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Verspätete Strafverfolgung.

Über die Vergangenheit urteilen, um die Zukunft zu gestalten

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Spätverfolgung von NS-Unrecht
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Zusammenfassung

Verspätete Strafverfahren werden auf nationaler und internationaler Ebene gefeiert. Die Schwere der Verstöße rechtfertigt eine Ausnahme von der Verjährungsfrist. Die Tatsache, dass Völkerrechtsverbrechen nicht verjähren, bedeutet, dass sie zeitgemäß bleiben, insbesondere was ihre Folgen betrifft. Solche Verbrechen, auch wenn sie in einer sehr fernen Vergangenheit begangen wurden, sind ein konstitutives Element unserer Gegenwart, da sie die Vergangenheit in die Gegenwart bringen. In diesen Fällen greift das Strafrecht in das Verhältnis zwischen Vergangenheit und Gegenwart ein. Der Schwerpunkt dieses Beitrags liegt auf der Nichtanwendbarkeit der Verjährung als Institution, die es rechtlich ermöglicht, Personen vor Gericht zu stellen und zu verurteilen, sowie auf den Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit solche Verfahren als akzeptabel angesehen werden können, wobei ein möglicher Ausweg de iure condendo aufgezeigt wird.

Übers. v. Moritz Vormbaum.

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Notes

  1. 1.

    Der kleine Gerichtssaal in Neuruppin hätte die Anzahl der Journalisten und Schaulustigen nicht aufnehmen können, da der Zugang aufgrund der Covid-19-Pandemie eingeschränkt war.

  2. 2.

    Pressemitteilung des Landgericht Neuruppin vom 28. Juni 2022, https://ordentliche-gerichtsbarkeit.brandenburg.de/ogb/de/presse-detail/~28-06-2022-urteil-im-verfahren-gegen-einen-101-jaehrigen-ist-gefallen# (zuletzt abgerufen am 30.03.2023).

  3. 3.

    Thomas, 1998, S. 17 ff.

  4. 4.

    In Deutschland ergibt sich die Nicht-Verjährung der Taten aus der 1979 erfolgten Abschaffung der Verjährung von Mord (§ 211 StGB). Siehe Asholt, 2016, S. 357 sowie Martin Asholts und Wolfgang Mitschs Beitrag in diesem Band.

  5. 5.

    Auch in diesem Fall lautete die Anklage auf Beihilfe (§ 27 StGB) zum Mord (§ 211 StGB). Prozesse wegen Kriegsverbrechen, die in den besetzten Ländern begangen wurden, sind dagegen selten. Zur einzigen Ausnahme, die italienische Kriegsverbrecher betrifft, siehe die Beiträge von Paolo Caroli, Gerhard Werle und Tobias Köpcke in diesem Band.

  6. 6.

    Von einem echten Stillstand kann jedoch nicht gesprochen werden. Für ein Gesamtbild der diesbezüglichen Rechtsprechung, Werle &Wandres, 1995 sowie der Beitrag von Gerhard Werle in diesem Band.

  7. 7.

    Siehe die Beiträge von Paolo Caroli und Thomas Köhler in diesem Band.

  8. 8.

    Einige dieser Personen spielten eine Zwischenrolle (wie Gerhard Sommer in Sant’Anna di Stazzema), die meisten waren jedoch direkte Täter. Einige der Angeklagten starben vor der Urteilsverkündung, andere wurden freigesprochen.

  9. 9.

    Nach der Aufhebung des Gesetzes über den Befehlsnotstand und des Schlusspunktgesetzes durch den Nationalkongress wurde 40 Jahre später beschlossen, die Prozesse wegen der Verbrechen der Militärdiktatur wiederaufzunehmen. Diese Verfahren laufen noch immer in der Überzeugung, dass das Recht der Opfer auf Wahrheit – auf Gerechtigkeit und auf Erinnerung – gerade (und vor allem) durch Vergeltung gewährleistet wird. Vgl. Fronza & Fornasari, 2009.

  10. 10.

    Die Verfahren fanden vor den ordentlichen Bundesgerichten statt, dienten aber der Wahrheitsfindung und nicht, wie angegeben, der strafrechtlichen Ahndung.

  11. 11.

    Siehe Tobias Köpckes Beitrag in diesem Band.

  12. 12.

    Es besteht die Gefahr, dass die Verbindung zwischen Täter und Tat unterbrochen wird und somit der Grundsatz der individuellen strafrechtlichen Verantwortung verletzt wird.

  13. 13.

    In gewisser Weise handelt es sich um eine Entscheidung, die sich aus rein moralischen Gründen gegen den natürlichen Verlauf der Realität richtet. Wie Pulitanò feststellt, ist „die Strafverfolgung […] die Geschichtsschreibung vergangener Ereignisse und angewandte Geschichte. Sie ist Teil einer allgemeineren Geschichte. Die Zeit, dieses seltsame Ding, beschäftigt sich mit dem anderen seltsamen Ding, dem Gesetz: auch dem Strafgesetz und der Strafjustiz in Aktion. […] Unendliche Gerechtigkeit? Aus der endlichen Zeit würde ein dies irae entstehen, in dem quicquid latet appearbit, nil inultum remanebit. Es ist eine starke Idee, die sich durch unsere Kultur zieht; sie bietet das Bild einer absoluten Gerechtigkeit, frei von Zielen, endgültig […]. Sie ist kein geeignetes Modell für eine Gerechtigkeit, die menschlich ist, die mit dem Zusammenleben der Menschen in ihren Lebenszeiten zu tun hat. Wir bitten die menschliche Justiz (auch, aber nicht nur die strafrechtliche) um gerechten Schutz […] Die strafrechtliche Maschinerie, die sich mit vergangenen Ereignissen befasst, endet ironischerweise in der ironischen Definition von Geschichte in den einleitenden Worten von Manzonis großem Roman [I promessi sposi]: ein mehr oder weniger illustrer Krieg gegen die Zeit, der vergangene Ereignisse, die manchmal schon zu Leichen geworden waren, wieder zum Leben erweckt und sie in der Schlacht wieder aufrichtet.“ Vgl. Pulitanò, 2019, S. 19.

  14. 14.

    Trotz der klaren Grenzen des heuristischen Potenzials des Strafprozesses ermöglicht dieser, zusammen mit dem unwiderruflichen Urteil, die Fakten aus dem diskutierbaren Raum zu entfernen; was bleibt, ist also das tröstliche, maßgebliche Wort.

  15. 15.

    Arendt, 1998.

  16. 16.

    Traverso, 2006.

  17. 17.

    Ginzburg, 1991, S. 108 ff., hebt die Divergenz zwischen historischen und juristischen Ansätzen hervor.

  18. 18.

    Die juristische Zeit ist nicht nur linear, sondern auch begrenzt: Sie läuft während des Prozesses und endet mit der Verkündung des endgültigen Urteils, Delmas-Marty, 2004, S. 193.

  19. 19.

    Siehe Tobias Köpckes Beitrag in diesem Band.

  20. 20.

    Delmas-Marty, 1980, S. 170.

  21. 21.

    Eine Legitimität, die ebenfalls angestrebt werden muss, da der Prozess umso legitimer ist, je mehr er als öffentlicher Raum dient.

  22. 22.

    Hier zeigt sich ein zentraler Aspekt des unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Status der „gerichtlichen Wahrheit“ und der „historischen Wahrheit“, die beide spezifisch sind und sich von dem bekannten Konzept der Wahrheit, wie sie der gesunde Menschenverstand wahrnimmt, unterscheiden. Hinter der großen Debatte über die Art der Wahrheit, die sich aus einem Strafprozess ergibt (eine Debatte, die hier nicht zusammengefasst werden kann), steht auch eine methodologische Frage. Einerseits sind sowohl der Strafrichter als auch der Historiker aufgefordert, die Vergangenheit zu erforschen und die Wahrheit herauszufinden, andererseits scheinen sich die Methode und die Aufgaben des Strafrichters sehr von der Methode und den Aufgaben des Historikers zu unterscheiden.

  23. 23.

    Siehe Francisco Muñoz Condes Beitrag in diesem Band.

Literatur

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Fronza, E. (2023). Verspätete Strafverfolgung.. In: Vormbaum, M. (eds) Spätverfolgung von NS-Unrecht. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-66478-0_25

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