Zusammenfassung
In dem Beitrag werden Neuartigkeit, Intentionalität, Verbreitung und Verstetigung sowie positive gesellschaftliche Folgen als konstituierende Merkmale sozialer Innovationen diskutiert. Dabei wird deutlich, dass inhaltliche und begriffliche Unschärfen bei sozialen Innovationen weniger konzeptionellen Schwächen geschuldet sind, als vielmehr in der Natur der Sache liegen. Neuartigkeit, Intentionalität, Verbreitung und die gesellschaftlichen Folgen von sozialen Innovationen beziehen sich zwar auf empirisch erfassbare, objektivierbare Veränderungen. Ob es sich dabei um eine soziale Innovation handelt, hängt jedoch auch von einer wertenden Einschätzung ab, die in einem bestimmten Kontext, zu einem bestimmen Zeitpunkt und aus einer bestimmten Perspektive heraus vorgenommen wird. Soziale Innovationen sind ein relationales Konzept, deren Neu- und Andersartigkeit, Intentionalität und Verbreitungsgrad erst im Abgleich mit einem ebenfalls in Bewegung befindlichen Kontext ersichtlich wird. Als zentral erweist sich die Frage, anhand welcher Wertmaßstäbe entschieden wird, inwiefern die Veränderung auch eine Verbesserung darstellt. Erst die Bezugnahme auf ökonomische, politische oder künstlerische Wertmaßstäbe erlaubt es, eine Neuerung als ökonomische, politische oder künstlerische Innovation zu bezeichnen. Soziale Innovationen erweisen sich somit, wie Innovationen generell, als ein normatives Konzept.
Teile des Artikels sind dem Studienbrief „Soziale Innovation und gesellschaftliche Entwicklung“ entnommen, den ich zusammen mit Heiko Berner für den Masterstudiengang „Innovation und Zukunftsforschung“ der SRH Fernhochschule verfasst habe. Die entsprechenden Passagen sind von mir verfasst. Ich danke der SRH Fernhochschule für die Freigabe der Inhalte für diese Veröffentlichung.
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Notes
- 1.
Dies gilt zumindest in den für soziale Zusammenhänge relevanten Bereichen fernab von schwarzen Löchern und anderen Gravitationszentren, die mit der Newton’schen Physik hinreichend genau beschrieben sind.
- 2.
Siehe hierzu den Beitrag von Heiko Berner in diesem Band.
- 3.
Rogers (2003, S. 13) spricht hier von „idea-only innovations“.
- 4.
Siehe hierzu den Beitrag von Claudia Göbel und Justus Henke in diesem Band.
- 5.
Mulgan bringt diesen Doppelbezug zum Sozialen zum Ausdruck, indem er soziale Innovationen als Innovationen bezeichnet, „that are social both in their ends and in their means“ (Mulgan, 2012, S. 35).
- 6.
Die getrennte Abhandlung der zeitlichen und sachlichen Dimension macht deutlich, dass Rammert den Zusammenhang zwischen zeitlicher Neuartigkeit und sachlicher Andersartigkeit verkennt, wie er in Abschn. 2.1 diskutiert wurde. Dies wird auch daran ersichtlich, dass Rammert in der Beschreibung der durch eine Innovation ausgelösten sachlichen Unterschiede auf Vokabeln der zeitlichen Differenzierung (neu – alt) zurückgreift.
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Schüll, E. (2022). Zur Normativität sozialer Innovationen. In: Schüll, E., Berner, H., Kolbinger, M.L., Pausch, M. (eds) Soziale Innovation im Kontext. Zukunft und Forschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37221-7_2
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