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1 Einleitung

Die Frage, inwieweit ein langfristiger Verbleib der Geflüchteten an den ländlichen Wohnstandorten zu erwarten ist, hängt mit einer positiven Bindung an einen Ort und ein Wohnumfeld zusammen und ist wiederum nicht zu trennen von der Einbettung in eine soziale Gemeinschaft vor Ort. Der Begriff des Sozialen Wohlbefindens bündelt die Faktoren der Ortsbindung, der sozialen Einbettung und eines positiven Selbstwertgefühls. Die nachfolgenden Abschnitte leiten diesen Begriff auf der Basis sozialpsychologischer Forschungsliteratur ein und geben dann einen Überblick über die Formen der Operationalisierung in diesem Kapitel. Dabei wird nach drei Betrachtungsperspektiven differenziert:

  1. 1.

    Aus der Perspektive der Geflüchteten: Was sind die individuellen und gesellschaftlichen/sozialen Voraussetzungen, die die Entwicklung sozialen Wohlbefindens und damit eines positiven Gefühls von Zugehörigkeit hervorbringen oder behindern?

  2. 2.

    Aus der Perspektive der aufnehmenden Gesellschaft: Was sind die Komponenten aufseiten der aufnehmenden Gesellschaft, die die Entwicklung von Zugehörigkeit bei Neuzugewanderten fördern oder hemmen können?

  3. 3.

    Aus Perspektive von Akteur*innen lokaler/regionaler Governance: Welche Rolle spielt soziales Wohlbefinden von Geflüchteten bei lokalpolitischen Prozessen und Maßnahmen? Welche Bedarfe nehmen Akteur*innen wahr – und (wie) reagieren sie darauf?

Zunächst wird in das Konzept des sozialen Wohlbefindens eingeführt und Begriffen und Indikatoren der sozialen Exklusion und des Rassismus gegenübergestellt (s. Abschn. 8.2). Als Ausgangspunkt für die Analyse wird die Perspektive der Geflüchteten gewählt, sodass in Abschn. 8.3 zunächst die Erfahrungen und Wünsche der Geflüchteten hinsichtlich ihrer sozialen Inklusion und Exklusion in Verbindung mit ihrem Wohnort analysiert werden, um die individuellen und sozialen Voraussetzungen zu ermitteln, die die Entwicklung sozialen Wohlbefindens und damit eines positiven Gefühls von Zugehörigkeit hervorbringen oder behindern. Die Ergebnisse werden in Abschn. 8.4 gespiegelt durch die Perspektive der Wohnbevölkerung und der Zivilgesellschaft, indem untersucht wird, welche Komponenten aufseiten der aufnehmenden Gesellschaft die Entwicklung von Zugehörigkeit bei Neuankommenden fördern oder hemmen (können). Abschn. 8.5 thematisiert, inwieweit das soziale Wohlbefinden von Geflüchteten durch lokale Akteur*innen wahrgenommen wird und bei lokalpolitischen Prozessen und Maßnahmen mit berücksichtigt wird. Mit Fokus auf die Phänomene Diskriminierung und Rassismus als Faktoren, die dem individuellen wie dem sozialen Wohlbefinden abträglich sind, werden die Problemwahrnehmung und -bearbeitung durch verschiedene Akteursgruppen (Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft) analysiert. Abschn. 8.6 fasst die Ergebnisse auf synoptische Art und Weise zusammen.

2 Konzeptionelle Rahmung

Der Terminus Wohlbefinden (engl. well-being) geht auf den italienischen Begriff des benessere zurück. Als psychologisches Konzept findet sich der Begriff well-being in der Entwicklungspsychologie, der Sozialpsychologie und in der klinischen Psychologie (Ryff 1989). In der psychologischen Forschung wird well-being meist konzeptualisiert als eine Balance zwischen positiven und negativen Lebenseinflüssen, mit dem Faktor Lebenszufriedenheit als Schlüsselkomponente von well-being (Ryff und Keyes 1995).

Soziales Wohlbefinden steht in einem dialektischen Verhältnis zwischen der Erfüllung der eigenen Wünsche und der Erfüllung von sozialen Verpflichtungen bzw. der Einordnung in einen spezifischen sozialen Kontext (Kan et al. 2009; Lu 2008). Dies ist auch empirisch nachweisbar. So zeigen etwa Haslam et al. (2009) einen Zusammenhang zwischen der sozialen Einbindung eines Individuums und dem individuellen Wohlbefinden. Das heißt, der Grad des individuellen Wohlbefindens korreliert mit der Übereinstimmung zwischen dem personalen Selbst und der Rolle, die das Individuum für sich in der sozialen Welt sieht. Demgegenüber korreliert individuelles Wohlbefinden negativ mit der mangelnden Passung zwischen der für sich angestrebten sozialen Identität (Rolle) und der subjektiv wahrgenommenen tatsächlichen Rolle, die in der sozialen Welt eingenommen wird (s. dazu detailliert Sharma und Sharma 2010). Dieser Zusammenhang wird in der Sozialpsychologie mit Hilfe von sozialen Identitätskonzepten beschrieben, z. B. der sozialen Identitätstheorie (Tajfel und Turner 1986) oder der Selbstkategorisierungstheorie (Turner 1985; Turner und Oaks 1997). Die soziale Identitätstheorie bezieht sich auf die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. In vielen sozialen Zusammenhängen ist das individuelle Selbstkonzept stark von der Gruppenzugehörigkeit – also der sozialen Identität – abhängig. Eine geteilte soziale Identität ist die Basis für gegenseitige Unterstützung und Einflussnahme innerhalb einer sozialen Gruppe. Empirische Studien zeigen einen positiven Effekt einer durch die Gruppenidentität erfahrenen Stabilität, dem Erfahren von Sinn, Orientierung und positiver Distinktion (‚Wir‘-Gefühl in Abgrenzung zu ‚Anderen‘) auf die individuelle geistige Gesundheit und das individuelle Wohlbefinden (Kirmayer et al. 2002; Reitzes und Mutran 2002; Scheff 2001).

In diesem Zusammenhang ist auch die Vielfalt sozialer Kontakte von Bedeutung, die z. B. in den theoretischen Ansätzen zu sozialem Kapital bei Putnam (1993, 2000) erläutert werden, und die auch Eingang in das Integrationskonzept von Ager und Strang (2008) genommen haben, da soziale Kontakte Zugang zu Integrationsdimensionen fördern oder behindern können. Während social bonds als soziale Beziehungen innerhalb einer Gruppe definiert werden, können social bridges als Beziehungen zwischen verschiedenen Gruppen, z. B. zwischen Geflüchteten und der lokalen Bevölkerung vor Ort verstanden werden. Soziale Brücken können Zugang zu lokalen Ressourcen verschaffen und sind damit eine wichtige Voraussetzung, um eine soziale Teilhabe vor Ort zu ermöglichen. Als dritte Komponente ermöglichen social links Zugang zu gesellschaftlichen Institutionen, die z. B. für den Integrationsprozess und damit indirekt für die Herstellung von lokal gebundenem sozialem Wohlbefinden relevant sind. Soziale Kontakte und Interaktionen differieren nach dem Grad der emotionalen Betroffenheit, der investierten Gefühle und der Tiefe der Bindung. Allerdings können sich auch aus funktional begründeten oder institutionell definierten Beziehungsstrukturen tiefere Beziehungen entwickeln, wie es Granovetter (1973/1983) in seinen Überlegungen zu weak ties und strong ties aufgezeigt hat: weak ties können zu strong ties werden, abhängig von gemeinsam verbrachter Zeit, emotionaler Intensität, Vertrauen und gegenseitiger Unterstützung.

Die soziale Einbindung des Individuums geschieht meist in Form von Teilhabe in verschiedensten Netzwerken, die sich teils überlappen (z. B. Familie, Wohnumgebung, Arbeitsplatz, Sportverein). Doch auch soziale Interaktionen im unmittelbaren Sozialraum (Nachbarschaft, Wohnviertel) besitzen eine wichtige identitätsstabilisierende Funktion. Häufig wirken sie unverbindlich, wie z. B. der Smalltalk über den Gartenzaun oder im Hausflur. Dabei sind die Inhalte weniger wichtig als der Akt der Interaktion selbst, indem eine beiläufig-freundliche soziale Anerkennung des Gegenübers zum Ausdruck kommt oder signalisiert werden soll. Auch funktionale Beziehungen gehören zur sozialen Interaktion, z. B. kleine wechselseitige Hilfeleistungen in der Nachbarschaft. Daraus können sich intensivere und verbindlichere Beziehungen entwickeln, v. a. wenn es gemeinsame Interessens- oder Problemlagen gibt, etwa aus lebenszyklischen Zusammenhängen heraus. Diese auf Basis räumlicher Nähe eingegangenen Interaktions- und Kooperationsformen zeichnet aus, dass in ihnen die „funktionalen Differenzierungen und Rollendifferenzierungen der modernen Gesellschaft partiell aufgehoben“ werden (Weichhart 1990, S. 65).

Ausgehend von diesen Überlegungen kann der Begriff „Soziales Wohlbefinden“ definiert werden als die Summe der sozialen und gesellschaftlichen Komponenten, die ein Gefühl von Zugehörigkeit entstehen lassen und damit das individuelle Wohlbefinden positiv beeinflussen. Somit kann soziales Wohlbefinden als eine Voraussetzung für die längerfristige Niederlassung von Geflüchteten an einem ländlichen Wohnort betrachtet werden, an den sie in der Regel zunächst unfreiwillig, z. B. durch Zuweisung, gelangt sind.

Als Kontrapunkt zu sozialem Wohlbefinden durch ein Gefühl der Zugehörigkeit steht das Gefühl sozialer Exklusion. Dieses resultiert aus der empfundenen Nicht-Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe sowie durch das Erleben von abwertenden Verhaltensweisen seitens anderer sozialer Gruppen. In Bezug auf die Integration von Geflüchteten in ländlichen Gemeinden sind dabei vor allem Formen des Alltagsrassismus relevant, die sich auf verschiedenen Ebenen äußern können. Alltagsrassismus basiert auf der unhinterfragten Normalitätsannahme einer gesellschaftlichen Mehrheit, die als historisch gewachsen legitimiert und nicht hinterfragt wird. Diese Positionierung ist eng verbunden mit gesellschaftlichen Machtverhältnissen. Über Alltagsrassismus werden daher stets hegemoniale Machtverhältnisse reproduziert und den so Adressierten eine subalterne Position im gesellschaftlichen Gefüge zugewiesen. Dabei gibt es unterschiedliche Ausprägungsformen des Alltagsrassismus (s. Beigang et al. 2017):

  • soziale Herabwürdigung, also Äußerungen (verbal, schriftlich, mit Gesten), die sich auf ein persönliches Merkmal beziehen und durch die sich eine Person herabgesetzt fühlt,

  • materielle Benachteiligung als eine Diskriminierungsform, bei der die diskriminierte Person direkt in ihren Handlungsoptionen eingeschränkt wird oder unmittelbare Nachteile in der Situation selbst erfährt, zumeist in materieller Form, sowie

  • Diskriminierung in Form von körperlichen Übergriffen, also Androhung oder Anwendung von Gewalt, inklusive sexualisierter körperlicher Übergriffe.

Es ist davon auszugehen, dass Geflüchtete durch ihr aus Perspektive der ländlichen Bevölkerung sichtbares ‚Anderssein‘ dementsprechend nicht nur Formen der sozialen Ausgrenzung erleben, sondern auch durch rassistische Abwertungen und Übergriffe in ihrem individuellen und sozialen Wohlbefinden beeinträchtigt sind. Dies kann direkte Auswirkungen auf ihr Bleibeverhalten haben. Im Folgenden wird dementsprechend nachgespürt, wie aus der Perspektive der Geflüchteten, der Bevölkerung und der lokalen Expert*innen soziales Wohlbefinden entsteht, welche Rolle Einstellungen und Praktiken der Zivilgesellschaft und Politik dabei spielen, und inwieweit rassistische Praktiken und Formen sozialer Exklusion die Entstehung sozialen Wohlbefindens und damit die langfristige Niederlassung von Geflüchteten in ländlichen Regionen hemmen.

3 Soziale Inklusion und Exklusion aus Perspektive der Geflüchteten

Geflüchtete machen in den ländlichen Aufenthaltsorten spezifische Erfahrungen im Sozialraum, die, wenn sie als positiv bewertet werden, Bindungen an Orte und damit Zugehörigkeiten herbeiführen können (Radford 2017). Um die Vielfalt dieser Interaktionen zu erfassen, werden im Folgenden die drei genannten Typen von sozialen Interaktionen analysiert: Kontakte zur Lokalbevölkerung (social bridges), zu Institutionen (social links) und zur migrantischen Community (social bonds).

Beispielhaft werden im Folgenden für jeden Typ sozialer Kontakte je eine bzw. zwei vertiefende Analysen durchgeführt: Ehrenamtliche und Nachbar*innen als social bridges, Verwaltungsmitarbeiter*innen und Bürgermeister*innen als social links und die Kernfamilie als social bonds. Dabei werden die jeweiligen Bedeutungen und Funktionen, die Geflüchtete diesen Personengruppen zuschreiben, identifiziert und Lebensbereiche, in denen die Interaktionen stattfinden, aufgezeigt. Die akteurszentrierte Analyse fokussiert dabei vor allem Erfahrungen und Praktiken der Inklusion, während Mechanismen der Exklusion im Anschluss durch die Analyse von (Un-)Sicherheits- und Diskriminierungserfahrungen diskutiert werden.

3.1 Social Bridges: Die Beispiele Ehrenamtliche und Nachbar*innen

Die Funktion von Ehrenamtlichen im Alltag von Geflüchteten liegt zunächst in der Unterstützung in verschiedenen Lebensbereichen. Stark ausgeprägt ist diese bezüglich allgemeiner Verwaltungsangelegenheiten, wie Schriftverkehr mit Behörden und Institutionen. Konkret wurden hier relativ häufig Ausländerbehörden genannt und Ehrenamtliche waren dabei teilweise mit konkreten Problemlagen wie der Realisierung des Familiennachzuges der Ehefrau befasst (z. B. B_IV_GEF_058). In allen Landkreisen sehr relevant ist die unterstützende Funktion von Ehrenamtlichen beim Erlernen der Sprache, insbesondere wenn kein Zugang zu offiziellen Sprachkursen besteht, z. B. in der Anfangszeit in Deutschland. Sehr wichtig sind Ehrenamtliche bei der Wohnungssuche und der Wohnungseinrichtung, wobei zum Teil eine Zusammenarbeit mit lokalen, kommunalen Einrichtungen, z. B. dem Bauhof, praktiziert wird. Bei der Arbeitsplatzsuche unterstützen Ehrenamtliche ebenfalls in großem Umfang durch ihre Netzwerke. Ehrenamtliche sind schließlich für den Zugang zu Alltagsmobilität entscheidend und bieten bei Bedarf Alltagshilfen. Dies geschieht sowohl einmalig, z. B. bei der Unterstützung der Erstorientierung vor Ort, regelmäßig in Form eines Familienpatensystems oder digital über Messenger-Gruppen. Vereinzelt berichten Geflüchtete darüber, dass Ehrenamtliche sie in finanziellen Angelegenheiten unterstützen (z. B. C_VI_GEF_088; D_VII_GEF_117).

Eine wichtige Rolle bei sozialen Kontakten mit Ehrenamtlichen nehmen Asylcafés, internationale Cafés und andere organisierte Begegnungstreffs ein (z. B. A_II_GEF_023, 026; B_III_GEF_041, 044, 048; D_VII_GEF_102, 103, 108, 113, 115). Dort erhalten Geflüchtete nicht nur Informationen und erweitern damit ihr lokales Wissen, sondern knüpfen auch Netzwerke.

I: „In dem Asylcafé, ist das auch ein Treffpunkt für Freunde oder ist das nur wenn Sie Hilfe brauchen?“

IP [spricht Arabisch]: „Also beides, also ich gehe auch manchmal hin, wenn ich nichts zum Ausfüllen habe oder wenn ich keine Hilfe brauche, sondern auch um die Leute zu treffen, um so was zu lernen so ein neues Wort, oder um einfach mich mit den Leuten zu treffen.“ (B_III_GEF_041)

Diese Angebote adressieren vor allem Geflüchtete als Zielgruppe und es entstehen dabei nur Austauschmöglichkeiten mit dem ehrenamtlich engagierten Teil der Lokalbevölkerung. Ehrenamtliche sind aus der Perspektive von Geflüchteten schließlich im Bereich Freizeitgestaltung wichtig und organisieren Ausflüge oder sonstige Aktivitäten (z. B. Nähtreff, D_VIII_GEF_122). Es entstehen Freundschaften mit Ehrenamtlichen, die unter anderem mit gemeinsamem Feiern von Festen oder Besuchen belegt werden.

Gelegenheiten zu Begegnungen mit der Lokalbevölkerung bestehen nicht nur im Soziotop der Ehrenamtlichen, sondern in vielen Situationen und an unterschiedlichen Orten im Lebensalltag, z. B. am Arbeitsplatz, in der Schule oder der Nachbarschaft. Letzterer schreiben Geflüchtete ebenfalls funktionale Beziehungen zu. Auf der einen Seite berichten sie teilweise von Anonymität in der Nachbarschaft und stellen diesbezüglich große Unterschiede zu ihren Herkunftsländern fest (Glorius et al. 2020). Auf der anderen Seite nehmen sie Interaktionen mit Nachbar*innen in Kleinstädten und Landgemeinden als einfacher zu realisieren und persönlicher wahr. Insbesondere das Grüßen auf der Straße wird als positiv bewertet.

„Großer Vorteil auf dem Land (…), also dass man die Leute kennenlernen kann und dann nicht nur eine Nummer ist, sondern es persönlich ist dann.“ (D_VIII_GEF_125)

Nachbar*innen werden als freundlich und nett bezeichnet und zufällige Begegnungen sowie spontane und geplante Einladungen werden als positive Erfahrungen bewertet. Sind Kontakte mit Nachbar*innen selten, führen Geflüchtete dafür mangelnde zeitliche Ressourcen auf beiden Seiten als Gründe an. Hinzu kommen Sprachbarrieren und fehlende Räume der Interaktion, die meist von Geflüchteten berichtet werden, die in Sammelunterkünften abseits von Wohngebieten leben.

3.2 Social Links: Das Beispiel lokale Verwaltung/Bürgermeister*innen

Interaktionen mit Institutionen finden häufig in Behörden, wie der Ausländerbehörde oder dem Jobcenter statt und sind demnach durch Machtasymmetrien gekennzeichnet. Darüber hinaus haben Geflüchtete soziale Kontakte in Beratungssituationen, z. B. in Migrationsberatungsstellen. Mitarbeiter*innen von Behörden und Bürgermeister*innen werden durchweg als funktionale Kontakte beschreiben und sowohl negativ („unfreundlich“, D_VII_FOK_2) als auch positiv bewertet. Einige wenige Geflüchtete agieren auch als aktive Bürger*innen der Wohnsitzkommune und wenden sich mit Anliegen an Bürgermeister*innen, z. B. in Bezug auf mangelnde Straßenbeleuchtung (C_VI_GEF_098). Von gegenseitigem Interesse berichten Geflüchtete ebenfalls. Bürgermeister*innen nehmen an Festen, wie dem Zuckerfest teil (z. B. B_III_GEF_034) oder machen Besuche in Unterkünften und führen dort Gespräche, die Geflüchtete als empathisch bewerten.

„Also [NAME LANDGEMEINDE] war immer gut. Am Anfang, dass man dann auch persönlich den Bürgermeister kennt. Hat uns auch paar Mal besucht im Heim. Haben wir zusammen gesessen. (…) im Flüchtlingsheim. Haben wir auch was zusammen unternommen. An Weihnachten war er mit uns in [NAME GROSSSTADT]. (…) Ja, also auf jeden Fall hat sich sehr um uns gekümmert. Also er hat ganz große Empathie gezeigt und versucht einfach, uns zu verstehen, was wir auch für Erfahrungen im Krieg hatten, worunter wir gelitten haben und so. Und haben einfach/Konnten wir uns verstehen, trotz Sprachhindernis. Mit Übersetzer, Handy, auf Englisch, alles Mögliche. Das war schon also gut, dass man dann ein Gefühl hat, dass Leute mit einem sind und helfen.“ (D_VIII_GEF_125)

Schließlich kennen auch Bürgermeister*innen vereinzelt Multiplikator*innen aus der Community der Geflüchteten und sprechen diese gezielt an, z. B. um Geflüchtete für unterstützende Arbeiten an Grünanlagen oder öffentlichen Gebäuden zu gewinnen. Bürgermeister*innen erhöhen somit die Sichtbarkeit von Geflüchteten im öffentlichen Raum.

3.3 Social Bonds: Das Beispiel Kernfamilie

Mit der Kernfamilie werden zunächst bedeutende Lebensereignisse assoziiert. Darunter fallen vor allem Familienzusammenführungen oder das Ausbleiben derselben. Als Zwischenschritt berichten Geflüchtete auch über rechtliche Voraussetzungen, die Familie nach Deutschland zu holen, wie den Erhalt des eigenen Aufenthaltstitels (z. B. A_II_GEF_023; B_III_GEF_041; C_V_GEF_079; D_VII_GEF_105, 119).

„Die wichtige Sache ist, dass meine Familie in Deutschland angekommen ist. Wenn man in einem fremden Land ist, ist die wichtige Sache der Familiennachzug und dass man sich mit seiner Familie treffen kann. Dann ist die Wohnung wichtig, aber nicht so wie der Familiennachzug. Und die zweite Sache, die wichtig ist, dass meine Kinder mit Bildung und mit der Zukunft/mit Blick auf die Zukunft angefangen haben. Das möchten die Mütter und die Väter immer, dass die Kinder ihren Weg finden/ihre Zukunft finden.“ (C_VI_GEF_083)

Im obigen Zitat wird zudem deutlich, was von sehr vielen Geflüchteten angeführt wird, nämlich, dass der Bildung der Kinder und einer guten und erfolgreichen Zukunft ein hoher Stellenwert beigemessen wird. So wird von der Geburt der Kinder, dem ersten Tag in der Kita oder dem Schulbeginn der Kinder genauso berichtet wie von einem erfolgreichen Schuljahresabschluss. Die Freude darüber, dass Kinder den Schulalltag meistern, erfolgreich im Sport sind, einen Ausbildungs-/Arbeitsplatz bekommen haben oder sich auf dem Land einfach nur wohlfühlen, bringen die Geflüchteten deutlich zum Ausdruck.

Mitglieder der Kernfamilie sind auch zentrale Kontaktpersonen bei Freizeitaktivitäten, wie z. B. Spaziergängen in einem Park oder zu einem Spielplatz (z. B. B_IV_GEF_065, 066; C_VI_GEF_089, 091; D_VII_GEF_109). Die Aktivitäten beschränken sich dabei jedoch nicht ausschließlich auf den Nahraum. Vor allem Besuche von Verwandten finden auch in anderen Teilen Deutschlands statt (Glorius et al. 2020; s. auch Kap. 7). Familienmitglieder, die sich in anderen Ländern oder im Herkunftsland befinden, spielen im Lebensalltag ebenfalls eine wichtige Rolle. Realisiert werden können diese transnationalen Kontakte meist aber nur durch (Video-)Telefonate. Vereinzelt finden Besuche oder Treffen im Ausland statt (z. B. C_VI_GEF_086, 094).

3.4 Soziales Wohlbefinden: eine Frage der Perspektive

Erfahrungen von sozialem Wohlbefinden werden mit der Bewertung des Wohnortes assoziiert. Dieser wird von Geflüchteten relational zu anderen Kontexten eingeordnet. Räumlich-relational geschieht dies anhand der Kategorien Herkunftsland – Transitland/Flucht – Aufnahmeland, Stadt/Land und Ost/West (s. für Australien: Ziersch et al. 2020; für Schweden: Stenbacka 2012; Wernesjö 2015). Zeitlich-relational werden Erfahrungen von Exklusion und Diskriminierung vergleichend in der Phase der Willkommenskultur 2015/16 und danach eingeordnet (s. zunehmende Sorge vor Fremdenfeindlichkeit unter Geflüchteten zwischen 2016 und 2018, IAB-BAMF-SOEP-Befragung, Schmidt et al. 2020).

„Das erste Jahr hier in [NAME KLEINSTADT] waren die Leute hier ganz, ganz freundlich, ganz nett. Die wollten immer so näher zu uns kommen. Viele Leute haben uns damals geholfen. Also 2015/16. Haben uns geholfen oder so. Es haben uns fast alle auf der Straße begrüßt. Das tun wir natürlich auch. Aber also mit dem Anfang 2017 hat sich wirklich fast alles geändert. Also die Leute sind schwieriger geworden. Man sieht jetzt einfach so den Hass auf der Straße. Es ist nicht wie früher. Überhaupt nicht wie früher. Keine Ahnung. Also es sind ja ein paar Ereignisse also hier in Deutschland passiert, wie die Terroranschläge und so, die die Ideen von Leuten einfach verändern können. Aber naja also in [NAME LANDGEMEINDE] – man sieht es ganz deutlich, dass die Leute anders geworden sind. Das wollte ich jetzt sagen.“ (B_IV_GEF_064)

In ihren Ausführungen weisen Geflüchtete zudem auf die negative Wirkung medialer Berichterstattung hin, die sie unter Generalverdacht stelle und in der Folge soziale Kontakte verhindere (z. B. B_IV_FOK_2; s. Rösch et al. 2020).

3.5 (Un-)Sicherheit im Wohnumfeld

Für soziales Wohlbefinden von Geflüchteten sind deren Bewertungen von Sicherheit und Geborgenheit (im Integrationsmodell von Ager und Strang 2008 als safety & security bezeichnet) im eigenen Zuhause und dem unmittelbaren Wohnumfeld maßgeblich. Sicherheit wird zunächst relational im Gegensatz zu Städten beschrieben, wobei die Abwesenheit von Gewalt auf dem Land herausgestellt wird. Eine allgemein ruhige und friedliche Atmosphäre im Ort und unter Nachbar*innen wird ebenso berichtet, wie Sicherheit für Kinder in der Gegenwart, die in der Abwägung als wichtiger als Angebote in der Stadt wahrgenommen werden. Diese Erfahrungen werden schließlich als Erwartungen an den ländlichen Wohnstandort in die Zukunft projiziert (s. Kap. 6).

„Das ist schwer. Ja und mein Glück ist auch im kleinen Dorf – oder weit weg von der Stadt. In der normalen Stadt gibt es viele Möglichkeiten für Arbeit, für alles. Aber in einer kleinen Stadt ist es schwer. Aber für Kinder ist das gut. Das ist gut. (…) Also ich sehe das hier für Kinder, das ist gut.“ (D_VII_GEF_119)

„Ah ja, das, was uns am glücklichsten macht, ist, dass unsere Kinder hier sicher leben können und eine sichere Zukunft haben und dass sie nicht das erleben, was wir erlebt haben. (…) Ja, die Ruhe. Dass die Kinder ihre Ruhe haben und wir sind ja auch schon alt.“ (C_VI_GEF_089)

Unsicherheit hingegen wird vor allem retrospektiv in Bezug auf die Zeit in Erstaufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünften berichtet. Diese resultiert aus fehlender Privatsphäre oder übermäßigem Alkoholkonsum und lautstarkem Verhalten anderer, vor allem alleinstehender männlicher Bewohner, die Familien mit Kindern stören und allein reisende Frauen ängstigen. Hinzu kommen Sorgen und Angst um Familienmitglieder im Ausland.

3.6 Diskriminierung und Rassismus

Um Erfahrungen von Diskriminierung und Rassismus im Lebensalltag von Geflüchteten in ländlichen Regionen zu verstehen, wurden Narrative mit dem Code „Diskriminierung/Rassismus“ nach den Formen der Diskriminierungserfahrungen, wie sie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Beigang et al. 2017) vorschlägt, ausgewertet (s. Abschn. 8.2).

Soziale Herabwürdigung wird von Geflüchteten zunächst in Bezug auf das Wohnen in Gemeinschaftsunterkünften, meist in der Vergangenheit, berichtet. Sie machen diese Diskriminierungserfahrungen mit anderen Geflüchteten in der Unterkunft, mit Security-Diensten sowie dem Unterkunftspersonal. Geflüchtete erfahren zudem Diskriminierungen durch Nachbar*innen, Vermieter*innen sowie Arbeitskolleg*innen. Herabwürdigungen werden häufig auch im öffentlichen Raum, z. B. an Bahnhöfen, berichtet (z. B. D_VII_GEF_103, s. Kap. 7). Diese werden vor allem an persönlichen Merkmalen festgemacht, wie z. B. der Hautfarbe (z. B. D_VII_GEF_104), der Kleidung im Allgemeinen (z. B. C_VI_FOK_1) oder dem Tragen eines Kopftuches im Speziellen (z. B. A_I_GEF_012; B_IV_FOK_2; s. Kurtenbach 2018). In Bezug auf Kinder führen Geflüchtete ebenso soziale Herabwürdigungen an, die am Kleidungsstil festzumachen sind (z. B. B_IV_GEF_059).

[spricht Dari] „Die beiden ältesten Kinder, die sagen, uns ist es peinlich, wenn du zu Woolworth oder KiK gehst. Wir wollen nicht dahin. Die wollen gerne bei Deichmann Schuhe kaufen und bei Vögele Klamotten. (…) Weil einmal habe ich Schuhe gekauft, Schuhe für meinen Sohn, und er sagt: ‚Nein, alle anderen Kinder haben gelacht.‘ (…) Ich muss extra für 60 Euro Schuhe kaufen, damit er zufrieden ist. (…) Weil die lachen mich aus.“ (D_VII_GEF_117)

Auch das unspezifische Merkmal „Ausländersein“, (vermeintlicher) Sozialleistungsbezug oder neu am Ort zu sein, kann Ursache von sozialer Herabwürdigung sein. Zudem erfahren Geflüchtete Vorurteile, wie eine fehlende Bereitschaft zu arbeiten oder zu lernen und sind mit exkludierenden Aussagen konfrontiert.

„Geh mal nach Hause, bleib nicht hier.“ (A_II_GEF_017)

„Scheiß Ausländer!“ (B_III_GEF_033)

„Du schwarzer Affe, warum bist du hier und warum gehst du nicht in dein Heimatland?“ (D_VII_GEF_104)

In der Folge stellt sich ein Gefühl der Unsicherheit oder des Unerwünscht-Seins ein. Geflüchtete können sich aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse oft nicht angemessen wehren. Erfahrungen der Herabwürdigung werden schließlich im Bildungsbereich, vor allem durch Mitschüler*innen, berichtet. Diskriminierungen entstehen darüber hinaus auch aus der Geflüchteten-Community selbst und basieren auf unterschiedlichen, erwarteten Rollenbildern innerhalb der Familie, wie diese alleinerziehende Geflüchtete berichtet:

„Viele afghanische Leute ärgern mich. Ärgern mich. Die ärgern mich. Warum ich nicht mit meinem Mann zusammen lebe? Warum eine Frau, eine junge Frau alleine ist mit vier Kindern? Wo ist dein Mann? Immer ärgern sie mich. (…) Die ärgern mich sehr, sehr viel. Manchmal weine ich deshalb.“ (D_VII_GEF_117)

Kinder berichten von Erfahrungen der Ausgrenzung und Vereinsamung und gehen nicht gerne zur Schule. Des Weiteren stellen unterschiedliche regionale Zugehörigkeiten in der Herkunftsregion einen Anlass für Herabwürdigung dar.

I: „Etwas Negatives, was passiert ist in der Zeit?“

IPa und IPb [spricht Arabisch]: „Die Kinder. Es gibt gerade ein Problem mit den Kindern in der Schule. Sie sind immer Diskriminierung ausgesetzt von den Arabern, nicht von den Deutschen. Mein Sohn hat zum Beispiel lange Haare und die syrischen oder arabischen Mitschüler schimpfen ihn aus und sagen: ‚Du hast lange Haare wie ein Mädchen‘. Und er trägt manchmal auch rote Schuhe oder ein rotes Hemd (Oberteil). Jetzt gerade lehnt er es auch ab die rote Kleidung zu tragen. Hier in [NAME KLEINSTADT] gibt es eigentlich nur drei Familien aus [NAME GROSSSTADT IN SYRIEN] und die, die übrig sind, sind aus [REGION IN SYRIEN] und aus einem anderen Kulturkreis und können sich deswegen nicht verständigen und mit den anderen verstehen. Das ist ein Problem, etwas Negatives.“ [B_IV_GEF_059]

Materielle Benachteiligung erfahren Geflüchtete vor allem beim Zugang zu Wohnraum. Der „Fluchthintergrund“ führt ebenso wie die Hautfarbe, die Größe der Familie oder der Sozialleistungsbezug vielfach dazu, dass Vermieter*innen das Mietverhältnis ablehnen und dieses nicht zustande kommt (Weidinger und Kordel 2020; s. Abschn. 3.5). Unmittelbare Benachteiligungen durch Diskriminierungserfahrungen am Arbeitsmarkt resultieren im Verwehren eines Arbeitsplatzes. In Behörden hingegen folgen materielle Benachteiligungen aus unzureichender Informationsvermittlung und Ungleichbehandlung, durch die die Chance des Zugangs zum Arbeitsmarkt minimiert wurde (s. Abschn. 3.5).

Diskriminierung in Form von körperlichen Übergriffen erfahren Geflüchtete vor allem im öffentlichen Raum. Sie berichten von Spuckattacken, Bedrohungen mit Messern und Flaschenwürfen oder von Körperverletzungen durch tätliche Angriffe. Wie folgender Ausschnitt zeigt, zögern Geflüchtete, eine Anzeige zu erstatten.

„Ich wollte Essen beim arabischen Laden in der Nähe holen. Auf dem Weg, da kam ein Nazi mit Fahrrad, der hat mich mit einer Stange hier [zeigt auf die Körperstelle] den Rücken so geschlagen, und er wollte auch die Kinder schlagen. Er hat sie weggeschoben, dann bin ich in Ohnmacht gefallen. Ich habe das nicht so weitergegeben an meine Söhne, ich habe auch keine Anzeige bei der Polizei gemacht. Ich wollte keine Probleme machen.“ (A_I_GEF_005)

Neben individuellen Angriffen wird von körperlichen Attacken auch auf Geflüchtete als Gruppe berichtet. Beispiele sind hier ein Brandanschlag auf ein Wohnheim oder Waffengebrauch im Kontext eines Anschlags. Regional konzentrieren sich Berichte über körperliche Übergriffe auf die sächsischen Uuntersuchungsregionen, wobei auch von je einer Erfahrung aus Hessen und Bayern berichtet wird.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Geflüchtete sich durch Kontakte im sozialen Nahraum, ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit im Wohnumfeld sowie positive Reflexion über die eigenen (familiären) Integrationsprozesse in ländlichen Aufenthaltsorten zugehörig fühlen und Ortsbindungen aufbauen. Das Fehlen entsprechender sozialer Kontakte, ein Gefühl der Unsicherheit bzw. Erfahrungen von Diskriminierung und Rassismus sowie Unzufriedenheit mit bisher Erreichtem hingegen können das Gegenteil bewirken.

4 Zugehörigkeit und Fremdheit aus Perspektive der Aufnahmegesellschaft

Wie stellt sich die Erzeugung von sozialem Wohlbefinden für Geflüchtete aus der Perspektive der Aufnahmegesellschaft, also der Bewohner*innen ländlicher Kommunen und der zivilgesellschaftlichen Strukturen und Institutionen vor Ort dar? Um dieser Frage nachzugehen, wurden im Rahmen einer postalischen Bevölkerungsbefragung Wahrnehmungen und Einschätzungen gegenüber Neuankommenden abgefragt. Mit Hilfe von Leitfaden-Interviews und durch eine Diskursanalyse lokaler Medien wurde untersucht, welche Vorstellungen und Rollenzuschreibungen in Bezug auf Geflüchtete existieren, und welche sozialen Interaktionen zwischen Geflüchteten und ländlicher Bevölkerung stattfinden.

4.1 Geflüchtete als Neubürger*innen – Wahrnehmungen und Einschätzungen

Die Basis dafür, dass Geflüchtete an einem ländlichen Wohnort Fuß fassen und sich dort wohlfühlen können, ist die Bereitschaft der lokalen Bevölkerung, sie in ihre sozialen Strukturen zu integrieren. Das heißt, neben einer grundsätzlichen Offenheit ist auch die Qualität der sozialen Strukturen von Bedeutung. Diese wird gemeinhin für ländliche Kommunen als hoch eingeschätzt, bedingt durch räumliche und soziale Nähe, reziproke Unterstützungsstrukturen in der Nachbarschaft sowie die große Bedeutung von ehrenamtlichen Strukturen für das soziale und kulturelle Leben am Ort (Schiefer und van der Noll 2017).

Die Ergebnisse der Bevölkerungsbefragung bestätigen diese Befunde und zeigen als Ergebnis eine hohe Identifikation der Befragten mit ihrem Wohnort, eine starke Vertrautheit mit der Wohnumgebung und eine von Reziprozität geprägte Unterstützungsstruktur in der Nachbarschaft, aber auch eine hohe Erwartungshaltung in Bezug auf Neuzugewanderte (nicht nur Geflüchtete oder Migrant*innen) in der Nachbarschaft. So sollten diese die allgemeinen sozialen Regeln befolgen, allen voran auf der Straße grüßen (79,4 %) und. gegenüber gemeinsamen Aktivitäten aufgeschlossen sein (62,1 %); 50 % wünschen sich, dass die Neuen sich an Regeln halten (s. auch Arant et al. 2017, die soziale Regeln als Teil des Zusammenhalts im Sinne einer Gemeinwohlorientierung verstehen). Zwei Fünftel der Befragten (40,2 %) wünschen sich, dass sich neue Nachbar*innen persönlich vorstellen, und zwischen einem Drittel und einem Fünftel der Befragten wünschen sich, dass neue Nachbar*innen nicht stören (33,4 %) und alles so bleiben soll, wie es ist (21,3 %). Diese geringe Offenheit gegenüber Veränderungen kann durch die lange Wohndauer eines Großteils der Befragten sowie durch die geringe Diversität der ländlichen Wohnbevölkerung teilweise erklärt werden. Die meisten Befragten kennen keine Migrant*innen in der eigenen Nachbarschaft, demnach wird auch die Eignung des eigenen Wohnortes vor allem für solche Personengruppen, die ohnehin bereits dort leben, als günstig eingeschätzt (z. B. Familien mit Kindern und ältere Menschen), während in Bezug auf „Menschen mit einer anderen Hautfarbe“, „Ausländer*innen“ und „Geflüchtete“ die Einschätzungen erheblich negativer und mit größerer Unsicherheit behaftet sind (s. Schneider et al. 2021, S. 32). Diese eher statische gesellschaftliche Formation in den ländlichen Kommunen bewirkt, dass Grenzen der Zugehörigkeit sehr eng gezogen werden, und zwar nicht nur gegenüber Geflüchteten, sondern gegenüber Zuwanderung generell. So wird in mehreren Interviews von den Schwierigkeiten Neuzugezogener berichtet, als Teil der lokalen Gemeinschaft wahrgenommen zu werden:

„Also wir haben hier auch Geschichten davon, dass (…) Leute (…) aus der Großstadt gekommen sind und nach 25 Jahren immer noch das Gefühl haben, sie gehören nicht zur Dorfgemeinschaft dazu. Deutsche Leute, ja. (…) Das ist auch für uns Deutsche so ein Moment wo wir kurz mal innehalten sollten, was bedeutet denn für uns eigentlich, jemanden mit in die Gemeinschaft zu lassen und was ist überhaupt Gemeinschaft für uns? Wo fängt das an? Im Kopf? Muss ich mit den Leuten zur Schule gegangen sein, um mit ihnen in einer Stadt leben zu dürfen?“ (A_II_ZIV_309)

Mit dieser auf Persistenz basierenden Vorstellung von Gesellschaft geht eine starke Wahrnehmung andersartigen Aussehens und Verhaltens einher, die in Bezug auf Geflüchtete vor allem durch kulturalisierende Stereotype reproduziert wird. Allen voran ist hier die Wahrnehmung von Muslim*innen hervorzuheben, denen anti-moderne Haltungen zugeschrieben werden, was Folgen hinsichtlich der Einschätzungen von langfristigen Integrationschancen vor Ort hat. Dies zeigt sich in der übergreifenden Analyse der lokalen Berichterstattung zu Geflüchteten, in der neben gruppenbezogenen Askriptionen in Bezug auf Geschlecht, Ethnizität, Alter und Familienform die religiöse Bindung ein ganz wesentliches Differenzmerkmal darstellt. Vor allem muslimischen Frauen wird pauschal eine geringere Integrationsleistung unterstellt, und zwar auf Grundlage religiöser und kultureller Zuschreibungen. In der Konsequenz wurde beispielsweise von Ehrenamtlichen ungefragt Aufklärungsarbeit in Bezug auf Empfängnisverhütung betrieben, um die Emanzipation weiblicher Geflüchteter zu fördern (A_II_ZIV_307). Und ein lokaler Verwaltungsmitarbeiter berichtete von der voreiligen Einordnung einer muslimischen Frau, die sich um einen Arbeitsplatz beworben hatte, als Klientin der Ausländerbehörde:

„Das hab ich hier in der Verwaltung tatsächlich mal erlebt, dass eine junge Frau mit Kopftuch zu uns hochgeschickt wurde, weil man davon ausgegangen ist, DA sie ja ein Kopftuch trägt müsste in den Migrationsbereich, und sie wollte eigentlich nachfragen, ob ihre Bewerbung hier beim Landkreis angekommen ist, und hätte EIGENTLICH bei der Personalabteilung sich melden müssen.“ (D_VII_VER_363).

So zeigt sich, dass stereotypisierende Wahrnehmungen, die das ‚Fremde‘ in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken, den Blick auf das Einende verstellen können, das die Basis zur Herstellung sozialen Wohlbefindens aller ist. Zudem werden durch diese Art der Wahrnehmung strukturelle Hindernisse aus dem Blick gedrängt, mit denen Geflüchtete vor Ort konfrontiert werden, z. B. fehlende Kinderbetreuung während der Sprachkurse, die eine rasche Integration von geflüchteten Frauen hemmt, oder Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt in Bezug auf das Tragen eines Kopftuchs.

4.2 Angst, Vorurteile und Rassismus als Hemmnisse sozialen Wohlbefindens

Als eine wesentliche Komponente aufseiten der aufnehmenden Gesellschaft, die die Entwicklung von Zugehörigkeit bei Neuzugewanderten hemmen kann, sind jegliche Formen sozialer Exklusion zu benennen. Dabei gehen Gefühle von Angst vor Veränderung bzw. konkrete Angst vor dem ‚Fremden‘ (Xenophobie) Hand in Hand mit verschiedensten Ausdrucksformen des Rassismus gegenüber den Geflüchteten. Wie in Kap. 5 aufgezeigt wurde, ist die Häufigkeit ausländerfeindlicher Einstellungen zwar regional unterschiedlich, jedoch ist die Ablehnung von Ausländer*innen, insbesondere Muslim*innen, in den ländlichen Untersuchungsgebieten insgesamt wesentlich höher, als dies bei anderen Befragungen innerhalb Deutschlands ermittelt wurde. Zudem ist der Übergang von Kulturalisierung und Stereotypisierung hin zu Alltagsrassismus vielfach beobachtbar, wie die qualitativen Interviews und auch die Analyse lokaler Mediendiskurse zeigten. Bei der Analyse von Interviews mit Akteur*innen der Zivilgesellschaft war innerhalb der Auswertungskategorie „ablehnende Einstellungen“ der häufigste Code „Vorurteile“ (105), der zweithäufigste jedoch „Rassismus“ (86). Demgegenüber ist aufseiten positiver Einstellungen der Code „Offenheit/Willkommenskultur“ lediglich mit 82 kodierten Sequenzen präsent. Die unterschiedliche Häufigkeit dieser Codes lassen eine regionale Differenzierung zu: So wurden Ablehnung und Vorurteile besonders stark von den Interviewpartner*innen im Landkreis Vechta thematisiert, Vorurteile und Rassismus hingegen besonders häufig in den Landkreisen Regen und Nordsachsen. Im Landkreis Bautzen dominierten die Gesprächssequenzen zu Rassismus und Rechtsradikalismus. Im Landkreis Waldeck-Frankenberg wurde häufig Rassismus adressiert, während in Northeim insbesondere über Vorurteile gesprochen wurde. Im Werra-Meißner-Kreis wurde ebenfalls – bei insgesamt geringer Salienz – vor allem über Vorurteile gesprochen.

Ängste waren insbesondere im Vorfeld der Aufnahme von Geflüchteten in vielen Kommunen präsent. Sie wurden einerseits konkret geäußert, z. B. als Angst vor steigender Kriminalität (C_V_ZIV_318), vor „kultureller Überfremdung“ (A_I_BIL_300; C_VI_ZIV_324), der Verschlechterung der eigenen Lebensverhältnisse bzw. Benachteiligung (C_VI_ZIV_324; D_VIII_ZIV_362; D_VIII_VER_354) oder Angst vor „Kontrollverlust“ angesichts der großen Anzahl der zugewiesenen Geflüchteten (A_I_BIL_300; D_VIII_POL_351). Häufig sind die geäußerten Ängste jedoch diffuser Art und werden von den Interviewpartner*innen als Konsequenz der gesellschaftlichen Persistenz in den ländlichen Regionen interpretiert, in denen Veränderungen per se nicht willkommen seien:

„Angst vor jeglicher Form von Veränderung. (…) hat vielleicht was mit eigener Bequemlichkeit zu tun, aber auch (…) davor, was Vertrautes zu verlieren, was auch immer das Vertraute ist.“ (D_VII_ZIV_373)

Für die Geflüchteten vor Ort haben die existenten, jedoch kaum offen adressierten und damit nicht bearbeiteten Ängste sehr konkrete Konsequenzen, z. B. indem sie latent kriminalisiert werden. So wurden beispielsweise einer Migrantin, die als Reinigungskraft in einem Schwimmbad arbeitete, von Besucher*innen Diebstahlabsichten unterstellt, als sie im Bereich der Schließfächer ihrer Arbeit nachging (D_VII_ZIV_370). Vor allem die Anwesenheit junger geflüchteter Männer wird vielerorts pauschal mit Gefahr verbunden:

„JA, es gab am Anfang, 2016, hatten wir noch einige WGs. Mit recht jungen Männern, mit recht vielen jungen Männern (lacht). Ja, da sah die Sache irgendwie noch anders aus. Viele haben dann auch einen großen Bogen drum herum gemacht. Und, ja, pass auf, wenn du hier abends bis 18 Uhr sitzt, nicht dass dir da mal was passiert.“ (A_I_ZIV_301)

Teils erwuchsen aus Ängsten und Vorurteilen auch konkrete Abwehrpraktiken, wie beispielsweise eine Elterninitiative an einer Schule, die den Bildungserfolg der eigenen Kinder durch die Anwesenheit geflüchteter Kinder gefährdet sah. In diesem Fall konnten die Ängste und die daraus resultierenden abweisenden Praktiken durch eine aktive Adressierung und den Dialog mit Schlüsselakteur*innen entschärft werden:

„Aber wir haben da auch den offenen Dialog gesucht, auch mit einer [Eltern, Anm.]Initiative. Und da bin ich froh, dass man zusammen gekommen ist, und diese Thematik gemeinsam erörtert hat. Es waren bei dem Gespräch auch der Bürgermeister dabei, Vertreter der Politik, und eben diese Initiative.“ (D_VIII_VER_354)

Die Gesprächspartner*innen beobachten, dass Geflüchtete derartige Meinungsäußerungen und abwehrende Praktiken als Mechanismen der Ausgrenzung empfinden, denen sie sich auch aufgrund mangelnder Sprachfertigkeit kaum erwehren können. In der Konsequenz entstehen ein starker Anpassungsdruck sowie das Gefühl von Ohnmacht in Bezug auf herabwürdigende Erfahrungen.

„Also gerade auch Familien beschreiben, dass ihnen das mitunter auch in der Schule und in der Kita begegnet. […] Und das sie eigentlich schon immer das Gefühl haben so ein bisschen stärker sich anpassen zu müssen, so, und nicht auffällig werden zu dürfen in irgendeiner Art und Weise. […] Und das hat viel auch damit zu tun, dass sie sich sprachlich eben nicht so gut wehren können. Also anders könnten sie sich vielleicht noch wehren, aber da fühlen sie sich einfach, irgendwie so sehr ohnmächtig.“ (A_II_ZIV_306)

Subtile Formen von Ausgrenzung gegenüber Geflüchteten sind oft damit verbunden, dass die aufnehmende Bevölkerung die Lebensrealitäten von Geflüchteten ausblendet. Eine Akteurin berichtet davon, dass es für sie schwierig sei, mit diesem „unterschwelligen Rassismus“ umzugehen, weil dieser sich dadurch auszeichnet, die Besonderheiten in den Biographien und Lebensumstände von Geflüchteten ausschließlich im negativen Sinne zu interpretieren, anstatt die besonderen Lebensumstände im Abgleich mit der eigenen Biographie zu würdigen.

„Die sollen doch RICHTIG DEUTSCH LERNEN. Wenn wir Arabisch lernen müssten, glaube ich, da würden sich auch SO VIELE LEUTE DUMM stellen. Und mir ist es aufgefallen, weil ich früher Sprachunterricht gegeben habe, bevor sie in die Schule gegangen sind, und da gibt es einfach viele, die es nicht lernen. Die kennen nicht mal die Schrift. Ich habe Junge unterrichtet aus Afghanistan. Die haben NOCH NIE SCHREIBEN GELERNT, die haben NOCH NIE GESCHRIEBEN. Weder in ihrer Sprache noch IN SONST EINER SPRACHE. Wie sollen die das lernen? Die meisten haben es aber gelernt. (…) Aber den darf ich NICHT VERURTEILEN dafür, dass er es nicht kann.“ (B_IV_ZIV_343)

Rassistisches, diskriminierendes und ausgrenzendes Verhalten der lokalen Bevölkerung gegenüber Geflüchteten ist nicht auf spezifische Orte oder Situationen beschränkt, sondern allgegenwärtig. Vor allem an öffentlichen Orten und in öffentlichen Verkehrsmitteln sind Geflüchtete direkten Anfeindungen ausgesetzt (s. Kap. 7).

„Also das eine Beispiel war, (…) der ist mit dem Bus, Eritreer auch, mit dem Bus nach [ORTSNAME] gefahren. Auf der Strecke steigt eine alte Dame dazu und er stand auf, um ihr Platz zu machen. Da sagt die Frau zu ihm ‚Du brauchst für mich nicht deinen Sitz verlassen, du sollst mein Land verlassen‘.“ (C_V_ZIV_313)

Rassismus und soziale Exklusion zeigen sich nicht nur in direkt an Geflüchtete gerichtete verbale Äußerungen und Angriffe. Indirekt werden Vorbehalte gegenüber Geflüchteten auch über bzw. an Dritte kommuniziert und auch in den lokalen Diskursen reproduziert. Auf diese Weise erhalten ausländerfeindliche und rassistische Einstellungen eine enorme Wirkmächtigkeit, da sie Handlungsorientierungen und Handlungspraktiken beeinflussen. Mehrfach finden sich in dem Datenmaterial Beispiele, in denen die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten an der Antizipation von Rassismus in der lokalen Bevölkerung scheiterte. So berichtete eine Akteurin davon, dass ein lokales Unternehmen gern eine geflüchtete Person eingestellt hätte, dies aber unterlassen hatte, nachdem ihm negative Folgen für seine Geschäftstätigkeit prophezeit wurden:

„Die Leute [haben] echt zu ihm gesagt, wenn du das machst, kannst du hier nicht mehr her.“ (A_I_ZIV_301)

Ein weiteres Beispiel findet sich im lokalen Mediendiskurs: Dabei wird aus der Perspektive eines Ehepaares geschrieben, das sich um zwei junge Afghanen kümmert, die als unbegleitete minderjährige Geflüchtete in den Ort kamen und derzeit einen Bundesfreiwilligendienst verrichten. Sie werden als engagiert, zupackend und vielfältig begabt beschrieben. Nach Ende des Bundesfreiwilligendienstes wollen sie eine Ausbildung aufnehmen, doch bislang erhalten beide nur Absagen auf ihre Bewerbungen. Auch Bauunternehmen in der Region, die auf die beiden jungen Männer aufgrund ihrer Einsatzbereitschaft aufmerksam geworden waren, wollen sie nicht beschäftigen:

„Angesprochen auf die Möglichkeit einer Probearbeit oder gar einer Ausbildungsstelle winkten sie alle jedoch ohne zu überlegen ab. Die Begründung: ‚Wenn ich Ausländer beschäftige, beauftragen mich meine Kunden nicht mehr‘.“ („Vom Flüchtling zur Fachkraft“, SZ, 03.06.2019)

Im Kontext lokaler/regionaler Diskurse sind vor allem die sozialen Medien als bedeutender Einflussfaktor zu benennen. In Form von facebook-Gruppen ist es ein Leichtes, die öffentliche Meinung in konkreten Kommunen gezielt zu beeinflussen und „Stimmungsmache gegen Flüchtlinge“ (LVZ, 14.11.2015) zu betreiben. Dies wird in einer Reportage der Leipziger Volkszeitung aufgegriffen, die in Bezug auf den Landkreis Nordsachsen nach lokalen Protest-Initiativen recherchiert hat. Die entsprechenden facebook-Gruppen haben teils mehr als 1000 „Fans“, und Aufrufe zu PEGIDA-ähnlichen Kundgebungen in verschiedenen Städten des Landkreises werden teils von hunderten Personen geliked und geteilt (LVZ, 14.11.2015):

„Jeden Mittwoch findet in [ORTSNAME] eine Demonstration gegen unkontrollierte Einwanderung statt, vorerst bis Jahresende. Lasst uns, unsere Gemeindenachbarn gemeinsam unterstützen und schaut doch einfach nächsten Mittwoch mal vorbei!“ („Stimmungsmache gegen Flüchtlinge – regionale Portale sind dabei“, LVZ, 14.11.2015)

Durch eine „starke politische und rassistische Mobilisierung“ (*_II_ZIV_306) von Initiativen wie PEGIDA sei es nicht nur zu einem veränderten Beratungsbedarf gekommen, so eine Akteurin, die in einem Beratungsprojekt für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt arbeitet. Neben Gewaltvorfällen zeigen sich die Auswirkungen dieser Mobilisierung auch im Alltag:

„Viele Menschen, die glaube ich früher eher so ein bisschen duckmäuserischer waren mit ihrer Haltung diesbezüglich [Zuwanderung von Geflüchteten, Anm.], dass die dadurch, also durch diese ganze Mobilisierungswelle die es gegeben hat, sehr großes Selbstbewusstsein bekommen haben, das auch so auszuagieren.“ (*_II_ZIV_306)

So zeigen unsere Forschungen zu sozialem Wohlbefinden, Inklusion und Exklusion von Geflüchteten, dass Diskriminierungen und Rassismus allgegenwärtig sind und sich auf vielfältige Weise manifestieren. Direkt prägend ist Rassismus für den Alltag von Geflüchteten. Dabei handelt es sich nicht nur um individuelle und vereinzelte Vorfälle. Vielmehr ist Rassismus strukturell in der aufnehmenden Gesellschaft präsent und führt in der Konsequenz zu sozialer Exklusion von Geflüchteten.

5 Governance-Perspektive auf soziale Inklusion/Exklusion, Diskriminierung und Rassismus

Diskriminierungen und Rassismus wirken sich negativ auf das soziale Wohlbefinden aus. Für eine positive Gestaltung des sozialen Wohlbefindens Geflüchteter ist es daher entscheidend, ob und wie lokale Akteur*innen Diskriminierungstatbestände und Rassismen vor Ort wahrnehmen – und welche Konsequenzen sie daraus ziehen. Die folgenden Abschnitte zeigen, dass sich innerhalb und zwischen den untersuchten Regionen durchaus Unterschiede finden lassen. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, welche Gründe dazu führen, dass in bestimmten Kommunen aktive Handlungen/Policies umgesetzt werden, während andere zwar auch die Problematiken von Diskriminierung und Rassismus benennen, aber dennoch passiv bleiben. Die Interviews mit Expert*innen aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft liefern für diese Analyse eine reichhaltige Grundlage. Dies ist umso bemerkenswerter, da keine Frage des Interviewleitfadens auf die Themen Diskriminierung und Rassismus abzielte. Wurde also im Interview die Thematik benannt, so geschah dies ausschließlich durch den Gesprächsverlauf und die inhaltlichen Impulse der Gesprächspartner*innen. Dies unterstreicht, welche Bedeutung Diskriminierung und Rassismus auch für die Befragten in den ländlichen Kommunen haben. Wichtig ist in diesem Zusammenhang jedoch auch: Auf Beschreibungen von Negativerfahrungen folgten häufig positive Beschreibungen und Beispiele.

5.1 Wahrnehmungen von Rassismus, Diskriminierungen und „rechtsorientierten“ Anfeindungen

In den Experteninterviews wurden uns zahlreiche Handlungen und Aussagen bezüglich Geflüchteter geschildert, die die interviewten Personen beobachtet hatten und die sie selbst als diskriminierend und rassistisch verstehen oder annehmen, dass andere sie so einordnen könnten. Teilweise berichteten die interviewten Personen auch von persönlichen Anfeindungen und Bedrohungen aufgrund des (eigenen) Engagements für Geflüchtete. Die Wahrnehmungsintensität von Diskriminierungen, Rassismus und Anfeindungen variiert jedoch in den drei von uns befragten Gruppen.Footnote 1

5.1.1 Wohlfahrtsverbände, Vereine, Initiativen

Die interviewten Expert*innen aus Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und Initiativen, den „dritten Akteur*innen“, nehmen in vielfältiger Weise, Diskriminierungen und Rassismus aus der Nichtbetroffenenperspektive wahr – und ebenso auch Anfeindungen und Drohungen gegenüber engagierten Menschen, wie sie selbst.

Sehr präsent in allen Untersuchungsregionen ist das Wissen um die Existenz von Anfeindungen und Abwertungen Geflüchteter durch andere Personen. Dabei ist auffällig, dass in allen Regionen von Anfeindungen aufgrund von Religionszugehörigkeiten und damit verbundenen Merkmalen wie etwa dem islamischen hijab (Kopftuch) berichtet wird. Aber auch die Hautfarbe und bestimmte Kleidung werden als Merkmale von Diskriminierungen benannt:

„Für die MÄDCHEN MIT KOPFTUCH ist es schwierig, KOPFTUCH zu tragen in dieser Gegend, gab es bis zu den Syrern nicht. Unsere Türkinnen haben fast kein Kopftuch getragen früher. Jetzt tragen die TÜRKINNEN auch Kopftuch. Aber es war eigentlich wirklich im ORTBILD nicht zu erleben, dass Leute Kopftuch tragen. Und FRISEURIN, APOTHEKERIN MIT KOPFTUCH ist hier in der GEGEND out.“ (D_VIII_ZIV_291)

„Ah, da läuft eine mit Kopftuch und da läuft eine Schwarze mit Kopftuch. Das ist ja so das Nonplusultra. Oh Gott, Schwarz und Kopftuch. Sie werden einfach wahrgenommen, weil sie die Einzigen sind. Und wir hatten hier auch jetzt in dem Sinne nicht massive Anfeindungen, aber so dumme Sprüche und einfach herablassende Blicke. Oder eben auch so diese Abneigung zeigen beim Einkaufen, alles nicht dramatisch, aber zum Wohlfühlen trägt es nicht bei.“ (A_II_ZIV_160)

Deutlich zeigt sich an diesen beiden Zitaten, dass eine Überschneidung verschiedenster Diversitätsmerkmale (zu Intersektionalität s. u. a. Kulaçatan und Behr 2020), wie hier das Tragen des hijabs und die Farbe der Haut die Wahrnehmung als fremd intensivieren kann und die Möglichkeit empfundener Zugehörigkeit vor Ort mitbestimmt. So wird „das Kopftuch“ als nicht originär und als „out“ definiert, und damit als Merkmal von Außenseiter*innen. Das zweite Zitat zeigt zudem, dass die Abwertungen, die Geflüchtete aufgrund bestimmter Diversitätsmerkmale erleben müssen, den Charakter des Alltäglichen haben, und damit als ‚normalisierte‘ Form des Alltagsrassismus angesprochen werden können. Ihre negativen Auswirkungen auf das Wohlbefinden sind den Gesprächspartner*innen bewusst. Diese Wahrnehmungen und Abwertungen beeinträchtigen jedoch nicht nur den sozialen Umgang zwischen Einheimischen und Geflüchteten, sondern manifestieren darüber hinaus Hindernisse etwa in Bezug auf den Arbeitsmarktzugang.

Die zivilgesellschaftlichen Akteur*innen benennen insbesondere den Wohnungs- und Arbeitsmarkt als Felder, auf denen Diskriminierungen und Rassismus wirksam werden (s. Kap. 3 und 4). Diese Wahrnehmungen korrespondieren mit den Ergebnissen der Interviews mit Geflüchteten hinsichtlich materieller Benachteiligung als Diskriminierungsform.

Vertreter*innen von Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und Initiativen erleben auch selbst Anfeindungen aufgrund ihrer Arbeit und ihres Engagements für Geflüchtete. So beschreibt eine Person, dass sie nach einem Spendenaufruf für Geflüchtete am Telefon Hasstiraden ausgesetzt war (D_VII_ZIV_256). Andere Gesprächspartner*innen erwähnen, dass sie selbst im privaten Umfeld ihr Engagement zurückhaltend kommunizieren, da die Reaktionen nicht immer positiv ausfallen.

In allen untersuchten Landkreisen beschreiben zivilgesellschaftliche Akteur*innen rechtsradikale Tendenzen und nehmen Situationen wahr, die von ihnen in diesem Kontext verortet werden. Vereinzelt wird auch die lokale Stimmung in der Bevölkerung als politisch nach rechts orientiert beschrieben, wobei die eigene (ehrenamtliche) Arbeit als Gegenstück dazu betrachtet wird. Häufig, aber nicht zwangsläufig, wird das Thema Rassismus mit Ängsten in der lokalen Bevölkerung in Verbindung gebracht.

5.1.2 Verwaltung

Auch in den Experteninterviews mit Mitarbeitenden der Verwaltungen wird deutlich, dass es in allen Regionen Wissen über lokale Erscheinungsformen von Rassismus und Diskriminierungen gibt. Teils wird dies auch auf den ländlichen Kontext und seine demographische Situation zurückgeführt:

„Ja also tatsächlich ich meine dadurch, dass die ländliche Bevölkerung sicherlich auch, dass ist aber reine Mutmaßung, im Schnitt älter ist als Stadtbevölkerung vielleicht, kommt es natürlich auch häufiger mal zu diesen typischen Alltagsrassismus-Problemen. Also gar nicht unbedingt bös gemeint.“ (D_VII_VER_260)

Darüber hinaus wird in den Interviews mit Verwaltungsangestellten deutlich, dass verschiedene Formen der Diskriminierung bekannt sind. Auffällig ist auch hier die materielle Benachteiligung durch Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt – auch hier wieder mit demographischen Aspekten verschränkt:

„Und dann auch noch mit der Angst der 86-jährigen Vermieterin, dann ausgeraubt und ermordet zu werden des nachts. Das ist aber doch so, muss man doch mal klar sagen. Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Das ist uns in der Kindheit eingeimpft worden. Und den Großmüttern, die jetzt die Vermieterinnen sind, noch viel, viel mehr. Also diese kulturellen Vorurteile.“ (C_V_VER_227)

Ebenso wie zivilgesellschaftliche Akteur*innen wissen auch Verwaltungsmitarbeitende von der Existenz Rechtsradikaler vor Ort in den Städten und Gemeinden. Auch wird ein eher „typisch“ wahrgenommener Stimmungswechsel nach der Phase der Willkommenskultur beschrieben. Die interviewten Personen gehen davon aus, dass in der Bevölkerung trotz mancher Euphorie der Jahre 2015/16 viel Angst vor „den Fremden“ und dem Neuen an sich vorherrscht. Die Verwaltungsmitarbeiter*innen, nicht selten selbst vor Ort wohnend, benennen auch die lokalen Vorbehalte, die sie bei der lokalen Bevölkerung wahrnehmen. Auch sie erleben Anfeindungen aufgrund ihrer Arbeit mit Geflüchteten oder im Integrationsbereich:

„Aber ich bin hier auch beispielsweise die erste Ansprechpartnerin, wenn es um Integrationsthemen geht und dann kriege ich halt ab und zu auch mal Anrufe von Menschen, die ohne einen Namen zu nennen, sich vorstellen mit: ‚Hier spricht ein besorgter Bürger‘ und da durchaus Parolen von sich geben, die es in sich haben. Und auch da muss ich sagen, ich mache halt einfach meinen Job.“ (D_VII_VER_257)

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Verwaltungsmitarbeiter*innen in allen Untersuchungsregionen keineswegs blind sind für diskriminierende Erfahrungen von Geflüchteten und anderen Migrant*innen. Allerdings stehen die Wahrnehmungen bezüglich Rassismus und Diskriminierungen weniger im Vordergrund als bei den zivilgesellschaftlichen Akteur*innen.

5.1.3 Politik

In den Interviews mit Expert*innen auf der politischen Ebene wurden die Themen Diskriminierung und Rassismus deutlich weniger angesprochen als in den anderen Expertengruppen. In Sachsen und Bayern sprachen politische Akteur*innen eher über die Thematik als in Niedersachsen und Hessen. Hingegen wurde mehr über Ängste und Anfeindungen von Ehrenamtlichen und lokalen Politiker*innen geredet.

Beim genaueren Hinsehen fällt auf, dass die Sprechweise auf der politischen Ebene eine andere ist als bei den zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. Auf Ebene der (gewählten) Politiker*innen überwiegen Narrative über die Schwierigkeiten mit rechtsradikalen Parteien, zumeist mit der AfD. Aus Sicht der Expert*innen erschwert die Präsenz der AfD und die Furcht vor einem Zulauf für die AfD die Akzeptanz für Maßnahmen für Geflüchtete in politischen Gremien. Es kommt zu mehr Diskussionen und Gegenstimmen.

Anders als in den Interviews mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und Verwaltung dominiert auf politischer Ebene in Niedersachsen, Hessen und Bayern eher die Wahrnehmung, dass es kein großes Problem mit Rechtsradikalen in der eigenen Kommune gibt. Aus Sicht der Expert*innen sind nur vereinzelt, etwa bei zurückliegenden Infoveranstaltungen zu Gemeinschaftsunterkünften, rechtsextremistische Stimmen aufgetaucht. Diese prägen aber in der Wahrnehmung der politischen Ebene nicht grundsätzlich die Stimmung vor Ort:

„Die örtliche Stimmung ist eigentlich grundsätzlich positiv, gegenüber Geflüchteten sowieso, gegenüber Migration eigentlich auch. Man hat hier keine, also ich habe jetzt hier keine Feststellungen, dass man sagen kann, dass hier irgendwelche rechten Parolen gegrölt werden oder so was, nein.“ (D_VIII_POL_290)

Nur vereinzelte Expert*innen der politischen Ebene erzählen von rechtsradikalen Tendenzen vor Ort:

„Wenn Sie dann als Bürgermeister, sind gerade im Amt und kriegen einen Brief, wie [Name der Kommune] zu einem Kanaken- und Nigger-Dorf verkommen ist und es endet dann mit dem ‚Sieg Heil Bürgermeister [Name]‘. Dann sagen Sie auch: ‚Was habe ich denn jetzt falsch gemacht‘?“ (C_V_POL_217)

Die stattfindenden Anfeindungen auf individueller Ebene gegenüber Geflüchteten, die besonders von den zivilgesellschaftlichen Akteur*innen angesprochen wurden, scheinen hier kaum eine Rolle zu spielen. Allerdings existieren Wahrnehmungen über Anfeindungen von Ehrenamtlichen, die sich für Geflüchtete einsetzen. Auch die vielzitierten „Neiddebatten“ werden in allen untersuchten Regionen stark wahrgenommen:

„Und wenn man dann so an den Stammtischen unterwegs ist und so mal das ein oder andere hört, gerade in den letzten Jahren, dann kommt ja doch viel, oh, die nehmen uns alles weg und so weiter. Wo man dann wirklich ganz klar und knallhart argumentieren muss und sagen: ‚Bitteschön, sagt mir mal genau, was sie euch wegnehmen, wodurch ihr jetzt darben müsst, wo sie euren Arbeitsplatz weggenommen haben?‘ und, und, und, da muss man wirklich knallhart argumentieren.“ (D_VIII_POL_286)

So klar, wie die hier als nötig beschriebene öffentliche Gegenpositionierung politischer Akteur*innen erscheint, wird sie jedoch nicht zwangsläufig umgesetzt. Vielmehr erscheinen politische Verantwortliche ermüdet hinsichtlich eines gewissen Rechtfertigungsdrucks in Bezug auf integrationspolitische Maßnahmen, welcher etwa im Kontext von rechter Stimmungsmache und wahrgenommenen Neiddebatten entsteht. Schaffen es einzelne politische Schlüsselakteur*innen, öffentlich immer wieder für eine proaktive und progressive Haltung im Hinblick auf Integration und Migration einzustehen, so ist dies auch gleichzeitig Teil der eigenen lokalen Identität vor Ort. Wie im Fall eines Kurortes, der sich selbst als vielfältig und offen beschreibt und in dem sich die politische Spitze auch öffentlich für Zuwanderung und Vielfalt positioniert. Sich öffentlich gegen Rassismus und Diskriminierungen auszusprechen und in passenden Situation Gegenposition zu beziehen, scheint jedoch auch in den sonst „aktiven“ Kommunen nicht zwangsläufig selbstverständlich.

Zusammengefasst lässt sich eine deutliche Diskrepanz in der Wahrnehmung von Politik, Verwaltung und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen erkennen. Während die Expert*innen aus der Politik jenseits der Auseinandersetzung mit der AfD nur sporadisch Probleme mit rechtsradikalen Tendenzen, Rassismus und Diskriminierungen wahrnehmen, beschreiben Personen aus der Verwaltung durchaus einen existenten Alltagsrassismus und benennen auch diskriminierende Strukturen, z. B. auf dem Wohnungsmarkt (s. Kap. 3). Noch stärker ist diese Wahrnehmung bei zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, die aus ihrer eigenen alltäglichen Arbeit von Anfeindungen, Abwertungen und Diskriminierungen berichten können. Je näher also politische Entscheidungsmacht ist, desto ferner scheinen Probleme von Diskriminierung und Rassismus; die politische Bedeutung des Themas wird diskursiv reduziert. Dies birgt die Gefahr einer Entfremdung der lokalen Politik von der Komplexität und Relevanz integrationspolitischer Realität (u. a. Scholten 2020). Die folgenden Kapitel gehen der Frage nach, ob es in der Folge auch zu einem mismatch zwischen Problemlage und ergriffenen Maßnahmen kommt.

5.2 Maßnahmen der Kommunen

Wie tritt nun lokale Politik den überall wahrgenommenen Diskriminierungen und Anfeindungen entgegen? Existieren dezidierte Maßnahmen, um das soziale Wohlbefinden von Geflüchteten zu verbessern? Einige Expert*innen betonen durchaus ihre Verantwortung, ein Klima der gegenseitigen Toleranz und Vielfalt zu schaffen. Beispielsweise gibt es eine – bislang nicht realisierte – Idee für eine „positive Imagekampagne“ (D_VII_BIL_264). Bereits umgesetzt und recht weit verbreitet sind interkulturelle Feste und Begegnungsveranstaltungen. Diese werden in der Absicht organisiert, Toleranz und soziales Wohlbefinden vor Ort zu befördern – mit schwer evaluierbarem Erfolg:

„Auch das Erschrecken beim Einkaufen über Kopftücher oder so, das ist alles vorbei. Also man kann sagen, unsere Arbeit hat sich gelohnt. Wir haben auch Ramadan Feste gefeiert, wo auch die Bevölkerung eingeladen war, die wenig kam, aber immerhin.“ (D_VII_ZIV_256)

Jedoch wird auch kritisch hinterfragt, ob solche „weichen“ Maßnahmen wirklich ausreichen. Dies betrifft insbesondere die Auseinandersetzung mit rechtsradikalen Strukturen oder Übergriffen. Beispielsweise wurde in einem Landkreis ein Bürgerfrühstück nach einem Anschlag auf eine Unterkunft organisiert, das jedoch nur diejenigen zusammenbrachte, die ohnehin engagiert waren.

Um zielgenauer an Rassismus- und Diskriminierungsphänomenen anzusetzen, bräuchte es also spezifischere Maßnahmen, die Antirassismus- und Antidiskriminierungsarbeit klar als politisches Ziel einer Kommune benennen. Solche Ansätze existieren jedoch nur sehr vereinzelt – werden dann aber stark mit Demokratiebildung zusammengedacht:

„Es geht halt nicht nur darum, dass die Geflüchteten hier toll ankommen, sondern es geht auch drum, dass man sie lässt. Das kann einfach Antirassismusarbeit sein und interkulturelle Öffnung und Ähnliches. Es kann aber auch Demokratiebildung sein. Alles, was so dazugehört.“ (D_VII_VER_257)

Doch die meisten Kommunen bleiben passiv, wenn es um Diskriminierung und Rassismus geht. Dies wirft die Frage auf, wie es zu dieser policy inaction (McConnell und Hart 2019) kommt? Neben der weniger ausgeprägten Wahrnehmung des Problems in Politik und Verwaltung existiert die Angst, Neiddebatten anzufachen oder aber sich als Zielscheibe für rechtsorientierte Gruppierungen zu präsentieren. Zudem wird die Bereitschaft zivilgesellschaftlicher Akteur*innen, sich für Vielfalt und gegen Rassismus einzusetzen, vielerorts unterschätzt. Besonders entscheidend für die Passivität beim Thema Rassismus/Diskriminierung scheint jedoch ein Narrativ zu sein, das Rassismus als eine Art Strukturbedingung ländlicher Regionen ausmacht. Die Tatsache, dass Menschen rassistisch diskriminiert werden, wird durchaus bedauert, aber gleichzeitig als eine Art Naturgesetz wahrgenommen.

6 Zusammenfassung

Die hier vorgestellten Ergebnisse widmeten sich der Frage, wie das soziale Wohlbefinden von Geflüchteten gefördert werden kann, bzw. wodurch es behindert wird. Dabei wurden nacheinander die Perspektive der Geflüchteten, jene der lokalen Bevölkerung sowie die Perspektive von Akteur*innen aus Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung auf die Thematik untersucht. Diese Perspektiven sollen nun abschließend miteinander verschränkt werden und Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Betrachtung sowie die Konsequenzen, die daraus resultieren, diskutiert werden.

Die Besonderheiten der ländlichen Wohnstandorte in Bezug auf die Entwicklung sozialen Wohlbefindens setzen bei den sozialen und gesellschaftlichen Strukturen an. Analog zu den Vorannahmen unserer Forschung zeigt sich eine ländliche Spezifik in der Überschaubarkeit des Sozialraums und in den überwiegend stabilen (d. h. wenig veränderlichen) Sozialstrukturen, die sich vor allem durch eine hohe Identifikation der lokalen Bevölkerung mit ihrem Wohnort, eine starke Vertrautheit mit der Wohnumgebung und eine von Reziprozität geprägte Unterstützungsstruktur in der Nachbarschaft auszeichnet. Zugleich wurden aber auch eine hohe Erwartungshaltung in Bezug auf Neuankommende in der Nachbarschaft und eine eher geringe Veränderungsbereitschaft konstatiert. Markant ist zudem der vergleichsweise hohe Anteil ablehnender Einstellungen gegenüber internationalen Migrant*innen und Geflüchteten, der in einem direkten Zusammenhang mit geringen interkulturellen Erfahrungen steht.

Aus der Perspektive der Geflüchteten wird soziales Wohlbefinden am ländlichen Wohnort durch drei zentrale Aspekte hergestellt: 1) durch das Zusammenleben in der Kernfamilie als wichtigstes soziales Netzwerk (bonding social capital), 2) durch die freundlichen bis freundschaftlichen Kontakte zur aufnehmenden Bevölkerung (bridging social capital), die vor allem durch Ehrenamtliche und in geringerem Umfang innerhalb der Nachbarschaft aufgebaut werden, sowie 3) durch mittels eigener Agency erzielte Fortschritte auf dem Gebiet der ‚Integration‘, insbesondere in Bezug auf deutsche Sprachkompetenzen, die Wohnsituation, die eigene Bildung bzw. Bildung der Kinder sowie die Arbeitsmarktbeteiligung.

Die zentrale Rolle der Ehrenamtlichen zeigt sich nicht nur hinsichtlich des „Ankommens im Alltag“, wie es seitens hauptamtlicher Akteur*innen meist eingeordnet wird. Vielmehr üben Ehrenamtliche eine zentrale Brückenfunktion aus, um strukturelle und institutionelle Hindernisse sowie strukturelle Diskriminierung und Rassismus zu kompensieren. Dies zeigt sich insbesondere in den Bereichen Wohnen und Arbeitsmarkt, aber auch im Umgang mit Behörden sowie in der Ermöglichung von Mobilität.

Konsequenterweise sind es auch zivilgesellschaftliche Akteur*innen, die strukturelle Probleme und Ausgrenzungen, mit denen Geflüchtete konfrontiert sind, am konkretesten benennen und eine Bearbeitung dieser Problemlagen einfordern. Sie haben auch den direktesten Blick auf die Salienz von Diskriminierung und Rassismus gegenüber Geflüchteten. Denn während selbst Geflüchtete sich hier teils defensiv oder relativierend äußern (wenngleich sie die Reaktionen der Bevölkerung und raum-zeitliche Entwicklungen des politischen Klimas sehr wohl und sehr genau zur Kenntnis nehmen), benennen Vertreter*innen der Zivilgesellschaft sehr dezidiert die vielfältigen Formen von Alltagsrassismus und strukturellem Rassismus in den ländlichen Wohnorten, gegen die sie mit ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement ankämpfen wollen. Mit wachsender Nähe zu politischer Handlungsmacht flaut die Wahrnehmung von Diskriminierung und Rassismus merklich ab. Gerade politische Akteur*innen haben allenfalls konkrete Kenntnis von Anfeindungen in Bezug auf Ehrenamtliche, kaum jedoch in Bezug auf Geflüchtete. Hinsichtlich der Konsequenzen der Flüchtlingsaufnahme für das soziale Zusammenleben vor Ort nehmen sie vorwiegend die „eigene“ Bevölkerung in den Blick und widmen sich – auch in ihrem politischen Handeln – eher dem Vermeiden von Neiddebatten als die sozialen Konsequenzen der Flüchtlingsaufnahme auch aus der Perspektive von Geflüchteten zu adressieren und öffentlich um Verständnis für deren schwierige Lebenslage zu werben. Zugleich bleiben durch die lückenhaften Einblicke der lokalen Akteur*innen in die Lebenslagen von Geflüchteten deren ‚Integrationsfortschritte‘, Eigenperspektiven und Potenziale im Hintergrund, und eine Aktivierung dieser Potenziale für die Weiterentwicklung des Gemeinwesens bleibt aus. So zeigen sich Angst, Vorurteile und Rassismus als Hemmnisse des sozialen Wohlbefindens von Geflüchteten und bilden gleichsam einen Kontrapunkt zu den immer wieder adressierten Vorteilen ländlicher Sozialräume in Bezug auf Integrationsprozesse.