5.1 Vorhaben des Projektes IN-DIG-O

Effektive interdisziplinäre Zusammenarbeit (Hofstadler & Motzko, 2021) und das Einbringen neuen Wissens ins Unternehmen (Kauffeld & Paulsen, 2018) sind zwei wesentliche Stellschrauben für den Erfolg kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) im Baugewerbe. Eine effektive gewerkübergreifende Zusammenarbeit beispielsweise mittels Building Information Modeling (BIM) erhöht die Produktivität, die Effizienz und die Qualität des Endproduktes (Forgues et al., 2016). Allerdings nimmt die Veränderung von Bauprozessen – bedingt durch die vielen Agierenden entlang der Wertschöpfungskette, die zudem häufig Einzelinteressen verfolgen – eine hohe Komplexität an (Mattiszik et al., 2021). Dabei zudem: „Aus einem schlechten analogen wird nie ein guter digitaler Prozess.“ (Dr. Matthias Jacob, Vizepräsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie e. V. und Vorsitzender des Deutschen Beton- und Bautechnikvereins e. V.; Hofstadler & Motzko, 2021, S. V). Hierfür ist unter anderem eine proaktive menschenzentrierte Gestaltung der Technologie und Arbeit vonnöten (Parker & Grote, 2020). Um für die Herausforderungen der Digitalisierung in einer sich wandelnden Arbeitswelt gewappnet zu sein, sind passgenaue Weiterbildungen, das anschließende effektive Transferieren der neuen Kenntnisse in das Unternehmen und die effiziente Weitergabe an das Kollegium besonders bedeutsam (Casey, 2005; Ho, 2018; Kauffeld & Berg, 2022; Knipfer et al., 2013; Torraco & Lundgren, 2020; Wang & Ahmed, 2003).

Das Projekt IN-DIG-O (siehe Infobox zu Vorstellung des Projekts IN-DIG-O) setzt an diesen Stellschrauben – der interdisziplinären Zusammenarbeit und dem Einbringen neuen Wissens ins Unternehmen – an, indem es zwei praktikable digitale Tools präsentiert, die schnell nutzbar sind und geringe Anforderungen an System und Nutzende stellen. Sie richten sich vorrangig an KMU, die schmale und passgenaue digitale Lösungen benötigen oder bevorzugen. Das eine digitale Tool, Koop-3D, erleichtert die Zusammenarbeit verschiedener Gewerke beim Hausbau über ein 3D-Modell. Um die erworbenen Kompetenzen zur Nutzung von Koop-3D ins Unternehmen zu transferieren, kommt das andere digitale Tool, das LeWiT-Tool, zum Einsatz. Das LeWiT-Tool unterstützt beim Lerntransfer und der Wissensweitergabe nach dem Besuch von Weiterbildungen. Das Projekt IN-DIG-O leistet somit einen Beitrag zur fachspezifischen und -übergreifenden Kompetenzentwicklung von KMU.

Bereits in der Entwicklungs- und Erprobungsphase ist es wichtig eine Abschätzung der Konsequenzen der Digitalisierung vorzunehmen, um erwünschte Veränderungen zu erreichen, weitere Potenziale zu nutzen und unerwünschte Konsequenzen abzupuffern. Das Projekt IN-DIG-O betrachtet hierbei die Digitalisierung im Rahmen des soziotechnischen Systems (Ulich, 2013), das die Abhängigkeit von Technik, Mitarbeitenden und der Organisation untereinander fokussiert. Eine Innovation auf technischer Ebene hat für die Mitarbeitenden und die Organisation Konsequenzen. Im Gegenzug beeinflussen die Mitarbeitenden und die organisationalen Strukturen die Entwicklung, Implementierung und Nutzung technischer Innovationen. Bei vielen technischen Veränderungen hinkt der organisationale Wandel hinterher (Pasmore et al., 2019). Um die organisationalen Veränderungen, die mit Koop-3D und dem LeWiT-Tool einhergehen (sollen), proaktiv gestaltbar zu machen, ist eine deskriptive, normative und prädiktive Analyse (Baxter & Sommerville, 2011) der Arbeitsaufgaben, -prozesse und -gestaltung (siehe z. B. Arbeitsgestaltungsdimensionen nach Parker et al., 2017 oder Handke et al., 2020) wesentlich.

Der vorliegende Beitrag verfolgt zwei Ziele. Zum einen werden die beiden digitalen Tools und ihr Nutzen für KMU vorgestellt. Zum anderen sollen Learnings aus den Erfahrungen mit Technikakzeptanzmaßnahmen in der Entwicklung und Erprobung der beiden digitalen Tools gezogen werden. Abschn. 5.2 fokussiert auf das Tool Koop-3D, Abschn. 5.3 auf das LeWiT-Tool. Abschn. 5.4 beleuchtet die Learnings aus den Entwicklungs- und Erprobungsphasen. Der Beitrag endet mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick (Abschn. 5.5).

Vorstellung des Projekts IN-DIG-O

Ziel des Projekts IN-DIG-O – Kooperieren und lernen in innovativen Netzwerken im Bau: Schnittstellen digital optimieren ist die Entwicklung und Erprobung zweier digitaler Tools: Koop-3D zur Optimierung der gewerkübergreifenden Kooperation im Baugewerbe (siehe Abschn. 5.2) und das LeWiT-Tool zur Unterstützung des Lerntransfer und der Wissensweitergabe (siehe Abschn. 5.3). Die Integration der digitalen Tools in die betriebliche Praxis wird durch Beratungskonzepte und Schulungen sowie durch den Aufbau eines Netzwerks begleitet. Weiterhin werden im Projekt Forschungserkenntnisse generiert, wie die Toolentwicklungen und -implementierungen gezielt unterstützt, Lerntransferprozesse optimiert und die Veränderungen von (digitalen) Arbeits- und Lernprozessen begleitet werden können. IN-DIG-O wird vom Lehrstuhl Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie der Technischen Universität Braunschweig (kurz: TU Braunschweig) geleitet. cadwork informatik Software GmbH (kurz: cadwork) entwickelt Koop-3D. Das LeWiT-Tool wird von 4 A-SIDE GmbH (kurz: 4 A-SIDE) entwickelt. Die digitalen Tools werden von den Anwendungsunternehmen SAINT-GOBAIN Brüggemann Holzbau GmbH (kurz: Brüggemann) und ebm GmbH & Co. KG (kurz: ebm) erprobt. Brüggemann ist das Hauptanwendungsunternehmen für Koop-3D, ebm für das LeWiT-Tool. Das Berufsbildungs- und Technologiezentrum (BTZ) der Handwerkskammer Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim erstellt in Kooperation mit der TU Braunschweig die Schulungs- und Beratungskonzepte zu den beiden digitalen Tools und baut ein Netzwerk auf. Weitere Informationen finden Sie unter www.projekt-indigo.de.

5.2 Koop-3D – das digitale Tool zur gewerkübergreifenden Zusammenarbeit in der Hausbauplanung und -ausführung

Die Baubranche ist polypolistisch und überwiegend durch ortsansässige KMU geprägt (Knoepfel, 1992). In Deutschland liefern die KMU vor allem beim Bau von Einfamilien- und Doppelhäusern meist individuelle Einzelanfertigungen (Verhoog, 2018). Sie verteilen die Aufgaben im Bauprozess traditionsgemäß auf mehrere Unternehmen, die projektweise koordiniert werden müssen (Verhoog, 2018). Durch diese Fragmentierung entsteht ein hoher Bedarf an Informationsaustausch (Johnson et al., 2002; Macomber, 2003; Nitithamyong & Skibniewski, 2004). Deshalb wird international bereits eine starke Diskussion zur Verbesserung der Kooperation geführt, die auch in Deutschland als beginnender baubranchenspezifischer Trend gesehen wird (Verhoog, 2018). Die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) zur Verbesserung der Kommunikation zwischen den Gewerken wird dabei häufig hervorgehoben (Charoenngam et al., 2003; Nitithamyong & Skibniewski, 2004).

Das Projekt IN-DIG-O setzt mit der Entwicklung und Erprobung des digitalen Tools Koop-3D (siehe Infobox zu Koop-3D in Kürze) hier an. Es ist für den interdisziplinären Austausch zwischen KMU verschiedener Gewerke beim Hausbau konzipiert, die noch nicht BIM-fähig sind. Bevor das digitale Tool näher vorgestellt wird, wird im Folgenden auf das bisherige Vorgehen in der Kooperation und die Digitalisierung von KMU im Baugewerbe eingegangen. Nach der Vorstellung des digitalen Tools werden Evaluationsergebnisse und abschließend eine Schulung zu BIM und Koop-3D präsentiert.

Koop-3D in Kürze

Das digitale Tool Koop-3D unterstützt die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Planungs- und Ausführungsphase im Hausbau. Es orientiert sich an Kernelementen des Building Information Modeling (BIM, z. B. Miettinen & Paavola, 2014; Wu et al., 2018), um den Austausch zwischen den Gewerken zu erleichtern und besser zu dokumentieren, Planungsangaben eineindeutiger zu erfassen, um damit den Interpretationsspielraum zu reduzieren und die Passung der Planungen und Ausführungen der unterschiedlichen Gewerke zueinander zu optimieren. Um KMU, die häufig (noch) nicht über die benötigten Kompetenzen zur vollumfänglichen Nutzung von BIM verfügen, den Zugang zu ermöglichen, können sich Nutzende in der Webbrowser-App ohne IT-Kenntnisse virtuell in einem 3D-Gebäudemodell frei bewegen, das als eine Art virtueller Zwilling die wesentlichen Merkmale des (geplanten) realen Gebäudes umfasst. Eingaben können über Point-and-Click, Dropdownmenus und offene Eingabefelder getätigt werden.

5.2.1 Traditionelles Vorgehen in der Gebäudeplanung und -ausführung im Holzbau

Das traditionelle Vorgehen in der Gebäudeplanung und -bauausführung wird auf Basis der Prozesse des Anwendungsunternehmens Brüggemann im Holzbau beschrieben. Brüggemann produziert Holz- und Holzrahmen-Elemente und nimmt in der Kooperation mit HSLE- (Heizung-, Lüftung-, Sanitär-, Elektro-) Betrieben häufig die Funktion des Totalunternehmens ein, indem es als Bauunternehmen sowohl Leistungen in der Bauplanung als auch -ausführung übernimmt. Als KMU mit rund 150 Mitarbeitenden führen sie ihre Bauaufgaben nicht an Großbaustellen, sondern vielmehr bei kleineren Bauvorhaben wie beispielsweise Einfamilien- oder Doppelhäusern aus.

Der Planungsprozess (siehe Abb. 5.1) wird durch den Bauauftrag mit spezifischen Vorgaben von den Bauverantwortlichen ausgelöst. Nachdem der Auftrag zu einem Entwurf mit ggf. weiteren Vorgaben ausgearbeitet und ausgeschrieben wurde, erstellt das beauftragte Holzbauunternehmen einen detaillierten 3D-CAD-(Computer Aided Design-)Entwurf, der um wesentliche Randbedingungen von dem*der Statiker*in ergänzt wird. Anschließend werden die Planungen der HLSE-Gewerke integriert. Der gesamtplanenden Person werden die Fachplanungen meistens mangels Erfahrungen mit CAD-gestützter Planung durch handschriftlich ergänzte 2D-Zeichnungen mit dem Faxgerät oder per E-Mail übersendet. Die Qualität der Fachplanung kann daher häufig lückenhaft sein. Die Fachplanungsübergabe wird nicht in einem geführten Prozess vollzogen, der eine definierte Qualität sicherstellt, sondern durch die individuellen Fähigkeiten und Ansichten der fachplanenden Person bestimmt. Es gibt keinen Mechanismus, der die Vollständigkeit der Planungen überprüft. Bei kleineren Bauvorhaben fehlen zudem häufig die fachspezifischen Planungen, solange eine Bauausführung auch ohne diese Planungen möglich ist. Die Planung von Schnittmengen zwischen den Gewerken (z. B. Abhängigkeit der Elektroinstallationen von der Sanitärplanung) läuft meistens über das Holzbauunternehmen und erfordert häufig mehrere Abstimmungsschleifen mit den Kooperationsbeteiligten. Aus dem um die Gewerkeplanungen ergänzten 3D-CAD-Modell werden 2D-Pläne zur Freigabe durch das Bauamt generiert. Falls abschließende Änderungen notwendig werden, werden sie durch das Holzbauunternehmen in das finale 3D-CAD-Modell integriert. Die Tief- und Innenausbaubetriebe sichten die Planungen von dem*der Statiker*in und ggf. vom Holzbauunternehmen. Anschließend startet die Ausführungsphase. Eine detaillierte Beschreibung der Kooperationsform und -gestaltung in der Gebäudeplanungsphase kann bei Rothenbusch und Kauffeld (2020) nachgelesen werden.

Abb. 5.1
figure 1

Traditioneller Arbeitsprozess in der Gebäudeplanung im Holzbau am Beispiel des Unternehmens Brüggemann

In der Ausführungsphase des Gebäudebaus arbeitet das Holzbauteam nach den vorbereiteten Montageplänen. Wenn etwas nicht passt (z. B. eine Betonwand wird anstatt senkrecht mit einer deutlichen Schiefstellung vorgefunden), muss schnell (!) eine Lösung gefunden werden, da der Kran und die Mitarbeitenden auch während der Lösungssuche warten und Geld kosten. Es werden dann meist auf telefonischem Wege Absprachen getroffen, wie das Problem gelöst und das Richten des Gebäudes fortgeführt werden kann. Eine Dokumentation in Form von Bildern findet meist nur am Rande statt, wenn ein Bild von dem Problem zur planenden Person geschickt wird. Auch eine Aktennotiz ist oft davon abhängig, ob die planende Person sich die Zeit dafür nimmt. In manchen Fällen lösen die Mitarbeitenden auf der Baustelle Probleme auch eigenverantwortlich, ohne Rücksprache zu halten. Wenn die Betonwand zu schief steht, muss ein Stück von der Holzrahmenbauwand weggeschnitten werden nach dem Motto „Was nicht passt, wird passend gemacht“. In den Montageplänen werden die auf der Baustelle vorgenommenen Änderungen nicht mehr eingepflegt. Wenn nach der Gebäudemontage Fehler auffallen, wie z. B. ein falsch geplanter Wanddurchbruch, hat man für die Fehlerbehebung meist etwas mehr Zeit alternative Ausführungen zu finden. Aber auch hier werden oft praktikable Lösungen während persönlicher Absprachen (telefonisch oder bei Baubegehung) getroffen.

Sowohl in der Planungs- als auch in der Ausführungsphase wird vom Anwendungsunternehmen Optimierungsbedarf gesehen. Die Hoffnung besteht, dass durch Digitalisierung die erwünschten Veränderungen erreichen werden können.

5.2.2 Optimierung der Gebäudeplanung und Bauausführung von KMU durch Digitalisierung

Das Baugewerbe wird im Vergleich zu anderen Branchen langsam (Telekom, 2020), aber stetig digitalisiert (Naegele et al., 2015). Nach den Erfahrungen des IN-DIG-O-Anwendungsunternehmen Brüggemann werden die Planungsmethoden größerer, intensiv durchgeplanter Bauwerke digitalisiert und gehen in eine interdisziplinäre, dreidimensionale Planung über. Währenddessen laufen die üblichen Teilnehmenden kleinerer Bauwerke Gefahr, als paralleler Handwerkszweig von dieser Entwicklung ausgeschlossen zu werden und so den Anschluss zu verlieren. Obwohl die Kommunikation kleiner und mittlerer Handwerksunternehmen auf wackeligen Beinen steht, ist eine ressourcenaufwendige, digitale Aufrüstung oft nicht möglich. Es bedarf daher einfacher digitaler Werkzeuge, die es diesen Unternehmen erlauben, an der digitalen Entwicklung zumindest teilzuhaben und Informationen mit anderen Bauplanenden und -ausführenden auszutauschen.

Eine bedeutsame digitale Entwicklung ist die Nutzung von Building Information Modeling (BIM; z. B. Miettinen & Paavola, 2014; Wu et al., 2018) im Gebäudebau. BIM steht für die Nutzung drei- oder mehrdimensionaler virtueller Repräsentationen zur interdisziplinären Zusammenarbeit bei der Gebäudeplanung, -ausführung und -nutzung (Chan et al., 2018; Miettinen & Paavola, 2014). BIM bietet laut Jacobsson und Merschbrock (2018):

  • auf einer technischen Ebene präzise geometrische Gebäuderepräsentationen, eine integrierte Datenumgebung, das Sammeln von Daten an einem Ort und eine intuitivere Darstellung der Daten als im 2D-Raum

  • auf einer Prozessebene schnelle und akkurate Aktualisierungen bei Veränderungen sowie Unterstützung in der Entwicklung, dem Management, dem Verlauf und der Ablieferung des Projektes

  • auf einer Systemebene eine verbesserte Kommunikation zwischen den Projektbeteiligten sowie ein Geschäfts- und Kommunikationsnetzwerk

Dieser technologischen Vision von BIM kann in der Praxis von KMU häufig nicht entsprochen werden (Davies et al., 2017; Miettinen & Paavola, 2014), da weder die benötigten Kompetenzen noch Ressourcen zur Verfügung stehen. Um der vom Anwendungsunternehmen Brüggemann genannten Gefahr einer Parallelwelt entgegenzuwirken, müssen daher passgenaue digitale Tools entwickelt werden, die einerseits gewinnbringende Aspekte von BIM wie zum Beispiel das gemeinsame Arbeiten an einem 3D-Modell ermöglichen, als auch andererseits den Kompetenz- und Ressourcenspektrum der beteiligten Unternehmen entsprechen. Das digitale Tool Koop-3D des Projekts IN-DIG-O wird nach diesen Prämissen entwickelt und erprobt, indem es sich an BIM orientiert, jedoch ohne Fähigkeiten zur 3D-Modellierung nutzbar ist.

5.2.3 Bestandteile und Nutzung des digitalen Tools Koop-3D

Die Konzeption und Entwicklung von Koop-3D basiert auf einem Abgleich des Ist-Zustands (deskriptiver Blick auf die Baukooperation, z. B. lückenhafte Informationsweitergabe durch fehlende oder mehrdeutige Angaben in 2D-Plänen), des Soll-Zustands (normativer Blick auf die gewünschte Kooperation, z. B. eineindeutige Informationen durch Nutzung von 3D-Plänen) und des Kann-Zustands (prädiktiver Blick auf mögliche Veränderungen der Kooperation durch Koop-3D, z. B. verbesserte Informationsweitergabe, stärker paralleles Arbeiten und stärkere Sichtbarkeit der Abhängigkeiten). Weitere Informationen zur Anwendung dieses Ansatzes von Baxter und Sommerville (2011) auf Koop-3D sind bei Rothenbusch und Kauffeld (2020) zu finden.

Das Tool Koop-3D besteht aus einer Web-Anwendung, die zwei Anwendungsgebiete bedienen soll. Ein Anwendungsgebiet ist die vernetzte Erstellung der Fachplanung für die Gebäudeausrüstung in der 3D-Planung des Totalunternehmens. Das zweite Anwendungsgebiet ist die Dokumentation und Meldung von Planabweichungen in der Bauphase eines Gebäudes. Zur Erfüllung beider Aufgaben stellt Koop-3D eine Benutzerverwaltung bereit, in dem Unternehmen, Benutzende und Projekte verwaltet werden können. Koop-3D visualisiert zudem ein 3D-Gebäudemodell, das in einem CAD-System erzeugt und hochgeladen werden kann. Verschiedene Grafik-Modi und Operatoren ermöglichen den Nutzenden ein komfortables Navigieren durch das Gebäude. Der über das Internet verfügbare Server von Koop-3D dient zur Verwaltung der Benutzerkonten und Projektdaten. Da Koop-3D in jedem Internetbrowser läuft, lässt es sich ohne lokale Installation sofort nutzen. Auf beliebigen mobilen Geräten mit funktionsfähigem Browser können die Daten angesehen und manipuliert werden.

5.2.3.1 Koop-3D in der Gebäudeplanung

Die durch Koop-3D angebotene Planungsmethode verfolgt ebenso wie BIM das Prinzip der interdisziplinären Planung und bietet kleinen oder mittleren Handwerksunternehmen so einen guten Einstieg in die moderne, dreidimensionale Planung. Koop-3D optimiert die gewerkübergreifende Kooperation, indem es den Gewerken eine Plattform bietet, ihre Fachplanungen in ein gemeinsames 3D-Gebäudemodell einzutragen (siehe Abb. 5.2). In der Planungsphase kann der*die Konstrukteur*in des Totalunternehmens Subunternehmen in die digitale 3D Planung einbeziehen. Dazu erstellt der*die Konstrukteur*in aus den ersten 3D-Entwurfsplanungen ein Projekt in Koop-3D. Wichtige unverschiebliche Elemente werden jetzt bereits in das Projekt aufgenommen und gekennzeichnet, um den fachplanenden Personen ein möglichst exaktes Bild des Gebäudes zu geben. Der 3D-Rohgebäudeentwurf (Abb. 5.3) kann durch den*die Konstrukteur*in in cadwork 3D oder aus 3D-Daten anderer Formate (IFC, Revit, DXF), die in cadwork 3D konvertiert werden, erstellt werden. Die Subunternehmen, ob Elektrik oder Heizungsbau, werden vom Totalunternehmen beauftragt, die für das jeweilige Gewerk notwendigen Objekte in das Tool Koop-3D einzuplanen. Wenn die Planung eines Subunternehmens abgeschlossen ist, übernimmt der*die Konstrukteur*in die Daten aus Koop-3D und integriert die Fachplanung in die Gesamtplanung. Eventuelle Konflikte zwischen Fach- und Gesamtplanung müssen von der gesamtplanenden Person gelöst werden und wieder in das Koop-3D Tool zurückgeschrieben werden, damit auch die fachplanenden Personen von der Lösung erfahren und ihre Fachplanungen entsprechend anpassen.

Abb. 5.2
figure 2

Veränderter Arbeitsprozess in der Gebäudeplanung durch Koop-3D im Holzbau am Beispiel des Unternehmens Brüggemann

Abb. 5.3
figure 3

Grafik-Modi in Koop-3D

Projektplanungen können in Koop-3D im 3D-Visualisierungsbereich vorgenommen werden. Es müssen konkrete Daten wie zum Beispiel Position, Anzahl und Lage eines Objektes eingegeben werden, die sich je nach Fachplanung unterscheiden. So sind für die Elektro-Planung andere Daten erforderlich als beispielsweise für die Heizungsplanung. Koop-3D stellt einen Menü-Editor bereit, mit dem das Menü individuell an die verschiedenen Anforderungen angepasst werden kann. Die unterschiedlichen Datentypen und Abfragen – ob optional oder obligatorisch – werden mit dem Menü-Editor frei miteinander verknüpft, sodass im Ergebnis eine auf den Anwendungsfall und das jeweilige Gewerk angepasste Eingabemaske entsteht.

Die Verknüpfung von Koop-3D mit cadwork 3D ist ein wichtiger Baustein, um eine nahtlose 3D-Planung zu realisieren. Sie ermöglicht die digitale Datenübertragung der Fachplanungen, die von der gesamtplanenden Person in der Gesamtgebäudeplanung zusammengeführt werden.

Der Nutzen von Koop-3D liegt in allen Funktionen und Informationen, die dieses digitale Tool über eine 2D-Planung mit Stift und Papier hinaus liefert:

  • Bei der Arbeit in einem 3D-Modell werden geometrische Abhängigkeiten bereits im Zuge der Planungen sichtbar. So wird für die planenden Handwerker*innen schon früh sichtbar, ob sich ihre Planungen (z. B. der Wanddurchbruch für eine Rohrleitung) auch bei der Bauausführung realisieren lassen oder ob es zu Kollisionen kommt und andere Lösungswege erforderlich werden. Derartige Maßnahmen sind auf Basis konventioneller 2D-Planungen nicht möglich oder können von anderen planenden Personen höchstens durch Zufall frühzeitig erkannt werden. Üblicherweise treten solche Probleme sogar erst auf der Baustelle zutage und führen zu (noch teurerem) Mehraufwand durch Personalkosten und Terminverzögerungen.

  • Die räumliche Darstellung der Gebäudegeometrie führt bei allen beteiligten Personen zu einem verbesserten Verständnis für das Gebäude. So kann im 3D-Modell schon aus logischen Zusammenhängen und dem Selbstverständnis der planenden Personen heraus etwaige Flüchtigkeitsfehler erkannt und eliminiert werden, die auf einem zweidimensionalen Plan in der Regel leichter untergehen – beispielsweise das Fehlen von Installationen an für fachplanende Personen selbstverständlichen Punkten (z. B. das Klingelkabel an der Hauseingangstür).

  • Die dreidimensionale Visualisierung der Bauaufgabe kann unterstützen, den Bauhandwerker*innen vor der Ausführung komplexerer Aufgaben die daran beteiligten Sachverhalte zu verdeutlichen.

  • Bauherr*innen, die in der Regel als Laien auf die Erstellung von Gebäuden blicken, können bei Bedarf durch eine dreidimensionale Visualisierung mitgenommen werden. Dadurch verbessert sich die Kommunikation zwischen fachkundigen Personen und Laien. Missverständnisse werden auf diese Weise vermieden und die Bauherr*innen zum frühzeitigen Treffen notwendiger Entscheidungen animiert. Ganz nebenbei vermitteln Handwerker*innen ihrer Kundschaft durch diese professionelle Herangehensweise ein hohes Maß an Kompetenz und verbessern dadurch ihr Image.

  • Unabhängig von der Dimensionalität einer Planung kommt es aufgrund unvollständiger Informationsangaben einzelner Gewerke oftmals zu arbeitsintensiven Abstimmungen unter den Gewerken. Beispielsweise kommt es gelegentlich durch ungenaue Angabe bei Durchbrüchen zu Missverständnissen. So steht in der Fachplanung im Grundriss ein Kürzel „DB 20“, das für einen quadratischen Durchbruch von 20 cm x 20 cm stehen soll. Der*Die Konstrukteur*in interpretiert dieses Kürzel fälschlicherweise als runden Durchbruch von 20 cm Durchmesser, da die zweite Abmessung fehlt. Im Ergebnis ist bei der Montage ein rundes Loch, anstatt einem quadratischen vorzufinden. Diesem Effekt beugt Koop-3D durch eine Eingabemaske vor, die sich erst nach Eintragung aller relevanten Informationen schließen lässt. So entstehen bei der Planung und Ausführung der eigenen und auch anderer Bauaufgaben weniger Rückfragen. Etwaige Planungsfehler durch falsche Ergänzung fehlender Informationen werden vermieden und Planungsabläufe werden effizienter.

  • Ein Plus der digitalen Datenübergabe ist die zugesicherte Richtigkeit der Daten. Übertragungsfehler von analogen Medien in das Konstruktionsmodul cadwork sind ausgeschlossen, da sie nicht stattfinden.

5.2.3.2 Koop-3D in der Gebäudebauausführung

Während der Bauausführung nutzen die Handwerker*innen aller Gewerke Koop-3D. Hierbei sind die einfache Bedienung und geringen Hardwareanforderungen für die Akzeptanz des digitalen Tools zwingend erforderlich. Mit Koop-3D haben die Nutzenden die gesamte Gebäudeplanung „in der Tasche“, da sie über die mobile Datenverbindung mit dem Koop-3D-Server verbunden sind. Koop-3D muss auf den Smartphones nicht installiert werden, sondern ist nach einem Login im Browser in das gewünschte Projekt bereit. Falls Handwerker*innen Fragen zur Bauausführung haben oder sich über Planungen anderer Gewerke informieren möchten, stehen ihnen diese auf ihren Smartphones zur Ansicht bereit.

Um den Bauzustand zu dokumentieren können in Koop-3D Fotos und Audiodateien hochgeladen und freie Texteingaben genutzt werden, die in einer Datenbank auf dem Koop-3D-Server gespeichert werden. Stellen Handwerker*innen beispielsweise Planungsabweichungen fest, dann fotografieren sie mit der Smartphone-Kamera die Sollabweichung und verorten sie im virtuellen Gebäude mit einem Kommentar. Das Meldungssystem von Koop-3D leitet die eingegebenen Fotos, Audiodateien und Kommentare unverzüglich an die bauverantwortliche Person weiter. Diese Funktionen können zudem genutzt werden:

  • zum Informationsaustausch der Gewerke untereinander (z. B. an Schnittstellen)

  • zur Erfassung von Änderungen, die gegenüber der Planung vor Ort durchgeführt werden (mussten)

  • zur Meldung der verspäteten Fertigstellung von Vorleistungen

  • zur Verortung von Mängeln und noch offener Bauleistungen

  • zur Dokumentation der Ausführung (z. B. bei der Bauabnahme)

Aus der Dokumentation und Meldung (siehe Abb. 5.4) ergeben sich einige Vorteile in Bezug auf die sachgemäße und termingerechte Fertigstellung. Ohne selbst vor Ort sein zu müssen, kann die verantwortliche Bauleitung Vorfälle beurteilen und die nötigen Maßnahmen anordnen. Ein frühzeitig gemeldeter Verzug beispielsweise erspart unter Umständen anderen Gewerken die Anfahrt zur Baustelle. Wenn zum Beispiel die Elektroleitungen noch nicht vollständig verlegt sind, kann der*die Verputzer*in nicht mit den Arbeiten beginnen. Erfährt er*sie frühzeitig vom Bauverzug, können Mitarbeitende und Materialien anderweitig verplant werden.

Abb. 5.4
figure 4

Hauptseite Koop-3D mit Meldungen über aktuelle Aktivitäten

5.2.4 Evaluation von Koop-3D

Koop-3D wurde in drei Studien evaluiert. So wurde (1) eine Begleitung der Anwendungsprojekte, (2) Feedbackgespräche mit Schulungsteilnehmenden, die Koop-3D anhand einer Übung testeten, und (3) eine Vignettenstudie mit einer größeren Anzahl an potenziell interessierten Personen aus dem Baugewerbe durchgeführt. Ziel war herauszufinden, inwiefern Koop-3D von Fachleuten akzeptiert wird und welche Chancen und Befürchtungen sie sehen. Die Ergebnisse werden zur Optimierung des Implementierungsprozesses sowie zur Weiterentwicklung des digitalen Tools genutzt.

(1) Begleitung der Anwendungsprojekte. Die Praxisnutzung von Koop-3D konnte durch die Begleitung von zwei Anwendungsprojekten in der Bauplanung und einem Anwendungsprojekt in der Bauausführung evaluiert werden. Bei allen Anwendungsprojekten fungierte Brüggemann als Totalunternehmen. Es involvierte im ersten Projekt die verschiedenen Subunternehmen in den Bauprozess. Die Rückmeldungen aus diesem Projekt legten nahe, sich zuerst auf den Austausch mit einem Gewerk zu konzentrieren. Im zweiten Projekt wurde das Hauptaugenmerk auf das Gewerk Elektro gelegt. Die Kooperationsbeteiligten wurden nach der Nutzung zu Koop-3D befragt.

Mit Bezug zur Planungsphase zeigt sich in Abgleich zu den erwarteten Vorteilen (siehe Abschn. 5.2.3.1), dass Koop-3D besonders gut genutzt werden kann, um der Kundschaft Projekte vorzustellen und gemeinsam durch eine erste digitale Version des geplanten Gebäudes zu manövrieren. Allerdings wurde in dem Zuge eine qualitativ höherwertigere Visualisierung erwünscht. Des Weiteren bestätigten die Nutzenden, dass durch Koop-3D früher als vorher erkannt werden kann, ob die Planungen realisierbar sind oder es zum Beispiel zu Kollisionen kommt, dass das digitale Tool vollständige Informationen einfordert und dass durch das Tool keine Übertragungsfehler auftreten können. Zudem wurde die einfache Bedienbarkeit von Koop-3D sowie der Informationsgehalt (klare Position von Bauelementen) positiv hervorgehoben. Allerdings muss noch an der Einbindung des digitalen Tools in die Bauprozesse gearbeitet werden. So berichteten Nutzende von einer fehlenden Praktikabilität, die sich auf den empfundenen Mehraufwand bezog, zusätzlich zur traditionellen Bauplanung (in 2D) die Planungen in Koop-3D einzupflegen.

In der Bauausführungsphase hoben die Nutzenden in Abgleich mit den erwarteten Vorteilen (siehe Abschn. 5.2.3.2) besonders den Vorteil hervor, im 3D-Modell genauer verorten zu können als bei 2D-basierten Planunterlagen, wodurch die Erfassung von Änderungen, Mängeln und offenen Bauleistungen sowie allgemein die Dokumentation der Bauausführung als verbessert wahrgenommen wurde. Allerdings zeigte sich vor Ort, dass das Arbeiten mit Koop 3D eine gute mobile Internetverbindung voraussetzt, die auf Baustellen nicht immer gegeben ist.

(2) Feedback von Schulungsteilnehmenden. Im Rahmen einer Schulung des BTZ zu BIM (siehe Abschn. 5.2.5) konnte in sechs Kursen Feedback zu Koop-3D gesammelt werden. Bei den Kursen handelte es sich um Vorbereitungskurse zur Meisterprüfung von Elektroniker*innen für Gebäude- und Energietechnik (2x), Installateur- und Heizungsbauer*innen (1x), Maurer*innen (1x), Metallbauer*innen (1x) und Zimmerer*innen (1x). Die Schulungsteilnehmer*innen wurden nach der Erprobung von Koop-3D um Feedback zum Umgang mit Koop-3D und allgemein zu BIM gebeten.

Im Umgang mit Koop-3D wurde positiv hervorgehoben, dass Fotos im Bauobjekt verortet werden können, die Kommunikation z. B. über Probleme durch das digitale Tool erleichtert wird und die Visualisierung im Kundenkontakt hilfreich sein könnte. Allerdings wurde das Handling von digitalen Endgeräten als umständlicher als der gewohnte Umgang mit Papierplänen eingestuft. Zudem wurde auch hier die Eingabe der Informationen in Koop-3D als Mehraufwand angesehen.

Im Hinblick auf BIM empfinden die meisten Schulungsteilnehmenden eine Abstimmung der Planungen der Gewerke als sinnvoll. Hierbei würde sich ein gemeinsamer Planstand z. B. über ein 3D-Modell anbieten. Es zeigte sich jedoch eine Kontroverse. Auf der einen Seite konnte jedes Gewerk diverse Beispiele von Kollisionen durch fehlende Abstimmungen zwischen den Gewerken nennen, trotzdem herrschte die Meinung, dass die derzeitigen Planungsabläufe auf dem Bau funktionieren. Dadurch wollten die wenigsten Schulungsteilnehmenden Kosten und Zeit für den (zusätzlichen) Planungsaufwand übernehmen, wie das folgende Zitat zeigt: "Wenn es reibungslos auf dem Bau läuft, dann merkt keiner, dass Geld gespart wurde. Der BIM-Planer kostet aber erstmal Geld. Warum mehr Kosten bei der Planung ausgeben, wenn es auch vorher funktioniert hat.“ Den (zusätzlichen) Planungsaufwand in Bezug zur Komplexität des Bauprojekts setzend wurde geschlussfolgert, dass er zu hoch für kleinere Projekte wie Einfamilienhäuser, jedoch bei größeren Projekten gerechtfertigt sei. Insgesamt verfügten nur wenige Schulungsteilnehmenden über Erfahrungen mit 3D-Planung. Die Schulungsleitung schlussfolgerte, dass die Schulungsteilnehmenden keine Vergleichsmöglichkeiten hätten, da ihnen die Erfahrung fehle, welche Vorteile ein gut abgestimmter Bauablauf auf der Baustelle mit sich bringt.

(3) Vignettenstudie. Um eine größere Personengruppe aus dem Baugewerbe für die Evaluation des digitalen Tools zu erreichen, wurde eine virtuelle Vignettenstudie aufgesetzt. Zu Beginn der Studie wurde den Teilnehmenden eine kurze Videovignette präsentiert, die einen Überblick über Koop-3D bot. Im Anschluss wurden die Teilnehmenden gebeten das Tool auf den Technikakzeptanz-Skalen von Mlekus et al. (2020) zu beurteilen sowie Chancen und Risiken des digitalen Tools zu nennen. Insgesamt wurden 84 Personen aus dem Baubereich befragt. Die Befragten (73 % männlich, durchschnittlich 48 Jahre alt) waren überwiegend in KMUs beschäftigt (85 %) und stammten am häufigsten aus den folgenden Fachbereichen: Hochbau (17 %), Klempnerei, Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik (15 %) und Bauplanung (15 %).

Koop-3D wurde im Durchschnitt positiv bewertet, erreichte jedoch auf den Technikakzeptanz-Skalen von 1 (niedrig) bis 7 (hoch) keine Maximalwerte: erwartete Qualität der Ergebnisse (M = 4,98; SD = 1,38), wahrgenommene Nützlichkeit (M = 4,76; SD = 1,60) und wahrgenommene Bedienbarkeit (M = 4,50; SD = 1,30). Von den Befragten gaben 68 % an, Interesse an der Toolnutzung zu haben. Genannt wurden 74 Chancen und 31 Befürchtungen, die sich zu 15 Kategorien zusammenfassen ließen (siehe Abb. 5.5). Am häufigsten wurden die Vernetzung der Arbeitsbereiche (20 Nennungen), die Möglichkeit der Visualisierung (18 Nennungen), die bessere Planung (10 Nennungen) und die Zeitersparnis (10 Nennungen) als Chancen durch Koop-3D aufgeführt. Befürchtet wurde vor allem, dass die Einrichtung und Einführung aufwendig sein (9 Nennungen), es zu einem Informationsüberfluss kommen (6 Nennungen), hohe Kosten auf die Unternehmen zukommen (4 Nennungen), technisches „Know-How“ vorausgesetzt werden (3 Nennungen) und Koop-3D nicht für alle Branchen geeignet sein könnte (3 Nennungen). Nähere Informationen zur Vignettenstudie sind bei Tartler et al. (2022) zu finden.

Abb. 5.5
figure 5

Anzahl der wahrgenommenen Chancen (+) und Risiken (-) von Koop-3D aus Sicht von Personen aus dem Baugewerbe

Durch die drei Evaluationsstudien konnten verschiedene Perspektiven von Fachleuten aus der Baubranche auf Koop-3D gewonnen werden. Zwei größere Themen ziehen sich durch die Studien: Zum einen scheint die Digitalisierung an und für sich auf Sorgen zu stoßen, obwohl IKT mittlerweile häufig als Lösung zur Verbesserung der Kommunikation im Baugewerbe gesehen wird (Charoenngam et al., 2003; Nitithamyong & Skibniewski, 2004). Die Befragten aus den Anwendungsprojekten betonten die einfache Bedienung von Koop-3D. Befragte mit wenig oder keinem direkten Kontakt mit dem digitalen Tool befürchteten jedoch, dass das Handling von digitalen Endgeräten in der Arbeitspraxis umständlich sein könnte oder dass technisches Wissen verlangt werden würde. Dies zeigt die Notwendigkeit auf, die Sorge vor (angenommenen) fehlenden digitalen Kompetenzen sowohl im Einführungs- und Implementierungsprozess innerhalb eines Unternehmens als auch bei der Diffusion in der Baubranche ernst zu nehmen und mit geeigneten Maßnahmen (z. B. Aufklärung, Vorführung, best practice Beispiele) zu begegnen.

Zum anderen zieht sich die große Frage nach dem konkreten Nutzen von Koop-3D und BIM in KMU durch die Studien. In allen Studien wurde der Vorteil der Visualisierung betont. Doch wie dieser Vorteil genau genutzt werden soll, scheint in den KMU der unterschiedlichen Gewerke auf Ambivalenzen zu treffen, die anscheinend durch den großen (angenommenen) Einschnitt des digitalen Tools in die Organisationsstrukturen ausgelöst worden sind. Koop-3D und BIM sind nicht nur „ein netter Zusatz“, sondern gehen mit spezifischen Annahmen der Zusammenarbeit einher, die sich vom traditionellen Vorgehen deutlich unterscheiden (Jacobsson & Merschbrock, 2018). So werden die Möglichkeiten zur besseren Abstimmung, Planung und Dokumentation in der interdisziplinären Zusammenarbeit zwar gewertschätzt, aber auch Mehraufwand, Kosten, geringe Praktikabilität im traditionellen Vorgehen, Ungewissheit zur Einbindung des digitalen Tools in den Bauprozess und die Sorge vor einer aufwendigen Einführung genannt. Pasmore et al. (2019) wiesen bereits darauf hin, dass bei vielen technischen Veränderungen der organisationale Wandel hinterherhinke. Der vorliegende Fall der Integration von BIM-orientierten digitalen Tools in den Bauprozess von KMU scheint ebenfalls von diesem Phänomen betroffen zu sein, wodurch die Bedeutung des soziotechnischen Systemansatzes (Ulich, 2013) nochmals hervorgehoben wird. Bei technischen Änderungen muss der Mensch mit seinen Kompetenzen (z. B. digitalen Fähigkeiten), Wünschen (z. B. wie stellt sie*er sich ihre*seine Arbeit vor) und Sorgen ernst genommen werden. Zudem muss aktiv am Zusammenspiel der Kooperationsorganisation mit der neuen Technik und den beteiligten Personen ab der Konzeptions- und Entwicklungsphase mittels einer deskriptiven, normativen und prädiktiven Analyse (z. B. Baxter & Sommerville, 2011) gearbeitet und kontinuierlich im Implementierungsprozess mitgedacht werden.

Die Rückmeldungen der Studien fließen in die Weiterentwicklung von Koop-3D ein. So wird beispielsweise die Visualisierung verbessert, eine Datenreduktion im Online-Gebäude vorgenommen, um die Praktikabilität auf der Baustelle zu verbessern, und an der Schaffung weiterer Vorteile für die Subunternehmen durch die Integration von Online-Katalogen und Installationsplänen gearbeitet.

5.2.5 Schulung zu BIM und Koop-3D

Koop-3D ist ein einfach zu bedienendes digitales Tool, das sich an BIM orientiert. Um den unterschiedlichen Gewerken die Grundidee von BIM zu vermitteln und einen Einblick in Koop-3D zu ermöglichen, bietet das BTZ eine ca. zweieinhalbstündige Schulung an. In Abstimmung mit den jeweils geltenden COVID-19 Schutzmaßnahmen wird die Schulung mit den unterschiedlichen Zielgruppen entweder virtuell oder vor Ort durchgeführt.

In der Schulung werden zuerst Grundlagen zu BIM vermittelt. Anhand einer Auseinandersetzung mit den Prozessketten im Bau ohne BIM und den Erfahrungen der Schulungsteilnehmenden, werden im Diskurs die Vorteile von BIM herausgearbeitet. Nach einer Pause erhalten die Teilnehmenden eine Einführung in das Tool Koop-3D und können dieses anhand eines Testprojektes und einer Arbeitsaufgabe, die sich auf Kollisionen zwischen Gewerken bezieht, selbst ausprobieren. Es werden verschiedene Einsatzmöglichkeiten, aber auch Limitationen des digitalen Tools besprochen. Die Schulung endet mit einer Feedbackrunde, in der nach der Meinung der Teilnehmenden zu BIM und Koop-3D gefragt wird (siehe Abschn. 5.2.4). Bisher wurde die Schulung in sieben Kursen des BTZ mit insgesamt rund 100 Teilnehmenden erfolgreich durchgeführt.

Neben inhaltlichen Aspekten rückt die Gestaltung der Schulung in den Vordergrund, vor allem unter dem Aspekt, dass durchschnittlich lediglich 10 % des Gelernten auch tatsächlich Eingang in den Arbeitsalltag erhält (Hall et al., 2014). Um diesen Lerntransfer nach einer Schulung zu steigern, kann man sowohl bei Faktoren der Schulung, des Arbeitsumfeldes als auch der*des Schulungsteilnehmenden ansetzen (Baldwin & Ford, 1988). Das Projekt IN-DIG-O trägt mit der lerntransferförderlichen Gestaltung der Schulung und der Entwicklung eines digitalen Tools zur Begleitung von Schulungsteilnehmenden nach Abschluss der Schulung (siehe Abschnitt 5.3) zur Optimierung dieser Faktoren bei.

Um die Schulung möglichst lerntransferförderlich zu gestalten, wurden konstruktivistische Lehr-Lern-Prinzipien (Situiertheit, Authentizität, multiple Perspektiven und Raum für Eigenaktivität; z. B. Weisweiler et al., 2012) als theoretische Fundierung gewählt und die didaktischen Elemente nach den Grundprinzipien des gehirngerechten Lehrens und Lernens von Hempel und Seidl (2014; z. B. Interesse und Neugierde wecken, mehrere Sinne ansprechen und Feedback geben) entwickelt. Die Schulung wurde mittels der Ergebnisse einer Interviewstudie (Mehner & Kauffeld, 2022), die gezielt 28 Personen aus dem Baugewerbe nach lerntransferförderlichen und -hinderlichen Faktoren befragt hat, auf die Zielgruppe zugeschnitten. So wurde von den Interviewten beispielsweise das Bereitstellen von Unterlagen, die Trainings-Arbeits-Übereinstimmung und die Interaktion während der Weiterbildung als wesentliche lernförderliche Faktoren genannt. In Konsequenz wurden Unterlagen für die Schulungsteilnehmenden erarbeitet, die Koop-3D-Aufgabe möglichst nah am realen Arbeitsalltag konzipiert und Gruppenübungen sowie -diskussionen eingebaut. Weitere Informationen beispielsweise zu lerntransferförderlichen Faktoren des Arbeitsumfelds und der Person sind bei Mehner und Kauffeld (2022) einsehbar.

Die Unterstützung der Kompetenzentwicklung der Schulungsteilnehmenden muss nicht mit Abschluss der Schulung enden, sondern kann anschließend niederschwellig in den jeweiligen Unternehmen fortgeführt werden. Im Projekt IN-DIG-O wird daher ein digitales Tool – das LeWiT-Tool – entwickelt, das den Lerntransfer nach Schulungen in den Arbeitsalltag und die Weitergabe neuen Wissens im Kollegium begleitet.

5.3 LeWiT-Tool – das digitale Tool zum Lerntransfer und zur Wissensweitergabe nach Schulungsbesuchen

Technologien, die stetig neue Prozesse bedingen, wie beispielsweise BIM, das Prozesse ermöglicht, die stark vom traditionellen Vorgehen im Baugewerbe abweichen, erfordern von Unternehmen und ihre Mitarbeitenden kontinuierliches Lernen, um sich an die Veränderungen im Markt und den technologischen Fortschritt anzupassen (Cascio & Montealegre, 2016; Kraiger & Ford, 2021). In den letzten Jahrzehnten haben sich daher die Lernansätze, die den Bedürfnissen von Unternehmen am besten entsprechen, stark gewandelt (Noe et al., 2014). Heutzutage ist die Verknüpfung von formellen Lerngelegenheiten mit informellem Lernen unabdingbar. Durch formelles Lernen (z. B. in Weiterbildungen) wird externes Wissen in das Unternehmen geholt. Informelles Lernen (z. B. im Austausch im Kollegium) verankert dieses Wissen dann in Unternehmen (Richter & Kauffeld, 2021).

Im IN-DIG-O Projekt wird das LeWiT-Tool (siehe Infobox zu LeWiT-Tool in Kürze) entwickelt, das bei der Verbindung von formellem mit informellem Lernen ansetzt, indem es nach Weiterbildungen den Lerntransfer und die Weitergabe von Wissen im Kollegium unterstützt. Bevor das LeWiT-Tool im Folgenden vorgestellt wird, wird vom Kompetenzmanagement beim IN-DIG-O Anwendungsunternehmen ebm berichtet und eine theoretische Annäherung an eine digital gestützte Begleitung des Lerntransfers sowie der Wissensweitergabe gegeben. Nach der Vorstellung des LeWiT-Tools werden Evaluationsergebnisse zum digitalen Tool präsentiert.

LeWiT-Tool in Kürze

Um neu Gelerntes nach Schulungen effektiver in KMU zu transferieren, setzt das LeWiT-Tool entsprechend den Grundprinzipien der entwicklungsorientierten Evaluation (Kauffeld & Paulsen, 2018) auf eine offene Feedbackkultur und selbstbestimmte Zielsetzungen. Es unterstützt Weiterbildungsteilnehmende nach dem Weiterbildungsbesuch durch gezielte Fragen zur Weiterbildung, zum Arbeitsumfeld, zur geplanten Anwendung des Gelernten im Berufsalltag sowie zur möglichen Weitergabe des Gelernten an interessierte Mitarbeitende. Dafür versendet das LeWiT-Tool direkt nach der Weiterbildung sowie – je nach Voreinstellung – einige Wochen bis Monate später einen Fragebogen. Zu den beiden Fragebögen werden automatisch Ergebnisreports erstellt, die den Weiterbildungsteilnehmenden sowie ihren Führungskräften zugesandt werden. Die Führungskräfte können bei Bedarf mithilfe des Ergebnisreports unterstützend wirken. Die Personalverantwortlichen können in einem Dashboard die Ergebnisse aus den Befragungen, unter anderem aufbereitet in Diagrammen, einsehen. Das LeWiT-Tool ermöglicht somit eine Evaluation der besuchten Weiterbildungen.

5.3.1 Kompetenzmanagement beim Anwendungsunternehmen ebm vor der Einführung des LeWiT-Tools

Die ebm nutzt verschiedene externe Weiterbildungsangebote, z. B. von Bildungsträgern, Handwerkskammern und diversen Herstellerfirmen. Diese können sich an Mitarbeitende richten, die größere personelle und finanzielle Verantwortung tragen, oder Mitarbeitende werden fachspezifisch geschult, um spezielles Detailwissen für die Baupraxis aufzubauen. Manche Schulungen dienen dabei auch der Aufrechterhaltung oder Erlangung bestimmter Zulassungen und Zertifikate für einzelne Bauteile. Darüber hinaus hat ebm eigene Schulungsformate entwickelt wie z. B. Lerntandems (bestehend aus einer erfahrenen und einer auszubildenden Person) und die Karrierewerkstatt (mehrmonatige interne Weiterbildungen mit Begleitung eines*einer Mentor*in).

Die Auswahl von Weiterbildungsangeboten erfolgt nicht geordnet, sondern häufig als Reaktion auf kurzfristig erkannte Bedarfe. Es gibt keine hauptverantwortliche Ansprechperson für die Auswahl und Buchung von Schulungen. Eine zentrale Erfassung der Schulungen existiert daher ebenfalls nicht und die Dokumentation der Trainingsteilnahmen erfolgt meist in der Personalakte durch eine Kopie der Trainingsbescheinigung.

Die besuchten Weiterbildungen werden nicht evaluiert, sodass keine Rückschlüsse auf die Qualität der Schulungsangebote gezogen werden können. Wie viel des in der Weiterbildung Gelernten die Mitarbeitenden im Arbeitsalltag anwenden und wie viel sie im Kollegium weitergeben, wird nicht erfasst. Gespräche zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden nach einem Weiterbildungsbesuch finden eher selten statt, sodass die Führungskräfte die Mitarbeitenden beim Lerntransfer und der Wissensweitergabe nicht gezielt unterstützen können.

Insgesamt fehlt eine nachhaltig ausgerichtete Unternehmensstrategie zur Weiterbildung der Mitarbeitenden. Zudem ist das Kompetenzmanagement unstrukturiert. Daher wird vom Anwendungsunternehmen Optimierungsbedarf gesehen, der durch den Einsatz eines digitalen Tools gedeckt werden soll.

5.3.2 Kompetenzentwicklung durch Weiterbildungen und Evaluation von Kompetenzentwicklungsmaßnahmen in KMU

Die Situation von ebm gleicht der Situation vieler KMU: ihnen stehen geringe finanzielle Ressourcen für die Personalentwicklung zur Verfügung und es mangelt an der Planung und dem Controlling von Personalentwicklungs- und Managementkonzepten (Hilzenbecher, 2006). Dabei ist das Kompetenzmanagement von Mitarbeitenden in KMU sogar von größerer Bedeutung als bei Großunternehmen (Steinert, 2002). KMU verfügen über eine geringere Personal- und Beschäftigungsdichte. Daraus resultiert ein geringerer Organisationsgrad. Der geringere Organisationsgrad hat häufig zur Konsequenz, dass höhere Anforderungen an die Tätigkeiten der Einzelnen gestellt werden und einzelne Mitarbeitende vielfältigere Tätigkeiten haben als in einem größeren Unternehmen (Steinert, 2002). Daher brauchen gerade KMU Weiterbildungen für ihre Mitarbeitenden und die Unterstützung in der Personalentwicklung (Herzog et al., 2014).

Über alle Unternehmensgrößen hinweg ist in Deutschland in den letzten 30 Jahre ein steigender Trend in der Weiterbildungsbeteiligung festzustellen. Von 1991 bis 2020 stieg die Quote der Teilnahme an Weiterbildungen von 37 % auf 60 % (BMBF, 2020). Auch der Einfluss der Digitalisierung auf den Weiterbildungssektor hat in den letzten Jahren zugenommen. Zum einen ist durch die Digitalisierung ein größerer Qualifizierungsbedarf notwendig, zum anderen werden auch Weiterbildungen selbst immer digitaler. Im Jahr 2016 nutzten 84 % der weiterbildungsaktiven Unternehmen bereits ein digitales Lernmedium, im Jahr 2019 ist diese Zahl sogar auf 90 % gestiegen. Die Gründe dafür sind vor allem die gute Integrierbarkeit der digitalen Lernangebote in den Arbeitsalltag und dadurch die Verringerung des Zeitinvestments, sowie die geringeren Kosten von digitalen Weiterbildungen (Seyda, 2021). Durch diese Vorteile sollten digitale Lernangebote auch für KMU mit einer geringeren Personaldichte und weniger finanziellen Ressourcen (Hilzenbecher, 2006) relevant sein.

Durchschnittlich werden in Deutschland 1067 € pro mitarbeitende Person jährlich von den Unternehmen für Weiterbildungen investiert (Seyda & Placke, 2017). Dies beläuft sich hochgerechnet für alle sozialversicherten Arbeitnehmende in Deutschland auf Gesamtinvestitionen von 33,5 Mrd. Euro. Fortbildungen sind also für Unternehmen sehr Ressourcen intensiv; selbst wenn sie digital durchgeführt werden. Dem gegenüber steht die Zahl dessen, was aus Weiterbildungen mitgenommen und bei der täglichen Arbeit umgesetzt wird. Experten gehen davon aus, dass lediglich 10 % des Gelernten auch tatsächlich im Arbeitsalltag angewendet wird (Hall et al., 2014). Dieser Lerntransfer kann – verglichen mit den Investitionen, die von Unternehmen für Weiterbildungen getätigt werden – als klein interpretiert werden.

Die Gründe, warum neu Gelerntes nicht im Alltag angewendet wird, können dabei vielzählig sein. Sie können von fehlender Unterstützung, über zu geringe Überschneidung von Trainingsinhalt und Arbeitsalltag, bis hin zu Mangel an Interesse oder Motivation bei Mitarbeitenden reichen. Um die Gründe aufzudecken, den Transfer des Gelernten in den Alltag zu unterstützen sowie die Wirksamkeit einer Maßnahme nachzuweisen, können fundierte Evaluationen eingesetzt werden. Mithilfe von gezielten Befragungen im Anschluss an Weiterbildungen können zukünftige Handlungsfelder identifiziert und Weiterbildungen nachhaltig optimiert werden (Kauffeld, 2016).

Bei der Evaluation von Weiterbildungsmaßnahmen wird im Allgemeinen unterschieden zwischen ergebnisbezogener und prozessbezogener Evaluation (Kauffeld, 2016). Die ergebnisbezogene Evaluation betrachtet die Wirksamkeit einer Weiterbildungsmaßnahme. Nach dem Vier-Ebenen-Modell von Kirkpatrick (1994) spielen dabei die Zufriedenheit, der Lernerfolg, der Transfererfolg sowie die individuellen und organisationalen Resultate eine wichtige Rolle. Die ergebnisbezogene Evaluation liefert also – einfach gesagt – eine Antwort darauf, ob ein Training etwas nutzt oder nicht. Häufig kann dabei festgestellt werden, dass die Teilnehmenden zwar zufrieden mit der Weiterbildung sind und auch einen Lernerfolg hatten, das Gelernte aber nicht in den Arbeitsalltag übertragen werden kann und somit auch die Resultate der Weiterbildung ausbleiben (Kauffeld, 2016). Die prozessbezogene Evaluation gibt darüber hinaus Aufschluss darüber, welche Aspekte den Erfolg einer Weiterbildung einschränken und welche den Erfolg fördern (Kauffeld, 2016). Nach dem Modell von Baldwin und Ford (1988) werden Merkmale der Teilnehmenden (z. B. Motivation, Interesse, Fähigkeiten), der Trainings (Bezug der Inhalte zum Arbeitsalltag, Methoden) sowie der Arbeitsumgebung (z. B. Unterstützung durch die Führungskraft, Ressourcen zur Umsetzung) betrachtet. Auf Basis dieser Betrachtung können die Stellschrauben identifiziert werden, um eine Weiterbildungsmaßnahme zu verbessern. Damit eine Befragung Erkenntnisse sowohl über die Wirksamkeit als auch über die Katalysatoren und Barrieren einer Weiterbildungsmaßnahme liefern kann, muss eine umfassende Evaluation durchgeführt werden, die sowohl ergebnis- als auch prozessbezogene Faktoren erfasst.

Damit eine Weiterbildungsmaßnahme ihre optimale Wirksamkeit entfalten kann, muss nicht nur eine Anwendung des Gelernten durch den Weiterbildungsteilnehmenden erfolgen. Auch der unternehmensinterne Wissenstransfer spielt eine wichtige Rolle. Erworbenes Wissen sollte in Teams geteilt werden, um Erfahrungen auszutauschen, neue Wissensstrukturen zu bilden, die Qualität zu verbessern und die Kosten für Weiterbildungen zu reduzieren (Kauffeld, 2016). Wenn kein Wissenstransfer durchgeführt wird, verfügt jede*r Mitarbeitende über einen anderen Kenntnisstand – es bestehen sogenannte „Wissensinseln“ in einem Unternehmen. Die Konsequenz sind uneinheitliche und ineffiziente Prozesse sowie ein erhöhter Weiterbildungsbedarf (da jede*r Mitarbeitende einzeln weiterentwickelt werden muss). Demgegenüber spart ein erfolgreicher Wissenstransfer Weiterbildungsbudget und schafft vernetztes sowie aktuelles Wissen im Team, durch das eine stetige Prozessoptimierung ermöglicht werden kann. Um den Wissenstransfer erfolgreich umzusetzen, ist die Kommunikation und Vernetzung zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden und im Kollegium unumgänglich, beispielsweise durch Feedbackgespräche nach Abschluss einer Weiterbildung, Meetings, die den Austausch über Gelerntes fördern, oder spezielle Transfergespräche. Sind durchgeführte Weiterbildungen und entsprechende Ziele dokumentiert, bzw. wird das Wissen nicht nur angewendet, sondern aktiv weitergegeben, ist das Gelernte nachhaltiger im Unternehmen implementiert und Mitarbeitende sind langfristig motivierter (Ackermann et al., 2020).

Die Wissensweitergabe und auch das Feedback von z. B. Führungskräften kann als Form des arbeitsintegrierten Lernens angesehen werden, während der Weiterbildungsbesuch eine formelle Lerngelegenheit darstellt. Im Sinne einer entwicklungsunterstützenden Evaluation sollte das arbeitsintegrierte und das formale Lernen gemeinsam betrachtet werden (Baldwin et al., 2017; Marsick et al., 2017; Kauffeld, 2016). Die Theorie geht davon aus, dass Mitarbeitende selbst die Lernmethoden nutzen, die zu ihrer individuellen Entwicklung beitragen und sich das arbeitsintegrierte und formale Lernen dabei zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenfügen (Poell, 2017), was auch als agiles Lernkontinuum beschrieben werden kann (Richter & Kauffeld, 2021). Dabei kann nach formellen Lerngelegenheiten (z. B. einer Weiterbildung), mit denen der Teilnehmende besonders zufrieden war, das informelle also arbeitsintegrierte Lernen folgen (Richter & Kauffeld, 2021). Aber auch das gemeinsame Reflektieren über die Weiterbildung als informeller Lernprozess kann den Lerntransfer steigern (Richter et al., 2020).

Auf diesen theoretischen Ansätzen der entwicklungsunterstützenden Evaluation baut das Lern- und Wissenstransfer-Tool (kurz LeWiT-Tool) auf. Es ermöglicht Unternehmen bzw. Personalabteilungen externe Weiterbildungsmaßnahmen, an denen Mitarbeitende teilnehmen, nachhaltig zu evaluieren und gleichzeitig den Lern- und Wissenstransfer im Unternehmen zu unterstützen.

5.3.3 Bestandteile und Nutzung des LeWiT-Tools

Der Zyklus des LeWiT-Tools beinhaltet acht Phasen (Abb. 5.6):

Abb. 5.6
figure 6

Der LeWiT-Zyklus

Phase 1: Entscheidung zur Teilnahme an einer Weiterbildung

Am Anfang steht die Entscheidung zur Teilnahme an einer Weiterbildung. Egal ob diese Entscheidung direkt in der Personalabteilung gefällt wird oder eine Führungskraft dies entscheidet, der für Weiterbildungen zuständige Mitarbeitende (meist im Personalbereich) wird darüber in Kenntnis gesetzt und kümmert sich um die weiteren formalen Schritte.

Phase 2: Eingabe in das LeWiT-Tool

Um den Evaluationsprozess mit dem LeWiT-Tool durchzuführen, braucht es mindestens eine Person im Unternehmen, die die Administration des Tools übernimmt. Diese Person bekommt Zugriff auf zwei Systeme: Das Eventmanagement, in dem Weiterbildungen angelegt und Teilnehmende eingeladen werden können, und das Dashboard, in dem Ergebnisse grafisch angezeigt und nach verschiedenen Kriterien gefiltert werden können. Sobald die Teilnahme einer oder eines Mitarbeitenden an einem Training entschieden ist, kann die Administration sich im Eventmanagement-System mit einem Benutzernamen und einem Passwort einloggen und das Training anlegen. Dafür müssen die Kategorie der Weiterbildung (z. B. Brandmeldetechnik, Führungskräftetraining), das Weiterbildungsunternehmen und ggf. die Struktur (z. B. Unerfahrene, Fortgeschrittene, Profis) über ein Dropdown-Menü eingetragen werden. Diese detaillierten Informationen können später genutzt werden, um die Ergebnisse nach diesen Faktoren zu filtern. Beispielsweise, um die Evaluationsergebnisse bestimmter Trainingsanbietenden auszuwerten oder den Wissenstransfer von Weiterbildungskategorien miteinander zu vergleichen. In zwei weiteren Feldern kann ein individueller Name der Weiterbildung sowie der Zeitraum des Trainings angegeben werden. Wenn alle Informationen eingetragen sind, schaltet sich das nächste Dialogfeld frei, in dem aus der Liste der Mitarbeitenden Teilnehmende für die Weiterbildung ausgewählt werden können. In einem letzten Schritt können für jede eingeladene Person bis zu drei Personen bestimmt werden, an die die Ergebnisdarstellungen ebenfalls versandt werden sollen (z. B. Führungskräfte). Diese Personen erhalten nach Abschluss einer Evaluationsbefragung die grafisch aufbereiteten Ergebnisse in einer E-Mail zugesendet. Hierbei hat es sich etabliert, beispielsweise die Führungskraft und ein Teammitglied einzubeziehen. Im Eventmanagementsystem hat die Administration über das Menü zudem die Möglichkeit die Daten der Mitarbeitenden sowie die hinterlegten Kategorien der Weiterbildungen zu bearbeiten. Sobald alle Eintragungen im System gemacht wurden, klickt die Administration auf „Abschließen“ und startet damit den weiteren Prozess. Die gesamte Phase 2 dauert maximal drei Minuten und ist damit im Arbeitsalltag sehr effektiv zu integrieren.

Phase 3: Informationen an die Teilnehmenden

Direkt nachdem die Administration Phase 2 beendet hat, erhalten die eingeladenen Personen eine E-Mail mit ersten Informationen, wie dem Namen der Weiterbildung, dem Datum und dem Inhalt. Die Weiterbildungsdaten können mit nur einem Klick durch die Mitarbeitenden in den eigenen Kalender importiert werden. Darüber hinaus werden die Mitarbeitenden in der E-Mail auch darüber informiert, dass nach der Weiterbildung eine Evaluation sowie Fragen zum geplanten Wissenstransfer erfolgen werden.

Phase 4: Vorbereitung auf die Weiterbildung

Die Teilnehmenden können sich auf Basis dieser Informationen bereits vorab vorbereiten und mit der Thematik der anstehenden Weiterbildung auseinandersetzen. Sollten Unklarheiten bei den Mitarbeitenden vorliegen, warum sie an dieser Weiterbildung teilnehmen sollen bzw. was das Ziel einer solchen Teilnahme ist, kann dies bereits jetzt adressiert werden, was eine bessere Motivation für die Trainingsteilnahme gewährleistet.

Phase 5: Teilnahme an der Weiterbildung

Die*der Mitarbeitende besucht gut informiert die Weiterbildung und kann sich ganz auf diese konzentrieren.

Phase 6: Evaluation und Reflexion

Einen Tag nach Ende der Weiterbildung versendet das LeWiT-Tool automatisch eine weitere E-Mail an die*den Weiterbildungsteilnehmende*n mit einem Link zu der Evaluation. Dies wird möglich, da die Administration die Daten der Weiterbildung in Phase 2 im System angelegt hat. In dieser E-Mail werden die Teilnehmenden darüber informiert, was das Ziel der Evaluation ist: Die Schulung selbst soll evaluiert werden und der Lern- und Wissenstransfer im Unternehmen sollen verbessert werden – es geht nicht um eine Bewertung der Lernleistung der Teilnehmenden oder Ähnliches. Zudem steht in dieser E-Mail, welche Personen ebenfalls über die Ergebnisse informiert werden (bspw. Führungskräfte oder Projektleiter*innen). Dadurch wird eine maximale Transparenz hergestellt, da die Mitarbeitenden immer wissen, wer ihre Ergebnisse im Anschluss sehen kann. Am Ende der E-Mail ist ein Link zu der Evaluation zu finden. Mit Klick auf diesen Link öffnet sich ein Browserfenster. Auf der ersten Seite der Evaluation sind vorerst weitere Details zu der Befragung zu finden sowie Informationen zum Datenschutz. Im nächsten Schritt sehen die Mitarbeitenden auf einer Seite alle Fragen, die die prozess- und ergebnisbezogene Evaluation abdecken und die mithilfe einer Prozentskala beantwortet werden können. Skalen, die hierbei abgefragt werden, umfassen beispielsweise die Themengebiete Zufriedenheit, Nützlichkeit oder Transfermotivation. Auf einer zweiten Seite folgt dann der Teil zum Lerntransfer: Hierzu gehören Fragen bezüglich der Maßnahmen, die die Teilnehmenden nach der Schulung umsetzen wollen und den dafür benötigten Ressourcen. Darüber hinaus sollen die Teilnehmende angeben, an wen sie das Wissen aus der Weiterbildung weitergeben wollen. Die Fragen können mit freien Eingaben beantwortet werden und sollen zur Reflexion anregen, wer von dem Gelernten noch profitieren kann und welche Erkenntnisse im Arbeitsalltag integriert werden können. Die gesamte Befragung dauert ca. zehn Minuten. Direkt im Anschluss an die Fertigstellung der Befragung werden die E-Mails mit den Ergebnisberichten versendet. Hier können die Befragten und ggf. die Führungskräfte und Projektleiter*innen auf Skalenebene die Befragungsergebnisse einsehen. Für die Mitarbeitenden dient diese E-Mail dazu, dass sie selbst zu jedem Zeitpunkt einsehen können, was sie geantwortet haben. Dies kann auch als Erinnerungsstütze genutzt werden für die Maßnahmen, die sie sich zur Umsetzung vorgenommen haben. Die Führungskräfte bekommen durch die Zusendung der Ergebnisse einen Überblick über das Training: Wie zufrieden ist die*der Mitarbeitende mit der Weiterbildung, in welchen Bereichen wird Unterstützung durch die Führungskraft benötigt, welche Ressourcen müssen für eine erfolgreiche Anwendung zur Verfügung gestellt werden? Über ein Dashboard hat zudem die Administration aus der Personalabteilung die Möglichkeit, die Evaluationen aller Weiterbildungen grafisch ausgewertet einzusehen.

Phase 7: Lerntransfer und Wissensweitergabe in der Praxis

In dieser Phase ist die*der Mitarbeitende zurück am Arbeitsplatz und kann sich der Anwendung des neu Gelernten aus der Weiterbildung, sowie die Weitergabe des Wissens im Kollegium widmen.

Phase 8: Evaluation und Reflexion

Zwei Monate nach Ende der Weiterbildung wird erneut ein Fragebogen per E-Mail an die Teilnehmenden versendet mit einer Follow-Up Befragung. Der Prozess läuft ebenso ab wie bei der ersten Befragung. Die Fragen decken ebenfalls die Bereiche der prozess- und ergebnisbezogenen Evaluation ab. Der Fokus liegt in der zweiten Befragung jedoch stärker auf dem Transfer der Inhalte in den Arbeitsalltag. Zudem werden die freien Antworten aus der ersten Befragung abgebildet. Hier haben die Befragten die Möglichkeit zu reflektieren, wie gut ihnen die Umsetzung der vorgenommenen Maßnahmen und der Wissensweitergabe gelungen ist. Sowohl für die erste Befragung als auch für das Follow-Up wurden die Fragebögen einmalig zu Beginn definiert. Die Fragen können für alle Formen von externen Weiterbildungen eingesetzt werden. Beim Anlegen jeder einzelnen Weiterbildung entsteht für die Zusammenstellung der Befragung also kein administrativer Aufwand für das Unternehmen.

Zeitgleich zum Versenden der Ergebnisse per E-Mail werden die Ergebnisse für die Administration ins Dashboard geladen. In diesem System kann die Administration über das Menü auswählen, ob sie die prozessbezogenen, ergebnisbezogenen oder offenen Fragen dargestellt haben möchte. Sobald ein Bereich ausgewählt ist, werden mit einem Liniendiagramm die durchschnittlichen Gesamtergebnisse aller bisherigen Evaluationen je Skala abgebildet. Durch Klicken auf einzelne Skalen werden die Gesamtergebnisse auf Fragenebene für diese Skala geöffnet. Durch verschiedene Filteroptionen können zudem nur einzelne Bereiche betrachtet werden. Es kann beispielsweise geschaut werden, wie Führungskräfteweiterbildungen im Vergleich zu allen Weiterbildungen bewertet wurden. Oder ein einzelnes Weiterbildungsunternehmen kann ausgewählt werden, um diese Ergebnisse genauer zu betrachten. Diese Filteroptionen können auch kombiniert werden: Beispielsweise können nur bestimmte Weiterbildungen eines Unternehmens oder die gleiche Weiterbildung von verschiedenen Unternehmen betrachtet werden. Auf Grundlage der Rückmeldung der Teilnehmenden im Rahmen der Evaluation können von der Personalabteilung Entscheidungen getroffen werden, bspw. welche Teilnehmenden in Zukunft zu welcher Weiterbildungsmaßnahme eingeladen werden oder ob bestimmte Formate oder Weiterbildungsunternehmen nicht mehr angeboten werden sollen.

Das LeWiT-Tool bietet Unternehmen somit einige Vorteile. Mitarbeitende setzen sich nach Weiterbildungen eigene Ziele zum Lerntransfer und zur Wissensweitergabe und reflektieren die Erreichung dieser Ziele. Dadurch wird im Unternehmen ein Fokus auf die Anwendung und Weitergabe von Weiterbildungsinhalten gelegt und den Mitarbeitenden vermittelt, dass diese Faktoren wichtig für sie selbst und das gesamte Unternehmen sind. Durch die Reflexion der eigenen Ziele wird außerdem eine Verbindung von formellen und informellen Lernstrategien erreicht. Das LeWiT-Tool soll so eine Steigerung des Lerntransfers und der Wissensweitergabe erreichen und dadurch die Wirksamkeit von Weiterbildungen insgesamt erhöhen. Wie in Phase 6 und 8 beschrieben, werden die Ziele und deren Erreichung an die Führungskräfte und die Personalverantwortlichen des Unternehmens weitergeleitet, welche basierend auf den Angaben die Mitarbeitenden beim Lerntransfer und der Wissensweitergabe unterstützen können. Führungskräfte und Personalverantwortliche werden so in den Kompetenzausbau einzelner Mitarbeitenden eingebunden. Die Personalabteilung kann außerdem die Beurteilung von Schulungen von allen Mitarbeitenden einsehen und somit strategische Entscheidungen zum Angebot bestimmter Formate oder Anbieter fundiert treffen. Die Aufgaben des LeWiT-Tools sind in Abb. 5.7 dargestellt.

Abb. 5.7
figure 7

Aufgaben des LeWiT-Tools

5.3.4 Evaluation des LeWiT-Tools

Die Evaluation des LeWiT-Tools erfolgte mit zwei Studien. Zum einen wurden mit Personen, die das Tool erprobt haben, Interviews geführt, zum anderen wurde eine größere Anzahl an potenziell interessierten Personen mithilfe einer virtuellen Vignettenstudie befragt. Mit den Studien wurde die Akzeptanz des LeWiT-Tools von (potenziell) Nutzenden untersucht und wahrgenommene Chancen und Risiken des digitalen Tools gesammelt. Die Ergebnisse werden genutzt, um das digitale Tool weiterzuentwickeln.

(1) Interviewstudie. Die Meinung zur Nutzung des LeWiT-Tools konnte von 52 Mitarbeitenden der Anwendungsunternehmen ebm und Brüggemann erfragt werden, die zuvor eine Weiterbildung besucht und im Anschluss das digitale Tool benutzt hatten. Die Probanden waren überwiegend männlich (79 %) und im Schnitt 37 Jahre alt. Von den Befragten gaben 46 % an eine abgeschlossene Berufsausbildung zu haben, weitere 26 % verfügten über einen Abschluss an einer Meister- oder Technikerschule und 28 % haben ein (Fach-)Hochschulstudium abgeschlossenen. Mit den Personen wurde ungefähr einen Monat nach dem Ausfüllen des zweiten Fragebogens des LeWiT-Tools ein 1–1,5-stündiges Evaluationsinterview geführt, das transkribiert und mit der Software MaxQDA ausgewertet und analysiert wurde. Im Allgemeinen wurde vor allem die einwandfreie Nutzung des digitalen Tools positiv hervorgehoben (40 Nennungen), sowie die Möglichkeit zur eigenen Zielsetzung (22 Nennungen). Kritisiert wurde allerdings, dass der Abstand zwischen den beiden Fragebögen im Tool zu groß war (20 Nennungen). Bezüglich der E-Mails, die von dem digitalen Tool verschickt wurden, wurde die große Verständlichkeit gelobt (28 Nennungen), aber kritisiert, dass diese teilweise im Spam-Ordner landeten (6 Nennungen). Besonders positiv bei den Fragebögen wurde der einfache Aufbau benannt (10 Nennungen), es wurde aber auch angemerkt, dass es als negativ empfunden wird, dass jedes Item beantwortet werden muss (12 Nennungen). Bei den Ergebnispräsentationen wurde angemerkt, dass sie gute Anreize setzen, um an den Zielen zu arbeiten (19 Nennungen), dass es aber teilweise auch Deutungsprobleme gab (6 Nennungen). Eine weiterführende Reflexion durch die Ergebnisdarstellungen wurde bei 12 Personen angeregt, zu einem verstärkten Austausch mit dem Vorgesetzten kam es aber nur bei 3 Personen. Viele Probanden berichteten, dass ihnen die Erinnerung an die Wissensweitergabe und die Anwendung durch das Tool sehr geholfen habe (19 Nennungen) und zu einer Steigerung dieser Aktivitäten geführt hat. Diesen Eindruck stützen auch die in den Fragebögen gewonnenen Daten. Im zweiten Fragebogen beurteilten die Probanden die Umsetzung ihrer Ziele zum Lern- und Wissenstransfer, die sie sich im ersten Fragebogen vorgenommen hatten. Hier gaben die Teilnehmenden an, dass sie im Schnitt 46 % der Maßnahmen umgesetzt haben, die sie sich nach der Weiterbildung vorgenommen hatten. Außerdem gaben die Probanden an, dass sie mit der Qualität der Umsetzung ihrer Ziele zu 52 % zufrieden sind. Bei den Zielen zur Wissensweitergabe gaben die Probanden an ihre Ziele zu 39 % erreicht zu haben. Insgesamt kann mit dem Einsatz des LeWiT-Tools von einem höheren Lerntransfer von der Weiterbildung in den Arbeitsalltag ausgegangen werden als bei den Vergleichszahlen von lediglich 10 % (Hall et al., 2014).

(2) Vignettenstudie. Zur Erreichung einer größeren Personengruppe, die sich potenziell für das LeWiT-Tool interessieren könnten, wurde zudem eine virtuelle Vignettenstudie durchgeführt. Zu Beginn der Studie wurde den Teilnehmenden eine kurze Videovignette zur Vorstellung des LeWiT-Tools präsentiert. Im Anschluss bewerteten die Teilnehmenden das LeWiT-Tool hinsichtlich seiner Technikakzeptanz mittels der Skalen von Mlekus et al. (2020) und nannten wahrgenommene Chancen und Befürchtungen des digitalen Tools. Von den 201 teilnehmenden Personen waren 106 potenzielle Nutzende, 73 Führungskräfte, 78 Personaler*innen und 72 Weiterbildner*innen (die Personen konnten mehreren Gruppen angehören). Die Stichprobe (47,76 % weiblich, 51,24 % männlich, 0,50 % divers) war durchschnittlich M = 47,55 Jahre alt (SD = 13,17 Jahre). Die drei häufigsten Berufsfelder waren: Kaufmännische Dienstleistungen, Warenhandel, Vertrieb, Hotel und Tourismus mit 22,39 %, Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht und Verwaltung mit 229,3990 % und Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung mit 21,39 %.

Das LeWiT-Tool wurde insgesamt positiv bewertet, erreichte jedoch auf den Technikakzeptanz-Skalen von 1 (trifft gar nicht zu) bis 6 (trifft völlig zu) keine Maximalwerte: erwartete Qualität der Ergebnisse (M = 4,36; SD = 0,95), wahrgenommene Nützlichkeit (M = 4,41; SD = 0,92), wahrgenommene Bedienbarkeit (M = 4,40; SD = 0,76) und Nutzungsintention (M = 4,34; SD = 1,18). Es wurden mit 318 zu 163 deutlich mehr Chancen als Befürchtungen genannt (siehe Tab. 5.1). Sie konnten in den meisten Fällen in Anlehnung an Kauffelds (2016) Kategorisierung der Einflussfaktoren auf die Wirksamkeit einer Maßnahme in die Kategorien Person, Training, Arbeitsumfeld und Technik sortiert werden. Die meisten Chancen (92 Nennungen) konnten dem Arbeitsfeld zugeordnet werden (z. B. mit jeweils 9 Nennungen die Möglichkeit, Führungskräfte in den Lern- und Wissenstransfer einbinden zu können, und die Unterstützung bei der Wissensweitergabe). Die meisten Befürchtungen innerhalb der Kategorisierung bezogen sich auf die Weiterbildungsteilnehmenden (36 Nennungen). So empfanden einige Befragten, dass die Mitarbeitenden durch die Toolnutzung zu transparent und dadurch stärker kontrolliert werden könnten (15 Nennungen). Zudem wurde der Datenschutz als gefährdet angesehen (9 Nennungen). Weitere Ergebnisse der Vignettenstudie sind bei Rothenbusch et al. (2022) zu finden.

Tab. 5.1 Wahrgenommene Chancen und Befürchtungen zum LeWiT-Tool

Anmerkung: Kategorisierung in Anlehnung an Kauffeld (2016)

Durch die Evaluationsstudien konnten zielgerichtet Änderungen am LeWiT-Tool vorgenommen werden, um die wahrgenommene Nützlichkeit und Bedienbarkeit zu erhöhen. Beispielsweise wurde der Abstand zwischen den beiden Fragebögen von zwei auf einen Monat verkürzt. Außerdem wurden die Ergebnisdarstellungen aufgrund der benannten Deutungsprobleme um Beschreibungen der einzelnen Skalen erweitert, in denen die Bedeutung einer hohen oder niedrigen Skalenausprägung erläutert werden.

Die Interaktion zwischen den (potenziell) Nutzenden, den Entwickelnden und dem digitalen Tool sollte sinnvoll gestaltet werden. Zum einen um gut verwertbare und aussagekräftige Evaluationsergebnisse zu erhalten. Zum anderen eröffnen diese Interaktionen, prospektiv an den später geplanten Einsatz im Unternehmen gedacht, Möglichkeiten für die Entwickelnden und das Unternehmen, Nutzende durch Technikakzeptanzmaßnahmen auf den späteren Tooleinsatz einzustimmen.

5.4 Technikakzeptanzmaßnahmen in der Entwicklungs- und Erprobungsphase digitaler Tools in KMU des Baugewerbes

Ungefähr zwei Drittel der Unternehmen im deutschen Baugewerbe plant verstärkt in die Digitalisierung zu investieren (Telekom, 2022). Beispielsweise gaben 43 % der Unternehmen an, zukünftig auf 3D-Planung setzen zu wollen (Telekom, 2022). Allerdings hält das deutsche Baugewerbe nach wie vor im Gegensatz zu allen anderen Gewerken zumeist an traditionellen Prozessen fest (Telekom, 2020), was durch fehlende zeitliche und finanzielle Ressourcen und Kompetenzen sowie Unklarheit des wirtschaftlichen Nutzens mitbedingt sein kann (Thonipara et al., 2020).

Zur Überwindung dieser Hürden muss der Implementierungsprozess neuer digitaler Tools im Baugewerbe gut vorbereitet, koordiniert, überwacht und evaluiert werden. Dies ist jedoch einfacher gesagt als getan. In der Praxis stoßen viele Digitalisierungsprozesse auf Hürden: Toolentwickelnde brauchen oft einen langen Atem, da die Verbreitung digitaler Tools viele Jahre benötigen kann (McKinsey, 2017), und in Anwendungsunternehmen stehen hohe finanzielle Kosten häufig nicht erfüllten Nutzen gegenüber (Zobell, 2018). Dass der erwartete Nutzen nicht erreicht werden kann, liegt häufig daran, dass Mitarbeitende das neue digitale Tool nicht akzeptieren oder die verfügbaren Funktionen nicht allumfänglich nutzen (Agarwal & Prasad, 1999; Fichman und Kemerer 1999; Jasperson et al., 2005; Leonard-Barton, 1988; Nelson & Cheney, 1987; Venkatesh, 1999). Da Mitarbeitende mit dem neuen digitalen Tool und den daraus resultierten geänderten Prozessen und Strukturen arbeiten müssen, ist ihre Akzeptanz zentral für das Erreichen der mit der Tooleinführung verbundenen Ziele (Kohnke, 2017).

Der Schlüssel zu einer effektiveren Digitalisierung wird oft in der soziotechnischen Systemgestaltung (z. B. Pasmore et al., 2019) und menschenzentrierten Arbeitsgestaltung (z. B. Parker & Grote, 2020) gesehen. Die Zusammenschau menschlicher, unternehmensbedingter, ökosystemischer und technischer Faktoren ist in allen Phasen der Digitalisierung zentral – von der Entwicklung und Erprobung digitaler Tools bis zur Stabilisierung der Toolnutzung in Unternehmen (Pasmore et al., 2019; Venkatesh & Bala, 2008).

Im Projekt IN-DIG-O kann auf die Erfahrungen zur Entwicklung und Erprobung von zwei sehr unterschiedlichen digitalen Tools – Koop-3D und LeWiT-Tool – zurückgegriffen werden, die nach soziotechnischen Prinzipien gestaltet wurden. Im Folgenden werden mögliche Maßnahmen zum Sicherstellen der Technikakzeptanz der zukünftigen Nutzenden vorgestellt, anschließend von den Praxiserfahrungen in der Entwicklungs- und Erprobungsphase berichtet und abschließend Learnings abgeleitet.

5.4.1 Möglichkeiten zur Sicherung der Technikakzeptanz in der Entwicklungs- und Erprobungsphase digitaler Tools

Ob Mitarbeitende ein digitales Tool nutzen (wollen), hängt stark davon ab, wie nützlich und einfach bedienbar sie das digitale Tool finden – also ob sie es akzeptieren (Venkatesh & Bala, 2008). Die gemeinsame Optimierung des digitalen Tools und der Organisationsstrukturen und -prozesse (Ulich, 2013) muss menschenzentriert vorgenommen werden, indem proaktiv die Arbeitsgestaltung, Arbeitsbedingungen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten der Nutzenden beachtet und verbessert werden (Parker & Grote, 2020). Deshalb scheint der Einbezug der Einstellungen, Ziele, Erwartungen, Emotionen, Kompetenzen und des Verhaltens der zukünftigen Nutzenden bereits während der Entwicklungs- und Erprobungsphase sinnvoll.

Maßnahmen aus vier Bereichen können während der Entwicklung und dem ersten Einsatz eines digitalen Tools ergriffen werden, um die Akzeptanz eines digitalen Tools bei Mitarbeitenden zu sichern (Venkatesh & Bala, 2008):

  1. 1)

    Optimierung informations- und system-relevanter Designmerkmale, indem beispielsweise die für den Nutzungszweck relevanten Informationen schnell, akkurat und verständlich geliefert werden und das System zuverlässig, flexibel und nutzerfreundlich gestaltet wird.

  2. 2)

    Partizipation der Nutzenden, indem sie Verantwortung im Implementierungsprozess übernehmen, mit dem digitalen Tool interagieren und hands-on Tätigkeiten übernehmen, wie z. B. Systemtestungen und -evaluationen und Beteiligung an der Veränderung von Unternehmensprozessen.

  3. 3)

    Direkte und indirekte Unterstützung der Entwicklung und Erprobung durch das Management, indem Führungskräfte aktiv Anreizstrukturen schaffen, sich an der Optimierung des digitalen Tools, der Prozesse und Aufgaben beteiligen, ihre Befürwortung für die Digitalisierung aussprechen und Ressourcen zur Verfügung stellen.

  4. 4)

    Incentive Alignment (die individuelle Wahrnehmung, dass ein digitales Tool zu den Arbeitsanforderungen und zum Wertesystem einer Person passt), indem beispielsweise ein Anreizsystem zur Nutzung des digitalen Tools geschaffen wird oder der individuelle Anreiz zur Toolnutzung herausgearbeitet wird.

Durch Einsatz dieser Maßnahmen kann anfänglicher Widerstand gegen ein digitales Tool verringert und ein realistischer Blick auf die Möglichkeiten des digitalen Tools im Berufsalltag gebildet werden (Venkatesh & Bala, 2008). Aus diesen Bereichen wurden im Projekt IN-DIG-O Maßnahmen in die Entwicklungs- und Erprobungsphasen der beiden Tools Koop-3D und LeWiT-Tool eingesetzt.

5.4.2 Praxiserfahrungen zur Entwicklung und Erprobung von Koop-3D und des LeWiT-Tools

In der Literatur liest man selten, wie Technikakzeptanzmaßnahmen nach verschiedenen Bedingungen (z. B. unterschiedliche Branchen, Ziele, Situationen und digitale Tools) differenziert werden müssen. Im Projekt IN-DIG-O wurden zwar in derselben Branche, aber mit unterschiedlichen Zielen und in unterschiedlichen Situationen zwei verschiedene digitale Tools entwickelt und erprobt.

Gemein ist beiden digitalen Tools, dass sie von unternehmensexternen Softwareentwickelnden programmiert wurden, wenn auch von verschiedenen. Beide Softwareunternehmen arbeiten an einer Standard-Software, die mit kleineren individuellen Anpassungen in vielen KMU eingesetzt werden können soll. Unterschiede liegen nicht nur im unterschiedlichen Zweck (Koop-3D: Optimierung der interdisziplinären Zusammenarbeit, LeWiT-Tool: Optimierung des Lern- und Wissenstransfers) sondern auch im Umfang der Folgen der Einführung. Koop-3D verändert Prozesse des Kerngeschäfts, ist branchenspezifisch und wird unternehmensübergreifend, verpflichtend und als Teamwerkzeug zum Informationsaustausch eingesetzt. Für die Nutzung ist Sorgfalt und Verbindlichkeit zwingend notwendig. Das LeWiT-Tool betrifft keine Kerngeschäftsprozesse, sondern das Kompetenzmanagement, ist branchenunspezifisch und wird innerhalb eines Unternehmens auf freiwilliger Basis genutzt. Sorgfalt und Verbindlichkeit sind wünschenswert, um die Ziele der Toolnutzung zu erreichen; ein Unterbleiben wird jedoch nur in seltenen Fällen mit negativen Konsequenzen einhergehen.

In der nachfolgenden Beschreibung liegt der Fokus auf den Maßnahmen zur Sicherung der Technikakzeptanz der Nutzenden. Andere Prozesse wie z. B. interne Abstimmungen in den Softwareunternehmen werden ausgeklammert. Zur Konzeption beider digitaler Tools wurden mehrere Besprechungen innerhalb des Projektteams zur deskriptiven Beschreibung der aktuellen Situationen, des jeweiligen Wunschzustands und weiterer möglicher Einflüsse der digitalen Tools auf Mitarbeitende und Unternehmensprozesse durchgeführt. Des Weiteren wurden in mehreren Workshops und Besprechungen die zukünftigen Nutzenden nach ihren Wünschen und Anforderungen an das Tool, sowie ihren Zielen befragt. Zur Entwicklung von Koop-3D kamen beispielsweise in einem Workshop die Projektbeteiligten mit den Kooperationsbeteiligten aus dem HSLE-Bereich des Anwendungsunternehmens Brüggemann in intensiven Austausch. Die Ergebnisse wurden zusammengefasst und um Anregungen aus weiteren Gesprächen ergänzt. In der Entwicklung des LeWiT-Tools wurden neben mehreren Workshops in unterschiedlichen Konstellationen mit Projektbeteiligten, der Geschäfts- und Betriebsleitung sowie Führungskräften des Anwendungsunternehmens ebm eine Paper–Pencil-Version zu einem Teil des geplanten digitalen Tools erstellt, zu der sechs Mitarbeitende Feedback gaben.

Die Erprobung erfolgte bei beiden digitalen Tools in mehreren Entwicklungsrunden nach jeweils einer Präsentation und Übergabe des Prototyps an die Anwendungsunternehmen. Die Erprobungen fielen mitten in die COVID-19-Pandemie. Die Auswirkungen innerhalb dieser unübersichtlichen und ungewissen Zeit konnten jedoch durch die Flexibilität aller Projektbeteiligten auf zeitliche Verschiebungen reduziert werden.

Koop-3D wurde in drei realen Bauprojekten des Anwendungsunternehmens Brüggemann mit den jeweiligen Kooperationsbeteiligten erprobt. Nach jedem Bauprojekt wurde Koop-3D basierend auf den Rückmeldungen überarbeitet. Die ersten beiden Projekte – ein Doppelhaus und ein Einfamilienhaus – bezogen sich auf die Planungsphase. Durch das Feedback der Vertretenden der Subunternehmen im ersten Projekt wurde deutlich, dass detaillierte gewerkspezifische Anpassungen notwendig werden. Deshalb konzentrierte sich die Erprobung im zweiten Projekt zunächst auf ein Gewerk, das Gewerk Elektro, für das die meisten Vorteile aus der Toolnutzung vermutet wurden. Das dritte Projekt – eine Grundschule – fokussierte die Ausführungsphase. Ergänzt wurde die Erprobung in der Ausführungsphase durch diverse kleinere Erprobungen auf verschiedenen Baustellen des Anwendungsunternehmens ebm durch einen Obermonteur, das hauseigene Planungsbüro für die Technische Gebäudeautomation und eine Technikerin des Arbeitsbereiches Service und Wartung. Die Nutzung von Koop-3D wurde allerdings in den Projekten unabhängig von den realen Bauprozessen erprobt. Zusätzlich testeten Teilnehmende von sieben Schulungen des BTZ verschiedene Funktionen des digitalen Tools im Rahmen einer Kurseinheit zum Thema BIM.

Die Erprobung des LeWiT-Tools startete im Anwendungsunternehmen ebm mit dem Übertragen der Daten aus der Paper–Pencil-Version und dem Eintragen einer Reihe von fiktiven Schulungen in das System. Nachdem das digitale Tool durch das resultierende Feedback angepasst wurde, kam es zu einem kurzfristigen Go-Live, da spontan (während der COVID-19-Pandemie) Schulungen angeboten wurden, die Mitarbeitende nutzen wollten. Anschließend wurden alle Mitarbeitenden, die Schulungen besuchten, zur Nutzung des LeWiT-Tools eingeladen. Feedback wurde in mehreren Etappen eingeholt und das LeWiT-Tool schrittweise auf Version 2 und 3 geupgradet. Nach dem Go-Live bei ebm wurde das LeWiT-Tool ebenfalls beim Anwendungsunternehmen Brüggemann und der TU Braunschweig erprobt.

Die Bekanntmachung und Aufforderung zur Nutzung liefen bei den beiden digitalen Tools unterschiedlich. Während bei Koop-3D die Anwendungsunternehmen informell um Beteiligung baten, wurde beim LeWiT-Tool neben dem informellen Appellieren durch Personalentwicklung und Betriebsleitung an der Erprobung teilzunehmen, Flyer, Plakate und E-Mails als Werbemaßnahmen genutzt. Eine geplante Präsentation des LeWiT-Tools auf einer Vollversammlung aller Mitarbeitenden von ebm fiel im Rahmen der COVID-19-Schutzmaßnahmen aus.

5.4.3 Learnings aus den Entwicklungs- und Erprobungserfahrungen mit Koop-3D und dem LeWiT-Tool

Aus der erfolgreichen dreieinhalb-jährigen Durchführung des Projekts IN-DIG-O können einige Learnings gezogen werden, die auf eine Optimierung von Entwicklungs- und Erprobungsprozesse digitaler Tools einzahlen können:

Learning #1: sorgfältige deskriptive, normative und prädiktive Analyse

Vorbereitung ist zwar nicht alles, kann aber in seiner Bedeutung kaum unterschätzt werden. Hier ist vor allem das Gewicht einer sorgfältigen deskriptiven, normativen und prädiktiven Analyse der Situation (z. B. Baxter & Sommerville, 2011) hervorzuheben, die Prozesse, Strukturen und Arbeitsgestaltung proaktiv gestaltbar macht, die Wahrscheinlichkeit einer effektiven Toolnutzung erhöht und dadurch zeitliche, finanzielle und personelle Ressourcen in der Implementierung schont. Im Projekt IN-DIG-O wurden deshalb mehrere Workshops und Besprechungen durchgeführt sowie Dokumentationen der Anforderungen erstellt. Dadurch konnten die Konzeptionen der digitalen Tools gut auf die Bedingungen und Bedürfnisse der Unternehmen ausgerichtet werden. Trotzdem gab es Überraschungen, die durch eine noch aufmerksamere Analyse hätten vermieden werden können. Beispielsweise führte beim LeWiT-Tool eine Skala zur Unterstützung durch die Führungskraft dazu, dass Ergebnisberichte teilweise nicht – wie angedacht – an die entsprechenden Führungskräfte weitergeleitet wurden, um mögliche Konfrontationen zu vermeiden. Um solche Befindlichkeiten in der (v. a. prädiktiven) Analyse aufzudecken, sollte nicht das digitale Tool als Ganzes im soziotechnischen System betrachtet werden, sondern alle seine Funktionen und Bestandteile einzeln und in Zusammenschau.

Learning #2: aktiver Einbezug aller Nutzendengruppen

Personen aus allen potenziellen Nutzendengruppen sollten aktiv und umfangreich in die Gestaltung digitaler Tools eingebunden werden. Im Projekt IN-DIG-O wurden bei beiden digitalen Tools Vertreter*innen aller Nutzendengruppen über verschiedene Maßnahmen (Workshops, Besprechungen, Erprobung einer Demo-Version) in die Anforderungsanalysen und Erprobung einbezogen. Allerdings waren im ersten Erprobungsprojekt von Koop-3D die Subunternehmen trotz Beteiligung an der Anforderungsanalyse vom digitalen Tool nur eingeschränkt überzeugt. Erst das Einbinden von Expert*innen aus dem Gewerk Elektro in die konkrete Systemgestaltung brachte in dem nachfolgenden Bauprojekt deutliche Fortschritte in der wahrgenommenen Nützlichkeit von Koop-3D.

Learning #3: Berücksichtigen der Nützlichkeitserwartungen jeder Nutzendengruppe

Die Frage „Welchen Nutzen zieht Ihr, Nutzendengruppe XY, aus der Nutzung des digitalen Tools?“ ist zentral. Diese Frage wurde im Projekt IN-DIG-O selbstverständlich gestellt. Es muss, erstens, darauf geachtet werden, dass jede Nutzendengruppe persönlich gefragt wird und nicht andere Personen über ihre Meinung mutmaßen. Zweitens muss ihre Antwort ernst genommen werden und bei beispielsweise fehlender Machbarkeit von Toolanforderungen so lange verhandelt werden, bis eine Toolversion gefunden wurde, deren Einsatz sich für jede Nutzendengruppe (ausreichend) lohnt. Bei Koop-3D sind Vertretende des Totalunternehmens und beim LeWiT-Tool ist eine Vertretung der Personalentwicklung als Projektbeteiligte direkt für die Entwicklung und Erprobung verantwortlich. Ihre Anforderungen und Erwartungen wurden vorrangig in die Toolentwicklung einbezogen. Die Bedürfnisse der anderen Nutzendengruppen (z. B. bei Koop-3D des Elektro-Gewerbes oder beim LeWiT-Tool der Führungskräfte) hätten noch früher mit einbezogen werden können, um die Erfolgswahrscheinlichkeiten der digitalen Tools effizienter zu erhöhen.

Learning #4: Einsatz zeitnaher formativer Evaluationsmaßnahmen

Eine formative Evaluation der Entwicklungs- und Erprobungsmaßnahmen hat einen direkt nutzbaren Mehrgewinn für die Tooloptimierung, sollte dafür jedoch so gestaltet sein, dass sie sehr zeitnah Ergebnisse liefert. Beispielsweise konnten durch die begleitenden Interviewstudien zu den Erprobungen zentrale Themen herausgearbeitet, durch gezielte Fragen vertieft und mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aus anderen Projekten angereichert werden. Dadurch konnte eine objektive Datenbasis für die Weiterentwicklung der digitalen Tools geschaffen werden, die spontane Eindrücke und Einzelaussagen untermauern oder relativieren konnte. Gleichzeitig benötigen viele wissenschaftliche Methoden mehr Zeit als den von Tatendrang angetriebenen Projektbeteiligten lieb ist, sodass die Gefahr besteht, dass „vorläufig“ auf Erinnerungen und informelle Mitschriften zur Toolweiterentwicklung zurückgegriffen wird. Zwar kann ein Appell an die Geduld der Projektbeteiligten formuliert werden, jedoch steht vor allem die wissenschaftliche Begleitung im Zugzwang, effiziente und methodisch hochwertige Methoden auszuwählen, um die angestrebte Synergie zwischen Praxis und Wissenschaft in Forschungs- und Entwicklungsprojekten (F&E-Projekten) zu ermöglichen.

Learning #5: Erprobung des digitalen Tools in den intendierten Prozessen

Die Erprobung und Optimierung eines digitalen Tools ist nicht zu Ende, wenn alle Funktionen des digitalen Tools getestet und gegebenenfalls überarbeitet wurden, sondern wenn der gesamte neue Prozess, in den das digitale Tool involviert ist, erfolgreich durchlaufen wurde. Beispielsweise wurden beim LeWiT-Tool durch diverse Feedbackschleifen die system- und informationsbezogenen Designmerkmale kontinuierlich optimiert. Dieser Optimierungsprozess lief allerdings vorrangig unidirektional, das heißt, es wurden Veränderungsforderungen an das digitale Tool gestellt und entsprechende Änderungen vorgenommen. Die intendierten Prozessveränderungen im Kompetenzmanagement des Anwendungsunternehmens (z. B. Konsequenzen zur Schulungsbuchung aus den Evaluationen ziehen und Ergebnisberichte in Feedbackgesprächen zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften nutzen) wurden allerdings bisher nur in einem geringen Umfang umgesetzt. Im Sinne des soziotechnischen Systemansatzes verläuft ein zielführender Optimierungsprozess jedoch multidirektional, indem die organisationalen, menschlichen, technischen und ökosystemischen Faktoren aktiv und simultan entsprechend einer Zielvision aneinander angepasst werden (Pasmore et al., 2019). Die Bewährung des digitalen Tools kann erst beurteilt werden, wenn es im intendierten Gefüge operieren kann.

5.5 Zusammenfassung und Ausblick

Die Digitalisierung durchdringt langsam, aber stetig das Baugewerbe (Telekom, 2020; Thonipara et al., 2020). Bauprozesse werden um neue Möglichkeiten digitaler Tools wie BIM angereichert und verändern sich dadurch (Jacobsson & Merschbrock, 2018). Damit auch KMU, die häufig nicht über die benötigten Ressourcen und Kompetenzen verfügen, der Einstieg in diesen Trend ermöglicht wird, unterstützt das Projekt IN-DIG-O mit der Entwicklung und Erprobung zweier digitaler Tools: Koop-3D und LeWiT-Tool.

Koop-3D unterstützt die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Gewerke in der Gebäudeplanungs- und Bauausführungsphase mittels eines 3D-Gebäudemodells, ohne dass Nutzende der Subunternehmen Vorkenntnisse in der 3D-Planung benötigen (siehe Abschn. 5.2). Um den Kompetenzaufbau in KMU effektiver zu gestalten, kann das LeWiT-Tool genutzt werden (siehe Abschn. 5.3). Es begleitet Mitarbeitende nach Abschluss von Weiterbildungen, indem es durch gezielte Fragen zum Lerntransfer in den Arbeitsalltag und zur Wissensweitergabe an das Kollegium anregt. Zusätzlich dient das digitale Tool zur Evaluation der Weiterbildungen.

Die Evaluationsergebnisse der beiden digitalen Tools zeigen insgesamt auf, dass die digitalen Tools gut zu bedienen sind. Allerdings sind bei der Nützlichkeitsabschätzung Ambivalenzen erkennbar. Trotz vieler als praktisch und nützlich eingeschätzter Funktionen, wurde von einigen Personen der Nutzen im persönlichen Arbeitsalltag infrage gestellt. Eine mögliche Teilerklärung ist, dass – wie bei vielen Digitalisierungen (Pasmore et al., 2019) – die organisationalen Veränderungen dem technischen Fortschritt hinterherhinken. Die beiden digitalen Tools wurden für Arbeitsprozesse konzipiert, die in den Unternehmen noch nicht umgesetzt und gelebt wurden. Koop-3D weicht von dem traditionellen Vorgehen im Bauprozess ab und ebnet den Weg für eine stärker verzahnte Zusammenarbeit und einen stärkeren Fokus auf die Bauplanung; das LeWiT-Tool zielt auf eine offen gelebte und reflektierte Lerntransfer-, Wissensweitergabe- und Feedbackkultur ab. Die alleinige Nutzung der digitalen Tools führt nicht zu diesen Prozessen und dieser Kultur. Sie müssen im Zusammenspiel mit der Technik, den Mitarbeitenden, der Organisation und dem Ökosystem (siehe soziotechnischer Systemansatz; z. B. Pasmore et al., 2019) aktiv gestaltet und etabliert werden. Da digitale Tools erfahrungsgemäß viele Jahre zur Verbreitung benötigen können (McKinsey, 2017) und die Digitalisierung sich weg von einer projekt-basierten Ausnahmesituation hin zu einem kontinuierlichen Anpassungsprozess entwickelt (Pasmore et al., 2019), sehen die Projektbeteiligten in diesen Diskrepanzen kein Hindernis, sondern die Indikatoren für die nächsten Entwicklungsschritte im digitalen Transformationsprozess. Die Learnings aus den bisherigen Entwicklungs- und Erprobungserfahrungen (siehe Abschn. 5.4) können dabei helfen, die nächsten Schritte zu planen.

Über das Projekt IN-DIG-O hinaus ist eine Sensibilisierung möglichst vieler KMU der Baubranche für mögliche Integrationswege von BIM oder BIM-orientierten digitalen Tools wie Koop-3D oder auch von Lern- und Wissenstransferstrategien mittels digitaler Tools wie dem LeWiT-Tool wünschenswert, um sie im Lichte der aktuellen Megatrends wie der Digitalisierung, dem Klimaschutz oder dem demografischen Wandel in ihrer Handlungsfähigkeit zu unterstützen. Erreicht werden kann dies durch Schulungen (siehe Abschn. 5.2.5), der Installation von Netzwerken, über die (Best-)Practice, Informationen und niederschwellige (Selbst-)Beratungsangebote geteilt werden können (siehe Infobox zu Weiterführende Unterstützung: Netzwerkarbeit und Selbstberatungsangebote) und die Teilnahme von Unternehmen an F&E-Projekten.

Weiterführende Unterstützung über das Projekt IN-DIG-O hinaus: Netzwerkarbeit und Selbstberatungsangebote

Um über das Projekt IN-DI-O hinaus Hilfestellung bei den Themen „BIM“, „Lerntransfer nach Weiterbildungen“ und „Wissensweitergabe im Kollegium“ bieten zu können, wurde ein Netzwerk mit interessierten KMU gegründet. Es wird genutzt, um über Neuigkeiten in den Themenfeldern zu informieren und längerfristig als Austauschplattform zu dienen.

Des Weiteren stellt das Projekt IN-DIG-O zwei Selbstberatungsleitfäden zur Verfügung: einen Leitfaden für BIM und einen Leitfaden für den Lern- und Wissenstransfer. Durch die Leitfäden sollen möglichst viele KMU erreicht werden, die sich niederschwellig und in ihrem eigenen Tempo den Themen annähern können und somit entscheiden können, ob eine umfassendere Beratung bei einer Fachperson in Anspruch genommen werden soll. Dieses selbstbestimmte Vorgehen bei der Selbstberatung hilft an den eigenen Zielen zu arbeiten; für die Zielerreichung ist dann allerdings das Hinzuziehen einer Fachperson sinnvoll (Losch et al., 2016).

Die Entwicklung der Selbstberatungsleitfäden orientiert sich an dem Drei-Phasen-Modell von Lewin (1947), in dem die Phasen „Unfreeze“, „Move“ und „Refreeze“ definiert werden. In der „Unfreeze“-Phase werden Veränderungsbedarfe durch die Erfassung der Diskrepanz zwischen Ist- und Soll-Zustand erkannt. Die „Move“-Phase dient der Planung und Umsetzung notwendigen Schritte und in der „Refreeze“-Phase werden die Veränderungen langfristig im Unternehmen verankert. In den Leitfäden werden alle drei Phasen angesprochen, wobei der Fokus auf der „Unfreeze“-Phase liegt.

Die Unternehmen werden in beiden Leitfäden instruiert, ein Planungsteam – bestehend aus Mitarbeitenden in Schlüssel- und Entscheidungspositionen – zu bilden, um schneller und besser auf die Zielerreichung hinarbeiten zu können (Losch et al., 2016) und um im Fall einer Umsetzung nachhaltige Veränderungen bewirken zu können (Kauffeld & Berg, 2022) Anschließend werden Fragen zum deskriptiven Ist-Zustand (z. B. „Inwiefern werden die Mitarbeitenden in die Planung des Weiterbildungsbesuchs einbezogen?“), zur Prädiktion (z. B. „Welche Arbeitsprozesse würden sich bei Ihnen im Unternehmen durch den Einsatz des LeWiT-Tools verändern?“), zum normativen Soll-Zustand (z. B. „Sollen eine neue/andere Kundschaft gewonnen werden? Wer ist die zukünftige Zielgruppe?“), zu benötigten Kompetenzen (z. B. „Wie könnten die benötigten Kenntnisse erlangt werden?“) und zum möglichen Implementierungsprozess (z. B. „Wie könnten Sie Mitarbeitende an die Nutzung des Tools heranführen?“) gestellt. Abschließend soll ein Fazit, bestehend aus einer Pro-/Kontraliste und der Entscheidung für oder gegen eine Toolimplementierung, gezogen werden.

Abschließend folgt ein Plädoyer für F&E-Projekte. Das gemeinsame Interesse an den Themen des F&E-Projekts IN-DIG-O schaffte Synergien zwischen verschiedenen Zielen. Die Projektbeteiligten wertschätzten, dass die verschiedenen Blickwinkel der beteiligten Fachpersonen zu neuartigen Problemlösungen führten und die unterschiedlichen Ziele der Beteiligten gemeinschaftlich erreicht werden konnten. Des Weiteren befruchteten die verschiedenen Herangehensweisen der Praxis und Wissenschaft sich gegenseitig. Durch das F&E-Projekt blieben die Projektbeteiligten auf dem neusten Stand und es ermöglichte den KMU die Beteiligung an technischen Innovationen und Weiterentwicklungen. Kritische Stimmen zweifeln die Übertragbarkeit der Ergebnisse von F&E-Projekten in die Wirklichkeit der Baubranche aufgrund veränderter (v. a. kooperativerer) Verhaltensweisen der Beteiligten an (Braun & Kropp, 2021). Nichtsdestotrotz bieten die Projektergebnisse eine sehr gute Grundlage auf dem Weg, KMU der Baubranche an digitale Möglichkeiten zur Optimierung des Bauprozesses sowie des Lerntransfers und der Wissensweitergabe heranzuführen.