Schlüsselwörter

1 Einleitung

Das Mississippi-Hochwasser von 1993 verursachte Schäden in Höhe von rund 16 Mrd. US$, überflutete etwa 100.000 Wohnungen und Häuser und kostete 48 Menschen das Leben. Die Überschwemmung war nicht nur wegen ihres Ausmaßes an Schäden bemerkenswert. Kurz nach dem Hochwasser erwarb die Federal Emergency Management Agency (FEMA) etwa 8000 Häuser, die durch die Flut erheblich zerstört worden waren, um Baugrundstücke in Freiflächen umzuwandeln, einschließlich der Umsiedlung von vier Gemeinden in Folge des Hochwassers (Kuhlicke 2005).

Der Aufkauf von Gebäuden und die Umsiedlung von Gemeinden wurde möglich durch eine Veränderung der Hochwasserschutzstrategie in den USA. Der Stafford Act von 1988 legte fest, dass ein Gebäudeeigentümer nur dann mit umfassender staatlicher Hilfe rechnen konnte, wenn das Haus oberhalb der gedachten Linie eines 100-jährigen Bemessungshochwassers erbaut wurde. Diese Regelung galt auch für den Wiederaufbau zerstörter Gebäude nach dem Hochwasser von 1993. Ein Haus musste demnach entweder auf Stelzen oder an einem anderen Ort wieder errichtet werden. Baut ein Eigentümer sein Haus dennoch an gleicher Stelle wieder auf, hat er zukünftig mit keinerlei Hilfe zu rechnen. Gerade während und nach dem 1993er Hochwasser wurde dieser Ansatz konsequent verfolgt.

Dieser Ansatz war u. a. der Einsicht geschuldet, dass die wirksamste Strategie zur Vermeidung von Hochwasserschäden darin besteht, das Schadenspotenzial in Überschwemmungsgebieten zu verringern. Wenn bauliche Schutzmaßnahmen versagen und andere Möglichkeiten der Schadensbegrenzung wirtschaftlich nicht tragbar oder technisch schlicht nicht umsetzbar sind, ist Siedlungsrückzug ein durchaus probates Mittel, um langfristig das Schadenpotenzial zu reduzieren (Hartz et al. 2021; siehe auch Kabisch und Pößneck in diesem Band).

Eine nicht unwesentliche Motivation für den Stafford Act war allerdings auch, dass die Wiederaufbaukosten für die US-amerikanische Bundesregierung mit der Zeit zu teuer wurden. Seit dem Disaster Relief Act von 1950 hatte die US-Regierung begonnen, die finanziellen Schäden infolge von Naturkatastrophen zu übernehmen. Der Act diente anfangs vor allem dazu, Gemeinden finanziell beim Wiederaufbau zerstörter Infrastrukturen zu unterstützen. Das Gesetz war allerdings mit einem anfänglichen Volumen von 5 Mio. US$ der geradezu bescheidene Vorläufer einer zunehmend teurer werdenden Entwicklung: Spätestens seit den Siebzigern wurden Geschädigte in Form von direkten Zuwendungen, Darlehen mit geringen Zinssätzen und staatlichen Versicherungspolicen durch die National Flood Insurance (NFI) unterstützt. Allein zwischen 1989 und 1993 wurden in den USA knapp 28 Mrd. US$ an föderaler Katastrophenhilfe ausgegeben (Platt und Rubin 1999). Mit dem Stafford-Act von 1988 versuchte man, den Zyklus von Katastrophe, Wiederaufbau, Katastrophe, Wiederaufbau zu durchbrechen und eine alternative Herangehensweise, die auf die langfristige Reduktion der Exposition zielte, zu etablieren. Grundstücke wurden aufgekauft und Gemeinden umgesiedelt.

Auch in Deutschland nehmen die Schadensummen infolge von Naturkatastrophen zu, wobei die Wiederaufbaupolitik eine ähnliche Entwicklung durchläuft wie in den USA, zumindest was das Volumen der staatlichen Unterstützungsleistungen betrifft. Waren 1993 infolge des Winter-Hochwassers am Rhein rund 10 % der Schäden kompensiert worden, bei relativ übersichtlichen Gesamtkosten, so wurden für die Bewältigung bzw. den Wiederaufbau infolge des Juli-Hochwassers von 2021 rund 30 Mrd. EUR veranschlagt, wobei bis zu 80 % der Schadensumme durch öffentliche Mittel kompensiert werden. Das Hochwasser 2021 zählt mit dem Verlust von 180 Menschenleben nicht nur zu den größten Naturkatastrophen, die Deutschland nach 1945 getroffen haben. Es ist auch eine weitere verpasste Chance, den Wiederaufbau konsequent zu nutzen, um resiliente und hochwasserangepasste Siedlungsstrukturen zu entwickeln.

In diesem Beitrag geben wir einen ersten Einblick zu einem laufenden Forschungsvorhaben, das sich der Frage widmet, welche sozialen, politischen, institutionellen, kulturellen und ökonomischen Faktoren die Wahl und Umsetzung von Maßnahmen, Instrumenten und Strategien für einen klimaangepassten und resilienten Wiederaufbau beeinflussen. Der Beitrag ist als Zwischenergebnis zu verstehen, welches im Rahmen des KAHR-Projekts erarbeitet wurde (siehe Danksagung). Er basiert auf teilnehmenden Beobachtungen bei Veranstaltungen und Konferenzen in den betroffenen Regionen, auf Interviews, die mit verschiedenen Personen vor Ort geführt wurden, Presse-Artikeln und der Analyse von Dokumenten bzw. Gesprächen mit Kolleg*innen. Den vorläufigen Charakter der Ergebnisse betonend werden erste Erkenntnisse als Thesen formuliert, die im weiteren Verlauf des Forschungsprozesses konkretisiert und qualifiziert werden sollen.

2 Resilienz, Transformationen und die Re-Konfiguration hydrosozialer Territorien

Um der Vielschichtigkeit des Wiederaufbaus gerecht zu werden und um die damit verbundene Multiperspektivität auch analytisch greifen zu können, bietet sich das Konzept der hydrosozialen Territorien an. Diese Territorien werden wie folgt gefasst:

„socially, naturally and politically constituted spaces that are (re)created through the interactions amongst human practices, water flows, hydraulic technologies, biophysical elements, socio-economic structures and cultural-political institutions“ (Boelens et al. 2016, S. 1)

Mit der Etablierung des analytischen Rahmens der hydrosozialen Territorien soll zweierlei geleistet werden. Erstens werden in diesem Zugriff hydrosoziale Territorien nicht als natürlich gegeben erachtet, sondern als etwas, das sich in sozialer Praxis und im Wechselspiel vielfältiger menschlicher und nichtmenschlicher Einflüsse konstituiert, verstetigt und verändert. Sie werden durch Eingriffe in den Wasserlauf oder die energetische Nutzung von Gewässern ebenso manifest, wie durch die Regulation von wassernahen Bebauungsflächen, Wassernutzungsrechte oder die Wahrnehmung von Flüssen oder Seen als Orte der Erholung oder des wirtschaftlichen Nutzens. Zweitens ist damit der Versuch verbunden, von einer externen, mechanistischen Perspektive auf den Wiederaufbau hin zu einer endemischen Perspektive zu kommen, die sich für soziales Handeln und die damit verbundene Perspektivenvielfalt unterschiedlicher Akteure interessiert und fragt, in welchem Wechselverhältnis soziales Handeln zu verschiedenen Kontextfaktoren steht.Footnote 1

Während dieses Konzept zuvor vor allem zur Untersuchung von Konflikten um Trinkwasserzugang und -verteilung (Damonte und Boelens 2019; Hoogendam 2019), Staudammprojekte (Duarte-Abadía et al. 2015; Hommes et al. 2016) oder Wasserverschmutzung (Wessels et al. 2019) eingesetzt wurde, kann es auch für den Wiederaufbau nach der Flutkatastrophe 2021 nutzbar gemacht werden. Anders als Studien, die sich den Auswirkungen von Hochwasserereignissen über einzelne Aspekte wie z. B. soziale Verwundbarkeit, Hochwasserbewusstsein, Verhaltensänderungen oder technisch-bauliche Faktoren annähern, ermöglicht die theoretische Rahmung über hydrosoziale Territorien, ein weiteres Netz von Einflussfaktoren und deren Verquickungen zu untersuchen. Dadurch kann ein umfassendes Bild davon entwickelt werden, wie sich Landnutzung, Gebäude- und Siedlungsstrukturen, Entwicklungs- und Maßnahmenpläne und die Wahrnehmung des Flusses sowie zukünftiger Risiken nach der Flut geändert haben und durch welche Kontextfaktoren diese Veränderungen beeinflusst werden.

Des Weiteren begreifen wir die Überflutung in Nordrhein-Westfalen (NRW) und Rheinland-Pfalz (RP) 2021 als Zäsur für hydrosoziale Territorien, da sie etablierte Arrangements von gesellschaftlichen Akteuren, Infrastrukturen, Nutzungsmustern, Gewässern etc. fundamental infrage stellt. Der Soziologe Lowell Juilliard Carr schrieb 1932: „So long as a ship rides out the storm, as long as the city resists the earth-shocks, so long as the levee holds, there is no disaster. It is the collapse of the cultural protection that constitutes the disaster proper“ (Carr 1932, S. 211). Um zu verstehen, warum aus starken Niederschlägen Katastrophen werden, reicht es folglich nicht aus, allein Wasserstände und Niederschläge in Betracht zu ziehen. Es gilt vielmehr, so Carr, die etablierten „kulturellen Sicherungssysteme“ in die Analyse einzubeziehen – also zuvorderst Deiche, Staumauern, Warnsysteme, den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz sowie zugrunde liegende Institutionen, aber eben auch die Art und Weise, wie und wo gebaut wird, sowie das Verhalten von Menschen vor, während und nach einer Katastrophe – und wie sie jeweils mit Niederschlägen sowie Wasserständen und -abläufen verwoben sind. All diese Faktoren sind in hydrosozialen Territorien nicht einfach gegeben, sondern unterliegen gesellschaftlich etablierten Konventionen, Regeln und Normen. Das beinhaltet zum Beispiel DIN- bzw. ISO-Normen zum Bau von Deichen, Rechtsnormen in Bezug auf die Raumnutzung, Bauvorgaben oder soziale Verhaltensnormen (z. B. Rolle von Eigenvorsorge).

Jedes hydrologische Extremereignis stellt etablierte Routinen und Normen auf den Prüfstand, denn gerade katastrophale Ereignisse widerlegen etablierte Wirklichkeitskonstruktionen (Dombrowsky und Brauner 1996). Sie zeigen, dass die vorhandenen Sicherungssysteme unzureichend sind und der Überprüfung bedürfen. Daher bieten sie die Chance, etablierte Perspektiven zu ändern bzw. sie zumindest infrage zu stellen. Technische Schutzanlagen, die bisher selbst im Worst-Case-Szenario als robust, schmale Flussläufe, die als kontrollierbar galten, und Siedlungsflächen, die als idyllisch und besonders bewohnenswert wahrgenommen wurden, werden schlagartig als fragil und gefährlich bzw. hochgradig verletzlich angesehen. Die These, die Roux et al. im Zusammenhang mit ihren Arbeiten zum Thema „Lernen und Katastrophen“ aufgestellt haben, gilt damit auch für das Hochwasser 2021, zumindest im Prinzip: „Fundamentales Lernen kommt häufig erst durch den Handlungsdruck zustande, der mit der Bewältigung von Katastrophen oder Krisen verbunden ist“ (Roux et al. 2003, S. 7).

Wir meinen daher, dass es für die Zukunftsfähigkeit von Gesellschaften entscheidend ist, Katastrophen nicht nur zu bewältigen bzw. die Frage von Schuld und Verantwortung zu klären; entscheidend ist es, aus dem Scheitern etablierter Sicherungssysteme Lehren zu ziehen, also etablierte Normen auf ihre Gültigkeit bzw. auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen und solchermaßen neu zu kodieren, dass zukünftig hohe Verluste, Zerstörung und Tod unwahrscheinlicher werden. In diesem Sinne kann es erforderlich sein, hydrosoziale Territorien nicht einfach wiederherzustellen; es kann vielmehr angebracht sein, sie zu rekonfigurieren, also die notwendigen strukturellen Veränderungen vorzunehmen, die die Folgen zukünftiger Extreme lindern.

Dem Konzept der hydrosozialen Territorien folgend, liegt der analytische Fokus der zukünftigen Forschungsarbeit auf den Wechselwirkungen zwischen natürlichen, technischen und materiellen sowie sozialen, politischen und kulturellen Veränderungen. Diese Wechselbeziehungen beeinflussen das regionale und lokale Verständnis der hydrosozialen Territorien und wirken sich somit auf die Wiederaufbaubemühungen aus. So müssen beispielsweise Flächennutzungspraktiken, regionale Entwicklungspläne, Vorschriften und Wahrnehmungen eines Flusses und der damit verbundenen Gefahren nach einem Hochwasserereignis von Akteuren mit (potenziell) unterschiedlichen Interessen bewertet, diskutiert und angepasst werden. Dies hat Einfluss darauf, wann, wo und wie Infrastrukturen, Wohnungen und gewerbliche oder industrielle Anlagen wieder aufgebaut werden. Umgekehrt haben die Wiederaufbaubemühungen Auswirkungen auf die Neugestaltung der hydrosozialen Gebiete. Entscheidungen im Rahmen der akuten Hilfe für Betroffene und zur möglichst raschen Wiederherstellung notwendiger Infrastrukturen können den Charakter der Rekonfiguration hydrosozialer Territorien hinsichtlich ihrer Resilienz wesentlich prägen. Zu denken ist hier beispielsweise an die Wiederherstellung der Strom- und Wasserversorgung, Einstufungen von Hochwasserrisikoflächen oder Versicherungsbestimmungen.

Vor diesem Hintergrund erscheint uns die Unterscheidung von Resilienz und Transformation wichtig. Wir definieren Resilienz als die Fähigkeit eines hydrosozialen Territoriums, angesichts einer Störung, einer Krise oder eines Schocks zentrale Funktionen aufrechtzuerhalten oder rasch wiederherzustellen. In diesem Sinne bezeichnet Resilienz vor allem die Fähigkeit, mit Krisen und Katastrophen umzugehen und sich von diesen möglichst schnell und umfassend zu erholen (siehe Rink et al. in diesen Band). Ein resilienter Wiederaufbau orientiert sich daher nicht am Ausgangszustand allein, er zielt vielmehr darauf, die Fähigkeit, mit zukünftigen Ereignissen umzugehen, zu verbessern, indem Exposition und Anfälligkeit reduziert und Bewältigungskapazitäten gezielt aufgebaut werden. Davon unterscheiden wir Transformationen. Dieser Begriff bezeichnet grundlegende Veränderungen von Eigenschaften, Strukturen und Handlungsmöglichkeiten betroffener Infrastrukturen, Ökosysteme, Institutionen und Akteure (Kabisch et al. 2018). Wir stellen den Prozesscharakter der Rekonfiguration hydrosozialer Territorien während des Wiederaufbaus in den Mittelpunkt. Inwiefern es allerdings zu einer solchen kommt, hängt von einer Vielzahl von institutionellen, politischen, sozialen, kulturellen, ökonomischen, materiellen, technischen und umweltbezogenen Kontextfaktoren ab. Nachfolgend sollen erste wesentliche Kontextfaktoren der Rekonfiguration nach der Flutkatastrophe von 2021 angeführt werden.

3 Überblick: Fallstudienregionen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz

Das Hochwasser im Juli 2021 traf in Deutschland vor allem die Bundesländer RP und NRW. In beiden Bundesländern wurden die ausgewiesenen Überschwemmungsflächen der Hochwassergefahrenkarten vielerorts bei Weitem überschritten. Auch daher kam es zu massiven Schäden an Gebäuden und kritischen Infrastrukturen. Es wird geschätzt, dass allein in NRW und RP mindestens 200.000 Gebäude betroffen waren. Die Versicherungsschäden an Wohngebäuden und Hausrat beliefen sich nach ersten Schätzungen auf 6,5 Mrd. EUR. Mehr als 200.000 Haushalte waren teilweise monatelang ohne Energie (Reuters 2021) und durch schwimmende und geplatzte Ölleitungen wurden Flüsse und Trinkwasser verseucht (Koks et al. 2022).

Darüber hinaus waren die kritischen Infrastrukturen wie Krankenhäuser, Feuerwehrstationen, Alten- und Pflegeheime, Polizeiwachen und Schulen betroffen, aber auch an Wasser-, Gas-, und Stromleitungen sowie wichtigen Verkehrstrassen entstanden Schäden. Um ein Beispiel zu geben: Von den 112 Brücken im Überschwemmungsgebiet des Ahrtals wurden 62 zerstört. Darüber hinaus wurden wichtige Zufahrtswege, 600 km Eisenbahnstrecke und 50 Eisenbahnbrücken beschädigt (Schäfer et al. 2021). Es wird voraussichtlich noch Jahre dauern, bis alle Bahnstrecken wieder in Betrieb sind.

Die Fallstudienregionen sind in den Bundesländern RP und NRW gelegen. In RP fokussiert die Studie auf die Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler. Diese liegt im Landkreis Ahrweiler, der den größten materiellen Schaden und den höchsten Verlust an Menschenleben zu verzeichnen hatte. Der Landkreis Ahrweiler liegt an der Ahr, ein linker Nebenfluss des Rheins, im nördlichen RP, nah an der Landesgrenze zu NRW. Er umfasst eine Fläche von 787 km2 und besteht aus acht Kommunen mit insgesamt 74 Ortsgemeinden und knapp 130.500 Einwohner*innen (Stand: 31.12.2020). Davon leben 27.000 Einwohner*innen in Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Die Kommunen liegen idyllisch zwischen Weinbergen nah am Fluss und sind aufgrund dessen ein beliebtes Ausflugsziel. Die Region ist auf den Tourismus ausgerichtet, der eine wichtige Wirtschaftsbranche darstellt. Die topografischen Gegebenheiten der Ahr sowie die dichte Besiedlung des Tals erhöhen das Risiko eines schweren Hochwassers. Nach Auswertungen von Satellitenbildern wurden schätzungsweise 200 ha Fläche entlang der Ahr überflutet. Entlang des Flusses Ahr lebten im Vorfeld der Katastrophe 56.000 Menschen. Die verantwortliche Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) geht von etwa 42.000 Betroffenen aus, 134 Menschen haben ihr Leben verloren, zwei weitere gelten bis heute als vermisst. Von etwa 4200 Gebäuden entlang der Ahr wurden geschätzt mehr als 3000 beschädigt. Allein in Bad Neuenahr-Ahrweiler wird der Schaden an der kommunalen Infrastruktur auf 1,7 Mrd. EUR beziffert (Focus online 2022).

In NRW konzentriert sich die Studie auf die Städte Eschweiler und Stolberg, die aneinander angrenzen. Beide liegen im Einzugsgebiet der Inde und des Vichtbachs. Die Inde sowie ihre größten Zuflüsse in der Rureifel, Vichtbach und der Wehebach (Maaß et al. 2018), sind stark von anthropogenen Einflüssen geprägt und in Teilen begradigt und kanalisiert worden (Reineke et al. 2006; MKULNV NRW 2015). Zudem befinden sich zwei Talsperren an Zuflüssen der Inde, die beide vor allem der Sicherstellung der Trinkwasserversorgung dienen (MKULNV NRW 2015).

Eschweiler liegt an der Inde und ist eine ehemalige Bergbau- und Industriestadt, die sich im Strukturwandel befindet und insbesondere mittelständische Unternehmen aus der Logistikbranche anzieht. Stolberg ist ebenfalls ein Mittelzentrum mit unterschiedlichen Industriestandorten und erstreckt sich über den Zusammenfluss der Inde und des Vichtbachs. Aufgrund der Lage waren die Städte sowie die angrenzenden Kommunen von dem Hochwasser extrem betroffen. Es kam in beiden Städten zur Zerstörung der Innenstädte. In Eschweiler musste das Krankenhaus evakuiert werden. Die in Stolberg ansässigen Industrien sind ebenfalls stark vom Hochwasser betroffen. Der Innenstadtkern Stolbergs wird von einer Talachse durchzogen. Aufgrund dieser Gegebenheit kam es zu Überflutungen mit hohen Wasserständen und Fließgeschwindigkeiten durch den Vichtbach, insbesondere in den oberhalb des Zentrums gelegenen Stadtteilen. Viele Häuser müssen kernsaniert oder abgerissen werden (Hermanns 2021).

4 Erste Thesen: Warum ein resilienter Wiederaufbau nur vereinzelt möglich ist

4.1 Regulatorischer und institutioneller Kontext

These 1: Ein resilienter Wiederaufbau wird derzeit durch den regulatorischen Rahmen nur ungenügend unterstützt. Eine Vielzahl von Studien belegt, wie wichtig Förderrichtlinien und raumplanerische Vorgaben während des Wiederaufbaus sind, um das Prinzip eines resilienten Wiederaufbaus tatsächlich durchzusetzen bzw. finanziell unterstützen zu können. So wurde z. B. in Australien nach dem zerstörerischen Hochwasser im Oktober 2022 ein sogenanntes Buy-Out-Programm aufgelegt. Dessen Ziel ist es, mithilfe öffentlicher Gelder den Rückbau stark exponierter Gebäude durch den gezielten Aufkauf von Eigentum zu forcieren. Das damit verbundene Signal ist deutlich: Rückzug aus den stark betroffenen Räumen. Allein im Bundesstaat New South Wales sollen rund 2000 Gebäudeeigentümer*innen berechtigt sein, an diesem Programm teilzunehmen, wobei gerade in Hochrisikozonen Gebäude aufgekauft werden sollen (Reuters 2022).

In Deutschland wurde den betroffenen Akteuren die auch im historischen Maßstab gewaltige Summe von 30 Mrd. EUR zur Verfügung gestellt, um die Folgen des Hochwassers zu bewältigen und den Wiederaufbau finanziell zu unterstützen (siehe auch These 5). Die Maxime dabei: Den Menschen soll schnell, solidarisch und unbürokratisch geholfen werden. Schnelle finanzielle Hilfe wird dabei meist gleichgesetzt mit Finanzierung des Wiederaufbaus an Ort und Stelle und damit der Ermöglichung einer Rückkehr zur „Normalität des Davors“ (also vor der Überschwemmung). Dass das „Davor“ vor dem Hintergrund der zu erwartenden klimatischen Veränderungen (Zunahme von hydrometeorologischen Extremen) eine die Verwundbarkeit steigernde Orientierung sein kann, wird ausgeblendet bzw. in Kauf genommen: Bedingungen im Sinne eines resilienten Wiederaufbaus sind an die Unterstützungsleistungen nicht geknüpft, das zeigen die Förderrichtlinien, die durch die Bundesländer NRW und RP erlassen wurden (MHKBG NRW 2022; MdI RLP 2022). Im Gegenteil: Zwar können Maßnahmen, die im Sinne der Hochwasservorsorge angelegt sind, gefördert werden, wie z. B. das Verlegen von Gasleitungen etc. in obere Stockwerke (NRW), doch ist der generelle Duktus ein anderer: Die Wiederherstellung der Gebäudestruktur sollte sich im Großen und Ganzen am Zustand vor dem Hochwasser orientieren. Das wird zum einen durch die häufig restriktiven Vorgaben von Versicherungen befördert, die zentral für die finanziellen Möglichkeiten des Wiederaufbaus sind, aber Veränderungen am Bauobjekt oft im Weg stehen. Zum anderen werden transformative Wiederaufbauprozesse auf Ebene der Kommunen und Gebäude durch die zu engen Verwendungsrichtlinien der Förderprogramme gehemmt. Veränderte Energieinfrastrukturen, wie sie beispielsweise im Ort Marienthal umgesetzt werden sollen, werden nicht durch die vom Bund und den Ländern bereitgestellten Fördermittel gedeckt, sondern es bedarf zusätzlicher kommunaler Förderung (MdI RLP 2022). Freilich ist die nur unzureichende Ausgestaltung des regulativen Rahmens, das Ergebnis eines fehlenden übergeordneten Zielsystems (siehe These 2).

These 2: Für die Unterstützung eines resilienten Wiederaufbaus fehlt ein von Einzelereignissen unabhängiges, übergeordnetes Ziel- und Koordinatensystem, an dem sich Förderrichtlinien und Wiederaufbauprogramme relativ zügig nach einer Katastrophe transparent und verbindlich ausrichten können. Flutkatastrophen überraschen in Deutschland immer wieder, trotz umfassenden Wissens zu den meteorologischen und gesellschaftlichen Ursachen und zu den notwendigen Maßnahmen, um Kommunen und Städte sicherer zu machen (Kuhlicke et al. 2021). Dies zeigte sich nicht nur bei der mangelhaften Warnung vor der Flutkatastrophe 2021, auch der Wiederaufbau nach den Ereignissen ist ein Beleg dafür. Ad-hoc müssen institutionelle, administrative und personelle Strukturen und Kapazitäten für den Wiederaufbau entwickelt werden. Auch die Förderrichtlinien wurden ohne übergeordnete Strategie entwickelt.

Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass es auch anders gehen könnte. In der Schweiz macht die Raumplanung klare und unverhandelbare, risikobasierte Vorgaben. Sie legt fest, in welchen Räumen gebaut bzw. eben nicht gebaut werden darf, in welchen Bauvorsorge verpflichtend ist und in welchen sie empfohlen wird. Die gesetzlichen Vorgaben geben eine klare Orientierung und stellen transparente Standards her (Willi und Beck 2019). Vorsorge in stark exponierten Räumen als eine freiwillige Aufgabe für die Eigentümer*innen bzw. als einen Abwägungsbelang für die Kommunen zu belassen, wie es in Deutschland derzeit Praxis ist, wird nicht ausreichen, um die gesellschaftliche Verwundbarkeit grundlegend zu ändern. Daher wäre es auch für den zukünftigen Wiederaufbau hilfreich damit zu beginnen, die Belange der Klimavorsorge solchermaßen zu konkretisieren, dass sie in den Siedlungsstrukturen und Gebäudebeständen wirksam werden (Greiving 2021) und während eines Wiederaufbaus strategische Orientierung bieten. Dies scheint auch notwendig, um die Belange der Klimafolgenvorsorge zu anderen bereits institutionalisierten Schutzgütern (z. B. Denkmalschutz, Naturschutz) ins Verhältnis setzen und durchsetzen zu können.

These 3: Ein resilienter Wiederaufbau wird derzeit infolge der starken institutionellen Fragmentierung bzw. des Auseinanderfallens von naturräumlichen Gegebenheiten und institutionellen Verantwortlichkeiten nur ungenügend unterstützt. Ein resilienter Wiederaufbau ist eine Querschnittsaufgabe und bedarf der systemischen Kooperation von der lokalen bis zur Landesebene und der Integration aller relevanten Akteure aus den verschiedenen Sektoren und Ressorts. Eine Kartierung der für den Wiederaufbau relevanten Akteure in den betroffenen Bundesländern NRW und RP verdeutlicht, dass eine kaum zu überblickende Anzahl in den Wiederaufbau involviert ist. Sie reichen von der lokalen Ebene der betroffenen Kommunen, Städte und Landkreise über die regionale Ebene der Regierungsbezirke und der Bundesländer bis hin zu Akteuren auf der nationalen Ebene. Gleichzeitig sind sie in verschiedene Handlungsfelder eingebettet, wie z. B. die Wasserwirtschaft, den Katastrophenschutz, die Raumplanung und die Kommunen und Städte. Sie umfassen darüber hinaus zivilgesellschaftliche, unternehmerische sowie private Akteure. Nicht zuletzt infolge dieser unübersichtlichen Pluralität sind Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten unscharf; sie bleiben häufig im Ungefähren. In Interviews und Gesprächen stießen wir immer wieder auf fehlende Informationen bzw. nicht vorhandenes Wissen über Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten.

Häufig müssen Kooperations- und Kommunikationsstrukturen während des Wiederaufbauprozesses erst etabliert, kommuniziert und operativ umgesetzt werden, was Zeit und Ressourcen bindet bzw. mit erheblichen Unsicherheiten einhergeht. Dies hat durchaus negative Folgen für eine resilientere Rekonfiguration hydrosozialer Territorien. Um ein Beispiel zu nennen: Eine Kommune verfolgt das Ziel, einen Sportplatz, der im Überschwemmungsgebiet liegt, nicht wiederherzustellen und sucht daher nach einem alternativen Standort, kann diesen allerdings nicht auf der eigenen Gebietskörperschaft finden. Im Rahmen einer interkommunalen Kooperation könnten alternative Standorte auf dem Gebiet anderer Kommunen gefunden werden. Der damit verbundene administrative, personelle und institutionelle Aufwand wird jedoch als so hoch eingeschätzt, dass es attraktiver scheint, den geplanten Sportplatz erneut im Überschwemmungsgebiet aufzubauen, als das interkommunale Vorhaben zu verfolgen.

Des Weiteren wirkt sich die in Deutschland weit verbreitete räumliche Nichtübereinstimmung von institutionellen Verantwortlichkeiten und den natürlichen Gegebenheiten eines Flusseinzugsgebietes verzögernd aus, da Kooperationsstrukturen erst wiederbelebt, eingesetzt oder überhaupt erst aufgebaut werden müssen.

4.2 Politischer Kontext

These 4: Der politische Wille zur Veränderung und zur konsequenten Unterstützung eines resilienten Wiederaufbaus ist nur teilweise erkennbar. Noch unter dem unmittelbaren Eindruck der Flutkatastrophe wurde dem politischen Willen Ausdruck verliehen, grundlegende Veränderungen anzugehen. So sollte das Ahrtal im Sinne einer Modellregion als „Zukunftstal“ wiederaufgebaut werden, zumindest wurde im November 2021 die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Marie-Luise Dreyer mit dieser Vision zitiert (Staatskanzlei Rheinland-Pfalz 2021). Noch im selben Monat bekräftigte der Koalitionsvertrag der Bundesregierung mit explizitem Bezug auf die Flutkatastrophe 2021, dass eine vorsorgende Klimaanpassungsstrategie erarbeitet werden soll und u. a. einheitliche Kartierungsstandards etabliert, Genehmigungsverfahren für Gebäude im Sinne der Klimaanpassung überarbeitet und eine resiliente Bauvorsorge für Privathaushalte finanziell unterstützt werden sollen (Bundesregierung 2021). Den Absichtserklärungen sind jedoch bis dato kaum Konkretisierungen gefolgt.

Gerade in den Bundesländern NRW und RP dominierte bis zum Verfassen dieses Beitrages die politische Aufarbeitung der Katastrophenereignisse im Sommer 2021. Mithilfe von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen wurde versucht, Verantwortlichkeit und Schuld politisch zu klären (Landtag NRW 2022). Infolge des Hochwassers mussten verschiedene Minister*innen auf Landes- und Bundesebene zurücktreten. Ihnen wurden mangelnde Informationsweitergabe und eine falsche Lageeinschätzung in der Nacht der Flutkatastrophe bzw. falsche Prioritätensetzung (z. B. das Feiern von Geburtstagen wenige Tage nach der Katastrophe oder der Antritt von Urlaub) vorgeworfen. Eine tiefergehende Debatte zu den „Root Causes“ des Hochwassers (Kuhlicke et al. 2021) und den daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen ist jedoch im öffentlichen politischen Raum kaum zu bemerken. Die Gründe dafür bleiben spekulativ, es ist aber zu vermuten, dass die kurzfristige Unterstützung beim Wiederaufbau als relevanter und weniger riskant für die Reputation angesehen wird als die öffentliche Forderung nach grundlegenden Veränderungen im Umgang mit Überflutungsrisiken.

4.3 Ökonomischer Kontext

These 5: Für einen besseren Wiederaufbau sind im Prinzip mit rund 30 Mrd. EUR genügend finanzielle Mittel vorhanden. Bei der Ausgestaltung der Förderrichtlinien fehlen jedoch der Wille zu Veränderung und ein entsprechender Rahmen (s. These 1 und 2). Gleichzeitig wurde gerade in den ersten Monaten nach der Flut immer wieder darüber berichtet, dass die Auszahlung der öffentlichen Mittel nur schleppend vorangehe. Rund 15 Monate nach dem Hochwasser wurden z. B. im stark betroffenen Ahrtal laut der zuständigen Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz rund 124 Mio. EUR für der Ersatz von zerstörtem Hausrat bewilligt und rund 352 Mio. für den Wiederaufbau von Gebäuden, wobei bis im Oktober 2022 rund 210 Mio. EUR ausgezahlt wurden (FAZ 2022, S. 3). Positiv hervorgehoben wird die Möglichkeit, dass sich Gebäudeeigentümer*innen vor Ort über finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten informieren können (ebd.).

4.4 Sozialer Kontext

These 6: Das Hochwasser 2021 hat zu enormen psychosozialen Belastungen geführt, die es viel stärker als bisher in den Blick zu nehmen gilt. Jüngste Studien zeigen, dass die langfristigen negativen Folgen von Ereignissen wie dem Hochwasser 2021 für die betroffenen Personen enorm sind. Eine Studie, die nach dem Hochwasser 2013 dieselben Haushalte mehrfach befragte, konnte zeigen, dass der Anteil der Personen, die noch relativ lange nach dem Hochwasser stark chronisch belastet waren, mit rund 40 % durchaus hoch ist. Gleichzeitig ist der Anteil der Personen, die resilient sind, sich also relativ schnell nach dem Hochwasser wieder erholen, mit 30 % relativ gering. Angesichts der Schwere der Überflutungen in 2021 und der kollektiven Dimension der Auswirkungen (ganze Ortschaften waren betroffen) ist davon auszugehen, dass auch hier der Anteil von Personen sehr hoch ist, die infolge des Hochwassers chronisch belastet sind. Wir finden zahlreiche Schilderungen der enormen psychischen Belastungen in unseren Interviews, die sich insbesondere auf die hohe Zahl an Todesfällen beziehen. Darüber hinaus wird z. B. berichtet, dass das Angebot an psychologischer Unterstützung und Therapieplätzen für die Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen nicht ausreicht, um den enormen Bedarf in den stark betroffenen Gebieten aufzufangen (SWR 2022).

These 7: Die individuellen Folgen des Hochwassers werden meist durch den (temporären) Wegfall wichtiger kollektiver sozialer Infrastrukturen verstärkt. Wegen des enormen Ausmaßes des Hochwassers war auch eine Vielzahl sozialer Infrastrukturen stark von den direkten und indirekten Konsequenzen des Hochwassers betroffen. So waren und sind soziale Einrichtungen wie Schulen, Kindertagesstätten oder Vereine entweder aufgrund von Schäden an den Räumlichkeiten oder fehlendem Personal betroffen. Zusätzlich strapaziert die emotionale und psychische Belastung, die mit so einer Katastrophe einhergeht, die in den sozialen Infrastrukturen tätigen Menschen. Diese Umstände führen häufig dazu, dass solche Einrichtungen ihre Tätigkeiten einstellen, umstellen oder anpassen müssen. Außerdem geht aus den Interviews hervor, dass sich die sozialen Infrastrukturen aufgrund der Krisenüberlagerung von Coronapandemie und Hochwasser in einer besonders prekären Situation sehen. Allerdings spielen soziale Infrastrukturen eine wichtige und kaum zu unterschätzende Bedeutung beim Wiederaufbau und der Erholung nach der Flut 2021.

Gerade infolge des Hochwassers sind viele neue soziale Infrastrukturen entstanden, die sich aus Helferstrukturen entwickelt und Angebote geschaffen haben, die die öffentliche Hand nicht bereitstellen konnte. Das reichte von der Verteilung von Essen, Spenden und Hilfsgütern über sanitäre und gesundheitliche Versorgung bis hin zur Bereitstellung von Informations- und Begegnungsstätten. Gleichzeitig waren und sind soziale Infrastrukturen wichtige Anlaufstellen für Bürger*innen – vor und nach der Hochwasserkatastrophe. Viele Menschen haben Vertrauen in diese Strukturen entwickelt und kommen mit Anliegen und Sorgen zu den Einrichtungen, die sie gegenüber anderen offiziellen Stellen, wie der städtischen Verwaltung, nicht äußern würden. So wurde uns z. B. immer wieder berichtet, dass Menschen wissen, dass sie Anspruch auf Fluthilfe haben, diese jedoch nicht beantragen, da sie befürchten, wegen eigener Schulden mit Sanktionen konfrontiert zu werden.

Trotz der zentralen Rolle, die diese Strukturen bei der Bewältigung der Katastrophe einnehmen, werden sie kaum in den Prozess des Wiederaufbaus integriert. Informationen fehlen und werden nicht weitergegeben, Zuständigkeiten sind häufig nicht klar. Vereinzelt wird der Bedarf von Vereinen für den Wiederaufbau erfragt (z. B. Sportvereine). Allerdings ist das Maß der Berücksichtigung der gemeldeten Bedarfe abhängig von verschiedenen Faktoren, wie z. B. um welchen Träger (städtisch, kirchlich) es sich handelt, wie viel Geld und Personal zur Verfügung steht oder welchen Stellenwert die soziale Einrichtung vor Ort hat.

These 8: Das Risikobewusstsein hat sich infolge des Hochwassers grundlegend verändert; allerdings ist die Hoffnung weit verbreitet, dass die Flut 2021 ein einmaliges Ereignis war, das sich nicht so schnell wiederholt. Vielen Betroffenen war vor dieser Hochwasserkatastrophe nicht bewusst, dass sie in einem Hochwasserrisikogebiet leben. Die Flutkatastrophe 2021 hat damit vielen Menschen ihre Verwundbarkeit deutlich gemacht. Aufgrund dieser Erfahrung ist das Bewusstsein für zukünftige Hochwasserrisiken groß, wobei häufig der Hoffnung Ausdruck verliehen wird, dass ein zukünftiges Hochwasser nicht die Dimensionen des Juli-Hochwassers 2021 annehmen werde. Diese Hoffnung manifestiert sich im materiellen Wiederaufbau: Grundstücke an der Ahr werden direkt gekauft und Einrichtungen und Häuser werden an gleicher Stelle renoviert und aufgebaut.

5 Fazit

In diesem Beitrag haben wir erste Zwischenergebnisse unserer Forschung zum Wiederaufbau nach den zerstörerischen Überflutungen von 2021 in Form von Thesen präsentiert. Bereits jetzt lassen sich soziale, politische, institutionelle, kulturelle und ökonomische Faktoren herausstellen, die zentral für einen klimaangepassten Wiederaufbau nach Extremereignissen sind. Als Zwischenfazit unserer bisherigen Untersuchungen ist festzuhalten, dass ein resilienter Wiederaufbau derzeit durch den regulatorischen Rahmen nur ungenügend unterstützt wird. Auch ist der politische Wille zur Veränderung und zur konsequenten Unterstützung eines resilienten Wiederaufbaus nur teilweise erkennbar. Es fehlt derzeit vor allem ein von Einzelereignissen unabhängiges, übergeordnetes Ziel- und Koordinatensystem, an dem sich Förderrichtlinien und Wiederaufbauprogramme relativ zügig nach einer Katastrophe transparent und verbindlich ausrichten können. Ein solches gilt es vor allem auf Bundesebene zu entwickeln, da auf dieser Ebene in der Regel die Fördermittel für den Wiederaufbau nach großen Naturkatastrophen bereitgestellt werden. Des Weiteren wird ein resilienter Wiederaufbau infolge der starken institutionellen Fragmentierung bzw. des Auseinanderfallens von naturräumlichen Gegebenheiten und institutionellen Verantwortlichkeiten erschwert. Die Akteure vor Ort müssten viel Zeit und personelle Ressourcen in den Aufbau von Entscheidungsstrukturen investieren, die den Anforderungen gerecht werden. Auf Ebene der Betroffenen sind enorme psychosoziale Belastungen zu konstatieren, die es viel stärker als bisher in den Blick zu nehmen gilt, zumal diese Belastungen durch den (temporären) Wegfall wichtiger kollektiver sozialer Infrastrukturen nochmals verstärkt werden. Das Risikobewusstsein hat sich infolge des Hochwassers grundlegend verändert; allerdings ist die Hoffnung weit verbreitet, dass die Flut 2021 ein einmaliges Ereignis sei, das sich nicht so schnell wiederholen werde.