FormalPara Zusammenfassung

Eine große Sorge vieler Menschen im Zusammenhang mit chronischer Pflegebedürftigkeit gilt dem drohenden Verlust der Autonomie, nicht zuletzt im Kontext medizinischer Maßnahmen in lebensbedrohlichen Situationen, die mit Einwilligungsunfähigkeit einhergehen. Der bislang etablierte Einsatz von Patientenverfügungen lässt deren Potenzial, Autonomie zu stärken, bisher weitgehend ungenutzt. Advance Care Planning/Behandlung im Voraus Planen ist ein bisher wenig etabliertes Konzept, das die Vorausplanung für künftige, mit Einwilligungsunfähigkeit einhergehende gesundheitliche Krisen als einen anspruchsvollen Prozess gemeinsamer Entscheidungsfindung versteht. Kern des Konzepts ist die Befähigung der vorausplanenden Person zu autonomen Entscheidungen durch eine qualifizierte Gesprächsbegleitung. Fürsorge wird hier als umfassende Stärkung der Fähigkeit zu autonomen Entscheidungen verstanden. Die dabei ermittelten individuellen Behandlungspräferenzen können in inhaltlich aussagekräftige Patientenverfügungen im Sinne wohlinformierter Festlegungen münden. Damit die so dokumentierten Behandlungswünsche zuverlässig Beachtung finden, sind eine institutionelle Implementierung und eine regionale Vernetzung der beteiligten Akteure erforderlich. Mit dem § 132g SGB V haben pflegebedürftige Menschen in Einrichtungen der stationären Pflege und der Eingliederungshilfe Anspruch auf kassenfinanzierte Gesprächsbegleitungen erhalten. Der Beitrag thematisiert aktuelle Herausforderungen und Kontroversen und formuliert Anregungen für eine Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen des Advance Care Planning in Deutschland.

A major concern of many people regarding chronic need of nursing care is the impending loss of autonomy, not least in the context of medical interventions in life-threatening situations with decisional incapacity. So far, the prevalent use of advance directives leaves their potential to strengthen autonomy largely unused. The approach of advance care planning (ACP) conceptionalises planning for future health crises associated with decisional incapacity as an elaborated process of shared decision-making, with qualified facilitators enabling the planning person to make autonomous choices for the care they want to receive in possible future health crises. Preferences can be documented in relevant advance directives. Institutional implementation and regional networking of all players involved in the care of the target population warrant that these treatment wishes are known and honoured where necessary. § 132g of the German Social Code Book V (SGB V) entitles residents in long-term care facilities and facilities for persons with disabilities to take part in facilitated ACP conversations covered by the health insurance funds. The article discusses current challenges and controversies and makes suggestions for improving the implementation of advance care planning in Germany.

1 Chronisch-progrediente Pflegebedürftigkeit und Autonomie

Dauerhafte, perspektivisch zunehmende Pflegebedürftigkeit, wie sie für altersassoziierte Gebrechlichkeit und/oder chronische Multimorbidität typisch ist, ist ein komplexes, demographisch bedingt hoch relevantes Phänomen mit zahlreichen gesellschaftlichen Implikationen. In einer marktwirtschaftlich ausgerichteten Leistungsgesellschaft ist sie nicht zuletzt eine Provokation, weil pflegebedürftige Menschen nicht nur in einem enggeführten ökonomischen Sinne weitgehend „unproduktiv“, sondern auch noch zunehmend passiv sind und die Kapazitäten eines solidarisch finanzierten Gesundheitssystems in erheblichem Umfang in Anspruch nehmen.

Mit Blick auf diese Provokation ist zu betonen, dass Pflegebedürftigkeit als betroffene Person zu erleben sowie sich ehrenamtlich oder beruflich in ihren Dienst zu stellen eine tiefgreifende, prägende, mitunter beglückende und entwicklungsfördernde (zwischen)menschliche Erfahrung von liebevoller Zuwendung und Solidarität sein kann. Diese Facette von Pflegebedürftigkeit zu unterschätzen hieße, einem durch den Leistungsgedanken verzerrten, eindimensionalen Menschenbild sowie einer Stigmatisierung pflegebedürftiger Menschen Vorschub zu leisten. Und gleichzeitig ist chronisch-progrediente Pflegebedürftigkeit für viele betroffene Menschen nicht zuletzt oder sogar vor allem dies: eine schmerzliche Erfahrung des Verlusts ihrer Autonomie, den sie nur schwer verwinden können. Und neben dem Verlust der Voraussetzungen für viele Formen der Aktivität und Produktivität ist es vor allem dieser Autonomieverlust, dessentwegen viele (noch) nicht betroffene Menschen diesen Zustand in besonderer Weise fürchten (Büscher und Dorin 2014, S. 47 ff).

Daher ist es kein Zufall, dass im gesellschaftlichen Diskurs über pflegebedürftige Menschen die Frage, wie ihre prekäre Autonomie gewahrt und geschützt werden kann, eine überragende Rolle spielt. Dem fragilen Selbstbestimmungsrecht pflegebedürftiger Menschen Geltung zu verschaffen ist eine Aufgabe, die allen an der alltäglichen, pflegerischen und medizinischen Versorgung dieser Personen beteiligten Menschen ein hohes Maß an Achtsamkeit, Sorgfalt und Bemühung abverlangt. Der systemimmanenten Tendenz zu standardisiertem Vorgehen ist eine konsequente, kontinuierliche Orientierung an Wunsch und Willen der einzelnen Person entgegenzustellen, die zu gewährleisten einen gesellschaftlichen Willen und gesellschaftliche Ressourcen erfordert – und eine individuelle Haltung, die Selbstbestimmung im Allgemeinen und für diese vulnerable Personengruppe im Besonderen als ein schützenswertes und förderwürdiges Recht respektiert.

2 Akutmedizinische Behandlung pflegebedürftiger Menschen in Unkenntnis des individuellen Patientenwillens als Beispiel einer systematischen Autonomieverletzung

Für chronisch pflegebedürftige Personen gilt, dass das Auftreten lebensbedrohlicher, mit Einwilligungsunfähigkeit einhergehender Erkrankungen im Vergleich zu einer gesunden Vergleichsgruppe relativ häufig, die zu gewinnende Lebenszeit dagegen relativ gering ist. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass eine Wiederherstellung des – ohnehin funktional schon eingeschränkten – Status quo ante gelingt, ist im Mittel vergleichsweise gering. Chronische Pflegebedürftigkeit korreliert mit Gebrechlichkeit (Frailty),Footnote 1 die mit einer statistisch deutlich geringeren Chance einhergeht, von akut- und intensivmedizinischen Maßnahmen zu profitieren (Günther et al. 2020; Jung et al. 2021; Muscedere et al. 2017).

Diese schlechtere prognostische Ausgangslage korrespondiert erwartungsgemäß mit dem Wunsch vieler Menschen im Zustand fortgeschrittener Frailty, Belastungen und Risiken medizinischer Maßnahmen mit dem Ziel der Lebenserhaltung in diesem Fall nicht in dem Umfang hinzunehmen, der sich durch „das medizinisch Machbare“, also die medizinische Indikation ergibt (Garden et al. 2022; Hickman et al. 2004; Klemmt et al. 2021). Vielmehr möchte eine Mehrheit dieser Menschen Belastungen und Risiken lebenserhaltender Maßnahmen in einem solchen Fall nach den eigenem Vorstellungen diesseits des medizinisch Machbaren begrenzen – sei es, dass ihnen der Tod auf natürlichem Wege aus den unterschiedlichsten Gründen schlicht willkommen geworden ist oder sei es, dass sie ihn einem Weiterleben mit den gegebenen und künftig womöglich zunehmenden Einschränkungen, Belastungen und Beschwernissen auf körperlicher, sozialer und seelischer Ebene vorziehen. Das Wissen um die vergleichsweise geringe Effektivität lebenserhaltender Maßnahmen bei pflegebedürftigen Menschen und um ihre diesbezüglich häufig restriktiven individuellen Behandlungspräferenzen begründet eine imperative ethische und auch rechtliche Verpflichtung, dieser Personengruppe aktiv und gezielt zu ermöglichen, ihre Behandlungspräferenzen auf geeignete Weise im Voraus zu entwickeln und kundzutun. Das dafür geeignete Instrument, die Vorausverfügung, ist seit gut 50 Jahren bekannt, doch ihr Potenzial bleibt bisher weitgehend ungenutzt.

3 Die bisherige Herangehensweise an Patientenverfügungen: Systemversagen infolge fortgesetzter impliziter Reichweitenbeschränkung und fehlender Befähigung

Patientenverfügungen, obwohl formal seit den 1970er Jahren in Deutschland etabliert, erfüllen bis heute nicht zuverlässig die Funktion, die ihnen öffentlich zugeschrieben wird, nämlich typische medizinische Behandlungsentscheidungen in lebensbedrohlichen, mit Einwilligungsunfähigkeit einhergehenden Situationen zu leiten. Nur eine Minderheit der Seniorinnen und Senioren hat eine Patientenverfügung erstellt (Klemmt et al. 2021; Sommer et al. 2012), die im Bedarfsfall nicht immer zur Hand ist bzw. an den Schnittstellen nicht zuverlässig übergeben wird (de Heer et al. 2017). Vor allem aber sind Patientenverfügungen von ungenügender Aussagekraft und fragwürdiger Validität (Sommer et al. 2012; in der Schmitten et al. 2014). Entsprechend bleiben sie nicht selten unbeachtet (Sommer et al. 2012) bis hin zur auch heute noch anzutreffenden kontrafaktischen Vorstellung, Patientenverfügungen seien für nicht-ärztliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Rettungsdienstes (rechtlich) nicht bindend (Wiese et al. 2011).

Eine Patientenverfügung ist eine vorweggenommene Einwilligung oder vielmehr in der Regel eine Ablehnung, unter bestimmten Umständen lebenserhaltende Maßnahmen anzuwenden. Damit eine Einwilligung in medizinische Maßnahmen oder deren Ablehnung wirksam ist, muss sie nach deutschem Recht wohlinformiert sein (Informed Consent/Refusal, vgl. § 630d, § 630e BGB). Gemeinsame Entscheidungsfindung, die einer wohlinformierten Einwilligung idealtypisch vorausgeht, lässt sich als Prozess der Kommunikation und Kollaboration beschreiben, der zum Ziel hat, die Patientin oder den Patienten zu befähigen, die für ihn richtige Entscheidung zu treffen, also sein Selbstbestimmungsrecht auszuüben (Elwyn 2021).

Es ist inkonsequent, dass ausgerechnet die Patientenverfügung als eine der Sache nach vorweggenommene Informed Refusal von Anfang an außerhalb dieses Regelwerks einer wohlinformierten Einwilligung bzw. Ablehnung geblieben ist. Die Szenarien, über die es dafür nachzudenken gilt, und die zu treffenden Entscheidungen sind den meisten Menschen fremd und zudem für viele durch das ausdrückliche Ansprechen der eigenen Sterblichkeit tabuisiert, angstbesetzt oder gar Trigger für unbewusste Emotionen. Es bedarf deshalb einer sorgsamen Urteilsbildung auf der Basis meist neuer Informationen und möglichst unbeeinflusst von den Ängsten, die eine solche gedankliche Konfrontation auslösen kann. Eine solche Urteilsbildung gilt dann als tragfähig, wenn sie entweder im individuellen sozialen Netzwerk der Betroffenen entsteht oder aber wenn sie ersatzweise zumindest im ärztlichen Gespräch an einem wohlwollend-kritischen ärztlichen Gegenüber erprobt und erhärtet worden ist (relationale Autonomie) (Ach und Schöne-Seiffert 2013).

Nichts von alldem ist bisher für das Zustandekommen von Patientenverfügungen realisiert worden. Vor diesem Hintergrund ist die Sorge gegenüber dem darin liegenden fehlgeleiteten Autonomieverständnis nachvollziehbar, die der sog. Reichweitenbeschränkung von Patientenverfügungen – das geltende Recht kennt sie nicht (Patientenverfügungen sind „unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung“ zulässig, § 1901a Abs. 3 BGB (zur Debatte vgl. Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin 2004)) – zugrundeliegen mag. Was infolgedessen mittels der reichweitenbeschränkten und damit für den klinischen Entscheidungsalltag wenig relevanten, bis heute unverändert gebräuchlichen Formulare wie z. B. des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV)Footnote 2 übrigblieb, war die rechtswirksame Verfügung von in der Praxis in der Regel wirkungslosen, aber damit auch unschädlichen Festlegungen – eine moderne Variante von „Des Kaisers neue Kleider“, weil das interessierte Volk bis heute ernstnimmt und mit einem gewissen Eifer verfolgt, was nach besserem Wissen in seiner zugeschriebenen Wirkung gar nicht existiert (in der Schmitten und Marckmann 2013).

4 Advance Care Planning (Behandlung im Voraus Planen): Shared Decision Making (gemeinsame Entscheidungsfindung) für mögliche künftige Szenarien

Die vorstehende Analyse hat deutlich werden lassen, dass gerade pflegebedürftige Menschen zur Wahrung ihrer Autonomie gegenüber den etablierten akutmedizinischen Standards Gelegenheit erhalten müssen, für den Fall künftiger schwerer, mit Einwilligungsunfähigkeit einhergehender Erkrankungen ihre Behandlungspräferenzen wirksam zum Ausdruck zu bringen, und was in erster Linie geschehen muss, damit das Instrument der Patientenverfügung hierfür genutzt werden kann: nämlich eine umfassende qualifizierte Gesprächsbegleitung nach den Standards von Shared Decision Making und Informed Consent. Genau dies ist das Potenzial des in den 1990er Jahren als Alternative zur bisherigen Herangehensweise an Patientenverfügungen entwickelten Konzepts des Advance Care Planning (ACP), das wir mit Behandlung im Voraus Planen (BVP) übersetzen.

Advance Care Planning ist gemeinsame Entscheidungsfindung und wohlinformierte Einwilligung bzw. (in der Regel) Ablehnung für den Fall künftiger möglicher gesundheitlicher Krisensituationen, die mit Einwilligungsunfähigkeit einhergehen. Diese Vorausplanung ist durch den hypothetischen Charakter der zu planenden Situation prinzipiell unterschieden, im Übergangsbereich aber nur unscharf abgegrenzt von der Behandlungsplanung, die sich auf absehbares, konkret zur Entscheidung anstehendes medizinisches Handeln bezieht.

Zu Advance Care Planning gehört jedoch nicht nur, dass Behandlungspräferenzen im Rahmen eines hierfür erforderlichen Gesprächsprozesses valide eruiert und aussagekräftig dokumentiert, sondern auch, dass sie zuverlässig beachtet werden. Dabei wird es als Verantwortung nicht mehr der einzelnen Person, sondern des (Gesundheits-)Systems verstanden, definierten Zielgruppen regelmäßig qua aktiver Einladung Gelegenheit zu einer qualifiziert begleiteten Vorausplanung zu geben, darauf zu achten, dass diese regelmäßig und nach Bedarf aktualisiert wird, und zu gewährleisten, dass die so entstandenen aussagekräftigen und validen Vorausplanungen bei Bedarf zur Stelle sind, von den handelnden Akteuren – gleich an welcher Schnittstelle oder in welchem Versorgungssektor bzw. welchem Setting – verstanden und schließlich auch befolgt werden. Hierfür ist es erforderlich, Advance Care Planning als ein Geschehen auf drei Ebenen zu verstehen:

  1. 1.

    auf der individuellen Ebene der Gesprächsbegleitung durch eine ACP-spezifisch qualifizierte Person (in Kooperation mit dem/der ebenfalls ACP-spezifisch qualifizierten behandelnden Arzt/Ärztin),

  2. 2.

    auf der Ebene der Implementierung in allen für die Versorgung der definierten Zielgruppe relevanten Institutionen und Diensten, namentlich der Rettungsdienste und der Einzugskrankenhäuser sowie

  3. 3.

    auf der Ebene der regionalen Vernetzung der beteiligten Akteure, welche die Entwicklungen auf Ebene der Individuen, Institutionen und Dienste koordinieren und auf einheitliche, nachhaltig verankerte Qualitäts- und Dokumentationsstandards hinwirken sowie Maßnahmen der Qualitätssicherung planen und durchführen.

Für die Wirksamkeit einer Vorausplanung sind ihre Inhalte von entscheidender Bedeutung. Nur wenn häufige medizinische Entscheidungssituationen, die mit Verlust der Einwilligungsfähigkeit einhergehen, im Gespräch und in der anschließenden Dokumentation abgedeckt werden, kann bei Eintritt der beschriebenen Situationen verlässlich der vorausverfügte Wille der Betroffenen umgesetzt werden. Die Vorausplanung sollte mehrere separate Abschnitte umfassen (in der Schmitten et al. 2016):

  1. 1.

    Allgemeine Einstellungen zum Leben, Sterben und zum Einsatz medizinischer Maßnahmen bei schweren Erkrankungen (Therapiezielklärung).

  2. 2.

    Behandlungspräferenzen für mögliche zukünftige Entscheidungssituationen: Dabei sollten drei typische klinische Szenarien besprochen werden, die sich durch die jeweils verfügbare Information über den weiteren Verlauf unterscheiden:

    1. a.

      Akute gesundheitliche Krisen mit einem plötzlichen Verlust der Entscheidungsfähigkeit (bspw. in einem von ärztlicher Seite mit verantworteten Notfallbogen (Kretschmer 2002; in der Schmitten et al. 2015b)).

    2. b.

      Akute schwere Erkrankung mit Entscheidungsunfähigkeit unklarer Dauer

    3. c.

      Chronische Erkrankung mit dauerhafter Entscheidungsunfähigkeit

  3. 3.

    Ermittlung und Benennung einer Vertrauensperson (bevollmächtigte Person).

Studien zu Advance Care Planning weisen darauf hin, dass ACP die Anzahl von Vorausplanungsgesprächen und erstellten Patientenverfügungen steigert (Hammes et al. 2010; in der Schmitten et al. 2014), die Übereinstimmung der durchgeführten Behandlung mit den Wünschen der Betroffenen fördert (Detering et al. 2010; Hammes et al. 2010) sowie mit einem vermehrten Einsatz von palliativer und hospizlicher Versorgung verbunden ist (Brinkman-Stoppelenburg et al. 2014). Zudem kann ACP Belastungen, Entscheidungskonflikte und Stress für die Angehörigen und das Personal reduzieren (Detering et al. 2010). Dabei zeigt sich, dass komplexe ACP-Programme, die verschiedene Interventionskomponenten verbinden, die Übereinstimmung der Behandlung mit den Patientenwünschen effektiver fördern (Brinkman-Stoppelenburg et al. 2014). Auch in stationären Pflegeeinrichtungen wurden ACP-Programme evaluiert (Flo et al. 2016). In einer Studie in deutschen Senioreneinrichtungen erhöhte ACP nicht nur die Anzahl, sondern auch die Qualität von Patientenverfügungen (in der Schmitten et al. 2014). In der Folge können die Übereinstimmung der Behandlung mit den Wünschen der Bewohner sowie der Ressourceneinsatz insbesondere durch den Verzicht auf ungewünschte Krankenhausweinweisungen optimiert werden (Klingler et al. 2016; Molloy et al. 2000; Morrison et al. 2005).

In jüngster Zeit wird die Wirksamkeit von ACP kontrovers diskutiert (Morrison et al. 2021). Eine ACP-Studie in niederländischen Pflegeeinrichtungen konnte zwar eine vermehrte Anzahl von Patientenverfügungen und benannten Stellvertretern feststellen, aber keine signifikanten Effekte auf die Aktivierung und die Lebensqualität der Bewohner (Overbeek et al. 2018). Eine große multizentrische europäische Studie zeigte bei Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen keinen positiven Effekt von ACP auf Lebensqualität, Symptomlast und Patientenzufriedenheit (Korfage et al. 2020).

Bei der Interpretation dieser Studienergebnisse ist zu berücksichtigen, dass dabei Outcomes gewählt wurden, die nicht eine primäre Zielsetzung von ACP darstellen, wie beispielsweise Lebensqualität oder die Aktivierung von Patientinnen und Patienten. Zudem beschränkte sich in vielen Studien die Intervention auf einzelne ACP-Elemente wie Vorausplanungsgespräche oder -dokumente. Angesichts der Bedeutung von institutioneller Implementierung und Vernetzung im regionalen Versorgungssystem für die verlässliche Umsetzung der ermittelten Behandlungspräferenzen überrascht es wenig, dass die Studien keine signifikanten Effekte von ACP zeigen konnten. Nicht zuletzt dürfte der Effekt von ACP auch von der Auswahl der Zielgruppe abhängen. Personen mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung bleiben beispielsweise meist bis zuletzt entscheidungsfähig und können selbst aktuell über mögliche Grenzen lebenserhaltender Therapien entscheiden, sodass eine Vorausplanung gar nicht zum Einsatz kommen kann. Die Studienergebnisse und die aktuelle Diskussion belegen aber, wie wichtig es ist, weitere qualitativ hochwertige Studien durchzuführen, welche die Effektivität komplexer ACP-Interventionen hinsichtlich der Förderung des primären Ziels von ACP untersuchen: die Übereinstimmung der durchgeführten Behandlung mit den zuvor ermittelten Wünschen einwilligungsunfähiger Patientinnen und Patienten (McMahan et al. 2021). Aktuell (09/2019 bis 02/2023) läuft in Deutschland eine vom Innovationsfonds geförderte cluster-randomisierte kontrollierte Studie zur Auswirkung einer komplexen Advance-Care-Planning-Intervention in Senioreneinrichtungen (BEVOR, Fkz. 01VSF18004).

5 Der neue § 132g SGB V: Advance Care Planning als mögliche Leistung der Krankenkassen für pflegebedürftige Menschen in Einrichtungen der stationären Seniorenpflege und der Eingliederungshilfe

Im Hospiz- und Palliativgesetz wurde im Dezember 2015 mit dem § 132g Sozialgesetzbuch V erstmals in Deutschland eine Finanzierungsmöglichkeit für die von spezifisch hierfür qualifizierten Gesprächsbegleitenden (entsprechend den ACP facilitators des US-amerikanischen Konzepts) moderierte Vorausplanung von Behandlungsentscheidungen geschaffen (Rixen et al. 2016; Rixen 2019). Das Angebot der „Gesundheitlichen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase“ orientiert sich dabei ausdrücklich an dem internationalen ACP-KonzeptFootnote 3 und bietet stationären Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung die Möglichkeit, ACP-Gesprächsleistungen zulasten der Krankenkassen abzurechnen. Dabei wird es den Einrichtungen freigestellt, ob sie ihren Bewohnern die neue Gesprächsleistung anbieten wollen und wenn ja, ob diese durch Personal der Einrichtungen oder ihrer Träger oder in Kooperation mit anderen regionalen Anbietern erbracht wird.

Die Details der Umsetzung regelt eine Vereinbarung zwischen dem GKV-Spitzenverband und den Trägerverbänden der Einrichtungen vom 13.12.2017. Für jede Einrichtung wird bei Nachweis der vorgeschriebenen Qualifikation das Äquivalent einer Vollzeitkraft auf 400 Bewohner finanziert, die solche ACP-Gesprächsbegleitungen anbieten kann. Zusätzlich zur Beratung der Bewohner obliegt den ACP-Gesprächsbegleitenden bzw. Einrichtungen die sogenannte interne und externe Vernetzung (§§ 11 und 12 der Vereinbarung), also die nachhaltige Implementierung des neuen Konzepts innerhalb der teilnehmenden Einrichtungen und die erforderliche Koordination mit allen anderen beteiligten Institutionen und Akteuren, vor allem den Hausärztinnen und -ärzten und Palliativnetzen sowie dem Personal von Rettungsdienst und Krankenhäusern.

Aufgrund der unterschiedlichen Rechtssystematiken von Sozialgesetzbuch und Betreuungsrecht ist bisher wenig beachtet worden, welchen weitreichenden inhaltlichen Umbruch der § 132g SGB V in Bezug auf die Entstehung einer Patientenverfügung bedeutet. Im „Patientenverfügungsgesetz“ (Drittes Gesetz zur Änderung des Betreuungsgesetzes, §§ 1901a ff BGB) war nach langem parlamentarischem Ringen von einer fachlich qualifizierten „Beratungspflicht“ abgesehen worden, um die formalen Hürden für die Erstellung einer Patientenverfügung möglichst gering zu halten. So verständlich und bedenkenswert diese Motivation auch war, so problematisch ist die Folge, dass – wie oben näher ausgeführt – Patientenverfügungen regelmäßig erstellt werden, ohne dass zuvor eine individuelle Befähigung im Sinne einer „Informed Refusal“ stattgefunden hat. Der § 132g SGB V setzt dem den Anspruch einer definierten kleinen Zielgruppe auf eine kassenfinanzierte ACP-Gesprächsleistung entgegen, die genau diesen Zweck – die Befähigung zu einer individuellen Vorausplanung – zum Ziel hat. Damit hat der Gedanke, dass die Erstellung einer Patientenverfügung einer spezifischen Qualifizierung bedarf, Einzug in die Gesetzgebung gehalten. Der dafür gewählte Weg, die vorangegangene qualifizierte Unterstützung bei der Vorausplanung nicht zu einer Voraussetzung für deren – auch rechtliche – Verbindlichkeit zu machen, sondern der Zielgruppe diese qualifizierte ACP-Gesprächsbegleitung vielmehr regelhaft anzubieten, stellt einen Kompromiss zwischen der angestrebten niedrigschwelligen Gültigkeit von Patientenverfügungen einerseits und dem faktisch dringlichen Beratungserfordernis mit dem Ziel eines Informed-Refusal-Standards andererseits dar.

6 Aktuelle Herausforderungen und Kontroversen bei der Umsetzung des § 132g SGB V

Bei der Umsetzung des § 132g SGB V entstanden inhaltliche Kontroversen in der Frage der Interpretation und Umsetzung von Advance Care Planning, die der unterschiedlichen Herkunft, Perspektive und Interessenslage der Akteure bzw. ihrer Verbände, aber auch unterschiedlicher Vertrautheit mit dem wissenschaftlichen Diskurs zu Advance Care Planning geschuldet sein mögen. Hinzu kommen Herausforderungen, die aus den seit Inkrafttreten des Gesetzes gemachten Erfahrungen in der Sache resultieren.

Diese im Folgenden skizzierten Kontroversen und Herausforderungen zu verstehen und zu einer konstruktiven Entwicklung beizutragen ist von größter Bedeutung. Denn der § 132g SGB V kann als ein gesundheitspolitischer Versuchsballon verstanden werden kann, insofern die ausgewählte Zielgruppe ja nicht substanziell von anderen Personen unterschieden ist, die einen vergleichbaren Bedarf an einer ACP-Gesprächsbegleitung haben, aber im ambulanten Sektor versorgt werden. Fortbestehen, Weiterentwicklung oder auch Beendigung dieser neuen Kassenleistung werden wesentlich davon abhängen, ob es den beteiligten Akteuren gelingt, Kontroversen zu überbrücken, die vorhandenen Möglichkeiten in überzeugender Weise zu nutzen und der gemeinsamen Sache bei der Gesundheitspolitik Gehör zu verschaffen.

Fragwürdige Fokussierung von Advance Care Planning auf das „Lebensende“ sowie auf eine Beratung zur Hospiz- und Palliativversorgung

Advance Care Planning ist gemäß internationaler Definition (Rietjens et al. 2017) darauf ausgelegt, Menschen zu befähigen, Ziel und Umfang medizinischer Maßnahmen in lebensbedrohlichen, mit Einwilligungsunfähigkeit einhergehenden Situationen nach ihren individuellen Wünschen, Präferenzen und Wertvorstellungen zu gestalten. Advance Care Planning dient folglich der Autonomie der Betroffenen und kann insofern nur ergebnisoffen sein; es demgegenüber – wie der Gesetzgeber in der Überschrift des § 132g SGB V – wertend als Planung „für die letzte Lebensphase“ zu bezeichnen, kann daher vielleicht am ehesten als ein Fehlverständnis vor dem Hintergrund der bis heute vielfach nicht überwundenen historischen, nämlich von der Reichweitenbegrenzung diktierten Rezeption von Patientenverfügungen verstanden werden.

Advance Care Planning ist aber in keiner Weise reichweitenbeschränkt: Weder sind alle mit dem § 132g SGB V angesprochenen Bewohner terminal erkrankt; viele haben vielmehr eine Lebenserwartung von Jahren oder Jahrzehnten. Noch bedeutet eine Vorausplanung stets nur eine Begrenzung oder Verneinung von Therapie mit dem Ziel der Lebenserhaltung: Nicht wenige dieser Menschen entscheiden sich im Rahmen des Vorausplanungsprozesses dafür, den akutmedizinischen Standard der Lebenserhaltung uneingeschränkt oder mit nur wenigen Einschränkungen zu bestätigen. Eine solche Planung ist dann aber schlechterdings in keiner Weise „für das Lebensende“, sondern vielmehr „für den Fall einer lebensbedrohlichen Erkrankung“. Daher präferiert die 2017 gegründete deutsche Fachgesellschaft für Advance Care Planning (www.advancecareplanning.de) die neutrale, ergebnisoffene Übersetzung „Behandlung im Voraus Planen“ gegenüber der für den § 132g SGB V gewählten Überschrift.

Unbeschadet dieser begrifflichen Klärung ist es ebenso richtig, dass Advance Care Planning eine breite Schnittstelle zur Palliativversorgung bietet. Denn viele Menschen in den gesetzlich spezifizierten Settings präferieren wiederum als Ergebnis einer ACP-Gesprächsbegleitung, dass in lebensbedrohlichen gesundheitlichen Krisen – ungeachtet einer etwaigen medizinischen Indikation! – Maßnahmen mit dem Ziel der Lebenserhaltung nur in stark begrenztem Umfang oder gar nicht zum Einsatz kommen sollen. Die Beachtung dieser Präferenzen in solchen Fällen durch eine auch akut abrufbare palliative Versorgung zu ermöglichen ist für die entsprechenden Einrichtungen eine Herausforderung, die palliativpflegerisches Know-how in der Einrichtung sowie eine enge Vernetzung mit palliativmedizinisch kompetenten (Haus-)Ärztinnen und Ärzten bzw. multiprofessionellen Palliativdiensten voraussetzt.

Im selben Zusammenhang gibt es unterschiedliche Einschätzungen zu der Frage, ob Beratung zur Hospiz- und Palliativversorgung ein Teil von Advance Care Planning ist. Der Gesetzestext versucht, zwei Aufträge miteinander zu verbinden, die bei genauer Betrachtung wenig miteinander zu tun haben: die Beratung über „Hilfen und Angebote der Sterbebegleitung“, die jedenfalls der Hospiz- und Palliativversorgung zuzuordnen ist, und die Vorausplanung insbesondere für „mögliche Notfallsituationen“ lebensbedrohlicher gesundheitlicher Krisen, wie sie der internationalen Definition von Advance Care Planning entspricht. Dabei ist bisher nicht gezeigt worden (und auch nicht erkennbar), dass eine anlasslose Aufklärung der in Einrichtungen der Seniorenpflege und der Eingliederungshilfe lebenden Menschen über „Hilfen und Angebote der Sterbebegleitung“ gewünscht und von Nutzen ist. Zumindest bedürfte es für eine solche Beratung keiner gesonderten ACP-Qualifizierung der Gesprächsbegleitenden, wie sie in der Umsetzungsvereinbarung vom 17.12.2017 zu § 132g SGB V dann an anderer Stelle (§ 12) definiert wird, sondern einer palliativmedizinischen Qualifizierung, wie es sie etwa für Pflegekräfte schon gibt, sofern nicht geeignete Printmaterialien schon genügen würden. Wichtiger für die diesbezüglich aktuell bedürftigen Bewohner der genannten Einrichtungen erschiene es vielmehr, dass Palliativkonzept, palliative Haltung, palliative Ressourcen und palliative Vernetzung verlässlich vor Ort verfügbar sind und sich im Bedarfsfall als kurzfristig abrufbar und tragfähig erweisen.

Aus wissenschaftlicher Sicht erscheint es mehr als unglücklich, dass seitens des Gesetzgebers beim Auftrag des § 132g SGB V eine begriffliche Vermischung ohne erkennbare sachliche Grundlage stattgefunden hat, denn die im Gesetz verankerte Vorstellung, das (laut Umsetzungsvereinbarung „an Advance Care Planning angelehnte“) Beratungsangebot des § 132g SGB V solle neben der Vorausplanung für medizinische Behandlung in gesundheitlichen Krisen eine Beratung über „Hilfen und Angebote der Sterbebegleitung“ beinhalten, muss als eine wesentliche Grundlage für den seither ausgetragenen, im folgenden Abschnitt vorgestellten konzeptionellen Konflikt angesehen werden.

Konkurrierende konzeptionelle Schwerpunkte und uneinheitliche Standards bei der Qualifizierung von Advance-Care-Planning-Gesprächsbegleitenden

Ein Überblick über die verschiedenen Anbieter von Qualifizierungen für die Rolle der Gesprächsbegleitenden nach § 132g SGB V ist den Autoren nicht bekannt. Die von zwei der Autoren (GM und JidS) mitverantwortete Version dieser Qualifizierung wird von Schulungszentren angeboten, deren Trainer nach dem Standard von Advance Care Planning Deutschland (www.advancecareplanning.de) zertifiziert sind. Anders konzeptionierte oder akzentuierte Qualifizierungen werden von den zahlreichen regionalen (Palliativ-)Akademien zum Beispiel der Wohlfahrtsverbände angeboten, von privaten Einrichtungsträgern und von einzelnen diesbezüglich wissenschaftlich oder praktisch engagierten Akteuren.

Die Umsetzungsvereinbarung zum § 132g SGB V benennt in § 12 zwar die Themenfelder, die in der Qualifizierung zur Gesprächsbegleitung verbindlich abgedeckt worden sein müssen. Doch es werden nicht die ACP-spezifischen Kompetenzen formuliert, die für einen erfolgreichen Abschluss demonstriert werden müssen. Zudem ist keine ACP-spezifische Qualifizierung für Trainer vorgegeben, was bedeutet, dass jede von einem Schulungszentrum ausgewählte Lehrperson die Qualifizierung für den § 132g SGB V unterrichten darf, ohne dafür formal ACP-spezifische Qualifikationen mitbringen zu müssen. Den Autoren ist bisher nur von dem von ihnen mitverantworteten Konzept von Advance Care Planning Deutschland bekannt, dass – in Anlehnung an das US-amerikanische Vorbild Respecting Choices – eine aufwendige ACP-spezifische Trainer-Qualifizierung mit nahezu 200 UE absolviert werden muss, deren erfolgreicher Abschluss zur Zertifizierung als ACP-Gesprächsbegleiter-Trainer führt. Offenbar bestehen unter den Anbietern der § 132g-Qualifizierung weit auseinanderliegende Vorstellungen darüber, als wie spezifisch diese Qualifizierung zu gelten hat, und es existieren diesbezüglich in der Umsetzungsvereinbarung keine Vorgaben (und somit auch keine Kontrollen).

Eher anekdotisch lässt sich Gesprächen mit verschiedenen anderen Schulungsanbietern sowie Personen, die deren Schulungen absolviert haben, entnehmen, dass deren Fokus vergleichsweise stärker auf Palliative-Care-Themen als auf Advance Care Planning liegt. Solche Unterschiede lassen sich durch die Formulierung des § 132g SGB V erklären, die zumindest Raum für einen solchen Palliative-Care-Schwerpunkt lässt. Auch werden unterschiedliche Formulare für die Dokumentation von Vorausplanungsgesprächen (also für die Erstellung entsprechender Patientenverfügungen) verwendet bzw. empfohlen, darunter auch gar keine sowie nicht selten die bis dato verbreiteten, oben ausführlich kritisch diskutierten Formulare des BMJV. Letzteres korrespondiert mit der an dieser Stelle für die Autoren unverständlichen Umsetzungsvereinbarung zum § 132g SGB V, die in einer Fußnote ausdrücklich dazu einlädt, u. a. diese bisher verbreiteten, in ihrer Reichweite beschränkten und daher für den klinischen Entscheidungsalltag weitgehend unwirksamen Formulare zu verwenden.

Nach Einschätzung und Erfahrung der wissenschaftlichen Fachgesellschaft Advance Care Planning Deutschland ist die spezifische Qualifizierung zur ACP-Gesprächsbegleitung äußerst ernstzunehmen, da mit dieser Tätigkeit Verantwortung dafür übernommen wird, dass etwaige Festlegungen hinsichtlich der Durchführung oder Unterlassung lebenserhaltender Therapie – nicht nur, aber insbesondere auch für den Notfall – verlässlich dem Willen der vorausplanenden Person entsprechen. Daher besteht seitens der Fachgesellschaft der Anspruch, dass nur zertifizierte ACP-Gesprächsbegleiter-Trainer zum Einsatz kommen dürfen und dass im Rahmen der Qualifizierungsmaßnahme seitens der ACP-Gesprächsbegleiter-Trainees für eine erfolgreiche Zertifizierung die erforderlichen Kompetenzen entwickelt und demonstriert werden müssen. Die für die Qualifizierung von Advance Care Planning Deutschland entwickelten Standards umfassen daher eine gegenüber der Vorgabe in § 12 der Umsetzungsvereinbarung deutlich erhöhte Zahl von Unterrichtsstunden (Umfang des Workshops), von der rund ein Drittel durch Kleingruppen-Training mit Simulationspatientinnen und -patienten gekennzeichnet ist, sowie zusätzlich zur Vorgabe der Umsetzungsvereinbarung weitere Supervisions-Stunden der ersten realen Übungsgespräche zwischen den hierfür auseinandergezogenen drei Workshop-Blöcken. Zudem ist aus Sicht von Advance Care Planning Deutschland mit Blick auf die Hürden der Implementierung des Konzepts in Rettungsdiensten und Krankenhäusern und auf die erforderliche Validität eine möglichst bundesweit einheitliche Dokumentation (besonders hinsichtlich der Planung für den akutmedizinischen Notfall) dringend wünschenswert, die mit einem anerkannten Qualitätsstandard für die Qualifizierung von ACP-Gesprächsbegleiterinnen und -begleitern hinterlegt ist (Nauck et al. 2018).

Advance Care Planning mit der Vertretung dauerhaft einwilligungsunfähiger Personen

Viele Personen der im § 132g SGB V benannten Zielgruppen sind nicht mehr (oder waren noch nie) selbst einwilligungsfähig, sondern werden durch einen Bevollmächtigten oder Betreuer vertreten. Auch und gerade für diese Personen ist das Angebot einer qualifiziert begleiteten, entsprechend mit der vertretenden Person durchgeführten Vorausplanung und ihre Dokumentation dringend erforderlich, gerade für den Notfall, wo z. B. der rechtliche Betreuende zur Unzeit noch schlechter erreichbar ist als bevollmächtigte Angehörige und wo auch bei Erreichbarkeit einer Vertretung der Notfall unter Umständen keine Zeit mehr lässt, den mutmaßlichen Willen der Betroffenen gründlich zu rekonstruieren und dabei womöglich auch noch eigene emotionale Befindlichkeiten der vertretenden Person angemessen zu bearbeiten.

Im Zuge der Umsetzung des § 132g SGB V wurden Unsicherheit und Sorgen geäußert, inwieweit eine Dokumentation der mit der Vertretung durchgeführten Vorausplanung, die ja per definitionem keine Patientenverfügung gemäß § 1901a BGB ist, rechtlich tragfähig sein kann, da eine schriftliche Vorausplanung durch die Vertretung im Betreuungsrecht bisher nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt ist. Dieser Befürchtung ist empirisch entgegenzusetzen, dass von Vertretungen verantwortete schriftliche Begrenzungen lebenserhaltender Therapie im Krisenfall seit vielen Jahren in deutschen Einrichtungen der stationären Seniorenpflege regelmäßig gelebte Praxis sind (in der Schmitten et al. 2014; Sommer et al. 2012), sodass die Frage nicht lauten kann, ob solche Vorausplanungen toleriert werden sollten, sondern wie sie so gestaltet werden können, dass sie ethischen, medizinischen und rechtlichen Standards genügen (in der Schmitten et al. 2021). Es ist auch ohne eine ausdrückliche gesetzliche Regelung nicht nur das Recht, sondern die Pflicht der Bevollmächtigten bzw. Betreuenden, für den Fall lebensbedrohlicher Situationen im Voraus zu planen und den mutmaßlichen Willen der Betroffenen bestmöglich zu rekonstruieren, wenn dadurch am ehesten im Sinne der Betroffenen gehandelt werden kann (Lipp 2020; Petri und Prütting 2021a, 2021b; in der Schmitten et al. 2015a). In vielen Fällen lässt sich der mutmaßliche Wille des betroffenen Individuums für einschlägige gesundheitliche Krisensituationen zuverlässig in Erfahrung bringen oder zumindest mit guter Annäherung rekonstruieren. Je weniger in diesem Prozess über den mutmaßlichen Willen der betroffenen Person in Erfahrung gebracht werden kann, desto zurückhaltender muss aus verfassungsrechtlicher Sicht eine etwaige Begrenzung von lebenserhaltenden Maßnahmen im Sinne der Betroffenen erfolgen (Höfling 2019).

Advance Care Planning als Mittel der Kostensenkung im Gesundheitswesen? Risiken und Nebenwirkungen von Advance Care Planning

Die Etablierung eines kassenfinanzierten Angebots von Advance Care Planning für die vulnerable Gruppe der in Einrichtungen der stationären Seniorenpflege und der Eingliederungshilfe lebenden Menschen gibt Anlass zur Sorge, dass es sich bei diesem aus den USA stammenden Konzept um ein verdecktes Instrument zur Senkung des stetig wachsenden Ressourcenbedarfs für das Gesundheitssystem handeln könnte, von dem ein nicht geringer Teil bekanntlich in den letzten Lebensjahren eines Menschen entsteht. Insbesondere steht in Frage, ob bei einem Angebot an alle Bewohner der den § 132g SGB V umsetzenden Einrichtungen noch die Freiwilligkeit gewährleistet werden kann, dieses Angebot anzunehmen oder auch nicht. Eine weitere Sorge lautet, ob der Beratungsprozess selbst mit der gebotenen Achtsamkeit und Sensibilität erfolgt (oder überhaupt erfolgen kann), ohne dass sich selbst bei guten Absichten der Systemdruck suggestiv oder gar manipulativ auswirkt und die Entscheidungen der Betroffenen systematisch verfälscht, etwa im Sinne eines vermeintlich kostensparenden Verzichts auf Maßnahmen mit dem Ziel der Lebenserhaltung (Coors 2019; Neitzke 2015).

Diese Sorgen und Mahnungen sind jedenfalls insoweit berechtigt, als Advance Care Planning ein außerordentlich anspruchsvoller Gesprächsprozess ist, bei dem seitens der ACP-Gesprächsbegleiterinnen und -begleiter in hohem Maße ein Potenzial für Suggestion und Manipulation sowie nach Erfahrung der Autoren noch mehr für Verfälschung und Irreführung durch mangelndes Verständnis bzw. nicht überwundene fehlerhafte Vorverständnisse im Bereich der Vorausplanung für lebensbedrohliche gesundheitliche Krisen gegeben ist. Dies rechtfertigt, an die Qualifizierung zur ACP-Gesprächsbegleitung höchste Maßstäbe anzulegen und auch im weiteren Verlauf eine Qualitätssicherung dieser Gesprächsführung zu gewährleisten (Riedel et al. 2019). Die Autoren teilen die geäußerten Sorgen mit Blick darauf, dass die gegenwärtige Konstruktion des § 132g SGB V wie oben dargelegt weder bei den Anbietern der ACP-Gesprächsbegleiter-Qualifizierung eine ACP-spezifische Trainer-Qualifizierung voraussetzt, noch dass für die Qualifizierung für die ACP-Gesprächsbegleitung der erfolgreiche Nachweis erworbener Kompetenzen, also ein Bestehen vorausgesetzt wird, geschweige dass Rezertifizierungen und Qualitätskontrollen von ACP-Gesprächsbegleiterinnen und -begleitern vorgesehen sind. Hier besteht ein dringlicher Handlungsbedarf.

Was die Freiwilligkeit der Inanspruchnahme eines institutions-weiten Advance-Care-Planning-Angebots angeht, so ist diese Forderung selbstverständlich berechtigt und die Erfahrung bestätigt, dass ein Teil der angesprochenen Personen dieses Angebot nicht oder nicht zum aktuellen Zeitpunkt in Anspruch nehmen möchte. Eine darüber hinaus gehende Kritik in dem Sinne, dass ein proaktiv aufsuchendes Angebot im Grunde abzulehnen ist, da es eine Art unvermeidlichen Gruppenzwang entfalte, dem sich kaum zu entziehen sei, schüttet dagegen das Kind mit dem Bade aus. Denn es ist umgekehrt der akutmedizinische Standard der Lebenserhaltung mit allen medizinisch möglichen, hoch invasiven Mitteln, der seit vielen Jahren für alle Bewohner unausgesprochen gilt und auch bei Einwilligungsunfähigkeit zur Anwendung kommt, ob sie dies wollen oder nicht.

Es muss verwundern, dass über der Sorge vor einer Suggestion durch Advance Care Planning mit dem unterstellten Ziel der Kostenreduktion der äußerst reale Systemdruck des medizinisch-industriellen Komplexes ganz in Vergessenheit zu geraten scheint, der von der maximalen Therapie mit dem Ziel der Lebenserhaltung auch in dieser Patientengruppe bisher fraglos wirtschaftlich profitiert. So gesehen ist die Alternative gar nicht, ob eine Vorausplanung erfolgt oder nicht, sondern ob die systemimmanente, implizite und vielen Betroffenen in ihrer Konsequenz daher keineswegs bewusste „Vorausplanung“ für den Fall einer gesundheitlichen Krise im Sinne des akutmedizinischen Standards in dubio pro vita durch eine transparente und ergebnisoffene individuelle Vorausplanung ersetzt wird.

Eine weitere Kritik an Advance Care Planning postuliert einen Konflikt zwischen Fürsorge und Autonomie (Schuchter et al. 2018). Diese Antagonisierung übersieht, dass die Gleichsetzung von Fürsorge und medizinischer Lebenserhaltung paternalistische Züge hat und dass Fürsorge sich durchaus und vielleicht noch mehr darin äußern kann, Menschen mit großer Achtsamkeit und Sorgfalt zu befähigen, die für sie richtigen Abwägungen hinsichtlich des Einsatzes medizinischer Maßnahmen bei lebensbedrohlichen gesundheitlichen Krisen zu treffen (in der Schmitten und Marckmann 2019). Advance Care Planning ist Fürsorge durch Stärkung von Autonomie.

Was schließlich die vielen dieser Kritiken zugrundeliegende Sorge angeht, Advance Care Planning könne ein verdecktes Instrument zur Senkung der Kosten für das Gesundheitssystem sein, so ist es erstens richtig und zu begrüßen, dass die Vermeidung ungewollter Maßnahmen mit dem Ziel der Lebenserhaltung, insbesondere von Hospitalisierungen und intensivmedizinischen Behandlungen, Ressourcen freisetzt, die an anderer Stelle verwendet werden können (Klingler et al. 2016). Zweitens wird bisher unterschätzt, wie aufwendig und auch ressourcenintensiv eine richtig verstandene regionale Implementierung von Advance Care Planning sowie ein damit notwendig eng verschränktes Angebot palliativmedizinischer Betreuung ist. Bisherige Erkenntnisse sprechen dafür, dass die konsequente Implementierung von Advance Care Planning eher eine Kostenverlagerung mit dem Effekt einer erheblich verbesserten Versorgungsqualität zur Folge hat als eine Reduktion der Gesamtkosten. Die kritische Aufmerksamkeit sollte sich daher darauf richten, die regionale Implementierung von Advance Care Planning auch konsequent mit den dafür erforderlichen Ressourcen auszustatten.

Anstellung von ACP-Gesprächsbegleiterinnen und -begleitern bei den Einrichtungen/Trägern versus regionalen Kooperationspartnern

Bislang ist die formale Realisierung von ACP-Gesprächsbegleitungen vor allem durch den Ansatz geprägt, ausgewählte Mitarbeitende der Einrichtungen für die ACP-Gesprächsbegleitung zu qualifizieren und auch mit den Aufgaben der Koordination zu betrauen, entsprechend § 7, Buchstabe (a) der Umsetzungsvereinbarung vom 13.12.2017 (vgl. Fußnote 3). Auf den ersten Blick erscheint dies einleuchtend, da die ACP-Kompetenz damit vor Ort in der Einrichtung verfügbar und eine Nähe zwischen Gesprächsbegleiterinnen und -begleitern, Bewohner und Pflegepersonal wahrscheinlich ist. Die bisherigen Erfahrungen mit dieser Lösung haben aber schwerwiegende Nachteile erkennen lassen: In den Einrichtungen ist es oft schwierig, Personen zu rekrutieren, die den kommunikativ anspruchsvollen Aufgaben der Gesprächsbegleitung gewachsen sind. Geeignetes Personal ist häufig schon mit anderen Aufgaben ausgelastet und der gut gemeinte Vorsatz, auch noch ACP zu gewährleisten, fällt im Alltag anderen Prioritäten zum Opfer. Zudem bringen die Einrichtungsmitarbeitenden in der Regel nicht die spezifischen Qualifikationen für das komplexe Anforderungsprofil für die Koordination im Bereich von Organisationsentwicklung und Change Management mit. Nicht zuletzt ist die aufwendige Qualifizierung in kleinen Teilzeitstellen (z. B. 20 % bei 80 Bewohnern) wenig wirtschaftlich, auch im Hinblick auf die oft hohe Personalfluktuation.

Demgegenüber erscheint eine Kooperationslösung für die Implementierung des § 132g SGB V gemäß § 7, Buchstabe (c) der Umsetzungsvereinbarung vom 13.12.2017 erfolgversprechender, und sie birgt zudem erhebliche Vorteile für die regionale Implementierung (Marckmann et al. 2018). Dabei wird ein Team professioneller ACP-Gesprächsbegleiterinnen und -begleiter mit möglichst hohen Stellenanteilen bei einem geeigneten regionalen Arbeitgeber angestellt, die dann jeweils für mehrere Einrichtungen zuständig sind, entsprechend einer vollen Stelle auf 400 Bewohnende. In einer offenen Ausschreibung können für die Stellen die am besten qualifizierten Personen gewonnen werden. Zudem kann eine Person für die Koordination ausgewählt werden, die über die notwendigen Qualifikationen verfügt und sich primär dieser Aufgabe widmet. Die Gesprächsbegleitenden bilden ein professionelles Team, das sich untereinander austauschen, in seinen Kompetenzen gemeinsam fortentwickeln und bei Abwesenheiten oder Ausfällen gegenseitig vertreten kann. Sie werden den Einrichtungen fest zugeordnet und in deren Routinen so weit einbezogen, dass eine tragfähige Vertrauensbasis zu Bewohner und Mitarbeitenden entstehen kann. Anders bei Anstellungen einzelner Teilzeitkräfte in Einrichtungen entsteht so eine nachhaltige, stabile regionale Struktur, die eine gewisse Fluktuation verkraften kann, ohne bei Ausscheiden von Mitarbeitenden gleich komplett zusammenzubrechen, was den aufwendigen Implementierungsprozess bei der Einrichtungs-Lösung unter Umständen jedes Mal auf null zurücksetzen würde. Die Qualifizierung und kontinuierliche Rezertifizierung der Gesprächsbegleiterinnen und -begleiter ist aufgrund ihres im Mittel mindestens doppelt so hohen Stellenanteils entsprechend wirtschaftlicher.

Nicht zuletzt kann diese regionale Pool-Struktur jederzeit über die im § 132g SGB V definierten Sektorengrenzen hinaus erweitert werden, sei es im Rahmen einer Erweiterung des gesetzlichen Anspruchs oder der Hinzunahme anderer Modelle zur Refinanzierung, um ACP auch anderen, bisher von diesem Angebot ausgeschlossenen aber dessen nicht minder bedürftigen Bevölkerungsgruppen anzubieten, wie etwa privatversicherten Bewohner und Angehörigen in den Einrichtungen sowie im Betreuten Wohnen und im ambulanten häuslichen Umfeld lebenden pflegebedürftigen Personen. Insgesamt bedeutet diese Strategie der regionalen Implementierung des § 132g SGB V eine erhebliche Professionalisierung der ACP-Gesprächsbegleitung bei deutlich geringeren Qualifikationskosten. Nach den häufig ernüchternden Erfahrungen von Advance Care Planning Deutschland mit der einrichtungsbezogenen Implementierung in den zurückliegenden fünf Jahren könnte diese regionale Implementierung eine zentrale Voraussetzung für die nachhaltig erfolgreiche Umsetzung des § 132g SGB V sein – mit Perspektiven für die mittelfristig notwendige Ausweitung des ACP-Angebots auf andere Personengruppen.

Mangelnde Ressourcen für die notwendige regionale Implementierung von Advance Care Planning

Der Gesetzgeber und in der Folge die Partner der Selbstverwaltung sind zwar der Empfehlung der Task Force Advance Care Planning der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin gefolgt, die Aufgaben der regionalen Implementierung in Gesetz (Absatz 2 des § 132g) und Umsetzungsvereinbarung (§§ 10 und 11) zu berücksichtigen. Doch wurden dafür weder Mittel noch spezifische Qualifizierung eingeplant, und daran haben auch die deutlichen diesbezüglichen Empfehlungen mehrerer einschlägiger Fachgesellschaften im Rahmen des Stellungnahmeverfahrens gemäß § 132g SGB V, Absatz 3, Satz 2 nichts geändert.

Die Erfahrung mit der Implementierung von Advance Care Planning sowohl in Deutschland wie auch international zeigen aber, dass ein kultureller Wandel und damit verbunden ein „Systems Change“ erforderlich sind, um dieses Konzept in der Praxiswirklichkeit ankommen zu lassen (Hammes und Harter 2015). Dazu braucht es zunächst auf institutioneller Ebene personelle Ressourcen mit ACP-Expertise und Change-Management-Kompetenzen, um die nötige Organisationsentwicklung bis hinunter in die Routinen und Standards des Qualitätsmanagements und die kontinuierlichen Fortbildungsprogramme für Mitarbeitende zu begleiten, ob in den Einrichtungen der Seniorenpflege und Eingliederungshilfe, den Krankenhäusern oder dem Rettungsdienst. Sodann ist es erforderlich, auf regionaler Ebene aus einer operativ tätigen Steuergruppe heraus ein Netzwerk aller beteiligten Akteure zu initiieren und kontinuierlich zu moderieren, um die für ein lebendiges, lernendes System erforderlichen Veränderungs-, Entwicklungs- und (längerfristig) Qualitätssicherungsprozesse zu begleiten.

7 Regionale Implementierung von Advance Care Planning als Angebot für alle pflegebedürftigen Personen: Anregungen für die Weiterentwicklung der gesetzlichen und regionalen Rahmenbedingungen

Die aktuelle wissenschaftliche Kontroverse um die Wirkungen von Advance Care Planning zeigt, dass das Konzept kein Selbstläufer ist. Zahlreiche Studien, in denen nur einzelne Elemente des komplexen Ganzen getestet wurden, haben die Erwartungen ihrer Autorinnen und Autoren enttäuscht. Auch in Deutschland besteht ein Risiko, dass der Fortbestand des § 132g SGB V aufgrund der Schwächen, die in der Umsetzung schon heute erkennbar sind, prinzipiell in Frage gestellt werden wird. Dabei hat das Konzept so lange keine faire Chance sich zu beweisen, wie Konstruktionsfehler der Gesetzgebung, aber auch mangelnde Involvierung der regionalen Schlüsselakteure in diesem Pilotprojekt eine erfolgreiche regionale Implementierung verhindern. Aus Sicht der Autoren haben vor allem folgende drei Änderungen das Potenzial, die regionale ACP-Implementierung zu einem Erfolg werden zu lassen:

Tragfähige Ausgestaltung der Kooperationslösung (Gesprächsbegleiter-Pool) gemäß § 7 Buchstabe (c) der Umsetzungsvereinbarung zu § 132g SGB V vom 13.12.2017

Zum Zeitpunkt der Gesetzgebung und Umsetzungsvereinbarung gab es noch kein praxisbewährtes Modell einer Kooperationslösung, und die Verbände der Einrichtungsträger haben überdies erkennen lassen, dass sie die einrichtungsinterne Anstellungslösung bevorzugen, was möglicherweise auch Interessenkonflikten geschuldet sein könnte. Mittlerweile sind in verschiedenen Regionen Bestrebungen im Gange (bzw. wie im oben erwähnten Rhein-Kreis Neuss erfolgreich), die Implementierung von Advance Care Planning als regionale Aufgabe und Entwicklungschance anzusehen und dementsprechend die sektorunabhängige Kooperationslösung zu favorisieren.

Dabei hat sich gezeigt, dass die Kooperationslösung in der gegenwärtigen Form handwerkliche Mängel aufweist, die eine Umsetzung ohne eine unterstützende Förderung von außen fast unmöglich machen. Zunächst ist der vorgesehene Overhead von 15 % nicht wirtschaftlich, da in der Regel nicht – wie im Fall der einrichtungszentrierten Lösung – auf eine schon bestehende und ungleich größere räumliche und administrative Struktur zurückgegriffen werden kann. Zum zweiten entstehen Doppelstrukturen und Reibungsverluste dadurch, dass die Mittel nur von den Einrichtungen abgerufen und von diesen an den Kooperationspartner weitergeleitet werden können, sodass diese ebenfalls (administrative) Overheadkosten haben und unklar bleibt, welcher der beiden Partner bei verzögerten Zahlungen in Vorleistung gehen muss; hier wäre eine Abtretungsoption eine einfache und wirksame Lösung. Zum dritten gibt es bisher keinen Stellenmarkt für ACP-Gesprächsbegleiterinnen und -begleiter, sodass zentrale Anstellungsträger vor der kaum lösbaren Aufgabe stehen, Personen zu finden, die sich bewerben und zunächst auf eigene Kosten beim alten Arbeitgeber die mehrmonatige Qualifizierung durchlaufen, bevor sie zertifiziert sind und erst dann bei den Kassen angemeldet (und somit refinanziert) werden können, und selbst dann ist aufgrund der Bearbeitungszeiten eine mehrmonatige Vorfinanzierung nötig, die viele nicht leisten können. Wünschenswert ist hier zumindest in einer Übergangsphase ein föderales Programm zur Förderung regionaler Kooperationspartner (Anstellungsträger), zum Beispiel in Kooperation mit ebenfalls förderbereiten Kommunen, bis ein regionaler Gesprächsbegleiter-Pool aufgebaut und die Zahlungsflüsse gesichert sind.

Entsprechende zeitnahe gesetzliche Nachbesserungen bzw. Förderprogramme des Bundes wären dringlich, damit es zu regionalen ACP-Implementierungen kommen kann, in denen das Potenzial von Advance Care Planning erst ausgeschöpft und eine Weiterentwicklung für andere Zielgruppen pilotiert werden kann.

Ressourcen für spezifisch qualifizierte regionale Advance-Care-Planning-Koordinatorinnen und -Koordinatoren

Die im vorigen Abschnitt beschriebenen Aufgaben der regionalen Implementierung können von einer Person bewältigt werden, welche die regionale ACP-Koordination übernimmt und die dafür erforderliche Expertise mitbringt; diese Idee ist dem Grunde nach nicht neu, wie die Netzwerkkoordinatorinnen und -Koordinatoren im Hospiz- und Palliativbereich (§ 39d SGB V) beispielhaft belegen. In der BEVOR-Studie wird derzeit eine formale Qualifizierung für diese Rolle entwickelt. Für rund 150 Tsd. Einwohnerinnen und Einwohner (d. i. die mediane Bevölkerungszahl deutscher Kommunen) sind für die ACP-Koordination nach den Erfahrungen der letzten Jahre mindestens 25 % Stellenanteil einzuplanen. Für die Initialphase einer regionalen ACP-Implementierung, für die fünf bis zehn Jahre zu veranschlagen sind, ist es dringend wünschenswert, zusätzliche Ressourcen bereitzustellen, die als Brückenförderung etwa der Kommune oder auch einer Stiftung vorstellbar sind, wie dies exemplarisch im Rhein-Kreis Neuss geschehen ist.Footnote 4 Längerfristig erscheint es nach dieser Implementierungsphase bei Vorhandensein eines größeren zentralen ACP-Gesprächsbegleiter-Pools wie oben beschrieben vorstellbar, den erheblich geringeren Aufwand für die Aufrechterhaltung, Qualitätssicherung und Weiterentwicklung von ACP in der Region zumindest anteilig aus den Mitteln des § 132g SGB V zu finanzieren, sofern eine/r der kassenfinanzierten ACP-Gesprächsbegleiterinnen und -begleiter für die Koordinationsaufgabe qualifiziert und mit einem gewissen Gesprächsbegleitungs-Stellenumfang hierfür freigestellt ist.

Erweiterung des Anspruchs auf kassenfinanziertes Advance Care Planning auf alle pflegebedürftigen Personen

Die ethische Verpflichtung, welcher der § 132g SGB V nachkommt, endet nicht an den in diesem Gesetz gezogenen sektoralen Grenzen. Sie bezieht sich vielmehr auf die Gesamtgruppe der pflegebedürftigen Personen, die in den dort genannten Settings, aber auch im ambulanten Sektor leben. Für diese Menschen bietet der geltende akutmedizinische Standard objektiv weniger Nutzen, geringere Chancen und höheren Schaden als für Gruppen mit einem geringeren Grad auf der Clinical Frailty Scale, und er stößt bei ihnen empirisch dementsprechend weniger selbstverständlich in seiner ganzen Breite auf Zustimmung der Betroffenen – wenn man ihnen denn Gelegenheit gibt, sich dazu zu äußern (Garden et al. 2022).

Der Gesetzgeber ist daher aufgerufen, den Anspruch des § 132g SGB V auf ein kassenfinanziertes Angebot der qualifizierten ACP-Gesprächsbegleitung auf alle (schwerer) pflegebedürftigen Menschen auszuweiten. In der Zwischenzeit steht es engagierten Kommunen und/oder anderen regionalen Akteuren (wie Ärztenetzen oder Palliativdiensten) offen, gemeinsam mit geeigneten Partnern Brückenfinanzierungen zur Förderung regionaler ACP-Gesprächsbegleiter-Pools und ACP-Koordinatoren in Verbindung mit kreativen Refinanzierungsmodellen für ACP-Gesprächsbegleitungen auch außerhalb des § 132g SGB V zu realisieren und mit den in wissenschaftlichen Evaluationen solcher Pilotprojekte gewonnenen Erkenntnissen wiederum an Krankenkassen und Gesundheitspolitik heranzutreten.