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1 Polizei und Rassismus als Gegenstand zivilgesellschaftlicher Auseinandersetzung

Wo die Polizei zum Bezugspunkt von Protest und zivilgesellschaftlicher Auseinandersetzung wird, kann dies im Hinblick auf eine Vielzahl von Problemwahrnehmungen geschehen. Stets geht es dabei um Verhalten, das insgesamt oder in selektiver Weise als unangemessen, illegitim, gegen Grund- und Freiheitsrechte verstoßend und unfair erlebt wird. Dazu gehören polizeiliche Überwachung und Kontrolle und die als damit einhergehend wahrgenommene Beschränkung individueller Freiheiten, Übermaß und Unverhältnismäßigkeit polizeilichen Handelns, insbesondere in Bezug auf die Ausübung von Zwang und Gewalt, polizeiliche Unfairness im Sinne perzipierter prozeduraler UngerechtigkeitFootnote 1 und nicht zuletzt als rassistisch wahrgenommene Handlungsmuster und Einstellungen.Footnote 2 Polizeilicher Rassismus auf der Handlungsebene lässt sich als die Gesamtheit von Prozessen verstehen, durch die bestimmte soziale Gruppen und deren Angehörige stigmatisiert, selektiv kriminalisiert, schikaniert oder in anderer Weise diskriminierend behandelt werden.Footnote 3

2 „Black Lives Matter“ – Entstehung und Entwicklung zivilgesellschaftlichen Widerstands in den Vereinigten Staaten und international

Die zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rassismus und Diskriminierung in Deutschland kann nicht losgelöst von internationalem Protest, insbesondere in den USA, verstanden werden. Kritik an polizeilicher Brutalität, exzessiver Gewalt und Machtmissbrauch ist in den USA regelmäßig verknüpft mit der Thematisierung rassistischer Einstellungen und rassistischer Praxis. Fälle der Tötung unbewaffneter People of Color (PoC) durch die Polizei wie diejenigen von Eric Garner (2014), Michael Brown (2014) und George Floyd (2020) haben – auch in Kombination mit selektiver polizeilicher Milde gegenüber WeißenFootnote 4 – zum Aufstieg der Black Lives Matter-Bewegung beigetragen.Footnote 5 Bereits 1991/1992 hatte Gewalt von Beamten des LAPD gegen Rodney King sowie die Nichtsanktionierung der Täter zu Protesten und Unruhen geführt.Footnote 6 Die Geschichte der Auseinandersetzung mit Polizeigewalt und Rassismus in den USA reicht mindestens bis in die Zeit der Bürgerrechtsbewegung zurück.Footnote 7 Offener Rassismus wurde lange Zeit offiziell toleriert und zum Teil gefördert; die Polizei sei ein Hort rassistischer Einstellungen und ein Instrument zur Sicherung Weißer Hegemonie gewesen.Footnote 8 „What would be identified today as unconscionable racial profiling would have been an accepted and expected strategy of policing in many areas of the country, even as late as the 1960 s.“Footnote 9 Roscigno und Preito-Hodge kommen auf Basis von General Social Survey-Daten der Jahre 1986–2018 zu dem Schluss, dass Polizist:innen, insbesondere männliche Weiße, konstant rassistische Positionen stärker unterstützen als die Allgemeinbevölkerung.Footnote 10

Die Black Lives Matter-Bewegung (BLM) entstand 2012/2013, u. a. als Reaktion auf den Freispruch des Todesschützen im Fall des 17-jährigen Trayvon Martin (Sanford/Fl.). „Three young black women started using #BlackLivesMatter on social media as a call to action to protest this decision and, subsequently, spontaneous demonstrations took place across the country. The hashtag was quickly adopted by other like-minded young activists and soon there were numerous loosely formed groups that held demonstrations in reaction to the numerous and frequent police shootings of unarmed African Americans and the deaths of African Americans while in police custody.“Footnote 11 BLM wird als eine Bewegung charakterisiert, deren Schwerpunkt Gerechtigkeitsdefizite auf der Grundlage rassistischer Zuschreibungen insbesondere im Bereich der Strafverfolgung sind, die sich zugleich durch einen starken Fokus auf Intersektionalität (i. S. der Berücksichtigung multipler diskriminierungsrelevanter Merkmale) auszeichnet.Footnote 12 BLM betrachtet Strafverfolgung und polizeiliche Praxis in den USA als Instrumente rassistisch motivierter Unterdrückung, durch die insbesondere Prinzipien prozeduraler Fairness systematisch verletzt werden und nimmt dabei nicht in erster Linie den einzelnen Funktionsträger, sondern das System in den Blick.

In jüngster Zeit entwickelte sich, z. T. aus BLM heraus, eine „Defund-the-Police“-BewegungFootnote 13, deren Grundgedanke der des Umschichtens von Ressourcen von „Police“ zu „Community“, d. h. zu sozialen Diensten und einer in der Zivilgesellschaft verankerten Prävention ist. Teilweise werden auch weitergehende Positionen eines „Polizei-Abolitionismus“ vertreten.Footnote 14 In einigen US-Großstädten (siehe Abschn. 3.3) wurden 2020/2021 Entscheidungen getroffen, die polizeiliche Ressourcen reduzieren, für soziale und zivilgesellschaftliche Aktivitäten verfügbar machen und insofern als partielle Umsetzung des „Defund“-Gedankens gelesen werden können.

Eine (zivil-)gesellschaftliche Auseinandersetzung mit polizeilichem Rassismus ist in Europa u. a. im UKFootnote 15, in FrankreichFootnote 16 und in den NiederlandenFootnote 17 zu verzeichnen. In allen drei Ländern kann dies auch vor dem Hintergrund der Geschichte als „Kolonialmächte“ gesehen werden (etwa, wenn in den Niederlanden der durch Polizeikräfte verursachte Tod eines von den ehemaligen Niederländischen Antillen stammenden Mannes zum Bezugspunkt von Protesten gemacht wirdFootnote 18). In Frankreich reichten sechs NGOS, unter ihnen Amnesty International und Human Rights Watch, eine Sammelklage gegen Ethnic Profiling und diskriminierendes Polizeihandeln ein.Footnote 19 SOS Racisme engagiert sich für die Verbesserung der Beziehungen zwischen Polizei und Bevölkerung und macht dabei weniger die ethnische als die soziale bzw. sozialräumliche Herkunft zum Bezugspunkt von Diskriminierung.Footnote 20 Im UK attestierte in den 1990er Jahren – initiiert durch den polizeilichen Umgang mit dem rassistischen Mord an Stephen Lawrence 1993 – der Macpherson Report der Metropolitan Police institutionellen Rassismus.Footnote 21 Obwohl die Zahl der im UK durch die Polizei getöteten Menschen (nach dem Ende der „Troubles“ in Nordirland) eher gering ist, haben immer wieder Fälle wie diejenigen von de Menezes im Jahr 2005 oder Duggan 2011 zu Protesten und Rassismusvorwürfen geführt. Zugleich gibt es hier eine von der Wissenschaft mitgetragene Tradition kritischer Auseinandersetzung mit selektiver Kontrollpraxis, die wiederholt gezeigt hat, dass Angehörige ethnischer Minderheiten in diskriminierender Weise kontrolliert werden.Footnote 22

3 Zivilgesellschaftliche Praxis im Themenfeld Polizei und Rassismus im deutschsprachigen Raum

3.1 Entstehung und Entwicklung

Im Vergleich mit den USA haben hierzulande tödlich verlaufene Fälle von Polizeigewalt eine geringere Rolle für die Genese zivilgesellschaftlicher Auseinandersetzung mit Polizei und Rassismus gespielt. Die jährliche Zahl durch die Polizei getöteter Menschen lag in Deutschland nach 2000 stets unter 20 und meist im einstelligen BereichFootnote 23, während in den USA etwa im Jahr 2020 nach Daten der Police Shootings DatabaseFootnote 24 988 Personen durch Polizeischüsse ums Leben kamen (für junge – insbesondere nichtweiße – Männer damit eine der führenden TodesursachenFootnote 25).

Der vorliegende Text konzentriert sich im Folgenden auf aktuellere Entwicklungen in Deutschland etwa seit der Jahrtausendwende. Es sei kurz darauf hingewiesen, dass zivilgesellschaftliches Engagement in dem hier behandelten Themenfeld durchaus auch hierzulande auf eine längere Tradition zurückblickt. Spätestens mit der unter der Chiffre „68er“ zusammengefassten Protestbewegung wurde auch das Thema selektiver Ausübung der umfassend kritisierten staatlichen Überwachung und Repression zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung (mit der Polizei als zwar nicht einzigem aber besonders relevantem und sichtbarem Bezugspunkt); in diesem Zusammenhang lassen sich etwa die sogenannten „Black-Panther-Solidaritätskomitees“ nennenFootnote 26. Zudem gibt es auch in Deutschland eine Jahrzehnte zurückreichende Linie des „Schwarzen Antirassismus“, der vor allem seit den 1980er Jahren auch organisierte Formen annahm (etwa in Form der „Initiative Schwarze Deutsche“ als Vorläufer der heutigen „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“).Footnote 27

In Deutschland haben sich zivilgesellschaftliche Initiativen vor allem in der Befassung mit diskriminierender Polizeipraxis entwickelt. Dies betrifft insbesondere als Racial Profiling charakterisierte Verfahrensweisen. Racial Profiling wurde von der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) definiert als „the use by the police, with no objective and reasonable justification, of grounds such as race, colour, language, religion, nationality or national or ethnic origin in control, surveillance or investigation activities“Footnote 28. Herrnkind verweist auf die Vielgestaltigkeit von Racial Profiling, das sich u. a. in selektiv durchgeführten Personen- und Fahrzeugkontrollen, an Gruppenmerkmalen orientierter Rasterfahndung, (Sonder-)Datenerfassungen mit Gruppenbezug und in Ermittlungsstrategien und -taktiken manifestieren kann, in denen rassistische Kategorisierungen deutlich werden.Footnote 29 Prototypische Erscheinungsform von Racial Profiling sind verdachtsunabhängige Kontrollen, bei denen gruppenbezogene Merkmale ausschlaggebend für Zustandekommen und Art der Durchführung der Kontrolle sind. Verdachtsunabhängige Kontrollen sind nach dem Bundespolizeigesetz und auch nach Länderrecht grundsätzlich zulässig, insbesondere, wenn sie in polizeirechtlichen Sonderzonen stattfinden, die – je nach Diktion – z. B. zu „Gefahrengebieten“, „kriminalitätsbelasteten Orten“ oder „Kriminalitätsbrennpunkten“ erklärt worden sind. Sie bieten in besonderem Maße Spielraum für eine an Gruppenmerkmalen festgemachte Kontrollpraxis.Footnote 30 In Bezug auf verdachtsunabhängige Kontrollen in Zügen und Bahnhöfen durch Beamt:innen der Bundespolizei stimmen mehrere obergerichtliche EntscheidungenFootnote 31 darin überein, dass Kontrollen in Anknüpfung an die Hautfarbe der Kontrollierten auch dann unzulässig sind, wenn dieses Kriterium für die Kontrollentscheidung nur eines unter mehreren war. Auseinandersetzungen um Racial Profiling knüpften sich in besonderem Maße auch an die „Kölner Silvesternacht 2016“, als – nach sexuellen Übergriffen im Umfeld des Kölner Hauptbahnhofs an Silvester 2015 – die Polizei insbesondere junge Männer aufgrund ihrer wahrgenommenen „nordafrikanischen“ Herkunft kontrollierte (und öffentlich wahrnehmbar als „Nafris“ bezeichnete).Footnote 32

Daneben sind Erfahrungen mit der polizeilichen Bearbeitung von Fällen gegen Migrant:innen gerichteter Gewalt Ausgangspunkte für eine Auseinandersetzung mit polizeilichem Rassismus.Footnote 33 Insbesondere stellt der NSU-Tatkomplex, dessen rechtsextremistische Orientierung lange nicht (hinreichend) wahrgenommen wurde, bei dem vielmehr hartnäckig nach Verdächtigen in migrantischen Populationen gesucht wurde, einen Bezugspunkt von Kritik an „strukturellem Rassismus“ in der Polizei dar.Footnote 34 Auch im Kontext anderer Straftaten, wie etwa des Anschlags in Hanau 2020, werden Klagen über mangelnde polizeiliche Sensibilität gegenüber migrantischen Opfern und daraus entstehende Störungen des Vertrauens in Staat und Sicherheitsbehörden laut.Footnote 35 Neueste Erkenntnisse zu rechtsextremistischen Einstellungen von Mitgliedern des SEK Frankfurt, welche in Hanau in der Tatnacht im Einsatz waren, verdeutlichen eine wohl noch weiterreichende Dimension des strukturellen Problems.Footnote 36 Im Kontext diskriminierender polizeilicher Praktiken ist also nicht zuletzt auch das Phänomen sekundärer Viktimisierung zu beachten, welche etwa in Form geringeren Verständnisses für migrantisch gelesene Opfer und Zeug:innen (im Extremfall bis hin zur Täter-Opfer-Umkehr) beziehungsweise einer weniger effektiven Bearbeitung schwerwiegender (z. B. politisch motivierter) Straftaten zum Schaden migrantisch gelesener Bevölkerungsteile thematisiert wird.Footnote 37

Zugleich ist Polizeigewalt als Bezugspunkt zivilgesellschaftlicher Auseinandersetzung auch in Deutschland von Bedeutung. Diesbezüglich kommt dem Tod von Oury Jalloh besondere Bedeutung zu. Jalloh, ein geduldeter Asylsuchender, verbrannte 2005 in Polizeigewahrsam.Footnote 38 Die Todesumstände waren Gegenstand zahlreicher Verfahren und UntersuchungenFootnote 39 und die Versionen der Geschehensabläufe reichen von einer Selbsttötung bis zum Mord zur Verdeckung vorangegangener polizeilicher Misshandlungen. Todesfälle in Polizei- und Justizgewahrsam – wie z. B. der ungeklärte Tod von Amed Ahmad in der JVA Kleve 2018, ebenfalls infolge eines Zellenbrandes – werden von der Initiative Death in Custody online dokumentiert.Footnote 40

3.2 Akteur:innen, Inhalte, Ansätze

In Deutschland hat sich in jüngerer Zeit eine heterogene „Landschaft“ zivilgesellschaftlicher Organisationen und Initiativen entwickelt, die polizeilichen Rassismus und entsprechende Praktiken sowie deren Auswirkungen auf die betroffenen Gruppen zum Thema machen. Diese Akteur:innen sind in unterschiedlichen Feldern zivilgesellschaftlicher Arbeit verankert und unterscheiden sich hinsichtlich der von ihnen vertretenen Standpunkte und Inhalte im Themenfeld Rassismus und Polizei sowie der gewählten Ansätze, Ansatzpunkte und Aktionsformen, des geografischen Betätigungsfelds und der ihn ihnen organisierten Akteur:innen und deren Vernetzung. Es handelt sich also um keinen monolithischen Block, sondern um eigenständige (wenn auch vielfältig vernetzte) Akteur:innen mit je eigenen Inhalten und Herangehensweisen. Die im Folgenden namentlich genannten Organisationen und Initiativen stellen einen Ausschnitt aus dieser vielfältigen Landschaft dar, der die Bandbreite an Akteur:innen und Ansätzen illustriert.

Das Spektrum reicht von Initiativen, deren Fokus vorwiegend bis exklusiv auf der Auseinandersetzung mit Diskriminierung von als nicht-weiß gelesenen Menschen durch (Funktionsträger:innen von) Polizeibehörden liegt, über Organisationen, die sich umfassend mit Antidiskriminierung, Gleichbehandlung, Teilhabe, Vertretung von betroffenen Bevölkerungsteilen beschäftigen, bis zu solchen mit einem breiten allgemeinen Menschenrechtsansatz und darauf gründender Befassung auch mit den hier behandelten Themen und Interessen.

So steht die Auseinandersetzung mit Polizeigewalt und mit rassistischen Haltungen und Praktiken in der Polizei bereits seit längerem auf der Agenda auch in Deutschland aktiver internationaler Menschenrechtsorganisationen. In den Jahren 2010 bis 2012 führte etwa Amnesty International eine Kampagne gegen rechtswidrige Polizeigewalt, ausgehend von dem Bericht „Täter unbekannt“. In diesem Bericht erhob Amnesty u. a. die Forderung nach spezifischen „Auswahl-, Ausbildungs- und Kontrollprogrammen für Beamte mit Polizeibefugnissen und […] im Strafvollzug tätige Beamte, um eine Vermeidung rassistischen oder diskriminierenden Verhaltens zu gewährleisten, sowie eine Einbeziehung antirassistischer Konzepte als grundlegende Elemente bei der Ausbildung dieser Beamten. […]. Spezifische Polizeieinsatzstrategien sollten darauf geprüft werden, sicherzustellen, dass keine Gruppen rassistisch oder aufgrund ihrer Hautfarbe, Herkunft beziehungsweise ihres nationalen Ursprungs oder ihrer ethnischen Abstammung diskriminiert werden.“Footnote 41 Den letztgenannten Aspekt aufgreifend und spezifizierend, veröffentlichte Amnesty 2014 ein „Positionspapier zu menschenrechtswidrigen Personenkontrollen“Footnote 42. Antirassismus-Trainings als fester Teil von Aus- und Fortbildung sollen Wandel innerhalb der Institution befördern und Polizist:innen befähigen, die eigene Rolle und eigenes Handeln zu reflektieren, um Fehlverhalten zu vermeiden, rassistisch motivierte Gewalt effektiv zu verfolgen und angemessen mit betroffenen Menschen umzugehen.Footnote 43 Auch Human Rights Watch ist international präsent mit einschlägigen Forderungen und Empfehlungen, etwa nach Monitoring und Veröffentlichung von Fällen von Diskriminierung im Allgemeinen und durch Sicherheitsbehörden im Speziellen sowie dem Ergreifen von Maßnahmen zur Abhilfe und Prävention, etwa durch unabhängige Kontrollinstanzen, Unterstützung für Betroffene (z. B. Rechtshilfe) sowie „training for all those involved in the administration of justice“Footnote 44.

Darüber hinaus sind weitere Organisationen auf nationaler Ebene im Rahmen allgemeiner Arbeit für Menschen- und Bürger:innenrechte auch hinsichtlich diskriminierender polizeilicher Praktiken aktiv. So etwa das Deutsche Institut für Menschenrechte e. V.Footnote 45 oder die Humanistische Union, welche u. a. in Form von Beiträgen in der von ihr herausgegebenen Zeitschrift vorgängeFootnote 46 und der Buchreihe Grundrechte ReportFootnote 47 Öffentlichkeit schafft und sich am Diskurs beteiligt. An dieser Reihe sind z. B. auch das Komitee für Grundrechte und Demokratie e. V. sowie weitere Organisationen und Gruppen beteiligt, die regelmäßig mit kritischen Stellungnahmen zu polizeilichen rassistischen/diskriminierenden Praktiken und Einstellungen aktiv sichtbar werden. Auch Pro Asyl beteiligt sich aktiv an Forderungen, insbesondere rassistisch motivierte Polizeigewalt zurückzudrängen und aufzuklären sowie den polizeilichen Umgang mit von entsprechenden Handlungen Dritter betroffenen Personen und Gruppen zu verbessern.Footnote 48

Eine ganze Reihe Organisationen setzen sich exklusiv oder jedenfalls schwerpunktmäßig (kritisch) mit Fragen Innerer Sicherheit, Sicherheitsbehörden und polizeilicher Arbeit auseinander. Das Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e. V. betreibt u. a. dokumentarische und wissenschaftliche Arbeit zu strukturellen Problemen und Fehlverhalten vonseiten der Polizei und ihrer Vertreter:innen; in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP wird etwa Racial Profiling regelmäßig zum Gegenstand gemacht.Footnote 49 Berufsständisch ausgerichtete Vereinigungen wie der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) nehmen regelmäßig Stellung, sprechen dabei über rassistische und diskriminierende Praktiken hinaus deren strukturelle Dimension sowie die Verweigerung von polizeilicher beziehungsweise politischer Seite an, diese zu thematisieren und etwa der unabhängigen wissenschaftlichen Untersuchung zugänglich zu machen.Footnote 50

Eine zahlenmäßig breit aufgestellte und, hinsichtlich Inhalten und Beteiligten, sehr vielfältige Gruppe von Nichtregierungsorganisationen (NRO) sind solche, die umfassend Arbeit gegen Diskriminierung, Rassismus und Menschenfeindlichkeit beziehungsweise für Teilhabe, Repräsentation und Inklusion leisten, und innerhalb dieses Kontexts mit Aktivitäten im Feld diskriminierender polizeilicher Praktiken initiierend wie unterstützend präsent sind.

Dabei handelt es sich teils um deutschlandweit aktive Organisationen, in Vielzahl und Vielfalt aber vor allem um lokale Akteur:innen, die zugleich meist nicht nur auf kommunaler Ebene vernetzt, sondern auch Teil überregionaler Strukturen sind. Beispiele für entsprechende Dachverbände, Kooperationen und Netzwerke sind etwa der Migrationsrat Berlin-BrandenburgFootnote 51, die LAG Antidiskriminierungsberatung Baden-WürttembergFootnote 52 und das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit in Nordrhein-WestfalenFootnote 53, das Netzwerk gegen Diskriminierung – ADBs für NRWFootnote 54 und der Antidiskriminierungsverband DeutschlandFootnote 55.

Deutschlandweit aktiv und thematisch breit ausgerichtet sind Interessenvertretungen besonders von Rassismus betroffener Menschen wie etwa die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e. V. (ISD-Bund). Als eine von mehreren „Initiativen gegen Rassismus, Diskriminierung, Verdrängung und Kriminalisierung“ beteiligt sie sich an der Berliner Kampagne „Ban! Racial Profiling: Gefährliche Orte abschaffen!“, die Praktiken des Racial Profiling und die damit verknüpfte Definition gefährlicher Orte kritisiert, da diese eine polizeiliche Kontrollgrundlage mit unverhältnismäßig hoher Belastung sichtbarer Minderheiten konstituiere.Footnote 56 Weitere von Rassismus und Racial Profiling besonders betroffene Menschen sind Rom:nja und Sinti:zze;Footnote 57 entsprechend fordert auch der Zentralrat Deutscher Sinti & Roma u. a. unabhängige Beschwerdestellen für Betroffene rassistischer Diskriminierung, eine eigenständige wissenschaftliche Studie zu Racial Profiling, antiziganismus-kritische Aus- und Fortbildung in der Polizei und Bemühungen um effektiveren Opferschutz in Polizei und Gesamtgesellschaft.Footnote 58

Eine ganze Reihe NROen sind an den seit 2005 (zunächst für Berlin-Pankow) aufgebauten und seit 2016 in allen Berliner Bezirken eingerichteten Berliner Registern („Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle in Berlin“) beteiligt, welche seit 2020 „Vorfälle von Racial Profiling sowie Diskriminierungsfälle aus Behörden und Institutionen“ in einer eigenen Kategorie „Strukturelle Benachteiligung“ ausweisen.Footnote 59

Auch im Rahmen der vom Verein The African Network of Germany e. V. (TANG) initiierten Kampagne #beiunsauch soll unter Bezugnahme auf die Tötung von George Floyd Bewusstsein für alltägliche „Rassistische Polizeigewalt gegenüber People of Color, insbesondere Black People of Color und Racial Profiling“ geschaffen werden.Footnote 60 Die Kampagne wird auch „von der Türkischen Gemeinde Deutschland (TGD), Each One Teach One (EOTO e. V.), der Bundesversammlung der Immigrantenverbände (BAGIV), der Bildungsinitiative German Dream, der Kurdischen Gemeinde Deutschland und mehr als 120 weiteren Migrantenorganisationen unterstützt“Footnote 61. TANG fordert unter anderem verpflichtende Antirassismustrainings für Polizeibeamt:innen und einen Dialog zwischen Polizei und afrikanischer Community.Footnote 62

Nicht wenige Organisationen sind auf dem Feld der Opferberatung und -betreuung aktiv. Hier lassen sich z. B. ReachOut – Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus und OPRA – die psychologische Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt nennen, beide in Trägerschaft des Vereins Antirassistische interkulturelle Bildungsarbeit e. V. (ARIBA). Das Spektrum derartiger Angebote umfasst Beratung und Unterstützung von Opfern entsprechender Angriffe sowie von Angehörigen und Zeug:innen, zum einen psychosozialer Natur, zum anderen auch in praktischen Fragen, etwa hinsichtlich rechtlicher Möglichkeiten (Strafanzeige, Anwaltssuche, Prozesskostenhilfe), Behördengängen, weiterer geeigneter (z. B. therapeutischer) Angebote und gegebenenfalls auch Öffentlichkeitsarbeit.Footnote 63 Hilfe für Betroffene, oft verbunden mit allgemeiner Aufklärungsarbeit und Interessenartikulation aus Sicht der Betroffenen, bieten etwa der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) und dessen Mitglieder. Der Verband startete im März 2021 eine „Open Lecture Series [zu] extralegaler und rassistischer Polizeigewalt, den rechtsterroristischen Attentaten in Hanau und Halle, verschleppter Strafverfolgung und Tötungsdelikten im staatlichen Gewahrsam“ unter Beteiligung von Betroffenen und Expert:innen aus Praxis und Wissenschaft.Footnote 64 Insgesamt lässt sich feststellen, dass es eher die Regel als die Ausnahme ist, dass zivilgesellschaftliche Akteur:innen, die allgemein Antirassismus, Antidiskriminierung und den Kampf gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit zum Inhalt haben, sich auch mit der Rolle der Polizei in diesem Themenfeld auseinandersetzen, da diese als Institution regelmäßig mit diskriminierenden Praktiken zulasten nicht-weiß gelesener Menschen (als Verdächtige wie auch als Opfer) sowie einer diesbezüglich mindestens fragwürdigen Fehlerkultur in Erscheinung tritt. Dies schließt Zusammenarbeit entsprechender Initiativen mit der Polizei keineswegs aus, vielmehr wird die Wichtigkeit von Austausch betont. So versucht etwa die Stiftung für die Internationalen Wochen gegen Rassismus durch Dialog „zwischen Menschen mit Migrationsgeschichte bzw. Rassismuserfahrung und Polizist*innen“ Vertrauen aufzubauen.Footnote 65 Es wird aber die Wichtigkeit bis hin zur Unverzichtbarkeit eines externen Blicks betont, um Missstände abzubauen. So fordert etwa die Amadeu Antonio Stiftung: „Öffnung der Behörden für Expert*innen aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaft, unabhängige Beschwerdestellen für Betroffene“, Studien zu (fremdenfeindlichen) Einstellungen und Racial Profiling und die Einbeziehung der Erfahrungen Betroffener.Footnote 66

Eine Reihe von Initiativen konzentriert sich auf diskriminierende polizeiliche Praktiken als alleinigen oder jedenfalls dominanten Fokus. In Berlin, Bremen und Kiel aktiv und darüber hinaus sichtbar ist etwa die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP), deren Aktionsfeld oben bereits angeschnitten wurde.Footnote 67 Sichtbarkeit stellt sie auch über Dokumentation und Veröffentlichung einer fortgeschriebenen „Chronik rassistisch motivierter Polizeivorfälle für Berlin“ her, deren Ziel es sei, „die Öffentlichkeit über rassistische Polizeigewalt zu informieren, die Position der Betroffenen zu stärken und die Polizei rechenschaftspflichtig zu machen“.Footnote 68 Unter dem Namen Copwatch sind ähnliche Initiativen in verschiedenen Städten aktiv, u. a. in Leipzig, Hamburg und Frankfurt/Main; Forderungen bestehen etwa in einer Kennzeichnungspflicht für Polizist:innen, Demilitarisierung von Einsatzkräften, Abschaffung anlassloser Kontrollen, und Einrichtung unabhängiger Beschwerdestellen, bis hin zu grundlegenderen Anliegen wie denen einer „Abschaffung der Polizei“, der „Entwicklung alternativer Konzepte zu Polizei und Strafsystemen“ und des Vorrangs „soziale[r] Lösungen für soziale Probleme“.Footnote 69

Manche Organisationen entstehen anlässlich und im Gedenken an schwerwiegende Fälle, bis hin zu durch polizeiliche Maßnahmen oder in Gewahrsam zu Tode gekommenen Menschen. Diese Arbeit wird mitunter darüber hinaus verstetigt und fortgeführt. Hier lässt sich etwa die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e. V. nennen, die eine Chronologie zum Tod Oury Jallohs in Gewahrsam fortschreibt und dabei auch polizeiliche Repressionen gegen die Initiative thematisiert.Footnote 70 Der Fokus liegt auf dem Umgang von Polizei und Justiz mit der Frage nach der Todesursache und dem „strukturell rassistischen politischen System sowie dem rassistischen Konsens innerhalb der Gesellschaft“, welche „diesen und viele andere Morde des politischen Systems erst möglich gemacht“ haben.Footnote 71 Entsprechend beschäftigt sich die Initiative mit weiteren Todesfällen in Gewahrsam, Racial Profiling und (weiteren) Opfern rassistischer Gewalt. Mit mehreren weiteren Initiativen (einige bereits oben genannt) ist sie Teil des Bündnisses Death in Custody und der gleichnamigen Kampagne.Footnote 72 Ziele beziehungsweise Inhalte sind die Dokumentation von Fällen in Gewahrsam verstorbener nicht-weißer Menschen, die Forderung nach staatlicher Aufklärung, Rechenschaft und Schutzmechanismen, sowie die Stärkung der Rechte Betroffener und die Solidarisierung mit Betroffenen rassistischer Gewalt und Vernetzung entsprechender Akteur:innen.Footnote 73

Zusammenfassend lassen sich also eine ganze Reihe von Akteur:innen, Blickwinkeln, Herangehensweisen und Aktionsformen identifizieren. Wesentliche Arbeitsinhalte und Aktionsformen umfassen zum einen Opferberatung/-betreuung, in Form psychosozialer Unterstützung und Solidarisierung, aber auch als praktische Unterstützung bei der Navigation durch das deutsche Rechtssystem. Des Weiteren wird anlässlich konkreter Fälle und struktureller Kritikpunkte Öffentlichkeit geschaffen, um gesellschaftliches Bewusstsein zu wecken und politischen Druck auszuüben, etwa hinsichtlich institutioneller Reformen, Gesetzgebung, Aufarbeitung von Vorfällen; dazu dienen etwa Monitoring/Dokumentation von Fällen, Demonstrationen und andere öffentlichkeitswirksame Aktionen, Stellungnahmen u. a. in Form von Presse-/Rundfunkinterviews und Pressemitteilungen sowie Teilnahme an und Ausrichtung von Diskussionsrunden. Insbesondere Organisationen, die allgemein Teilhabe und Rechte von Menschen mit Migrationshintergrund vertreten, sind auch formalisierter am politischen Prozess beteiligt, etwa durch Einbindung in Gremienarbeit auf kommunaler Ebene. Einige Akteur:innen bieten selbst Antidiskriminierungstrainings und ähnliches an, etwa zur Qualifizierung von Fachkräften. Abschließend ist eine vielfältige Vernetzung und gegenseitige Unterstützung entsprechender Initiativen festzustellen, in verstetigter Form über Dachverbände und Bündnisse, in temporärer Zusammenarbeit in gemeinsamen Kampagnen und Aktionen, und in ad hoc Kooperationen und Solidarisierung vor allem anlässlich konkreter aktueller Fälle und Debatten.

3.3 Zivilgesellschaftliche Aktion und Resonanz in Staat und Gesellschaft

Zivilgesellschaftliches Engagement ist weit davon entfernt, sein wesentliches Ziel – eine nicht rassistische, diskriminierungsfreie Polizeipraxis – bereits erreicht zu haben. Zugleich lässt sich – sowohl bei einem Blick in die USA als auch hierzulande – feststellen, dass jedenfalls in Teilen politische und gesetzgeberische Prozesse in Gang gekommen sind, die dem dienlich sein können.

Im März 2021 wurde der „George Floyd Justice in Policing Act“ vom US-Repräsentantenhaus verabschiedet („an act to hold law enforcement accountable for misconduct in court, improve transparency through data collection, and reform police training and policies“Footnote 74).Footnote 75 Daneben sind auf unterschiedlichen Ebenen zahlreiche (Gesetzes-)Reformen erkennbar, die auf Floyd und andere Fälle exzessiver Gewalt Bezug nehmen.Footnote 76 Sie betreffen u. a. Verbote von Würgegriffen (chokeholds) und limitieren den Einsatz von Einsatzmitteln wie Tränengas, Pfefferspray, Gummigeschossen oder Blendgranaten. Weitere Reformen und Gesetzesvorschläge beziehen sich auf eskalationsgeneigte Praktiken wie unangekündigte Wohnungsdurchsuchungen (no-knock warrants), auf die polizeiliche Qualifikation (Optimierung der Ausbildung, Deeskalations- und Anti-Bias-Trainings etc.), die Personalauswahl (background checks, mental health screenings), die Prüfung und Überarbeitung polizeilicher Standards zum Einsatz von Gewalt, Melde- und Berichtspflichten in Bezug auf Gewaltvorkommnisse und den Schutz von Whistlebowern, den verpflichtenden Einsatz von Bodycams zur Dokumentation des Handelns der eingesetzten Beamt:innen, das systematische Sammeln von Daten zu Gewalt durch Polizeibeamt:innen sowie zu Ungleichbehandlung aufgrund zugeschriebener ethnischer Merkmale, spezielle (unabhängige) Ermittler:innen in Fällen polizeilichen Schusswaffeneinsatzes und – hier wird die Verbindung zu „Defund the Police“ sichtbar – die Kürzung polizeilicher Ressourcen (wie etwa im Falle von New York City, Los Angeles oder Portland/OR). Die Maßnahmen sind somit in sehr unterschiedlichen Handlungsfeldern lokalisiert und betreffen u. a. polizeiliche Handlungsbefugnisse, Qualifizierung, Personalauswahl sowie interne und externe Kontrollmechanismen. Welche Effekte sie – sofern wie vorgesehen umgesetzt – zeitigen werden, lässt sich kaum abschätzen. Zu kurzfristig sind die Reformansätze bisher, und es ist davon auszugehen, dass die meisten Maßnahmen nicht systematisch evaluiert werden.

In Deutschland ist die Entwicklung der letzten Jahrzehnte u. a. dadurch charakterisiert, dass polizeiliche Eingriffsbefugnisse insgesamt ausgeweitet wurden und sich in zunehmendem Maße auch auf das mögliche Vorfeld von Gefahren erstrecken.Footnote 77 Gerade die Möglichkeit zu anlasslosen Kontrollen etwa in als kriminalitätsbelastet angesehenen Räumen bringt auch das Potenzial einer in diskriminierender Weise selektiven Kontrollpraxis mit sich.Footnote 78 Zugleich deuten sich vereinzelt Entwicklungen an, die den Zielen von NROen entgegenkommen können. Welche Rolle die Bemühungen der NROen und anderer engagierter Akteur:innen dabei spiel(t)en ist an dieser Stelle nicht zu beurteilen. Die Entwicklungen sind inhaltlich weniger breit gefächert als in den USA und bislang auf einige Bundesländer begrenzt.

Zu erwähnen sind Reformansätze in Polizeigesetzen der Länder in Bezug auf die Durchführung verdachtsunabhängiger Personenkontrollen. In der Novelle des Bremischen Polizeigesetzes vom 24. November 2020Footnote 79 wurden in § 27 Identitätsfeststellungen an besonderen Kontrollorten grundsätzlich an die Voraussetzung geknüpft, dass sie „auf Grund des Verhaltens der Person erforderlich“ sein müssen. Da Merkmale wie das Erscheinungsbild einer Person und ihre wahrgenommene Herkunft nicht unter „Verhalten“ zu subsumieren sind, soll dies dazu beitragen, hierauf Bezug nehmende Kontrollentscheidungen zu unterbinden. Ab September 2021 haben von Maßnahmen Betroffene zudem Anspruch auf eine sog. „Kontrollquittung“, in der auch der Kontrollgrund zu benennen ist. § 181 der im März 2021 in Kraft getretenen Neufassung des Polizeigesetzes Schleswig–HolsteinFootnote 80 regelt zur Identitätsfeststellung: „Die Auswahl der von der Identitätsfeststellung betroffenen Person anhand gruppenbezogener Merkmale im Sinne des Artikels 3 Absatz 3 des Grundgesetzes ohne sachlichen, durch den Zweck der Identitätsfeststellung gerechtfertigten Grund ist unzulässig.“ In Berlin sollen mit der 2021 anstehenden Novellierung des Polizeirechts bislang anlasslos mögliche Kontrollen an „kriminalitätsbelasteten Orten“ an das Verhalten der Kontrollierten geknüpft werden.Footnote 81 Soweit erkennbar, zieht die Mehrzahl der Bundesländer derzeit noch keine gesetzlichen Maßnahmen in Betracht, um eine auf gruppenbezogene Merkmale rekurrierende Kontrollpraxis zu unterbinden.

Zu den von zivilgesellschaftlichen Akteuren erhobenen Forderungen gehört regelmäßig auch die nach einer unabhängigen Kontrolle polizeilichen Handelns. „Unabhängige Polizei-Beschwerdestellen“ oder auch „Polizeibeauftragte“ sollen, so der Grundgedanke, aus einer nicht in die Polizei eingebundenen Position heraus Beschwerden von Bürger:innen bearbeiten, ebenso auch Meldungen von „Whistleblowern“ aus der Polizei.Footnote 82 Einige Länder haben inzwischen unabhängige, den Landesparlamenten verantwortliche Beauftragte implementiert (Rheinland-Pfalz im Jahr 2014, Schleswig–Holstein 2016, Baden-Württemberg 2019, Mecklenburg-Vorpommern 2021). Derzeit steht die Einrichtung unabhängiger Polizeibeauftragter u. a. in Hessen, Berlin und Bremen bevor. In anderen Ländern (so in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Sachsen) sind Polizeibeauftragte oder Beschwerdestellen eng an Polizei bzw. Innenressorts gebunden, was die Perspektiven einer unabhängigen Kontrolle begrenzt. In Hamburg wurde ein beim Polizeipräsidenten angesiedeltes „Beschwerdemanagement“ eingerichtet, das sowohl für Bürger:innen als auch für entsprechende Meldungen aus der Polizei offen ist. Insgesamt sind im Hinblick auf Kontrollmöglichkeiten polizeilichen Handelns durch unabhängige Instanzen in einigen Ländern positive Entwicklungen zu verzeichnen; von einer flächendeckenden unabhängigen Kontrolle kann aber keinesfalls gesprochen werden. Eine unmittelbare Kausalität zwischen zivilgesellschaftlichem Protest und Reformen lässt sich für die erwähnten Maßnahmen nicht belegen; zu Wirkung und Wirksamkeit mangelt es an systematisch erhobenen Informationen.

4 Ausblick

Während also international wie auch in Deutschland eine Entwicklung festzustellen ist, die nicht nur auf eine größere Sichtbarkeit der Thematik diskriminierender polizeilicher Praktiken und fremdenfeindlicher Einstellungen in der Polizei, sondern mitunter auch auf gesellschaftliche und gesetzgeberische Resonanz für Forderungen zivilgesellschaftlicher Akteur:innen hindeutet, ist schwer einzuschätzen, inwieweit mittelfristig tiefgreifende und nachhaltige Verbesserungen zu konstatieren sein werden.

In den USA ist auf politischer Ebene wie in der Bevölkerung eine starke gesellschaftliche Spaltung zu erkennen, was die Behandlung dieses Symptoms fest verankerten Rassismus anbelangt. In Deutschland geht Widerstand gegen institutionelle und rechtliche Reformen insbesondere von der Polizei, ihren berufsständischen Vertretungen und nicht zuletzt auch den Innenressorts aus. Begründet wird dies vor allem damit, dass man die Polizei nicht unter Generalverdacht stellen und ihre Handlungsfähigkeit bewahren wolle; stringente Argumente, inwiefern ergebnisoffene Untersuchungen und die Förderung unabhängiger, transparenter Strukturen zur Bearbeitung von Verdachtsfällen unzulässiger polizeilicher Praktiken die organisationale Handlungsfähigkeit gefährden würden, werden nicht angeführt.Footnote 83 Exemplarisch kann hierfür die ablehnende Haltung gegenüber unabhängigen wissenschaftlichen Studien spezifisch zu Racial Profiling stehen, die damit begründet wurde, diese Praxis sei ohnehin nicht zulässig und daher auch nicht untersuchungsbedürftig.Footnote 84 Die Reformansätze in Polizeigesetzen einiger Länder stellen noch keinen grundsätzlichen Bruch mit der Entwicklung der letzten Jahrzehnte dar, polizeiliche Kontroll- und Eingriffsbefugnisse eher auszuweiten. Es besteht insofern weiterhin auch zivilgesellschaftlicher Handlungsbedarf im Hinblick auf die (polizeiliche) Diskriminierung von PoC und anderen als nicht-weiß gelesenen Menschen, ob nun als Kontrollierte, Tatverdächtige, Inhaftierte, Zeug:innen oder Opfer.