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1 Einleitung

Mit dem gesamten Rahmen im Blick sowohl spezifische Ausprägungen einzelner Bildelemente (Gegenstände, Institutionen etc.) als auch allgemeine Trends und Entwicklungen des Gesamtbildes und seiner Teile beschreiben zu können – so könnten die spezifischen Qualitäten eines wissenschaftlichen Zugangs umrissen werden, welcher ein Phänomen aus einer Vogelperspektive, gemeinhin geometrisch als ‚von oben‘ oder ‚schräg oben‘ situiert, zu verstehen versucht. Nähert man sich der „Jugendarbeit in der Schweiz“, verstanden als Arbeitsbereich, der im „Einflussbereich zweier europäische[r] Kulturen, der lateinischen und der germanischen“ liegt, (Wettstein 1989, S. 18 f.) aus der Vogelperspektive, rücken bestimmte Fragestellungen zuerst auf die Tagesordnung, während andere sich nachgelagert stellen. Wo verortet sich das „nicht geschlossene Feld“ (Wettstein 1989, S. 25) der Jugendarbeit (Gerodetti und Fuchs 2020) bzw. soziokulturelle Animation (Wettstein 2010; Schenker und Wettstein 2013)? Diese Frage zielt in räumlicher HinsichtFootnote 1 einerseits auf einen geografischen Ort, also eine Raumstelle auf dem Globus, die mit Koordinaten, d. h. Längen- und Breitengraden bestimmt werden kann. Das Raumstellenverständnis wird insbesondere im Begriff des Treffpunkts bzw. Jugendtreffs deutlich, als „einrichtungsgebundene Form“ der Offenen Jugendarbeit (Dahinden et al. 2003, S. 57). Mit der Einrichtung wird jedoch auf ein Haus (bzw. einen Teil davon) verwiesen, das sich an dieser Raumstelle befindet und von Menschen – also Jugendarbeiter*innen und Jugendlichen – für die Offene Jugendarbeit genutzt wird (Diebäcker und Reutlinger 2018). Da jedoch die Verortung eines Hauses wenig darüber aussagt, wie sich Offene Jugendarbeit an diesem Ort ausgestaltet, folgen in der Regel zwingend weitere Fragen. Diese können sowohl in die Richtung gehen, mehr über die Gestalt des Ortes in seiner Materialität zu erfahren. Entsprechend wird nachgefragt, wie sich die materiellen Gegebenheiten ausprägen, d. h., wie sich der konkrete Raum gestaltet und welche Infrastruktur eine Einrichtung der Offenen Jugendarbeit bietet. Oder aber die Fragen zielen eher auf die Aktivitäten im Haus, bspw. die Angebote der Offenen Jugendarbeit, ab. Da damit nur die Seite des professionellen Angebots nachgefragt wird, folgen unmittelbar Fragen, die sich auf die Nachfrageseite d. h. auf die (jugendlichen) Nutzer*innen beziehen: z. B. nach Merkmalen der Nutzer*innen, nach Informationen zum Nutzungsverhalten oder nach den Präferenzen der Besucher*innen der Treffs.

Eine Betrachtung aus dieser Vogelperspektive, die die Phänomene und ihre Ausprägungen vielfach quantitativ analysiert, bietet einen aufschlussreichen Blick auf das Handlungsfeld der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in der Schweiz, deren Ausgestaltung und auch damit verbundene Herausforderung (Gerodetti und Fuchs 2020). Die erste schweizweite Umfrage zu Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit aus dem Jahr 2018 leistet genau dieses umfassende Bild, das sich durch die Beantwortung dieser Abfolge von Fragen aus der Vogelperspektive zeichnet (Gerodetti et al. 2021).

Nicht nur in den darstellenden Wissenschaften, wie der Malerei, der Fotografie oder der Kunstgeschichte, sind neben der Vogelperspektive auch andere Sichtweisen möglich, wie die sogenannte Froschperspektive, die die Gegenstände – im Unterschied zur Vogelperspektive – aus der Perspektive von unten erkundet und vielfach einem qualitativen Paradigma folgt (Eckardt 2018, S. 22). Diesbezüglich könnte bspw. die Sicht der Nutzer*innen – in unserem Fall die Jugendlichen, die sozusagen Bottom-up die Angebote in den Blick nehmen – benannt werden (Dahinden et al. 2003; Santen und Seckinger 2011, S. 229; Moser 2010). Diese Perspektive böte einen anderen Blick als die Vogelperspektive, ist jedoch an dieser Stelle nicht die zentrale Position, die weiterverfolgt werden soll. Vielmehr erfolgt die Inblicknahme der Orte der Offenen Jugendarbeit über die sogenannte Augenperspektive. Diese dritte Perspektive auf die Orte der Offenen Jugendarbeit beinhaltet eigene Zugänge und Einsichten auf die Phänomene und impliziert, um die „sozialen, räumlichen, zeitlichen Aspekte eines Gegenstandes [zu] erkunden“ (Friebertshäuser und Prengel 2003, S. 15), andere Forschungsinstrumente, die weiter unten im Text bei den Ausführungen zum konkreten methodischen Vorgehen im Projekt genauer ausgeführt werden. Diese Perspektive ermöglicht es – im Unterschied zur Vogel- oder Froschperspektive –, die jeweiligen Routinen zu erkennen, welche die pädagogischen Praktiken von Jugendarbeiter*innen an einem Ort prägen, und damit diesen Ort gestalten.

Ausgangspunkt der nachfolgenden Annäherung an Orte der Offenen Jugendarbeit (OJA) bildet diese Augenperspektive. Dabei wird den Leser*innen in Abschn. 2 anhand von drei Fallgeschichten ein Einblick gewährt in die Ergebnisse aus dem Grundlagenforschungsprojekt „Praktiken pädagogischer Ortsgestaltung. Eine ethnografische Studie im sozialpädagogischen Feld der Offenen Kinder- und Jugendarbeit“ (kurz: PORTA OKJAFootnote 2). In diesem Projekt wurden pädagogische Ortsgestaltungspraktiken von Jugendarbeiter*innen untersucht. Die Fallgeschichten bilden ein ausgewähltes Spektrum der untersuchten Orte ab und machen anschaulich, welche große Varianz an Orten der Offenen Jugendarbeit in der Schweiz anzutreffen ist. Diese dichten Beschreibungen von Fällen haben den Zweck, die Leser*innen mitzunehmen an die Orte der Offenen Jugendarbeit und ermöglichen es, einzutauchen in das, was vor Ort anzutreffen ist. In Abschn. 3 wird der Entstehungshintergrund dieser Beschreibungen theoretisch gerahmt, indem das Grundlagenforschungsprojekt PORTA OKJA mit seinem Erkenntnisinteresse und dem gewählten methodischen Zugang sowie die Zugänge zum Feld anhand dreier systematischer Bewegungsfiguren ausgeführt. Diese Ausführungen leiten über zum theoretischen Hintergrund des Projektes, das sich als Beitrag zur Sozialraumforschung versteht. Im Abschn. 4 werden dazu das dem Forschungsprojekt hinterlegte Raumverständnis und weiter der Begriff der pädagogischen Ortsgestaltung – also die dem Forschungsprojekt und diesem Beitrag zugrunde liegende Konzeption von Raum und Ort – geklärt. Im 5. Abschnitt werden die Fallgeschichten und die theoretischen Hintergründe verbunden, indem sie systematisch und analytisch miteinander in Beziehung gesetzt werden. Damit wird nochmals deutlich, wie die Ergebnisse zu den Praktiken pädagogischer Ortsgestaltung im Zusammenhang mit den theoretischen Grundannahmen zu verstehen sind. Im abschließenden 6. Abschnitt werden diese Ergebnisse weiter diskutiert. Dazu wird ein Exkurs in die stadtsoziologische Diskussion um Eigenlogik von Städten gemacht (Löw 2008, 2018), weil diese sich auf die Ortsgestaltung in der Offenen Jugendarbeit adaptieren lässt. Denn mit dem Konzept der Eigenlogik im Hintergrund wird deutlich, dass die „lokalen Praktiken“ nur als Gesamtheit zu verstehen sind, was die Orte jeweils spezifisch und darüber voneinander unterscheidbar macht.

2 Drei Fallgeschichten aus dem Handlungsfeld der Offenen Kinder- und Jugendarbeit Schweiz

Die folgenden drei Fallgeschichten beschreiben drei Einrichtungen des Handlungsfeldes der Offenen Kinder- und Jugendarbeit Schweiz. Sie zeigen die jeweilige Charakteristik dieser Orte pointiert auf und nehmen die Leser*innen an drei unterschiedlich ausgestaltete pädagogische Orte der Offenen Jugendarbeit mit – ganz im Sinne von Burkhard Müller der im Werk Sozialpädagogisches Können (2017) diesen methodischen Kniff des Erzählens von Fallgeschichten umschreibt als Ausgangslage für Interpretationsschemata, die über das „Herantragen von Interpretationsperspektiven“ (2017, S. 24) dazu dienlich sein können, über Fälle zu reflektieren und daran zu arbeiten. Entstanden sind diese Fallgeschichten, die im Zuge des Analyseprozesses die Titel Dienstleistungszentrum, Wühlkiste und Szeneclub erhalten haben, im Rahmen des Projektes PORTA OKJA und basieren auf empirischem Material. Sie dienen in diesem Beitrag als Folie zur Veranschaulichung und Reflexion theoretischer oder konzeptioneller Fragen und Überlegungen.

2.1 Erste Fallgeschichte: Das Jugendzentrum als Dienstleistungszentrum

Eingereiht in eine Altstadthäuserzeile im Zentrum einer schweizerischen Kleinstadt ist das von der Gemeinde getragene Jugendzentrum von außen deutlich als solches erkennbar. Neben dem Schild mit dem Titel Jugendzentrum inkl. Öffnungszeiten sind es vor allem die im Fenster und an der Eingangstüre ausgestellten Flyer, Poster und Aushänge, die einen guten Überblick über bestehende Angebote, Veranstaltungen oder Kurse geben. Das mehrstöckige Haus wirkt mit seinen bunten Farben und den zahlreichen kleinen Zimmern fröhlich, vielseitig. Dennoch scheint jeder Gegenstand, jedes Möbelstück oder jede bunte Wand einen durchdachten Platz und Zweck zu haben. Die Zimmer sind durch ihre Einrichtungsgegenstände einerseits erkennbar in ihrer Funktion, andererseits können sie – das zeigt sich im Alltag – auch ohne großen Aufwand und relativ flexibel für andere Zwecke umfunktioniert werden. Diese multifunktionalen Nutzungsmöglichkeiten entsprechen der konzeptionellen Grundidee dieses Jugendzentrums, das für möglichst alle Jugendlichen des Einzugsgebiets passende Angebote bereitstellen soll.

Jugendliche finden eine vielseitige Palette an Angeboten, die vorstrukturiert, d. h. weitgehend organisiert, räumlich und zeitlich geordnet und klar voneinander abgegrenzt sind, und aus der sie entsprechend ihrer Interessen und Bedürfnissen wählen können. Als räumliche Ressource wird dazu ein Haus benötigt, das einzelne, multifunktional nutzbare und dennoch zweckbezogen ausgestaltete Räume bietet. Im Zusammenspiel dieser Breite innerhalb eines vorstrukturierten Rahmens besteht so ein Gesamtangebot, in dessen Planung selbst eingebrachte Interessen Jugendlicher jedoch nur begrenzt einfließen.

Die Jugendarbeiter*innen, die dieses Zentrum betreiben, verstehen sich als visionäre Marktforscher*innen. Sie beobachten ihre potenzielle Zielgruppe – die Jugendlichen –, aber auch mögliche Anforderungen, die der Markt an diese stellt, um daraus entsprechende Angebote zu entwickeln. Damit sollen die Interessen und Bedürfnisse der Jugendlichen im Rahmen der Angebotsplanung antizipiert und darauf aufbauend maßgeschneiderte Angebote konzipiert werden. Ein klarer Rahmen zeigt sich auch im Jugendtreffalltag dieses Zentrums. Die Jugendarbeiter*innen verstehen es als ihren Auftrag, situative Dynamiken zugunsten der Aufrechterhaltung der Strukturen und Angebote frühzeitig zu unterbinden. Sie versuchen, die Jugendlichen zur Nutzung der bereitgestellten Möglichkeiten zu animieren und teilen sich ihre Arbeit auch nach eigenen Ressourcen, was insgesamt eine vorausschauende Planung ermöglicht.

2.2 Zweite Fallgeschichte: Das Jugi als Wühlkiste

Das JugiFootnote 3 in der zweiten Fallgeschichte befindet sich in einem dicht bebauten Außenquartier einer schweizerischen Großstadt und wird von einem politisch und konfessionell neutralen Verein betrieben. Es fällt zunächst nicht als solches auf, weil es sich als ehemaliges Einkaufslokal charakteristisch in die Umgebung mit ihren kleinen Geschäften und Restaurants einfügt und damit Teil des Quartiergeschehens wird. Auch fehlen zumindest an der Außenfassade typische symbolische Elemente einer Einrichtung der Offenen Jugendarbeit, wie bspw. Graffiti oder ein markantes Schild. Durch die verglaste Außenfassade ist das Jugi zur Straße hin offen, womit eine schrittweise Annäherung möglich wird. Jugendliche können sich so spontan entscheiden, ob sie den Treff betreten oder einfach weitergehen. Manchmal stehen Jugendliche vor dem Jugi auf dem Gehsteig – der genau genommen nicht dazugehört – und rauchen oder unterhalten sich und bringen damit ein Stück des Jugi-Alltags auf die Straße.

Wer sich schließlich entscheidet, einzutreten, der wird sofort eingenommen von der lauten, lebendigen und dynamischen Stimmung, die sich zusammensetzt aus bunt zusammengewürfelten Einrichtungsgegenständen, herumwirbelnden Jugendlichen und einer Geräuschkulisse, die eine Orientierung nicht einfach macht. Im Jugi wird ein Sammelsurium an ungeordneten, chaotisch anmutenden Möglichkeiten, Themen, Gegenständen und Stilen zur Verfügung gestellt. Die Jugendlichen können sich – unter Einbezug des Vorhandenen – spontan mit ihren Themen inszenieren und Resonanz durch andere Jugendliche und Jugendarbeiter*innen erfahren. Jugendliche werden so aufgefordert, selbst strukturierend zu wirken und mit dem Vorhandenen eigentätig zu handeln, beispielsweise indem Gegenstände zweckentfremdet und so eine bestehende Ordnung durchbrochen werden kann. Es finden zahlreiche unterschiedliche Aktivitäten parallel statt, was wiederum eine hohe Dynamik zur Folge hat.

Die Jugendarbeiter*innen inszenieren diese räumlich-materielle Unordnung und die damit einhergehende Uneindeutigkeit ganz gezielt und machen bewusst keine konkreten, geordneten Angebote für Jugendliche. Sie betrachten sich vielmehr als Forscher*innen mit einem verstehenden Zugang zu den jugendlichen Themen. Ihr Ziel ist es, ohne dabei vorschnell zu intervenieren, die anwesenden Jugendlichen und deren Anliegen und Bedürfnisse übers Beobachten und Zuhören zu verstehen, um Anknüpfungspunkte zu suchen und davon ausgehend Gespräche zu initiieren und Beziehungen aufzubauen. Zudem sind sie als Gatekeeper tätig, die es bspw. unsicheren Jugendlichen erlauben, einzutreten, die herrschende Logik zu erfassen und immer auch gleichzeitig den Fortbestand des Jugis als Resonanzraum für Jugendliche zu sichern. Diese Form des Arbeitens mit Jugendlichen erfordert von den Jugendarbeiter*innen, dass sie unplanbare Dynamiken zulassen und zum gegebenen Zeitpunkt spontan und situativ handeln. Basis dafür bildet eine klare, im Team geteilte Haltung.

2.3 Dritte Fallgeschichte: Der Jugendtreff als Szeneclub

Dieser Jugendtreff wird von einem gemeinnützigen, politisch und konfessionell unabhängigen Trägerverein betrieben, der im Auftrag einer größeren Schweizer Stadt agiert. Er liegt zentrumsnah und bietet Jugendlichen neben einem offenen Treffangebot mit Innen- und Außenräumen einer Anlage zur Ausübung einer Trendsportart sowie kleinere Räume für eine selbstständige Nutzung. Von außen sticht auf den ersten Blick die urban anmutende Anlage mit zahlreichen unterschiedlichen Hindernissen und besprayten Wänden ins Auge. Fast vollständig vom Sportplatz umgeben befindet sich ungefähr in der Mitte des Geländes ein Modulbau, in den Räumlichkeiten für die restlichen Angebote des Treffs zur Verfügung stehen. Die Infrastruktur ist hochwertig, gepflegt und die verwendeten Materialien und Möbel wirken stilistisch aufeinander abgestimmt. Um zum Modulbau zu gelangen, muss der Platz überquert werden. Der Eingang zum Modulbau befindet sich auf der Rückseite des Gebäudes und ist von einem kleinen Garten mit Sitzgelegenheiten umgeben. Der Sportplatz ist – im Unterschied zu den übrigen Angeboten – rund um die Uhr zugänglich und in der Szene der Trendsportart über die Stadtgrenzen hinaus bekannt.

Die Jugendlichen finden einen Jugendtreff vor, der ihnen in seiner Beschaffenheit Möglichkeiten bietet, ihre jugendkulturellen Vorlieben einzubringen und gemeinschaftlich umzusetzen. Sie erhalten die Möglichkeit, dass sie eigentätig ihren Ort erschaffen und bespielen, der zu ihrer Jugendkultur und ihren Bedürfnissen passt und mit dem sie sich immer mehr identifizieren. Darüber spezifiziert sich der Jugendtreff über die Jahre weiter aus. So hat er sich in den letzten Jahren vor allem auf eine spezifische Jugendkultur eingestellt. Die Anlage zur Ausübung einer Trendsportart wurde gemeinsam mit interessierten Jugendlichen aufgebaut – materiell wie auch immateriell. Der so entstandene Ort wirkt nach innen und außen einheitlich und ist als Ort der Szene der Trendsportart klar erkennbar, dadurch jedoch gleichzeitig für andere Zielgruppen schwer zugänglich.

Die Jugendarbeiter*innen verstehen sich als Teil gemeinsamer Projekte mit Jugendlichen und sprechen sich dezidiert gegen vorgefertigte, konsumierbare Angebote aus. Vielmehr steht der gemeinsame (Aneignungs-)Prozess im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Sie sind damit auf Jugendliche angewiesen, die mit einem klar formulierten Interesse an sie herantreten. Die Jugendarbeit stellt sich auf diese Jugendlichen und ihre antizipierten Aktivitäten ein und schafft unterstützende Strukturen für die Umsetzung dieser Interessen, indem sie bspw. Orte und Infrastruktur, Wissen oder Kontakte zur Verfügung stellt.

Mit diesen drei Fallgeschichten wird dem Beitrag eine Auswahl an unterschiedlich gestalteten pädagogischen Orten des Handlungsfeldes der Offenen Kinder- und Jugendarbeit Schweiz hinterlegt. Im Rahmen der weiteren Überlegungen werden diese immer wieder herbeigezogen, um Ausführungen zu konkretisieren, zu veranschaulichen oder Interpretationen zu überprüfen. Zunächst wird jedoch mit dem Forschungsprojekt der Entstehungskontext der drei Fallgeschichten erläutert.

3 Praktiken pädagogischer Ortsgestaltung – Konzeptionelle Grundlagen des Forschungsprojekts PORTA OKJA

In dem vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Grundlagenforschungsprojekt PORTA OKJA (Brüschweiler et al. 2018a) forschte das Projektteam des Institutes für Soziale Arbeit und Räume der OST Ostschweizer Fachhochschule (bis August 2020 „FHS Fachhochschule St. Gallen“) von 2014 bis 2017 zur Frage, wie Jugendarbeiter*innen pädagogische Orte herstellen. Im Fokus standen dabei die Ortsgestaltungspraktiken der Jugendarbeiter*innen, die in sechs Schweizer Einrichtungen des Handlungsfeldes der Offenen Kinder- und Jugendarbeit, verteilt über drei Sprachregionen, in explorativen, mehrmonatigen Fallstudien erforscht wurden. Die obenstehenden Fallgeschichten sind daraus entstanden. Ziel war es, die unterschiedlichen Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit in ihrer schweizweiten Bandbreite – und in der gesamten Tradition von Jugendarbeit, Animation und Pädagogik (Wettstein 1989) – in ihrer jeweiligen Charakteristik zu durchdringen und ihre spezifischen Praktiken der Ortsgestaltung analytisch und differenziert zu beschreiben. Dies anhand von Beispielen aus der gesamten Schweiz, jedoch ohne eine Vogelperspektive (siehe Einleitung) einzunehmen und die Unterschiede systematisch-quantitativ mittels Strukturdaten zu vergleichen. Vielmehr hat das Forschungsteam die jeweiligen Handlungslogiken und -routinen an den pädagogischen Orten als Prozesse pädagogischer Raumgestaltung aufgeschlossen. In konzeptioneller Hinsicht knüpft ein solches Vorgehen an die bereits genannte „Sozialraumforschung“ an (Dirks und Kessl 2012; Hüllemann und Reutlinger 2014), bei der die konstitutive Dimension von Räumlichkeit von Erziehungs-, Bildungs- und Sorgeprozessen in den Fokus rückt (Kessl und Reutlinger 2010). Dabei stand im Vordergrund, die Orte und die Ortsgestaltungspraktiken als Grundbestimmung sozialpädagogischen Handelns anzuerkennen (Winkler 1988). Indem das Forschungsteam diese Haltung offensiv mit dem Forschungszugang zusammendachte, ist es gelungen, Sozialraumforschung für das Handlungsfeld der Offenen Kinder- und Jugendarbeit empirisch zu konkretisieren (siehe Reutlinger i. d. B.).

3.1 Exkurs: Bewegung zum Feld, im Feld und weg vom Feld

Um dichte Beschreibungen von Orten der Offenen Jugendarbeit zu ermöglichen, ist ein vertieftes Eintauchen in die Handlungslogiken notwendig. Das Forschungsteam in PORTA OKJA hat sich dazu dreier Bewegungsfiguren bedient und sich damit sowohl methodisch geleitet als auch kontrolliert dem Handlungsfeld der Offenen Kinder- und Jugendarbeit angenähert, sich in dessen Logiken vertieft sowie sich zur Analyse der erhobenen Daten auch wieder explizit vom Feld distanziert.

Diese Bewegungen sind im Zuge verschiedener explorativer Zugänge institutioneller Raumforschung von Marc Diebäcker und Christian Reutlinger hin zu Bewegungsfiguren systematisiert worden (2018, S. 166 ff.). In ihren konzeptionellen Überlegungen beschreiben sie, wie diese im Sinne von Zugängen zu institutionellen Räumen gedacht werden können und führen damit ein, wie es gelingen kann, eine „räumlich-reflexive Perspektive auf Situationen, Interaktionen oder Kontexte“ im Sinne eines „explorative[n] Suchen und Finden, das Betrachten aus unterschiedlichen Blickwinkeln oder die interpretative Rekonstruktion sozialer Prozesse mit permanentem Infragestellen“ zu schaffen (Diebäcker und Reutlinger 2018, S. 167). Diese drei Bewegungsbegriffe „Hineingehen“, „Begehen“ und „Hochgehen“ (einführend: Diebäcker und Reutlinger 2018, S. 165 ff.) sollen im Abschn. 5 des vorliegenden Beitrags wieder aufgenommen werden. Dazu werden sie an dieser Stelle dem Forschungskontext von PORTA OKJA angepasst. Die Bewegungsfigur des Hineingehens umfasste in den Fallstudien in erster Linie die Annäherung und das Kennenlernen des Ortes der Offenen Jugendarbeit und kann somit als Annähern an und Hineingehen in die OJA-Einrichtung bezeichnet werden. Die Vertiefung und das Verstehen des Spezifischen am Ort der Offenen Jugendarbeit gelang im Zuge des Begehens des Inneren der OJA-Einrichtung. Die Distanzierung, mit dem Ziel, wieder analytisch über den Ort der Offenen Jugendarbeit nachdenken zu können, wurde mittels Zurücktreten von und Kontextualisierung der OJA-Einrichtung erreicht.

3.2 Augenperspektive auf Orte der Offenen Jugendarbeit – Konkretisierung des Forschungszugangs

Forschungszugänge und entsprechende methodische Herangehensweisen können, wie eingangs erwähnt, auch als „perspektivisch ausgerichtete Instrumente“ (Friebertshäuser und Prengel 2003, S. 15) bezeichnet werden. In PORTA OKJA wurde die Augenperspektive auf die Orte der Offenen Jugendarbeit mittels eines ethnografischen Vorgehens (Spradley 1980; Hirschauer und Amann 1997) umgesetzt. Anhand der drei Bewegungsfiguren wurden die Orte der Offenen Jugendarbeit in intensiven Feldaufenthalten, die sich im Sinne eines zirkulären Vorgehens immer wieder mit Auswertungs- und Analysezeiten abwechselten, durchdrungen. Dazu wurden unterschiedliche Erhebungsverfahren wie bspw. teilnehmende Beobachtungen, ethnografische Gespräche oder Sichtung von Textartefakten (Breidenstein et al. 2015) sowie Auswertungsverfahren aus der Grounded Theory (Strauss und Corbin 1999) miteinander kombiniert.

In einer ersten Annäherung (Bewegungsfigur: Annähern an und Hineingehen in die OJA-Einrichtung), dem Kennenlernen eines pädagogischen Ortes, wurden Jugendzentren, Jugendtreffs etc. insbesondere in ihrer Materialität bedeutsam, was Analogien zum bereits ausgeführten Verständnis von Raumstellen bzw. der konkreten, physisch-materiellen Gestalt und räumlichen Ausgestaltung aufweist. Im Forschungsprozess rückt deshalb zunächst in den Blick, was einem entgegenkommt, wenn man sich als Neuling einem Ort annähert und ihn betritt. Indem das, was auf der Oberfläche erscheint, bedeutsam ist und die Forscher*innen versuchen, die erste Erscheinung eines pädagogischen Ortes zu verstehen oder zumindest einzuordnen, wird das in ethnografischen Verfahren so wichtige Fremdsein genutzt (Hirschauer und Amann 1997). Zwar konnte das Forschungsteam die in PORTA OKJA beobachteten Praktiken bereits zu Beginn der Feldaufenthalte beschreiben, es gelang jedoch zunächst nicht, alles Beobachtbare differenziert zu benennen oder zu verstehen. Differenziertes Beschreiben von beobachtbaren Praktiken bedarf immer auch Strategien, die es erlauben, neben explizitem (versprachlichtem) Wissen, implizites (vorsprachliches) Wissen, das in den routinisierten Alltagspraktiken eingelagert ist zu identifizieren (Brüschweiler et al. 2018a) und deren Hintergründe, Logiken oder Ziele damit überhaupt benennbar zu machen.

Um nicht auf einer rein deskriptiven Ebene der Darstellung von Praktiken der Ortsgestaltung zu verbleiben, ging es in PORTA OKJA also nach der ersten Annäherung und dem Kennenlernen der pädagogischen Orte darum, sich zu vertiefen und die beobachteten Praktiken zu verstehen und zu hinterfragen, zu welchem Zweck und mit welcher Begründung diese vollzogen werden (Bewegungsfigur: Begehen des Inneren der OJA-Einrichtung). Dazu legte das Forschungsteam den Fokus in den Feldaufenthalten auf beobachtbare Praktiken, gesichtete Textartefakte. Ebenfalls hat es noch während der Feldphase erste Analysen getätigt und diese gezielt in ethnografischen Gesprächen (Breidenstein et al. 2015) mit den beforschten Jugendarbeiter*innen thematisiert und reflektiert.

Dieses Aufschlüsseln von bspw. Interaktionen, Interventionen oder Regeln als Praktiken der Ortsgestaltung und das Bemühen, darüber die ganz spezifische Charakteristik des jeweiligen Ortes der Offenen Jugendarbeit zu verstehen, bedeutete für die Forscher*innen, noch tiefer in die Logiken des Jugendarbeitsalltag einzudringen und damit ein Stück weit noch mehr Teil dessen zu werden. Damit war das allen Ethnograf*innen bekannte Phänomen verbunden, dass die Nähe zum beobachteten Feld zwar ermöglicht, bei allen Aktivitäten dabei zu sein, beinahe alles thematisieren zu dürfen und damit Informationen zu erhalten, die Fremden verwehrt würden. Gleichzeitig ging damit jedoch auch die Distanz verloren, die es den Forscher*innen bisher erlaubt hatte, lediglich zu beobachten und das Gesehene zu analysieren. Damit wurde es notwendig, sich zwischendurch wieder aus dem Feld zurückzuziehen (zu den sog. „Handlungspausen“: Richter et al. 2003; Hirschauer und Amann 1997) und sozusagen aus etwas mehr Distanz das, was beobachtet, versprachlicht und an Informationen gesammelt wurde, zu hinterfragen, zu interpretieren und zu reflektieren (Bewegungsfigur: Zurücktreten von und Kontextualisierung der OJA-Einrichtung).

Im Wechselspiel von Annäherungen, Vertiefungen und Distanzierungen gelang es dem Forschungsteam in PORTA OKJA allmählich, die Orte der Offenen Jugendarbeit nicht lediglich deskriptiv auf der materialisierten Ebene oder den dort unmittelbar beobachtbaren Handlungen zu beschreiben, sondern ausgehend von den beobachteten Praktiken analytisch zu (re-)konstruieren, wie Jugendarbeiter*innen pädagogische Orte herstellen sowie welche Zusammenhänge die spezifische und für die jeweilige Einrichtung der Offenen Jugendarbeit charakteristische pädagogische Ortsgestaltung zusätzlich ausmachen.

Bevor die Ergebnisse aus PORTA OKJA analytisch diskutiert werden können, ist es notwendig, den theoretischen Hintergrund des Forschungsprojektes, das sich als Beitrag zur Sozialraumforschung versteht, deutlich zu machen. Im nächsten Kapitel werden dazu die dem Projekt und auch dem vorliegenden Beitrag hinterlegten Konzeptionen von Raum und Ort genauer ausgeführt.

4 Nicht Sozialraum, sondern pädagogische Ortsgestaltung – raumtheoretische Einordnungen

Seit einigen Jahren wird auch im Handlungsfeld der Offenen Kinder- und Jugendarbeit unter der Chiffre des Sozialraums über die neuerliche Bedeutung von Raum diskutiert (siehe Reutlinger i. d. B.). Im Rahmen von Zielgruppenerweiterungen (Stichwort: Prävention), neuen Kooperationsansprüchen (Stichwort: Bildungslandschaften) oder mobilen Angeboten im öffentlichen Raum (Stichwort: Aufsuchen) werden jedoch vielfach Gebiete in den Blick genommen, in denen bspw. ein Jugendtreff liegt resp. für welches sich Offene Jugendarbeit zuständig fühlen muss. Diese Gebiete sollen dem jugendarbeiterischen Handeln Orientierung verleihen, indem daraus neue Impulse und das Potenzial für konzeptionelle Entwicklung entspringen – so die gängige Idee der Leitformel Sozialraumorientierung. Sozialräume werden in dieser neuen Thematisierung „irgendwo außerhalb der Einrichtungen […] platziert, und eine Orientierung an diesen ‚Sozialräumen‘ [soll] daher aus diesen institutionellen/organisationalen Arrangements hinausführen“ (Kessl und Reutlinger 2018, S. 1074). Vielfach gerät jedoch mit dieser Gebietsfokussierung aus dem Blick, dass das pädagogische Handeln innerhalb von Einrichtungen selbst schon ein zentraler Bestandteil von pädagogischer Raum- bzw. Ortsgestaltung darstellt (Diebäcker und Reutlinger 2018). Ebenfalls unterschlagen wird die notwendige „Sensibilität für die Wahrnehmung der Raumnutzung durch Kinder und Jugendliche“ (Gerodetti und Schnurr 2013, S. 836) als zentrales theoretisches Element für die Offene Jugendarbeit, die nicht nur außerhalb des Hauses im öffentlichen Raum, sondern auch innerhalb der Jugendtreffs erforderlich ist.

Konzeptionelle Überlegungen einer sogenannten „Sozialraumforschung“ (Kessl und Reutlinger 2008) weisen deshalb darauf hin, dass es bei der Inblicknahme der „konstitutive[n] Dimension von Räumlichkeit in jedem Erziehungs-, Bildungs-, und Sorgeprozess“ vielmehr „um die Frage der adäquaten professionellen Ausgestaltung des jeweiligen institutionell/organisationalen Arrangements“ gehen sollte (Kessl und Reutlinger 2018, S. 1075, 1079). Dies wird möglich durch eine veränderte Grundidee von Raum, indem der Raum weder als materielle Hülle aufgefasst wird, innerhalb der sich Handeln und soziale Interaktionen abspielen, noch als „Voraussetzung und ‚Bühne‘, auf der Pädagogik abläuft“ (Böhnisch 1992, S. 257). Vielmehr werden Räume als konstitutive Dimension menschlichen Handelns systematisch mitgedacht (Löw 2001, 2018; Werlen 2010) und sind, wie Lothar Böhnisch für die Offene Jugendarbeit schon Anfang der 1990er-Jahre betonte, „selbst schon Pädagogik“ (1992, S. 257). In den Blick geraten damit die Raumherstellungs- bzw. die Raum(-an-)ordnungsprozesse sowie die Ressourcen, Möglichkeiten aber auch Hindernisse im Handeln der beteiligten Akteur*innen bzw. ihre „alltäglichen Geographien“ (Werlen und Reutlinger 2019). Konzeptionell lässt sich Raum als „relationale (An)Ordnung“ (Löw 2001, S. 158 ff.) von Menschen und sozialen Gütern aufschließen. In Raumherstellungsprozessen lassen sich Orte zwar konkret als Plätze oder Raumstellen benennen, sie sind „aber zugleich kollektiv mit Sinn aufgeladen“ und damit einmalig und markiert (Löw 2018, S. 165, 2011, S. 47). Damit wird wiederum „der Ort […] relational,zur Welt‘ als Art und Weise, wie die Welt in ihm anwesend ist, konzipiert, während der Begriff des Raums den theoretischen Blick auf die Organisationsformen des Nebeneinanders, damit auf Differenz richtet“ (Steets 2008, S. 403).

Pädagogische Gestaltung von Orten der Offenen Jugendarbeit

Wie eingangs skizziert, endet die professionelle Auseinandersetzung mit räumlichen Bezügen von Erziehung und Bildung (Ecarius und Löw 1997, S. 8) auch in der Offenen Jugendarbeit vielfach mit der Festlegung eines physischen Ortes bzw. einer Raumstelle, d. h. der „Verortung des pädagogischen Tuns“ (Kessl 2016, S. 12), und damit beim Gebäude oder der Einrichtung als Handlungsorten der Animation, Sozialarbeit oder Pädagogik. Mit dieser Gleichsetzung vom physischen Ort der Einrichtung mit dem pädagogischen Ort, wird dieser auf seine „bauliche oder territoriale, also seine formale Dimensionierung“ verkürzt (Kessl 2016, S. 14). Den Ort, an dem pädagogische Prozesse stattfinden einmal bestimmt, geht es vielfach um soziale und pädagogische Fragestellungen, während deren räumlichen Implikationen ignoriert oder „eher beiläufig und implizit behandelt“ werden (Nugel 2016, S. 12). Dies ändert sich, sobald die Orte der Offenen Jugendarbeit und Animation mit dem skizzierten relationalen Raumverständnis betrachtet und erforscht werden: „Ein solches Verständnis von Raum bedeutet für Soziale Arbeit auch zu reflektieren, dass sie nicht nur einen ‚Ort‘ in den Blick nimmt, in dem sich ihre AdressatInnen aufhalten, sondern dass sie selbst ein figuratives Element von Räumlichkeit ist, ein Akteur in der sozialen Arena also, die den Raum als sozialen Raum konstituiert“ (Otto und Ziegler 2008, S. 149).

Aufbauend auf dem sozialräumlichen Verständnis, welches Lothar Böhnisch und Richard Münchmeier in ihrem Klassiker Pädagogik des Jugendraums (1990) dargelegt haben, bedeutet der Einbezug der „sozialräumlichen Qualität“ in die Offene Jugendarbeit, dass es nicht nur um die „umbauten Räume“ geht, „sondern es sind vor allem die Möglichkeiten, die in den Räumen stecken, welche den Raum erst zum pädagogischen Ort der jugendkulturellen Aneignung und thematischen Anregung werden lassen“ (Böhnisch 1992, S. 257).

Diese Denktradition aufgreifend, fokussierte das Projekt PORTA OKJA auf die Professionellen und ihre Praktiken bzw. die professionelle Raumgestaltung von Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit im Sinne einer Gestaltung von Orten zur Ermöglichung von Aneignungsprozessen. Die Frage, welche Aneignungsformen Jugendlichen im Alltag der Offenen Jugendarbeit an den Orten, die sie zur Verfügung stellt, ermöglicht oder verhindert werden und wie Aneignungsbedürfnisse Jugendlicher und die Gestaltung der Orte in der Offenen Jugendarbeit von Jugendarbeiter*innen aufeinander abgestimmt werden mit dem Ziel, bestimmte Aneignungsprozesse gezielt zu ermöglichen, wurde auch in den erwähnten Studien noch wenig erforscht.

5 Pädagogische Orte der Offenen Jugendarbeit – empirische und konzeptionelle Vergewisserungen

Die Ergebnisse aus PORTA OKJA zeigen, wie vielseitig sich die Praktiken pädagogischer Ortsgestaltung in der Offenen Jugendarbeit ausdifferenzieren und dass sie im Zusammenspiel letztlich das Spezifische der jeweiligen pädagogischen Orte ausmachen. Die analytische Rekonstruktion dieser Praktiken ermöglicht es, einzelne Aspekte der pädagogischen Orte gezielt zu beleuchten und darüber wiederum die Praktiken und die damit verbundenen Ziele der Ermöglichung von Aneignung bewusst und damit auch reflektierbar zu machen.

In den nachfolgenden sich jeweils abwechselnden empirischen und konzeptionellen Vergewisserungen werden drei zentrale Aspekte pädagogischer Orte entlang der im ersten Kapitel erzählten Fallgeschichten und der im zweiten Kapitel eingeführten Bewegungsfiguren diskutiert. Dabei vermag jede dieser drei Bewegungen einen Aspekt besonders zu beleuchten. Anzumerken gilt es dazu allerdings, dass es sich bei dieser Vergewisserung um eine abstrakte Trennung handelt, die es ermöglicht, Ergebnisse zugespitzt darzustellen. In den Praxen der Offenen Jugendarbeit sind diese Aspekte der pädagogischen Orte jedoch untrennbar miteinander verwoben.

5.1 Verortung und Materialität des pädagogischen Ortes: Annähern an und Hineingehen in die OJA-Einrichtung

Nähert man sich einem pädagogischen Ort an und bewegt man sich anschließend in die Einrichtung hinein, so tritt einem zuerst die Verortung und dessen materielle Gestalt, die Dinge und Objekthaftigkeit entgegen. Dieser Aspekt pädagogischer Orte wird also mit der ersten Bewegungsfigur besonders gut erkennbar und in diesem Abschnitt anhand des empirischen Materials beschrieben. Dabei wird der Blick besonders auf die Einbindung der Einrichtungen der Offenen Jugendarbeit im städtischen Kontext und die physisch-materiellen Attribute gelenkt. Diese prägen sich in der praktischen Gestaltung der Offenen Jugendarbeit und der Beschaffenheit des Hauses sehr unterschiedlich aus, wie die drei Fallgeschichten veranschaulichen.

Empirische Vergewisserung

Zwar liegen alle drei beschriebenen Jugendzentren in städtischen Gebieten, sind jedoch ganz unterschiedlich in diese eingebunden. Das Dienstleistungszentrum, das als Teil einer Altstadthäuserzeile und mitten im Zentrum der Trägergemeinde steht, bildet mit den umgebenden Häusern mindestens in seiner äußeren Beschaffenheit eine Einheit. Nähert man sich dem Haus jedoch an, so ist es bereits von außen eindeutig als Einrichtung der Offenen Jugendarbeit erkennbar (durch das gut sichtbare Schild mit der Aufschrift Jugendzentrum, durch die im Eingangsbereich positionierten, jugendgerecht gestalteten Informationsmaterialien zu den Angeboten, wie Flyern, Postern und Aushängen). Im Fall der Wühlkiste liegt die Einrichtung der Offenen Jugendarbeit in einem Außenquartier der Stadt, eingereiht in eine Zeile von kleinen Geschäften und Restaurants. Im Gegensatz zum vorherigen Fall ist der Treff allerdings nicht ohne Weiteres als solcher zu erkennen. Man erwartet aufgrund der verglasten Außenfassade und der fehlenden symbolischen Elemente (bspw. eines Schildes mit der Aufschrift Jugendtreff oder Graffiti) eher ein Geschäft. Irritiert wird dies allenfalls durch die Gruppen Jugendlicher, die zeitweise (schwatzend oder rauchend) vor der Tür stehen. Wieder anders gestaltet sich die städtebauliche Lage des dritten Falles, der sich als Szeneclub etwas abseits hinter dem Hauptbahnhof der Großstadt befindet. Prominent tritt die Anlage zur Ausübung einer Trendsportart in den Vordergrund, während die restlichen Bereiche der Offenen Jugendarbeit auf den ersten Blick nicht auffallen. Es könnte sich auch um eine eigenständige Sportanlage handeln. Erst, wer diesen überquert, steht schließlich vor dem Modulbau, der sich allerdings von außen nicht unbedingt als Jugendtreff erkennen lässt, da auch hier wenig gängige Symbolik darauf hinweist.

Ähnlich unterschiedlich zeigen sich die drei Einrichtungen Besucher*innen im Moment des Eintritts. So wirkt das Dienstleistungszentrum, als mehrstöckiges Altstadthaus, bunt und vielseitig und es bietet viele Zimmer und Nischen. Gegenstände, Möbel und Gebrauchsmaterial lassen erahnen, wofür das jeweilige Zimmer oder die Nische gebraucht wird. Bei genauerer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass diese Ordnung flexibel gehandhabt werden kann und dass durch leichtes Umstellen der Möbel bspw. das Besprechungszimmer multifunktional nutzbar wird und rasch zum Spiegel-Tanzsaal wird. Dieses Spannungsfeld zwischen Orientierung und Vielseitigkeit scheint sich gegenseitig zu ergänzen. Die anwesenden Jugendlichen verteilen sich in den unterschiedlichen Zimmern und gehen dort den entsprechenden Aktivitäten nach. Die Stimmung ist durchaus lebendig und vielseitig, allerdings wirkt das Geschehen auf Besucher*innen geordnet und organisiert. Beim Betreten der Wühlkiste hingegen finden sich Besucher*innen zunächst in einem unorganisierten und unstrukturierten Chaos wieder. Sie werden eingenommen vom Eindruck der bunt zusammengewürfelten Einrichtungsgegenstände, wild herumwirbelnder Jugendlicher und einer beeindruckenden Geräuschkulisse. Versucht man sich zu orientieren, wird erkennbar, dass hier zahlreiche und sehr vielseitige Aktivitäten gleichzeitig und am selben Ort stattfinden. Gegenstände werden oft zweckentfremdet und so wird ein Tisch auch mal zum Schauplatz, was Besucher*innen irritieren kann. Diese, in einem gängigen Verständnis eher als Unordnung zu beschreibende Ordnung erschwert die erste Orientierung und wirkt auf Neuankömmlinge tendenziell überfordernd. Wieder anders zeigt sich der Szeneclub beim Eintritt, denn dieser beginnt bereits im Moment des Überquerens der Sportanlage: Farblich abgehobene Gehwege halten dazu an, die Trendsportler*innen nicht bei ihren Aktivitäten zu stören und den Platz nicht auf eigenen Wegen zu überqueren, um zum eigentlichen Eingang des Jugendtreffs auf der Rückseite des Modulbaus zu gelangen. Im Modulbau fällt einem die sehr gut ausgebaute Infrastruktur auf, denn diese wirkt durch die verwendeten Materialien und Möbel stilvoll aufeinander abgestimmt. Das Äußerliche scheint an diesem Ort eine zentrale Rolle zu spielen und wer hier ankommt, findet sich in einem gepflegten, stylisch ausgestatteten Jugendtreff wieder und sucht vergeblich nach einem ausgesessenen Sofa oder anderen ausgedienten Gegenständen.

Konzeptionelle Vergewisserung

Den Ort auf seine geografische Position oder Beschaffenheit in baulich bzw. territorial, formaler Hinsicht zu betrachten, käme aus einem raumrelationalen Verständnis einer Reduktion gleich (Abschn. 4). Vielmehr werden Orte der Offenen Jugendarbeit im Sinne „sozialpädagogischer Arenen“ (Cloos et al. 2007) über diese physische Beschaffenheit hinaus durch die unterschiedlichen Akteur*innen – Jugendarbeiter*innen wie Jugendliche – bespielt, gestaltet und gelebt. Orte der Offenen Jugendarbeit sind deshalb letztlich immer entlang der Frage aufzuschließen, welche Handlungen bzw. Aneignungsprozesse sie zulassen resp. auch verhindern. Denn nach den konzeptionellen Überlegungen Michael Winklers zu pädagogischen Orten haben diese die Aufgabe, in Abhängigkeit, aber bewusster Differenz zur Lebenswelt der Subjekte, in der Aneignungsprozesse verhindert oder erschwert werden (1988, S. 304), über ihre bewusste professionelle Gestaltung die Entwicklung neuer subjektiver Sinnperspektiven zu ermöglichen (Bernfeld 1973). Durch eine an Subjekten und deren Aneignungsprozessen orientierte Gestaltung pädagogischer Orte schafft Offene Jugendarbeit erst die situative Basis, dass Erziehung und Bildung ihre notwendige Voraussetzung erhalten. Relevant für sozialpädagogisches Handeln wird also die Frage, wie pädagogische Orte – ausgehend von Adressat*innen sowie deren gesellschaftlichen Bezügen und Positionen – gestaltet werden können (Winkler 1988, S. 304). Besonders relevant für eine pädagogische Ortsgestaltung ist dabei die Verknüpfung von Materialität mit Sozialem an einem Ort, denn mit der Aneignung der objektiven Struktur eines Ortes werden gleichzeitig die darin eingeschriebenen kulturellen und gesellschaftlichen Sinnzuschreibungen angeeignet, subjektiv interpretiert und darüber neue Perspektiven und Möglichkeiten erschlossen.

5.2 Aneignungsmöglichkeiten und -hindernisse des pädagogischen Ortes: Begehen des Inneren der OJA-Einrichtung

Ein weiterer Aspekt pädagogischer Orte lässt sich über die Begehung des Inneren der Einrichtungen – also die zweite Bewegungsfigur – erschließen. Die Praktiken der Ortsgestaltung zielen letztlich alle darauf, Aneignungsprozesse zu fördern, indem sie unterschiedliche Angebote und Gelegenheiten an pädagogischen Orten zur Verfügung stellen. Die empirischen Ergebnisse zeigen jedoch auf, dass pädagogische Ortsgestaltung neben Aneignungsmöglichkeiten durchaus auch – manchmal auch nur für bestimmte Gruppen von Jugendlichen – Aneignungshindernisse zur Folge hat, die weder beabsichtigt noch in jedem Fall vermeidbar sind. Dies wird nachfolgend anhand des unterschiedlichen Umgangs mit Angeboten und deren Strukturierung in den OJA-Einrichtungen aufgezeigt.

Empirische Vergewisserung

Das Dienstleistungszentrum bietet den Jugendlichen eine breite Palette gut ausgestalteter Angebote. Die Jugendarbeiter*innen verfolgen damit den Anspruch, für möglichst alle Jugendlichen und deren unterschiedlichen Interessen anschlussfähig zu sein. Sie identifizieren dafür im Rahmen der Angebotsplanung und -entwicklung aktuelle Themen bei den Jugendlichen und loten deren Bedürfnisse, Interessen und Ressourcen genau aus. Dahinter steht die Annahme, dass Aneignungsmöglichkeiten nur dann genutzt werden, wenn Jugendliche die Angebote auch als sinnhaft wahrnehmen, sie diese verstehen und interessant finden. Wird dies erfüllt, können die Jugendlichen vorgefertigte, ausgeklügelte und auf bestimmte Bedürfnisse zugeschnittene Angebote und Aneignungsmöglichkeiten nutzen. Situative, auf individuellen – den Rahmen sprengende – Aushandlungsprozessen basierende Aneignungsformen sind hingegen unmöglich. Auch sind für Jugendliche, die den ebenfalls oben erwähnten Rahmen nicht einhalten können, das Dienstleistungszentrum und dessen Angebote kaum zugänglich. Der klar geordnete und abgesteckte Rahmen bedeutet in diesem Fall also auch eine Hürde für Aneignungsmöglichkeiten resp. verschließt damit auch Zugänge. Ganz anders spricht die Wühlkiste eher suchende Jugendliche an, die ihre Interessen eventuell noch gar nicht benennen können. Ihnen werden in der Wühlkiste anhand von zur Verfügung gestellten Materialien, Gelegenheiten, Aushandlungsprozessen etc. ganz unterschiedliche und auch individuell gestaltbare Aneignungsprozesse ermöglicht. Für Jugendliche, die ihrerseits Orientierung brauchen oder ganz spezifische jugendkulturelle oder aktivitätsbezogene Interessen verfolgen, kann diese Art der Aneignungsermöglichung zum Hindernis werden, weil sie zu unkonkret sind oder ihre Bedürfnisse nicht aktivieren. Der Szeneclub spricht in seiner Gestalt Jugendliche an, die ein spezifisches Interesse benennen können und dieses auch in hohem Maß an Eigeninitiative umsetzen wollen oder können. Im gemeinsamen Umsetzen dieser Ideen und Interessen sind ausgeprägte Aneignungsprozesse möglich, die sich auch über Jahre hinweg erstrecken können. Am Beispiel der Trendsportanlage entstand darüber ein selbsttätig gestalteter Ort, der von allen Beteiligten (Jugendliche und Jugendarbeiter*innen) mit all seinen Regeln und Routinen akzeptiert und in höchstem Maße sorgsam bewahrt wird, zumindest solange die Jugendlichen ihm noch nicht entwachsen sind. Dies bietet genau diesen Jugendlichen zahlreiche Aneignungsmöglichkeiten, für andere oder neue Generationen von Jugendlichen stellt dies jedoch eine fast unüberwindbare Hürde dar.

Konzeptionelle Vergewisserung

Für eine Perspektive pädagogischer Ortsgestaltungen ist es notwendig, ein Verständnis von der Verwiesenheit von Ort und Aneignung zu entwickeln, welches in der pädagogischen Gestaltung beeinflusst resp. gestaltet werden kann (Brüschweiler et al. 2018b). Auch hier bieten sich Michael Winklers konzeptionelle Gedanken zum „pädagogischen Ort“ an, die er im Rahmen einer Theorie der Sozialpädagogik (1988) übergreifend entwickelt hat. Winkler versteht den Begriff des Ortes (neben dem Subjektbegriff) als eine „Grundbestimmung […] sozialpädagogischen Handelns“ (1988, S. 263). Die Relevanz pädagogischer Ortsgestaltung begründet Winkler mit Blick auf Aneignungsprozesse Jugendlicher: Jeder Ort stellt einem Subjekt Elemente der Welt als Gelegenheiten zur Aneignung zur Verfügung (1988). Im Aneignungsprozess bezieht sich ein Subjekt immer stärker auf die anzueignende Umwelt, bringt durch erneute Vergegenständlichungen zum Ausdruck, was es sich angeeignet hat und wird dadurch für sich selbst und andere in der Besonderheit seiner Aneignung(-sgeschichte) identifizierbar (Leontjew 1973; Hüllemann et al. 2019). Unterbrechungen des Aneignungsprozesses interpretiert Winkler als Passungsproblem zwischen der Beschaffenheit eines Ortes und einem Subjekt mit seiner spezifischen Aneignungsgeschichte und den darin entwickelten Fähigkeiten und Möglichkeiten (Winkler 1988, S. 139 ff., 154 ff.). Auch Prozesse der pädagogischen Ortsgestaltung, die im Grunde Aneignungsmöglichkeiten zu schaffen versuchen, können zu solchen Passungsproblemen führen, weil sie mind. temporär immer auch zu spezifischen Angeboten führen, die nicht für alle Jugendlichen gleichermaßen Aneignungsmöglichkeiten bieten (Brüschweiler et al. 2018b). Auch wenn es letztlich immer das Ziel pädagogischer Ortsgestaltung in der Offenen Jugendarbeit ist, Aneignungsprozesse (wieder) zu ermöglichen, werden über Ortsgestaltungspraktiken auch Aneignungsmöglichkeiten verhindert – dies ist unvermeidbar.

5.3 Haltung und professionelles Selbstverständnis: Zurücktreten von und Kontextualisieren der OJA-Einrichtung

Ein ebenfalls zentraler Aspekt pädagogischer Orte stellen Haltungsfragen dar, auf die sich Jugendarbeiter*innen in ihrer Begründung der Praktiken beziehen und worüber sich das zeichnen lässt, was ein professionelles Selbstverständnis darstellt. Diese Haltungsebene konnte im Forschungsprozess erst mit der dritten Bewegungsfigur identifiziert werden, indem das Forschungsteam, aber auch die Jugendarbeiter*innen aus dem von Routinen geprägten Alltag zurücktraten und es darüber möglich wurde, Praktiken hinsichtlich ihrer Begründungen, beabsichtigten Ziele und Auswirkungen auf das Zusammenspiel am pädagogischen Ort zu kontextualisieren. Nachfolgend wird entlang den in den Einrichtungen vorhandenen Angebote für Jugendliche sowie dem jeweiligen Verständnis zur eigenen Rolle in der Angebotsgestaltung der Jugendarbeiter*innen dieser Aspekt pädagogischer Orte herausgearbeitet.

Empirische Vergewisserung

Das Dienstleistungszentrum bietet den Jugendlichen eine breite und vielfältige Palette an Angeboten. Diese werden von den Jugendarbeiter*innen maßgeschneidert auf die von ihnen identifizierten Bedarfe bereitgestellt und gut strukturiert präsentiert. Die Organisation ist Sache der Jugendarbeiter*innen, die Auswahl und Teilnahme an den Angeboten Sache der Jugendlichen. Mit dieser ausgebauten Angebotsvielfalt verfolgen die Jugendarbeiter*innen das Ziel, dass alle Jugendlichen für sich thematische Anknüpfungspunkte finden, Angebote entsprechend auswählen und aktiv daran teilnehmen. Dies bedingt einen hohen Aufwand an Organisation – sei es, bei den Jugendlichen den Puls zu fühlen und entsprechende Angebote zu entwickeln, oder aber auch in der Durchführung die Angebote, Durchführungsorte und Interessen der Jugendlichen zu koordinieren. Die Jugendarbeiter*innen formulieren explizit, dass sie von einem Selbstverständnis ausgehen, für Jugendliche einen Rahmen herzustellen, in dem diese sich bewegen, entfalten und sinnhaften Aktivitäten nachgehen können. Dies bedingt aus Sicht der Jugendarbeiter*innen, diesen Rahmen in der pädagogischen Ortsgestaltung immer im Blick zu halten und darauf zu achten, dass dieser nicht gesprengt wird. Namentlich bedeutet das, dass die Jugendarbeiter*innen sich auch als Hüter*innen dieses stabilen Rahmens verstehen und entsprechend intervenieren. Bei der Wühlkiste spielen die Jugendarbeiter*innen hingegen geradezu mit dem Aspekt der Unordnung und Uneindeutigkeit. So bietet sich den Jugendlichen die Gelegenheit, sich zunächst suchend anzunähern und allfällige Bedarfe entweder zu artikulieren oder Ideen selbsttätig und auf ihre eigene Art und Weise zu strukturieren. Die Jugendarbeiter*innen verstehen sich dabei nicht als Gestalter*innen der Angebote, sondern bieten vielmehr – wo angezeigt – Beziehungen, Gespräche oder Resonanz. Der Jugendtreff ist aus Sicht der Jugendarbeiter*innen also explizit kein Ort, an dem Angebote bereitgestellt werden, sondern vielmehr eine Plattform, die Jugendliche auffordert, sie zur Umsetzung eigener Ideen zu nutzen. Mit Interventionen bleiben die Jugendarbeiter*innen sehr zurückhaltend, sie bleiben bewusst Beobachter*innen und lassen ein hohes Maß sowohl an Dynamik als auch Selbstorganisation unter den Jugendlichen zu. Auch im Szeneclub bedeutet pädagogisches Handeln nicht, Angebote zur Verfügung zu stellen. Vielmehr erwarten die Jugendarbeiter*innen von den Jugendlichen, dass diese mit eigenen Ideen und Leidenschaft eigene Projekte initiieren und umsetzen. Die Jugendarbeiter*innen bieten aber, sobald die Idee formuliert und konkret ist und sie diese ebenfalls als sinnhaft erachten, Unterstützung auf unterschiedlichen Ebenen an. Sie begleiten die Jugendlichen explizit, stellen dafür notwendige Rahmenbedingungen (bspw. die Finanzierung, Akzeptanz) sicher und werden damit Teil des dadurch entstehenden Projektes, indem sie auch ideell dahinterstehen und sich dafür einsetzen, dass über solche gemeinschaftliche Prozesse entstandene, spezifisch auf den Ort zugeschnittene Regeln auch respektiert werden.

Konzeptionelle Vergewisserung

Ausgehend von Giddens Theorie der Strukturierung werden die Praktiken der pädagogischen Ortsgestaltung in der Offenen Jugendarbeit als Handlungen verstanden, die in Dualität mit strukturellen Aspekten soziale Wirklichkeit generieren (1988; Werlen 2012, S. 152). Demzufolge (re-)produzieren Jugendarbeiter*innen mit ihren pädagogischen Ortsgestaltungspraktiken die Orte der Offenen Jugendarbeit laufend. Mit Giddens (1988) beruhen Handlungen immer auf Wissen der handelnden Person, jedoch kann dieses Wissen und auch die damit verbundene Intention nicht per se formuliert werden, da sich Praktiken der Jugendarbeiter*innen auf unterschiedlichen Ebenen des Bewusstseins abspielen und erst unter bestimmten Bedingungen auch reflektierbar werden. Giddens unterscheidet Handlungen auf der unbewussten Ebene und Handlungsvollzüge, die sich auf den Ebenen eines praktischen und eines diskursiven Bewusstseins abspielen. In Bezug auf das Erkenntnisinteresse in PORTA OKJA (Abschn. 3) spielten die letzten beiden Ebenen eine zentrale Rolle, da die erste Ebene vorwiegend abseits von reflexivem Handeln stattfindet, was es aus professioneller Gestaltungsperspektive in diesem Zusammenhang erst einmal in den Hintergrund rücken lässt. Vielmehr führt die Rekonstruktion des praktischen und eng damit verbundenen diskursiven Bewusstseins dazu, einen reflexiven Zugang zu den professionellen Praktiken der Ortsgestaltung zu erhalten. Die pädagogischen Orte der Offenen Jugendarbeit und ihre Aneignungsmöglichkeiten werden immer auch über die in den Praktiken eingelagerten Haltungen und professionellen Selbstverständnisse reproduziert, diese Bezüge werden erst in reflexiven Prozessen bewusst bearbeitbar.

In den folgenden abschließenden Betrachtungen werden diese Ergebnisse weiter diskutiert und zusammenfassend erläutert, welche Erkenntnisse die im Forschungsprojekt eingenommene Augenperspektive letztlich ermöglicht.

6 Folgen Orte der Offenen Jugendarbeit einer Eigenlogik? – Abschließende Betrachtungen

Mit einem einzelnen Bildelement, d. h. einem pädagogischen Ort in seiner Spezifik und in seinem Gewordensein im Blick, Aussagen über Handlungsroutinen Professioneller, den Aneignungsmöglichkeiten Jugendlicher und den Entwicklungspotenzialen dieses pädagogischen Ortes zu machen – so könnten die spezifischen Qualitäten des wissenschaftlichen Zugangs der Augenperspektive auf den Punkt gebracht werden. Gleichzeitig sind damit die Grenzen dieser Perspektive angesprochen, weil damit Aussagen über allgemeine Trends und Entwicklungen des Gesamtbildes, d. h. des Handlungsfeldes der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in der Schweiz, nur schwer möglich sind. Obwohl im konkreten Grundlagenforschungsprojekt PORTA OKJA Einrichtungen aus fast allen Landesteilen – der deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Schweiz sowie damit einhergehend Einrichtungen aus unterschiedlichen Denktraditionen – untersucht wurden, sind vergleichende Aussagen, wie bspw. „Orte der soziokulturellen Animation zeigen sich im Gegensatz zu Orten der Offenen Jugendarbeit als …“, ebenso wenig möglich, wie bspw. systematische Vergleiche zwischen Orten der Offenen Jugendarbeit im Tessin, der Deutschschweiz oder der Westschweiz.

Das Projekt PORTA OKJA verfolgte jedoch nie diesen Anspruch einer statistisch repräsentativen Darstellung, vielmehr ging es ganz grundlegend darum, sich über Fallkontrastierungen explorativ und verstehend der Frage anzunähern, wie Jugendarbeiter*innen pädagogische Orte herstellen. Deutlich wurde dabei, dass sie als Akteur*innen mit ihrem professionellen und fachlichen Hintergrund zwar die Gestaltung der pädagogischen Orte maßgeblich prägen. Darüber hinaus sind jedoch weitere Aspekte der pädagogischen Orte, die in ihrem Zusammenspiel wirken, hoch relevant. So stellen bspw. der lokale Kontext und das, was sich am Ort als baulich-physische Hülle zeigt, die Aneignungsmöglichkeiten und deren Nutzung durch Jugendliche Aspekte dar, die ins Zentrum des Erkenntnisinteressens rücken. Die Ergebnisse aus PORTA OKJA zeigen deutlich, dass Jugendarbeiter*innen an einem konkreten Ort in einer bestimmten, für den Ort stimmigen und den Ort charakterisierenden Art und Weise handeln und darüber das Spezifische des Ortes stetig (re-)produzieren. Ausgehend von dieser Stimmigkeit wagte sich das Forschungsteam im Analyseprozess immer wieder an ein Gedankenspiel: Was wäre, wenn man bestimmte Jugendarbeiter*innen an einen anderen Ort „versetzen“ würde: wäre dann der Ort, der vorherrschende strukturelle Zusammenhang oder doch die Person prägender? Eine Antwort auf diese Frage, bleibt an der Stelle offen – da ein solches Experiment nur in der Fantasie stattgefunden hat. Jedoch hilft das Gedankenspiel beim Verständnis, dass sich eine Struktur eines pädagogischen Ortes auf die an diesem Ort agierenden Menschen auswirkt und umgekehrt die Struktur an diesem Ort genau durch diese Menschen (re-)produziert wird.

In konzeptioneller Hinsicht kann dieser Zusammenhang der spezifischen Verschränkung von physischen, strukturellen und personellen Logiken an Orten abschließend unter Bezugnahme auf Überlegungen aus dem stadtsoziologischen Diskurs zur sogenannten „Eigenlogik von Städten“ (Löw 2008) geschärft werden. Gemäß dieser Forschungstradition werden Eigenlogiken an jedem Ort durch Habitualisierung, Institutionalisierung und Materialisierung stabilisiert: „Das Spezifische eines Ortes zeigt sich dann in der Art und Weise, in der sich die Welt in ihm wiederfindet“ (Steets 2008, S. 403). Die Stadt- und Raumsoziologin Martina Löw versteht unter Strukturlogik

„einen tradierten und tradierbaren Sinnzusammenhang, der sich in den einzelnen Städten zu immer wiederkehrenden, somit für diese Stadt typisch werdenden Handlungsmustern verfestigt. Unter Rückgriff auf vergangene Ereignisse, überliefertes Wissen oder auch materielle Substanzen formten sich lokale Umgangsweisen, die sich über die Zeit reproduzierten und die in Form von Handlungsmustern – trotz wechselnder Akteursgruppen – schließlich im Handeln aller Bewohnerinnen/-innen der Stadt nachweisbar seien. Es entwickelten sich Eigenlogiken, die sich auf die Lebenswege, Handlungen und Erfahrungen derjenigen Menschen, die in dieser Stadt leben, auswirkten.“ (Frank 2012, S. 299; Hervorhebung im Original)

Übertragen auf die Orte der Offenen Jugendarbeit und ihre Gestaltungen wären es die „lokalen Praktiken“, die die Orte jeweils spezifisch und darüber voneinander unterscheidbar machen. Denn nach der Idee der Eigenlogik wird damit „die spezifische Dichte lokaler Praktiken sowie die lokal spezifischen Handlungs-, Wahrnehmungs- und Erlebensmuster“ an Orten der Jugendarbeit „als institutionalisierte, routinisierte Praktiken der Verdichtung“ thematisiert (Frank 2012, S. 299). In den drei Beispielen, dem Dienstleistungszentrum, der Wühlkiste und dem Szeneclub, wurden in den dichten Beschreibungen die Eigenlogiken dieser pädagogischen Orte erkennbar. Die Augenperspektive bietet die Chance, Routinen zu erkennen und zu bearbeiten, indem die für Städte formulierten Gedanken auch für Orte der Offenen Jugendarbeit gelten und sich über diesen Forschungszugang „Strategien zur Veränderung“ aufzeigen lassen, „welche die Bedingungen und Potenziale vor Ort nutzen“ (Löw 2008, S. 234). Veränderungsoptionen stecken demnach in den eigenlogischen Praktiken pädagogischer Ortsgestaltung und dem Vermögen, diese analytisch zu rekonstruieren und damit reflektierbar zu machen.