin-332, das für die Verbindung (Adhärens) der Epidermis an die darunterliegende Dermis (Lederhaut) von zentraler Bedeutung ist. Ist die Adhärens infolge dieser oder ähnlicher Mutationen gestört, kommt es zur oftmals tödlichen Krankheit Epidermolysis bullosa infolge der Ablösung von der Epidermis und der Bildung von großflächigen Wunden mit folgenden Infektionen. Kinder mit dieser Erkrankung werden daher auch Schmetterlingskinder genannt, da die Haut empfindlich wie ein Schmetterlingsflügel ist. Der siebenjährige Junge wurde mit Wunden über den gesamten Körper in Bochum in die Intensivstation eingeliefert; 80 % der Epidermis war verloren und am ganzen Körper waren septische Wunden entstanden. Außer der Wundversorgung konnte dem Jungen nicht geholfen werden und sein Überleben war sehr unwahrscheinlich. In einem Heilversuch wurde nur ein kleines Stück gesunder Haut von Bochum nach Modena in Italien in das Labor von Michele de Luca gebracht, wo mithilfe einer Genfähre eine korrekte Kopie des Gens für Laminin-332 in die Zellen des Hautstücks eingebracht wurde. Die Haut wurde, ähnlich wie bei der Behandlung von Verbrennungsopfern, in der Zellkultur expandiert, zurück nach Bochum in die Intensivstation gebracht und dem Jungen in vier Operationen transplantiert. Diese Behandlung war erfolgreich, sodass der Junge nach wenigen Monaten die Intensivstation verlassen konnte und wieder in die Schule gehen kann. Die Haut des Jungen trägt nun größtenteils das fehlerfreie Gen und das gesunde Protein sorgt für die korrekte Verbindung zwischen Epidermis und Dermis. Es konnte in diesem Heilversuch auch nachgewiesen werden, welche Zellen die langfristige Stammzellpopulation in der Haut darstellen (Hirsch et al. 2017; De Rosa et al. 2023).

Nach einem ähnlichen Prinzip wie die Stammzellen in der Epidermis zur Regeneration der Haut sorgen, erneuern limbale Stammzellen an der Hornhaut des Auges die Hornhaut nach Schädigungen. Führen Unfälle mit Chemikalien zur Schädigung der Hornhaut des Auges einschließlich der Schädigung der limbalen Stammzellen, kommt es zu Vernarbung des Auges durch Bindegewebszellen und in der Folge zu Erblindung, da das Bindegewebe nicht lichtdurchlässig ist. Mit ähnlichen Verfahren wie bei der Hauterneuerung können limbale Stammzellen in Kultur genommen und für die Reparatur der Hornhaut eingesetzt werden. In Europa wurde diese Technologie ebenfalls in Modena in der Arbeitsgruppe um Graziella Pellegrini und Michele De Luca zur Marktreife gebracht. Das Produkt Holoclar®, das von dem Forscherteam entwickelt wurde, stellt eines der ersten zugelassenen Arzneimittel für neuartige Therapien und das erste nicht HSC-basierte Stammzellpräparat in Europa dar (Pellegrini et al. 2018; EMA 2015).

Die Fortschritte auf dem Gebiet der Hautstammzellen haben auch die Forschung an Haarstammzellen positiv beeinflusst. Der Haarfollikel (HF) ist eine komplexe Struktur, die aus mehreren verschiedenen Zellschichten besteht. Der HF ist ein ektodermales Anhängsel in der Haut. Die Fortschritte in der Forschung haben die Identifizierung zahlreicher Gene und Signalwege ermöglicht, die an der Morphogenese und dem Zyklus des HF beteiligt sind. Darüber hinaus werden Mutationen in einigen dieser Gene mit erblichen Haarstörungen beim Menschen in Verbindung gebracht. Die Identifizierung der ursächlichen Gene für Haarkrankheiten hat zu einem besseren Verständnis der entscheidenden Rolle dieser Gene bei der HF-Morphogenese, der Entwicklung und dem Haarwachstum beim Menschen geführt. Die Erkrankung Apopecia areata (kreisrunder Haarausfall), die auf eine Autoimmunerkrankung zurückzuführen ist, kann inzwischen durch Haarstammzellen effektiv behandelt werden (Shimomura und Christiano 2010). Auch bei anderen Formen des Haarausfalls wird an Therapien mit Haarstammzellen geforscht (Talebzadeh und Talebzadeh 2023). Es besteht die Hoffnung, dass ähnlich wie bei der Regeneration der Haut und der Hornhaut auch in absehbarer Zeit die Regeneration der Haare und anderer Hautanhangsorgane, wie Schweiß- und Talgdrüsen, gelingt und die Behandlung von Patienten durch Stammzellen nach Verbrennungen und bei Haarausfall entscheidend verbessert werden kann.

5 Genetisch modifizierte Satellitenzellen der Muskeln zur Behandlung von Muskeldystrophien

Muskeldystrophien sind eine Gruppe von etwa 50 verschiedenen, genetisch bedingten Krankheiten, die im Kindesalter auftreten und unaufhaltsam fortschreiten bis zur kompletten Lähmung von Armen, Beinen und Atemmuskulatur. Ursächlich dafür ist ein Umbau des Muskels in Bindegewebe und Fett. Für diese Gruppe von Krankheiten gibt es keine Therapien, die an der Ursache ansetzen, sondern unterstützende Hilfsmittel (Pflegebetten, Rollstühle), künstliche Beatmung und Physiotherapie. Der Mensch besitzt etwa 700 Muskeln – verteilt von Kopf bis Fuß. Daher gibt es auch keine Möglichkeit, das Organ „Muskel“ einfach zu transplantieren, wie es heute bei schwerwiegenden Erkrankungen von Herz, Leber, Lunge, Niere oder Bauchspeicheldrüse durchgeführt wird.

Muskelgewebe hat organspezifische Stammzellen, die wegen ihrer anatomischen Lokalisation auch Satellitenzellen genannt werden. Die Satellitenzellen sind die Zellen, die den Muskel nach Verletzungen effektiv regenerieren und auch als neugebildete Stammzellen dieses wichtige Zellreservoir aufrechterhalten. Bei Muskeldystrophien sind auch die Muskelstammzellen von den krankmachenden Genmutationen betroffen. Im Falle einer genetischen Reparatur von Muskelstammzellen von Muskeldystrophiepatienten würden die therapierten Muskelabschnitte ihre volle Regenerationsfähigkeit erhalten.

Vor 30 Jahren wurde die Hoffnung auf eine Stammzelltherapie bei Muskeldystrophie wegen einer erfolglosen klinischen Studie gedämpft. Damals waren die molekularen Charakteristika dieser interessanten Zellen noch nicht erforscht und auch nicht die Bedingungen, unter denen sie ihr regeneratives Potenzial entfalten können. Das hat sich heute geändert. Zwei klinische Studien, die Muskelstammzellen (PHSats genannt) nach einem neuen, patentierten Verfahren in einer Erstanwendung an Patienten prüfen, sind durch die öffentliche Hand finanziert und von den Ethikkommissionen genehmigt (Marg et al. 2014, 2019). Bei der ersten Studie werden PHSats zum Neuaufbau eines kleinen Muskels eingesetzt, der embryonal nicht richtig angelegt wurde (MuST-Studie).Footnote 5 In der zweiten Studie werden PHSats von Muskeldystrophiepatienten isoliert, genetisch korrigiert und dann vermehrt (GenPHSats-bASKet).Footnote 6 Diese korrigierten Zellen werden dann in definierte Muskeln der Patienten injiziert. Die Patienten erhalten ihre eigenen Zellen zurück, es handelt sich also um ein autologes Verfahren. Die genetische Korrektur erfolgt durch Genome-Editing mithilfe des CRISPR/Cas9-Verfahrens und dessen Weiterentwicklungen (siehe Fehse et al., Kap. 7). Die CRISPR/Cas-„Genschere“ wird als mRNA in die Muskelstammzellen eingeschleust. Somit sollen nun auch Patienten mit Muskeldystrophien von den neuesten molekularen Entwicklungen profitieren.

6 Extrazelluläre Vesikel (Exosomen) von Stammzellen in der therapeutischen Anwendung

MSC werden – wie bereits beschrieben (siehe Abschn. 14.3) – in vielen klinischen Studien therapeutisch eingesetzt. Entgegen ursprünglichen Annahmen, dass die Nachkommenschaft transplantierter MSC in degenerativen Erkrankungen verloren gegangene Zellen ersetzen bzw. in direktem Kontakt Funktionen von Immunzellen modulieren, zeigte es sich, dass MSC ihre Wirkung über parakrine Mechanismen vermitteln, d. h. über Faktoren, die MSC an ihre Umgebung abgeben. Hier konnten extrazelluläre Vesikel (EV), biologische Nanopartikel, als die aktiven Komponenten identifiziert werden (Lener et al. 2015). EV werden von nahezu allen Körperzellen über verschiedene Prozesse abgegeben. Die prominentesten EV, die Exosomen, entstammen dem endosomalen System, einem intrazellulären Transportsystem in Zellen, das neben vielen Funktionen und löslichen Faktoren auch kleine Vesikel als Exosomen an die extrazelluläre Umgebung abgeben kann.

EV sind u. a. essenzielle Komponenten eines erst unlängst entdeckten interzellulären Kommunikationssystems und weisen strukturelle Ähnlichkeiten zu Viren auf. Je nach Ursprung können EV verschiedene physiologische bzw. pathophysiologische Prozesse steuern und beispielsweise Funktionen des Immunsystems modulieren (Yanez-Mo et al. 2015). Besonders in ihrer immunmodulierenden Funktion wird ein großes therapeutisches Potenzial gesehen. Ausgestattet mit einer molekularen Komposition, die auf ihren Ursprung schließen lässt, werden sie aber ebenso als eine neue Klasse von Biomarkern für eine Vielzahl an Erkrankungen angesehen; beispielsweise bestehen große Hoffnungen, über EV diverse Tumorerkrankungen frühzeitig zu erkennen (Fais et al. 2016).

EV von MSC wurden klinisch weltweit erstmals 2011 bei einer ansonsten behandlungsrefraktären GvHD-Patientin eingesetzt. Die 14-tägige Behandlung, die am Universitätsklinikum Essen stattfand und bei der ein MSC-EV-Präparat in 7 sich steigernden Dosen eingesetzt wurde, konnte nachhaltig die Symptomatik der Patientin verbessern (Kordelas et al. 2014). Nachdem MSC-EV auch in vielen verschiedenen präklinischen Modellen therapeutische Wirkungen zeigten, gibt es inzwischen auch immer mehr klinische Applikationen. Beispielsweise wurden MSC-EV bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung, bei COVID-19-Patienten, während einer Cochleaimplantat-OP sowie zur Psoriasis-Behandlung erfolgreich eingesetzt (Lai et al. 2023; Nassar et al. 2016; Sengupta et al. 2020; Warnecke et al. 2021). Da die Filtration durch Filter mit Porengrößen von 220 nm eine der anerkannten Sterilisationsmethoden ist und EV 70–150 nm groß sind, lassen sich EV-Produkte steril filtrieren. Des Weiteren sind diese EV-Produkte in der allgemeinen Handhabung sehr viel einfacher als MSC-Präparate (Lener et al. 2015). Da EV nicht selbstreplizierend sind und sie auch von MSC, die unsterblich gemacht wurden, nachweislich funktionell produziert werden können, sollten sich MSC-EV prinzipiell deutlich skalierter und standardisierter produzieren lassen als Zellprodukte primärer MSC. Aufgrund der Tatsache, dass die MSC-Applikation als prinzipiell sicher gilt und auch therapeutisch applizierte MSC-EV im Patienten abgeben sowie EV täglich in großen Mengen mit gängigen Blutprodukten transfundiert werden, wird in der Applikation therapeutischer MSC-EV kein erhöhtes Sicherheitsrisiko gesehen (Lener et al. 2015). Aufgrund der Neuartigkeit von EV als therapeutische Wirkstoffe, die ebenso wie parentale MSC multifunktionell wirken, gibt es aber noch etliche Herausforderungen zu bewältigen, bevor sie in der Klinik routinemäßig eingesetzt werden können. Neben der GMP-konformen Produktion und der technischen Herausforderung, submikroskopische Partikel ausreichend zu charakterisieren, wird es nicht trivial sein, die exakten Mechanismen zu entschlüsseln, mit denen MSC-EV ihre therapeutische Wirkung vermitteln. Außer dass sie die Funktion verschiedener Immunzellen modulieren können, scheinen sie auch einen direkten Effekt auf Endothelzellen sowie auf gewebespezifische Stammzellen auszuüben. Nach gegenwärtigem Verständnis können sie pathophysiologische Konstellationen multifaktoriell bekämpfen und so Symptomatiken verschiedener bislang mit individuellen Wirkstoffen nicht erfolgreich therapierbarer Krankheiten verbessern. Hierin liegt aber auch eine besondere Schwierigkeit, denn verbunden mit der multifaktoriellen Wirkungsweise gibt es nicht den einen molekularen Mechanismus, der angesteuert wird, sodass die funktionelle Testung von EV-Präparaten unterschiedliche Verfahren erfordert, die einzelne essenzielle Funktionsattribute von EV-Präparaten in sog. Potency-Assays auslesen. Ebenso wie im therapeutischen MSC-Feld stellt die Etablierung robuster, von den Behörden akzeptierter Verfahren aber eine bislang nur selten überwundene Hürde dar (Gimona et al. 2021). Können die Herausforderungen erfolgreich bewältigt werden, erscheinen MSC-EV als sehr vielversprechende zukünftige „zellfreie Zelltherapeutika“ oder kurz als Zelltherapeutika 2.0.

7 Ausblick

Die oben beschriebenen Anwendungen für Stammzellen aus dem Gewebe, also adulten Ursprungs, zeigen die große Bandbreite des Einsatzes dieser Zelltypen für mögliche und bereits existierende klinische Anwendungen. Speziell bei HSC sind die Möglichkeiten inzwischen vielfältig, auch über die Anwendung bei Leukämie und Lymphomen hinaus. Ursprünglich wurde der Begriff „adulte Stammzellen“ oft gleichgesetzt mit den mesenchymalen stromalen Zellen, die oft auch als mesenchymale Stammzellen bezeichnet wurden. Trotz inzwischen mehr als 1600 klinischen Studien mit diesen Zelltypen,Footnote 7 sind bisher nur wenige klinisch relevante Produkte auf dem europäischen Markt, die auf diesen Zelltypen beruhen (Panés et al. 2016; Kerstan et al. 2022). Es ist zu hoffen, dass sich zukünftig, eventuell auch mit dem Einsatz der EV von MSC, weitere Anwendungen ergeben. Leider finden diese Zellen auch oft Anwendung in ungeprüften Therapien (siehe Zenke, Kap. 15). Eine große Problematik für die Anwendung von Gewebestammzellen ist die Heterogenität der Zellprodukte, die in weiterer Forschung kontrolliert werden muss. Zusammenfassend ist festzustellen, dass eine rigorose Grundlagenforschung mit der Anwendung der Zellen in klinischen Studien parallel durchgeführt werden sollte, um die Biologie der Zellen eingehend zu verstehen und in den klinischen Entwicklungen umzusetzen. Die Grundlagenforschung sollte hierbei nicht nur die Grundlage für die angewandte Forschung sein, sondern begleitend zur präklinischen und klinischen Entwicklung mitgedacht und finanziert werden. Wie in den Kap. 13 und 14 beschrieben, gibt es eine ganze Reihe von vielversprechenden Ansätzen in der Stammzellforschung sowohl mit pluripotenten Stammzellen als auch mit Gewebestammzellen (siehe auch Tab. 14.1). Es ist eine breite Forschung mit allen Stammzelltypen angezeigt, ohne die Fokussierung auf nur einige wenige Stammzelltypen, um für eine Reihe von unheilbaren oder nur schwer behandelbaren Krankheiten eine Therapiemöglichkeit zu entwickeln.