Zusammenfassung
Der vorliegende Text will Anstoß geben zu einer breiteren innerfachlichen und öffentlichen Diskussion über die Frage, wie Demokratiebildung ihr Aufgabenverständnis mit Blick auf den digitalen Wandel bestimmen kann. Im Sinne einer orientierenden Übersicht werden drei Aufgabenbereiche digitalitätsbezogener Bildung differenziert und jeweilige Inhalte und Ziele kursorisch skizziert. Digitalisierung sollte nicht vorrangig als ein Bereichsphänomen von Medien thematisiert werden, sondern als ein Prozess, der sich auf die elementare Ordnung von Gesellschaft auswirkt sowie auf die Bedingungen kollektiver und individueller Selbstbestimmung. Stärker als bisher sollte die politische Dimension des scheinbar Unpolitischen der Digitalisierung daher transparent gemacht werden, so die These der Autorin.
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Notes
- 1.
Die Verortung im Bereich von „Medienbildung“ kann dafür kritisiert werden, dass die Zielaspekte von digitalitätsbezogener Bildung einem technischen Begriff (‚Medien‘) unterstellt werden. Damit wird eine thematische Verengung von Digitalität auf Aspekte von digital-medialer Kommunikation und Information suggeriert. Die Auseinandersetzung mit Digitalität umfasst aber auch Themen, die sich nicht unmittelbar durch die Reuse von Medien und Medialität erschließen. Dazu zählen Themen wie z. B: die Machtakkumulation von Tech-Konzernen oder die Intransparenz von algorithmischen Bewertungs- und Entscheidungssystemen. Felix Stalder (2021, S. 19) pointiert in diesem Sinne die „Präsenz der Digitalität jenseits digitaler Medien“.
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Einbezogen werden dabei einerseits die Verhaltensdaten der User*innen wie etwa der Standort, angeklickte Links oder die Nutzungsdauer bestimmter Seiten sowie andererseits die Meta-Informationen der jeweils genutzten Inhalte wie etwa das Erstellungsdatum oder Popularitätshinweise wie „Shares“ (vgl. Schmidt & Taddicken, 2022, S. 220).
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Darüber hinaus sind nicht-gesprächszentrierte digitale Aktivitäten möglich, wie das Teilen, Liken und das Bewerten von Beiträgen per Klick. Solche minimalen Aktivitäten werden zuweilen als „Symbolpartizipation“ als „slacktivism“ oder „clicktivism“ kritisiert Thimm (2018, S. 166). Mit dieser Etikettierung ist die Frage aufgeworfen, inwiefern solcherart digitaler Kommunikationsaktivitäten grundsätzlich als ‚politische‘ Partizipation verstanden werden können bzw. inwieweit sich politische Partizipation einem neuen Begriff von Kommunikation öffnen sollte, der digitalen Aufmerksamkeitskonstitution stärker Rechnung trägt.
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Die Affordanzen digitaler Medien zeigen sich passgenau sowie verstärkend zu analogen Bedürfnisstrukturen, z. B. in Hinsicht auf die Inszenierung von Einzigartigkeit, Wunsch nach Bestätigung etc. (vgl. Staab und Thiel (2021, S. 288).
- 5.
Eine diesbezügliche Frage lautet beispielsweise, welche Rolle ökonomischen Anreizen für die Bereitschaft von plattformschaffenden Unternehmen zukommt, polarisierende Kommunikation oder Desinformation zu befördern (siehe dazu etwa Staab & Thiel, 2021, S. 285).
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Kritische Stimmen wenden ein, dass die tatsächliche Tragweite von Filterblasen und Echokammern weithin überschätzt wird (vgl. Eisenegger et al., 2021, S. 314).
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Microtargeting bezeichnet die personalisierte Ansprache von einzelnen Wähler*innen bzw. Wählergruppen in sozialen Medien mit dem Ziel der Einflussnahme auf jeweilige Meinungen (vgl. Oertel et al., 2022, S. 37).
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Ein verwandtes Beispiel sind reißerische Meldungen, die als Hauptziel die Weitergabe spektakulärer Information vorgeben, doch eigentlich als eine Clickbaiting-Strategie auf möglichst viele Klicks angelegt sind, um den Traffic und damit auch die Werbeeinnahmen für ihr Unternehmen zu erhöhen – im Zweifel auch zu Lasten des Wahrheitsgehaltes der Meldung.
- 9.
Siehe dazu auch die aktualisierten Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur „Bildung in der digitalen Welt“, die diese Differenzierung in ihren grundsätzlichen Überlegungen und Zielen aufgreift (vgl. KMK, 2021, S. 3).
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Heldt, I. (2023). Digitalisierung und Demokratiebildung. In: Bokelmann, O. (eds) Demokratiepädagogik. Soziale Arbeit als Wohlfahrtsproduktion, vol 29. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-42649-1_21
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