Übersetzen ist eine kulturstiftende Praxis, bei der Inhalte in ein neues Sprachsystem überführt, Literatur- und Wissensformationen ausgebildet und zugleich Machtrelationen austariert werden. Weil Übersetzungen aus einem konkreten Anlass entstehen, einem bestimmten Zweck dienen, in einen spezifischen Kontext gehören und situativ unterschiedlich verstanden werden, sind sie ein basales Instrument des Wissenstransfers und haben eine zentrale gesell-schaftsnormierende und kulturkonstruierende Bedeutung. Wissenschaftler*innen, die sich mit den Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit beschäftigen, müssen zwar von konkreten Textprodukten ausgehen, sich aber nicht auf linguistische und literaturwissenschaftliche Analysen beschränken. Vielmehr ermöglichen die Übersetzungen einen Zugang zur fiktiven, imaginären und außerliterarischen Welt der Frühen Neuzeit; sie zeugen von der zeitgenössischen Interpretation der Prätexte, deren Aktualisierung und Einbindung in neue Kontexte.Footnote 1 Die zweite Sektion richtet ihren Fokus schwerpunktmäßig auf das Wissen, das beim Übersetzen erschlossen, neu geordnet und erweitert wird und das Rückschlüsse auf zugrundeliegende soziale, diskursive und anthropologische Konzepte erlaubt.

1 Wege des Wissens

Der erste Zugriff auf das Thema setzt bei den Bereichen und der Selektion des transferierten Wissens an. Bei den untersuchten Wissensgegenständen der zweiten Sektion dieses Sammelbands handelt es sich um antike Epen, religiöse Texte (Katechismen und Erbauungsliteratur), notarielle Schreiben, um kartographische und um enzyklopädische Werke. Von der generellen Relevanz des Übersetzens für die Wissensproduktion in der Frühen Neuzeit zeugen beispielhaft die enzyklopädischen (Fach-)Wörterbücher, deren Produktion und Charakteristika Susanne Greilich untersucht (s. Kap. 16). Ein Großteil der in Spanien angefertigten Enzyklopädien basiert auf Übersetzungen, vornehmlich aus dem Französischen. Durch diesen Transfer partizipiert das Land an den Praktiken der Wissenssammlung, -ordnung und -systematisierung, die Gelehrte in ganz Europa betreiben. Zugleich erfolgt eine Erweiterung der nationalen Wissensbestände, da die enzyklopädischen Worterklärungen nicht einfach in die spanische Sprache überführt, sondern zugleich ergänzt, korrigiert und umgeschrieben werden.

Relevant für die Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit ist nicht nur, was übersetzt wurde, sondern vor allem das ‚Wie‘, woran sich zahlreiche weitere Fragen knüpfen: Wer übersetzt unter welchen Voraussetzungen, zu welchem Zweck und für welche Adressaten? Mit der Frage, auf welchem Weg das Wissen zu einem Übersetzer gelangt sein könnte, beschäftigt sich Sofia Derer in ihrer „Fallstudie zum frühneuzeitlichen Übersetzen“ (s. Kap. 15). Ihr Ausgangspunkt sind die übersetzten Passagen eines englischen Traktats in dem Erbauungsbuch Johann Michael Moscheroschs Insomnis Cura Parentum. Die Spurensuche führt über eine französische Zwischenstufe, die 1628 publizierte Version von Theodor Hamer de Worffelt Le Testament d’vne Mere à son Efant à Naistre, zurück zu Elisabeth Jocelyns The Mothers Legacy to her Vnborn Childe, das 1624 erstmals herausgegeben wurde. Auch wenn sich nicht belegen lässt, dass Moscherosch das französische ‚Testament‘ selbst ins Deutsche übersetzt hat, handelt es sich zweifellos um einen wichtigen Prätext, der ihm vermutlich über buchhändlerische Kontakte zugespielt wurde. Auf der Grundlage der Widmungsvorrede argumentiert Derer, dass Moscheroschs Rezeption und die Produktion seines eigenen Werks Insomnis Cura Parentum durch die Frömmigkeitsvorstellungen des Straßburger Reformtheologen Johann Schmidt beeinflusst worden sind. Die beigegebene Synopse ermöglicht es, die deutsche Übersetzung, ihre französische Vorlage und den englischen Prätext direkt miteinander zu vergleichen. Schon in der französischen Version erfolgte eine neue und teils verstärkende Einordnung in bekannte Wissenssysteme; Verweise auf die Bibel oder andere religiöse Texte wurden hinzugefügt, weggelassen oder erweitert.

Übersetzt werden können nicht nur Sprachen, sondern auch semiotische Zeichen. Wie verschiedene Transferprozesse ineinandergreifen, zeigen Víctor de Castro León und Alberto Tiburcio an dem Atlas von ‘Alī b. Aḥmad al-Sharafī aus dem Jahr 1551 (s. Kap. 13), indem sie sowohl sprachliche als auch ikonographische Elemente wie Knotenmuster, Fahnen und geometrische Motive analysieren. Der Atlas sei das Ergebnis zahlreicher Akte des Übersetzens, bei denen linguistische, religiöse, nautische, numerische und astronomische Informationen sowie architektonische, dekorative und kalligraphische Muster kombiniert wurden. Al-Sharafīs Transferleistung, aber auch das übersetzte Produkt ließen sich als Adaptation spezifischer kultureller Praktiken bei der Produktion von kartographischem und geographischem Wissen besser verstehen, argumentieren die beiden Autoren. Auf welche Weise das Wissen im 16. Jahrhundert von den südeuropäischen Zentren der Kartenproduktion zu dem arabischen Muttersprachler nach Sfax gelangte, ist nicht eindeutig zu rekonstruieren. De Castro León und Tiburcio nehmen vielfältige Vermittlungswege an und schließen auf einen transkulturellen Kontaktraum rund um das Mittelmeer; Flüchtende von der Iberischen Halbinsel, Konvertiten aus Mallorca, Sizilien, Italien und Südfrankreich sowie Kaufleute, Diplomaten und Gefangene könnten zur Verbreitung des Wissens beigetragen haben.

2 Wissenskonzepte in der Translationswissenschaft

In der Translationswissenschaft wurde lange nur das übersetzte Produkt betrachtet, bevor Übersetzungsprozesse zunehmend mehr Aufmerksamkeit erhielten. Übersetzt werden könne schließlich nur das, was vorher verstanden worden sei, erklärte Radegundis Stolze in ihrer Einführung Übersetzungstheorien.Footnote 2 Auf diese Weise rückten die Akteure des Transfers mit ihrem individuellen und kulturellen Wissen in den Mittelpunkt. Übersetzende müssen nicht nur über doppelte sprachliche Kompetenzen, sondern auch über kulturelle Erfahrungen und themenspezifische Kenntnisse verfügen.

Ein differenziertes Erklärungsmodell, wie sich sprachliches Wissen, begriffliche Konzepte und Denkschemata auf den Translationsprozess auswirken, entwickelten Mia Vannerem und Mary Snell-Hornby in dem Band Übersetzungswissenschaft – Eine Neuorientierung.Footnote 3 Sie übertrugen die ‚scenes-and-frames semantics‘ von Charles Fillmore auf übersetzerische Tätigkeiten. Mit ‚scene‘ wird das Bild bezeichnet, das im Kopf eines Menschen entsteht, wenn er einen bestimmten sprachlichen Ausdruck (‚frame‘) hört. Beide sind spezifische Organisationsformen des Wissens, die sich wechselseitig beeinflussen; ‚scenes‘ rufen ‚frames‘ hervor und umgekehrt. Jeder Verstehens- und Kommunikationsprozess läuft demnach so ab, dass Menschen mittels eigener Erfahrungen zu einer sprachlichen Situation Zugang finden. Ihre Vorstellungen von Welt sind variabel und komplex, doch sehr eng mit der eigenen Soziokultur verbunden. Übersetzende stehen daher vor der Schwierigkeit, dass sie nicht einfach sprachliche ‚frames‘ dekodieren und neu kodieren können. Vielmehr ist es ihre Aufgabe, die ‚scenes‘ hinter den ‚frames‘ mit Hilfe ihres eigenen Weltwissens nachzuvollziehen und die ermittelte Bedeutung in einen anderen kulturellen Kontext zu übertragen. Durch die Verarbeitung der erhaltenen Informationen der ‚frames‘ entstehe eine Vielzahl von kleineren ‚scenes‘, die sich dynamisch aufeinander bezögen und so eine übergreifende „Szene hinter dem Text“Footnote 4 vor dem inneren Auge der Rezipierenden entstehen ließen. Vannerem und Snell-Hornby betrachten Übersetzen als einen schöpferischen Prozess, weil verschiedene sprachliche Begriffe, Wissenselemente und Vorstellungen von Welt miteinander verknüpft werden.

Einen anderen Zugang zum Wissen der Übersetzenden wählte Wolfram Wilss, der sich als einer der ersten deutschen Translationswissenschaftler*innen für den Zusammenhang von ‚Kognition und Übersetzung‘ interessierte. Er charakterisierte Übersetzen als einen mental bestimmten kreativen Prozess, für den bestimmte kognitive Bedingungen erfüllt sein müssen. Dabei gehe es darum, deklaratives Wissen und prozedurales Wissen zu aktivieren. Übersetzende müssten über Wissenspotentiale verfügen, diese abrufen können und die Fähigkeit besitzen, aus der Menge verfügbarer Informationen das relevante Wissen auszuwählen. Wilss’ Überlegungen zielten darauf ab, die ‚black box‘ mentaler Übersetzungsprozesse zu erhellen, wenngleich er einräumte, dass sich Kreativität und Intuition schwerlich rational erfassen ließen.Footnote 5

Mit dem Verweis auf neuere psycholinguistische Studien argumentierten Translationswissenschaftler*innen, dass Informationen beim Verstehen nicht einfach addiert, sondern in vorhandene Wissensbestände eingeordnet werden: „Bei jeder neuen Information werden die Karten des Wissens neu gemischt, und der Mensch entscheidet darüber, mit welchen Karten er weiterhin spielen will und welche er gegebenenfalls zur Seite legen kann“, erklärte Frank G. Königs in seinem Beitrag Text und Übersetzer: Wer macht was mit wem?Footnote 6 Ähnlich wie Wilss hielt Königs es für eine wichtige translationswissenschaftliche Aufgabe herauszufinden, nach welchen Regeln Übersetzende ihre mentalen Karten neu mischen. Erich Prunč wiederum entwarf ein übersetzungstheoretisches Modell, bei dem sich die mentalen Verarbeitungsprozesse in einem kontrollierten und einem unkontrollierten Arbeitsraum vollziehen, die sich teilweise überlagern. In dem kontrollierten Arbeitsraum verortete er das „Regel-, Welt- und Faktenwissen des Translators“, zu dem auch sein gesamtes Wissen über die konkrete Textsorte, Übersetzungsnormen und literarische Formate der Zielkultur gehören, dem unkontrollierten Raum ordnet er dagegen die Intuition und die Kreativität des Übersetzers zu.Footnote 7 Dabei betonte Prunč freilich wie auch andere Translationswissenschaftler*innen, dass die mentalen Prozesse nicht von der sozialen Realität der Kommunikation getrennt werden dürften. Hanna Risku entwickelte aufgrund ähnlicher Überlegungen das Konzept der situationseingebetteten Translation, in dem das Gehirn seine Alleinherrschaft verliert und durch ein komplexes Zusammenspiel zwischen dem übersetzenden Subjekt, den produzierten Texten und den sozialen Beziehungen abgelöst wurde.Footnote 8 Durch die Interaktion der beteiligten Kommunikationspartner*innen entstehe ein vielfältiges Netzwerk, in dem individuelles wie kollektives Wissen abgerufen, verändert, erzeugt und erweitert werde.

3 Das Wissen der Übersetzenden

Schon in der Gegenwart ist es schwierig nachzuvollziehen, was sich im Kopf von Übersetzenden abspielt, wenn sie Wissen aktivieren und verarbeiten. In der historischen Übersetzungsforschung müssen die mentalen Prozesse der Übersetzenden sogar vollständig im Dunkeln bleiben. Allerdings erlauben die übersetzten Produkte und ihre Paratexte Rückschlüsse darauf, welches Vorwissen Übersetzende in der Frühen Neuzeit mitbrachten, wie sie mit neuem Wissen umgingen, Informationen aufbereiteten und diese mit ihrem vorhandenen Wissen verknüpften.

Das Sprach- und Vorwissen der Akteure spielte beispielsweise bei der Übertragung der französischen Encyclopédie méthodique ins Spanische eine entscheidende Rolle. Mit der Übersetzung der Artikel für die Encyclopedia metodica wurden Experten beauftragt, die nicht nur sprachliche, sondern auch einschlägige fachwissenschaftliche Kenntnisse mitbringen sollten. Gerade im Bereich der Handwerke galt eine enge Zusammenarbeit von Übersetzern und Fachleuten als unverzichtbar, erläutert Susanne Greilich auf der Basis ihrer historischen Quellenbestände (s. Kap. 16). Der Herausgeber eines spanischen Fachwörterbuchs hielt die Übersetzung von lebensweltlichen Praktiken und Objekten gar für eine größere Herausforderung als von wissenschaftlichen Theorien und Konzepten. Schließlich sei dieser Wortschatz so spezifisch, dass sich die wenigsten Menschen damit auskennen würden.

Auch die indigenen Notare (‚escribanos‘), die im Dienst der Kolonialverwaltung in Neu-Spanien tätig waren, mussten nicht nur alphabetisiert sein, sondern amtsspezifische Kenntnisse besitzen. Darauf machen Martina Schrader-Kniffki, Yannic Klamp und Malte Kneifel aufmerksam, die Translationskonzepte und Translationsstrategien in Texten der Evangelisierung und der indigenen Rechtsprechung in der Sierra Norte des Bundesstaates Oaxaca in Mexiko, an der Peripherie des spanischen Kolonialreiches untersuchen (s. Kap. 13). Im Textkorpus des Beitrags enthalten sind Ausschnitte aus der Doctrina Cristiana von Francisco Pacheco de Silva und drei auf zapotekisch verfasste Testamente mitsamt ihren spanischen Übersetzungen. Gerade für die notariellen Texte war das Schemawissen der Übersetzenden entscheidend. Schrader-Kniffki, Klamp und Kneifel zeigen auf, dass die zapotekischen Testamente und ihre spanischen Übersetzungen in der Regel dem strukturellen Aufbau folgten, der in modellbildenden Handbüchern vorgegeben war. Notare mussten die Textschablonen nur kopieren und mit fallspezifischen Angaben ergänzen. Aus diesen Beobachtungen lässt sich folgern, dass die inter- und transtextuellen Bezüge für das Übersetzen notarieller Texte wichtiger als sprachliche Konventionen der Zielkultur waren.

Die Inkongruenzen zwischen sprachlichen Systemen und Wissensordnungen – mit Vannerem und Snell-Hornby könnte man auch von unterschiedlichen ‚frames‘ und ‚scenes‘ sprechen – stellten für Übersetzende in der Frühen Neuzeit eine große Herausforderung dar. Manche Ausdrücke der französischen Wörterbücher hielten die spanischen Enzyklopädisten für unübersetzbar, weil die entsprechenden kastilischen Fachtermini fehlten.Footnote 9 Andere Artikel mussten im Zuge der Übersetzung völlig neu für spanische Wörterbücher angefertigt werden, weil es zu typischen regionalen Produkten und Handwerkern wie beispielsweise Espadrilles-Schuhmachern kein französisches Pendant gab. Doch entstanden Übersetzungsschwierigkeiten nicht nur durch die Lexik, sondern auch durch die Semantik und die zugrundeliegenden Konzepte und Diskurse. Eindrückliche Belege dafür liefern die Forschungsprojekte des SPP 2130 zu den Übersetzungskulturen der außereuropäischen Mission.Footnote 10 Die indigen Sprachen des spanischen Kolonialreichs, zu denen auch das Zapotekische gehörte, kannten die Konzepte der christlichen Theologie nicht, weshalb der Begriff der Dreieinigkeit den Übersetzern der Doctrina Cristiana große Probleme bereitete. Umgekehrt taten sich christlich sozialisierte Übersetzende schwer mit Texten, in denen ein polytheistisches Weltbild entworfen wird, wie die erste deutsche Übersetzung von Homers Odyssee (1537/38) belegt. Simon Schaidenreisser setzt Jupiter bzw. Zeus, der als höchster Vertreter der Götterwelt die Heimkehr des Helden erst ermöglicht, mehrfach mit dem allmächtigen Gott des Christentums gleich. Die Göttlichkeit anderer Figuren schwächt er hingegen – etwa durch Allegorisierung – ab, wie Jennifer Hagedorn in dem Beitrag „Der Heros und die starken Frauen“ nachweist (s. Kap. 12).

Schon bei den Zeitgenossen gab es ein Bewusstsein dafür, dass sich nicht alle Ausdrücke von einer Sprache in eine andere übersetzen lassen – weder vom Spanischen ins Zapotekische noch umgekehrt. Absichtlich werden Prätexte mit zusätzlichem Wissen angereichert, um Rezipierenden das Verständnis zu erleichtern. In einem metatranslatorischen Kommentar erklärt ein Übersetzer, dass er den Katechismus bei der Übertragung ins Zapotekische mit nützlichen und notwendigen Zusätzen versehen habe, die zur Unterweisung im christlichen Glauben beitragen sollen. Treue zum Ausgangstext und das Hinzufügen von Erklärungen waren für Übersetzende der Frühen Neuzeit in der Regel kein Gegensatz.

4 Manipulative Tendenzen und Machtfragen

Übersetzungen können nie identisch sein, weil sich das Wissen der Übersetzenden unterscheidet, sich der Sinn insbesondere von literarischen Texten nicht vollständig erschließen lässt und Verstehen stets subjektiv geprägt ist.Footnote 11 Diese grundlegende translationswissenschaftliche Einsicht fasst Christiane Nord in ihrer Einführung in das funktionale Übersetzen mit folgenden Worten knapp zusammen: „Übersetzen ist immer auch Bearbeiten“.Footnote 12 Ein gewisses Maß an Eingriffen sei unumgänglich, sofern Übersetzende den Intentionen des Senders, den Erwartungen des Empfängers und der konkreten Kommunikationssituation gerecht werden wollten. Wissen wird nicht nur ausgewählt, aufbereitet und strukturiert, sondern auch erweitert und gekürzt, absichtlich verschwiegen oder gar verfälscht.

Mit dem Äquivalenzbegriff, wie er die linguistisch geprägte Übersetzungswissenschaft lange dominierte, hat ein solches Verständnis nichts mehr zu tun.Footnote 13 Vielmehr gelten Differenzen als wesentliches Merkmal translatorischen Arbeitens. Eingeleitet wurde diese translationswissenschaftliche Wende durch die Descriptive Translation Studies, deren Vertreter*innen zieltextorientiert vorgingen, nach kulturellen Kontexten fragten, historische Denk- und Sprachmuster identifizierten und verdeckte Normen offenlegten.Footnote 14 Provokant erklärte Theo Hermans manipulative Veränderungen zum wesentlichen Prinzip jeden Übersetzens: „From the point of view of the target literature, all translation implies a degree of manipulation of the source text for a certain purpose.“Footnote 15 Für den Sammelband, in dem er diese These 1985 vortrug, wählte Hermans den programmatischen Titel The Manipulation of Literature.

Welche Machtposition Übersetzende besitzen, weil sie Aussagen verändern und manipulieren können, war schon in der Frühen Neuzeit bekannt. So suchte die Kolonialverwaltung in Neu-Spanien der Gefahr entgegenzuwirken, dass Übersetzende in ihrem eigenen Interesse oder zugunsten ihrer Verbündeten handelten. Menschen, die für die Kolonialverwaltung übersetzen wollten, mussten einen Eid ablegen und schwören, ihr Amt gut und zuverlässig auszuüben, weder etwas zu verheimlichen noch hinzufügen und keinesfalls für eine Seite Partei zu ergreifen (s. den Beitrag von Schrader-Kniffki, Klamp und Kneifel, Kap. 14).

Ungeachtet solcher Sicherheitsvorkehrungen und allen Treuebekundungen zum Trotz, wie sie sich in den Paratexten und Selbstaussagen von Übersetzenden in der gesamten Literaturgeschichte immer wieder finden lassen, bringen Übersetzungen stets Änderungen mit sich. Epochenübergreifend wurden und werden sie genutzt, um bestimmten Auffassungen Vorschub zu leisten. Übersetzungen orientieren sich meist an gängigen Wertevorstellungen und passen sich der Mehrheitsgesellschaft oder der politischen Machtinstanz an, wenngleich ihre impliziten Normen vielfach verdeckt bleiben. Aktzentverschiebungen zwischen Ausgangs- und Zieltext tragen oft dazu bei, Herrschaftssysteme zu stabilisieren und Ideologien weiterzutragen, so wurde vor allem von den Vertreter*innen der von Hermans begründeten Manipulation School betont. Susan Bassnett und André Lefevere definierten Übersetzen in der Textsammlung Translation/History/Culture als ein machtorientiertes Umschreiben von Texten: „Translation is, of course, a rewriting of an original text. All rewritings, whatever their intention, reflect a certain ideology and a poetics and as such manipulate literature to function in a given society in a given way. Rewriting is manipulation, undertaken in the service of power.“Footnote 16 Den Gedanken, dass Übersetzungen stets in diskursive Macht- und Abhängigkeitsbeziehungen eingebunden sind, griffen auch Ian Mason und Basil Hatim in dem Buch The Translator as Communicator auf und spitzen ihn zu, indem sie Übersetzen gar zu einer ideologischen Tätigkeit erklärten.Footnote 17

5 Religiöse und herkunftsbezogene Normierungen

Keiner der Beiträger*innen der zweiten Sektion geht in diesem Band so weit, den Übersetzenden der Frühen Neuzeit ideologisches Handeln vorzuwerfen. Wiederholt wird jedoch problematisiert, dass kulturelle Übersetzungen durch soziale, religiöse und herkunftsbezogene Normen geprägt sind und Akzentverschiebungen zugunsten hegemonialer Mächte erfolgen.Footnote 18 So waren die katechetischen und notariellen Texte, die ins Zapotekische oder ins Spanische überführt wurden, untrennbar mit den normativen Ansprüchen sowohl der christlichen Kirche als auch der spanischen Krone verknüpft. Der Erfolg ihrer Normierungsmaßnahmen lässt sich auf sprachlich-diachroner Ebene en Detail nachzeichnen. Martina Schrader-Kniffki, Yannic Klamp und Malte Kneifel arbeiten heraus, dass die zapotekischen Formulierungen in späteren Dokumenten dem spanischen Diskurs und dem christlichen Verständnis der Dreieinigkeit deutlich näherstehen als in frühen Übersetzungen (s. Kap. 14). Eine Anpassung an die religiösen Leitvorstellungen der Zielkultur kann nicht nur mittels textueller, sondern auch mittels ikonographischer Elemente erfolgen. ‘Alī b. Aḥmad al-Sharafī knüpfte an die traditionelle muslimische Buchkunst an und aktivierte das kulturelle Wissen der Rezipierenden, sodass diese sich mit dem Atlas von 1551 identifizieren konnten. Schon die Kalligraphie auf der Titelseite, so erklären Víctor de Castro León und Alberto Tiburcio, lasse den Atlas mit all dem enthaltenen geographischen und kartographischen Wissen als ein genuin muslimisches Objekt erscheinen (s. Kap. 13). Durch die Integration einer Vielzahl vertrauter Elemente wird die christliche Vorlage in ein Produkt der muslimischen Wissenskultur verwandelt.

Übersetzungen werden vielfach dazu genutzt, die eigene Sprache, Literatur und Kultur zu profilieren, das zeigt auch die von Jennifer Hagedorn untersuchte erste deutschsprachige Version der Odyssee von 1537/38 (s. Kap. 12). Ausdrücklich erklärt es Simon Schaidenreisser zum Ziel seiner Übertragung, die deutsche Nation zu bereichern, mit anderen Bildungsnationen zu wetteifern und diese einst zu übertreffen. Diese herkunftsbezogene Motivation schlägt sich sowohl in der einleitenden Interpretation des homerischen Epos und in den wissensvermittelnden Marginalien als auch auf der Handlungsebene des übersetzten Textes nieder. Schaidenreisser stellt die Vaterlandsliebe als zentrales Handlungsmotiv seines Helden dar, weshalb sich der deutsche Odysseus auch bei seinem Aufenthalt bei der attraktiven Zauberin Circe unaufhörlich nach seiner Heimkehr ins geliebte Vaterland sehnt.

Eine vergleichbare Intention lässt sich bei den Verfassern der spanischen Enzyklopädie-Übersetzungen nachweisen. Gelehrte, die sich der kollektiven Translationsaufgabe entziehen, weil sie lieber eigene Werke verfassen wollen, werden abgewertet. Ihnen wird persönliche Eitelkeit und mangelnde Liebe zum Vaterland unterstellt. Wie in den spanischen Enzyklopädie-Übersetzungen Hierarchien in Bezug auf Herkunft und Nation ausgehandelt werden, ist an Artikeln zu geographischen Wissensbeständen sehr gut zu beobachten, wie Susanne Greilich offenlegt (s. Kap. 16). So wird das Land Spanien in den verschiedensprachigen Wörterbüchern geradezu gegensätzlich beurteilt. Während ihm in einem französischen Geographie-Wörterbuch Rückständigkeit und Untätigkeit vorgeworfen wird, erinnert das spanische Pendant an die Entdeckung der Neuen Welt und hebt die iberische Stärke hervor. Geschickt werden beim Übersetzen Wissensbestände aus spanischen Werken in die französischen Enzyklopädien eingeflochten, nicht ohne ihre wissenschaftliche Relevanz zu betonen. Greilich deckt den ideologischen Hintergrund der Übersetzungsliteratur und die impliziten nationalen Normen auf. Sie argumentiert, dass sich darin ein Ringen um imperiale Vorherrschaft bzw. die Verteidigung kolonialer Herrschaftsansprüche manifestiere; die Enzyklopädie-Übersetzungen stellten ein wirkmächtiges Instrument der Selbstbehauptung Spaniens dar.

Doch selbst wenn sich Übersetzungen meist an den Leitkategorien der Zielkultur orientieren, in diskursiven Abhängigkeitsverhältnissen stehen und Priorisierungs- und Marginalisierungstendenzen verstärken, können sie geltende Normen auch in Frage stellen und diese konterkarieren. Normierungsversuche gehen selten ganz auf; beim Versuch, das Konzept der Dreieinigkeit ins Zapotekische zu übersetzen, lassen sich Bedeutungsambivalenzen und Verwechslungsmöglichkeiten mit der polytheistischen indigenen Religion kaum vermeiden. Ebenso zeugt der Atlas von al-Sharafī trotz seiner muslimischen Überformung von einem transkulturellen Austausch von Wissensbeständen. Nachdrücklich betonen Víctor de Castro León und Alberto Tiburcio, dass ihre Untersuchungsergebnisse jenen – oft mit einem westlichen Kulturimperialismus verbundenen – Studien widersprechen, die den Mittelmeerraum in religiöse und geographische Blöcke aufspalten wollten (s. Kap. 13). Selbst die spanischen Enzyklopädie-Übersetzungen sind doppelt lesbar: Ihre nationale Inanspruchnahme wäre nicht ohne die transkulturelle und transgenerische Verflechtung von Wissen möglich, wie sie sich in der europaweiten Rezeption und Produktion enzyklopädischer Wörterbücher dokumentiert.

6 Genderspezifische Normierungen

Die unterschiedlichen Akzentuierungen in ausgangs- und zielsprachigen Texten zeugen davon, wie Normen adaptiert, transformiert und etabliert werden. Anpassungen an herrschende Systeme und meinungsbildende Diskurse lassen sich in den Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit nicht nur in Bezug auf Herkunft, Nation und Religion, sondern auch bei Geschlechtskonzeptionen erkennen.Footnote 19 Anknüpfend an neuere Ansätze der Gender- und Intersektionalitätsforschung wird in der zweiten Sektion des SPP 2130 auch untersucht, wie beim Übersetzen genderspezifisches Wissen konfiguriert wird und Rollenzuweisungen vorgenommen werden.

Die Anwendung der sozialwissenschaftlichen Intersektionalitätstheorie bei Übersetzungsanalysen ist in der Translationswissenschaft noch weitestgehend Neuland. In dem Artikel Intersectionality der Routledge Encyclopedia of Translation Studies betonte Hilary Brown erst 2020, dass in diesem Bereich noch großer Forschungsbedarf bestehe.Footnote 20 Vertreter*innen der feministischen Translation Studies äußerten sich zurückhaltend bis skeptisch, doch kommt es bei intersektionalen Analysen von Texten älterer Epochen entscheidend darauf an, moderne Identitätskategorien wie gender, race und class zu historisieren. Geeignet erscheint die Intersektionalitätstheorie vor allem deshalb, weil sie nach der Genese von Machtverhältnissen und Identitätskonstruktionen fragt und den Blick für gegenläufige Tendenzen der Privilegierung und Marginalisierung schärft.

Gerade die Verwobenheit von Ungleichheitskategorien erweist sich als interessant, wie Jennifer Hagedorn bei ihrer Untersuchung der ersten deutschen Odyssee-Übersetzung an den Kategorien Göttlichkeit und Geschlecht zeigen kann (s. Kap. 12). Die Perspektive der Intersektionalitätstheorie ermöglicht einen viel differenzierteren Zugriff, als sich mit dem in der Frühneuzeitforschung vielfach verwendeten Schlagwort der Verchristlichung je erfassen ließe. Hinsichtlich seines Geschlechts und seines Stands erfährt Odysseus in den Episoden mit den antiken Göttinnen Circe und Calypso in der frühneuhochdeutschen Version eine deutliche Aufwertung, so arbeitet Hagedorn heraus. Der Held werde als vorbildlicher Herrscher idealisiert, wohingegen seine göttlichen Partnerinnen, aber auch seine männlichen Reisegefährten systematisch abgewertet wurden. Calypso muss ihre Götterspeise mit Odysseus teilen, Circe wandelt sich von der kräuterkundigen Göttin zur dämonenhaften Zauberin und die Gefolgsleute werden als verführbares und willensschwaches Gesinde marginalisiert. An Schaidenreissers Odyssee lässt sich somit exemplarisch beobachten, wie eine Übersetzung zur Verstärkung von Geschlechterunterschieden und zur Ausbildung von Hierarchien sowohl zwischen Männern und Frauen als auch zwischen hoch- und niedriggestellten Männern genutzt wird. Die Machtverhältnisse zwischen Göttern und Menschen können sogar umgekehrt werden, wenn die Kategorie Gender ins Spiel kommt.

Ein weiteres Beispiel für eine Bearbeitung, die mit einer genderspezifischen Normierung einhergeht, findet sich in dem Beitrag zu Moscheroschs Insomnis Cura Parentum von Sofia Derer (s. Kap. 15). Der deutsche Autor konturiert die Geschlechterrollen deutlich stärker als die Verfasserin des englischen Prätextes, Elisabeth Jocelyn. In The Mothers Legacy to her Vnborn Childe wendet sich Jocelyn an ihr ungeborenes Kind, weil sie fürchtet, seine Geburt nicht zu überleben. Ihrer religiösen Erziehungspflicht als Mutter sucht sie auf schriftlichem Wege nachzukommen. Von Jocelyns Verantwortungsbewusstsein fühlt sich Moscherosch nach eigener Aussage herausgefordert. Das Handeln der werdenden Mutter will er als Mann mit seinen religiösen Lehren überbieten und aus väterlicher Liebe für das Seelenheil seiner Kinder sorgen. Auch bei der Adressierung an die Kinder macht Moscherosch genderspezifische Unterschiede, die in dem englischen Traktat nicht angelegt sind.Footnote 21 Während Jocelyn zum Zeitpunkt ihres Schreibens nicht einmal wusste, ob sie einen Jungen oder ein Mädchen gebären würde, empfiehlt Moscherosch zwar all seinen Kindern die tägliche Lektüre der Bibel, doch eine Beschäftigung mit Gebets- und Erbauungsbüchern vornehmlich seinen Töchtern.

7 Translationsanthropologie

Übersetzende sind weder körper- noch geschichtslose Wesen;Footnote 22 wer immer übersetzt, schreibt sich selbst, sein subjektives Verständnis, aber auch die Normen und Leitvorstellungen seiner Zeit, Gesellschaft und Kultur dem produzierten Text ein. In den Übersetzungsdiskursen der Frühen Neuzeit spiegeln sich zeitgenössische Vorstellungen über die unterschiedlichen Wertigkeiten von Männern und Frauen, Gläubigen und Ungläubigen, Herrschern und Untertanen, Gelehrten und Ungebildeten, Gesunden und Kranken. Daher erweisen sich Übersetzungen als Schlüsseltexte für die soziokulturellen Rahmenbedingungen einer Epoche: Sie spiegeln gesellschaftliche Verhältnisse, folgen leitenden Epistemen, tragen zur Identitätskonstitution und zur Ausformung gesellschaftlicher Hierarchieverhältnisse bei. Welt- und Menschenbilder werden beim Transferprozess oft explizit, immer jedoch implizit reflektiert, meist binär strukturiert und langfristig festgeschrieben.Footnote 23 Die verschiedenen Identitätskategorien, Religion, Herkunft, Nation und Geschlecht, sind dabei nicht getrennt voneinander zu betrachten, sondern intersektional verknüpft. An den Transferprodukten lässt sich beobachten, wie sich bestimmte Ideale konstituieren, Dispositive geformt und Diskurse geführt werden. Aus dem Umgang mit den fremdsprachigen Vorlagen, ihrer Transformation und Funktionalisierung in der Zielkultur lassen sich demzufolge übergreifende Schlussfolgerungen für eine Epoche ableiten. Analysiert man die pragmatischen, situativen und kontextuellen Aspekte von Übersetzungen, zeichnen sich Konturen einer Translationsanthropologie ab.

Der hier neu eingeführte Begriff bedarf einer Erklärung. Wenn nach einer translatorischen Anthropologie gefragt wird, sind damit nicht etwa überzeitlich gültige Vorstellungen und Praktiken des Menschen gemeint. Zwar lässt sich aus der Beobachtung, dass seit den Anfängen der Schrift- und Bildkulturen im alten Ägypten, bei den Inkas und in der jüdisch-griechischen Antike bis in die Gegenwart kontinuierlich übersetzt wird, darauf schließen, dass Übersetzen eine Urform menschlichen Handelns ist. Doch zielt der Begriff Translationsanthropologie nicht darauf ab, eine epochenübergreifende, weitverbreitete und typische Tätigkeit von Menschen zu beschreiben. Vielmehr geht es darum, die spezifischen Merkmale der Übersetzungskulturen einer bestimmten Epoche zu erarbeiten. Ausgeleuchtet werden sollen die historischen Besonderheiten, die Vielfalt und die Veränderlichkeit von anthropologischen Entwürfen, wie sie in Übersetzungen der Frühen Neuzeit moduliert werden. Damit liegt dem Konzept der Translationsanthropologie dasselbe Verständnis zugrunde, wie es Richard van Dülmen für die historische Anthropologie formuliert hat:

Sie „stellt den konkreten Menschen mit seinem Handeln und Denken, Fühlen und Leiden in den Mittelpunkt der historischen Analyse. Ihr Konzept unterscheidet sich dabei wesentlich von der Konstruktion des Menschen in der Philosophischen Anthropologie, insofern sie nicht nach dem Wesen, dem Allgemeinen des Menschseins in der Geschichte fragt, sondern nach den vielseitigen kulturell-sozialen Bedingtheiten im Wandel der Zeiten, nach der Besonderheit und Eigensinnigkeit menschlichen Handelns, die ein geschlossenes und einheitliches Menschenbild ausschließen.“Footnote 24

Die Anfang der 1990er Jahre entwickelte Theorie der historischen Anthropologie hat sich für die Literatur- und Kulturwissenschaften schnell als sehr anschlussfähig erwiesen. So hebt die Germanistin Claudia Benthien hervor, dass Literatur nicht nur eine thematische Nähe zur Anthropologie aufweise, sondern eine einzigartige anthropologische Wissensform sei. In ihr könnten Erfahrungs- und Realitätsdimensionen ausgedrückt werden, die vielleicht nur in poetischen, narrativen und fiktiven Entwürfen artikulierbar seien. Als besondere literaturwissenschaftliche Stärke stellt Benthien heraus, dass literarische Texte nicht nur als Quellenmaterial für historisch-anthropologische Fragen dienten, sondern anhand der formalen Gestalt, der rhetorischen Mittel und Semantiken, weitere anthropologische Bedeutungsdimensionen erschlossen werden könnten.Footnote 25 Ein solches Potential ist auch und zwar in gesteigerter Weise der Übersetzungsforschung zuzuschreiben. Durch vergleichende Analysen von Ausgangs- und Zielprodukt werden sprachliche, ikonographische und semiotische Akzentverschiebungen sichtbar, die auf individuelle und kulturelle Veränderungen im Literatur-, Wissens- und Herrschaftssystem schließen lassen. Auf diese Weise kann die übersetzungskulturelle Konstruktion der Kategorien Geschlecht, Sexualität, Ethnizität, Nation, Klasse, Religion, Gesundheit, Herkunft, Bildung und Besitz untersucht und so eine Archäologie anthropologischen Wissens betrieben werden. Zumindest im Keim scheint die Vision einer solchen Translationsanthropologie bereits bei Hayden White angelegt zu sein, der sich von einer transdisziplinären Übersetzungsforschung grundlegende Aufschlüsse über die sozialen Praktiken und historischen Wertvorstellungen von Menschen verspricht:

What is being recommended is a project of translation, understood as a transcodation among the various processes of self-construction […] by which humanity makes itself in a constant revision of its own ‘nature’ as self and other, society and antisociety, value and nonvalue, subject and object, creative and destructive, all at once and ever anew. This is, I submit, a much more ‘historical’ conception of human nature, society, and culture than anything that any version of ‘history’ has hitherto imagined.Footnote 26