Zusammenfassung
Schule als einen Ort der Differenzproduktion zu thematisieren, schließt eine Beschäftigung mit schulischen Regeln mit ein. Anhand ethnographischer Beobachtungsprotokolle fragt dieser Beitrag, wie antiromaistisches und homophobes Sprechen im Schulfach Persönlichkeitsbildung und Soziale Kompetenz als ein pädagogisches Problem konstruiert und im Lichte der Differenz „schulisch akzeptabel/schulisch nicht-akzeptabel“ bearbeitet wird. Schule macht so diskriminierende Äußerungen zu einer Option für Schüler*innen, um sich entgegen der schulischen Leistungs- und Verhaltensordnung zu positionieren.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Notes
- 1.
Unter die zu erwerbenden personalen Kompetenzen fallen unter anderem „Selbst- und Fremdbild, Selbstreflexion, selbstständiges Arbeiten, situationsadäquates Auftreten, Feedback, Stärken- und Schwächenanalyse, Umgang mit Krisen“ (Lehrplan der Handelsschule 2014, S. 21). Unter sozialen Kompetenzen werden die Kompetenzen „Soziale Interaktion, Verständnis für andere Menschen und deren Bedürfnisse, Wertschätzung und Anerkennung, Konfrontation und Kritik, Teamfähigkeit“ (ebd.) gefasst. Als zu entwickelnde Methoden- und Handlungskompetenzen gelten „Lern- und Arbeitstechniken, selbstständiges und eigenverantwortliches Lernen, Lernbereitschaft, Informationsbeschaffung, situationsadäquates Auftreten und Verhalten, Präsentationstechniken und Kommunikationsformen“ (ebd.). Schließlich nennt der Lehrplan auch noch den Punkt „Gesellschaftliche Mitgestaltung und Verantwortung für die Gemeinschaft“ (ebd.). Adressiert werden damit „Möglichkeiten gesellschaftlicher Mitgestaltung, gesellschaftliche Unterschiede und Vielfalt, interkulturelle Kompetenz“ (ebd.).
- 2.
Das Problem physischer wie verbaler Gewalt an Schulen adressiert Persönlichkeitsbildung und Soziales Lernen in besonderer Weise. In einschlägigen Handreichungen wird die Förderung sozialer wie personaler Kompetenzen – zumeist aufseiten der Schüler*innen – als „wirkungsvollster Beitrag zur Gewaltprävention“ (Kessler und Strohmeier 2009, S. 41) veranschlagt. Unter dieser Perspektive erscheint Gewalt in ihren unterschiedlichen Ausformungen in erster Linie als eine Frage von Einstellungen und Haltungen, auf die nicht zuletzt im Rahmen persönlichkeitsbildender Angebote in wünschenswerter Weise eingegangen werden soll.
- 3.
Auf die Komplexität des Artikulationsbegriffs von Stuart Hall macht Yvonne Franke aufmerksam, die einerseits „fünf Referenzpunkte“ (Franke 2017, S. 69) von Halls Konzept der Artikulation rekonstruiert und andererseits eine „theoretische, politische und methodische Dimension“ (ebd., S. 76) von Artikulation unterscheidet.
- 4.
Mit dem Begriff „Forcing Ethnicity“ macht Yalız Akbaba auf einen Gebrauch von Ethnizität aufmerksam, der entgegen der subtileren Formen des „doing Ethnicity“ die „nationale Kultur oder Ethnie zum vordergründigen Merkmal einer Person“ mache und damit „entindividualisiere“ (Akbaba 2014, S. 281).
- 5.
Insofern dieser Artikel den Gebrauch sozial hoch belasteter Bezeichnungen von Schüler*innen zum Thema hat, komme ich nicht darum herum, diese Begriffe auch in der Interpretation des Materials zu nennen – bei gleichzeitigem Bewusstsein um den verletzenden Effekt dieses Sprechens. Mit diesem Vorgehen schließe ich an Astrid Messerschmidt (2019, S. 5) an, die für eine Bearbeitung rassistischen Sprechens eine „Auseinandersetzung mit den Überzeugungen der Ungleichheit“, die gerade auch in belasteten Begriffen zum Ausdruck kommt, für notwendig erachtet.
Literatur
Akbaba, Y. (2014). (Un-)doing Ethnicity im Unterricht – Wie Schüler/innen Differenz markieren und dekonstruieren. In A. Tervooren, N. Engel, M. Göhlich, I. Miethe, S. Reh (Hrsg.), Ethnographie und Differenz in pädagogischen Feldern. Internationale Entwicklungen erziehungswissenschaftlicher Forschung (S. 275–290). Bielefeld: transcript.
Alheit, P. (2001). Ethnographische Pädagogik. Eine andere Sichtweise des pädagogischen Feldes. Die Schule, 46, (S. 10–16).
Bennewitz, H., & Meier, M. (2010). Zum Verhältnis von Jugend und Schule. Ethnographische Studien zu Peerkultur und Unterricht. In A. Brake, H. Bremer (Hrsg.), Alltagswelt Schule. Die soziale Herstellung schulischer Wirklichkeiten (S. 97–110). Weinheim und München: Juventa.
Berger, P. L., & Luckmann, T. (2018). Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie (27. Aufl.). Frankfurt am Main: Fischer.
Breidenstein, G. (2010). Überlegungen zu einer Theorie des Unterrichts. Zeitschrift für Pädagogik, 56, (S. 869–887).
Budde, J. (2015). Reflexionen zur Bedeutung von Handlung und Praktik in der Ethnographie. Zeitschrift für Qualitative Forschung, 16, (S. 7–24).
de Boer, H. (2009). Peersein und Schülersein – ein Prozess des Ausbalancierens. In H. de Boer und H. Deckert-Peaceman (Hrsg.). Kinder in der Schule. Zwischen Gleichaltrigenkultur und schulischer Ordnung (S. 105–118). Wiesbaden: Springer VS.
Franke, Y. (2017). Artikulation. Ein theoretisches und politisches Projekt. In M. Backhouse, S. Kalmring, A. Nowak (Hrsg.), In Hörweite von Stuart Hall. Gesellschaftskritik ohne Gewähr (S. 67–90). Hamburg: Argument.
Ganz, K. (2012). Die Artikulation von Differenz. In I. Dzudzek, C. Kunze, J. Wullweber (Hrsg.), Diskurs und Hegemonie. Gesellschaftstheoretische Perspektiven (S. 127–150). Bielefeld: transcript.
Goffman, E. (2011). Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag (10. Aufl.). München: Piper.
Gogolin, I. (1994): Der monolinguale Habitus der multilingualen Schule. Münster: Waxmann.
Hall, S. (1994a). „Rasse“, Artikulation und Gesellschaften mit struktureller Dominante. In S. Hall: Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2 (S. 89–136). Hamburg: Argument.
Hall, S. (1994b). Die Frage der kulturellen Identität. In S. Hall, Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2 (S. 180–222). Hamburg: Argument.
Hall, S. (1994c). Kulturelle Identität und Diaspora, In S. Hall, Rassismus und kulturelle Identität. Ausgewählte Schriften 2 (S. 26–43). Hamburg: Argument.
Hall, S. (2000). Postmoderne und Artikulation. In S. Hall, Cultural Studies. Ein politisches Theorieprojekt. Ausgewählte Schriften 3 (S. 52–77). Hamburg: Argument.
Hartmann, J., Messerschmidt, A., & Thon, C. (2017). Queering Bildung. In J. Hartmann, A. Messerschmidt, C. Thon (Hrsg.), Queertheoretische Perspektiven auf Bildung. Pädagogische Kritik der Heteronormativität (S. 15–28). Opladen, Berlin und Toronto: Barbara Budrich.
Hirschauer, S. (2014). Un/doing Differences. Die Kontingenz sozialer Zugehörigkeiten. Zeitschrift für Soziologie, 43, (S. 170–191).
Kalthoff, H., & Kelle, H. (2000). Pragmatik schulischer Ordnung. Zur Bedeutung von „Regeln“ im Schulalltag. Zeitschrift für Pädagogik, 46, (S. 691–710).
Kessler, D., & Strohmeier, D. (2009). Gewaltprävention an Schulen. Persönlichkeitsbildung und Soziales Lernen (2., veränderte Aufl.). Wien: özeps.
Laclau, E. & Mouffe, C. (2000). Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus (2., durchgesehene Aufl.). Wien: Passagen.
Limbourg, M., & Steins, G. (2011). Sozialerziehung in der Schule. In M. Limbourg, G. Steins (Hrsg.), Sozialerziehung in der Schule (S. 11–28). Wiesbaden: Springer VS.
Lehrplan der Handelsschule (2014). https://www.hak.cc/files/syllabus/Lehrplan_HAS_2014.pdf, Zugriff: 30.05.2020.
Messerschmidt, A. (2016). Antiziganismuskritische Bildung in der national-bürgerlichen Konstellation. In W. Stender (Hrsg.), Konstellationen des Antiziganismus. Theoretische Grundlagen, empirische Forschung und Vorschläge für die Praxis (S. 95–110). Wiesbaden: Springer VS.
Messerschmidt, A. (2019). Kontexte des Antiziganismus und Perspektiven antiziganismuskritischer Bildung. Enzyklopädie Erziehungswissenschaft Online. https://www.erziehungswissenschaft.uni-wuppertal.de/fileadmin/erziehungswissenschaft/fach_gender-und-diversity/Messerschmidt_2019_EEO_Antiziganismus.pdf. Zugriff: 30.05.2020.
Postner, A. (2020). Thema sein. Thema werden. Thema machen. Persönlichkeitsbildender Unterricht als pädagogischer Raum. (Unveröffentlichte Masterarbeit, Universität Wien).
Rabenstein, K., & Steinwand, S. (2018). „Un/doing differences“ im Unterricht. Zur Berücksichtigung der Kontingenz von Differenzierungen in der Weiterentwicklung ethnographischer Differenzforschung. Zeitschrift für Qualitative Forschung, 19, (S. 113–129).
Rabenstein, K., Reh, S., Ricken, N., & Idel, S.-T. (2013). Ethnographie pädagogischer Differenzordnungen. Methodologische Probleme einer ethnographischen Erforschung der sozial selektiven Herstellung von Schulerfolg im Unterricht. Zeitschrift für Pädagogik, 59, (S. 668–689).
Reckwitz, A. (2003). Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive. Zeitschrift für Soziologie, 32, (S. 282–301).
Riemann, G. (2004). Die Befremdung der eigenen Praxis. In A. Hanses (Hrsg.), Biographie und Soziale Arbeit (S. 190–210). Baltmannsweiler: Verlag Hohengehren.
Spies, T. (2009). Diskurs, Subjekt und Handlungsmacht. Zur Verknüpfung von Diskurs- und Biographieforschung mithilfe des Konzepts der Artikulation. Forum Qualitative Sozialforschung, 10, http://www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/1150/2760. Zugriff: 30.05.2020.
Walgenbach, K. (2012). Gender als interdependente Kategorie. In K. Walgenbach, G. Dietze, L. Hornscheidt, K. Palm (Hrsg.), Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität (2., durchgesehene Aufl.) (S. 23–64). Opladen und Farmington Hills: Barbara Budrich.
West, C., & Fenstermaker, S. (2002). Doing difference. In S. Fenstermaker und C. West (Hrsg.), Doing Gender, Doing Difference. Inequality, Power and Institutional Change (S. 55–79). New York und London: Routledge.
Willis, P. (1982). Spaß am Widerstand. Gegenkultur in der Arbeiterschule (2. Aufl.). Frankfurt am Main: Syndikat.
Winker, G., & Degele, N. (2009). Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld: transcript.
Zinnecker, J. (1978). Schüler im Schulbetrieb. Berichte und Bilder vom Lernalltag, von Lernpausen und vom Lernen in den Pausen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Zinnecker, J. (2001). Stadtkids. Kinderleben zwischen Straße und Schule. Weinheim und München: Juventa.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2022 Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature
About this chapter
Cite this chapter
Postner, A.C. (2022). „Bitte macht das nicht!“ – Zur pädagogischen Bearbeitung antiromaistischen und homophoben Sprechens im persönlichkeitsbildenden Unterricht. In: Akbaba, Y., Buchner, T., Heinemann, A.M., Pokitsch, D., Thoma, N. (eds) Lehren und Lernen in Differenzverhältnissen . Pädagogische Professionalität und Migrationsdiskurse. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37328-3_13
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-37328-3_13
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-37327-6
Online ISBN: 978-3-658-37328-3
eBook Packages: Education and Social Work (German Language)