Schlüsselwort

1 Einleitung

In diesem Beitrag werden Animationsvideos realer Unterrichtsszenen aus dem Projekt LArS.nrw als neues Lehr-/Lernmedium für die Lehrer*innenbildung vorgestellt. Neu ist dabei nicht das Medium an sich, auch nicht dessen Einsatz in Bildungskontexten. Videoaufzeichnungen von Unterricht sind schon seit den 1960er Jahren fester Bestandteil der Lehrer*innenbildung. Sie bilden das komplexe Unterrichtsgeschehen multimodal ab (Ton und Bild) und eignen sich zur Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von angehenden wie praktizierenden Lehrpersonen. Animationsvideos von Unterricht unterscheiden sich jedoch in ihrer Machart und damit einhergehend in wesentlichen konzeptionellen Merkmalen von Unterrichtsaufzeichnungen (Bruckner 2011, S. 13). Videografierter Unterricht bildet natürliche Personen, Gegenstände, Räumlichkeiten etc. ab und ist daher aus rechtlichen Gründen (z. B. Datenschutz, Persönlichkeitsrechte) nur in Ausnahmefällen frei für die Lehrer*innenbildung und/oder Forschung zugänglich. Gerade für die Fächer des sozialwissenschaftlichen Unterrichts liegen ohnehin schon wenige Videostudien (vgl. für eine Übersicht Gronostay und Teuwsen 2021) und erst recht kaum frei verfügbare Videoaufzeichnungen von Unterricht vor (vgl. Abschn. 2.1 in diesem Beitrag). Da die LArS-Animationsfilme aber gezeichnete Charaktere ohne Bezug zu realen Personen zeigen, können sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Die Animationsfilme des Projekts LArS.nrw zeigen authentische Unterrichtsszenen, die sich real in der alltäglichen Unterrichtspraxis an Schulen in Nordrhein-Westfalen ereignet haben, bilden aber keine realen Personen ab. Bei den Animationen handelt es sich um eine gezielte Darstellung der aus (fach-)didaktischer Sicht relevanten Merkmale einer ausgewählten Unterrichtsszene.

Neben Videoaufzeichnungen von Unterricht sind die LArS-Animationen am ehesten mit den Trickfilmen des US-amerikanischen „Lessonsketch“-Projekts (Herbst et al. 2013) vergleichbar, bei dem fiktive Unterrichtssituationen im Sinne einer „avenue for experimentation“ in Form kurzer Vignetten für die Lehrer*innenbildung im Fach Mathematik eingesetzt werden. In eine ähnliche Richtung gehen „scripted videos“, bei denen problematische Unterrichtssituationen oder gezielt positive vs. negative Umsetzungen einer unterrichtlichen Anforderungssituation mit Schauspieler*innen nachgestellt werden (Bönte et al. 2019). Schnittmengen bestehen auch dort, wo Augmented Reality oder Virtual Reality für die Lehrer*innenbildung nutzbar gemacht werden soll. In keinem dieser Beispiele besteht jedoch der Anspruch, eine authentische und reale Unterrichtsszene in ihren wesentlichen (fach-)didaktischen Merkmalen (mit Blick auf bestimmte, vorab definierte Kompetenzziele) als Film für die Lehrer*innenbildung aufzubereiten. In diesem Beitrag sollen daher Machart und konzeptionelle Merkmale der LArS-Animationsvideos als neue Repräsentationsform politisch-sozialwissenschaftlichen Unterrichts und Lehr-/Lernmedium für die Lehrer*innenbildung im Fach vorgestellt werden.

Der Beitrag gliedert sich wie folgt: Im Anschluss an diese Einleitung bietet der folgende Abschnitt eine Bestandsaufnahme verfügbarer Unterrichtsvideos politisch-sozialwissenschaftlicher Unterrichtsfächer zur Verwendung in der Lehrer*innenbildung (Abschn. 2.1). Sodann wird aufgezeigt, inwiefern die LArS-Animationsvideos das bestehende Angebot an Unterrichtsvideos sozialwissenschaftlicher Unterrichtsfächer ausbauen und erweitern (Abschn. 2.2). Als innovativ kann hier (neben dem Animationsformat) die gezielte Bereitstellung von Szenen-Paaren (zwei inhaltlich und/oder methodisch vergleichbare Szenen) sowie mit Blick auf die Fachdidaktik Sozialwissenschaften auch die Darstellung herausfordernden Unterrichtssituationen im Projekt LArS.nrw gelten. Die Konzeption der LArS-Animationsvideos steht im Fokus von Abschn. 3. Leitend ist die Frage: Wie wird aus der Original-Unterrichtsszene im Zusammenspiel didaktischer Fokussierung und filmtechnischer Umsetzung ein Animationsfilm? Abschn. 3.1 zeigt auf, wie geeignete Szenen für die Animationen ausgewählt wurden und welche konzeptionellen Merkmale die LArS-Animationen tragen. Dabei wird auch dargelegt, welche Entscheidungen und Abwägungen in der konzeptionellen Phase der Filme zu treffen waren (z. B. Wie abstrakt oder naturalistisch soll der LArS-Klassenraum aussehen? Sollen je Film unterschiedliche Lehrer*innen- und Schüler*innencharaktere dargestellt werden oder nicht?). Dann folgt eine Beschreibung des Produktionsprozesses der Animationsfilme, um die Vorgehensweise bei der Transformation nachvollziehbar zu machen (Abschn. 3.2). Die wesentlichen Überlegungen werden im Fazit zusammengefasst (Abschn. 4).

2 Unterrichtsvideos in sozialwissenschaftlichen Unterrichtsfächern zur Verwendung in der Lehrer*innenbildung

2.1 Bestandsaufnahme

Die Arbeit mit Unterrichtsvideos in der Lehrer*innenbildung dient einer besseren Theorie-Praxis-Verzahnung und ist für die Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung essentiell (vgl. Abschn. 1.4). Einzelne Lehrende an Universitäten oder Zentren für schulpraktische Lehrer*innenausbildung können geeignetes Videomaterial in der Regel aber nicht selbst produzieren (abgesehen von videografierten Einzelstunden zur Selbstreflexion). Da die Videos eine gute Bild- und Tonqualität haben sollten, ist umfangreiches und hochwertiges technisches Equipment erforderlich (bspw. Aufnahmen mit mehreren Kameraperspektiven und Tonspuren). Zudem sind rechtliche Hürden zu beachten, allen voran die Einholung der notwendigen Genehmigungen der videografierten Personen und der Schulleitung, je nach Bundesland auch des zuständigen Ministeriums. Videomaterial, das diesen Ansprüchen genügt, kann daher in der Regel nur in größeren Projekten mit geschultem Personal und entsprechender Infrastruktur bereitgestellt werden. Schließlich gibt es auch vonseiten der videografierten Lehrkräfte teils Unbehagen, eigenen Unterricht für die kritische Reflexion im Kontext der Lehrer*innenbildung zur Verfügung zu stellen; umso mehr, je weniger der Kreis der Nutzer*innen begrenzt werden kann und je weniger vorteilhaft die videografierte Unterrichtssituation bewertet wird. Die grundlegendste Voraussetzung für die Einbindung von Videomaterial in der Lehrer*innenbildung ist daher, dass Videos in hoher Qualität für das jeweilige Unterrichtsfach und die entsprechende Schulform überhaupt verfügbar sind. Für die (hochschul-)didaktische Lehrplanung gilt ferner das Primat der Lern- und Kompetenzziele, d. h. Medien und Methoden werden so ausgewählt, dass sie zur Förderung der intendierten Lern-/Kompetenzziele geeignet sind (Implikationszusammenhang). Das Vorliegen weniger einzelner Unterrichtsvideos kann daher nicht zufriedenstellen, da die Lehrplanung sich dann daran ausrichten müsste, was das zufällig zur Verfügung stehende Videomaterial in Bezug auf Lern- und Kompetenzziele eben hergibt. Daher braucht es für eine professionelle Lehrer*innenbildung Videobeispiele zu unterschiedlichen Lerngegenständen, Unterrichtsthemen und Methoden für die verschiedenen Jahrgänge und Schulformen – und zwar zudem idealerweise unterschieden nach gewöhnlich-alltäglicher Praxis (regular praxis), besonders qualitätsvoller Praxis (best practice) sowie herausfordernder oder kritisch einzuschätzender Praxis (critical incidents). Denn jeder dieser Videotypen bietet unterschiedliches Lernpotenzial. Nur angedeutet sei hier, dass das Vorliegen eines entsprechend großen und vielfältigen Videopools für sozialwissenschaftliche Unterrichtsfächer auch den Diskurs über fachspezifische Unterrichtsqualitätsmerkmale stark befördern könnte (Praetorius und Charalambous 2018; Praetorius et al. 2020).

Tab. 1 bietet eine Bestandsaufnahme verfügbarer Unterrichtsvideos politisch-sozialwissenschaftlicher Fächer zum Einsatz in der Lehrer*innenbildung. Dargestellt sind Ergebnisse einer Recherche mithilfe des Meta-Videoportals (www.unterrichtsvideos.net) im Januar 2022. Das Meta-Videoportal ist eine Suchmaschine für Unterrichtsvideos. Es indexiert vorliegendes Videomaterial von Unterricht unterschiedlicher Videoplattformen und ermöglicht so eine systematische Recherche. Der Zugang zu den Videos erfolgt durch Besuch der entsprechenden Anbieterhomepage, welche über eine Verlinkung direkt zugänglich ist. Gibt man im Meta-Videoportal die Suchkriterien „Unterrichtsausschnitt“ oder „Unterrichtsstunde“ in Kombination mit dem Kriterium „Sozialkunde/Politik“ als Fach an weiterführenden Schulformen an, so erhält man 31 Treffer. In dieser Trefferliste werden in einigen Fällen Unterrichtsaufnahmen mehrfach angezeigt, da Videomaterial teils sowohl als ganze Unterrichtsstunde wie auch in Form einer oder mehrerer kurzen Unterrichtsausschnitte (Vignette) in der Datenbank gelistet ist. In Tab. 1 sind die Treffer nach Projekten bzw. Anbieter sortiert, die Kurzbeschreibung stellt die vorhandenen Unterrichtsvideos übersichtlich mit Angabe des Lerngegenstands/Themas, Schulform und -stufenbezug sowie Dauer des Videos dar.

Tab. 1 Unterrichtsvideos sozialwissenschaftlichen Fachunterrichts (Stand: 14.01.2022, Recherche Meta-Videoportal)

Das vorhandene Videomaterial sozialwissenschaftlichen Fachunterrichts lässt sich wie folgt zusammenfassen: Insgesamt liegen aus drei Projekten neunzehn Unterrichtsstunden sozialwissenschaftlichen Fachunterrichts vor. Jedoch sind davon nur elf für Lehrerbildner*innen über eine niedrigschwellige Online-Registrierung/Beantragung zugänglich, denn die acht Stunden (davon drei Doppelstunden) des VIGOR-Portals sind Kooperationspartner*innen des Projekts vorbehalten und damit in der Nutzung stärker restringiert. In allen Projekten werden Videos ganzer Unterrichtsstunden bereitgestellt, teils zusätzlich aufbereitet in Form von Vignetten kürzerer Unterrichtsszenen (Projekte FOCUS und VIGOR) oder mit verschiedenen Tonspuren unterlegt (Projekt VIGOR). Mit Ausnahme einer Best-Practice Vignette zu adaptivem Unterricht (Projekt VIGOR) handelt es sich ausnahmslos um gewöhnlich-alltägliche Unterrichtspraxis (regular practice). Beispiele kritisch-herausfordernder Unterrichtspraxis stehen bislang nicht zur Verfügung. Es zeigt sich ferner ein Schwerpunkt auf den Inhaltsbereich „Gesetzlicher Mindestlohn“ (Projekt FOCUS) und die Planspielmethode (Projekt VIGOR).

2.2 Neues Videomaterial aus dem Projekt LArS.nrw

Neues Videomaterial sozialwissenschaftlicher Unterrichtsfächer wird ab dem Jahre 2022 aus dem Projekt LArS.nrw im Meta-Videoportal gelistet und über die NRW-landeseigene Bildungsplattform Open Resources Campus NRW (www.orca.nrw) sowie auf der Homepage www.politik-unterricht.de als Open Educational Resource für alle Interessierten frei zugänglich sein. Die Links zu den Videos auf der ORCA-Plattform sind in Anhang A zu finden. Tab. 2 gibt einen Überblick über die insgesamt 22 Animationsfilme realer Unterrichtsszenen. Die Animationen zeigen authentischen Unterricht, übertragen die beobachtete Realsituation jedoch auf fiktive Schüler*innen-und Lehrer*innencharaktere (vgl. Abschn. 3 zur Konzeption dieses neuen Lernmediums für die Lehrer*innenbildung). Bereitgestellt werden acht Videos zur unterrichtlichen Einstiegsphase (Modul A), sieben Videos zur Urteilsbildungsphase (Modul B) und sieben Videos zu herausfordernden Unterrichtssituationen (Modul C). Die Filme zeigen kurze Unterrichtsszenen (Vignetten) zu vielfältigen Lerngegenständen (bspw. Fachkonzepte Macht, Parteien, Integration und Migration oder Global Governance) und Unterrichtsmethoden (bspw. Karikaturanalyse, Fishbowl-Debatte), sodass die thematische und methodische Vielfalt verfügbaren Videomaterials erheblich erweitert werden kann. Die Videos zeigen überwiegend Unterricht der Jahrgänge 8/9 an Gymnasien sowie 10/11 an Gesamtschulen.

Tab. 2 Unterrichtsvideos des LArS-Projekts. (Eigene Darstellung)

Neben dem Animationsfilmformat sind zwei Innovationen der LArS-Filme und deren Potenzial für die Lehrer*innenbildung erwähnenswert. Die erste Neuerung gegenüber bestehenden Videomaterialien für die Lehrer*innenbildung (vgl. Abschn. 2.1) besteht darin, dass gezielt Szenen-Paare für einen methodischen und/oder inhaltlichen Vergleich von Unterrichtsbeispielen zur Verfügung gestellt werden. Bei der Analyse von Szenen-Paaren werden bspw. in Lehr-Lernmaterialien des LArS-Moduls A (vgl. Beitrag von Filler & Gronostay Kap. 7) dieselben Beobachtungs- und Analysekriterien an zwei vergleichbare Unterrichtsbeispiele angelegt. Dadurch werden Unterschiede (z. B. eine unterschiedliche Priorisierung der Motivierungs- vs. Mobilisierungsfunktion in der Einstiegsphase) und Gemeinsamkeiten (z. B. Problem der Schrittvermengung Beschreiben vs. Deuten bei der Analyse von Karikaturen) herausgearbeitet und auf verallgemeinerbare Zielkonflikte, Herausforderungen und didaktische Konzeptionen im politisch-sozialwissenschaftlichen Unterricht bezogen. So zeigt ein erstes Szenen-Paar zwei unterrichtliche Realisierungen eines Einstiegs mit (derselben) Karikatur in der gleichen Jahrgangsstufe und Schulform. In dem zweiten Szenen-Paar wird ein schüler*innen- vs. problemorientierter Unterrichtseinstieg in den Themenkomplex der Herausforderungen der Integrations-/Migrationsgesellschaft kontrastiert. Das dritte Szenen-Paar zeigt, wie zwei Einstiege zum Lerngegenstand der Einkommenssicherung/Marktprozesse am Beispiel Grundeinkommen und Mindestlohn die Motivierungs- und Mobilisierungsfunktion in unterschiedlichem Maße realisieren. Darüber hinaus sind bspw. auch Szenen-Paare zu herausfordernden Unterrichtssituationen in LArS-Modul C zusammengestellt (vgl. Beitrag von Kindlinger & Hahn-Laudenberg Kap. 9), die sich zur Analyse und Reflexion eines bestimmten fachdidaktischen Aspekts (z. B. didaktische Reduktion, problematische Schüler*innenäußerungen) gut ergänzen. Ein Unterrichtsvideo wird dann für vorbereitende Lernaufgaben nutzbar, das zweite Video dient der vertieften Analyse und Reflexion.

Die zweite Neuerung der LArS-Animationen besteht für die Fachdidaktik der Sozialwissenschaften in der Bereitstellung von Videos zu herausfordernden Unterrichtssituationen (critical incidents). Mit Blick auf die in Abschn. 2.1 vorgenommene Bestandsaufnahme lässt sich festhalten, dass hierzu in sozialwissenschaftlichen Unterrichtsfächern bisher kein entsprechend aufbereitetes Videomaterial frei zur Verfügung stand. Gerade solche Situationen werden schon aus ethischen Gründen in der Regel nicht mit Bezug zu realen Personen frei veröffentlicht. Die LArS-Animationsfilme stellen jedoch keine realen Personen dar, sodass es sich in besonderer Weise zur Darstellung herausfordernder Unterrichtssituationen eignet. Dies können situationsbedingt herausfordernde Situationen sein (z. B. Umgang mit populistischen Schüler*innenäußerungen) oder auch durch Handeln der Lehrkraft ausgelöste Herausforderungen (z. B. fehlende Passung zwischen Leistungsniveau der Lerngruppe und der geplanten Reihe).

3 Konzeption und Produktion der LArS-Animationsvideos realer Unterrichtsszenen

3.1 Produktionsprozess: von der realen Unterrichtsszene zum Animationsfilm

Die Animationsfilme des Projekts LArS.nrw wurden von einer professionellen Filmproduktionsfirma in enger Absprache und nach den Vorstellungen des Projektteams gefertigt. Dazu wurde in einer Prototypenphase der in Abb. 1 dargestellte Workflow erarbeitet. Der Prozess beginnt mit der Auswahl geeigneter Szenen realen Unterrichts im Fach Politik/Sozialwissenschaften für die Filmproduktion (Schritt 1, zu Auswahlkriterien vgl. folgenden Abschnitt). Auf dieser Basis entwickelt das Projektteam zu jeder ausgewählten Szene ein Storyboard und ein Wortprotokoll (Schritt 2). Das Storyboard dient im Projekt als zentrales Kommunikationsmedium (speziell zwischen Projektteam und Filmproduktionsfirma), um ein gemeinsames Verständnis der zu animierenden Szenen zwischen den Projektbeteiligten zu entwickeln. Abb. 2 zeigt ein Ansichtsbeispiel eines im Projekt erstellten Storyboardausschnitts. Das Storyboard enthält je Einstellung Angaben zur fortlaufenden Nummerierung der Szene, Einstellung und Einstellungsdauer (oberer Balken), eine Schemazeichnung mit geplanter Einstellungsgröße (Kasten links), eine Beschreibung der darzustellenden Situation mit Redebeiträgen (unterstrichen) sowie weiteren Vorstellungen des Projektteams zur Umsetzung der Szene (Textfeld rechts).

Abb. 1
figure 1

(Eigene Darstellung)

Workflow der Animationsfilmproduktion im Projekt.

Abb. 2
figure 2

Ausschnitt aus dem Storyboard zu Film No. 16. (Eigene Darstellung)

Zusätzlich zu dem Storyboard wird ein Wortprotokoll erstellt, welche allein die Unterrichtskommunikation (Redebeiträge) der jeweiligen Szenen enthält und übersichtlich nach Sprecher*innen darstellt (vgl. Anhang E). Die Wortprotokolle sind Grundlage für die Sprachaufnahme (Schritt 3), d. h. das Einsprechen von Redebeiträgen der Schüler*innen- und Lehrer*innencharaktere durch Laiensprecher*innen. Die Aufnahmen erfolgten in einer Sprecherkabine der Medienzentrums der Bergischen Universität Wuppertal und wurden stets von einem Zweier-Tandem aus Hochschulverbund und Filmproduktion begleitet. In einer ersten Variante der Erprobung des Workflows folgte direkt die Produktion der Animation durch die Filmproduktion. Schnell zeigte sich, dass durch das Storyboard alleine noch zu große Interpretationsspielräume bestehen, speziell da dem Hochschulverbund Kenntnisse in filmischer Dramaturgie und filmischer Darstellung fehlten sowie der Filmproduktionsfirma Kenntnisse in der Fachdidaktik der Sozialwissenschaften. Die aufwendige Fertigung der Animation sollte daher erst erfolgen, nachdem ein gemeinsames Verständnis der Szene besser abgesichert ist. Als hilfreich erwies sich, vor der Produktion der Animation zunächst ein Animatic zwischenzuschalten (Schritt 4). Ein Animatic stellt die einzelnen Einstellungen des Storyboards in filmischer Sequenz dar und enthält als Tonspur bereits die in Schritt drei produzierten Sprachaufnahme der Laiensprecher*innen. Die Animatics wurden von je einer Person des Projektteams (i. d. R. die Person, welche das Storyboard entwickelt hat) und einer aus der Filmproduktion besprochen. Dies dient der Absicherung eines gemeinsamen Verständnisses der Szene sowie der Beratung bzgl. der optimalen filmtechnischen Umsetzung. Die besprochenen Änderungen wurden in einer ersten Korrekturrunde festgehalten und direkt in das Animatic übertragen bzw. dort notiert. Auf Basis von Storyboard und Animatic erstellt die Filmproduktionsfirma eine erste Animation ohne Ton (Schritt 5). Sofern diese vom Hochschulverbund abgenommen wurde, erhält die auf der Bildebene fertiggestellte Animation das Sounddesign (Schritt 6). Der Sounddesigner unterlegt den Film mit Sprachaufnahme mit weiteren Audiospuren, bspw. einen gewissen Lautstärkepegel in der Klasse, Geräusche von Stühlerücken usw. Die auf Bild- und Tonebene fertiggestellte Animation (Schritt 7) wird abschließend einer letzten Abnahme vom Hochschulverbund unterzogen, wobei letzte Anpassungen vorgenommen wurden.

3.2 Konzeption der LArS-Animationsvideos

Im Projekt LArS.nrw sollten keine fiktiven Unterrichtsszenen erfunden, sondern reale Unterrichtsszenen als Animationsfilm aufbereitet werden. Gleichwohl sind Animationen keine 1:1-Abbildungen der Original-Szenen. Dies ist schon allein aufgrund der Unterschiede in der Darstellungsform nicht möglich. Denn Animationsfilme sind animierte Zeichnungen und stellen anders als Unterrichtsaufnahmen keine realen Personen dar. Zudem zeichnet sich das Format durch Abstraktion und Komplexitätsreduktion aus. Die in Animationsfilmen dargestellten Personen, Gegenstände oder Situationen sind gegenüber der Realität komplexitätsreduziert, mehr oder weniger schematisch dargestellt. Anders ausgedrückt: Das Animationsfilmformat zwingt zur Reduktion auf das Wesentliche, zur Fokussierung. Gleichzeitig erfordert die Animation neue Gestaltungsentscheidungen. Daher waren in dem Projekt zunächst wichtige konzeptionelle Fragen zu klären:

  • Nach welchen Kriterien erfolgt die Szenenauswahl für die Filme? (Auswahlkriterien)

  • Welche Aspekte der ausgewählten Original-Unterrichtssituation werden in der Animation dargestellt, welche nicht? (Auswahl-Transformationskriterien)

  • Spielen alle Animationen im selben Klassenraum mit identischen Einrichtungsgegenständen und denselben Schüler*innen- sowie Lehrer*innencharaktere oder soll es hier Variation geben (und falls ja, in welchem Umfang)?

  • Wie sollen die Lehrer*innen- und Schüler*innencharaktere aussehen?

  • Wie stark orientiert sich die dargestellte Unterrichtskommunikation an der Original-Szene?

  • usw.

Für das Projekt LArS.nrw stellte sich also die gleichermaßen spannende wie herausfordernde Aufgabe, zunächst ein Konzept für diese neue Art von Unterrichtsvideos für die Lehrer*innenbildung zu entwickeln, da keine Erfahrungswerte aus anderen Projekten vorlagen. Dabei kann die Überführung der Original-Unterrichtsszene in einen Animationsfilm als komplexer Transformationsprozess beschrieben werden (vgl. Abb. 1). Die filmtechnische Umsetzung (Wahl der Einstellung/Perspektive, Schnittfrequenz und -abfolge etc.) orientiert sich an der didaktisch intendierten Aufbereitung der Original-Szene („Was soll sich vermitteln?“). Die Animationen sollten die (vom Projektteam identifizierten) Kernelemente der darzustellenden Unterrichtsszene vermitteln und darüber hinaus auch angenehm anzuschauen sein.

Der inhaltliche Möglichkeitsraum der Animationen war zunächst durch den vorliegenden Pool an Unterrichtsaufnahmen vordefiniert. Zur Verfügung standen 92 Unterrichtsaufnahmen, davon 50 h aus dem Projekt Argumentative Lehr-Lern-Prozesse im Politikunterricht (Gronostay 2019) und 42 h aus dem Projekt Politik-Lernen im Unterricht (Manzel und Gronostay 2013). Die Aufnahmen zeigen regulären Unterricht, vorwiegend aus der Sekundarstufe I an Gymnasien in Nordrhein-Westfalen. Die Teilnahme an den beiden fachdidaktischen Videostudien war freiwillig, sodass die Videos keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben können. Im Projekt LArS.nrw sind insgesamt 22 Animationsfilme mit einer Gesamtfilmlänge von rund 108 min (inkl. Intro und Abspann) entstanden (vgl. Anhang A). Angesichts des Umfangs der vorliegenden Unterrichtsaufnahmen war eine Auswahl erforderlich. Als Auswahlkriterien zur Identifikation geeigneter Unterrichtsszenen für die Filmproduktion wurden folgende angelegt: Erstens, die Passung der Unterrichtsszene zum geplanten Lehr-/Lernangebot: Die Szenen sind zur Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung im Bereich der drei Schwerpunkte Einstiegsphase, Urteilsbildungsphase und Critical Incidents in sozialwissenschaftlichen Unterrichtsfächern geeignet, d. h. sie zeigen entsprechende Unterrichtssituationen (dies setzt bereits eine erste Interpretation der Unterrichtssituationen seitens des Projektteams voraus). Zweitens, die fachdidaktische Relevanz der Unterrichtsszene: Die ausgewählten Szenen zeigen exemplarische fachdidaktische Anforderungssituationen, die von allgemeiner Bedeutung sind (vgl. Beitrag von Manzel, Gronostay & Hahn-Laudenberg Abschn. 1.3). Drittens, inhaltlich-methodische Vielfalt: Die ausgewählten Szenen decken in ihrer Gesamtheit eine Bandbreite von Unterrichtsthemen, Lerngegenständen und Methoden ab (Vermeidung von Redundanz). Im Fall von Szenen-Paaren, d. h. der gezielten Zusammenstellung von zwei inhaltlich und/oder methodisch vergleichbaren Szenen, wird Komplementarität angestrebt, d. h. diese Szenen veranschaulichen bspw. eine unterschiedliche Prioritätensetzung der Lehrperson (z. B. Priorisierung der Mobilisierungs- oder Motivierungsfunktion in einer inhaltsähnlichen Einstiegsphase) oder/und verschiedene, sich ergänzende, Aspekte desselben theoretischen Konstrukts. Viertens, pragmatische Kriterien, bspw. die Verfügbarkeit von Kontextmaterialien (z. B. Verlaufspläne und Planungsdokumente der Lehrkraft, Schüler*innenarbeitsmaterialien).

Tab. 3 zeigt wesentliche konzeptionelle Merkmale der LArS-Animationsfilme im Überblick. Im Folgenden wird genauer erläutert und begründet, welche didaktischen und weiteren Überlegungen diesen Gestaltungsentscheidungen zugrunde lagen. Bei der Konzeption der Animationsfilme sind naturalistische vs. abstrakte Darstellungsformen eines Klassenzimmers möglich (Herbst et al. 2013). Wenngleich die naturalistische Darstellung (rechtes Bild in Abb. 3) realitätsnäher ist und ein stärkeres Raumgefühl vermittelt, ist genau dies für die intendierten Lehr-/Lernziele der LArS-Animationen nicht relevant, tendenziell sogar abträglich. Vielmehr sollen die Animationen auf Wesentliches fokussieren, also Komplexität gezielt reduzieren und damit die Aufmerksamkeit auf fachdidaktische Elemente der dargestellten Situation lenken. Mit Blick auf das Projektbudget war ferner zu bedenken, dass die vorhandenen Mittel prioritär für die Animation von Gestik und Mimik der Charaktere statt für inhaltlich weniger wichtige Aspekte des Klassenraumdesigns verwendet werden sollten. Durch den Verzicht auf Klassenraumwände sind zudem filmgestalterisch vielfältigere Perspektiven möglich (z. B. Ansichten auf das Klassengeschehen von „hinter“ den Wänden). Den LArS-Animationen liegt daher ein abstrakter Void-Klassenraum zugrunde (linkes Bild in Abb. 3). Hier sind lediglich wenige Einrichtungsgegenstände eines typischen Klassenraums abgebildet (Schüler*innenarbeitstische und Lehrkraftpult), um die dargestellte Situation klar als Unterricht erkennbar zu machen. Auf die Darstellung von Wänden, Türen oder Fenstern wird bewusst verzichtet. Weitere Einrichtungsgegenstände (z. B. Tafel, Projektion einer Karikatur) werden in der Animation nur dann dargestellt, wenn sie aus inhaltlichen Gründen für das Unterrichtsgeschehen der Animation relevant sind. Die Entscheidung zur minimalistisch-abstrakten Void-Darstellung korrespondiert letztlich auch mit der Wahl des Trickfilmformats, welches im Gegensatz zu Unterrichtsvideos naturgemäß mit einer schematischen Darstellungsweise einhergeht. Bei möglichen Farbvarianten des Voids war letztlich die Überlegung entscheidend, dass Farbtöne auch immer mit bestimmten Emotionen assoziiert sind (beruhigendes Grün vs. anregendes Rot). Damit würde(n) die Void-Hintergrundfarbe(n) die dargestellte Szene in ihrer emotionalen Wirkung entweder unterstreichen oder in Kontrast zu ihr stehen (und damit ggf. auch Einfluss auf die Interpretation dieser Szenen nehmen), was letztlich nicht intendiert ist. Hinzu kommen Überlegungen mit Blick auf die spätere Nutzergruppe (Studierende und Lehrer*innenbildner*innen). Wenngleich die Animationen als Geschichten aus dem Klassenraum auch einen gewissen Unterhaltungswert haben, sollte auch die Farbwahl unterstreichen, dass es sich bei den Animationen um Arbeits- und Lehr-/Lernmittel handelt.

Tab. 3 Merkmale der LArS-Animationsvideos im Überblick. (Eigene Darstellung)
Abb. 3
figure 3

LArS-Klassenraum grau-weißer Void (links), Klassenraum mit farbigem Void (Mitte) und ohne Void (rechts) (eigene Darstellung)

Die LArS-Animationen stellen reale Unterrichtssituationen dar, d. h. die Redebeiträge der Schüler*innen- und Lehrer*innencharaktere sind authentisch. Die enge Orientierung an der Original-Unterrichtskommunikation ist wichtig, da diese den Kern einer jeden fachdidaktischen Analyse von Unterrichtsvideos darstellt. So können beispielsweise in Schüler*innenbeiträgen Hinweise auf fachliche Prä- und Fehlkonzepte oder Lernschwierigkeiten identifiziert werden. Alles, was in den Animationen gesagt wird, wurde auch in den Original-Szenen in vergleichbarer Weise gesagt. Jedoch wurde nicht alles, was in den Original-Szenen gesagt wurde, auch in die Animationen übernommen (Auswahl und Kürzung). Die Redebeiträge wurden in Sprecherkabinen des ZIM der Bergischen Universität Wuppertal auf Basis von Wortprotokollen und Storyboards mit Laiensprecher*innen produziert. Die Sprecher*innen wurden dabei vor Filmproduktion beraten und durch Regieanweisungen zur intendierten Wirkung von Wortbeiträgen unterstützt (Gibt die Lehrperson bspw. wohlwollend-freundlich Rückmeldung oder eher autoritär-streng?). Nach Möglichkeit sprachen die Laiensprecher*innen je Film nur einen Charakter, aber vor allem durften Lehrkraft und Schüler*innencharaktere nicht von derselben/demselben Sprecher*in gesprochen werden. Auch auf Geschlechtsidentität wurde geachtet, sprachliche Besonderheiten wie Slang, Dialekt o.ä. wurden jedoch nicht nachgeahmt, da dies mit Laiensprecher*innen nur begrenzt realisierbar ist und eine Stereotypisierung von Charakteren vermieden werden sollte. Auch der zeitliche Verlauf der Animationen orientiert sich am Original, nicht sekundengenau, sondern mit dem Ziel einer vergleichbaren Wirkung. Wenn bspw. auf eine Lehrer*innenfrage eine Stille/Redepause in der Klasse folgt, wird dies in der Animation dargestellt. Teils wird mit Zeitsprüngen gearbeitet, die dann entsprechend kenntlich gemacht sind (Texteinblendung „vier Minuten später“).

Die LArS-Animationen stellen reale Unterrichtssituationen dar, jedoch keine realen Personen, d. h. die visuell abgebildeten Schüler*innen- und Lehrer*innencharaktere sind frei erfunden. Die Charaktere werden im Rahmen einer 2D-Animation realisiert, wobei durch geschickte Anordnung der Charaktere im Raum ein Eindruck von Räumlichkeit und Tiefe entsteht. Den Schüler*innencharakteren werden (fiktive) Namen zugeordnet, sofern sie namentlich von der Lehrperson aufgerufen werden. Die einzelnen Charaktere tragen individuelle Merkmale und sind klar voneinander unterscheidbar (vgl. Abb. 4). Mimik und Gestik sind für das Verständnis bzw. die Interpretation der Unterrichtssituation wichtig. Allerdings muss eine Auswahl getroffen werden, welche Gesten wann dargestellt werden (und welche nicht). Dies setzt zumindest zum Teil auch schon eine Interpretation der Bedeutung von Gesten und Gesichtsausdrücken voraus. Emotionen und Stimmungen sind über die Animation von Augen und Mund sowie Gestik darstellbar (bspw. gelangweilt, frustriert, heiter). In Anhang B sind entsprechende Beispiele zu finden.

Abb. 4
figure 4

(Eigene Darstellung)

LArS-Lehrer*innencharakter (links), LArS-Schüler*innencharaktere (Mitte und rechts) mit Gesten und Gesichtsausdruck.

Eine grundlegende Entscheidung für die Gestaltung der Animationsvideos bezog sich auf die Verwendung von individualisierten oder nondescript-Charakteren. Im Gegensatz zu individualisierten Charakteren abstrahieren nondescript-Charaktere weitgehend oder zur Gänze von individuellen Merkmalen wie bspw. Geschlecht, Körperbau, Haar- und Hautfarbe usw. und sind in der Folge kaum oder gar nicht voneinander unterscheidbar. Individualisierung wirkt realitätsnäher, erleichtert eine Identifikation mit den Charakteren und spiegelt (falls vorhanden) die Heterogenität einer Schüler*innenschaft besser wider. Nondescripts verfügen dagegen über den Vorteil einer geringen Auftretenswahrscheinlichkeit von Attributionsfehlern bei der Interpretation der Unterrichtsszenen und stellen die Merkmale einer Lehr-/Lernsituation unabhängig von den konkret agierenden Personen und ihren individuellen Merkmalen in den Vordergrund. Letztlich spiegelt die Entscheidung für/gegen Individualisierung die Frage wider, ob eher Unterrichten (z. B. didaktische Strategien, bestimmte Stile) oder Unterricht in seiner Komplexität dargestellt werden soll (Herbst et al. 2013).

Herbst et al. (2013) haben für ihre fiktiven Animationen für die Lehrer*innenbildung im Fach Mathematik nondescript-Charaktere gewählt, da hierdurch personenunabhängige Merkmale der Lehr-/Lernsituation im Vordergrund stehen und Attributionsfehler unwahrscheinlicher sind. Besonders in sozialwissenschaftlichen Unterrichtsfächern (aber auch in anderen Fächern) können soziale Gruppenzugehörigkeit, Diversitäts- und Heterogenitätsaspekte jedoch bedeutsam werden. Bspw. wenn über Themen im Kontext von Integration/Migration gesprochen wird und Schüler*innen der Lerngruppe hiervon in unterschiedlicher Weise betroffen sein können. Die LArS-Charaktere sind daher individualisiert. Hieran schließen sich weitere konzeptionelle und auch ethische Fragen an: Soll bspw. eine diverse Schülerschaft dargestellt werden, obwohl in den Original-Klassen (nach Einschätzung des Projektteams und vorliegenden Informationen) die Schülerschaft bzgl. bestimmter Merkmale recht homogen war? Wenn aber die Videos durchgehend sehr homogene, aber individualisierte Klassen zeigen, besteht nicht die Gefahr, dass die Animationen unbewusst als Norm rezipiert werden? In der Abwägung wurden im Rahmen des Projektes zwei Maximen entwickelt: bewusstes Arbeiten mit Mehrdeutigkeiten, um stereotype Darstellungen zu vermeiden (bspw. Graduierungen der Hautfarbe), sowie gezielte Darstellung von (ggf. auch fehlenden) Diversitätsaspekten, wenn diese für die dargestellte Szene inhaltlich relevant sind. Wenn bspw. in einer Klasse über ein mögliches Verbot einer rechtsextremen Partei kontrovers gesprochen wird oder migrationsbezogene Themen verhandelt werden, kann der ethnische oder Migrationshintergrund von Schüler*innen ein salientes Merkmal werden. Möglicherweise würde eine Kontroverse hierzu sich anders darstellen in einer unter diesen Gesichtspunkten stärker homogenen oder heterogenen Klasse. Um die Originalsituation in dieser Hinsicht nicht zu verfälschen, sondern bestmöglich zu repräsentieren, ist also wichtig, Homogenität oder Heterogenität in der Umsetzung zu reflektieren (im Wissen, dass dies auch bereits eine Zuschreibung der Beobachtenden ist, was sich aber bei diesem Produktionsprozess nicht verhindern lässt). Die Maxime stellt daher einen gangbaren Kompromiss dar, der sich u. a. wie folgt begründet: Bei Animationsfilmen im Speziellen besteht aufgrund der reduzierten Darstellung von Personen als Comic-Charaktere die Problematik, dass eine gezielte Darstellung von sozialen Gruppenzugehörigkeiten (bspw. Migrationshintergrund, soziale Schichten) schnell stereotyp wirkt. Die Orientierung an einer bestimmten Quote für Diversitätsaspekte ist problematisch, da sie voraussetzt, dass Diversitätsaspekte klar dargestellt werden können (z. B. Migrationshintergrund eindeutig erkennbar sein soll). Hinzukommt, dass allein auf Basis von Videodaten der Originalvideografien gar nicht sicher bestimmt werden kann, welche Diversitätsmerkmale für welche Schüler*innen relevant sind.

Damit die Transformation der Original-Szenen in Animationsfilme systematisch und zielführend erfolgt, entwickelte das Projektteam ein Konzept sowie entsprechende Transformationskriterien. Die Animationsfilme sind so aufbereitet, dass sie die fachdidaktisch relevanten Merkmale der ausgewählten Originalszene von Unterricht bestmöglich wiedergeben bzw. repräsentieren (merkmalsspezifische Repräsentativität). Neben den zwei Maximen der Darstellung von Diversitätsaspekten gilt: Schüler*innenmerkmale im Sinne funktionaler Lernvoraussetzungen (z. B. Interesse, Motivation, Vorwissen) vermitteln sich über Gestik, Mimik und Unterrichtsverhalten oder Wortbeiträge. Äußere Merkmale wie Kleidung oder Frisur oder Brillentragen können zwar Attributionen auslösen, da sie Gruppenzugehörigkeiten (z. B. Jugendszenen) und Persönlichkeitsmerkmale ausdrücken können (bspw. angepasst vs. rebellisch). Derartige äußere Merkmale wurden in den Animationsfilmen jedoch nicht gezielt gestaltet.

Dieser Transformationsprozess soll exemplarisch an einem Beispiel veranschaulicht werden: Das Originalvideo zeigt einen Unterrichtseinstieg mit Karikatur. Dabei wird die projizierte Karikatur zunächst beschrieben, dann gedeutet und schließlich bewertet. Aus fachdidaktischer Perspektiven soll die Szene so aufbereitet werden, dass wahrgenommen und analysiert werden kann, inwiefern im Rahmen der Karikatur-Analyse – als gemeinsame Basis für den weiteren Lehr-/Lernprozess – verständnisrelevante Bildelemente beschrieben und in ihrer Bedeutung interpretiert werden. Die Animation soll möglichst repräsentativ für die beobachtete Szene mit Blick auf die Umsetzung der Karikatur-Analyse sein, speziell unter dem Blickwinkel der Aktivierung von Vorwissen (Funktionen von Unterrichtseinstiegen) und Aspekten der Methode Karikaturanalyse. Im Originalvideo erscheinen wenige Schüler*innen der Klasse verspätet zum Unterricht, sodass die Bildbeschreibung kurz unterbrochen wird, Unruhe entsteht und die Lehrkraft die Klasse zur Ruhe auffordert. Diese Unterbrechung bietet Potenzial für die Analyse unter Klassenführungsaspekten. Da der Fokus der Vignette jedoch auf den beschriebenen (fach-)didaktischen Aspekten der Karikatur-Analyse liegen soll, ist die kurze Unterbrechung durch die Zuspätkommenden vernachlässigbar. Sie wird daher aus Gründen der Fokussierung nicht in der Animation dargestellt. Bei der Wahl der Kameraperspektive auf das dargestellte Unterrichtsgeschehen ist wichtig, dass die projizierte Karikatur im Video sichtbar ist, während Schüler*innen oder die Lehrperson Bildelemente beschreiben oder deuten. Auch Zeigegesten der Lehrperson auf Bildelemente der Karikatur sollten möglichst originalgetreu dargestellt werden.

4 Fazit

Für die Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von (angehenden) Lehrkräften ist die Arbeit mit Unterrichtsvideos essentiell. Dabei ist erforderlich, dass zu vielfältigen Unterrichtsthemen und -methoden sowie für je unterschiedliche Schulformen und Jahrgänge entsprechende Videobeispiele für Lehr-/Lernzwecke frei zugänglich sind. Wie die Bestandsaufnahme dieses Beitrags ergab, liegen bis dato jedoch nur in sehr geringem Ausmaß entsprechende Videos vor (insgesamt neunzehn Unterrichtsstunden im Fach Politik/Sozialwissenschaften). Diese zeichnen sich zudem durch eine starke Fokussierung auf einzelne Themen (bspw. die Mindestlohnthematik, Projekt FOCUS) oder Unterrichtsmethoden (bspw. Planspiel, Projekt VIGOR) aus. Das Projekt LArS.nrw war daher motiviert von der Idee, aus einem vorliegenden Pool authentischer Unterrichtsaufnahmen sozialwissenschaftlicher Fächer thematisch wie methodisch vielfältige Szenen auszuwählen und in Form des Animationsfilmformats für die Lehrer*innenbildung frei verfügbar zu machen. Die Konzeption und Produktion dieser Animationsfilme vorzustellen und damit auch Limitationen und Potenziale dieses Lehr-/Lernmediums für die Lehrer*innenbildung in politisch-sozialwissenschaftlichen Fächern aufzuzeigen war Anliegen dieses Beitrags.

Die Animationsfilme des LArS-Projekts ergänzen den Pool frei verfügbarer Unterrichtsvideos in sozialwissenschaftlichen Fächern um 22 neue Unterrichtsbeispiele. Und sie erweitern das Angebot bestehender Lehr-/Lernmedien für die Lehrer*innenbildung um das Medium der Animationsfilme realen Unterrichts. Wie alle anderen Lehr-/Lernmedien auch verfügen diese über spezifische Grenzen wie Potenziale: Die Animationsfilme des LArS-Projekts zeichnen sich durch Authentizität und fachdidaktische Fokussierung aus. Die Original-Unterrichtsszene wird in ihren fachdidaktisch relevanten Merkmalen möglichst originalgetreu in einen Animationsfilm transformiert. Dies geht jedoch mit einer Komplexitätsreduzierung und Fokussierung einher. Die Animationen sind entsprechend auf bestimmte Beobachtungs-/Analyseschwerpunkte hin produziert. Sie zeigen eher das Unterrichten (z. B. didaktische Strategien, bestimmte Stile) als den Unterricht in seiner Komplexität (Herbst et al. 2013). Jedoch gilt auch, dass ebenso Unterrichtsvideos (bspw. durch die Wahl der Kameraperspektive) eine Auswahl vornehmen und auch beim Hospitieren in der Klassensituation diese nicht in ihrer ganzen Komplexität von einer Person wahrnehmbar ist. Inwiefern die Komplexitätsreduktion und Fokussierung eine Stärke oder Schwäche des Mediums darstellt, ist vom intendierten Einsatzzweck abhängig. Gegenüber einer Unterrichtsaufnahme ist bereits viel „Rauschen“ (d. h. fachdidaktisch nicht relevante Merkmale der Situation und der dargestellten Charaktere) aus der Unterrichtsszene entfernt, sodass eine kognitive Überlastung und/oder Fokussierung auf weniger relevante Aspekte der Unterrichtsszene aufseiten der Beobachtenden vermieden werden. Insofern eignet sich das Lehr-Lernmedium der Animationsfilme gegenüber komplexen Unterrichtsaufnahmen besonders für Novizen (Lehramtsstudierende), die am Anfang der Ausbildung einer professionellen Unterrichtswahrnehmung stehen. Doch auch erfahrende Lehrkräfte können von der Arbeit mit den Animationsfilmen profitieren, sofern die Beobachtungs- und Analyseaufgaben entsprechend anspruchsvoll und/oder offen gestaltet werden. Die Animationen bieten darüber hinaus aufgrund der Darstellung fiktiver Charaktere, ähnlich wie gescriptete Unterrichtsvideos mit (Laien-)Schauspieler*innen, ein besonderes Potenzial für die Darstellung kritisch-herausfordernder Unterrichtssituationen. Diese verfügen gegenüber Videos gewöhnlich-alltäglicher Praxis (regular practice) oder besonders qualitätsvoller Praxis (best practice) über einen höheren Aufforderungscharakter, der besonders zur Auseinandersetzung mit der fachdidaktischen Situation motivieren kann (etwa im dem Sinne: „Wie könnte man diese Situation meistern? Welche Handlungsoptionen sind denkbar? usw.“). Da die Unterrichtskommunikation möglichst nah am Original (durch Laiensprecher*innen) belassen ist, eignen sich die Animationen gleichermaßen wie Original-Aufnahmen zur Identifikation möglicher Prä-/Fehlkonzepte und Merkmalen realer Unterrichtskommunikation. Eine Limitation der Animationsfilme besteht in der Kürze der dargestellten Szenen (Vignetten). Längere Unterrichtsverläufe werden nicht dargestellt. Dies kann alternativ besser über Unterrichtsverlaufspläne und Planungsdokumente nachvollzogen werden (in wenigen Fällen sind solche Dokumente zu den Animationen verfügbar). Die Anzahl verfügbarer Kontextinformationen ist insgesamt jedoch eher gering. Auch bestehen Grenzen hinsichtlich der Gestik und Mimik der dargestellten Lehrer*innen- und Schüler*innencharaktere. Jedoch sind Animationsfilme gegenüber Unterrichtsaufzeichnungen aufgrund der optimalen Ton- und Bildqualität und einer stärker filmischen „Erzählweise“ (Kameraperspektive, Schnitt) angenehmer anzusehen. Schließlich gilt: Die Lehrer*innen- und Schüler*innencharaktere des LArS-Projekts spielen in den verschiedenen Animationsvideos immer wieder andere Szenen beobachteter Unterrichtspraxis nach und werden auf diese Weise zu bekannten „Gefährt*innen“ im Lehr-Lernprozess der (angehenden/sich fortbildenden) Lehrkräfte.