FormalPara Koordinierender Leitautor

Reinhard Steurer

FormalPara Leitautor_innen

Aron Buzogány, Patrick Scherhaufer, Christoph Clar und Sarah L. Nash.

FormalPara Koordination der Strukturkapitel

Michael Ornetzeder

FormalPara Revieweditor

Olver Ruppel

FormalPara Zitierhinweis

Steurer, R., A. Buzogány, P. Scherhaufer, C. Clar, und S. L. Nash (2023): Governance und politische Beteiligung. In: APCC Special Report: Strukturen für ein klimafreundliches Leben (APCC SR Klimafreundliches Leben) [Görg, C., V. Madner, A. Muhar, A. Novy, A. Posch, K. W. Steininger und E. Aigner (Hrsg.)]. Springer Spektrum: Berlin/Heidelberg.

FormalPara Kernaussagen des Kapitels
  • Die Governance zur Klimakrise in Österreich ist traditionell geprägt von einer Bundesregierung, die Emissionsreduktionen im Inland nicht zielorientiert verfolgt, von einer Sozialpartnerschaft, die vorwiegend ökonomische sowie soziale Interessen vertritt und damit ökologische Fortschritte oft blockiert, von einer für Klimapolitik oft hinderlichen föderalen Kompetenzstruktur und von einer Zivilgesellschaft, die diesen strukturellen Hemmnissen lange Zeit nichts entgegenzusetzen hatte (starke Literaturbasis, hohe Übereinstimmung).

  • Seit 2019 haben sich nur zwei dieser vier Governance-Aspekte verändert: Gesellschaftliche Bewegungen wie Fridays for Future haben im Jahr 2019 eine neue Dynamik in das Politikfeld Klima gebracht. Im Zuge dieser Dynamik wurde 2020 ein Klimaschutzministerium eingerichtet, das zielorientierte Klimapolitik voranzutreiben versucht, allerdings nach wie vor oft an regierungsinternen, sozialpartnerschaftlichen und/oder föderalen Widerständen scheitert. (hohe Übereinstimmung, schwache Literaturbasis)

  • Das Scheitern der staatlichen Governance zur Klimakrise in Österreich fand ihren Ausdruck in drei Klimastrategien (2002, 2007 und 2018), einem Klimaschutzgesetz und entsprechenden Novellen (2011, 2012, 2017) sowie zwei Maßnahmenprogrammen für die Jahre 2013/2014 und 2015 bis 2018. Obwohl es sich dabei um verschiedene Ansätze zur Koordination und Umsetzung von klimapolitischen Maßnahmen handelt, haben diese eines gemeinsam: Aus den oben genannten Gründen konnten diese Instrumente die Klimapolitik in Österreich zu keinem Zeitpunkt zielorientiert gestalten, sondern lediglich Zielverfehlungen möglichst kosteneffizient verwalten (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis).

  • Die vier Sozialpartner, darunter besonders die Wirtschaftskammer, sowie die Industriellenvereinigung haben klimapolitische Fortschritte wiederholt abgeschwächt, verzögert oder gänzlich verhindert. (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis).

  • Neben dem Einfluss der Sozialpartner erweist sich auch das föderale System Österreichs als klimapolitisches Hindernis. Bundesländer haben wichtige Kompetenzen für Raumordnung, Verkehr sowie Gebäude und verhindern in diesen Bereichen laufend Projekte bzw. Maßnahmen, die für eine zielorientierte Dekarbonisierung dieser Sektoren nötig wären (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis).

  • Das strukturell geprägte Zusammenspiel der bremsenden klimapolitischen Kräfte hatte zur Folge, dass sich Österreich von einem umweltpolitischen Vorreiter in einen Opportunisten verwandelt hat. Umweltpolitische Fortschritte waren etwa seit dem EU-Beitritt im Jahr 1995 nur dann möglich, wenn auch kurzfristig wirtschaftliche Vorteile zu erwarten waren. Da diese zentrale Voraussetzung für den Schutz des Klimas in vielen Bereichen nicht unmittelbar gegeben war bzw. ist, werden potenziell wirksame Maßnahmen bis heute hintangestellt und die Verfehlung von klimapolitischen Zielen bewusst in Kauf genommen (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis).

  • Der geringe Stellenwert von Klimapolitik in Österreich ist auch darauf zurückzuführen, dass zivilgesellschaftliches Engagement zum Thema lange Zeit schwach ausgeprägt war. Deutlich sichtbare Folgen der Klimaerhitzung haben allerdings dazu beigetragen, dass sich beides im Jahr 2019 zumindest vorübergehend verändert hat. Seit dem Aufkommen der „Fridays-for-Future-Bewegung“, der Wahl zum Nationalrat im Herbst 2019 und der Koalition zwischen ÖVP und Grünen ist die Klimapolitik in Österreich zumindest ansatzweise im Umbruch (hohe Übereinstimmung, schwache Literaturbasis).

12.1 Einleitung

Im Laufe der 1990er-Jahre ist das Konzept Governance in den Fokus der Politikwissenschaft gerückt (Rhodes, 1997). Damit wird die Steuerung einer Gesellschaft über den Staat hinausgehend thematisiert. Governance umfasst neben staatlicher Regulierung also auch Selbstregulierung und politische Einflussnahme („Lobbying“) durch wirtschaftliche Akteur_innen einerseits, sowie die politischen Einflussmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Akteur_innen (allen voran Nicht-Regierungs-Organisationen/Non-Governmental Organisations, kurz NGOs) andererseits. Das Governance-Konzept stellt somit eine Weiterentwicklung des klassischen Konzepts der „politischen Steuerung“ dar, wobei das Zusammenspiel zwischen staatlichen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur_innen eine zentrale Rolle spielt (Rosenau, 1992; Kooiman, 1993, 2003; Pierre, 2000). Das Governance-Konzept thematisiert also grundsätzlich „the ways in which governing is carried out, without making any assumption as to which institutions or agents do the steering“ (Gamble, 2000, S. 110).

Im Fall von Österreich kommt an den Schnittstellen zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft eine Besonderheit hinzu, die es in ähnlicher Form nur in wenigen Ländern gibt: die Sozialpartnerschaft als zentraler Bestandteil eines korporatistischen Regierungssystems. Während letzteres durch Zusammenarbeit und Konsensfindung geprägt ist und in ähnlicher Form auch in Deutschland oder den Niederlanden vorzufinden ist, geht die Sozialpartnerschaft darüber hinaus. In Österreich zeichnet sich diese durch eine enge Zusammenarbeit von Regierung, Arbeitgeber- und Arbeitnehmer_innenvertretungen in allen wirtschaftlich relevanten Politikbereichen, also auch in der Umwelt- und Klimapolitik, aus. Dabei hängt der politische Einfluss der Sozialpartner auch von der Zusammensetzung der Regierungskoalition ab. Während Wirtschaftskammer und Landwirtschaftskammer ihren Einfluss am besten geltend machen können, wenn die ihr traditionell nahestehende Österreichische Volkspartei (ÖVP) in der Regierung vertreten ist, gilt dies für die Arbeiterkammer, wenn die Sozialdemokratische Partei Österreichs (SPÖ) in einer Koalition vertreten ist. Alle anderen Parteien haben eine traditionell schwächere Verbindung zu den Sozialpartnern (Ucakar & Gschiegl, 2014; Gärtner & Hayek, 2022).

Dieser Abschnitt analysiert, wie vor allem staatliche sowie sozialpartnerschaftliche Akteur_innen die österreichische Klimapolitik bis 2019 geprägt haben, welche Rolle die EU dabei spielte und was sich seit 2019 verändert hat. Der Abschnitt fokussiert deshalb auf institutionalisierte Formen der Governance, weil informelle Ansätze wie zivilgesellschaftliches Engagement bis 2019 kaum eine Rolle gespielt haben. Seit dem Aufkommen der „Fridays-for-Future-Bewegung“ im Jahr 2019, der Wahl zum Nationalrat im Herbst jenes Jahres und der Koalition zwischen ÖVP und Grünen seit Anfang 2020 ist die Klimapolitik in Österreich im Umbruch. Da diese neueren Entwicklungen erst ansatzweise erforscht sind, stehen in diesem Kapitel die Entwicklungen bis 2019 im Vordergrund. Abschließend werden verschiedene Governance-Optionen diskutiert, die dabei hilfreich sein können, das übergeordnete Ziel der österreichischen Bundesregierung zu erreichen: Österreich bis 2040 klimaneutral zu machen.

12.2 Status quo und Herausforderungen der Governance zur Klimakrise

Klimapolitik kann weder einem bestimmten Sektor noch einer bestimmten politischen Ebene zugeordnet werden. Es handelt sich um eine so genannte Querschnittsmaterie, die sämtliche Bereiche und Ebenen staatlichen Handelns betrifft, besonders in einem föderal organisierten Staat wie Österreich. Bis 2019 waren die zentralen Akteure der Klimapolitik in Österreich die unter verschiedenen Namen firmierenden Bundesministerien für Umwelt, Verkehr und Innovation, Wirtschaft und Energie sowie Finanzen. Seit 2020 wurden die Agenden für Umwelt, Verkehr, Innovation und Energie in einem umfassenden Klimaministerium gebündelt. Da keines dieser Ministerien über richtungsweisende Kompetenzen im Gebäudesektor sowie in der Raumplanung verfügt, wird die Klimapolitik in Österreich auch durch die neun Landesregierungen geprägt. Dabei spielen vor allem deren Abteilungen für Wohnbauförderung, Raumordnung und Energie eine wichtige Rolle. Zudem liegt die Kompetenz der Flächenwidmung bei Städten und Gemeinden, was sich besonders beim Ausbau der Windenergie und bei der stetig zunehmenden Bodenversiegelung als problematisch erwiesen hat. Der Nationalrat und insbesondere der Bundesrat (der die Bundesländer im Gesetzgebungsprozess des Bundes repräsentiert) sind zwar gesetzgebende Organe, aber aufgrund des Klubzwangs der im Parlament vertretenen Parteien politisch vergleichsweise schwache politische Akteure, die auch in der Klimapolitik eine geringere Rolle spielen, als in der Bundesverfassung eigentlich vorgesehen. Während das Parlament in der Verfassung als gesetzgebende Gewalt mehr oder weniger unabhängig von der Regierung verankert ist, so ist der Clubzwang als zentraler Bestandteil der Realverfassung Österreichs meist ein Garant für die parlamentarische Mehrheit der Regierung (Broukal et al., 2009).

Um Politiken über Sektoren und Ebenen hinweg besser aufeinander abzustimmen, haben die meisten EU-Länder seit den späten 1990er Jahren zunächst mehrere Klimastrategien beschlossen, in denen unzählige klimapolitische Maßnahmen dokumentiert und zur Umsetzung vorgeschlagen werden (Casado-Asensio & Steurer, 2016). Seit 2008 haben einige Staaten zudem Klimaschutzgesetze verabschiedet, mit dem Ziel, staatliche Governance zur Klimapolitik zielgerichteter und verbindlicher zu machen (Nash & Steurer, 2019).

Auch in Österreich stand die staatliche Governance zur Klimakrise in den letzten 20 Jahren ganz im Zeichen mehrerer Klimastrategien und einem mehrfach novellierten Klimaschutzgesetz. In Summe wurden in Österreich bislang drei Klimastrategien (2002, 2007 und 2018), ein Klimaschutzgesetz (2012) mit zwei Maßnahmenprogrammen für die Jahre 2013/2014 und 2015 bis 2018 sowie zwei Novellen des Gesetzes in den Jahren 2012 und 2017 verabschiedet. Obwohl es sich bei Strategien, Gesetzen und Maßnahmenprogrammen um unterschiedliche Ansätze zur besseren Koordination und Umsetzung von klimapolitischen Maßnahmen handelt, haben diese allesamt eine Gemeinsamkeit.

Abb. 12.1
figure 1

CO2-Emissionen (blau und violett) und Treibhausgasemissionen THG-Emissionen (Magenta) im Vergleich zu Reduktionszielen der Bundesregierung (Punkte markieren Basis- und Zieljahre). (Hochgerner et al., 2016, S. 6, aktualisiert von Willi Haas 2021)

Wie Abb. 12.1 zeigt, wurde Klimapolitik in Österreich bis 2020 zu keinem Zeitpunkt zielorientiert gestaltet, sondern lediglich wenig wirksam verwaltet: Emissionen haben sich in Österreich, von der durch die Pandemie bedingten Ausnahme 2020 abgesehen, stets weit entfernt von politischen Zielsetzungen bewegt, weil letztere nie eine lenkende Größenordnung waren. Das Toronto-Ziel wurde von der Bundesregierung Ende der 1980er Jahre noch vor der EU-Mitgliedschaft Österreichs auf freiwilliger Basis eingegangen und im Jahr 2005 beinahe um den Faktor 2 verfehlt. Die anderen klimapolitischen Zielsetzungen hat Österreich aufgrund von EU-Verpflichtungen („effort sharing“) übernommen und ebenfalls weit verfehlt. Während das EU-Stabilisierungsziel unverbindlich war und dessen Verfehlung keinerlei Konsequenzen hatte, musste die Lücke zwischen dem sich aus dem UN-Kyoto-Protokoll ergebenden Kyoto-Ziel für 2012 und den weit darüber liegenden Emissionen mit dem Kauf von Emissionszertifikaten im Ausland geschlossen werden. Das Ziel der 2. Kyoto-Periode für den Zeitraum 2013 bis 2020 wurde zufällig aufgrund stark sinkender Emissionen während dem ersten Jahr der Corona-Pandemie erreicht. Die österreichische Bundesregierung ist also wiederholt Klimaschutz-Ziele eingegangen, ohne diese zielorientiert bzw. mit angemessenen politischen Maßnahmen zu verfolgen. Die aus Abb. 12.1 klar ersichtliche Diskrepanz zwischen politischen Zielsetzungen und tatsächlichen Emissionen lässt sich mit einer qualitativen Analyse folgendermaßen empirisch erklären.

Die 2002 verabschiedete Klimastrategie von Bund und Ländern definierte Ziele und Maßnahmen zur Emissionsreduktion für sieben Sektoren (Lebensministerium, 2002). Obwohl die Strategie für mehrere Jahre der einzige Versuch blieb, dem Klimaschutz in Ländern und Gemeinden einen bundesweiten Rahmen zu geben (Wunder, 2004, S. 27), verlor sie bald an politischer Relevanz, weil die damalige Koalition aus ÖVP und FPÖ auf Bundesebene andere Prioritäten setzte (Steurer & Clar, 2014; Bednar-Friedl et al., 2014).

Nach einer kritischen Evaluation der Klimastrategie 2002 im Jahr 2005 (AEA/Umweltbundesamt, 2005) initiierte das damalige Umweltministerium eine Überarbeitung, die 2007 von der Bundesregierung ohne Zustimmung der Länder beschlossen wurde (Lebensministerium, 2007). Die Länder verweigerten ihre Zustimmung, weil sie die Zielsetzungen für den Gebäudesektor nicht mittragen wollten, obwohl diese im Vergleich zu 2002 deutlich abgeschwächt wurden und sich der Gebäudesektor vergleichsweise positiv entwickelt hat (Lebensministerium, 2002, S. 8; Lebensministerium, 2007, S. 24). Aufgrund der fehlenden Unterstützung der Länder hatte die zweite Klimastrategie sogar weniger politisches Gewicht als die erste Strategie aus dem Jahr 2002 (Steurer & Clar, 2014; siehe auch Bednar-Friedl et al., 2014; Warnstorff, 2011, S. 29).

Beide Klimastrategien konnten keinen nennenswerten Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele Österreichs im Rahmen des Kyoto-Protokolls leisten. Während sich Österreich im Rahmen der EU dazu verpflichtet hat, die jährlichen Emissionen für die Periode 2008 bis 2012 im Vergleich zum Basisjahr 1990 um 13 Prozent zu reduzieren (von 78,2 auf 68,8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent; Umweltbundesamt, 2012a, S. 49), stiegen die Emissionen um 2,5 Prozent auf 80,1 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent (Umweltbundesamt, 2014, S. 5). Die Verfehlung des Ziels betrug somit 15,5 Prozent. In Westeuropa gab es mit Spanien und Italien nur zwei weitere Länder, die ihre Kyoto-Ziele ähnlich deutlich verfehlt haben (EEA, 2012, S. 28).

Der damals für Umweltpolitik zuständige Bundesminister verkündete 2012, dass die Zielabweichung durch den Kauf günstiger Emissionszertifikate geschlossen wurde. Dieser Zertifikatskauf, für den in Summe 700 Millionen Euro aufgewendet wurde, erwies sich als die bedeutendste „klimapolitische Maßnahme“ Österreichs während der Kyoto-Periode (Steurer & Clar, 2014). Dabei ist zu erwähnen, dass nur hinter einem Teil der Zertifikate verifizierbare Emissionsreduktionen stehen und Österreich sein Kyoto-Ziel somit am Papier nur scheinbar erreicht hat (Moderegger, 2019).

Da sich diese Zielverfehlung bereits lange vor 2012 abgezeichnet hat, wurde im Regierungsprogramm 2008 die Ausarbeitung eines Klimaschutzgesetzes vereinbart (Bundeskanzleramt, 2008, S. 77 f.). In Ergänzung zu den von den Klimastrategien bereits bekannten Reduktionszielen für einzelne Sektoren sollte darin auch ein Verantwortlichkeitsmechanismus zwischen Bund und Länder verankert werden, um die Kosten für verfehlte Klimaschutz-Ziele zwischen den Gebietskörperschaften aufzuteilen. Die Verhandlungen mit den Landesregierungen dauerten drei Jahre. Das Ergebnis präsentierte der dafür verantwortliche Minister im Oktober 2011 mit den Worten, dass „[i]m Bereich des Klimaschutzes […] aus dem bisherigen ‚Kann‘ jetzt ein ‚Muss‘“ werde, und dass Österreich damit europaweit nach Großbritannien zum Vorreiter avanciere, „weil wir koordiniert, verbindlich, gemeinsam Klimaschutz machen“ (Steurer & Clar, 2014, S. 340). Da das Gesetz weder Reduktionsziele für Sektoren oder Gebietskörperschaften, noch konkrete Konsequenzen für Zielverfehlungen vorsah (Klimaschutzgesetz, BGBL. I Nr. 106/2011), musste dieser Anspruch erst in weiteren Verhandlungen in sektoralen Arbeitsgruppen umgesetzt werden. In einer Novelle des Klimaschutzgesetzes wurden 2013 einerseits detaillierte Pfade für Emissionsreduktionen in sechs Sektoren bis 2020 festgeschrieben (Novelle Klimaschutzgesetz BGBl. I Nr. 94/2013). Andererseits konnten sich Bund und Länder auf ein Maßnahmenprogramm für die Jahre 2013/2014 einigen (Lebensministerium, 2013).

Selbst diese Novelle des Klimaschutzgesetzes blieb jedoch ohne nennenswerte Wirkung, weil neben den Sozialpartnern auch die Länder abermals ihre Zustimmung verweigerten. Zum einen lehnten die Länder das Reduktionsziel für den Gebäudesektor erneut als zu anspruchsvoll ab. Zum anderen konnte keine Einigung zum Verantwortlichkeitsmechanismus erzielt werden. Auf eine Kostenteilung für verfehlte Ziele im Verhältnis 80 zu 20 konnten sich Bund und Länder erst im Zuge des Finanzausgleichs 2017 einigen (Rechnungshof Österreich, 2021, S. 62).

Da bis 2017 weder Länder noch Bundesministerien Konsequenzen bei Zielverfehlungen zu befürchten hatten und das alte Muster fehlender Verantwortlichkeit auch danach fortgeführt wurde, hatte das Klimaschutzgesetz bis zum Ende seiner Gültigkeit im Jahr 2020 einen weitgehend symbolischen Charakter. Besonders im internationalen Vergleich werden zwei große Mängel des Gesetzes deutlich. Erstens nennt das Klimaschutzgesetz nur ein Ziel für 2020. Jenes für 2030 oder das Ziel der Dekarbonisierung bis 2050 wurden auf Wunsch der Wirtschaftskammer ausgeklammert. Im Gegensatz dazu haben zum Beispiel Großbritannien und Schweden in ihren Klimaschutzgesetzen Dekarbonisierungs-Ziele für 2050 bzw. 2045 verankert, die sogar über die EU-Ziele hinausgehen. Zweitens enthält das Gesetz kaum Details dazu, wie die Erreichung der Ziele zu gewährleisten ist. Während die österreichischen Maßnahmenprogramme gesetzlich unverbindlich sind, schreibt das Klimaschutzgesetz in Großbritannien 5-jährige CO2-Budgets vor, die lange im Voraus festgelegt und mit Hilfe von vergleichsweise strikten Planungsmechanismen verfolgt werden (Nash & Steurer, 2019). Vor diesem Hintergrund hat der Rechnungshof 2021 einmal mehr kritisiert, dass sich die Bundesregierung nicht einmal an die im Gesetz definierten Mechanismen der Umsetzung von Maßnahmenprogrammen gehalten hat: Evaluationen haben zu lange gedauert, Korrekturen bei sich abzeichnenden Zielverfehlungen wurden zu spät eingeleitet, Maßnahmen zu spät beschlossen und oft nur rückblickend erfasst (Rechnungshof Österreich, 2021, S. 32 f).

Die fehlende Umsetzung der Klimastrategien und des Klimaschutzgesetzes wurde von mehrfach wechselnden jedoch durchwegs weitgehend wirkungslosen Gremien begleitet, in denen die Klimapolitik Österreichs besprochen, bestenfalls verwaltet, jedoch zu keinem Zeitpunkt zielorientiert gestaltet worden wäre. Das durch das Klimaschutzgesetz etablierte Klimaschutzkomitee, in dem Repräsentant_innen aller im Nationalrat vertretener Parteien, sämtlicher Ministerien, der Länder sowie der Sozialpartner wesentliche Grundsatzfragen der österreichischen Klimapolitik klären hätten sollen, ist weder ein politisch relevantes Koordinationsgremium, noch ein von der Regierung unabhängiges Beratungsgremium. Es handelt sich um eine „Info-Drehscheibe“, wo Standpunkte unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutiert werden. Die meisten anderen Klimaschutzgesetze in Europa etablierten zumindest ein unabhängiges Beratungsgremium, das die Klimapolitik der Regierung kritisch beleuchtet (Nash & Steurer, 2019). In diesem Sinne kritisierte auch der Rechnungshof das Klimaschutzkomitee scharf: „Seine Funktion war unklar und nicht hinreichend definiert, ein eindeutiges Aufgabenprofil lag nicht vor, Beschlüsse wurden in diesem Gremium nicht gefasst“ (Rechnungshof Österreich, 2021, S. 15). Auch eine gesamthafte Verantwortung für die Umsetzung des Klimaschutzgesetzes gab es laut Rechnungshof nicht. Für eine Rahmengesetzgebung, deren Hauptzweck es ist, politische Verantwortlichkeiten und Koordination zu verbessern, ist das ein vernichtendes Urteil.

Die Tatsache, dass das Klimaschutzziel für 2020 trotzdem erreicht wurde, kann nicht auf die nationale Klimapolitik zurückgeführt werden. Es liegt zum einen daran, dass das Ziel für Österreich aufgrund des glücklich gewählten Basisjahres 2005 einen Rückschritt im Vergleich zum ambitionierteren Kyoto-Ziel von 2012 darstellt. Während Österreich damals die Emissionen um 13 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren hätte müssen, hat das 2020-Ziel nur eine Stabilisierung der Emissionen auf dem Niveau von 1990 erfordert. Dies wurde schließlich vor allem deshalb erreicht, weil die Emissionen im Zuge der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 um knapp 10 Prozent deutlich gefallen sind (siehe Abb. 12.1).Footnote 1

Der überwiegend niedrige Stellenwert von Klimapolitik in Österreich hat auch mit dem über lange Zeit schwach ausgeprägten zivilgesellschaftlichen Engagement für das Thema Klimaschutz zu tun. Deutlich sichtbare Folgen der Klimaerhitzung haben dazu beigetragen, dass sich beides im Jahr 2019 verändert hat. Umfragedaten zeigen, dass das Interesse der österreichischen Bevölkerung für den Klimawandel allgemein zwar hoch war und ist. So erachten Österreicher_innen seit 2007 den Treibhauseffekt und die Klimaveränderung als das vordringlichste Umweltproblem (Statistik Austria, 2009, 2013, 2017, 2020).Footnote 2 Dennoch hat sich das ausgeprägte „Klimabewusstsein“ bis 2019 nie als konkrete Handlungsbereitschaft bzw. im Ausüben von politischem Druck niedergeschlagen. So waren es in den 1990er und 2000er Jahren vor allem traditionelle zivilgesellschaftliche Organisationen wie Greenpeace, Global 2000 oder der WWF Österreich, die im Rahmen ihres umweltpolitischen Engagements auch klimapolitisch relevante Lobbyarbeit leisteten (Dolezal & Hutter, 2007). Im Jahr 2015 entstand mit „System Change, not Climate Change“ (SCnCC) ein neuer zivilgesellschaftlicher Akteur, der mit seinem Fokus auf Klimagerechtigkeit die später einsetzende Klimabewegung in kleinem Rahmen vorweggenommen hat und sämtliche Bewegungen wie die Österreichische Klein- und Bergbäuer_innen-Vereinigung (ÖVB-Via Campesina) oder Attac Österreich (eine Kapitalismus-kritische NGO) bündeln konnte. Trotz dieser Bemühungen gelang es bis 2019 nicht, jene politische Beachtung zu generieren, die der von der Wissenschaft festgestellten Dringlichkeit und Krisenhaftigkeit des Problems längst angemessen gewesen wäre (Kirchengast et al., 2020). Wie in den meisten anderen Ländern gelang dies auch in Österreich erst 2019 mit der weltweiten Verbreitung der Bewegung „Fridays for Future“ (FFF).

Für diesen beispiellosen zivilgesellschaftlichen Erfolg wirkten in kürzester Zeit mehrere Faktoren (wie z. B. längst sichtbare Folgen der Klimakrise und Impulse aus dem Ausland) zusammen. Der erste österreichische Klimastreik fand im Dezember 2018 auf Initiative von drei Student_innen statt, die Greta Thunberg bei der 24. Weltklimakonferenz (COP24) in Katowice trafen (Bohl & Daniel, 2020). Beim ersten Global Earth Strike im März 2019 protestierten bereits 20.000 Schüler_innen in Wien und auch die nachfolgenden Streiks zählen zu den größeren Protestereignissen der letzten Jahrzehnte (Buzogány & Mikecz, 2019). Getragen von der globalen Begeisterung und den emotionalen Botschaften von Greta Thunberg, aber auch durch die Polarisierung der politischen und gesellschaftlichen Diskussion um das „Schulschwänzen“, schenkten die Medien den Klimaprotesten viel Aufmerksamkeit. Gleichzeitig konnte FFF österreichweit auf lokale Strukturen bereits existierender Netzwerke aufbauen und sich durch ihre mit sozialen Medien aufgewachsene Anhängerschaft sehr effizient landesweit organisieren (Narodoslawsky, 2020). Weiter verstärkt wurde die Wirkung der Klimaproteste durch den Bruch der ÖVP-FPÖ-Regierung, die kurzfristig anberaumten Neuwahlen und den von der Klimakrise dominierten Wahlkampf. Bei der Nationalratswahl im September 2019, die nur zwei Tage nach dem größten aller bisherigen Global Earth Strikes in Österreich stattfand, sind die zuvor für eine Legislaturperiode nicht im Parlament vertretenen Grünen wieder in dieses eingezogen, und zwar mit dem besten Wahlergebnis ihrer Geschichte. Dieser Erfolg war eine notwendige Voraussetzung dafür, dass die Grünen darauffolgend zum ersten Mal als Koalitionspartner der ÖVP in einer Bundesregierung vertreten waren (Daniel, Deutschmann, Buzogány, & Scherhaufer, 2020).

Abb. 12.2
figure 2

Emissionsreduktionspfad zur Erreichung des Pariser Klimaziels in Österreich. (https://wegcwww.uni-graz.at/publ/downloads/RefNEKP-TreibhausgasbudgetUpdate_WEGC-Statement_Okt2020.pdf, 30. April, 2021)

Die Herausforderungen für die österreichische Klimapolitik sind besonders in den nächsten Jahren enorm groß. Im Koalitionsabkommen 2020 hat die Bundesregierung vereinbart, Klimaneutralität in Österreich bereits bis 2040, also zehn Jahre vor der EU erreichen zu wollen. Um dieses Ziel zu realisieren, müssten die Emissionen laut Berechnungen des Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz bis 2030 um 57 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden (siehe Abb. 12.2).Footnote 3 Da das Ziel der Klimaneutralität für 2040 von der Bundesregierung im Alleingang ohne internationale Verpflichtungen gesetzt wurde, die EU hingegen Klimaneutralität bis 2050 anstrebt, beträgt das offizielle „effort sharing“-Ziel für Österreich lediglich \({-}\)47 Prozent bis 2030 im Vergleich zum Basisjahr 2005.Footnote 4 Während also das österreichische Ziel auf eine Halbierung der CO2-Verschmutzung innerhalb von nicht einmal 10 Jahren hinauslaufen würde, erfordert das gegenüber der EU verpflichtende Ziel eine vergleichsweise weniger ambitionierte aber nichts desto trotz schwer erreichbare Reduktion. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass derart ambitionierte Zielsetzungen nur mit sehr weitreichenden, verbindlichen politischen Eingriffen zu erreichen wären, die es in Österreich bislang nie gegeben hat (weshalb alle Zielsetzungen mit einer durch die Pandemie bedingten Ausnahme verfehlt wurden). Was müsste geschehen, um mit dieser „klimapolitischen Tradition“ zu brechen?

12.3 Notwendigkeiten und Bedingungen für eine erfolgreiche Klima-Governance

Wenn die Treibhausgasemissionen bis 2030 tatsächlich um rund 50 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden sollen, braucht es eine dramatische Kehrtwende in der Klimapolitik Österreichs, weg von Rhetorik und Symbolik hin zu steuerungswirksamer politischer Substanz. Was Klima-Governance in Österreich allgemein betrifft, wären dafür ein weiterhin stark ausgeprägtes zivilgesellschaftliches Engagement, ein durchsetzungsfähiges Klimaschutzministerium, ein deutlich ambitionierteres Klimaschutzgesetz und eine für ambitionierte Klimapolitik unterstützend wirkende Sozialpartnerschaft von zentraler Bedeutung. Im Folgenden sollen diese Voraussetzungen für eine zielorientierte Klimapolitik näher erörtert werden.

Eine wesentliche Voraussetzung für ernsthafte Klimapolitik wurde 2019 mit der sich global ausbreitenden FFF-Bewegung sichtbar. Das erstmals vorhandene breite zivilgesellschaftliche Engagement verwandelte den politischen Teufelskreis („vicious circle“) einer überwiegend symbolischen Klimapolitik ohne angemessene Wirkung in eine positive Dynamik („virtuous circle“) des substanziellen Klimaschutzes (Climate Outreach, 2020). Erfahrungen aus den Jahren 2007 bis 2010, als Klimaschutz ebenfalls zunächst an Dynamik gewonnen hat und dann von der Finanz- und Wirtschaftskrise ausgebremst wurde, legen eines nahe: Wie sich diese politische Dynamik entwickeln wird, hängt auch davon ab, wie stark die zivilgesellschaftliche Bewegung nach der COVID-19-Pandemie sein wird. Die 2019 von der Zivilgesellschaft ausgehende Dynamik im Klimaschutz müsste nun neuerdings an Schwung gewinnen, um die Zielsetzungen für 2030 und 2040 erreichen zu können (Porta, 2021; Pleyers, 2020).

Als wesentliche strukturelle Voraussetzung für substanzielle Klimapolitik wurde bereits bei Antritt der neuen Bundesregierung im Jänner 2020 ein umfassendes Ministerium für Klimaschutz geschaffen, in dem einige für die Lösung des Problems relevanten Kompetenzen des Bundes zusammengeführt wurden. Ein neues Klimaschutzgesetz, das die gravierenden Schwächen des bereits 2020 ausgelaufenen Gesetzes verbessert, war im Sommer 2022 nach wie vor in geheimen Verhandlungen ohne öffentlichen Diskurs. Dabei zeigte eine vergleichende Studie zu den Entstehungsprozessen von Klimaschutzgesetzen in Schottland, Österreich, Dänemark und Schweden, dass sowohl öffentliche Diskurse als auch parlamentarische Deliberationen zu deutlich ambitionierten Klimaschutzgesetzen beigetragen haben (Nash & Steurer, 2021).

Auch der stark verspätete Beschluss eines neuen Klimaschutzgesetzes ist für die Erreichung der politischen Ziele für 2030 grundsätzlich problematisch. Studien zeigen, dass Klimaschutzgesetze dann zu sinkenden Emissionen beitragen können, wenn sie zeitgerecht beschlossen werden (Dubash, 2020). Deren Wirksamkeit ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass Klimaschutzgesetze die politischen Prioritäten in Richtung Klimaschutz verschieben und zu einer besseren sektorübergreifenden Integration von Klimapolitik beitragen können (Matti et al., 2021).

Das 2011 in Österreich beschlossene und 2020 ausgelaufene Klimaschutzgesetz konnte dieses Potential nicht realisieren weil es im internationalen Vergleich sehr schwach ausgeprägt war (Nash & Steurer, 2019; Nash & Steurer, 2021). Empirische Analysen zu Klimaschutzgesetzen in anderen Ländern (so z. B. in Großbritannien, Schweden, Dänemark, Finnland, Norwegen und Irland) zeigen, dass diese vor allem dann nennenswerte Wirkung zeigen, wenn sie folgende Mindestanforderungen erfüllen: Erstens sollten mittel- und langfristige Ziele (zum Beispiel für 2030 und 2040) gesetzlich verankert werden. Zudem wäre eine verfassungsrechtliche Verankerung des Rechts auf Klimaschutz im Einklang mit dem Pariser Klimaschutz-Abkommen überlegenswert. Zweitens sollten diese Ziele in verbindliche CO2-Budgets für Sektoren übersetzt und Umsetzungsprozesse fixiert werden, ergänzt um einen Revisionsmechanismus, der im Fall von überschrittenen CO2-Budgets automatisch in Kraft tritt. Das würde Verantwortlichkeiten klären und Planungssicherheit verbessern. Drittens sollte das im Moment sehr intransparente und politisch weitgehend irrelevante Klimaschutzkomitee abgeschafft und anstelle dessen ein politisch relevantes Koordinations-Gremium („Klima-Kabinett“) sowie ein transparent agierendes Beratungsgremium von unabhängigen Wissenschafter_innen etabliert werden (Nash & Steurer, 2019, 2022).

Dass der Beschluss eines Klimaschutzgesetzes allein nicht ausreicht, zeigt das Beispiel Großbritannien. Dort wurde bereits 2008 das erste nationalstaatliche und noch dazu vergleichsweise anspruchsvolle Klimaschutzgesetz weltweit beschlossen, als das Thema hoch auf der politischen Agenda stand. In den Krisenjahren nach 2010 wurde dieses jedoch auf ein politisches Minimalprogramm reduziert, ohne formal gegen gesetzlich verankerte Auflagen zu verstoßen. Das Beispiel zeigt eindrucksvoll, dass die klimapolitische Praxis weniger von den gesetzlichen Vorgaben, sondern vielmehr vom öffentlichen Diskurs, von Wähler_innenpräferenzen, dem sich daraus ergebenden Stellenwert von Klimapolitik in der Parteienkonkurrenz bzw. der Regierungspolitik bestimmt wird (Carter & Jacobs, 2014; Carter, 2014). Somit schließt sich auch hier wieder der Kreis zum Stellenwert von Klimaschutz in der Zivilgesellschaft bzw. in der Wähler_innenschaft.

Bei den zahlreichen Wechselwirkungen zwischen Regierungspolitik und gesellschaftlichem Diskurs sind Klimaschutzgesetze allerdings nicht nur das Ergebnis von verschiedenen Einflussfaktoren. Sie geben zivilgesellschaftlichen Akteur_innen umgekehrt auch Möglichkeiten, darin verankerte Zielsetzungen bzw. angemessene politische Maßnahmen im Einklang mit dem Gesetz oder mit internationalen Verpflichtungen einzufordern und so den politischen Druck zu erhöhen (Nash et al., 2021). In Deutschland und Irland konnten zivilgesellschaftliche Akteur_innen den politischen Druck auch juristisch erhöhen. Die Regierungen der beiden Länder wurden von Gerichten aufgrund von zivilgesellschaftlichen Klagen dazu angehalten, deren Klimapolitik deutlich nachzubessern. So wurde in Irland ein Regierungsplan (National Mitigation Plan) vom Gericht verworfen, weil dieser nicht mit den im Klimaschutzgesetz festgelegten Zielen vereinbar war (O’Neill & Alblas, 2020). In Deutschland haben Aktivist_innen die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt, weil das deutsche Klimaschutzgesetz internationalen Verpflichtungen zum Klimaschutz nicht gerecht wurde. Das Bundesverfassungsgericht gab den Kläger_innen recht und die deutsche Bundesregierung wurde dazu verpflichtet, die im Klimaschutzgesetz enthaltenden Ziele nachzubessern. Die Bundesregierung kam diesem Spruch innerhalb von wenigen Wochen nach.Footnote 5

12.4 Akteure und Institutionen

Für die Klimapolitik bis 2019 war die Akteurskonstellation sehr einseitig. Abgesehen von etablierten Umwelt-NGOs wie Greenpeace, kleinen Protestgruppen wie „System Change not Climate Change“ und Oppositionsparteien wie den Grünen (später auch den Neos) gab es über Jahrzehnte hinweg keine nennenswerten politischen Kräfte, die sich für mehr Klimaschutz eingesetzt haben. Somit waren sich seit den 1990er Jahren alle Regierungen wechselnder Zusammensetzung mit den Bundesländern, den Sozialpartnern und großen Teilen der Wähler_innenschaft darin einig, dass Klimaschutz in erster Linie auf Freiwilligkeit beruhen bzw. möglichst wenig kosten sollte. Am deutlichsten wurde dies in dem in Bezug auf CO2-Emissionen kaum regulierten Sektor Verkehr. Während so gut wie alle ÖVP-Umweltminister_innen das Prinzip der Freiwilligkeit in der österreichischen Klimapolitik seit 1990 wiederholt betont haben, gab es nur in wenigen Ausnahmen den Anspruch, verbindliche Maßnahmen umzusetzen, die zugleich ein nennenswertes Potential zu Emissionsminderungen aufwiesen. Diese Ambitionen sind jedoch meist am Widerstand anderer Ministerien (vor allem jenen für Wirtschaft und Finanz), der Bundesländer und/oder der Sozialpartner (vor allem am Widerstand der Wirtschaftskammer, zum Teil auch an jenem der Industriellenvereinigung) gescheitert (Pesendorfer, 2007; Steurer & Clar, 2014; Steurer et al., 2020; Nash & Steurer, 2021; Rechnungshof Österreich, 2021).

Die Rolle der Bundesländer in der österreichischen Klimapolitik wird im Sektor Raumwärme am deutlichsten, weil dieser überwiegend in deren Verantwortung liegt. In diesem Sektor haben sich die Emissionen zwar besser entwickelt als in anderen Sektoren. Dennoch wurden Verbesserungen der Energieeffizienz von Gebäuden durch Baustandards nicht nur in Österreich durch die Bundesländer, sondern auch in der Schweiz durch die Kantone wiederholt behindert bzw. verzögert. Am deutlichsten wird die klimapolitisch bremsende Rolle der Länder in einem Beispiel für Multi-Level Governance, in der auch EU-Vorgaben eine Rolle spielen. Trotz deren Zuständigkeit für Baustandards haben die Bundesländer eine EU-Richtlinie zur Energieeffizienz von Gebäuden mehrere Jahre lang ignoriert. Ein Vertragsverletzungsverfahren der EU konnte schließlich nur durch eine verspätet abgeschlossene Vereinbarung zwischen Bund und Ländern nach Artikel 15a der Bundesverfassung abgewendet werden (Steurer et al., 2020). Aufgrund dieses und ähnlicher Beispiele zur Gebäudepolitik sowie ähnlichen Beispielen aus anderen föderal organisierten Bereichen der Klimapolitik (wie z. B. der Wohnbauförderung oder der Raumplanung) liegt der Schluss nahe, dass Föderalismus bei nationalen oder globalen Herausforderungen wie Klimaschutz eher eine verhindernde bzw. verzögernde Rolle spielt. Anders scheint es nur dann zu sein, wenn Bundesregierungen oder Präsidenten (wie z. B. in den USA unter Präsident Trump) klimapolitische Verpflichtung radikal ablehnen. In diesen Fällen können föderale Strukturen ein klimapolitisches Vakuum auf der nationalen Ebene zumindest teilweise kompensieren (Steurer et al., 2020).

Städte und Gemeinden schöpfen ihre Möglichkeiten im Klimaschutz in Österreich sehr unterschiedlich aus. Während es zahlreiche ambitionierte Ankündigungen und Zielsetzungen aber nur einige wenige Vorreiter-Initiativen der Dekabonisierung in ausgewählten Sektoren gibt, hält sich die große Mehrheit der Kommunen eher zurück und schöpft ihre beschränkten aber für die Erreichung nationaler Zielsetzungen dennoch relevanten Möglichkeiten zur Emissionsminderung bei weitem nicht aus. Diese Zurückhaltung sowie die eingeschränkten kommunalen Kompetenzen erklären die Tatsache, dass Städte und Gemeinden das bis 2019 vorherrschende klimapolitische Vakuum des Bundes nur ansatzweise und punktuell kompensieren konnten (Feichtinger et al., 2021; Cittadino et al., forthcoming).

Neben den Ländern haben auch die im korporatistischen politischen System Österreichs wichtigen Sozialpartner klimapolitische Fortschritte wiederholt verhindert oder verwässert. Sie haben damit eine Tradition fortgesetzt, die bis zu den Anfängen der Umweltpolitik in den 1970er Jahren zurückverfolgt werden kann. Umweltpolitik war schon damals meist nur dann ohne nennenswerten Widerstand möglich, wenn er im Sinne einer ökologischen Modernisierung wirtschaftlichen Interessen dienlich war (Pesendorfer, 2007).Footnote 6 Diese umweltpolitische Tradition dominiert das Politikfeld Klima bis heute (Steurer & Clar, 2014; Clar & Scherhaufer, 2021). Alle Sozialpartner und die nicht zu den Sozialpartnern zählende Industriellenvereinigung haben sich bis vor wenigen Jahren regelmäßig gegen anspruchsvolle klimapolitische Zielsetzungen sowie Maßnahmen geäußert, die nicht mit einem unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil verbunden sind. Damit konnten sie wiederholt die Politik verschiedener Regierungen maßgeblich beeinflussen (Niedermoser, 2017, S. 133–136; Pfoser, 2014). Brand & Pawloff (2014) führen dieses nach wie vor dominante Governance-Muster auch auf interessensgeleitete Selektionsmechanismen zurück, die gerade in neo-korporatistischen Systemen darüber entscheiden, was überhaupt auf die politische Agenda kommt. Dabei funktioniert die Sozialpartnerschaft „wie ein Filtersystem, das mit wirtschaftlichen Interessen nicht konforme Positionen und Maßnahmenvorschläge aussortiert, bevor sie in einem parlamentarischen Rahmen diskutiert werden können“ (vgl. Kap. 14).

Aktuelle Wortmeldungen und Lobbying-Initiativen zeigen, dass besonders die Wirtschaftskammer unverändert entschlossen am Zeitalter fossiler Energien festhält. Wie schon vor Jahrzehnten (Pesendorfer, 2007), werden klimapolitische Maßnahmen noch heute oft als „wirtschaftsfeindlich“ bzw. als „Arbeitsplatzvernichtung“ kritisiert.Footnote 7 Aufgrund ihrer inhaltlichen (Pesendorfer, 2007; Abstiens et al., 2021; Pernicka, 2020) und institutionell-personellen Nähe zur Langzeit-Regierungspartei ÖVP (Pernicka, 2020; Paster, 2020) verhindert die Wirtschaftskammer nach wie vor klimapolitische Maßnahmen in den meisten relevanten Sektoren (Pesendorfer, 2007; Niedermoser, 2017; Steurer & Clar, 2014; Clar & Scherhaufer, 2021). Zuletzt rühmte sich ihr Präsident beispielsweise damit, die aus klimapolitischer Sicht längst überfällige Abschaffung des so genannten Dieselprivilegs (d. h. die steuerliche Begünstigung von Diesel gegenüber Benzin) im Zuge der Steuerreform 2021 erfolgreich „wegverhandelt“ zu haben.Footnote 8 Parallel dazu zeigt sich bei Arbeiterkammer und Gewerkschaften in den letzten Jahren ein langsamer Prozess des Umdenkens, der innerhalb der Gewerkschaften allerdings durchaus umstritten ist (Brand & Niedermoser, 2019; Niedermoser, 2017; Segert, 2016; Soder et al., 2018; vgl. Kap. 14).

Das institutionell sowie strukturell geprägte Zusammenspiel dieser politischen Kräfte hatte zur Folge, dass sich Österreich seit dem EU-Beitritt im Jahr 1995 von einem umweltpolitischen Vorreiter in einen Opportunisten verwandelt hat (Steurer & Clar, 2014; Clar & Scherhaufer, 2021; Steurer et al., 2020). Progressive Umweltpolitik war seither am ehesten in jenen Bereichen möglich, wo auch auf kurze Sicht wirtschaftliche Vorteile zu erwarten waren, so z. B. beim weiteren Ausbau der Wasserkraft, der ökologischen Landwirtschaft als Nischenstrategie und bei der Gewässerreinhaltung als Beitrag zu qualitativ hochwertigem Tourismus. Diese Art der Umweltpolitik spiegelt jenes Natur- bzw. das Umweltschutzverständnis der Industrie und der Wirtschaftskammer 1:1 wider, das Pesendorfer (2007, S. 51) in seinem Buch „Paradigmenwechsel der Umweltpolitik“ wie folgt auf den Punkt bringt: „Wir müssen die natürlichen Ressourcen schützen, also die natürlichen Ressourcen als ein Produktionsmittel (Luft, Wasser) – das ist die Nachhaltigkeit“ (Pesendorfer, 2007, S. 51). Da ein stabiles Klima von weiten Teilen der Gesellschaft im Allgemeinen und von den Sozialpartnern (allen voran von der Wirtschaftskammer) im Speziellen lange Zeit nicht als wirtschaftlich relevantes Produktionsmittel erkannt wurde, war diese zentrale Voraussetzung für eine den eigenen Zielsetzungen gerecht werdende Klimapolitik nicht gegeben. Das erklärt, warum sich Wirtschaftskammer und Volkspartei bis heute wiederholt gegen potenziell wirksame Maßnahmen im Politikfeld Klima stellen und warum Österreich bisher sämtliche Ziele im Klimaschutz verfehlt hat. Das erklärt auch, warum für die 2012 zu Ende gegangene Kyoto-Periode wirksamer Klimaschutz im Inland durch kosteneffiziente Zertifikatskäufe im Ausland opportunistisch ersetzt wurde (Steurer & Clar, 2014, S. 346). Angesichts stark steigender Preise für eine Tonne CO2 am Zertifikatsmarkt sieht es derzeit allerdings nicht so aus, als könnte diese Strategie bis 2030 fortgeführt werden.

Aufgrund der kaum wirksamen Governance und Politik zur Klimakrise in Österreich waren kleine klimapolitische Fortschritte bis 2020 durchwegs auf EU-Vorgaben zurückzuführen (Steurer & Clar, 2014). Dies ist insofern bemerkenswert, als Österreich vor dem EU-Beitritt ein umweltpolitischer Vorreiter war und befürchtet wurde, dass die damals vergleichsweise hohen Umweltschutzstandards in Österreich durch die EU unter Druck geraten werden (Pesendorfer, 2007). Allerdings sind auch die durch die EU-Mitgliedschaft bedingten klimapolitischen Fortschritte in Österreich vergleichsweise klein ausgefallen. Dies gilt sowohl für die vom EU-Emissionshandel (ETS) erfassten Emissionen aus den Sektoren Industrie und Energieerzeugung, als auch für alle anderen Non-ETS-Sektoren. Fortschritte in den ETS-Sektoren Industrie und Energie fielen bis 2020 klein aus, weil der Preis für CO2-Emissionen unwirksam gering war. Das ETS fungierte bis Ende der 2010er-Jahre als „trojainsches Pferd des Klimaschutzes“: es schützte die erfassten Sektoren vor ambitioniertem Klimaschutz, auch in Österreich (Markard & Rosenbloom, 2020). In den Non-ETS-Sektoren (wie z. B. Gebäude, Verkehr oder Landwirtschaft) gab es immer wieder verpflichtend umzusetzende EU-Richtlinien, die die Klimapolitik in Österreich geringfügig verbessert haben (z. B. zur Energieeffizienz allgemein oder zur Energieeffizienz von Gebäuden). Darüberhinaus hatten internationale Verpflichtungen der EU, die mittels „effort sharing“ an die einzelnen Mitgliedstaaten weitergegeben wurden, keine nennenswerte Lenkungswirkung auf die Klimapolitik Österreichs. Der Grund dafür ist in einem Schlupfloch der UN-Klimaschutz-Architektur zu finden.

Laut UN-Abkommen können international vereinbarte Emissionsreduktionen durch Maßnahmen im Inland und Ausland abgedeckt werden, wobei letztere durch Zertifikatskäufe einem Land angerechnet werden. Um Klimaschutz im Inland nicht gänzlich durch Zertifikatskäufe vermeiden zu können, haben sich die Vertragsparteien dazu verpflichtet, weniger als die Hälfte der nötigen Emissionsreduktionen im Ausland zuzukaufen. Wie war es dann trotzdem möglich, dass Österreich das Klimaschutzziel der bis 2012 dauernden Kyoto-Periode vollständig durch Zertifikatskäufe im Ausland geschlossen hat? Österreich konnte sich nur deshalb aus der Kyoto-Periode „freikaufen“, weil die EU als Ganzes Vertragspartei des UN-Klimaschutzabkommens ist. Somit galt die Regel für Klimaschutz im Inland für Österreich nicht. Im Unterschied dazu musste etwa die Schweiz als nationalstaatliche Vertragspartei im Kyoto-Protokoll die zugesagten Emissionsminderungen „überwiegend im Inland“ statt durch Zertifikatskäufe im Ausland erfüllen (UNFCCC, 1992). Österreich konnte also dank EU-Mitgliedschaft Emissionsreduktionen im Inland in opportunistischer Weise vermeiden (Steurer et al., 2020).

Sofern das Ziel der Bundesregierung, bereits 2040 (also 10 Jahre vor der EU) klimaneutral zu werden, mehr als symbolische Politik sein soll, wird die EU-Mitgliedschaft im Unterschied zur Kyoto-Periode eine besondere Herausforderung mit sich bringen. Das EU-Emissionshandelssystem ETS, das in Österreich etwa 56 Prozent aller CO2- und 37 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen abdeckt, strebt Klimaneutralität erst im Jahr 2050 an. Das ist eine problematische „Mehrebenen-Diskrepanz“, die auf vier Arten aufgelöst werden kann: (1) die EU zieht Klimaneutralität für den ETS-Bereich ebenfalls auf 2040 vor; (2) Österreich reguliert die heimische Industrie in Ergänzung zum ETS im Alleingang; (3) zu hohe Industrie-Emissionen werden in anderen Bereichen (wie z. B. Landwirtschaft) kompensiert; (4) Österreich revidiert die Zielsetzung für 2040 und strebt Klimaneutralität nur mehr für Emissionen außerhalb des ETS an. Aus heutiger Sicht erscheinen nur die erste und die letzte Möglichkeit als politisch machbar, wobei Letzteres nicht mehr als eine „halbe Klimaneutralität“ wäre. Da Klimaneutralität bis 2040 mehr als eine Halbierung der Emissionen schon bis 2030 erfordern würde, Österreich von diesem Zielpfad allerdings nach wie vor deutlich abweicht und bislang auch keine entsprechenden Kurskorrekturen eingeleitet wurden (Umweltbundesamt, 2021), ist derzeit allerdings nicht davon auszugehen, dass es sich dabei um mehr als symbolische Politik handelt.

12.5 Gestaltungsoptionen

Wenn wir die österreichische „Klimaschutz-Ordnung“ mit der Straßenverkehrsordnung vergleichen, dann haben wir nach wie vor nur unverbindliche Tempolimits (also Sektor-Ziele, die lediglich „Geschwindigkeits-Empfehlungen“ sind) und Radarkontrollen für einzelne Sektoren (Emissionsmessungen), aber Kosten für Übertretungen werden kollektiv vom Steuerzahler beglichen. Für die Übertretung des Kyoto-Ziels waren dies knapp 700 Millionen Euro (Steurer & Clar, 2014, S. 332). Ein Verfehlen des Ziels für 2030 würde angesichts hoher CO2-Preise voraussichtlich ein Vielfaches an Kosten verursachen. Metaphorisch gesprochen funktioniert die österreichische Klimapolitik bislang also wie eine auf Empfehlungen aufbauende „Straßenverkehrs-Unordnung“, in der für Übertretungen keine individuellen Strafen oder andere korrigierenden Eingriffe vorgesehen sind. Dies ist in vielen anderen Ländern zwar ähnlich (Nash & Steurer, 2019), allerdings klafften Zielsetzungen und tatsächliche Emissionen in kaum einem Land der EU so drastisch auseinander, wie in Österreich (Rechnungshof Österreich, 2021, S. 22 f.).

Wenn die Bundesregierung sicherstellen will, dass Länder und Sektoren ihre CO2-Ziele bzw. -Budgets einhalten, dann müsste ein verbindliches Klimaschutzgesetz einen entsprechend starken Anreiz dafür geben, z. B. indem der Kostenteilungsschlüssel an den Grad der Zielverfehlung angepasst und auf Bundesministerien ausgeweitet wird, oder indem bei Verfehlungen Kompetenzen verlagert, Budgets gekürzt oder zu wenig wirksame Maßnahmen rasch nachgebessert werden (Nash & Steurer, 2019; Rechnungshof Österreich, 2021). Wenn die Bundesregierung die Ziele für 2030 und 2040 im Inland erreichen will, dann wird das, analog zu einer funktionierenden Straßenverkehrsordnung, nur möglich sein, wenn eine verbindliche, kontrollierte und mit Sanktionen versehene „Emissions-Ordnung“ etabliert wird, deren Einhaltung für die verantwortlichen Akteure auch budgetär günstiger ist als deren Nichteinhaltung. Auf dieser Governance-Grundlage wären Policies wie z. B. klima-positive Wohnbaustandards im Neubau leichter durchsetzbar (siehe auch Abschn. 4.1).

Die nach wie vor bestehende „Emissions-Unordnung“ in eine Paris-konforme „Emissions-Ordnung“ zu überführen, ist allerdings ein sehr voraussetzungsvolles Vorhaben. Es müsste nicht nur von mehreren Bundesregierungen in Folge geschlossen getragen werden. Sowohl die Sozialpartner als auch die Bevölkerung spielen dabei ebenfalls eine entscheidende Rolle. Um zu verhindern, dass sich einflussreiche Sozialpartner weiterhin regelmäßig gegen Paris-konforme Klimapolitik stellen, wäre eine Reform dieser Institution hilfreich. Zum einen könnte der gesetzliche Auftrag der bestehenden Sozialpartner so formuliert werden, dass Lobbying gegen klimapolitische Maßnahmen (wie z. B. Lobbying gegen ein Verbot von Öl- und Gasheizungen) nicht mehr möglich wäre. Zum anderen ist zu bedenken, dass die Sozialpartnerschaft nur soziale und ökonomische Interessen repräsentiert und die ökologische Dimension nachhaltiger Entwicklung vernachlässigt. Sie spiegelt somit die gesellschaftliche Problemlage des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wider. Um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angemessen begegnen zu können, müsste die Institution Sozialpartnerschaft um eine gleichwertige Umweltkammer ergänzt werden (Hochgerner et al., 2016, S. 37).

Wie in der Vergangenheit wird die Wähler_innenschaft auch in Zukunft den Kurs der österreichischen Klimapolitik maßgeblich mitbestimmen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie wichtig EU-Ziele und -Verpflichtungen sowie breites gesellschaftliches und mediales Engagement für Klimaschutz sind. Im Jahr 2019 haben es Fridays for Future und andere Klimabewegungen geschafft, den Diskurs in Politik und Gesellschaft für mehrere Monate zu prägen und Regierungen von der Legitimität klimapolitischer Anliegen zu überzeugen (Daniel et al., 2020). Zudem zeigte das im Jahr 2020 durchgeführte Klimavolksbegehren eindrücklich, dass nicht immer die Zahl der Unterschriften bzw. Beteiligten ausschlaggebend für politischen Einfluss ist. Die von der Bundesregierung gesetzten Initiativen zur Überarbeitung des Klimaschutzgesetzes sind maßgeblich auf dieses direktdemokratische Mittel zurückzuführen. Damit die Governance der Bewältigung der Klimakrise mehr gerecht werden kann, wird auch in Zukunft zivilgesellschaftlicher Druck sowohl über konventionelle (z. B. Wahlen, Volksabstimmungen, Volksbegehren und Petitionen) als auch über unkonventionelle Partizipationsmethoden (z. B. Demonstrationen, Proteste), aber auch stärker strukturierte Beteiligungsmethoden wie Planungszellen, Zukunftsräte und Bürger_innenräte notwendig sein (Newig & Kvarda, 2012; Poier, 2015; Nanz & Leggewie, 2016; Biegelbauer & Kapeller, 2017; Kapeller & Biegelbauer, 2020; Scherhaufer et al., 2021).

In Österreich, wie auch weltweit, sind in den letzten Jahren Forderungen nach der Einrichtung von Bürger_innenräten laut geworden (Nanz & Leggewie, 2016; Ehs, 2020). Verbunden damit ist nicht nur die Hoffnung, den Klimadiskurs weiterzuentwickeln, sondern auch die repräsentative Demokratie mit neuen, partizipativen und deliberativen Elementen zu ergänzen. Durch deliberative Mini-Öffentlichkeiten kann ein repräsentativer und zufällig ausgewählter Querschnitt der Bevölkerung Lösungsansätze für komplexe Probleme erarbeiten. Die Literatur zur deliberativen und partizipativen Demokratietheorie zeigt, dass derartige Verfahren bei einer guten Planung und Prozessgestaltung die demokratische Qualität der Entscheidungsfindung erhöht, die Emanzipation der Bürger_innen durch Mit- bzw. Selbstbestimmung steigert, soziales Lernen sowie gelebte Verantwortung ermöglicht (Dryzek, 2000; Pateman, 1970; Schmidt, 1995; Barnes & Kaase, 1979; Renn et al., 1995; Newig, 2011; kritisch dazu Schäfer & Schön, 2013). Die Erfahrungen bereits durchgeführter Bürger_innenräte in Irland, Frankreich, Schottland oder Dänemark weisen darauf hinzeigen, dass neben essenziellen prozeduralen Faktoren wie Auswahlkriterien, Ablaufregeln, Transparenz und Unterstützung durch Expert_innen auch auf eine enge Verbindung zu den etablierten repräsentativ-demokratischen Teilen des politischen Systems zu achten ist (Devaney et al., 2020; OECD, 2020). Vor diesem Hintergrund ist die im März 2021 erfolgte Ankündigung der Bundesregierung, einen Bürger_innenrat zum Klimaschutz in Österreich einzurichten, ein sinnvoller Schritt, repräsentative Demokratie durch mehr Partizipation und Deliberation funktional zu ergänzen. Wie das Vorarlberger Modell zeigt, können diese Governance-Innovationen auch dauerhaft im politischen System verankert werden (Trettel et al., 2017). Eine Fortführung und Institutionalisierung partizipativer und deliberativer Elemente ist auch im Zusammenhang mit dem von Jänner bis Juni 2021 erstmals auf Bundesebene durchgeführten Klimarat (https://klimarat.org) zu wünschen (Clar et al., 2023; Scherhaufer et al., forthcoming). Anregungen und Beispiele der Verstätigung derartiger partizipativer Instrumente zum Beispiel mit Hilfe von permanenten Foren deliberativer Demokratie oder auch in verschränkter Form mit bestehenden Parlamenten können unter anderem bereits auf regionaler Ebene in Belgien gefunden werden (Macq & Jacquet, 2022).

Allerdings wäre es kurzsichtig, alleine vom Ausbau partizipativer und deliberativer Elemente eine grundlegende politische Wende zu erwarten. Diese muss gleichzeitig an mehreren Stellen ansetzen. Neben den weiter oben genannten Protesten, zivilgesellschaftlichen Engagement und Formen der direkten Demokratie sollten auch Parlamente dabei eine wichtige Rolle spielen. Hier kann sich Österreich etwa an das finnische Parlament orientieren wo Belange „zukünftiger Generationen“ in einem eigenen Ausschuss behandelt werden (Koskimaa und Raunio, 2020; Smith, 2021). Auch in Deutschland wurde mit dem Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung (PBnE) eine neue Form von parlamentarischer Teilnahme an der Klima- und Nachhaltigkeitspolitik etabliert (Kinski und Whiteside, 2022).

Eine der Klimakrise einigermaßen angemessene Klimapolitik hat in Österreich erst 2020 in wenigen Bereichen (wie z. B. dem Ziel, die gesamte Stromversorgung bis 2030 emissionsfrei zu machen) bzw. nur ansatzweise begonnen. Folglich weicht Österreich nach wie vor weit von jenem Zielpfad ab, der sich aus der selbst gesteckten Vision, bis 2040 klimaneutral werden zu wollen, ergeben würde. Wie die Erfahrungen des Jahres 2019 gezeigt haben, wurden die kleinen Fortschritte nicht durch bessere Governance „von oben“, sondern durch eine gesellschaftspolitische Dynamik „von unten“ ermöglicht. Die nun anstehende gesellschaftliche Herausforderung besteht darin, diese Dynamik nach der COVID-19-Pandemie neuerdings in Gang zu setzen und in der Folge auf nationale, europäische und internationale Klimapolitik zu übertragen. In Kombination mit entschlossenem klimapolitischem Leadership, könnte der „vicious circle of inaction“ dauerhaft in einen „virtuous circle of climate action“ verwandelt werden (Climate Outreach, 2020). Ohne gesellschaftliche Dynamik und/oder politisches Leadership wird die nun anstehende Transformation zu einer klimaneutralen Gesellschaft nicht oder nur stark verzögert gelingen.