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1 Einleitung

Quartiere in ihrer Resilienz zu stärken bedeutet, sie in ihrer Robustheit und Anpassungsfähigkeit für das Überwinden von Krisen und Katastrophen zu ertüchtigen. Dazu ist die Beachtung sozialer, ökonomischer, städtebaulicher und ökologischer Elemente in ihrem wechselseitigen Zusammenhang notwendig. Quartiere unterliegen stetigen Einflüssen und daraus resultierenden Veränderungen. Sie sehen sich Veränderungsdruck ausgesetzt (Kuhlicke 2018, S. 363). Quartiere sind in einen gesamtstädtischen Zusammenhang eingebettet. Ihre Dynamik hat Einfluss auf eine resiliente Stadtentwicklung (siehe Schmidt et al. in diesem Band). Die Erfassung der Veränderungen auf Quartiersebene und ihrer Ursachen ist eine wichtige Voraussetzung, um sich ankündigende Krisensituationen früh zu erkennen und eine mögliche Gegensteuerung einzuleiten. Diese zeitliche Perspektive steht in engem Zusammenhang mit der räumlichen Bezugsebene. Starker Stress im Sinne von Katastrophen kann genauso wie schleichende Krisen gesamte Quartiere oder Teilräume derselben betreffen. Somit ist eine genaue raumbezogene Beobachtung der Entwicklung vor Ort erforderlich. Verschiedene Resilienzdimensionen sind zu erfassen und in ihrer Ausprägung zu bestimmen. Dies kann die soziale Resilienz ebenso einschließen wie die Resilienz, die sich auf Infrastrukturen oder das Klima bezieht (siehe Rink et al. in diesem Band). Zudem sind Wechselwirkungen der verschiedenen Dimensionen zu beachten, die verstärkende oder abschwächende Effekte auslösen können.

Die Ausprägung der Resilienzdimensionen betrifft die Frage, ob Krisen oder Katastrophen Quartiere in einem so starken Maße beeinträchtigen, dass deren weitere Existenz infrage steht. Zum Beispiel führt ein anhaltend massiver Verlust an Bewohner*innen zu erheblichem Wohnungsleerstand, dramatischer Ausdünnung der sozialen und technischen Infrastruktur und auch zu einem Zerfall sozialer Netzwerke. Die Überlagerung dieser Krisenfaktoren bewirkt eine Abschwächung der Quartiersresilienz, was letztlich zum Verlust der Funktionsfähigkeit und in der Konsequenz zur Aufgabe der Quartiere führt – sie werden abgerissen. Die „Stadtquartiere auf Zeit“ (Peter 2009) sind beispielhaft für diese Entwicklung. Ein anderer Fall sind Quartiere und Siedlungen, die von plötzlichen Katastrophen erschüttert werden. Die Hochwasserextremereignisse in der jüngeren Vergangenheit haben deren Existenz infrage gestellt (siehe Kuhlicke et al. in diesem Band). Der komplette Wiederaufbau wurde nicht in jedem Fall realisiert.

Großwohnsiedlungen (GWS) stehen seit Jahrzehnten unter anhaltendem Anpassungsdruck aufgrund von krisenhaften Entwicklungen. Sie erfahren damit eine stetige Auseinandersetzung um ihre Resilienzpotenziale. Umbau, Rückbau, Abriss und wiederum Neubau – stets in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Gesamtsituation der Stadt und der sozialen und demographischen Bevölkerungsentwicklung vor Ort – kennzeichnen den Wandel der großen Quartiere. Auf der Basis der Ergebnisse mehrerer soziologischer Studien zu unterschiedlichen Entwicklungspfaden von GWS und unter besonderer Beachtung der Langzeitstudie in der GWS Leipzig-Grünau wird in diesem Beitrag dargelegt, welche Krisenfaktoren sich im Zeitverlauf eingestellt haben, wie damit umgegangen wurde und welche sozial-räumlichen Konsequenzen sich ergeben haben.

Der Beitrag befasst sich zunächst mit der Bedeutung sozialer Resilienz auf Quartiersebene. Daran knüpft die Diskussion um Ursachen für eine Schwächung von Resilienz, die die Existenz von Quartieren infrage stellt, an. Der Text fokussiert sich auf die quartiersbezogenen Konsequenzen von Schrumpfung, die mit ihrer besonderen Ausprägung in GWS spezifiziert werden. Als konkretes Fallbeispiel dient die GWS Leipzig-Grünau.

2 Soziale Resilienz im Quartier

Resilienz ist kein feststehender Zustand eines Wohnquartiers. Vielmehr bezieht sich Resilienz auf die Erhaltung der Lebensqualität und der Funktionsfähigkeit von Quartieren, insbesondere beim Eintreten von Krisen und Katastrophen, also von unvorhergesehenen Ereignissen. Um Resilienz zu stärken, ist die Beachtung der sozialen Dimension – die soziale Resilienz – entscheidend. Als zentrale Elemente einer sozialen Resilienz mit Bezug auf die Wohnraumversorgung werden nach Fekkak et al. (2016, S. 52) „der soziale Zusammenhalt (Kohäsion), die Ermöglichung zur Befähigung (enabling), Diversität, Mut und Courage sowie die Erlangung von Unsicherheitskompetenz angesehen“. Auf Quartiersebene sind gegenseitiges Vertrauen und Hilfsbereitschaft, besonders im Fall von Krisen und Katastrophen, zentral. Schnur (2013, S. 341) betont, dass sich das Ausmaß der Resilienz eines Quartiers aus der „Konnektivität“ (innere Verbundenheit) und dem „strukturellen Potenzial“ (akkumulierte Ressourcen) ergibt. Im Quartierskontext würden sich u. a. bauliche Strukturen, verortete Symboliken sowie Bedeutungszuschreibungen und Pfadabhängigkeiten als das „strukturelle Potenzial“ abbilden. Soziale Netzwerke, Nachbarschaften und das Zusammenwirken in Vereinen (Sozialkapital), lokale politische Netzwerke sowie die Intensität und Qualität der Akteursverbindungen seien entscheidend für die „Konnektivität“. Ein hoher Grad sozialer Konnektivität stärkt die Resilienz gerade im Fall von akuten Katastrophen (Tate 2019, S. 445). Auch Heinig (2022, S. 46) führt aus, dass die Bedeutung zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation auf Quartiersebene in Krisensituationen zunimmt.

Um dieses Potenzial auszunutzen, ist die Kenntnis der Akteure, ihrer sozialstrukturellen und demographischen Merkmale sowie ihrer Einstellungen, Meinungen, Erfahrungen und Bewertungen der Lebensbedingungen in ihrem Quartier eine wichtige Voraussetzung. In Abhängigkeit vom Auftreten von Stressoren, die einen Veränderungsdruck bewirken, werden das strukturelle Potenzial und die Konnektivität gefordert. Das können plötzliche Katastrophen (z. B. Coronapandemie) oder langsam und stetig wirkende Krisenfaktoren (z. B. Alterung der Bewohnerschaft, Klimawandel) sein. Als Krisenerfahrung können auch der in einem relativ kurzen Zeitraum erlebte massenhafte Wegzug eines Großteils der Bewohnerschaft und nachfolgend das Leerfallen vieler Wohnungen in einem Quartier benannt werden. Die Entscheidung der Wohnungsunternehmen zum Wohnungsabriss und damit zur Reduzierung des strukturellen Potenzials hat erhebliche Auswirkungen für die verbliebene Bevölkerung, denn sie ist nun gezwungen, umzuziehen. Diese nichtfreiwillige Entscheidung stellt für die Menschen einen tiefen Einschnitt in ihrem Leben dar (Kabisch 2018). Sie müssen andernorts ein neues Wohn- und Lebensumfeld aufbauen. Ähnlichen Herausforderungen sehen sich Menschen aus Quartieren und Siedlungen, die durch Hochwasser zerstört worden sind, gegenüber (siehe Kuhlicke et al. in diesem Band).

Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Betroffenen sich in bestimmten Fällen gegen die Abrissentscheidungen und den erzwungenen Wegzug zur Wehr setzten. Beispiele kollektiver Protestaktionen als Ausdruck gewachsener Konnektivität in der Krisensituation (Kabisch et al. 2004, S. 156 f.; Bernt und Kabisch 2006, S. 12) konnten letztlich den Prozess nicht aufhalten. Dennoch verdeutlicht dieses Beispiel, dass selbst in extremen Krisensituationen die soziale Resilienz weiter bestehen kann.

3 Schwächung der Resilienz im gesellschaftlichen Umbruch in Ostdeutschland – „Quartiere auf Zeit“

Die jüngere gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland, deren prägendster Moment die Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 war, hatte erhebliche Auswirkungen auf die Stadt- und Quartiersentwicklung in Ostdeutschland. Der wirtschaftliche Zusammenbruch in den 1990er-Jahren führte dazu, dass gerade die jüngere Generation massenhaft abwanderte, um andernorts eine Arbeitsstelle oder einen Ausbildungsplatz zu finden. Einstige Industriestandorte in Mittel- und Kleinstädten verloren ihre Basis und sahen sich in kürzester Zeit einem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutungsverlust gegenüber. Große Industrieanlagen wurden rückgebaut und abgerissen, häufig durch die gleichen Menschen, die jahrzehntelang in diesen Anlagen gearbeitet hatten. In Großstädten erodierte die industrielle Basis ebenfalls. Arbeitsplatzverlust und nachfolgend Arbeitslosigkeit führten zu einer umfangreichen Abwanderung der Bevölkerung hin zu wirtschaftlich prosperierenden Standorten, meist nach Westdeutschland. Der Einwohnerschwund schlug sich auf die Quartiere nieder. Ende der 1990er-Jahre standen rund eine Million Wohnungen in Ostdeutschland leer. Trotz dieser Entwicklung wurden zeitgleich subventionsgefördert der Wohnungsneubau im suburbanen Umland und die Sanierung in attraktiven Innenstadtbereichen ausgeweitet (Bernt 2021, S. 351 f.). Dies hatte verheerende Konsequenzen für die Funktionsfähigkeit vieler Kernstädte und GWS. Mit dem schnell wachsenden Leerstand verbanden sich erhebliche Beeinträchtigungen der Wohnqualität für die verbliebene Bevölkerung. Weitere Wegzüge wurden ausgelöst.

Dem zunehmenden Wohnungsleerstand wurde durch Wohnungsrückbau und -abriss begegnet. Diese Vorhaben konzentrierten sich auf die GWS in Großstädten, aber auch in Klein- und Mittelstädten, die im Zuge der Industrialisierung entstanden waren. Hier wohnten die zugezogenen Arbeitskräfte mit ihren Familien in gut ausgestatteten Mietwohnungen, die Wohnungsgenossenschaften und kommunalen Wohnungsunternehmen gehörten. Da der Abriss meist von den Siedlungsrändern begonnen wurde, entstanden in den ehemaligen Industriestädten Brachflächen, die über einen langen Zeitraum hinweg kaum oder nicht vollständig in die Stadtstruktur bzw. das bestehende Landschaftsbild eingegliedert wurden. Ein Beispiel ist die Stadt Lauchhammer, wo zu DDR-Zeiten die braunkohleverarbeitende Industrie und der Schwermaschinenbau prägend waren (Petrenz 2022, S. 49). Ähnliche Beispiele sind in früheren Industriestädten wie Hoyerswerda, Wolfen, Schwedt, Weißwasser oder Suhl anzutreffen. Hierzu liegen empirische Studien vor (Peter 2009; Beer 2011; Kabisch et al. 2004; Brösicke 2018). Sie belegen die weitreichenden Konsequenzen für die Stadt- und Quartiersentwicklung und die vor Ort lebenden Menschen durch den anhaltenden Einwohnerverlust im Zuge des wirtschaftlichen Niedergangs sowie der nicht absehbaren Trendumkehr. So sahen sich Hoyerswerda und Wolfen im Zeitraum von 1989 bis 2000 einem Einwohnerverlust von einem Drittel ihrer Bevölkerung gegenüber (Hoyerswerda von 67.900 auf 44.600, Wolfen von 45.700 auf 30.700; Peter 2009, S. 96). Dem damit verbundenen Wohnungsleerstand folgte ein Wohnungsabriss, der gesamte Quartiere umfasste. Auch hier, genauso wie im Fall von Lauchhammer, wurden die randlichen Quartiere abgerissen.

Dieses Phänomen wird als „Quartier auf Zeit“ benannt (detailliert dazu Peter 2009). Hinter der Bezeichnung stehen Quartiere, die zu einem bestimmten Zeitpunkt gesellschaftlicher Entwicklung – hier die Industrialisierung von Mittel- und Kleinstädten – errichtet wurden, um die benötigten Arbeitskräfte unterzubringen. Verschwinden die Arbeitsplätze aufgrund des Zusammenbruchs der wirtschaftlichen Basis dieser Städte, dann können sich die Quartiere nicht anpassen. Sie sind im Sinne von Resilienz nicht robust genug, um in der gesellschaftlichen und ökonomischen Neuorientierung bestehen zu können. Die fehlende Nachfrage auf dem lokalen Wohnungsmarkt und nach Infrastrukturangeboten führt zu einem starken Niedergang der Quartiere. In diesem Prozess beobachten die nicht mobilen Bewohner*innen die anhaltende Abwanderung von Bevölkerung. In der Konsequenz führt dies zur Auflösung sozialer Unterstützungsnetzwerke, zu Vereinsamung, Angst und Unsicherheit. Da es an bedürfnisgerechten und bezahlbaren Wohnalternativen trotz Wohnungsleerstand zeitweise mangelt, bleiben insbesondere alte, lange ansässige Bewohner*innen länger zurück. Zudem entwickeln sich soziale Konflikte im Quartier um Ruhestörung, mangelnde Sauberkeit und Unordnung. Die Straßenreinigung erscheint seltener, Vandalismus, Zerstörungen und Verschmutzungen nehmen zu. Das Wohnumfeld verschlechtert sich zusehends. Versorgungseinrichtungen werden geschlossen. Schrittweise erfolgt die Organisation des vollständigen Leerzugs von Mehrfamilienhäusern. Beer (2011, S. 191) betont, dass die Planung von Wohnungsabriss die eine Seite des Umgangs mit stark schrumpfenden Quartieren sei; die Gestaltung des langen Prozesses bis zum mehr oder weniger vollständigen Abriss die andere. Es brauche dringend Antworten auf die Fragen, wie die Lebensqualität auch in diesen Quartieren erhalten werden kann und wie die Wirkungen der zunehmenden, wenn auch temporär zugespitzten sozial-räumlichen Spaltung und Benachteiligung zu mindern seien.

In einem „Quartier auf Zeit“ ist die Resilienz derart massiv geschwächt, dass hier keine Zukunftsperspektive als Wohnort mehr existiert. Nach dem Abriss werden die Gebiete aus dem städtischen Flächennutzungsplan als Wohn- und Gewerbestandorte gelöscht und als Grün- oder Waldflächen deklariert.

4 Quartiere im Schrumpfungsprozess und Resilienz

Die im vorherigen Abschnitt beschriebenen schleichenden Krisen und Störungen mit der Konsequenz des Abrisses der „Quartiere auf Zeit“ sind Bestandteil der Auseinandersetzung mit dem urbanen Schrumpfungsprozess auf Quartiersebene. Dieser hat unterschiedliche Facetten und Wirkungen, die auf die verschiedenen Resilienzdimensionen Einfluss nehmen.

Urbane Schrumpfung ist als ein komplexer Prozess von Stadtentwicklung zu fassen. Er ist mit dem Rückgang der Bevölkerungszahl verbunden. Dieser wird maßgeblich durch tiefgreifende ökonomische Umstrukturierungen mit nachfolgendem Bedeutungsverlust der Stadt verursacht. Der Bevölkerungsverlust bewirkt eine geringere Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt sowie nach sozialen und technischen Infrastrukturangeboten. Daraus resultiert eine Reduzierung von Versorgungs- und Kulturangeboten, was zu einer Schmälerung der Lebensqualität führt. „Schrumpfung gilt weithin als Problem, Niedergang, Verlust, Versagen oder gar schlicht als Katastrophe.“ (Haase 2018, S. 405) Allerdings ist auch eine Debatte entstanden, die mit der Schrumpfung eine „neue Chance, etwa für weniger Dichte und mehr Grün und Lebensqualität, sowie als Raum für Experimente und Nischen“ (ebd.) verbindet.

Es überwiegen allerdings die Befunde dafür, dass durch einen Schrumpfungsprozess die Funktionsfähigkeit und die Lebensqualität von betroffenen Quartieren sinken (Bernt 2021). Dies muss aber nicht bedeuten, dass selbige im Sinne von vollständigem Abriss komplett aufgegeben werden. Vielmehr kann in Abhängigkeit von der Entscheidung des jeweiligen Wohnungsunternehmens ein punktueller Abriss erfolgen, der zu einer Perforierung der Siedlungsstruktur mit nachfolgender Ausdünnung der Infrastruktur führt. In der Folge setzt sich die Abwanderung aktiver und sozial starker Bewohnergruppen fort. Sozial-räumliche Differenzierungsprozesse verstärken sich, die eine wachsende soziale Segregation zwischen Wohnquartieren befördern. Notwendige Potenziale, die die soziale Resilienz eines Quartiers stärken, geraten dadurch unter Druck und gehen verloren (Bernt und Milstrey 2018).

In Ostdeutschland resultieren diese Prozesse aus den Folgen des 2002 beschlossenen Bund-Länder-Programms zur Förderung des Stadtumbaus. Dieses sah im Kern weitreichende Wohnungsabrisse zur Stabilisierung insolvenzbedrohter großer Wohnungsgesellschaften und -genossenschaften vor. Im Zeitraum von 2003 bis 2018 wurden etwa 334.000 Wohnungen, meist in GWS, mithilfe der Programmförderung abgerissen (Bundestransferstelle Stadtumbau 2018, S. 3). Der Abriss sollte mit einem Rückzug aus der Fläche vom Stadtrand hin zum Kerngebiet erfolgen. Jedoch konnte dies aufgrund der Eigentumsverhältnisse und der entstehenden Kosten vorwiegend nur in Klein- und Mittelstädten so wie stadtplanerisch vorgesehen realisiert werden. In peripher gelegenen Mittel- und Kleinstädten ohne starke regionalwirtschaftliche Verflechtungen hält der Trend zur Schrumpfung und zum Wohnungsabriss weiter an (ebd., S. 27).

In ostdeutschen Großstädten ist seit Mitte der 2010er-Jahre allmählich eine Trendumkehr eingetreten. Schrumpfung hat sich in Stabilisierung und Wachstum verwandelt. Dies beruht auf der wirtschaftlichen Wiedererstarkung und einem Attraktivitätsgewinn durch neue Arbeitsplatz- und Ausbildungsangebote sowie einer Zunahme an Lebensqualität bei bezahlbaren Mietpreisen. Des Weiteren wächst der Bedarf an Wohnraum zu Niedrigstmieten aufgrund der sich vergrößernden Bewohnergruppe mit geringem Einkommen. Der Wohnungsabriss wurde deshalb eingestellt. Diese großstadtspezifische Entwicklung schlug sich auch auf die GWS nieder.

5 Spezifische Resilienzherausforderungen in Großwohnsiedlungen

In Ostdeutschland erfuhren GWS durch die Abwanderung der Bewohner*innen und die nachfolgenden Abrisse von Wohngebäuden und Infrastrukturen eine erhebliche Schwächung ihrer Resilienz. Diese Anpassungsentscheidungen stellten mancherorts sogar die Funktionsfähigkeit der Quartiere infrage. Als GWS werden Wohnquartiere mit mindestens 2.500 Wohnungen bezeichnet. In der ehemaligen DDR sind GWS in den Großstädten in weitaus größerer Dimension entstanden. So umfassten Leipzig-Grünau oder Berlin-Marzahn ehemals ca. 35.000 bzw. 40.000 Wohnungen. Trotz Abriss vielerorts machen sie bis in die Gegenwart einen Großteil des örtlichen Wohnungsmarktes aus. Aufgrund des industriellen Wohnungsbaus weisen sie ein relativ einheitliches und typisches Erscheinungsbild auf. Die Technologie erforderte große Standorte, die überwiegend randstädtisch zur Verfügung standen. In den GWS befinden sich größtenteils Mietwohnungen (Kabisch 2021).

Laut der Bundestransferstelle Stadtumbau (2018, S. 3) sind von den 2,1 Mio. Wohnungen, die in industrieller Bauweise errichtet wurden, noch etwa 85 % am Markt. Sie umfassen etwa 23 % des Gesamtwohnungsbestandes in Ostdeutschland. Da hier großenteils geringere Mieten als in der Innenstadt verlangt werden, sind sie für die Wohnraumversorgung gerade für Bezieher*innen geringer Einkommen von immenser Bedeutung.

Die Frage nach der Resilienz von GWS gegenüber Krisen oder Katastrophen bezieht sich auf die bauliche Struktur und das soziale Zusammenleben vor Ort (strukturelles Potenzial und Konnektivität, nach Schnur 2013, s. o.). Die GWS sehen sich in ihrer zeitlichen Entwicklung unterschiedlichen Einflüssen gegenüber. Von einst sehr begehrt als Wohnort in den 1970er- und 1980er-Jahren kehrte sich ihre Wertschätzung im Zuge der deutschen Wiedervereinigung und der folgenden gesamtgesellschaftlichen Transformation in Ostdeutschland ins Gegenteil um. In historisch kurzem Zeitraum standen die GWS vor bisher unbekannten Herausforderungen. Der massenhafte Arbeitsplatzverlust im Zuge der Schließung vieler Betriebe führte zu weit verbreiteter Arbeitslosigkeit. Daraus resultierte für die Betroffenen, dass das Wohnquartier mit seinen Versorgungseinrichtungen und den Frei- und Grünanlagen nun für sie zum Hauptaufenthaltsort wurde. GWS als Quartiere mit einer besonders hohen Einwohner- und Bebauungsdichte wurden in außerordentlich starkem Maße mit dieser neuen Entwicklung konfrontiert. Die wenige Jahre später einsetzende Abwanderung eines großen Teils der Bevölkerung betraf mehrheitlich jüngere Bewohnergruppen. Dadurch entstanden demographische Ungleichgewichte und aus Gebieten mit vormals vielen Kindern und Jugendlichen wurden Quartiere mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil älterer und hochaltriger Bevölkerung. In diesem Zuge dünnten sich soziale Netzwerke aus, ebenso die solidarische, auf gemeinsamen Werten und Normen basierende Zusammengehörigkeit im Quartier. Viele ältere Menschen bedauerten den empfundenen Verlust. Dies wurde wiederholt in Gesprächen und Diskussionsrunden zum Ausdruck gebracht.

Der nun folgende umfangreiche Wohnungsabriss an zahlreichen Standorten innerhalb der GWS wurde mit ambivalenten Gefühlen beobachtet. Einerseits begrüßten viele das Verschwinden leerstehender Gebäude, die schnell zu Ruinen verkamen und das Wohnumfeld beeinträchtigten. Andererseits bedauerten zahlreiche Bewohner*innen die ersatzlose Beseitigung intakter Bausubstanz, in der oftmals Versorgungseinrichtungen im Erdgeschoss untergebracht waren.

Da im Zuge der staatlichen Privatisierungsauflagen zahlreiche private Unternehmen die Gunst der Stunde genutzt und relativ billig größere Blockstrukturen aufgekauft hatten, entschieden diese, ob und, wenn ja, wo abgerissen wurde. Das seitens der kommunalen Stadtplanung nicht steuerbare Abrissgeschehen bewirkte eine Entdichtung der Baukörper mit neuen Markierungen und neuen Problemen. Dies führte zu einem Flickenteppich innerhalb der GWS. Es entstanden „gelichtete Stadtteile“ (Bernt 2021). Jüngere Untersuchungsergebnisse belegen, dass ursprünglich für den Abriss vorgesehene GWS oder große Teile davon einem neuen Verwertungsmodell unterliegen. Die neuen Eigentümer erkannten zeitig die steigende Nachfrage nach sehr preiswertem Wohnraum. Schlichtsanierte, das heißt nur mit dringend notwendigen Reparaturen versehene Wohnungen, boten sie Menschen mit geringem Einkommen an. In vielen Fällen wird die regelmäßige Mietzahlung durch staatliche Stellen gewährleistet. Durch die Konzentration dieser Haushalte in Gebäuden und Teilräumen entstehen folglich Armutsinseln innerhalb mancher GWS (Bernt und Milstrey 2018). Damit sind Entwicklungen verbunden, die mittelfristig zu einer sozial-räumlichen Spaltung innerhalb der Siedlungen führen. Diese Prozesse befördern eine Stigmatisierung sowohl von Teilräumen als auch gesamter GWS (Fekkak et al. 2016, S. 54; Kabisch und Pössneck 2022).

So ist – in der GWS oder andernorts – die „Quartiersentwicklung immer als ein in vielfältige zeit-räumliche Kontexte eingebetteter Prozess“ (Schnur 2013, S. 346) zu verstehen. Sozial-räumliche Differenzierungsprozesse laufen auch in der GWS Leipzig-Grünau ab. Deren Ausprägung wird im Folgenden näher beleuchtet.

6 Resilienz in der Großwohnsiedlung Leipzig-Grünau seit ihrer Entstehung

Die GWS Leipzig-Grünau erlebte seit ihrer Grundsteinlegung im Jahr 1976 vielfältige Einflüsse und Veränderungen, die auch Krisen einschlossen. Sie wirkten sich im Sinne verschiedener Dimensionen von Resilienz auf das soziale Zusammenleben, den baulichen Bestand sowie die Infrastrukturausstattung aus und erforderten umfangreiche Anpassungsprozesse. Gegenwärtig leben ca. 45.000 Menschen in der GWS Leipzig-Grünau – die Bevölkerungszahl hat sich seit 1989 von damals 85.000 Bewohner*innen um ca. die Hälfte verringert. Der dramatische Schrumpfungsprozess ereignete sich in den 1990er-Jahren, um sich danach in geringerer Intensität bis etwa 2010 fortzusetzen. Diese krisenhafte Erfahrung erforderte seitens der Stadtplanung und der Wohnungswirtschaft tiefgreifende Anpassungsentscheidungen, denn im Zuge der Schrumpfung kam es zu erheblichem Wohnungsleerstand. Mehrere Unternehmen sahen sich von Insolvenz bedroht. Mit dem Ziel die Wohnungswirtschaft zu stabilisieren, wurde das Bund-Länder-Programm Stadtumbau Ost genutzt, um etwa 6.800 Wohnungen, ein Fünftel des Bestandes, abzureißen (Stadt Leipzig 2007). Insbesondere das kommunale Wohnungsunternehmen nutzte das Programm, um sich durch den Abriss von einem Großteil seiner Altschulden im Rahmen des Altschuldenhilfegesetzes (Aehnelt 2018) zu befreien. Auch einige Genossenschaften nahmen Abrisse und Rückbauten vor.

Um einen stadtplanerisch gesteuerten Umbau der GWS zu gewährleisten, beschloss der Leipziger Stadtrat im Jahr 2007 die Entwicklungsstrategie Grünau 2020 (Stadt Leipzig 2007). Diese beinhaltete die Stärkung eines Kernbereichs und die Festlegung eines Stadtumbaugürtels. Darin waren die zwei westlichen Ortsteile Grünau-Nord und Lausen-Grünau sowie der nördliche Ortsteil Schönau zwecks ersatzlosen Abrisses großer Plattenbau-Areale eingebunden. Mit dieser Entscheidung wurden sie als „Quartiere auf Zeit“ betrachtet. Doch zwischenzeitlich hatten sowohl das kommunale Wohnungsunternehmen als auch einige Genossenschaften Teile ihres Wohnungsbestandes aufgrund der staatlichen Privatisierungsauflagen verkauft. Da der ursprünglich erwartete Verkauf der Wohnungen an die Mieter*innen aufgrund deren mangelnder finanzieller Ressourcen und unsicherer Zukunftsperspektiven vor Ort nicht realisiert werden konnte, erwarben in den 1990er- und 2000er-Jahren private Wohnungsunternehmen und Zwischenerwerber Wohnungsbestände in unterschiedlichem Ausmaß, das von einzelnen Blöcken bis zu großen Blockstrukturen reichte. Dies hatte zur Konsequenz, dass sich die Anzahl der Wohnungsunternehmen mit jeweils eigenen Wohnungsmarktstrategien vergrößerte. Sie verfolgten ihre spezifischen Verwertungsstrategien, die von der Schlichtsanierung für Mieter*innen mit geringem Einkommen bis zu hochwertigen Sanierungen für zahlungskräftige Nachfrager*innen reichten. Für Letztere wurde z. B. das Pfaffenstein-Carré umgestaltet. Auch seitens einiger Genossenschaften wurden entsprechende Investitionen getätigt, z. B. in die Kulkwitzer See-Terrassen (Kabisch et al. 2016, S. 17). Damit war die 2007 beschlossene Entwicklungsstrategie obsolet. Sie wurde 2015 aufgehoben.

Im Zuge des Verkaufs und Abrisses von Wohnungen reduzierte sich der Bestand des kommunalen Wohnungsunternehmens erheblich. Heute ist sein Spielraum zur Erfüllung seines sozialen Auftrags, Menschen mit geringerem Einkommen mit Wohnraum zu versorgen, eingeschränkt. Obwohl von den etwa 25.000 Wohnungen in der GWS noch etwa 3.400 Wohnungen in seinem Bestand sind, ist es nicht mehr das alleinig dominierende Unternehmen vor Ort. Die GWS wird flächenhaft durch die ansässigen acht Genossenschaften geprägt. Sie haben vor allem in den östlichen und nördlichen Bereichen sowie dem zentralen Bereich der GWS ihre Bestände. Die 16 privaten Wohnungsunternehmen konzentrieren sich in den westlichen Ortsteilen, also jenen, die ursprünglich als Stadtumbaugürtel abgerissen werden sollten. Ein privates Unternehmen besitzt mit ca. 4.800 Wohnungen besonders große Bestände, zu denen auch eine Blockstruktur im zentralen Bereich der GWS gehört.

Obwohl jedes Wohnungsunternehmen eigene Ziele hinsichtlich seiner Klientel verfolgt, ist eine resiliente Quartiersentwicklung, die die GWS als funktionsfähigen und lebenswerten Stadtteil Leipzigs unterstützt, von generellem Interesse. Deshalb hat der Stadtrat im Jahr 2018 ein Integriertes Stadtteilentwicklungskonzept Leipzig-Grünau 2030 (Stadt Leipzig 2018) beschlossen. Eine integrierte Maßnahmenstrategie zur nachhaltigen Stabilisierung und Aufwertung, die in Zusammenarbeit mit wichtigen Stadtteilakteuren und der Bevölkerung umzusetzen ist, wird darin betont. Damit wird die Bedeutung sozialer Resilienz unterstrichen. Konnektivität und zivilgesellschaftliche Selbstorganisation werden im Quartiersrat, unterstützt durch das Quartiersmanagement, gelebt. Institutionen wie das soziokulturelle Zentrum KOMM-Haus oder das Mütterzentrum Müzel bieten Freizeit- und Hilfeangebote vor Ort. Hier ist der Nahraum im Quartier für mobilitätseingeschränkte Personen, Mütter mit kleinen Kindern – einschließlich migrantische Familien – oder ältere Menschen besonders wichtig.

Dennoch darf die Herausforderung, immer wieder neue Fördermittel für die Realisierung wichtiger Projekte einwerben zu müssen, nicht unterschätzt werden. Dies kann zur Erschlaffung von Initiativen führen, denen in vielen Fällen der Nachwuchs fehlt. Somit sind die verschiedenen Faktoren, die die soziale Resilienz beeinflussen, zu beachten. Um diese Zielstellung zu erreichen, werden soziologische Forschungsergebnisse der Langzeitstudie zum Wohnen und Leben in Leipzig-Grünau genutzt. Die jüngste von insgesamt elf umfassenden Erhebungen, in deren Zentrum umfangreiche Befragungen der Bewohner*innen standen, wurde im Jahr 2020 durchgeführt (Kabisch und Pößneck 2021).

7 Resilienz auf kleinräumiger Ebene innerhalb der Großwohnsiedlung Leipzig-Grünau

Um die Handlungsschwerpunkte für eine Stärkung der Resilienz in der GWS möglichst räumlich genau zu identifizieren, werden im Folgenden Ergebnisse der Langzeitstudie zum Wohnen und Leben in Leipzig-Grünau (Kabisch und Pößneck 2021) vorgestellt. Durch die Befragungen liegen repräsentative Resultate zur jeweils aktuellen Einschätzung der Lebensbedingungen in der GWS und zum Vergleich über einen langen Zeitraum vor. Sie betonen Gunstfaktoren, die die Vorzüge der GWS unterstreichen, und benennen Probleme. Damit wird ein realistisches, faktenbasiertes Bild der GWS gezeichnet, das unhinterfragten Stigmatisierungen entgegentritt (Kabisch und Pössneck 2022). Die Ergebnisse dienen der Identifikation besonderer Herausforderungen und der Ableitung von Prioritätensetzungen für erforderliche Maßnahmen, da verschiedene räumliche Bezugsebenen und gruppenspezifische Muster untersucht wurden.

Die Auswertung der Ergebnisse erfolgte auf mehreren räumlichen Ebenen. Die Betrachtung der gesamten GWS-Ebene diente dem Vergleich mit anderen Stadtteilen Leipzigs, mit GWS in anderen Städten und mit Ergebnissen aus vergangenen Grünau-Erhebungen. Die Ebene der Ortsteile wurde für die Auswertung der Befragungsergebnisse mit Bezug auf die interne Differenzierung der GWS genutzt. Davon ausgehend wurde eine noch kleinräumigere Ebene – die der Teilräume – besonders intensiv betrachtet (Abb. 9.1). Hier wurden Mikroprozesse analysiert, um diese zu verstehen und schließlich zielgenau zugeschnittene Handlungserfordernisse und Empfehlungen für die Stärkung sozialer Resilienz abzuleiten (Tate 2019, S. 445).

Abb. 9.1
figure 1

Lage der identifizierten Teilräume innerhalb der GWS Leipzig-Grünau

Die Bestimmung der Teilräume, die in unserer Untersuchung vorgenommen wurde (Kabisch und Pößneck 2021, S. 79 f.), basierte auf der Zusammenschau von Lage, Wohnungsunternehmen, Baustruktur, Sanierungsstand sowie objektiven und subjektiven Befragungsergebnissen zur Wohnzufriedenheit und zu soziodemographischen Merkmalen. Darauf aufbauend wurde eine genaue Charakteristik jedes Teilraums erarbeitet. Die in der Analyse identifizierten Teilräume befanden sich in den westlichen Ortsteilen und im Kernbereich. Hier kristallisierten sich auffallende Unterschiede im Vergleich zum restlichen Teil der Siedlung heraus. Des Weiteren zeigten sich zwischen den räumlich eng beieinander liegenden Teilräumen deutliche Differenzen.

Der Wohnungsbestand in den Teilräumen 4.1, 5.2, 7.1, 7.2 und 8.3 gehört ausschließlich Genossenschaften. Für den Teilraum 8.2 ist ein Mix aus privaten Wohnungsunternehmen zutreffend. Die deutliche Mehrheit der befragten Bewohner*innen dieser Teilräume fühlt sich sowohl in Grünau als auch in der eigenen Wohnung uneingeschränkt wohl (Abb. 9.2).

Abb. 9.2
figure 2

Anteil der Ja-Antworten (neben „mit Einschränkungen“; „nein“) auf die Frage „Fühlen Sie sich wohl in Grünau?“ nach Teilraum-Zugehörigkeit. Blau entspricht hoher Zustimmung, orange entspricht eher geringer Zustimmung (Kabisch und Pößneck 2021, S. 81)

Die Teilräume 4.3, 7.3 und 8.1 gehören zum Wohnungsbestand eines hier aktiven privaten Großvermieters. Der Teilraum 4.2 umspannt die beiden 16-geschossigen Punkthochhäuser, die Eigentum des kommunalen Wohnungsunternehmens sind. Sie befinden sich im Kernbereich – also im Zentrum – der GWS und fallen durch ihr Sanierungsdefizit der Fassaden besonders ins Auge. Auch in den Häusern gibt es hohen Sanierungsbedarf.

Die Analyseergebnisse zeigen, dass in diesen Teilräumen das Wohlfühlen in Grünau deutlich geringer ausgeprägt ist. Im Vergleich zu den vorgenannten Teilräumen ist hier der Anteil der Personen in Arbeitslosigkeit und derjenigen mit einem monatlichen Nettoäquivalenzeinkommen unter 900 € größer sowie der Anteil der Hoch- und Fachhochschulabsolventen geringer. Der Anteil der Haushalte, in denen Kinder leben, ist größer. Die Befragten stellen in stärkerem Maße einen Sanierungsbedarf ihres Hauses fest. Von ihnen stimmt fast die Hälfte der Aussage „Wenn ich mehr Geld hätte, würde ich wegziehen“ zu. Das Vertrauen in die Nachbarschaft ist in geringerem Maße vorhanden. Man würde tendenziell weniger Menschen in der Nachbarschaft seinen Wohnungsschlüssel anvertrauen als dies in den anderen Teilräumen der Fall ist.

Bei der Gegenüberstellung der Teilräume wird deutlich, dass die jeweilige Wohnzufriedenheit nicht von einzelnen Faktoren abhängt. Vielmehr muss diese in ihrer spezifischen Ausprägung und ihrem Zusammenhang betrachtet und interpretiert werden. Dennoch erweist sich für das Profil der Teilräume das jeweilige Wohnungsunternehmen mit seiner Vermietungsstrategie als entscheidend.

Es lässt sich feststellen, dass die zehn beschriebenen Teilräume jeweils eigene Spezifika hinsichtlich der soziodemographischen Merkmale sowie der subjektiven Wahrnehmungen und Beurteilungen durch ihre Bewohnerschaft aufweisen. Spezifische Herausforderungen und Gunstfaktoren der jeweiligen Teilräume konnten identifiziert werden. Dennoch ist eine einheitliche Tendenz erkennbar: Die eher kritischen Aussagen und Merkmale ballen sich in den gleichen Teilräumen und überlagern sich – ebenso wie die eher positiven. Es existieren Teilräume, in denen Kinder in einer von Armut geprägten Umgebung aufwachsen und wo der soziale Zusammenhalt eher gering ist. Diese Befunde weisen auf eine schwächere soziale Resilienz hin. Die betroffenen Teilräume werden von den Bewohner*innen anderer Teilräume häufig gemieden. Demgegenüber sind Teilräume zu finden, in denen zwar die Wohnzufriedenheit recht hoch ist, wo sich jedoch eine ältere und hochaltrige Bewohnerschaft konzentriert, die in Bälde altersadäquaten Wohnraum und entsprechende Versorgungs- und Betreuungseinrichtungen braucht. Um die soziale Resilienz in diesen Teilräumen unter Beachtung der alternden Bewohnerschaft zu erhalten, muss der Bedarf an barrierearmen Wohnungen sowohl im mittleren als auch – aufgrund einer steigenden Zahl von Bewohner*innen mit geringem Rentenniveau – im niedrigen Preissegment berücksichtigt werden. Darüber hinaus sind Strategien zu entwickeln, die eine altersstrukturelle Durchmischung befördern. Diese künftigen Entwicklungen sind frühzeitig in den Blick zu nehmen, um in den Quartieren auf den demographischen Wandel vorbereitet zu sein (Schnur 2013, S. 343). Die soziologischen Studienergebnisse können genaue Hinweise für die Ausprägung sozialstruktureller und demographischer Problemlagen geben und entsprechende Maßnahmen zur Stärkung der sozialen Resilienz vorschlagen.

8 Fazit

Wohnquartiere in ihrer unterschiedlichen Größe und Charakteristik sehen sich stets Einflüssen ausgesetzt, die ihre Entwicklung bestimmen. Krisen stellen eine extreme Form dieser Einflüsse dar. Ihnen gegenüber resilient zu sein erfordert sowohl Widerstandskraft als auch die Fähigkeit sich anzupassen. Damit ist Fekkak et al. zuzustimmen, dass Quartiere ihre Resilienzstrategien mit sehr unterschiedlicher Dynamik entwickeln und dass sie „auch unterschiedlich fähig [sind], Stress und Störungen zu verarbeiten“ (2016, S. 11).

In manchen Fällen ist die Schwächung der Resilienz so immens, dass die weitere Existenz der betroffenen Quartiere nicht gewährleistet werden kann. Massive Bevölkerungsverluste mit nachfolgendem Leerstand oder Hochwasserkatastrophen können zur Aufgabe von Quartieren und Siedlungen führen. Der Werdegang der GWS Leipzig-Grünau zeigt, dass politische Entscheidungen gegen eine weitere Existenz von Wohngebieten in Krisensituationen gerichtet werden können. Er zeigt aber auch, wie gesellschaftliche Entwicklungen eine Umkehr eines Quartiersniedergangs bewirken können. Gerade sehr großen Quartieren wie den GWS muss deshalb weiterhin hohe Aufmerksamkeit zuteilwerden, um innerhalb dieser Siedlungen die Entstehung von Armutsinseln und sozialstrukturellen Problemlagen zu vermeiden sowie die GWS insgesamt in ihrer Resilienz zu stärken.