Schlüsselworter

1 Einleitung

„Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts“, so Willy Brandt. Frieden besteht nach Ernst-Otto Czempiel „in einem internationalen System dann, wenn die in ihm ablaufenden Konflikte kontinuierlich ohne die Anwendung organisierter militärischer Gewalt bearbeitet werden.“ Frieden meint jedoch nicht nur die zeitweise Vermeidung von Krieg, „sondern schließt seine Vorbereitung, die Bereitschaft zum Krieg aus“ (Czempiel 1998, 45). Friedenspolitik umfasst für Czempiel Friede durch Völkerrecht samt Gewaltverzicht, Friede durch internationale Organisationen, Friede durch Demokratisierung von Herrschaftssystemen und „die Gewaltfreiheit unterstützende Wirkung des Handels“ (Czempiel 1998, 242) als zentrale Bausteine.

Es ist keine akademische Fingerübung, Sicherheit und Frieden zu unterscheiden. Sicherheit wird als Zustand beschrieben, „in dem sich Individuen, Gruppen und Staaten nicht von ernsten Gefahren bedroht fühlen“ (Meier et al. 2008, 410), wobei der Grad der Bedrohung durch subjektives Empfinden bestimmt wirdFootnote 1. Als eines von möglichen Definitionskriterien betrachtet Heinz Gärtner (2008, 213) auch „die Fähigkeit, Bedrohung abwehren zu können.“ Schnittmengen zum Friedensbegriff bietet der Begriff der menschlichen Sicherheit (UNDP 1994). Diese menschliche Sicherheit (human security) geht „von einer ausschließlichen Betonung territorialer Sicherheit hin zu einer viel stärkeren Betonung der Sicherheit des Menschen“ und zeichnet den Weg „von der Sicherheit durch Rüstung zu Sicherheit durch nachhaltige menschliche Entwicklung“ (UNDP 1994, 30). Zentral sind dabei wirtschaftliche Sicherheit, Sicherheit der Ernährung und Gesundheit, Sicherheit der Umwelt, persönliche Sicherheit, Sicherheit der Gemeinschaft und politische Sicherheit.

Dieser Beitrag untersucht, wie sich die Friedenspolitik Österreichs in der Zweiten Republik entwickelt hat, und gibt an verschiedenen Punkten Vorschläge zu deren Wiederbelebung und Stärkung. Dabei kristallisiert der Beitrag zentrale Schwerpunkte dieser Friedenspolitik der Zweiten Republik heraus, deutet diese in ihrem innenpolitischen Kontext sowie in europäischen und globalen Zusammenhängen und erläutert deren Zielsetzungen und Widersprüche in den verschiedenen Phasen der österreichischen Außenpolitik.

Die konkreten friedenspolitischen Analysefelder dieses Beitrages wurden unter der Prämisse ausgewählt, dass Aussagen über ihre längerfristige Entwicklung getroffen werden können. Der Hauptteil dieses Beitrages behandelt die Neutralität als friedenspolitische Wegmarke in ihrem Wandel, Österreich in den internationalen Organisationen, Österreich als Gastgeber von Verhandlungen und Konferenzen, die Rolle in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU, die zivile und militärische Auslandseinsatzpolitik, Abrüstung. Der Beitrag zeigt, dass vor allem das Engagement im Rahmen der Vereinen Nationen, die Politik der „guten Dienste“ und Fragen der humanitär begründeten Abrüstung wesentliche friedenspolitische Akzente der österreichischen Außenpolitik waren und sind, jedoch ebenfalls durch diametrale Tendenzen und Brüche aufweisen. Resümierend behandelt der Beitrag schließlich die (Re-)Positionierung und Österreichs zwischen Friedens- und Sicherheitslogik.

2 Kontinuitäten und Brüche österreichischer Friedenspolitik

2.1 Neutralität als friedenspolitische Wegmarke

Die immerwährende Neutralität kann über weite Perioden der 2. Republik als zentralste außen- und friedenspolitische Wegmarke und (rechtlicher) Maßstab verstanden werdenFootnote 2. Die immerwährende Neutralität steht nach dem Völkerrechtler Manfred Rotter (2007, 183) für „die Verpflichtung eines Staates, sich an keinem Krieg im Sinne des Völkerrechtes – wo, wann und zwischen wem immer er stattfinden mag – zu beteiligen.“ Der Neutrale „ist daher gehalten, bereits in Friedenszeiten darauf zu achten, dass er sich für den Neutralitätsfall ausreichend Freiraum für autonomes Gestalten seiner Neutralität bewahrt.“ (Rotter 2007, 183) Die Intention findet Übereinstimmung mit dem Czempiel’schen Friedensbegriff, der die Vorbereitung und Bereitschaft zum Krieg ausschließt. „In ‚steiler‘ Perspektive“, so Rotter (2007, 185), „erweist sich die immerwährende Neutralität (…) als Status der generellen Kriegsverweigerung“.

Seit den frühen 1990er Jahren wurde die Neutralität im Kontext der EU Schritt für Schritt in ihrer politischen Bedeutung geschmälert ohne ihren rechtlichen Kern zu verändern. Die Regierungen der letzten 30 Jahre haben viel Erfahrung entwickelt, militärische Entwicklung in der EU automatisch mit der Neutralität als vereinbar zu erklären. Zumal wird auch der Hinweis genützt, die Neutralität wäre ohnehin in ihrem Charakter adaptiert oder bereits politisch entsorgt. Dabei ist Neutralitätsrecht von Neutralitätspolitik zu unterscheiden.

Konzepte und friedenspolitische Traditionen der Neutralität und Allianzfreiheit von Österreich, Irland, Schweden, Finnland, Malta und Zypern gewinnen im EU-Rahmen allerdings kaum gemeinsames Gewicht, um die militärische Entwicklung der EU infrage zu stellen. Friedenspolitische Ansätze (beispielsweise der Verbotsvertrag für Atomwaffen oder die Entminung in Syrien) bleiben mitunter nationalstaatlich verankert oder außerhalb des EU-Rahmens und führen in der EU zu keinen verbindlichen Schritten. Der Mehrwert der Neutralen für Abrüstung, aktive Friedensvermittlung oder eine prioritäre Stärkung der Zivilmacht EU bleibt im Rahmen der EU im Wesentlichen hinter seinen Möglichkeiten zurück (Roithner 2020, 62).

2.2 Internationale Organisationen

Helmut Kramer beschreibt als Ziel der Außenpolitik-Phase von 1945–1955 „in wichtige internationale Organisationen“ (Kramer 2006, 811) (allgemeines Zoll- und Handelsabkommen GATT, Internationaler Währungsfonds IWF, Weltbank sowie den Vereinten Nationen) aufgenommen zu werden. Österreich sollte seine Neutralität nach dem Vorbild der Schweiz entfalten und wurde – im Unterschied zur Schweiz – im Dezember 1955 Mitglied der UNO.

Österreich verwies in den 1970ern auf „eine produktive Kombination von Vertretung nationaler Interessen und der Erbringung positiver Leistungen für die internationale Gemeinschaft“ (Kramer 2016, 344). Von 1970–1983 wurde die Außenpolitik Österreichs unter Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) stärker global ausgerichtet, wenngleich die ersten Jahre dieser Phase besonders gesamteuropäischen Themen gewidmet wurden. Mit Finnland war Österreich an der Helsinki Schlussakte der KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit) im Jahr 1975 maßgeblich beteiligt. Im eigenen Interesse konnte das „Recht auf Neutralität“ in der KSZE-Schlussakte festgeschrieben werden (Gärtner 2016, 360).

In den Vereinten Nationen wurde Kurt Waldheim 1971 zum Generalsekretär gewählt und 1976 für eine neue Periode bestätigt. 1973/74 wirkte Österreich als nicht-ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat, was die starke Befassung mit den Konflikten im Nahen Osten oder Zypern mit sich brachte. Mehrere fact-finding-Missionen von Kreisky hatten das Ziel, zwischen Israel und den arabischen Staaten zu vermitteln und palästinensische Ansprüche zu beherzigen. Die Beziehungen von Bruno Kreisky zu Yassir Arafat und die Einladung von Muammar al-Gaddafi nach Wien sorgten für Spannungen mit den USA. Die intensive Debatte nach dem Hissen der israelischen Flagge auf dem Bundeskanzleramt im Jahr 2021 im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen hat eine Basis in diesen friedenspolitischen Initiativen der 1970er- und 1980er-Jahre und ihrer Verankerung in der Bevölkerung.

Weltpolitisch wurde die Phase der 1970er als „Höhepunkt der Aktivität und im politischen Ansehen Österreichs“ (Kramer 2006, 817) durch die Entspannung im Ost-West-Konflikt begünstigt. Zu Beginn der 1980er begannen sich die Gegensätze wieder zu verschärfen. Die Notwendigkeit der Friedensmärsche für nukleare Abrüstung am 15.5.1982 und am 22.10.1983 in Wien (Schönfeld 2002, 263 ff.) waren Ausdruck dieser zunehmenden Spannungen.

Als Bruch in dieser Phase muss festgestellt werden, „dass es ab Mitte der 1970er Jahre zu einer beträchtlichen Zunahme der österreichischen Waffenexporte in Diktaturen und Kriegsgebiete der Dritten Welt gekommen war“ (Kramer 2006, 820). Mit dem Argument der Sicherung von Arbeitsplätzen wurden in den 1970er-Jahren Waffen – insbesondere „Kürassier“-Panzer von Steyr-Daimler-Puch – in mehrere südamerikanische Länder geliefert. In den 1980ern sorgte der illegale Verkauf von Haubitzen der Voest-Tochter Noricum für einen Skandal (Stuiber 2016, 3). Es herrschte die Auffassung, dass die Neutralität nicht verletzt sein könne, wenn beide Kriegsparteien Iran und Irak mit Waffen versorgt werden. Nach dem Stockholm Internationale Peace Research Institute (SIPRI) lag Österreich in der Periode 1984–1988 an 14. Stelle der Waffenexporteure in Industriestaaten (Stuiber 2016, 3), wobei sich der Absatz in der folgenden Dekade stark reduzierte.

Mit dem Ende der Ära Kreisky kam es ab 1983 zu einer außenpolitischen Orientierung auf Europa. Damit ging eine „Abschwächung des politischen Profils Österreichs im Nahostkonflikt“ einher und die „Präsenz Österreichs in den Vereinten Nationen“ verringerte sich deutlich (Kramer 2006, 821). Die Neutralität wieder stärker auf ihren rechtlichen Kern zu fokussieren, ging auch mit einer Betonung des Militärs einher. Nikolaus Rottenberger (2013, 170) ordnet ein: „So trat Österreichs VN-Engagement mit dem Beitritt zur EU 1995 und der verstärkten Integration im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU deutlich in den Hintergrund.“

Verstärkte freiwillige Leistungen Österreichs für die UNO, ihre Sonderorganisationen und verwandte Organisationen würden das strategische Interesse unterstreichen, die UNO als global und integrierend wirkendes Forum und Entscheidungsgremium in Zeiten geopolitischer und geoökonomischer Machtübergänge zu unterstützen. Unabhängig davon, ob die Welt amerikanisiert, europäisiert oder sinisiert wird, braucht es breit akzeptierte Gestalter künftiger wetterfester Ordnungsstrukturen.

Im direkten Zusammenhang mit der Außen- und Sicherheitspolitik der EU ist auch in Österreich eine politische Distanz zur Notwenigkeit eines Mandats des UN-Sicherheitsrates für militärische Einsätze entstanden. Der völkerrechtswidrige Krieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien 1999 hat zur Intensivierung des Druckes aus den USA geführt, europäische militärische Eingreifkapazitäten zu schaffen. Der EU-Gipfel von Helsinki im Dezember 1999 hat Missionen in Aussicht gestellt, die „im Einklang mit den Grundsätzen der VN-Charta und den Prinzipien und Zielen der OSZE-Charta“ (EU Rat 1999) stehen. Der Völkerrechtler Manfred Rotter verdeutlicht, dass die EU hierbei „nicht ausdrücklich auf die UN-Satzung [verweist], sondern auf deren Prinzipien bzw. Grundsätze, was offenkundig weniger ist und auch sein soll, als eben die volle Satzung.“ (Rotter 2007, 190) Das EU-Parlament hatte die Distanz zu einem zwingenden UN-Mandat für Militäreinsätze mehrfach bekräftigt. Mögliche völkerrechtswidrige EU-Militäreinsätze wurden auch im Zuge Debatte der EU-„Battle Groups“ eingeräumt. Der EU-Rat hielt fest, es sind „Operationen vorstellbar (…), bei denen eine Resolution des UN-Sicherheitsrates nicht als notwendig erachtet wird (z. B. Evakuierung von EU-Bürgern)“ (EU Council 2009, 3).

Die aktuelle Sicherheitsstrategie Österreichs (Bundeskanzleramt Österreich 2003, 13) hat die Teilnahme am gesamten EU-Einsatzspektrum – einschließlich „Battle Groups“ – festgeschrieben und weder einen völkerrechtlichen noch einen neutralitätspolitischen Vorbehalt geltend gemacht. Diese vorbehaltlose Unterstützung hat ihren rechtlichen Ursprung in einer politischen Uneinigkeit in den späten 1990er zwischen SPÖ und ÖVP über einen NATO-Beitritt. Aus dem Nein der SPÖ und dem Ja der ÖVP zur NATO resultierte eine weitreichende Unterstützung für die militärische Entwicklung der EU. Der Verfassungsartikel 23f aus dem Jahr 1998 – heute Artikel 23j – regelt die Mitwirkung Österreich an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, darunter auch Kampfeinsätze. Aus den Erläuterungen geht hervor, dies gilt „auch für den Fall, dass eine solche Maßnahme nicht in Durchführung eines Beschlusses des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ergriffen wird (Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen)“ (Kostelka und Kohl 1998). Über die derogative Kraft des Verfassungsartikels im Hinblick auf die Neutralität herrschen unterschiedliche Auffassungen vor. Bemerkenswert ist, dass dies bereits vor Beginn des Kosovo-Krieges 1999 seinen verfassungsrechtlichen Niederschlag in Österreich fand. Ursache und zugleich auch Folge war die Absenz einer außenpolitischen Strategie und innenpolitischen Uneinigkeit.

2.3 „Gute Dienste“, Amtssitz und Gastgeber

Unter „guten Diensten“ werden „diplomatische Aktivitäten einer neutralen und/oder dritten Partei in einem internationalen Konflikt (verstanden), die üblicherweise darauf beschränkt sind, Hilfeleistungen anzubieten, um Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bringen“ (Gärtner 2008, 95).

In der Phase von 1955–1970 konnten eine Reihe von internationalen Organisationen in Österreich angesiedelt werden. Dazu zählen u. a. die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) im Jahr 1957, die Organisation Erdölexportierender Länder (OPEC) im Jahr 1965 oder die Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO) 1967. Dass beispielsweise die IAEA immer wieder im globalen Rampenlicht steht (Irak-Krieg oder Friedensnobelpreis) wirft indirekt auch Licht auf den UN-Standort Wien. Es gelang vorzugsweise jene Organisationen anzusiedeln, die Frieden und Wohlstand nicht gegen andere erreichen wollen, sondern inkludierend wirkenFootnote 3.

Österreich konnte oftmals als Gastgeber von Verhandlung in Erscheinung treten. Wien war 1961 Schauplatz des Treffens zwischen Nikita Chruschtschow und John F. Kennedy. 1970–1972 fanden Gespräche über strategische Rüstungsbegrenzung (SALT I) in Wien statt. Ab 1973 wurden in Wien die Verhandlungen um die gegenseitige ausgewogene Truppenverminderungen (Mutual and Balanced Force Reductions, MBRF) begonnen. Besonders umstrittene Rüstungsfragen wurden aus der KSZE ausgeklammert und in der Wiener Hofburg parallel geführt.

Die Schaffung von Raum für Friedens- und Abrüstungsgespräche können als Kontinuum verstanden werden. In der jüngeren Geschichte liegt ein Zentrum der Aufmerksamkeit auf dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) zum Atomabkommen mit dem Iran. Neben Gesprächen zu Libyen, Syrien oder Ukraine (Schwarz 2016) verhandelten die Russische Förderation und die USA im Juni 2020 in Wien über den bilateralen Vertrag über strategische nukleare Rüstungsbegrenzung (NewSTART). Zivilgesellschaftliche Organisationen haben diese „guten Dienste“ immer wieder unterstützt und ein stärkeres inhaltliches Vermittlungsangebot Österreichs gefordert (Roithner 2020, 95).

Innenpolitisch haben sich die Regierungen der 2. Republik gerne in ihrer Funktion als Gastgeber, Amtssitz und Anbieter „guter Dienste“ dargestellt. Zumal wurde diese Funktion in der Debatte auch größer geschrieben als diese tatsächlich war. Heute beklagt Stefan Brocza (2021) eine Selbstinszenierung: „Außenpolitik ist allenfalls noch Tourismuswerbung für den Verhandlungsstandort Wien. Niemand fragt mehr, was man inhaltlich zum internationalen Spiel der Mächtigen beisteuern könnte“.

Der Weg vom Verhandlungsort und Gastgeber zum Brückenbauer und Vermittler ist fordernd. Dafür fehlen auch die Voraussetzungen, unter anderem eine Verstärkung der Expertise im Außenministerium und eine zu intensivierende Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Kapazitäten und der Zivilgesellschaft. Eine äquidistante Haltung zu Menschenrechten, Demokratie oder Medienfreiheit ist keinesfalls Voraussetzung für eine Vermittlungstätigkeit, wie die Beispiele Norwegen oder Katar belegen. In Österreich fehlten in der jüngeren Vergangenheit selbst für kleine „gute Dienste“ nicht selten die Mittel. Helmut Kramer, Gabriele Matzner and Peter Steyrer (2018) belegen dies u. a. durch die Personalentwicklung, die seit 1995 um beinahe ein Drittel verkleinert wurde. „Die Presseabteilungen wachsen also, aber in den wichtigen inhaltlichen Abteilungen wird die Personaldecke immer dünner.“ (Kramer 2017)

2.4 Außen- und Sicherheitspolitik der EU – Die Rolle Österreichs

Die neutralen Österreich, Schweden und Schweiz waren 1959 Gründungsmitglieder der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA). Außenpolitische Fragen wurden bis zu dieser Phase weitgehend im innenpolitischen Einvernehmen bearbeitet. Ob Österreichs Zukunft in der EG oder EFTA liegen sollte, war von Dissens geprägt (Kramer 2006, 815). 1989 wurden bei der EG Beitrittsverhandlungen beantragt und 1995 erfolgte der Beitritt.

Ab Beginn der 1990er entwickelte sich die Neutralität für wesentliche Teile des politischen Spektrums zunehmend offener von der Wegmarke – einem Hilfsmittel zur Kennzeichnung eines Pfades – zum sperrigen Marschgepäck. Der EG-Vertrag von Maastricht 1992 legt fest, dass die Entwicklung „zu gegebener Zeit zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte“. Deutlich war, dass so eine gemeinsame Verteidigung ohne Ausnahmeregelungen nicht nur mit dem Geist, sondern auch mit den Buchstaben des Neutralitätsgesetzes unvereinbar ist.

Mit dem EG-Beitritt wurde „der größte Paradigmenwechsel“ (Rottenberger 2013, 169) seit 1955 vollzogen. Die schrittweise Übertragung von nationalen Gestaltungsmöglichkeiten hat wesentliche friedenspolitische Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt. In Österreich ist besonders seit dem völkerrechtswidrigen Kosovo-Krieg der NATO – die EU hat diesen als „notwendig und gerechtfertigt“ (Salzburger Nachrichten, 1999) erklärt – die globale Dimension der Außen- und Friedenspolitik in wichtigen Teilen aus dem Blickfeld geraten. Zu stark orientierte sich Österreich an den von der EU gesetzten politischen Grenzen für eigenständiges Handeln. Eine gesellschaftliche Alphabetisierung zu EU-Kampfeinsätzen, Arten des EU-Militärbeistands, einem militärischen Kerneuropa, EU-finanzierten Rüstungsprojekten und Waffenexporten oder ständigen Truppenentsendungen hat auch aufgrund der Popularität der Neutralität über Jahre unzureichend stattgefunden.

Die SPÖ hatte in den späten 1990ern einen NATO-Beitritt abwenden können, jedoch durch das Lösen eines vorbehaltlosen sicherheitspolitischen EU-Tickets in den Folgejahren eine militärpolitische Dynamik ermöglicht, die bei einem NATO-Beitritt kaum höher hätte sein können. Besonders seit dem EU-Austrittsreferendum Großbritanniens sind militärische, rüstungsindustrielle, finanzielle und politische Verbindlichkeiten unterschiedlicher Intensität entstanden. Die in Österreich unbeliebte NATO und die EU haben sich zu kommunizierenden Gefäßen entwickelt.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angekündigt, dass die EU die „Sprache der Macht“ erlernen muss. Inklusiv wirkenden Organisationen wie der UNO und der OSZE werden im Vergleich zur Herausbildung EU-eigener Instrumente der Interessendurchsetzung zunehmend weniger Bedeutung einräumt. Institutioneller Pluralismus gerät so zur Nebensache, statt Handlungsmaxime zu bleiben. Dies verkleinert auch die Wirkung von Österreichs außenpolitischem Werkzeugkasten. Ein Allgemeinplatz ist, dass kein Staat Sicherheit alleine herstellen kann. Entscheidend ist, ob Kooperationen global inkludierend wirken und dem völkerrechtlichen Gewaltverbot dienen.

2.5 Zivile und militärische Auslandseinsätze

Ab Anfang der 1960er nahm Österreich an den UN-„peacekeeping-operations“ teil und war ein verlässlicher Truppensteller für UN-Einsätze. Die Österreichische Sicherheitsstrategie (BKA 2013, 23) hat heute die lagebedingte Entsendung von zumindest 1.100 Soldat*innen für Auslandseinsätze festgelegt. Das Kontingent des 1. Halbjahres 2021 betrug zwischen 850 und 900 Soldat*innen Österreichs und alle Einsätze verweisen auf eine UN-Mandatierung. In EU-Einsätzen (besonders Eufor-Althea) waren rund 37 % des Personals, 40 % waren unter NATO-Kommando (KFOR) und 23 % waren in UN- und OSZE-Einsätzen (besonders UNIFIL) aktiv (BMLV 2021).

Nicht nur Österreich, sondern auch andere EU-Staaten haben sich bei der Stellung von Personal für UN-peacekeeping-Einsätze im Vergleich zu vormaligen Dekaden weit zurückgezogen. Hintergrund sind die personelle und politische Stärkung von militärischen EU-Eingreifkapazitäten. Den Vereinten Nationen fällt dabei lediglich die Rolle als Mandatsgeber zu. So wurden 2021 von Österreich u. a. im Rahmen der Ertüchtigung von Sicherheitsapparaten in Mali 10 Personen im Rahmen der EU entsandt, jedoch nur 2–3 Personen für die UN-Mission MINUSMA zur Stabilisierung Malis (BMLV 2021).

Seit 2003 führte und führt die EU rund 40 Auslandseinsätze durch. Etwa ein Drittel sind Militäreinsätze und etwa 80 % des gesamten Personals in EU-Auslandseinsätzen sind Militärs (Roithner 2019, 98 ff.). Sie basieren bis dato auf Einstimmigkeit bzw. auf keinem Veto. Bei EU-Auslandseinsätzen wird jene Gemeinsamkeit sichtbar, die im politischen Bereich bei Flüchtlingen, der Konfliktlösung in Syrien und Libyen, der Anerkennung Palästinas, atomarer Abrüstung oder einer Haltung gegenüber China vermisst wird. Dabei wurden auch umstrittene EU-Militäreinsätze – zum Teil mit österreichischen Soldat*innen – operativ, beispielsweise Tschad, Mali, Kongo oder am Horn von Afrika. Das neutrale Österreich hat seit 2003 im EU-Vergleich überdurchschnittlich viele Militärs in EU-Einsätze entsandt. Zivilist*innen sind hauptsächlich Polizeikräfte (Roithner 2017, 55). Nationale Entscheidungen über Einsätze folgen nicht selten Bündnisloyalitäten.

Der Rückzug der österreichischen Truppen aus dem Golan und dessen Kommunikation hat bei den Vereinten Nationen die Erwartungsstabilität betreffend peacekeeping-Beiträgen beschädigt. Was von Expert*innen und vielen Kommentator*innen (u. a. Nowak et al., 2013) als Strategielosigkeit kritisiert wurde, kann auch als Strategiewechsel von UN-Truppen zu EU-Truppen interpretiert werden.

Nicht selten ist Außen- und Sicherheitspolitik eine Funktion aus innenpolitischen Befindlichkeiten. Die Regierungsparteien zeigten vor der Volksbefragung über das Wehrsystem im Jänner 2013 ein Lehrstück politischer Selbstbeschädigung (Roithner 2017, 93). Die Sozialdemokratie trat für ein Berufsheer ein und die Volkspartei warb für Wehrpflicht und Zivildienst. Beide Parteien hatten über Dekaden eine gegenteilige Position vertreten. Die Volksbefragung wurde zur Abstimmung über Katastrophenhilfe und ein auf dem Zivildienst basierenden Gesundheitssystem umfunktioniert, während die Sicherheitsstrategie bis zum Beschluss im Juli 2013 weitgehend unbeachtet im parlamentarischen Prozess lag. Die Kernfrage – das Warum und Wie eines Bundesheeres – blieb weitgehend unberührt.

Nach einer Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik vom Februar 2019 geben nur 4 % der Befragten an, der Einsatz militärischer Maßnahmen sei „sehr wichtig“ und für 21 % sind diese im EU-Kontext „eher wichtig“. Für 30 % ist dies „eher nicht wichtig“ und für 38 % „gar nicht wichtig“. 81 % der Befragten in Österreich unterstützen „humanitäre Maßnahmen“ und 77 % halten die „Unterstützung internationaler Organisationen wie der UNO und der OSZE“ für wichtig. 92 % wünschen sich, dass die EU beim Konfliktmanagement auf „diplomatische Maßnahmen“ setzt. Nach dieser Umfrage ist Österreichs Neutralität 80 % der Befragten entweder „sehr wichtig“ (56 %) oder „eher wichtig“ (24 %). (APA OTS 2019) Die von Österreich im Rahmen der EU verfolgte Sicherheitspolitik steht durchaus im Widerspruch zu obiger Willensbekundung.

Für die österreichische Auslandseinsatzpolitik soll an dieser Stelle ein dreiteiliger Vorschlag unterbreitet werden. Dieser umfasst ein Aufgabenfeld für 2000 Soldat*innen, staatlich zu entsendende Zivilist*innen im Rahmen internationaler Organisationen und Zivile Friedensfachkräfte. Hier wird vorgeschlagen, der UNO und der OSZE permanent 2000 Soldat*innen mit einem eindeutigen Mandat für Humanitäres, Beobachtung und Abrüstung zur Verfügung zu stellen (Roithner 2012). Das bedeutet beispielsweise Minenräumung, militärtechnisches Know-how zur Einhaltung des Chemiewaffenverbots oder des Atomwaffenverbotsvertrages (UN-Inspektionen). Österreich bezahlt und bildet die Kräfte aus, die UNO setzt diese mandatsgemäß und völkerrechtskonform ein. Der Bedarf an ständigen UN-Truppen ist gegeben, die Realisierung scheiterte bislang an nationalen Interessen der großen Militär- und Wirtschaftsmächte. Der Vorschlag stärkt das völkerrechtliche Gewaltverbot und den Multilateralismus. Parallel setzt sich Österreich für eine UN-Reform in Richtung ziviler Krisenprävention ein.

Für die Katastrophenhilfe braucht es keine Bewaffnung, sie wird zur Aufgabe eines einzurichtenden Technischen Hilfswerkes. Damit Online-Kriminelle nicht zum Flächenbrand werden, soll der Finger am Abzug vom Finger an der Tastatur so weit wie möglich entfernt sein und zur polizeilichen Aufgabe werden (Roithner 2017, 99). Der Rest der Armee und die Waffensysteme verlieren schrittweise ihre Bedeutung. Weil man nach Maßgabe von Alfred Nobel genau dafür – „die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere“ – einen Friedensnobelpreis erhalten soll.

Österreich sollte in jenen Bereichen Beiträge leisten, in denen die EU viel zu wenig Kapazitäten aufbringt. 80 % des gesamten Personals in EU-Einsätzen waren bislang Militärs und das zivile Personal ist seit zehn Jahren kontinuierlich rückläufig (Smit 2019, 4), während die zivilen Beiträge Österreichs zu EU-Auslandseinsätzen seit 2010 auf nahezu unverändert niedrigem Niveau bleiben. Österreich sollte – so der Vorschlag (Roithner 2019, 270 ff.) – 3000 zivile Kräfte im Rahmen von EU, OSZE und UNO entsendebereit halten und sich über Polizeikräfte hinaus für ein neues EU-Finanzierungsinstrument engagieren. Nichtstaatliche Friedensfachkräfte tragen ergänzend im Rahmen eines Zivilen Friedensdienstes – seine Prüfung findet sich im Regierungsprogramm 2020 (Bundeskanzleramt Österreich 2020, 129) – in einem Gemeinschaftswerk von Zivilgesellschaft und Staat zur Gewaltprävention und Friedensförderung in Krisen- und Konfliktgebieten bei. Über den Zivilen Friedensdienst werden mit spezifisch ausgebildeten und erfahrenen Friedensfachkräften lokale Partnerorganisationen unterstützt. Die Friedensfachkräfte arbeiten mit zivilen Methoden an den Ursachen, Verläufen und Folgen von Konflikten (Roithner 2020, 161 ff.).

2.6 Humanitäre Rüstungskontrolle und Friedenspolitik

Die Beispiele des Verbots von Antipersonenminen und Atomwaffen illustrieren die friedenspolitische Bedeutung der humanitär begründeten Politik auf nationaler und globaler Ebene. Österreich nahm zunächst beim Mine Ban Treaty – dem Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung („Ottawa Konvention“) – eine zentrale Rolle ein. Dies betraf nicht nur die Ausrichtung von Konferenzen in Wien, sondern auch die gewichtige Mitsprache am Prozess und Vertragsinhalt. Die humanitäre Dimension bildet einen Kerngedanken des österreichischen Ansatzes. Die Ottawa Konvention wurde 1997 angenommen und trat 1999 in Kraft. Heute ist diese von 164 Staaten ratifiziert und die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Antipersonenminen wurde 1997 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis von rund 60 Organisationen formierte sich zur „Österreichischen Kampagne gegen Personenminen“ (Pecha 2002, 18). 1995 konnte in Österreich eine weitreichende Zustimmung im Hinblick auf ein umfassendes nationales Verbotsgesetz von Antipersonenminen erreicht werden (Renoldner 2007, 101) und Anfang 1997 in Kraft treten. Einzelnen Diplomat*innen wurde ein außerordentliches und persönliches Engagement und politisches Geschick attestiert (Pecha 2002, 19). Bestimmend im Verhältnis zwischen staatlichen Akteuren und NGOs war eine gemeinsame humanitäre Grundhaltung.

Die neutralen Staaten Europas waren stets Impulsgeber für atomare Abrüstung und Rüstungskontrolle. In Österreich ist auch die zivile Nutzung von Kernenergie seit jeher hochgradig unpopulär. Atomwaffen waren ein wichtiger Grund, warum in der Bevölkerung der in den 1990ern debattierte NATO-Beitritt keine Zustimmung genoss. Die Friedensbewegung (Pecha 2002, 23) befürchtete 1999 nach dem NATO-Beitritt Ungarns, dass Atomwaffen durch Österreich transportiert werden könnten. Die gestartete Petition führte in einem Allparteienantrag zum „Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich“ (Republik Österreich 1999). Atomwaffen dürfen demnach „nicht hergestellt, gelagert, transportiert, getestet oder verwendet werden.“ Auch die zivile Nutzung ist per Verfassungsgesetz untersagt.

Dass die medizinischen, sozialen, wirtschaftlichen oder ökologischen Folgen eines Atomwaffeneinsatzes unkontrollierbar sind, führte zur Ansicht, dass diese verboten werden müssen. Menschliche Sicherheit gewann im Vergleich zum nationalstaatlichen Sicherheitsinteresse an Aufmerksamkeit und wurde in dieser Frage zu einem ganz wesentlichen Bestimmungsmerkmal für Sicherheit. Österreich hat den seit den 1990ern international intensivierten Diskurs über „human security“ aufgenommen und in gesamtstaatlichen und internationalen Kooperationen erfolgreich zu vertraglichen Ausgestaltungen gebracht. Diplomatische, wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche Debatten ergänzten sich. Der humanitär begründete Ansatz zur Rüstungskontrolle und Abrüstung geht mit einer Demokratisierung der internationalen Politik einher: Nicht nur der UN-Sicherheitsrat oder die Rüstungsproduzenten und -besitzer geben den Ton an, sondern die breite Mehrheit der Staaten in der UN-Generalversammlung setzt Völkerrecht. Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) wurde 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Das Eintreten für nukleare Abrüstung kann als zentralste friedenspolitische Idee der 2. Republik betrachtet werden. Innenpolitisch konnten sich die Außenminister*innen auf eine äußerst atomwaffenkritische Haltung der Bevölkerung stützen. Flankiert wird Österreichs Engagement für den Verbotsvertrag durch eine aktive Amtssitzpolitik (z. B. IAEA, CTBT PrepCom) und als Gastgeber von Verhandlungen (z. B. JCPOA, NewSTART). Die Neutralität erweist sich – sofern sie für aktive Friedenspolitik klug genützt wird – mehr als nur eine Nichtmitgliedschaft in der NATO.

Unzweifelhaft ist, dass Österreich im zentralen außenpolitischen Spielfeld – der EU – beinahe keine Bündnispartner*innen für dieses globalpolitisch breit unterstützte Ziel gefunden hat. 21 der 27 EU-Mitglieder gehören auch der NATO an. Bislang haben in der EU nur die Neutralen Österreich, Irland und Malta den im Juli 2017 angenommenen und am 22.1.2021 in Kraft getretenen Atomwaffenverbotsvertrag ratifiziert. Auch bei der deutlichen Positionierung gegen tödliche autonome Waffensysteme vertritt Österreich in der EU eine Minderheitenposition.

Außenpolitische Fragen sind in Österreich auch außerhalb der Pandemie nicht im Rampenlicht. Das Inkrafttreten des Verbotsvertrages wurde weder parteipolitisch noch medial besonders gewürdigt. Lediglich ein Video des Außenministeriums, welches die humanitären Folgen eines fiktiven Abwurfes einer Atombombe über Wien veranschaulichen sollte (Senn 2021), führte zu massiver Kritik: Es sei unverantwortlich, den von der Pandemie psychisch so belasteten Menschen auch noch Angst vor einem Atombombenabwurf zu machen, so politische Mitbewerber*innen und Kommentator*innen. Das außenpolitische Leuchtturmprojekt wurde zum innenpolitischen Irrlicht.

3 Resümee – Von der Friedens- zur Sicherheitslogik?

„Wer Frieden will, muss sich rüsten“, legte die Hohe Vertreterin für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Catherine Ashton, dar (Der Standard, 2013). Seither verstärkte sich das Denkgebäude, EU-Sicherheit auch mit Waffeneinsatz und Waffenexport herzustellen, Sicherheit durch Bündnisloyalität zu erzielen oder EU-Truppen zum alltäglichen Instrument zu erheben. Ernst-Otto Czempiels grundlegendstes Definitionsmerkmal des Friedensbegriffs – dass „Konflikte kontinuierlich ohne die Anwendung organisierter militärischer Gewalt bearbeitet werden“ – zieht den aus der Denkschule des Realismus stammenden Schluss von Catherine Ashton in Zweifel.

Zeitlich gleichlaufend entwickelten sich humanitär begründete völkerrechtliche Verträge zur Abrüstung und Rüstungskontrolle mit besonders starker österreichischer Prägung. Im Grundprinzip unterscheiden sich die beiden Außenpolitikfelder im Sicherheitsdenken, der Zielsetzung, der zum Einsatz gelangenden Instrumente, Institutionen und Prozesse weitgehend. Der menschliche Sicherheitsbegriff mit globaler Prägung konnte gerade zur Zeit des Inkrafttretens des Atomwaffenverbotsvertrages im Jänner 2021 unter den Folgen der Corona-Pandemie gut verstanden werden. Die Gemeinsamkeit der beiden friedens- und sicherheitspolitischen Felder liegt in einer mangelnden öffentlichen Debatte.

Auch in Österreich ist besonders seit 2015 eine (zeitlich befristete) Verschiebung von Aufgaben in Richtung Armee zu beobachten. Das Heer tritt gegen Schlepper auf, bewacht Botschaften oder zieht Kompetenzen im Cyberbereich an sich. Armeeflugzeuge schoben Geflüchtete ab, deren Fahrzeuge transportierten Häftlinge und knappe Polizei-Ressourcen ließen die Armee sogar gewöhnliche Kriminelle im Inland suchen (Roithner 2019, 48 f.). Im Zuge der Pandemie nahmen Soldat*innen vielfältigste Aufgaben wahr. Immer wieder wurden in Österreich in den letzten Jahren Herausforderungen zu besonderen Gefährdungen erklärt und damit Maßnahmen außerhalb des gewohnten Rahmens legitimiert. Zivile Politikbereiche wurden „versicherheitlicht“. Deutlich wird, dass Ursachen, Folgen, Zuständigkeiten und Bearbeitungsmöglichkeiten vermischt und auf Militärisches fokussiert werden. Achtsamkeit ist geboten, dass Assistenzfunktionen der Armee nicht schleichend zu vermehrter Zuständigkeit umgedeutet und entsprechend finanziert werden.

In der Periode von 2016–2020 hat Österreich jedes Jahr konventionelle Waffen oder Militärgüter an durchschnittlich 100 Staaten exportiert. Über die Periode der letzten 5 Jahre waren die USA, Schweiz und Deutschland die Hauptempfänger. Zu den Empfängern gehören – durchgängig in allen 5 Jahren, wenn auch mit zum Teil deutlich geringeren Beträgen – Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, die Ukraine, Katar oder die Türkei. Zumindest in 2 Jahren des Beobachtungszeitraums werden Exporte an beispielsweise Ägypten, Kolumbien, Aserbaidschan, Mexiko oder Nigeria gelistet (Coarm 2021). Heute zählen nicht nur Handfeuerwaffen, militärische Fahrzeuge oder Munition, sondern auch Produkte wie Drohnen oder Simulatoren zu den exportierten Erzeugnissen. Seit 2015 wurden vom Rüstungs- und Sicherheitssektor Österreichs auch entsprechende Waren an Länder geliefert, die zur Militärallianz im Jemen-Krieg gehören (Addendum 2018). In der Wirtschaftskammer beziffert man die österreichischen Unternehmen im Rüstungs- und Sicherheitssektor heute auf rund 130 und belegt Wachstumsraten von 28 % in den letzten 5 Jahren (Marak 2020, 44). Nach der Rechercheplattform Addendum (2018) stellen in Österreich 17 Unternehmen Waffen und Munition her. Ein Ansatzpunkt für mehr Transparenz wäre ein detaillierter österreichischer Rüstungsexportbericht, wie ihn etwa die deutsche Bundesregierung zur Vorlage im Bundestag erstelltFootnote 4.

Außen- und Sicherheitspolitik soll gemäß EU-Verträgen „im Geiste der Loyalität und der gegenseitigen Solidarität“ organisiert werden. Dieser Geist darf eigenständige friedenspolitische Initiativen und Kooperationen nicht aus der Debatte verdrängen. EU-Mehrheitsbeschlüsse in der Außen- und Sicherheitspolitik würden friedenspolitische Minderheitenpositionen nicht begünstigen. Mangelndes Interesse einzelner Akteure an zivilen Instrumenten dürfen Weiterentwicklungen nicht zum Erliegen bringen. Österreichs Regierungsprogramm (2020) hat den Vorschlag aufgegriffen (Roithner 2017, 56), sich für Projekte zur zivilen Krisenprävention und Konfliktlösung auch im Rahmen der permanenten strukturierten Zusammenarbeit der EU (PESCO) zu engagieren. Die friedenspolitischen Aufgaben sollten die Partner bestimmen und weniger die Partner die Aufgaben.

Ernst-Otto Czempiel definiert „die Gewaltfreiheit unterstützende Wirkung des Handels“ als wesentliche Komponente des Friedensbegriffes. Gerecht wirkende globale Handelsbeziehungen zählen ebenso dazu wie eine Politik, die auch in Finanzkrisen den sozialen und inneren Frieden unter den EU-Staaten nicht gefährdet. Der Export von österreichischen Waffen und Rüstungslizenzen in Länder, die in Kriege verwickelt sind oder Menschenrechtsverletzungen begehen, zeigt, dass Menschenrechte und Wirtschaftsinteressen oftmals unvereinbar sind. Eine umfassende Sichtweise prüft auch, wie Klima-, Wirtschafts-, Agrar- oder Migrationspolitik zu mehr Friedensförderungen beitragen können. Weil Frieden mehr als nur die Abwesenheit von Krieg ist.

Weiterführende Quellen

Bundesministerium für Landesverteidigung. 2021. Sicher. Und morgen? Sicherheitspolitische Jahresvorschau 2021, Wien: Direktion für Sicherheitspolitik.

Jährlich erscheinende Publikation zum Risikobild für Österreich, globalstrategischen Trends und einem EU-Schwerpunkt. Überwiegend aus militärischer Perspektive verfasst.

Heidegger, Klaus, und Peter Steyrer. 1997. NATO-Streit in Österreich. Handbuch zur Neutralität und Sicherheitspolitik, Wien: Thaur.

Friedens- und neutralitätspolitische (die trotz und wegen des Erscheinungsjahres wertvolle Argumente über friedensfähige Sicherheitssysteme und das internationale Gewaltverbot bietet.

Roithner, Thomas, Johann Frank, und Eva Huber. Hrsg. 2013. Wieviel Sicherheit braucht der Friede? Zivile und militärische Näherungen zur österreichischen Sicherheitsstrategie, Wien; Berlin: Lit.

Pluralistischer Sammelband über Österreichs Beitrag zur europäischen und globalen Sicherheit sowie zur Auslandseinsatzpolitik. Aufsätze aus Militärwissenschaft, Friedensforschung und Zivilgesellschaft.