Zusammenfassung
Die Koalition aus Bündnis 90/Die Grünen und CDU in der 16. Wahlperiode Baden-Württembergs ist erst die dritte gemeinsame Landesregierung dieser beiden Parteien nach Hamburg (2008–2010) und Hessen (seit Januar 2014). Sie ist zugleich die erste, in der die Grünen den Senior-Partner darstellen. In diesem Beitrag gehen wir der Frage nach, inwiefern sich die „Kiwi“-Koalition auf die organisierten Interessen im Land auswirkt. Theoretische Betrachtungen lassen erwarten, dass sich ein (partieller) Regierungswechsel insofern auf die Interessengruppen auswirkt, als damit Politikwechsel oder Veränderungen im Zugang zum politischen System einhergehen. Daher untersuchen wir zunächst anhand von einschlägigen Verbändeverzeichnissen, inwiefern sich der Wechsel zu Grün-Schwarz auf das Interessengruppensystem ausgewirkt hat. Zweitens setzen wir auf der Basis von Regierungsdokumenten und Medienberichterstattung zu landespolitischen Themen die Gesetzgebung der letzten drei Landesregierungen mit Veränderungen in der Verbandsaktivität in Beziehung. Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich der partielle Regierungswechsel von Grün-Rot zu Grün-Schwarz nur sehr gering auf das Interessengruppensystem ausgewirkt hat. Die politische Aktivität der Interessengruppen ist tendenziell gleichbleibend bis abnehmend. Dies liegt vor allem daran, dass in der 16. Wahlperiode größere Politikvorhaben, die reges Lobbying auslösen würden, weitgehend ausblieben. Eine Ausnahme stellt das Politikfeld Inneres und Justiz dar. Hier ging insbesondere mit der Polizeigesetz-Reform erhöhte politische Aktivität der Interessengruppen einher. Ansonsten sind die leichten Veränderungen in den Aktivitätsniveaus unter Grün-Schwarz eher dem Regierungswechsel an sich sowie Ursachen außerhalb der Landespolitik geschuldet.
Wir danken Johannes Baamann, Friederike Baurhenn, Diandra Luik und Anja Rieker für wertvolle Forschungsassistenz.
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Notes
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Wir reißen die Ansätze hier nur kurz an; ausführlichere Erläuterungen sind in Bernhagen et al. 2017 zu finden.
- 2.
Einzelheiten zu den Codierungen aller Variablen finden sich im Online-Anhang.
- 3.
- 4.
- 5.
Im Vergleich zu unserem Beitrag von 2017 haben wir für die 14. und 15. Wahlperiode nun Gesetzentwürfe von Oppositionsfraktionen ausgeschlossen, um ausschließlich Politikvorhaben der Regierungen zu vergleichen. Daher ändern sich die Werte im Vergleich zu Bernhagen et al. 2017 (S. 344) leicht.
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- 7.
Da wir die Abweichungen in der Medienberichterstattung während der COVID-19-Pandemie schwerwiegender einschätzen als die zwischen dem letzten und dem vorletzten Regierungsjahr, codieren wir im Interesse der Vergleichbarkeit das vorletzte anstelle des letzten Regierungsjahres der 16. Wahlperiode.
- 8.
Die Analyse einzelner Jahre ist anfälliger für Effekte von Themen- und Konjunkturzyklen, die sich im Vergleich zu einer Betrachtung der gesamten Wahlperiode nicht ausmitteln. Da wir aber die Meinungen politikfeldübergreifend analysieren, gehen wir nicht davon aus, dass dies zu substanziell verzerrten Befunden führt.
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