10.1 Einleitung

Der digitale Wandel und die damit verbundene zunehmende Nutzung digitaler Technologien stellt Lehrkräfte vor neue Anforderungen. Besonders herausfordernd ist, dass digitale Technologien einem schnelleren Wandel unterliegen als klassische Unterrichtsinhalte und Lehrkräfte den Unterricht deshalb in kürzeren Abständen an Innovationen anpassen müssen. Diese Herausforderung wird im sogenannten TPACK-Modell aufgegriffen: Das Professionswissen von Lehrkräften wird erweitert um technologisches Wissen und dessen Überschneidungen mit Fachwissen und pädagogischem Wissen (Mishra & Kohler, 2006). Diese Erweiterung muss auch in der universitären Ausbildung angehender Lehrkräfte aufgegriffen werden.

Insbesondere Physiklehrkräfte sind vom digitalen Wandel betroffen. Sie müssen für das schulische Experimentieren u. a. spezifische Messtechnik und Software bedienen können, um die fachwissenschaftliche Arbeitsweise bzgl. der Messwerterfassung und -auswertung angemessen im Unterricht abbilden zu können. Hierzu gehört neben der reinen Anwendung von Messwerterfassungssystemen inzwischen auch, eigene Messwerkzeuge programmieren zu können (z. B. in der Smartphone-App phyphox von Staacks et al., 2018). Gemäß den Standards der Lehrerinnen- und Lehrerbildung sollen diese Anforderungen durch den digitalen Wandel auch bei der Lehrkräfteausbildung berücksichtigt werden (KMK, 2019). Somit sollten die Lehrkräfte für einen zeitgemäßen Physikunterricht dem TPACK-Modell folgend technologisches Wissen (TK), technologiebezogenes Fachwissen (TCK) und technologisch-pädagogisches Inhaltswissen (TPACK) entwickeln. Zum TK der angehenden Physiklehrkräfte müssen neben der Nutzung von Messtechnik und Software auch die Grundlagen des Programmierens zählen. Dem TCK entsprechend sollte dieses Wissen auch physikspezifisch eingesetzt werden können. Hinzu kommt, dass Physiklehrkräfte sich immer wieder eigenständig digitale Technologien für den Unterricht erschließen können müssen (TK/TCK). Die Verbindung mit der fachdidaktischen Komponente (TPACK) ermöglicht letztlich den zielführenden Einsatz digitaler Technologien im Unterricht. Nur auf Basis dieser digitalen Kompetenzen werden Physiklehrkräfte den aktuellen und zukünftigen Anforderungen des Unterrichts gerecht werden.

Um die angehenden Lehrkräfte auf diese spezifischen digitalen Anforderungen des Physikunterrichtens vorzubereiten, müssen bereits im Studium neue Lerngelegenheiten für den Erwerb von TK, TCK und TPACK angeboten werden. Damit stehen Hochschullehrende jedoch vor dem Problem, diese im Studienplan zu integrieren, ohne bestehende Lehrveranstaltungen und deren Inhalte zu verdrängen. Der Ansatz an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) im Fach Physik ist daher, die Lerninhalte zu TK, TCK und TPACK in bestehende Lehrveranstaltungen einzubinden. Dazu wurden die Laborpraktika der Lehramtsausbildung im Fach Physik vollständig neu konzipiert und gezielt Lerninhalte zur Förderung digitaler Kompetenzen implementiert (Andersen et al., 2018). Im neuen lehramtsspezifischen Elektronikpraktikum (EPLA) sollen die Studierenden nun grundlegende fachliche Kenntnisse (CK) im Bereich Elektronik vertiefen, diese anwenden und durch grundlegende Programmierkenntnisse (TK) ergänzen (Andersen et al., 2021). Darüber hinaus sollen sie Strategien erwerben, sich selbst neue digitale Technologien für den Physikunterricht zu erarbeiten (TK/TCK). Die fachdidaktische Komponente des TPACK-Modells wurde in darauf aufbauenden Lehrveranstaltungen wie dem lehramtsspezifischen Fortgeschrittenenpraktikum integriert (Andersen et al., 2018), sodass die Lehramtsausbildung als Ganzes alle Aspekte TPACK-Modells adressiert.

Das vorliegende Kapitel skizziert zunächst kurz das Praktikumskonzept des neuen EPLA (s. auch Andersen et al., 2021) und berichtet Ergebnisse einer Evaluationsstudie zu den folgenden Fragen:

  • Wie können bestehende Lehrveranstaltungen genutzt werden, um parallel zu den fachlichen Lerninhalten zusätzliche digitale Kompetenzen zu vermitteln?

  • Inwieweit gelingt es, den Studierenden Strategien zu vermitteln, sich selbstständig neue digitale Technologien zu erarbeiten?

  • Welche Rolle spielen Erfolgserlebnisse beim selbstständigen Erarbeiten neuer digitaler Technologien für den Unterricht?

  • Wie kann eine lehramtsspezifische Ausrichtung einer Lehrveranstaltung wie des Elektronikpraktikums gestaltet sein, um die wahrgenommene Relevanz der Lerninhalte zu fördern?

10.2 Konzeption des Elektronikpraktikums

Das EPLA ist konzipiert für Studierende im 6. Semester des Lehramtsstudiums Physik. Es baut auf einer Vorlesung in der ersten Semesterhälfte auf, in der Fachwissen zur Elektronik vermittelt und damit die Basis für das EPLA gebildet wird (Abb. 10.1). Um das eigenständige Lernen bereits in dieser ersten Komponente des Moduls zu fördern, ist die Vorlesung als Flipped Classroom angelegt. Durch den Wechsel von Lehrvideos und Präsenzphasen, in denen der Stoff hinterfragt und vertieft wird, werden die Studierenden auf eine selbstständige Erarbeitung von Fachwissen vorbereitet. Die fachlichen Inhalte reichen dabei von einfachen elektrischen/elektronischen Netzwerken bis hin zu komplexen Bauelementen wie Mikrocontrollern. An ausgewählten Beispielen wird etwa die typische Verwendung von Feldeffekttransistoren, Operationsverstärkern, AD-Wandlung und Digitalelektronik thematisiert.

Abb. 10.1
figure 1

Struktur des Moduls Elektronik für Lehramtsstudierende an der CAU zu Kiel

Im anschließenden EPLA werden diese fachlichen Inhalte vertieft. Um ein übergeordnetes Verständnis von (schulrelevanter) Messtechnik zu entwickeln, sammeln die Studierenden praktische Erfahrungen mit den elektrischen/elektronischen Bauelementen, Sensoren und einem Mikrocontroller. Dabei werden nicht das spezifische Bauteil oder der genutzte Mikrocontroller in den Vordergrund gestellt, sondern anhand exemplarischer Bauteile grundlegende Kenntnisse über deren Funktion, Anwendung und Grenzen vermittelt.

Durch Verwendung eines MikrocontrollersFootnote 1 lernen die Lehramtsstudierenden Grundelemente des Programmierens kennen. Hierzu gehört z. B. das Einbinden von Bibliotheken, die Deklaration und Nutzung von Variablen, die Anwendung von Funktionen, die Anwendung von Schleifen und Bedingungen bis hin zur Verwendung von Routinen zum Debugging, da diese Grundelemente sich in allen Programmiersprachen wiederfinden lassen. Neben der Vermittlung von theoretischem und praktischem Wissen im Bereich der Elektronik zielt das EPLA damit auch auf die Vermittlung grundlegender Programmierkenntnisse ab und greift damit die im TPACK-Modell geforderten Aspekte des TK auf. Da es im Rahmen des Lehramtsstudiums bislang keine Lerngelegenheiten für Grundlagen der Programmierung gab, muss dazu gezielt an das spezifische Vorwissen der Lehramtsstudierenden angeknüpft werden, um die Programmierkenntnisse schrittweise aufzubauen. Durch den Fokus auf Grundelemente des Programmierens sollen die Lehramtsstudierenden in die Lage versetzt werden, diese auch auf andere Anwendungen und Problemstellungen zu übertragen und damit eher konzeptionelles als anwendungsspezifisches Wissen aufzubauen. Als exemplarischer Mikrocontroller eignet sich der Arduino, da er eine freie Software umfasst, die vergleichsweise einfach zu programmieren ist, und in Bezug auf die Hardware kostengünstig und vielseitig einsetzbar ist. Die Vielzahl unterschiedlicher Schnittstellen und Sensoren ermöglicht eine Umsetzung interessanter und anwendungsnaher Steuerungs- und Regelungsaufgaben. Nicht zuletzt deswegen ist der Arduino durch eine große Community mit vielen Beispielen und Hilfestellungen im Internet vertreten. Mit diesen Eigenschaften ist der Arduino auch über das EPLA hinaus für den Physikunterricht und die zukünftige Lehrtätigkeit der Studierenden relevant.

Um die Studierenden darauf vorzubereiten, in ihrer zukünftigen Lehrtätigkeit mit dem technologischen Wandel Schritt zu halten, sollen sie darüber hinaus im EPLA auch Strategien entwickeln, wie sie sich digitale Technologien selbst erarbeiten können (TK/TCK). Nach einem ersten Teil in Seminarform, bei dem erste praktische Erfahrungen mit den Bauteilen und die Programmierung im Vordergrund stehen, schließt sich daher ein zweiter Teil in Form einer Projektarbeit an, in der die gewonnenen Kenntnisse und Fähigkeiten aus Vorlesung und Seminar in einer eigenständigen Bearbeitung eines Problems zusammengeführt werden (Abb. 10.1). Essenziell ist hierbei, dass das Seminar zwar eine Einführung in den Arduino liefert, nicht aber darauf abzielt, alle Aspekte der Programmierung und Beschaltung abzudecken. Im Seminar lernen die Lehramtsstudierenden zunächst die Hardware, also den Arduino und erste exemplarische Bauteile, kennen. Dabei werden direkt Datenblätter und weitere Informationsquellen genutzt, um die Herangehensweise an neue Bauteile und Sensoren zu verdeutlichen. Diese Arbeitsmethodik wird im Laufe des Seminars bei der Einführung neuer Bauteile immer wieder eingeübt. Mit jedem neuen Bauelement werden zudem auch die Programmierelemente schrittweise erweitert und eingeübt. Dabei wird u. a. auf Beispiele aus den Bibliotheken zurückgegriffen, um auch hier die Arbeitsweise mit neuen Programmierelementen zu erlernen. Für diese ersten praktischen Aufgaben werden vor allem schultypische Experimentiermaterialien genutzt und schulrelevante Inhalte ausgewählt. So entwickeln und programmieren die Studierenden zum Beispiel in einer der ersten Seminareinheiten einen einfachen Temperatursensor und setzen diesen direkt für eine schultypische physikalische Messaufgabe ein.

In der Projektarbeit arbeiten sich die Lehramtsstudierenden eigenständig in eine Problemstellung ein und entwickeln selbstständig eine geeignete Lösung. Aus motivationalen Gründen wählen die Studierenden ihre Problemstellung individuell aus. Lediglich das Themenspektrum („Messen, Steuern, Regeln“) ist vorgegeben. Als Orientierungshilfe erhalten sie grobe Projektskizzen (z. B. zu Reaktionszeitmesser, Lichtschranke, CO2-Warner), die sie entweder konkretisieren oder als Inspiration für eine eigene Projektidee nutzen können. Durch die Projektarbeit weicht das EPLA gezielt vom klassischen Experimentalpraktikum ab, um eigenständiges Lernen und die Entwicklung von Strategien zu fördern, mit denen sich die Studierenden auch zukünftig neue Inhalte selbst erschließen können. Dabei spielt die Vermittlung von Herangehensweisen zur Informationsbeschaffung (u. a. Datenblätter, Beispiel-Code aus Bibliotheken) eine wichtige Rolle. Das Erlebnis, ein eigenes Projekt erfolgreich abzuschließen, kann sich darüber hinaus positiv auf die Einstellungen und Selbstwirksamkeitserwartung der angehenden Lehrkräfte auswirken (vgl. Bandura, 1977).

Um das EPLA an der CAU als adressatenspezifisches Praktikum (z. B. Theyßen, 2000) zu gestalten, wird an das spezifische Vorwissen der Studierendengruppe angeknüpft, schulrelevante Experimentiermaterialien ausgewählt und an verschiedenen Stellen Bezug zur Schulpraxis hergestellt. Damit ist auch das EPLA – wie bereits die anderen Praktika an der CAU (Andersen et al., 2018) – explizit lehramtsspezifisch ausgerichtet. Dieses Konzeptionsmerkmal verspricht, dass, wie von Andersen (2020) für ein lehramtsspezifisches Anfängerpraktikum gezeigt wurde, eine höhere wahrgenommene Relevanz und folglich ein gesteigerter Lernerfolg erzielt werden. Diese positiven Effekte sollen auch im EPLA genutzt werden.

10.3 Beforschung des Elektronikpraktikums

10.3.1 Methodisches Vorgehen

Die Neukonzeption, Implementierung und Weiterentwicklung des neuen EPLA wurden mit einem Design-based-Research-Ansatz begleitend beforscht, um u. a. das Erreichen der Lernziele sowie das dazu aufgestellte Konzept mit Seminar und Projektarbeit zu prüfen, die wahrgenommene Relevanz sowie damit die lehramtsspezifische Ausrichtung zu untersuchen und Verbesserungsmöglichkeiten zu identifizieren. Das neue EPLA wurde bisher in den Sommersemestern 2020 (\({N}_{1}=16\)) und 2021 (\({N}_{2}=10\)) durchgeführt. Die Erhebung umfasste Fragebögen (2020: nur Post, \({n}_{F1}=10\); 2021 Prä und Post, \({n}_{F2}=6\)) und Interviews (2020: \({n}_{I1}=6\); 2021: \({n}_{I2}=3\)). 2021 wurden anhand der Befunde aus 2020 bereits kleinere Überarbeitungen (u. a. ein stärkerer Bezug zum Physikunterricht und ein Übungsprojekt vor der eigenständigen Projektarbeit) umgesetzt, sodass die Daten beider Jahre nur bedingt zusammengefasst werden können. Aufgrund der geringen Stichprobengröße ist eine statistische Auswertung nur eingeschränkt möglich. Um dennoch erste Aussagen über das Konzept zu erhalten, wurden die Fragebogen-Daten deskriptiv und die Interviews qualitativ analysiert.

Die Erhebung ist explorativ angelegt, um eine große Bandbreite an Hinweisen zum Lernerfolg und zu Verbesserungsmöglichkeiten des EPLA zu erhalten. Die hier vorgestellte Studie konzentriert sich – auch bedingt durch die kleine Stichprobe – auf die nachfolgende Auswahl an erhobenen Konstrukten. Eine Basis dabei war der etablierte PraQ-Fragebogen zur Erfassung der Praktikumsqualität von Rehfeldt (2017), der in Bezug auf Lernzuwachs und Vorwissen auf Selbsteinschätzungen der Studierenden beruht und als Post-Fragebogen eingesetzt wird. Der PraQ-Fragebogen wurde adaptiert um die Selbsteinschätzungen der Studierenden im EPLA bzgl. ihres Vorwissens vor dem EPLA in Bezug auf den praktischen Umgang mit elektronischen Schaltungen und Erfahrungen im Programmieren (5 Items, \({\alpha }_{1}=0{,}84, {\alpha }_{2}=0{,}71\)) sowie bzgl. ihres Lernzuwachses aufgrund des EPLA in Bezug auf Fachwissen (6 Items, \({\alpha }_{2}=0{,}88\)), elektronische Schaltungen (10 Items, \({{\alpha }_{1}=0{,}90, \alpha }_{2}=0{,}86\)), Programmierung (14 Items, \({{\alpha }_{1}=0{,}96, \alpha }_{2}=0{,}96\)) und Steuerung (8 Items, \({{\alpha }_{1}=0{,}95, \alpha }_{2}=0{,}93\)) zu erfassen. Des Weiteren wurden motivationale Orientierung zum Einsatz des Arduino im Unterricht (6 Items, \({{\alpha }_{1}=0{,}89, \alpha }_{2}=0{,}79\), adaptiert nach Vogelsang et al., 2019), Einstellung gegenüber dem Erarbeiten neuer digitalen Technologien aufgrund des EPLA (5 Items, \({\alpha }_{2}=0{,}73\) entwickelt basierend auf Vogelsang et al., 2019 und Rehfeldt, 2017) und wahrgenommene Relevanz des Praktikums für die spätere Lehrtätigkeit (8 Items, \({{\alpha }_{1}=0{,}87, \alpha }_{2}=0{,}65\), adaptiert nach Schiefele et al., 2002) erhoben. Diese Skalen wurden im zweiten Durchlauf für den Prä- und Post-Fragebogen um Computational Thinking (23 Items, \({{\alpha }_{2pre}=0{,}95, \alpha }_{2post}=0{,}67\), übersetzt nach Weese & Feldhausen, 2017) ergänzt. Das strukturierte Leitfadeninterview (Einzelinterviews, online mit Tonaufnahme, durchschnittliche Dauer ca. 40 min) adressierte offene Fragen zu den Lernzielen, dem Seminar, der Projektarbeit und zum Praktikum im Allgemeinen.

10.3.2 Ergebnisse

Die Selbsteinschätzungen der Studierenden zeigten, dass die Vorkenntnisse in Bezug auf den praktischen Umgang mit elektronischen Schaltungen und Erfahrungen im Programmieren, sowohl in Bezug auf den Arduino als auch im Allgemeinen, wie erwartet, mit Mittelwerten unterhalb der Skalenmitte eher niedrig sind (Tab. 10.1). Die Interviews verdeutlichen zusätzlich die Heterogenität des Vorwissens. Die meist geringen Vorkenntnisse stammen dabei aus unterschiedlichen Quellen außerhalb des Lehramtsstudiums im Fach Physik (z. B. Schule, Zweitfach im Studium, persönliches Interesse).

Tab. 10.1 Deskriptive Statistik zu den erhobenen Konstrukten mit Mittelwert und Standardfehler (Likert-Skalen von 1 = „trifft nicht zu“ bis 4 (bzw. 5 oder 6) = „trifft voll zu“)

Diese Ergebnisse stützen damit nicht nur die Notwendigkeit einer spezifischen Lerngelegenheit für die Lehramtsstudierenden zur Entwicklung von Programmierkenntnissen, sie rechtfertigen auch die schrittweise Vermittlung basaler Programmierkenntnisse im EPLA. Gleichzeitig zeigt die Heterogenität des Vorwissens, dass eine Binnendifferenzierung erforderlich ist. Diese wurde im Rahmen der offenen Projektarbeit realisiert, in der die Studierenden ihr Projekt abhängig von ihrem Vorwissen auswählten und umsetzten. Studierende mit Vorkenntnissen wählten tendenziell komplexere Projekte als Studierende mit keinen oder wenig Vorkenntnissen. Dies reflektiert auch, dass alle Studierenden in der Projektphase für sie anspruchsvolle Themen gesucht haben und damit auch bei nennenswerten Vorkenntnissen vom EPLA profitieren können.

Selbsteinschätzungen des Lernzuwachses der Studierenden aufgrund des EPLA im Post-Test weisen auf Lernzuwächse in den Bereichen Fachwissen, elektronische Schaltungen und Programmierung hin (Tab. 10.1). Anhand der Fragebogendaten zeigt sich, dass die Selbsteinschätzungen des Computational Thinking der Studierenden vor und nach dem zweiten Durchlauf des EPLA signifikant und mit großem Effekt zugenommen haben (Tab. 10.1, abhängiger t-Test: \(t(6)= 5,98\), \(p<0,001\), Cohens \(d=1,22\)). In Bezug auf den Lernerfolg bzgl. Elektronik, Arduino und Programmierung zeigen die Interviews, dass die Studierenden die Lernziele, die sie für das EPLA erkannt haben, aus ihrer Sicht überwiegend erreicht haben („Ich würde im Großen und Ganzen schon sagen, dass ich die [Lernziele] erreicht habe“, TN 2020).

Auch wenn diese Indizien aufgrund der geringen Stichproben und der subjektiven Einschätzungen im Einzelnen einen Lernerfolg in Bezug auf die Grundlagen der Elektronik und Programmierung nicht belastbar nachweisen können, sind sie in ihrer Gesamtheit konsistent und weisen dadurch auf einen Lernerfolg im EPLA hin. Ferner wurden keine Hinweise gefunden, dass das Erreichen der klassischen fachlichen Lernziele (Vertiefung Elektronik) durch die neuen Lernziele zur Förderung digitaler Kompetenzen (Programmieren und selbstständiges Arbeiten mit digitalen Technologien) benachteiligt wurde. Dies spricht für ein Gelingen der Integration der Lerninhalte zur Förderung digitaler Kompetenzen in eine bestehende Lehrveranstaltung.

Die Neukonzeption zielte nicht nur auf die Vermittlung von Inhaltswissen ab, sondern auch von Strategien, sich selbst neue Technologien zu erarbeiten. Dieses Lernziel wurde von etwa der Hälfte der Studierenden auch als solches benannt. Von den befragten Studierenden wurden im Interview explizit die Anwendung von Strategien wie das Hinzunehmen von Beispielen aus verschiedenen im Seminar genutzten Quellen (9 von 9 TN), die Nutzung von Datenblättern (2 von 9 TN) und die Anwendung von Strategien beim Programmieren (2 von 9 TN) geäußert. Auch die Auswahl und Umsetzung anspruchsvoller Projekte ist ein Indiz dafür, dass die Studierenden die Strategien zur Aneignung von Neuem erfolgreich genutzt haben. Neben dem Erlernen von Strategien half das Seminar dabei, Hemmungen gegenüber dieser Einarbeitung in den Arduino abzubauen: „[Es] wurde so ein bisschen die Hemmung genommen, dass man sich damit mehr auseinandersetzt“ (TN 2020). Ebenso scheint das EPLA das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gestärkt zu haben, sich auch in andere neue Technologien einarbeiten zu können: „Wenn man irgendwie was Anderes hat, was ähnlich funktioniert …, aber [man] sich halt schon mal irgendwie da eingearbeitet hat, dann wird es einem da ja auch leichter fallen“ (TN 2020). Ferner zeigen die Fragebogenerhebungen, dass die Motivation zur Nutzung des Arduino im Unterricht am Ende des Praktikums eher hoch ist und die Studierenden aufgrund des Praktikums der Einarbeitung in neue digitale Technologien eher positiv gegenüberstehen (Tab. 10.1).

Damit zeigt sich insgesamt eine Reihe an konsistenten Indizien, dass die eingeübten Strategien zur Einarbeitung in digitale Technologien sinnvoll eingesetzt wurden. Darüber hinaus deuten Hinweise aus den Daten und Interviews konsistent darauf hin, dass sich die Einstellungen der Studierenden bzgl. der selbstständigen Einarbeitung in digitale Technologien durch das EPLA zum Positiven verändert haben (zumindest in der Selbsteinschätzung). Es ließen sich auch Hinweise finden, dass mit einem zukünftigen Einsatz von digitalen Technologien im Unterricht durch die angehenden Lehrkräfte zu rechnen ist. Im Vergleich zum Lernerfolg bzgl. der Strategien ist in den Interviews besonders auffällig, dass die Entwicklung von positiven Einstellungen häufiger von den Studierenden explizit als Lernerfolg hervorgehoben wurde (4 von 9 TN) als die Aneignung der Arbeitsweise selbst (1 von 9 TN). Das kann zum einen darauf hindeuten, dass die Entwicklung dieser positiven Einstellungen auch eine Konsequenz der entwickelten Strategien sein kann, die für die Studierenden ein deutliches wahrnehmbares Resultat ist. Zum anderen kann es darauf hinweisen, wie bedeutend es für die Studierenden ist, sich an die Einarbeitung des Arduinos herangetraut zu haben. Interessanterweise wird aus den Aussagen der Studierenden, die angeben, dass im Praktikum Hemmungen genommen wurden, auch oft deutlich, dass das Praktikum oder ein Aspekt davon (z. B. das Projekt) ein Erfolgserlebnis war. Gleichzeitig kann einem Interview auch entnommen werden, dass das Zutrauen, den Arduino im Unterricht einzusetzen, geringer ist, wenn ein Unwillen gegenüber dem selbstständigen Einarbeiten in die Thematik besteht und das Praktikum von der Person als weniger erfolgreich wahrgenommen wird. Diese Ergebnisse geben Hinweise darauf, dass das Erfolgserlebnis bei der Einarbeitung in neue Technologien wichtig für die Entwicklung von Selbstwirksamkeitserwartungen und von positiven Einstellungen der Lehramtsstudierenden ist. Da Selbstwirksamkeitserwartungen bedingen, ob sich Lehrkräfte an neue Herausforderungen heranwagen (Schmitz & Schwarzer, 2000) – sich im Kontext dieser Studie also selbst in neue digitale Technologien einarbeiten und diese auch im Unterricht einsetzen –, ist es wichtig, die Studierenden zu motivieren, ihre Komfortzone zu verlassen und nicht nur Wissen zu konsumieren, sondern auch mit Erfolg eigenes Wissen zu generieren. Insgesamt stützen die Ergebnisse das Konzept des EPLA, selbstständige Arbeitsmethoden zu vermitteln und genau diese Erfolgserlebnisse zu erzielen, damit sich die Studierenden in ihrer zukünftigen Lehrtätigkeit an neue Technologien heranwagen.

Das neue EPLA wurde von den Studierenden als relevant wahrgenommen (Tab. 10.1). Studierende sehen die Relevanz von Programmierkenntnissen aufgrund des digitalen Wandels und der damit verbundenen Anforderungen in der Schule (z. B. „Bestimmt immer mehr, weil man bestimmt immer mehr auch so nen bisschen Richtung Programmieren gehen muss und vermutlich müssen das auch Physiklehrer ein bisschen abdecken“, TN 2021). Dabei bemessen sie am Nutzen für die Schule zum einen ihren Lernerfolg („… ich hab echt viel aus dem Praktikum mitgenommen und wüsste … wie ich damit auch vor ne Klasse treten kann“, TN 2021) und zum anderen auch die Relevanz („... es ist … vorstellbar, dass man sowas … mit Schülern und Schülerinnen macht. Deswegen ist es dann halt sehr wichtig, wenn ich mich damit auf jeden Fall auskenne“, TN 2021). Ferner werden Schwierigkeitsgrad, Zeitaufwand und Materialaufwand für die Einarbeitung in den Arduino für die Beurteilung der Nutzbarkeit in der Schule und damit der Relevanz herangezogen („Aber ich habe dann auch beim Erarbeiten des Ganzen gemerkt, dass es ja gar nicht so schwierig ist und ich glaube, dass bekommen auch Oberstufenschüler ganz gut hin“, TN 2020). Mit Ausnahme einer Person (TN 2021) scheinen den Studierenden die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten des Arduinos im Physikunterricht jenseits von Programmier-AGs oder Projektwochen jedoch noch nicht klar geworden zu sein. Das macht deutlich, dass eine Anbahnung der fachdidaktischen Komponente (TPACK) im EPLA bereits sinnvoll ist.

Die Vielzahl an Indizien, dass die Lerninhalte des EPLA als relevant wahrgenommen werden, sind bedeutsam für das Konzept des EPLA, weil sich gezeigt hat, dass eine höhere wahrgenommene Relevanz mit einem höheren Interesse und einem höheren Lernerfolg einhergeht (Andersen, 2020). Die Bewertung der Relevanz von Lerninhalten aus einer oft schulpraktischen Perspektive deckt sich mit früheren Studien (Lorentzen et al., 2019; Andersen, 2020). Jedoch wurde auch deutlich, dass der Bezug zum Physikunterricht im EPLA durch die Darstellung der Einsatzmöglichkeiten des Arduinos im Physikunterricht in seiner ganzen Bandbreite noch mehr verdeutlicht werden sollte. Dazu wurden im Seminar 2021 bereits vermehrt praktische Aufgaben mit dem Arduino gestellt, die im Physikunterricht anwendbar sind (z. B. Umsetzung und Anwendung Temperatursensor). Auch wenn weitere Optimierungsschritte in diese Richtung wünschenswert sind, wurde insgesamt bzgl. der Relevanz bereits ein wesentliches Ziel der Konzeption des EPLA erreicht.

10.4 Fazit

Die Innovation des neuen lehramtsspezifischen Elektronikpraktikums (EPLA) besteht vor allem darin, dass es nicht nur klassisch eine Lerngelegenheit für Fachwissen bildet, sondern auch für technologisches Wissen (TK) und technologiebezogenes Fachwissen (TCK). So erarbeiten sich die Studierenden im neuen EPLA ein übergeordnetes Verständnis schulrelevanter Messtechnik und die Grundlagen des Programmierens (TK). Der dazu genutzte Mikrocontroller Arduino hat eine hohe Relevanz für den Physikunterricht, ist aber wie andere digitale Technologien ggf. einer gewissen Kurzlebigkeit unterworfen und daher als exemplarisch aufzufassen. Zentral ist daher im EPLA, dass die Studierenden Strategien entwickeln, sich basierend auf den erlernten Grundlagen neue Technologien, die über den Arduino hinausgehen und beispielsweise in zehn Jahren den Schulalltag bestimmen, selbstständig zu erschließen (TK/TCK).

Der Design-based-Research-Ansatz mit zwei ersten Durchläufen im neu konzipierten EPLA hat sich trotz kleiner Stichproben als sehr nützlich herausgestellt, um die Konzeption des neuen EPLA zu prüfen. So konnte eine Reihe von Indizien gefunden werden, die in ihrer Gesamtheit ein konsistentes Bild liefern und zeigen, dass das lehramtsspezifische Konzept des neuen EPLA sinnvoll ist. Da diesbezüglich aus der Interviewstudie insbesondere hervorgeht, dass die angehenden Lehrkräfte die Relevanz der Lerninhalte aus einer schulpraktischen Perspektive beurteilen, ist der explizite und durchgehende Bezug zur Schulpraxis als zentrales Gestaltungselement einer lehramtsspezifischen Lehrveranstaltung zu werten. Weiterhin wurde eine Vielzahl an Indizien für das Erreichen der Lernziele bzgl. digitaler und fachlicher Kompetenzen gefunden, ohne dass diese in Konkurrenz stehen. Dies unterstreicht den Erfolg der Integration der Lernziele bzgl. digitaler Kompetenzen durch eine gelungene Abstimmung mit den fachlichen Lernzielen. Die methodische Ausgestaltung und das damit verbundene Zusammenspiel aus Erlernen (im Flipped Classroom und im Seminar) und Anwenden (im Seminar und in der eigenständigen Projektarbeit) haben offensichtlich zu entsprechenden Erfolgserlebnissen geführt. Es stellt damit ein vielversprechendes Konzept dar, mit dem die Studierenden nicht nur die Arbeitsweise, sondern auch das Zutrauen entwickeln, um sich in neue digitale Technologien einzuarbeiten. Folglich fördert das EPLA gemäß dem TPACK-Modell die digitalen Kompetenzen der angehenden Lehrkräfte und versetzt sie so in die Lage, sich digitale Innovationen für die spätere Lehrtätigkeit anzueignen und diese im Physikunterricht einzusetzen. Insbesondere die Integration von Lerninhalten zur Förderung von digitalen Kompetenzen in bestehende Lehrveranstaltungen und die Vermittlung der selbstständigen Arbeitsmethodik machen das Praktikumskonzept damit nicht nur interessant für andere Standorte, sondern auch für andere MINT-Fächer.

10.5 Förderhinweis und Danksagung

Dieser Beitrag ist im Rahmen des von der Deutsche Telekom Stiftung geförderten Verbundprojektes „Die Zukunft des MINT-Lernens“ entstanden. Zudem werden die Weiterentwicklung des Konzeptes und die Beforschung des lehramtsspezifischen Elektronikpraktikums von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel im Rahmen des Hochschulpakts gefördert. Unser Dank geht auch an unsere Hilfskräfte Anna Mieth und Ann-Kathrin Brauer, die bei der Durchführung, Transkription und Kodierung der Interviews mitgewirkt haben.