1 Zum Verhältnis von zivilgesellschaftlichem Engagement und Beruf

In diesem Beitrag soll es ausdrücklich um das zivilgesellschaftliche Engagement gehen. Dieses ist ein wichtiger Teil des Lebens, nicht weniger wichtig als das Berufsleben, aber anders. Es ist nicht randständig. Es ist nicht beliebiges Beiwerk. Es ist nicht schrumpfend, jedenfalls sollte es das nicht sein. Es gewinnt eher an Gewicht, wenn der Anteil des beruflichen Lebens auch infolge der wachsenden individuellen Lebenserwartung abnimmt. Es macht jedenfalls Sinn, sich die Rolle des freiwilligen Engagements in unserem Leben, in unseren Gesellschaften und in unseren Demokratien immer einmal wieder bewusst zu machen und dies nicht dem blanken Zufall zu überlassen.

Das Leben ist mehr als der Beruf. Der Beruf ist aber ein wichtiger Teil des Lebens, und es ist vernünftig, dass wir uns mit Berufsausbildung, Studium und Qualifizierungen auf unseren Beruf intensiv vorbereiten und uns lebenslang beruflich fortbilden. Die Kombination von Spezialisierung und Vielfalt im Spektrum der Arbeitsteilung macht Lebensqualität auf hohem Niveau für alle möglich. Dass dabei in Sachen Gerechtigkeit und Sicherung der Lebensgrundlage vieles bisher unzureichend ist, bleibt allerdings eine Herausforderung. Beruf und zivilgesellschaftliches Engagement sind keine Gegensätze.

2 Zwei Komponenten des zivilgesellschaftlichen Teils des Lebens

Der zivilgesellschaftliche (nicht berufliche) Teil des Lebens hat zwei Komponenten, die eng verknüpft sind und jeden von uns als Individuum betreffen. Erstens: Wie ist meine Lebensweise? Was interessiert mich? Wie will ich sein? Was ist mir wichtig? Da geht es um mich selbst. Zweitens bin ich Teil der Gesellschaft. lch will teilhaben können und weiß, dass ich dafür teilnehmen muss. Es geht um meinen Beitrag und meine Teilnahme, mein zivilgesellschaftliches Engagement. Wir sind beim Thema.

Es ist zunehmend beliebt in Deutschland und auch akzeptiert, das Recht auf Selbstbestimmung einzufordern. „Ich will selbstbestimmt leben“, heißt es oft. Das meint persönliche Freiheit. Selbstbestimmung ist selbstbewusst aber nicht notwendigerweise egoistisch. Selbstbestimmung umfasst auch Mitverantwortung, einschließlich Selbstverantwortung.

Dabei sind wir Unikate und bleiben es auch. Es kann nicht darum gehen, uns uniformer, gleichförmiger zu machen, sondern  nur darum, unsere individuellen Chancen zu einem guten Leben so gut wie möglich zu nutzen und dazu beizutragen, dass möglichst viele andere Menschen das ihrerseits auch können.

Von Hannah Arendt stammt das Wort: Politik ist angewandte Liebe zum Leben. Das stimmt: Wer diese Liebe zum Leben nicht hat, kann schwerlich gute Politik für Menschen machen, und das gilt auch für zivilgesellschaftliches Engagement. Aber Liebe zum Leben geht nicht auf Knopfdruck und nicht jederzeit, das wichtigste scheint mir: Das eigene Leben schätzen und pflegen und das jedes anderen Menschen auch; sich mögen und die anderen auch; letztlich, den anderen helfen und sich selbst helfen lassen.

Und damit zum zivilgesellschaftlichen Engagement: Zu uns als Teil der Gesellschaft und zu unserem Beitrag, den wir leisten können, wollen oder müssen. Auch hier ist offensichtlich: Die Dinge sind in Bewegung. Wandel ist immer: Bekannte Beispiele sind Altersstruktur, Mobilität, Digitalisierung und Globalität. Von der offiziellen Politik abgesehen: Wo und was ist unsere Mitverantwortung?

Insgesamt arbeiten wir weniger Stunden im Beruf als unsere Elterngeneration, gemessen an der Wochenarbeitszeit und am Berufsanteil in unserem langen Leben. Die Belastungen in der Berufswelt ändern sich allerdings, oft von schwerer körperlicher Arbeit zu Hektik und Vielfalt; begleitet von neuzeitlichen Möglichkeiten vielfältiger Mobilität: Auto, Bahn, Flugzeug; zudem von einer riesigen Palette digitaler Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten. Lebenslanges Lernen ist keine Frage der Zielsetzung mehr, sondern wird zwingende Realität; und dies über die eigenen Stadt- und Landesgrenzen hinaus. Wohin führt das alles? Die Sorge wächst, dass bei diesen superkomplexen raschen Veränderungen an einigen Punkten der Welt eine maximale Konzentration finanzieller Masse und damit politischer Macht entsteht und gleichzeitig die erwartete Stabilität der Lebensperspektiven für eine große Gruppe der Arbeitnehmerschaft deutlich labiler wird, mit schrumpfender Tendenz. Das hieße: Unsicherheit wächst. Kein gutes Umfeld für zivilgesellschaftliches Engagement und dessen Verbreitung. Oder vielleicht doch und ganz besonders? Und die im Rentenalter zwischen 65 und 90 plus, wie erleben sie diese Welt?

Was hier nur angedeutet sein kann: Es geht nicht simpel um die Fortsetzung zivilgesellschaftlichen Engagements wie gehabt. Vielmehr ändern sich auch die Bedingungen, und neue Aspekte kommen hinzu.

3 Die Rolle der Gesellschaft in der Demokratie

Wenn über Demokratie gesprochen wird, richtet sich die Aufmerksamkeit meistens auf den verfassten Staat, in Deutschland auf den Bund und die Länder, auf die Kommunen auch und die politischen Parteien, wenngleich sie nicht Staat sind. Das bleibt auch wichtig. Aber zu selten wird realisiert, dass Demokratie nicht nur Legislative, Exekutive und Rechtsprechung ist, sondern auch Gesellschaftsform und Lebensform. Demokratie betrifft jeden einzelnen Menschen und bezieht so die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit ein.

Als 1949 die Verfassung der neuen Bundesrepublik Deutschland als „Grundgesetz“ erarbeitet wurde und in Kraft trat, waren kluge Verfassungsmütter und -väter am WerkFootnote 1. Es beginnt mit den Grundrechten, Artikel 1 bis 19: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wird ausdrücklich genannt, auch das auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Gleichheit vor dem Gesetz. Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Das Diskriminierungsverbot. Das sind die Artikel 1 bis 3, und so weiter.

Und dann Artikel 20: Der „Bund und die Länder“ ….. bis Artikel 146. Diese Struktur des Grundgesetzes macht deutlich: Es geht um die Menschen, um jeden Einzelnen. Der Staat ist wichtig, garantiert die Rechte der Menschen, die in unserem Land leben. Der Staat dient, indem er die Formen und die Inhalte des Zusammenlebens, so wie sie vereinbart sind und Gesetze wurden, schützt und nötigenfalls durchsetzt. Aber der Staat reguliert nicht weitergehend das individuelle Leben und nicht das gesellschaftliche. Der Staat lässt Platz für Selbstbestimmung und Mitverantwortung der Staatsangehörigen, aller Menschen, die in seinen Grenzen leben.

Dieser kurze Exkurs war nötig, damit klar ist, welche Bedeutung unser Grundgesetz jedem einzelnen Menschen und damit der Gesellschaft zuerkennt. Der Staat muss Freiheit und Gerechtigkeit und im möglichen Umfang Sicherheit gewährleisten. Die Solidarität aber liegt im Miteinander in der Gesellschaft, bei den einzelnen Menschen und nicht in der Macht des Staates. Zivilgesellschaftliches Engagement ist immer freiwillig. Der Staat kann dazu raten, kann es empfehlen und versuchen populär zu machen, erzwingen kann er es nicht. Trotzdem bleibt wahr: Zivilgesellschaftliches Engagement ist eine unverzichtbare Voraussetzung für das Gelingen einer demokratischen Gesellschaft in einem demokratischen Staat. Der einzelne Mensch im Verbund mit vielen anderen und der Staat begegnen sich auf gleicher Augenhöhe, auch wenn die Machtpotentiale so unterschiedlich sind. Und nie sind Selbstbestimmung und Mitverantwortung nach Alterskohorten aufgeteilt und unterschieden. Die Gesellschaft ist ein wesentlicher Faktor für das Gelingen der Demokratie, und jede und jeder von uns ist daran beteiligt. Aktiv oder passiv, handelnd oder nicht, immer hat es Auswirkungen. Niemand entkommt dem. Dies als kleinen Stopper, damit niemand eine Ausrede hat.

Ein bestimmtes Argument ist noch zu bewerten, das einem nicht selten begegnet: Kritiker:innen behaupten oft, man weise mit dem freiwilligen Engagement dem Einzelnen Verantwortung zu, die eigentlich dem Staat obliege. Der Staat wird für allzuständig erklärt. Manchmal nickt die Politik sogar in Selbstüberschätzung ab und wähnt sich bereitwillig allmächtig. Damit tut sie sich und der Demokratie keinen Gefallen. Demokratie geht nicht ohne eine aktive und solidarische Gesellschaft.

Das gilt besonders in den Kommunen, an der Basis. Viele Probleme sind eben nicht gelöst, wenn die Legislative Gesetze dazu beschließt und sie der Exekutive zur Umsetzung übergibt, um die Aufgaben an staatliche Stellen zu bringen. Oft ist das der richtige Weg und erfolgreich. Aber dem unverzichtbaren Part der Gesellschaft ist damit noch nicht entsprochen. Die Gesellschaft ist nicht der letzte und endverantwortliche Arm der politischen Exekutive, aber die beiden sind Geschwister. Und die Demokratie hat eine Basis, und das sind die Menschen.

4 Der Staat und die Alten

Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ist gesellschaftspolitisch besonders breit aufgestellt. Aber auch das Gesundheitsministerium und das Arbeits- und Sozialministerium haben Zuständigkeiten im Bereich der Senioren. Das explizit für Senioren zuständige BMFSFJ legt alle vier Jahre einen „Altenbericht“ vor, den es zusammen mit einer Expertenkommission erstellt. Der aktuelle Altenbericht hat den Titel „Ältere Menschen und Digitalisierung“. In früheren Berichten ging es beispielsweise um die Rolle der Kommunen für die Seniorenpolitik und um das „Altenbild“, das wir von älteren Menschen in unserem Land haben. Altenberichte werden im Bundestag diskutiert und führen in der Regel auch zu parlamentarischen Aktivitäten. Zurzeit ist das auch bezüglich der Digitalisierung so. Immer geht es nicht nur um staatliches Handeln, sondern auch um die Beteiligung der älteren Generationen an den Debatten und sich jeweils ergebenden Aktivitäten.

Eine wichtige Frage für alle Beteiligten ist, ob sich weiter hinreichend „Nachwuchs“ für das zivilgesellschaftliche Engagement findet. Deshalb hat der Bundestag auch Anfang 2020 ein Gesetz zur Gründung der „Stiftung für Ehrenamt und zivilgesellschaftliches Engagement“ beschlossen. Stiftungsrat und Stiftungsvorstand sind inzwischen konstituiert und haben viel Aufmerksamkeit an vielen Orten im Lande gefunden. Ihr Ziel ist es, bewährte Engagement-Formen vor Ort zu stärken und zu helfen, dass möglicherweise neues zeitgemäßes Engagement entwickelt und forciert wird. Die Idee der Stiftung richtet sich an alle Altersgruppen in allen Kommunen, will aber einen Schwerpunkt setzten in strukturschwachen und ländlichen Regionen, die Lücken beim zivilgesellschaftlichen Engagement haben oder zu bekommen drohen.

5 Die Kommune und die Älteren und Alten

Viel verweist auf die besondere Rolle der Kommunen für eine zielgerichtete Seniorenpolitik. Anders als in der Kinder- und Jugendpolitik gibt es aber keine spezielle gesetzliche Zuordnung von Fragen der Seniorenpolitik an die Kommunen. Natürliche können Kommunen aus eigener Intention intensiv Seniorenpolitik betreiben,  und nicht wenige tun das auch. Das findet allerdings seine Grenzen an den eigenen finanziellen Möglichkeiten. Kommunen ohne eine frei verfügbare Finanzspritze dürfen keine Schulden machen für „Nicht-Pflichtaufgaben“ wie Seniorenpolitik. Und so entstehen ungleichwertige Lebensverhältnisse, die nach unserer Verfassung nicht ungerührt hingenommen werden sollten. Es wächst die Meinung bei Beteiligten, den Kommunen (die Zustimmung der Länder wäre allerdings nötig und wohl nicht leicht zu erreichen) in einem Altersstruktur-Gesetz eigene Aufgaben für die Seniorenpolitik zu geben und damit auch die erforderlichen Finanzmittel (siehe auch den Beitrag von Gerd Naegele in diesem Band). Praktischen Bedarf gibt es ganz sicher. Aber Politik ist bekanntlich das Bohren sehr dicker Bretter.

6 Das zivilgesellschaftliche Engagement

Es speist sich aus mehreren Motiven: Teilhabe und Teilnahme. Menschen wollen Teil der Gesellschaft sein und dabei auch selbst mehr oder weniger aktiv. Teilhabe steht für das Recht des einzelnen Menschen, in der Gesellschaft als Person anerkannt zu sein und mitzuwirken. Teilnahme entsteht mit der Bereitschaft und dem Impuls des einzelnen Menschen, dieses Recht aktiv zu nutzen. Das zivilgesellschaftliche Engagement hat Lebensqualität als Ziel vor Augen.

Aktivitäten im Bereich der Sozialpolitik sind ein sehr wichtiges und großes Wirkungsfeld, aber das zivilgesellschaftliche Engagement bezieht sich auf fast alle Lebensbereiche. Es realisiert sich ganz überwiegend mit, über und in Vereinen, Verbänden, Initiativen, Parteien, Kirchengemeinden, Seniorenräten und Seniorenbüros. Dies passiert oft in Verbindung mit einer begrenzten Zahl von Hauptamtlichen, die beruflich und mit klaren Funktionen und Kompetenzen organisatorischer Mittelpunkt sind, und einer größeren bis großen Zahl von „Ehrenamtlichen“, die für ihr Wirken kein Geld erhalten, aber begrenzt Erstattung von Fahrtkosten und sonstigen Unkosten, kleine Entschädigungen, Haftpflicht- und Unfallversicherungen.

Niemand weiß wohl genau, wie viele Menschen in diesem Sinne in der Gesellschaft freiwillig und ehrenamtlich und wie umfangreich und intensiv aktiv sind. Expert:innen schätzen die Zahl auf 23 bis 28 Mio. Unter ihnen sind zahlreiche Menschen im Rentenalter, also 65 Jahre plus. Über 65 Jahre alt sind in Deutschland z.Zt. etwa 17 Mio. Menschen. Nach den eben genannten Gesamtzahlen könnten demnach 4,5 bis 6 Mio. Senior:innen unter den Engagierten sein; mit steigender Tendenz. Die Gesamtbevölkerung Deutschlands zählte 2020 83,2 Mio.

Volkswirtschaftlich und im konkreten Bezug zur allgemeinen Lebensqualität darf man sagen: Wenn diese große Gruppe der zivilgesellschaftlich engagierten Älteren ihre Aktivitäten einstellen würde, brächen das gesellschaftliche Leben und damit die Lebensqualität für alle (!) dramatisch ein. Das zivilgesellschaftliche Engagement ist eben nicht nur das Sahnehäubchen, sondern gesellschaftlich und volkswirtschaftlich ein unverzichtbarer und für die Demokratie systemrelevanter Faktor. Es ist für die Wohlstandfähigkeit des Landes und für das Bemühen um Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in allen Landesteilen von hohem Wert.

Das alles erlaubt die Feststellung: Die Herausforderungen, die sich aus dem Älterwerden und der wachsenden Zahl von älteren und alten Menschen ergeben, werden in großem Umfang von diesen selbst bewältigt. Man kann sagen: Die Alten sind nicht nur ein Problem, sie sind in großem Maße auch die Lösung.

Das erfordert, dass die Senior:innen ihre Interessen in dieser bisher einmaligen Entwicklung offen thematisieren, wie es sich für eine Demokratie gehört. Selbstbestimmt aber nicht egozentrisch, sondern in klarer Mitverantwortung für alle Generationen, auch für die von übermorgen. Denn, wie gesagt, Selbstbestimmung ist immer auch Mitverantwortung für das Ganze. Das freiwillige Engagement in Deutschland ist lebendig. Es ist vielfältig, ideenreich und zukunftsfähig, eine Erfolgsgeschichte mit Perspektive. Aber der Wandel, in dem wir leben, betrifft auch diesen attraktiven Teil unserer Gesellschaft und Demokratie.

7 Einige Beispiele für Aktionsfelder des Engagements

Eine der größten und bewundernswerten Bürgerbewegungen in Deutschland, die in den jüngsten zwei, drei Jahrzehnten groß geworden ist, ist der Hospiz- und Palliativdienst, der besonders im ambulanten Bereich mit qualifizierten Hauptamtlichen und vielen ausgebildeten Ehrenamtlichen organisiert ist. Bei den Betroffenen zuhause, mit persönlicher Zuwendung und viel Erfahrung, oftmals als wichtige Gesprächspartner:innen, Ratgeber:innen und Stützen auch für die Angehörigen in schwieriger Situation. Manche von ihnen helfen auch in Heimen und Senioreneinrichtungen, wenn sie angefordert werden. Aber es gibt leider auch immer noch Regionen, in denen dieses Angebot unzureichend ist. Unterdessen steigt mit den Altersstrukturen auch der Bedarf.

Freiwillig Engagierte übernehmen Patenschaften für Schulkinder und helfen ihnen, das Schulziel zu erreichen und möglichst auch einen Platz für eine zukunftsträchtige Berufsausbildung zu finden. Nicht immer sind die Familien in der Lage, zuhause diese zusätzliche Hilfe aus eigener Kraft zu leisten. Über 30.000 Kinder verlassen in Deutschland Jahr für Jahr die Hauptschule ohne jeden Abschluss. Für deren Arbeitsplatzperspektiven ist das deprimierend.

Die „Damen und Herren in Grün“ (das ist die Farbe ihrer Berufskleidung) gehen in Krankenhäuser, Pflegeheime und sonstige Einrichtungen und bieten Patient:innen und Bewohner:innen Zeit an für kurze oder längere Gespräche. Zu reden gibt es immer was, und nicht alle Menschen haben Verwandte oder Bekannte, die Zeit für ein Gespräch mit ihnen haben, denn sie wohnen vielleicht weit weg, oder sind erwerbstätig, haben Kinder zu versorgen etc.

Es gibt in Deutschland bisher rund 450 Mehr-Generationen-Häuser (MGH). Sie sind keine Wohnhäuser, sondern Treffpunkte für alle Generationen. Wenige Hauptamtliche zusammen mit zahlreichen Ehrenamtler:innen helfen hier bei der Organisation von Erzählcafés, Schulaufgabenhilfe, Skatrunden, Mittagstisch, Beratung in sozialen und alltäglichen Fragen, Gymnastikstunden, Kulturangeboten, Chorgesang zum Mitmachen etc. Die Mehrgenerationenhäuser sind praktisch vielfältige Netzwerke, von der Bundespolitik für einige Jahre, und von den Kommunen oder privaten Sponsoren maßvoll gefördert. Sie sind offen für alle und gewinnen teils die Qualität eines „Dorf-Mittelpunktes“, wo alle sich zuhause fühlen. Ohne Übertreibung und aus Erfahrung: In ihrer gelungenen Art müsste es sie in jeder Kommune, in jedem Quartier, in jedem Stadtteil geben. Das wäre ein Fortschritt.

Zu bisher 500 „Lokalen Allianzen für Menschen mit Demenz“ kamen in 2020/21 noch einmal 150 hinzu. Von Bundesseite unterstützt und in vielfacher Weise mit der ehrenamtlichen Szene vor Ort und in der Region verbunden. Es geht darum, das Thema zu enttabuisieren, für Auskunft und Beratung ansprechbar zu sein, Selbsthilfegruppen zu initiieren und zu unterstützen, die Hausärzteschaft einzubeziehen, den Dementen Teilhabe und Teilnahme am Leben zu ermöglichen, orientiert an ihren verbliebenen Fähigkeiten. Das erfordert viel Fingerspitzengefühl. Demente Menschen sind keine „Fälle“, sondern bleiben Unikate, so wie Menschen ohne Demenz Unikate sind. Die Kranken verlieren Fähigkeiten, verändern sich, aber sie sind Menschen, die Hilfe von anderen Menschen brauchen.

In 100 Städten in Deutschland gibt es inzwischen „Standorte Digital-Kompass“, wo fitte Junge den interessierten Älteren und Alten sagen, welche Vorteile sich für deren realen Alltag mit dem Internet ergeben können und wie das funktioniert. Sie helfen, den praktischen „Internet-Führerschein“ zu machen. Das „Senioritätsprinzip“ (das heißt hier: Die Alten wissen Bescheid und unterrichten die Jungen) wird auf den Kopf gestellt. Manchmal müssen beide ihre neuen Rollen lernen, aber es funktioniert. Wo Zeitung, Buch, TV, Radio und Fotoapparat nicht in die Mülltonne geredet werden und das Digitale als deren Erbfolge zu nützlichem Fortschritt wird, entspannt sich so manche Reserve. Und die Gutwilligen verlieren auch nicht die Fähigkeit, das Sinnvolle und Nützliche klar vom Maximalen zu unterscheiden. So vermeidet man, dass die exhibitionistischen und exzentrischen Varianten moderner Medien von vornherein den Spaß an der Sache verderben. Und so mancher Jüngere empfindet solche Abartigkeiten neuer Medien ja auch.

8 Die Idee der „Organisierten Solidarität“

In vielen Bereichen gesellschaftlichen Engagements gibt es eine bewährte Zusammenarbeit von Hauptamt (normales Beschäftigungsverhältnis mit Lohn/Gehalt) und Ehrenamt (freiwillige Tätigkeit, meistens zeitlich begrenzt stunden- oder tageweise, ohne Bezahlung). Das kann zu Komplikationen in der Praxis führen zwischen „Profis“ und „Laien“. In den meisten Fällen aber wird es zum Garant für optimale Wirkung. Wo die Fachkraft keine Zeit und vielleicht auch kein Talent hat, sich flexibel um Details zu kümmern und sich auf den einzelnen Menschen einzulassen, sind die Ehrenamtlichen in der konkreten Situation ausdauernd orientiert auf die Bedürftigkeit von Menschen, denen sie begegnen und um die sie sich „kümmern“, um jeden Einzelnen.

Um eine bescheidene Zahl von Hauptamtlichen kann sich eine sehr deutlich größere Zahl von Freiwilligen organisieren und so ein großes, effektives Netzwerk bilden. Solidarität ist eben nicht immer nur die konkrete einzelne Handlung, sondern oft das Ergebnis und die Summe von vielfältigen Fähigkeiten und Bereitschaften und Ausdauer vieler. Das große Kapital der freiwillig Engagierten ist in der Regel die Zeit, von der sie mehr als die noch Berufstätigen haben und die sie ohne Minutenzeiger bedarfsgerecht einbringen können. Man kann mit Recht sagen, dass sich in diesen Situationen und Konstellationen die Kraft der Gesellschaft optimiert. Doch, man kann Solidarität nicht organisieren. Denn sie braucht nicht nur guten Willen, sondern auch gutes Können und Nachhaltigkeit.

9 Teilhabe und Teilnahme und das Mitbestimmen

Mannigfache Formen konkreter Mitbestimmung und Mitwirkung gehören zum freiwilligen Engagement auch von Senior:innen dazu. In zahlreichen Kommunen gibt es Seniorenräte (gewählt) oder Beiräte (meistens benannt oder berufen), die die Interessen der Senior:innen der Stadt/des Stadtteils im Stadtrat vertreten können oder in dessen Fachausschüssen. Andere sind „Sachkundige Bürger:innen“ und als solche Mitglieder in einschlägigen Ausschüssen des Rates. Oft ist auch der „kurze Draht“ zur Spitze der administrativen Stadtverwaltung ein bewährter Weg der Interessenvertretung.

Aber es gibt natürlich auch Frauen und Männer, die 65 Jahre und älter sind und gewählte Abgeordnete in Parlamenten oder Räten, auch in wichtigen Funktionen Leistungsträger:innen. Das ist gut so, denn es darf nicht das Ziel sein, in der Demokratie „Generationen-Politik“ zu machen und dazu bestimmte Altersgruppen aus dem Entscheidungsbereichen der Politik hinauszukomplimentieren oder auszuschließen.

In der Demokratie müssen spezifische Interessen eingebracht werden, von allen Generationen. Aber politisches Denken und Handeln muss immer die Interessen aller Betroffenen berücksichtigen, und auch die der Gesamtgesellschaft heute und in der kommenden Generation. Es ist auch ein Irrglaube zu mutmaßen, Politiker:innen würden entlang der mutmaßlichen Interessenlage ihrer Generation entscheiden. Vor Ort sind in hundert Kommunen „Senioren-Büros“ etabliert und bewähren sich als ständige Ansprechpartner, Impulsgeber und Kontaktstellen für die Älteren und Alten. Hier entstehen Ideen und Initiativen. Kluge Kommunen holen sich hier gerne Informationen und Anregungen für ihre konkrete Politik vor Ort; eine „indirekte“ Form der Interessenvertretung, aber nicht wirkungslos – im Gegenteil.

10 Die Rolle der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO)

Die BAGSO besteht seit über dreißig Jahren. Sie vertritt die Interessen der älteren Generationen in Deutschland. Sie setzt sich für Teilhabe und Teilnahme der Älteren ein und für ein aktives, selbstbestimmtes und möglichst gesundes Älterwerden in sozialer Sicherheit. Sie wirbt für ein solidarisches Miteinander aller Generationen und orientiert sich am Grundsatz der Gleichwertigkeit aller Menschen, im eigenen Land und weltweit. Die BAGSO ist überparteilich und überkonfessionell.

Rund 120 Vereine und Organisationen der Zivilgesellschaft sind aktuell Mitglied der BAGSO. Sie sind in vielfältiger Weise den Zielen zeitgemäßer Seniorenpolitik verbunden. Sie beteiligen sich in den Fachkommissionen der BAGSO an der Erarbeitung von Stellungnahmen zu aktuellen Themen, in 2020 mehrfach zur Digitalisierung, zur häuslichen und stationären Pflege und wiederholt zur Pandemie und ihrem Verlauf. Der BAGSO-Bundesvorstand beschließt und verantwortet die Positionierungen.

Jeweils vor Bundestagswahlen wendet sich die BAGSO mit „Wahlprüfsteinen“ an die im Bundestag vertretenen demokratischen Parteien, befragt diese und veröffentlicht deren Stellungnahmen. Alle drei Jahre organisiert die BAGSO den „Deutschen Seniorentag“ (DST). Die Politik ist jeweils hochrangig vertreten. Im Programm des DST sind Vorträge, Diskussionen, Veranstaltungen und ein vielfältiger Markt der Informationen, Aktionen und praktischen Hinweise.

11 Nachwuchs für zivilgesellschaftliches Engagement

Bedarf an freiwilligem Engagement und Chancen dafür gibt es lebenslang. Der/die Klassensprecher:in in der Schule und der/die Spielführer:in der Jugend-Fußballmannschaft sind frühe Beispiele. Das setzt sich fort in Mitgliedschaften und Funktionen in Gewerkschaften und Kirchengemeinden, in Feuerwehr, Schützen- und Gesangsvereinen, in der „Tafel“, die Nahrungsmittel für Bedürftige organisiert und an diese verteilt, in Gefährdeten-Hilfsvereinen, die sich um Alkohol- und Drogenabhängige kümmern, in Clubs, die in soziale Projekte spenden, in politischen Parteien, die für das Gelingen unserer Demokratie ganz wichtig sind, und in vielen anderen Aktivitäten.

Alle Jahrgänge sind im zivilgesellschaftlichen Engagement vertreten, mehr oder weniger. Die Statistik zeigt: Ab Alter 75 – etwa – geht die Bereitschaft jedoch deutlich zurück. Das ist auf Anhieb plausibel, muss aber nicht das letzte Wort und darf auf keinen Fall eine „akzeptierte Größe“ sein. Zurzeit ist die stärkste Alterskohorte der Bevölkerung in Deutschland zwischen etwas 55 und 70 Jahre alt, denn 1950 bis 1965 waren sehr geburtenstarke Jahrgänge, übrigens in Ost- und West-Deutschland ziemlich parallel. Seit rund 1970 hat sich die Geburtenrate auf deutlich niedrigerem Stand bei kleinen Schwankungen eingependelt.

Mit Blick in die kommenden Jahrzehnte ergibt sich sofort die Frage: Wächst genügend „Nachwuchs“ für das freiwillige zivilgesellschaftliche Engagement in seiner Vielfalt nach? Eine garantierte Sicherheit dafür gibt es nicht, denn die Freiwilligkeit steht nicht infrage. Aber pessimistisch sein muss man auch nicht. Dabei dürfen wir uns nicht nur auf die Älteren verlassen, sondern auch bei den Jüngeren und jungen Jahrgängen für Engagement werben. Es gibt gute Argumente und viele Interessierte. Und wer schon vor und bis 55/60 in der Gesellschaft aktiver Teil und engagiert war und ist, bleibt dies auch gerne noch danach.

Es wächst erkennbar die Zahl derer, die den Rentenantritt nicht als Klippe zum „Rundum-Ruhestand“ sehen. Körperlich fit sind ohnehin die meisten mit 55/60 noch, auch noch deutlich länger, zumindest viele. Immer mehr fragen sich vor dem Renteneintritt selbst: Wie soll mein Leben demnächst denn aussehen, wie kann ich gesund bleiben, wie kann ich weiter Sinn stiften, echt lebendig bleiben, Können und Wissen einsetzen, mitwirken, „dazu gehören“? Über all das dürfen und müssen wir sprechen. Zu diesem Aspekt gehört auch, dass immer mehr freiwillig einige Zeit über ihren Renteneintrittstag hinaus im Beruf bleiben möchten, des Geldes wegen, aber auch wegen der Verbundenheit zum Beruf.

Ein anderer Bereich für Engagement wird auch immer offensichtlicher: Die Zahl derer steigt, die sich im Rentenalter irgendwann um ihre Partner:innen begleitend und nicht selten auch fürsorgerisch und pflegend kümmern. Da geht es vor allem um Paare, die miteinander 75 und 80 Jahre und älter werden. Man darf vermuten, dass die größere Zahl älterer Menschen gerade an dieser Stelle ein erheblicher Teil der Lösung des Engagements-Bedarfs der Alten bleiben wird.

Man sieht bei all dem: Auch das „Berufsbild“ zivilgesellschaftlichen Engagements ist im Wandel. Dabei bleibt es ein vernünftiges Anliegen jeder Demokratie, Sinn für und teils auch Lust auf soziales Engagement zu lenken und zu vermitteln. Das kann auch die Berufswahl beeinflussen und auch die Hinwendung zum freiwilligen Engagement im großen gesellschaftlichen Geflecht; von früher Jugend an.

Dabei gilt auch, sich bewusst zu machen, dass freiwilliges Engagement gesund ist, ja gesund, und genau dies ist ein wichtiges Argument im Älterwerden. Es muss für die Gesellschaft selbstverständlich sein, für das Engagement zu werben, aber auch zu danken und die zu ehren, die sich dort besonders um eine „gelingende Gesellschaft“ verdient machen. Es sind viele, und sie sind und bleiben unentbehrlich.

Das Prinzip „Helfen und sich helfen lassen“ ist die bewährte Maxime einer solidarischen Gesellschaft und die ist ein gutes Stück aller Demokratie.

12 …. und Covid-19

Ein Beitrag wie dieser in der Zeit der großen Pandemie kommt nicht ohne einige Worte zu den Erfahrungen der Jahre 2020/2021 aus. Die waren nicht überall auf unserem Planeten gleich krass, wurden in einigen asiatischen Ländern souveräner abgewehrt als bei uns, aber insgesamt war und ist es ein globales Ereignis von ungeahnten Dimensionen und verheerenden Konsequenzen. Profis mussten ran, aber auch die standen oft recht ratlos vor Herausforderungen, auf die man nicht vorbereitet war und waren deshalb ziemlich unsicher. Aber in den Wochen und Monaten seitdem wurde doch erkennbarer, dass Solidarität stärker und verbreiteter ist, als es manchmal scheint. Es gab und gibt offensichtlich viele Menschen, die zur spontanen Hilfe bereit sind (siehe auch den Beitrag von Martina Brandt et al. in diesem Band). Der unglückliche Start in Deutschland, in dem Generationen teils gegeneinander zu stehen schienen, hat sich nicht als Gesamtbild durchgesetzt. Es ist nicht zu beschönigen, was sich an Unverständnis und Ignoranz Bahn brach, aber die große Mehrheit von den Jungen bis zu den Alten hat sich in ihrer gegenseitigen Achtung und Hilfsbereitschaft bewährt. Viel besser wäre es natürlich gewesen, die Pandemie wäre uns erspart geblieben, aber etwas erfahren und lernen kann man doch durch sie. Dies gehört dazu.