Die empirische Forschung zum unterstützten Wohnen von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung will dazu beitragen, ihre Teilhabe und Lebensqualität zu verbessern. Das Wohnen verortet die Lebensführung des Menschen, es rückt den Mensch-Umwelt-Bezug in den Vordergrund, der so zentral geworden ist für die moderne Auffassung von Behinderung als Teilhabestörung und Umwelt als Barriere oder Förderfaktor. Wohnen, wie wir es hier verstehen, behält die sozial-räumliche Gesamtorganisation unseres Alltags im Blick, was wichtig ist, wenn Unterstützung organisiert und Teilhabe im Alltag gelingen soll. Im Abschn. 2.1 wird darauf eingegangen, was unter Wohnen und Wohnumwelt ökologisch-psychologisch verstanden wird und welche Denkmuster die empirische Erforschung von Mensch-Wohnumwelt-Beziehungen leiten.

Wohnsettings mit Unterstützung, in denen Erwachsene mit intellektueller Beeinträchtigung leben, haben sich immer weiter differenziert. Im Abschn. 2.2 werden anhand der Dimensionen eigene Wohnung vs. institutionelles Wohnen, Wohnen mit oder ohne professionelle Unterstützung, Wohnen in geplanter Nachbarschaft sowie inklusives versus nicht-inklusives Wohnen aktuelle Wohnsettings klassifiziert. Dadurch lassen sich auch Untersuchungsergebnisse eindeutiger zuordnen. In Deutschland existieren keine bundesweiten zuverlässigen Statistiken darüber, in welchen Wohnsettings Erwachsene mit intellektueller Beeinträchtigung leben. In der Fachliteratur finden sich immer wieder unbelegte Annahmen dazu. Anhand von Ergebnissen einer Studie für Westfalen-Lippe können zumindest manche Mythen korrigiert und neue Trends aufgezeigt werden. Auch über die Häufigkeit von Umzügen im Erwachsenenalter ist einiges bekannt. Über Wohnwünsche von Erwachsenen mit intellektueller Beeinträchtigung berichten ausführlicher Seifert und Metzler im Kap. 3 dieses Bandes.

International liefert in den letzten Jahrzehnten das Konzept der Lebensqualität nach Schalock et al. (2007) Ziel- und Bewertungskriterien für die Wohnforschung. Mit der internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) rücken die Teilhabebereiche in das Zentrum der Betrachtung und finden ihren Niederschlag z. B. in Instrumenten für die Bedarfsfeststellung in Deutschland. Im Abschn. 2.3 werden Teilhabebereiche und Lebensqualitätsdimensionen zueinander in Beziehung gesetzt, um so die Vorteile dieser beiden sich ergänzenden Betrachtungsperspektiven in der Forschung zu nutzen. Das Fazit streicht mit Blick auf den Anwendungsbezug die Interdisziplinarität des Forschungsfelds heraus (Abschn. 2.4).

1 Wohnen, Wohnumwelt und Person-Umwelt-Beziehungen

Wohnen ist die innigste aller Mensch-Umwelt-Beziehungen, so Saegert (1985) und so führt auch Antje Flade (2006, S. 13) in die Psychologie des Wohnens ein. Person und Umwelt wirken beständig wechselseitig aufeinander ein und verändern durch diese Transaktionen sich und ihre Beziehungen über die Zeit: Wohnen umfasst physische, soziale und psychologische Transaktionen, über die Menschen ihr alltägliches Leben organisieren, mit anderen interagieren, ihre Wohnumwelt gestalten, über die sie ihrem Leben Bedeutung verleihen und Identität gewinnen (Sixsmith und Sixsmith 1991). Mittels dieser Transaktionen eignen sich Menschen Umweltgegebenheiten an, die zu ihrer, für sie persönlich bedeutsamen Wohnumwelt werden. Die Handlungen werden von zunehmenden Gefühlen der Zugehörigkeit und – je nach Erfolg – des Wohlbefindens begleitet. In ihrem Vollzug wird der Mensch selbst ein anderer. Die Wohnumwelt wird zu einem Teil der eigenen Person, des eigenen Selbstkonzepts. Es entsteht Ortsidentität (Flade 2006). Das Handeln eines Individuums ist dabei häufig eingebettet in sozial-kulturell geformte Geschehenssysteme, so genannte Behavior Settings, in denen Akteure in geregelter Weise und in je spezifischen Rollen (mit mehr oder weniger großen Handlungsspielräumen) kommunizieren und kooperieren, um ihre Ziele zu erreichen (Dieckmann 2022). Beispiele für solche Behavior Settings wären ein häusliches gemeinsames Abendessen, das von einer Assistenzperson unterstützte Aufstehen und Anziehen von Bewohner*innen, aber auch Aktivitäten im Gemeinwesen, wie der Einkauf im Supermarkt.

Aus ökologisch-psychologischer Perspektive ist die Wohnumwelt nicht auf die Wohnung begrenzt. Unter Wohnumwelt wird vielmehr der Lebensraum eines Individuums verstanden, ein von außen beobachtbarer, physisch abgrenzbarer und in sich gegliederter Handlungsraum des Alltagslebens, in dem soziale Beziehungen geknüpft und gestaltet werden und an Aktivitäten (Geschehenssystemen) partizipiert wird (Dieckmann 2012). Diese Wohnumwelt ist beim Individuum als subjektiver Handlungsraum kognitiv und emotional repräsentiert. Im Zentrum der Wohnumwelt eines Individuums befindet sich die Wohnung, die den Mittelpunkt der Haushaltsgemeinschaft und den Ausgangs– und Rückkehrpunkt im täglichen Leben bildet. Das Wohnumfeld ist das Gebiet, in dem Nachbarinnen und Nachbarn, andere außerhäusliche Bezugspersonen sowie Einrichtungen für die Versorgung, Orte für Bildung und Arbeit, für kulturelles und religiöses Leben, für Erholung und Mobilität fußläufig zu erreichen sind. Als Quartier ist es für die Gestaltung sozialer Inklusion von großer Bedeutung (Kap. 7, Stichwort: Sozialraumorientierung). Darüber hinaus gehören zur Wohnumwelt weiter entfernt liegende Geschehensorte, die eine Person im Alltagsleben aufsucht, inklusive der Wege, die sie dorthin und von dort wegführen. Die Wohnumwelt einer Person lässt sich als home range (alltäglicher Lebensraum einer Person) topografisch abbilden (Abb. 2.1). Projiziert auf eine Landkarte umfasst die Wohnumwelt die Wohnung und das Wohnumfeld (home base) und reicht mit fingerartigen Ausstülpungen in die umliegenden Gebiete hinein (Porteous 1977, S. 29).

Abb. 2.1
figure 1

Wohnumwelt als alltäglicher Lebensraum einer Person (home range)

Die Wohnumwelt ist territorial gegliedert. Territorialität bezeichnet das Phänomen, dass Einzelpersonen oder Gruppen gegenüber anderen die Verfügbarkeit über Areale oder Objekte für sich reklamieren. Die Wohnung stellt in unserer Kultur ein primäres Territorium dar, das dauerhaft den Wohnenden (einer Person, einem Paar oder einer Gruppe) zuerkannt wird. Die Unverletzlichkeit der Wohnung wird durch das Grundgesetz (Art. 13) geschützt. Das ausschließliche Nutzungsrecht ermöglicht es, die Wohnung in hohem Maße persönlich zu gestalten (Personalisierung). Über sekundäre Territorien im Wohnumfeld oder an weiter entfernt liegenden Geschehensorten (z. B. der Kinderspielplatz einer Hausgemeinschaft, das Stammlokal um die Ecke, die Geschäfte im Stadtzentrum, „mein“ Büro im Betrieb) haben mehrere Nutzer*innen befristet Verfügungsgewalt, sofern sie bestimmte Zulassungskriterien erfüllen. Öffentliche Territorien (Wege, Plätze, Parks usw.) sind prinzipiell für jede*n zugänglich. Deren Nutzung unterliegt jedoch bestimmten Gesetzen, Regeln oder Gebräuchen (Dieckmann et al. 1998).

Wie wird das Verhältnis zwischen Person und sozial-physischer Umwelt in der Wohnforschung betrachtet? Zunächst einmal lässt sich die Umwelt als eine Gelegenheitsstruktur für individuelles Handeln begreifen. Sie ermöglicht, fördert (als Ressource) oder ver- bzw. behindert (als Barriere) die Erreichung individueller Ziele, die Befriedigung eigener Bedürfnisse. Die Umwelt stellt aber auch Anforderungen an die Akteure, die zu ihren Handlungskompetenzen passen oder unter- bzw. überfordernd sind. Durch die Anpassung der Umwelt und Zurverfügungstellung von Unterstützung kann Handlungskompetenz hergestellt und Teilhabe gesichert werden. Umweltanforderungen haben auch eine verhaltensmotivierende Wirkung und können zum Erlernen neuer adaptiver Handlungsweisen, zu einer Erweiterung des individuellen Handlungsrepertoires, zur persönlichen Weiterentwicklung, einer selbstständigeren Lebensführung und subjektivem Wohlbefinden führen. Zu den wohnspezifischen Folgen gehören Einstellungen gegenüber der Wohnumwelt; die Entstehung einer Ortsidentität und einer emotionalen Bindung an die Wohnung, die Nachbarschaft, den Wohnort; das Empfinden von Behaglichkeit sowie die Entwicklung von Kommunikation und sozialen Beziehungen zu Mitbewohner*innen und Nachbar*innen. Negative Folgen wären etwa Reaktionen der Entfremdung und Distanz, eine niedrige Nutzungshäufigkeit und -intensität der Wohnumwelt, Unsicherheit und Unfälle (z. B. Stürze), Anonymität, Angst oder Isolation in der Wohnumwelt. In dem sozio-kulturellen Modell werden Umwelten primär als sozial-kulturell definiert begriffen und im Hinblick auf ihre Bedeutungen interpretiert. Bei der Analyse von Wohnumwelten unterscheidet Rappoport (1982) Bedeutungen auf einer unteren, mittleren und höheren Ebene. Bedeutungen auf der unteren Ebene wirken sich aus auf die alltägliche Handlungsregulation, z. B. physische Barrieren in der Wohnung, die die Fortbewegung beeinträchtigen. Bedeutungen auf der mittleren Ebene regulieren soziale Interaktionen und Beziehungen. Sie markieren beispielsweise den sozialen Status von Wohnenden in der Wohnung, in einer Nachbarschaft oder im Gemeinwesen. Auf der höheren Ebene können in und durch die Wohnumwelt grundlegende gesellschaftliche und individuelle Werte zum Ausdruck kommen, die beispielsweise Sinn und Identität stiften. Phänomenologische Studien schlüsseln Bedeutungen des Wohnens auf, versuchen sie bewusst zu machen. Beispielsweise ist Seamon (1979) der Frage nachgegangen, was eine Wohnung zu einem Zuhause werden lässt, was das Sich-Zuhause-Fühlen eigentlich ausmacht. Er fasst das, was ein Zuhause ausmacht, mit den fünf Bedeutungsmerkmalen Verwurzelung, Aneignung, Regeneration, Leichtigkeit und Wärme zusammen. Die analytische Psychologie C.G. Jungs nutzt die Art und Weise, wie eine Person wohnt, und die damit verbundenen Erfahrungen als Quelle zum Verständnis und zur Deutung der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit (Cooper Marcus 1995). Dieser hermeneutische Zugang zum Wohnen trägt zur Biografiearbeit bei.

2 Wohnsettings von Erwachsenen mit intellektueller Beeinträchtigung

Klassifikation von Wohnsettings

Die Settings, in denen Erwachsene mit intellektueller Beeinträchtigung wohnen, haben sich immer weiter differenziert. Gerade die Frage, wie Wohnen und professionelle Unterstützung kombiniert werden können, hat zu neuen Antworten geführt. Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung sollen sich wie andere auch entscheiden können, wie und mit wem sie wohnen wollen (Artikel 19 UN-BRK). Eine professionelle Unterstützung ist prinzipiell und zunehmend auch sozialrechtlich in allen Wohnsettings denkbar, obwohl in der Praxis Erwachsene mit intellektueller Beeinträchtigung und komplexem Unterstützungsbedarf selten vor Ort zwischen Wohnalternativen wählen können.

Wie lassen sich die gängigen Arten von Wohnsettings für die wissenschaftliche Bearbeitung klassifizieren? Leider gibt es keine einheitliche international anerkannte Klassifikation von Wohnsettings, obwohl zumindest in den meisten westlich geprägten Ländern mit hohen Einkommen die gleichen Arten von Wohnsettings existieren. Auch in den englischsprachigen Ländern werden keine einheitlichen Bezeichnungen verwandt geschweige denn klare Abgrenzungskriterien. Dabei sind die Probleme und Fragestellungen, die das Wohnen mit Unterstützung unter Teilhabegesichtspunkten aufwirft, in den verschiedenen Ländern die gleichen und Erkenntnisse lassen sich trotz unterschiedlicher kultureller Hintergründe sehr gut übertragen. Was im internationalen Vergleich deutlich wird ist, dass insbesondere große Wohninstitutionen in zahlreichen hochentwickelten Ländern wie in Skandinavien, dem Vereinigten Königreich, Nordamerika oder Australien aufgrund gesetzlicher Vorgaben keine Rolle mehr spielen.

Im deutschsprachigen Raum haben u. a. Dieckmann et al. (2015, S. 98) unter Rückgriff auf Bigby (2004, S. 165) sowie Dworschak (2022) Klassifikationen vorgeschlagen. U. E. müssen diese Klassifikationen erweitert werden, um den Wohnarrangements mit Unterstützung, die heutzutage gestaltet werden, gerecht zu werden.

Aktuelle Wohnsettings, in denen Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung leben, lassen sich auf vier Dimension unterscheiden:

  1. 1.

    eigene Wohnung vs. institutionelles Wohnen

Leben Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung in einer eigenen Wohnung (allein oder zusammen mit anderen) oder in einem institutionellen Wohnsetting? In institutionellen Wohnsettings ist das Wohnen mit der Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen durch den Träger der Wohninstitution vertraglich und faktisch verbunden (Tab. 2.1).

Tab. 2.1 Wohnsettings von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung differenziert nach Wohnen in der eigenen Wohnung versus institutionelles Wohnen

Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung können, wie andere Bürger*innen auch, allein, mit einem Partner/einer Partnerin oder in einer Wohngemeinschaft leben und gegebenenfalls ambulant unterstützt werden. Es gibt Wohngemeinschaften, in denen Menschen mit und ohne Behinderung inklusiv zusammenleben (häufig zum Beispiel Studierende oder Auszubildende mit Menschen mit Behinderung, Polsfuß und Köpcke 2022), und solche, in denen ausschließlich Menschen mit Behinderung leben, die selbstverantwortet oder von Wohndiensten organisiert werden. Viele Erwachsene mit intellektueller Beeinträchtigung leben noch zusammen mit ihren Eltern oder auch bei Geschwistern. Wenige haben selbst eine Familie gegründet. Das begleitete Wohnen in Zweit- oder Gastfamilien wird von einem Anbieter der Eingliederungshilfe beratend begleitet. Auf der Seite des institutionellen Wohnens stehen Komplexeinrichtungen, wozu traditionelle Heime mit Zentralgelände und anthroposophische Dorfgemeinschaften zählen. Außerdem gehören zu institutionellen Wohnsettings die oft gruppengegliederten Wohnheime im Gemeinwesen sowie kleinere Wohnhäuser oder selbständige Wohngruppen (in Deutschland oft Außenwohngruppen genannt), die von ihrer Größe in etwa den Wohngemeinschaften und den group homes in englischsprachigen oder skandinavischen Ländern entsprechen. Neben den allgemeinen Altenpflegeeinrichtungen, in denen in vielen Ländern auch Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung wohnen, gibt es Fachpflegeeinrichtungen, die auf den Personenkreis spezialisiert sind und in Deutschland insbesondere von Trägern von Komplexeinrichtungen der Eingliederungshilfe geschaffen wurden.

  1. 2.

    Wohnen mit oder ohne professionelle Unterstützung

Während in institutionellen Wohnsettings professionelle Unterstützungsleistungen integraler Bestandteil des Angebots sind, können Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung in fast allen anderen Wohnsettings mit oder ohne professionelle Unterstützung (vor allem ambulante Wohndienste der Eingliederungshilfe, Pflegedienste) leben. Eine Ausnahme bildet das Wohnen in Zweitfamilien, was immer die Inanspruchnahme der von der Familie geleisteten bezahlten Unterstützung beinhaltet. Insbesondere auch bei den nicht-inklusiven Wohngemeinschaften ist die Voraussetzung für den Einzug die Notwendigkeit einer professionellen Unterstützung, häufig sogar eines Mindestbedarfs, damit die Wohngemeinschaft ausreichend intensiv und lang mit Assistenz unterstützt wird. Oft müssen sich die WG-Mitglieder auf einen Wohndienst einigen.

  1. 3.

    Wohnen in geplanter Nachbarschaft

Einzelne Wohnsettings können als Teil einer Nachbarschaft geplant werden. Das Wohnen in geplanter Nachbarschaft berücksichtigt nachbarliche Bezüge und Netzwerke, gemeinschaftliche Nutzungen bis hin zur Gestaltung inklusiver Quartiere. Wohnprojekte können sich erstrecken auf ein einzelnes Wohngebäude, ein kleineres Wohnareal oder ein ganzes Quartier (Tab. 2.2).

Tab. 2.2 Varianten von Wohnsettings in geplanter Nachbarschaft

Apartmenthäuser bestehen aus Ein- bzw. Zwei-Personen-Apartments und häufig eingestreuten größeren Wohnungen für Wohngemeinschaften oder Familien. Sie können ausschließlich für Mieter*innen mit Behinderung und Unterstützungsbedarf errichtet werden oder sie sehen ein Zusammenleben von Mietparteien mit Menschen mit und ohne Behinderung vor. Menschen mit Behinderung und Unterstützungsbedarf sind oft gehalten, sich auf denselben Wohndienst und denselben Pflegedienst zu einigen. Häufig gibt es auch Gemeinschaftsräume außerhalb der Wohnung, die für besondere Aktivitäten von der Mietergemeinschaft genutzt werden (z. B. gesellige Aktivitäten, Feiern, gemeinsames Kochen, Fitnessraum). Bei einer Hausgemeinschaft sind die Ansprüche auf das Gemeinschaftsleben und die gegenseitige Unterstützung höher. Der Wunsch nach einem Zusammenleben in einer Hausgemeinschaft auch bei getrennten Wohnungen und Haushalten sollte bei der Wahl dieses Wohnsettings eine wichtige Rolle spielen. Dazu gehört auch die Bereitschaft mit nachbarlichen Konflikten und sich verändernden Interessen im Haus umzugehen. Siedlungsgemeinschaften erstrecken sich über mehrere Wohngebäude. Haus- und Siedlungsgemeinschaften werden häufig auch von Baugemeinschaften oder Wohngenossenschaften errichtet. Die Mitgliedschaft eines Menschen mit Behinderung in einer Wohngenossenschaft eröffnet Vorteile. Bewohnerinnen und Bewohner haben ein lebenslanges Wohnrecht in der Wohngenossenschaft und können beispielsweise Genossenschaftsangebote für ältere Menschen in Anspruch nehmen.

Beim Wohnen „im Drubbel“, wie es zum Beispiel in Münster realisiert wurde (Hoppe 1996), und dem ähnlichen Konzept der KeyRing Networks in England (Simons 1998) lebt eine Gruppe von Menschen mit Behinderungen in einer Nachbarschaft in verschiedenen Mietwohnungen, wird professionell unterstützt und kann sich auf der Basis von Freiwilligkeit gegenseitig helfen (Bigby 2004, S. 169).

Die Gestaltung inklusiver Quartiere macht Vorgaben für die Planung von Wohngebäuden, zum Beispiel den Anteil von geförderten Wohnungen oder die Reservierung von Flächen für inklusive Wohnangebote. Darüber hinaus werden Unterstützungsstrukturen im Quartier, Mobilitätsangebote und der öffentliche Raum inklusiv gestaltet. Als Beispiel sei hier die inklusive Planung und Gestaltung der Neuen Mitte Altona in Hamburg genannt (Q8 – Quartiere bewegen 2017).

  1. 4.

    inklusives vs. nicht-inklusives Wohnen

Als inklusiv werden hier Wohnsettings bezeichnet, in denen Menschen mit und ohne Behinderung zusammenleben. Institutionelle Wohnsettings sind nicht inklusiv, weil ausschließlich Menschen mit Behinderung dort leben – das gilt inzwischen weitgehend ebenfalls für anthroposophische Dorfgemeinschaften. Auch beim Wohnen in geplanter Nachbarschaft lassen sich inklusive von nicht-inklusiven unterscheiden. Zum Beispiel können Apartmenthäuser oder Hausgemeinschaften gemischt oder ausschließlich von Menschen mit Behinderung bezogen werden. In Deutschland unterstützt der Verein Wohn:sinn – Bündnis für inklusives Wohnen e. V. mit regionalen Beratungsstellen den Aufbau inklusiver Wohnmöglichkeiten. Der Verein unterscheidet zwischen inklusiven Wohn-, Haus- und Siedlungsgemeinschaften (Polsfuß und Köpcke 2022).

In welchen Wohnsettings leben Erwachsene mit intellektueller Beeinträchtigung in Deutschland?

Eine differenzierte Gesamtstatistik darüber, in welchen Wohnsettings Erwachsene mit intellektueller Beeinträchtigung in Deutschland leben, gibt es leider nicht. Die Statistik der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger (BAGÜS) erfasst nicht die Personen, die keine wohnbezogenen Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten, und differenziert nicht zwischen den verschiedenen Wohnformen. Die Datenlage ist für eine Gesellschaft, die sich verpflichtet hat, die UN-BRK zu realisieren, unbefriedigend. Gleichzeitig wird auch in Fachkreisen immer wieder behauptet, die überwiegende Zahl Erwachsener mit intellektueller Beeinträchtigung würde in Wohninstitutionen und insbesondere in Komplexeinrichtungen leben. Solche sachlich falschen und unbelegten Aussagen verzerren das Bild von der aktuellen Wohnsituation von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung. Mangels eines deutschlandweiten Überblicks wird hier auf eine Sekundäranalyse von Daten zu Erwachsenen mit intellektueller Beeinträchtigung in Westfalen-Lippe zurückgegriffen (Thimm et al. 2019). Die statistischen Angaben zu den Wohnsettings beruhen auf der Auswertung der Daten aller erwachsenen Leistungsempfänger*innen von Eingliederungshilfeleistungen Ende 2014 und aus Erhebungen zu Erwachsenen mit intellektueller Beeinträchtigung in speziellen und allgemeinen Pflegeeinrichtungen. Nicht erfasst sind Personen, die keinerlei Leistung der Eingliederungshilfe beziehen und die nicht in einer Pflegeeinrichtung leben. Westfalen-Lippe ist ein Teil-Bundesland mit 8,3 Mio. Einwohner*innen. Die Tendenzen, die sich dort in Bezug auf Wohnsettings zeigen, lassen sich bei aller Vorsicht zumindest auf die alten westdeutschen Bundesländer übertragen (Tab. 2.3).

Tab. 2.3 Prozentuale Verteilung Erwachsener mit intellektueller Beeinträchtigung in Westfalen-Lippe auf verschiedene Wohnsettings differenziert nach Alter (2014, Pflegeeinrichtungen: 2016)

Ende 2014 lebten 56 % der Erwachsenen mit intellektueller Beeinträchtigung allein, zu zweit oder mit anderen in einer eigenen Wohnung und 44 % in einem institutionellen Wohnsetting (Eingliederungshilfe oder SGB XI-Pflegeeinrichtung). Mehr als ein Drittel lebte bei Angehörigen oder selbstständig ohne professionelle Hilfe – leider lässt sich aus den Daten zwischen diesen beiden Settings nicht differenzieren. Fast jeder fünfte lebte ambulant betreut in der eigenen Wohnung: 12 % alleine und jeweils 3 % als Paar oder als Teil einer Wohngemeinschaft. Hausgemeinschaften mit ambulanter Assistenz und das begleitete Wohnen einer Zweit- bzw. Gastfamilie spielen zahlenmäßig eine untergeordnete Rolle. Beim institutionellen Wohnen dominieren die gemeindebasierten Wohnheime, in denen fast jeder vierte Erwachsene mit intellektueller Beeinträchtigung lebt – und zwar überwiegend in Wohnheimen mit 24 oder mehr Wohnplätzen. In Komplexeinrichtungen wie traditionellen Heimen mit Zentralgelände oder anthroposophischen Dorfgemeinschaften wohnt inzwischen nur noch jeder zehnte Erwachsene mit intellektueller Beeinträchtigung. Einzelne (Außen-)Wohngruppen spielen mit 5 % noch eine große Rolle und werden zunehmend in Wohngemeinschaften mit ambulanter Assistenz umgewandelt.

Betrachtet man ausschließlich die 50-jährigen und älteren Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung, verändert sich das Bild. Nur noch etwa jeder fünfte wohnt bei Angehörigen oder selbstständig, was in den meisten Fällen mit dem Auszug aus dem Elternhaus zu tun haben wird. Bei den Älteren ist der Anteil, der in der eigenen Wohnung mit ambulanter Betreuung lebt, etwas geringer als bei dem gesamten Personenkreis. Fast ein Drittel der 50-Jährigen und Älteren lebt in einem Wohnheim. Komplexeinrichtungen spielen historisch bedingt noch eine etwas größere Rolle (15 % der Älteren). Besonders bemerkenswert und im Hinblick auf die selbstbestimmte Lebensführung im Alter bedenklich ist, dass bei den 50-Jährigen und Älteren bereits 7,3 % in einer speziellen oder allgemeinen Pflegeeinrichtung leben.

Die Zahlen weisen auf die immense Bedeutung des Wohnens bei Angehörigen hin. Während der Anteil derjenigen in Komplexeinrichtungen stark gesunken ist, wohnen immer noch mehr Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung in einem Wohnheim als ambulant unterstützt in der eigenen Wohnung. Der Sanierungsbedarf vieler in die Jahre gekommener Wohnheime eröffnet Chancen, das Angebot an unterstützten Wohnsettings in Zukunft anders zu gestalten.

Umzüge von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung

Viele Erwachsene mit intellektueller Beeinträchtigung ziehen später aus ihrem Elternhaus aus als es in der Allgemeinbevölkerung üblich ist. Anders als man denkt, sind Umzüge im mittleren und höheren Erwachsenenalter aber keine Seltenheit. In der irischen Längsschnittstudie TILDA-IDS (Burke et al. 2014) sind 17 % der mindestens 40 Jahre alten Personen mit intellektueller Beeinträchtigung in einem Zeitraum von drei Jahren umgezogen, in der Studie von Haßler et al. (2019) in Westfalen waren es etwa 5 % der älteren Menschen pro Jahr. Umzüge fanden sowohl aus institutionellen Wohnsettings in die eigene Wohnung statt wie umgekehrt, insbesondere jedoch auch in Pflegeeinrichtungen. Dieckmann et al. (2019) fanden, dass bei Umzugsentscheidungen kaum Wahlmöglichkeiten thematisiert werden, sondern Entscheidungen häufig durch Anbieterorganisationen vorstrukturiert werden, die sich von der vermeintlichen Passung zur bestehenden Unterstützung in einem Wohnsetting leiten lassen. Eine trägerunabhängige Beratung werde selten hinzugezogen. Insgesamt gilt es, Umzüge proaktiv, d. h. mit der Perspektive einer höheren Lebensqualität und besseren selbstbestimmten Teilhabemöglichkeiten, zu planen und nicht erst im Notfall, wenn ein Unterstützungsarrangement droht zusammenzubrechen.

3 Zielkriterien: Teilhabe und Lebensqualität

Auf welche Zielkriterien hin soll das Wohnen von Menschen mit Behinderung beforscht und verbessert werden? Welche Aspekte des Wohngeschehens sind zu betrachten? Seit den 1990er Jahren ist das Konzept der Lebensqualität als Ziel- und Messkonstrukt in der internationalen wie nationalen Wohnforschung anerkannt. Mit Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen 2008 und der Herausgabe der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation 2001 gewinnt der Begriff der Teilhabe (participation) an Lebenssituationen und Lebensbereichen an Bedeutung. Die Forschung (Teilhabeforschung), die nationalen Gesetzgebungen und die Gestaltung von Umwelten und Unterstützung richten sich zunehmend am Begriff der Teilhabe aus. Handelt es sich bei Lebensqualität und Teilhabe um konkurrierende Zieldimensionen? Wie ist das Verhältnis zwischen den Domänen der Teilhabe und den Dimensionen der Lebensqualität? Welche Phänomene decken die Konzepte jeweils ab und welche nicht? Wo ergänzen sie sich und wo gibt es Überschneidungen? Nach einer kurzen Einführung beider Konzepte gehen wir auf das Verhältnis von Lebensqualität und Teilhabe ein, die sinnvoll kombiniert zu einer besseren Orientierung in der Wohnforschung führen können – sowohl im Hinblick auf die zu untersuchenden Phänomene wie die Ausrichtung von Bewertungen und Maßnahmen.

Lebensqualität

Das Konzept der Lebensqualität von Schalock et al. (2007) und Schalock et al. (2011) ist das in der Wohnforschung bislang vorherrschende Konstrukt für die Messung der Lebenssituation von Menschen mit Beeinträchtigungen und der Auswirkungen eines Wohnsettings und von Unterstützungsleistungen (DHG 2021; Schäfers 2012).

Vielfach werden Auswirkungen unterschiedlicher Faktoren (z. B. die Art des Wohnsettings in Studien zu Deinstitutionalisierung) auf die Lebensqualität der Wohnenden untersucht (oder eine bestimmte Dimension ihrer Lebensqualität, z. B. Selbstbestimmung). Unterscheidet sich beispielsweise die Selbstbestimmung von Wohnenden in kleineren, gemeindenahen Wohnformen von der in Komplexeinrichtungen?

Zur Messung des Konstrukts Lebensqualität ist es notwendig, seine verschiedenen Dimensionen mithilfe von Indikatoren zu operationalisieren. Dabei integriert das Konzept objektive und subjektive Indikatoren, d. h. es geht sowohl um die Betrachtung der objektiven Lebensbedingungen als auch subjektiver Bewertungen.

Das Konzept von Schalock et al. (2007, 2011) unterscheidet 8 Dimensionen der Lebensqualität: persönliche Entwicklung, Selbstbestimmung, interpersonale Beziehungen, soziale Inklusion, Rechte, emotionales Wohlbefinden, physisches Wohlbefinden, materielles Wohlbefinden. Diese Dimensionen sind den 3 Faktoren Autonomie, Partizipation und Wohlergehen zugeordnet (Tab. 2.4).

Tab. 2.4 Konzept der Lebensqualität nach Schalock et al. (2007) und Schalock et al. (2011)

Teilhabe

In (menschen-)rechtlichen Zusammenhängen (z. B. UN-BRK, BTHG) wird Teilhabe als zentrale Zieldimension verwendet. Ziel ist es, Menschen mit Behinderungen die „volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft“ (Artikel 3 UN-BRK) zu ermöglichen.

Teilhabe entsteht aus der Wechselwirkung von Gesellschaft, Umwelt und Person. Teilhabe wird als sozial positiv bewertete Form der Beteiligung des Individuums am gesellschaftlichen Leben bezeichnet (Kastl 2017, S. 236). Ein Individuum hat ein Leben lang am gesellschaftlichen Leben teil und kann an dessen Entwicklung mitwirken, insbesondere durch den Zugang zu gesellschaftlichen Gütern (Institut für Teilhabeforschung 2020; Bartelheimer et al. 2020). Für die Klassifikation gesellschaftlicher Sachverhalte, an denen eine Person teilhaben kann, ist in den Wissenschaften und der beruflichen Praxis die internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) relevant. Hier wird Teilhabe (Partizipation) als „,Einbezogensein in eine Lebenssituation‘ oder ,die gelebte Erfahrung‘ von Menschen in ihrem üblichen Kontext, in welchem sie leben, verstanden [..] Dieser Kontext umfasst die Umweltfaktoren – alle Aspekte der materiellen, sozialen und einstellungsbezogenen Welt, die mit der Komponente der Umweltfaktoren kodiert werden können.“ (DIMDI 2005, S. 20). Diesen Kontext mitzuformulieren ist essenziell, weil nur kontextbezogen Barrieren und förderliche Bedingungen analysiert und verändert werden können. Zur Klassifikation der Teilhabe werden in der ICF auf der obersten Ebene 9 Domänen/Bereiche unterschieden, die auf der zweiten Ebene weiter aufgeschlüsselt werden (Tab. 2.5). Bei den Umweltfaktoren werden differenziert erfasst: Produkte und Technologien; natürliche und von Menschen veränderte Umwelten; Unterstützung und Beziehungen; Einstellungen von Personen bzw. Personengruppen; die Dienste, Systeme und Handlungsgrundsätze in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Mithilfe dieses mehrdimensionalen und umfassenden Klassifikationssystems lassen sich Forschungsfragen generieren und Forschungsergebnisse vergleichen.

Tab. 2.5 Teilhabebereiche der ICF (eigene Darstellung nach Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, DIMDI 2005)

Lebensqualität, Teilhabe und UN-BRK

Sowohl die internationale Forschungsgruppe zu Lebensqualität als auch stärker am Teilhabekonzept orientierte Forscher*innen haben versucht, die Komponenten der beiden Konzepte in Beziehung zu setzen zu den Artikeln der UN-BRK. Für Verdugo et al. (2012) sind die Indikatoren des Lebensqualitätskonzepts geeignet für die Operationalisierung des Umsetzungsstands der UN-BRK und damit auch geeignet für die Evaluation von Teilhabe als normativen Oberbegriff. Sie haben die Dimensionen der Lebensqualität entsprechend thematisch den Artikeln der UN-BRK zugeordnet (Tab. 2.6).

Tab. 2.6 Zuordnung der Dimensionen der Lebensqualität zu Artikeln der UN-BRK nach Verdugo et al. (2012)

In ähnlicher Weise haben Schröttle et al. (2014) in einer Vorstudie für eine repräsentative Befragung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen Teilhabefelder und Teilbereiche verschiedenen Artikeln der UN-BRK zugeordnet, wobei ihre Klassifikation der Teilhabefelder und Teilbereiche von der ICF-Klassifikation abweicht.

Wie lassen sich die Konzepte Lebensqualität und Teilhabe aufeinander beziehen?

Schon das Entwicklungsteam der ICF-Klassifikation hielt es für zentral wichtig, Bezüge zwischen den Dimensionen der ICF und Konzepten der Lebensqualität und der Messung von subjektivem Wohlbefinden herzustellen, und zu analysieren, wie kompatibel die Konstrukte sind (DIMDI 2005, S. 180).

Für Schäfers (2008) haben die beiden Konzepte unterschiedliche Fokusse: Der Fokus der ICF läge auf der objektiven Einschätzung der Funktionsfähigkeit und Partizipation von Menschen mit Beeinträchtigungen in spezifischen Lebenskontexten. Dagegen nehme das Konzept der Lebensqualität den Zusammenhang zwischen dem Partizipationsstatus (Einbezogen sein bzw. Nichteinbezogen sein) und dessen subjektiver Bewertung (z. B. persönliche Zufriedenheit, Zugehörigkeitsgefühl) in den Blick.

Seifert (2017) versucht die verschiedenen Teilhabebereiche der ICF den Dimensionen des Lebensqualitätskonzepts von Schalock et al. (2007) zuzuordnen. Selbstbestimmung und Rechte sind dann beispielsweise Aspekte, die bei der Teilhabe in allen Bereichen zu beachten sind.

Angeregt durch die Ausführungen von Schäfers (2008) und von Seifert (2017) sind wir der Auffassung, dass sich der Blick auf kontextualisierte Teilhabebereiche der ICF und der Blick auf die acht Dimensionen der Lebensqualität einander ergänzen. Die Kombination der beiden Perspektiven ermöglicht feinkörnigere Analysen des Zusammenspiels von Teilhabehandeln und Kontextbedingungen sowie deren Auswirkungen auf das Individuum. Zum Teil bilden Teilhabebereiche und Dimensionen der Lebensqualität auch Ähnliches ab, überlappen sich.

Grundlegend lässt sich mithilfe der ICF-Klassifikation die Teilhabe an Aktivitäten und sozialen Beziehungen in den unterschiedlichen Umweltkontexten auffächern und kategorisieren. Die ICF-Klassifikation eignet sich dafür, den Blick für Kontexte, Barrieren und Förderfaktoren der Teilhabe zu öffnen. Tendenziell geht es dabei um die Fragen, ob und in welchem Ausmaß ein Individuum teilhaben kann bzw. tatsächlich teilhat, und welche Umweltbedingungen die Teilhabe erleichtern oder erschweren.

Die Dimensionen der Lebensqualität fokussieren stärker einzelne Aspekte der Teilnahme eines Individuums. Das bezieht sich zum einen auf die Frage des Grades der Selbstbestimmung sowie des emotionalen, körperlichen und materiellen Wohlbefindens vor, während und nach der Teilnahme. Die Dimension der persönlichen Entwicklung schaut darauf, welchen Einfluss die Teilnahme an Aktivitäten und sozialen Beziehungen auf den Einsatz und die Weiterentwicklung individueller Kompetenzen sowie die Ausbildung eines persönlichen Lebensstils hat. Diese fünf Dimensionen fokussieren Merkmale des individuellen Handelns und können in den verschiedenen Teilhabebereichen untersucht werden. Es geht nicht nur darum, ob und inwieweit jemand teilhaben kann, sondern auch um kognitive, motivationale, emotionale, körperliche und finanzielle Aspekte für das Individuum, die mit der Teilhabe verbunden sind. Diese fünf Dimensionen der Lebensqualität eines Individuums können jedoch auch bilanzierend, summierend über die Teilhabebereiche hinweg erhoben werden (Tab. 2.7). Ein Beispiel: Man kann die Wohnzufriedenheit eines Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung generell bzw. global erheben oder aber spezifischer nach der Zufriedenheit in Bezug auf bestimmte Aspekte des Wohngeschehens fragen. Aus der Wohnpsychologie ist bekannt, dass die allgemeine Wohnzufriedenheit i. d. R. immer sehr hoch ist, auch weil Menschen häufig nicht die Möglichkeit haben ihre Wohnsituation zu ändern und sie sich deshalb kognitiv und emotional arrangieren. Je spezifischer nach Aspekten des Wohnens gefragt wird, desto unterschiedlicher fallen dann auch die Zufriedenheitseinschätzungen aus.

Tab. 2.7 Ausmaß der Teilhabe und Dimensionen der Lebensqualität differenziert nach Teilhabebereichen und summativ über Teilhabebereiche hinweg

Die Lebensqualitätsdimensionen interpersonale Beziehungen und soziale Inklusion lassen sich gut den Teilhabebereichen interpersonale Interaktionen und Beziehungen sowie den Teilhabedomänen bedeutende Lebensbereiche und Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Leben zuordnen. Die Lebensqualität-Dimensionen Rechte und materielles Wohnbefinden verweisen auf rechtliche und wirtschaftliche Kontextbedingungen, die die Teilhabechancen einengen oder erweitern. Insofern tauchen diese Dimensionen als Umweltfaktoren in der ICF auf. Menschenrechte sind aber auch als eigener Teilhabebereich in der ICF aufgeführt. Und materielles Wohlbefinden ist gleichzeitig eine Prozessvariable des Teilhabehandelns (s. o.).

4 Fazit

In diesem Kapitel wurde ein theoretisches Verständnis von Wohnen und Wohnumwelt grundgelegt, das die Gesamtorganisation der sozial-räumlichen Lebensführung im Alltag und deren Unterstützung fokussiert. Die Vielfalt heutiger Wohn- und Unterstützungsarrangements wurde deutlich. Die Zielkriterien Teilhabe und Lebensqualität ergänzen einander und können die Vergleichbarkeit von Ergebnissen erleichtern und die Aussagekraft schärfen.

Im Vorgriff auf die weiteren Kapitel sei schon einmal formuliert: Die Wohnforschung zu und mit Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung als Teilhabeforschung mit Anwendungsbezug wird sich noch konkreter mit den Aufgaben der Umweltgestaltung und der Begleitung im Alltag beschäftigen müssen. Selbstbestimmtes Wohnen und gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen heißt u. a.

  • die individuellen Wohnwünsche und Lebensstile von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung wahrzunehmen und deren Bildung zu unterstützen (Tiesmeyer und Koch 2022),

  • zusammen mit ihnen und ihren Zu- bzw. Angehörigen Wohnraum zu beschaffen,

  • fachlich angemessene, personenzentrierte Unterstützung zu organisieren und zu leisten,

  • Sozialräume so inklusiv und barrierefrei zu gestalten, dass Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung sich beteiligen können und Anerkennung erfahren.

Adressatenorientiert und partizipativ diese Aufgaben in den Blick zu nehmen, erfordert eine noch stärkere interdisziplinäre Ausrichtung der Forschung.