7.1 Einleitung: Ausgangssituation des Projekts

Das Schreiben von Abschlussarbeiten ist ein traditionelles akademisches Lernarrangement, das schwer in die Systematik der akademischen Unterrichtsformate einzuordnen ist, aber gleichwohl eine wichtige Funktion für die Entwicklung selbstständigen Lernens und wissenschaftlichen Arbeitens ausübt. Es gibt kaum Studiengänge, die keine Abschlussarbeit verlangen. Die Abschlussarbeit ist eine Capstone-Erfahrung, die sozusagen den Schlussstein im Gebäude des Lernens darstellt. Sie ist sowohl ein Lernprozess als auch eine Prüfungsleistung und zudem ein akademisches Ritual, das den Abschluss einer Ausbildungsetappe bzw. den Übergang zu einer neuen Ebene signalisiert.

Die Abschlussarbeit ist also eine fast universelle Lernsituation, die komplex, aber didaktisch unterbestimmt ist und zudem auf mehreren Ebenen (BA, MA, Dissertation, Habilitation) angesiedelt ist. Die daraus entstehenden Arbeiten sind genauso prototypisch für wissenschaftliche Texte, wie sie auch ein Übungsgenre darstellen, das zum wissenschaftlichen Schreiben und Publizieren hinführen soll. Dieser Beitrag beschäftigt sich damit, wie diese spezifische Lernsituation digital unterstützt werden kann, und berichtet von den Erfahrungen mit der Entwicklung von Thesis Writer (TW, vgl. Kruse & Rapp, 2018; Rapp & Kauf, 2018; Rapp & Kruse, 2020; Rapp & Ott, 2017), einer web-basierten Schreibsoftware, die neben einem Editor zum Schreiben eine Vielzahl von weiteren unterstützenden Funktionen für die Abschlussarbeit anbietet.

Die Digitalisierung verändert das wissenschaftliche Schreiben erheblich (Kruse & Rapp, 2020, 2021), und auch Schreibplattformen wie der TW tragen zu diesen Veränderungen bei. Wir haben es also mit einem Zusammenprall eines sehr traditionellen Lernarrangements mit einer potenziell disruptiven Technologie zu tun. Es ist deshalb nicht genug, das Schreiben von Abschlussarbeiten digital zu unterstützen, sondern es ist auch notwendig, zu ermessen, was eine digitale Umstrukturierung für das Schreiben bedeutet. Das Konzept des Seamless Learning (Wong, 2015) oder auch des Seamless Writing (Kruse & Rapp, 2019) bietet einen analytischen Ansatz, der die kontextuellen und methodischen Verschiebungen zu ermessen erlaubt, die digitales Schreiben kennzeichnen, und dabei hilft, neue pädagogische Perspektiven zu entwickeln (Dilger et al., 2019).

Dieser Artikel stellt nach einem kurzen Abriss der Entwicklung des TW dessen wichtigste Funktionalitäten dar, wobei wir die Perspektive des Seamless Learning im Blick behalten, bei der es darum geht, die Veränderungen der digitalen Räume und Kontexte sichtbar zu machen, die ein Tool wie der TW für das Schreiben mit sich bringt (Kruse & Rapp, 2021). Der TW ist als Konstruktion eines neuen, virtuellen Lernraumes zu verstehen, der mit dem Einsatz neuer Technologien das Schreiben selbst verändert.

Schreiben, gleich mit welcher Technologie, formt das Denken, oder, in den Worten Ongs (1992): „Writing is a technology that restructures thought”. Auch der TW ist eine Technologie, welche die Gedanken neu zu strukturieren hilft, und er geht dabei nicht nur über das hinaus, was das Schreiben in der vor-digitalen Zeit dazu leistete, sondern auch über das, was heute konventionelle Textverarbeitungsprogramme bieten. Der TW unterstützt hierbei nicht allgemeines, sondern wissenschaftliches Schreiben und ist auf die besondere Lernsituation der Abschlussarbeit ausgerichtet. Er hilft, die Komplexität dieser Schreibsituation zu bewältigen, und bietet Unterstützung für die zugehörigen konzeptuellen, rhetorischen und sozialen Herausforderungen an. Er ist also ein spezialisiertes Textverarbeitungsprogramm, das auf eine neue Weise dabei hilft, ein wissenschaftliches Projekt zu planen, durchzuführen und zu verschriftlichen. Eigene Gedanken zu entwickeln, zu re-strukturieren und sie sowohl in einen konstruktiven Arbeitsprozess als auch in eine passende Textstruktur einzupassen, ist dabei die Hauptleistung.

Im Folgenden wird beschrieben, warum und wie der TW entwickelt wurde, wie er funktioniert und welche Aufgaben nach seiner Fertigstellung bleiben bzw. dazukommen. Plattformen wie der TW, so wird gezeigt, werden zwar einsatzfähig, aber ihre Entwicklung ist niemals abgeschlossen. Sie erfordern permanente Weiterarbeit, in der sich in der Entwicklung neue Herausforderungen stellen.

7.2 Konzept des Thesis Writer

7.2.1 Zielsetzung

Drei Ziele standen bei der Konstruktion des TW im Vordergrund. Das erste lag darin, Hilfe für die Bewältigung von handfesten Problemen bei der Anleitung von Abschlussarbeiten, besonders in Studiengängen mit hoher Studierendenzahl und kurzer Studienzeit anzubieten. Nach lediglich drei Jahren praxisbezogenen Studiums ist es außerordentlich herausfordernd für Studierende, eine wissenschaftliche Abschlussarbeit selbstständig zu schreiben. Die Bearbeitungszeiten sind kurz, die Vorbereitung auf das wissenschaftliche Schreiben ist in vielen Studiengängen unzureichend bis inexistent. Der TW sollte hier eine zusätzliche Ressource für das Schreiben sein mit dem Ziel, zu kompensieren, was im Studium selbst nicht geleistet werden kann.

Das zweite Ziel war erkenntnistheoretischer Natur. Es gibt vergleichsweise viel Literatur zu „postgradualen“ Abschlussarbeiten wie der Master- und Doktorarbeit (z. B. Berman & Smyth, 2015; Dysthe et al., 2006; Kamler & Thomson, 2006; Maxwell & Smyth, 2011), aber kaum Forschung und nur einige wenige Anleitungsbücher zur Bachelorarbeit (z. B. Greetham, 2009; Rahn, 2017; Roberts & Seaman, 2018; Samac et al., 2009). Das Projekt sollte auch dabei helfen, zu verstehen, welche Probleme de facto in Bachelorarbeiten auftreten und welche Arten von Unterstützung digitaler Art tatsächlich genutzt werden. Der TW stellt einen digitalen Rahmen dar, der die Implementierung verschiedener Hilfsangebote und deren Untersuchung erlaubt. Zusätzlich war herauszufinden, wie Bachelorarbeiten gewöhnlicherweise strukturiert sind und wie ihr Charakter zwischen wissenschaftlicher und praktischer Ausrichtung (Fachhochschulen) ausfällt.

Das dritte Ziel war ein technisches. Die Anfänge des TW gehen in eine Zeit zurück, als die Plattformtechnologie gerade aufzublühen begann und erstmals die Möglichkeit bot, synchron kollaborative Angebote für eine große Anzahl von Nutzerinnen und Nutzern zu gestalten. Heute sind derartige Technologien bereits Standard, aber noch vor acht Jahren war das Herunterladen von Tools auf den eigenen Rechner die Methode der Wahl mit vielen unangenehmen Nebenerscheinungen wie der Notwendigkeit zur Aktualisierung und Adaptation solcher rechnergestützten Software auf verschiedenen Betriebssystemen. Ziel war es, zu zeigen, dass web-basierte Lösungen als Software as a Service (SaaS) implementiert machbar und auch mit einem kleinen IT-Team zu realisieren sind.

7.2.2 Didaktische Leitprinzipien

Um die spezifische Lernsituation beim Schreiben von Abschlussarbeiten zu spezifizieren, haben wir fünf verschiedene Aufgaben isoliert, die die Schreibenden bewältigen müssen und zu denen der TW entsprechende Unterstützungsangebote macht. Sie stellen die Leitprinzipien dar, nach dem der TW konstruiert wurde.

Die erste Aufgabe für die Schreibenden besteht darin, dass sie ein Verständnis des Schreibprozesses gewinnen müssen, und zwar nicht abstrakt, sondern in Verbindung mit einem konkreten forschungsbasierten Thema. Dabei verschränken sich zwei Prozesse miteinander, nämlich der Forschungs- mit dem Schreibprozess, die jeweils unterschiedliche Charakterisierungen haben (Kruse, 2016). Während der Forschungsprozess linear ist und der jeweils nächste Schritt auf den Ergebnissen des vorherigen Schritts aufbaut, ist der Schreibprozess rekursiv. Das heißt, dass frühere Schritte als Ergebnis von Erkenntnissen aus späteren Schritten revidiert werden können. Es galt also eine Prozessstruktur zu finden, die beide Prozesse berücksichtigt.

Ein zweites Leitprinzip besteht darin, dass die Schreibenden schnell ein eigenes Konzept für ihre Arbeit finden sollten und dass damit die Anleitung zu konzeptionellem Denken zum Schwerpunkt wird. Der TW versteht sich also primär als ein Denk- und weniger als ein Lern-Tool. Die Nutzenden des TW werden vom ersten Moment an angehalten, an ihrer Arbeit zu schreiben, und werden in eine Auseinandersetzung mit dem Thema ihrer eigenen Arbeit verwickelt. Voraussetzung dafür ist, dass sie ein einigermaßen eingegrenztes Thema haben, von dem sie ausgehen können. Dieses zu finden, ist Aufgabe menschlicher Anleitung und kann nicht allein digital geschehen. Für die konzeptionelle Gestaltung wurde als Standardstruktur der Forschungskreislauf (Thema, Fragestellung, Stand der Forschung, Forschungslücke, Methode, Ergebnisse, Diskussion, Schlussfolgerungen) entwickelt. Er ist an das IMRD-Schema (Introduction, Method, Results, Discussion) angelehnt, das verbreitetste Schema zur Strukturierung von Forschungsberichten und Doktorarbeiten (Paltridge, 2002; Paltridge & Starfield, 2019; Swales, 1995). Strukturen wie dem Forschungskreislauf wird in der Wissenschaft oft vorgeworfen, sie seien zu normativ, da sich lokal oft etwas abweichende Strukturen herausbilden. Für die Didaktik des TW steht im Vordergrund, dass es grundsätzlich nötig ist, eine Struktur herzustellen, nicht, weil jeder einzelne Punkt davon in der gegebenen Form notwendig wäre, sondern weil alle Punkte miteinander zu einer Konzeption zu verbinden sind. Auch wenn man beispielsweise statt der Fragestellung ein Ziel oder eine Problemstellung vorgibt, ist eine ähnliche konzeptionelle Arbeit nötig. Die Konstruktion und Implementierung von flexibleren Strukturen mit mehr Wahlmöglichkeiten in den TW wird derzeit abgeschlossen.

Ein drittes Leitprinzip besteht darin, Zusammenarbeit zwischen Schreibenden zu unterstützen. Auch wenn heute die Document Sharing Technologie weit verbreitet ist, so war diese Technologie anfangs noch nicht im Baukastensatz der Programmierung vorhanden (für neuere Forschung siehe Olson et al., 2017). Der TW bietet eine einfach zu initiierende Zusammenarbeit von mehreren Nutzerinnen und Nutzern an, welche synchrones Arbeiten am Text und gegenseitiges Feedback ermöglicht.

Ein viertes didaktisches Prinzip geht davon aus, dass konzeptionelles Denken eng mit rhetorischer Kompetenz einhergeht. Was eine Metapher wie „Forschungslücke“ bedeutet, erschließt sich leichter, wenn man weiß, wie man solche Lücken benennt, wenn man also wiederkehrende Formulierungen wie „Es gibt kaum Forschung zu …“, “Wenig ausgeleuchtet hingegen ist …“, „Unklar ist nach wie vor …“ und so weiter einsetzt. Phrasen dieser Art sind die konventionellen, erwartbaren Weisen, wie man sich in der Wissenschaft über Forschungslücken austauscht, und es ist wichtig, den Schreibenden diese Phrasen zugänglich zu machen (z. B. Cotos, 2018; Erman & Warren, 2000; Swales, 1995). Der TW bietet verschiedene Formen rhetorischer Unterstützung an und integriert diese in die Anleitung zum konzeptionellen Denken.

Ein fünftes didaktisches Prinzip beruht auf der Notwendigkeit von Abschlussarbeiten, um Selbstständigkeit im wissenschaftlichen Arbeiten zu demonstrieren (z. B. Samac et al., 2009). Dieses Prinzip ist in vielen Regulationen und in manchen Ländern auch gesetzlich vorgegeben. So sagt z. B. die deutsche Kultusministerkonferenz (2010), dass mit der Bachelor- und Masterarbeit „die Fähigkeit nachgewiesen wird, innerhalb einer vorgegebenen Frist ein Problem aus dem jeweiligen Fach selbständig nach wissenschaftlichen Methoden zu bearbeiten.“ Es ist dabei klar, dass diese Selbstständigkeit nur über eine differenzierte Anleitung erreicht werden kann. Die Unterstützung, die der TW anbietet, rüttelt nicht an diesem Prinzip der Selbstständigkeit und bietet keine Hilfestellung, die dieses Prinzip unterlaufen würde. Hingegen offeriert der TW den Anleitenden Möglichkeiten, über das Tool mit den Schreibenden zu kommunizieren und sie bei der konzeptionellen Arbeit zu unterstützen.

7.3 Methodische Schritte der Entwicklung des TW

7.3.1 Generelle Strategie

Der TW wurde in mehreren Schritten hergestellt, wobei im Wesentlichen eine Strategie der Design-Forschung eingesetzt wurde (Euler, 2014; Reinmann, 2005, 2017). Dabei werden einzelne Entwicklungsschritte jeweils durch verschiedene Prüf- und Feedbackverfahren validiert und das entstehende Tool dementsprechend adaptiert, bevor die nächste Aufgabe angegangen wurde. Aufgrund der Komplexität des Tools und der Vernetztheit seiner Funktionen ist dies allerdings nicht immer systematisch erfolgt. Der TW entstand in fünf Schritten: 1) Konzeptualisierung, 2) Prototypisierung mit reduziertem Aufgabenbereich, 3) Finalisierung der einsatzfähigen Gesamtkonzeption, 4) Dissemination in verschiedenen Kontexten und Routinebetrieb und 5) kontinuierliche Weiterentwicklung und Optimierung. Der TW wurde im Verlauf von etwa sechs Jahren hergestellt und verlangte ca. 2000 Stunden Programmierung. Zu Beginn des EU-Interreg-V-Projekts „Seamless Learning“ war bereits ein Prototyp vorhanden, sodass nicht alle Entwicklungsschritte im Rahmen dieses Projekts erfolgten. Die Konzeptionsphase war durch mehrere Dinge gekennzeichnet:

  1. 1.

    Recherchen zu ähnlichen Verfahren, die als Vorbild dienen konnten, ergaben, dass kaum Tools vorhanden waren, die vergleichbare Ziele verfolgten, wohl aber entstanden zeitgleich mehrere Anwendungen, mit deren Entwicklerinnen und Entwicklern später ein Austausch stattfand, wie etwa dem Article Writing Tool (Rienecker), dem Research Writing Tutor (Cotos, 2014, 2015; Cotos et al., 2020), dem Academic Writing Assistant (D'Hertefelt & De Wachter, 2018) dem Aca Writer (Knight et al., 2020) und dem Writing Mentor (Burnstein et al., 2018). Alle diese Tools sind onlinebasierte stand-alone-Angebote für wissenschaftliches Schreiben. Nur der Writing Mentor ist zusätzlich auch als Add-in für Google Docs verfügbar. Der Schwerpunkt der meisten Tools liegt auf automatischem Feedback, lediglich Article Writer und Thesis Writer legen mehr Wert auf Instruktion und Anleitung. Für eine allgemeine Übersicht computergestützter Schreibinstruktion siehe Allen et al. (2016), die entsprechenden Technologien, Pädagogiken besprechen Strobl et al. (2019).

  2. 2.

    Use Cases wurden entwickelt und eingesetzt, um die Zielrichtung der Entwicklung zu illustrieren und die Kommunikation mit den für die Programmierung zuständigen Personen zu erleichtern. Use Cases wurden sowohl für die Schreibenden als auch für die Supervisoren und Administration (z. B. Studiengangsleitung) erstellt.

  3. 3.

    Die Analyse von Abschlussarbeiten aus dem Fachbereich Wirtschaft unserer Hochschule diente dazu, Beschaffenheit und Spannweite von Bachlor- und Masterarbeiten zu verstehen. Es zeigte sich, dass der überwiegende Teil der Arbeiten nach dem Muster einer wissenschaftlichen Arbeit (Einleitung, Methode, Ergebnisse, Diskussion) strukturiert und nur ein kleinerer Teil eher praxisbezogen ausgerichtet war (z. B. Auftraggeber, Ist-Zustand, Zielzustand, Mandat, Lösungsvorschlag). Zwar ist unklar, ob das Sample an Arbeiten eines einzigen Fachbereichs allgemeingültig Aufschluss geben kann, jedoch ist die methodische Vielfalt in wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereichen groß genug, um Ausgangshypothesen generieren zu können. Systematische Untersuchungen zu Bachelorarbeiten gab es zu dieser Zeit und gibt es auch heute noch nicht.

  4. 4.

    Designspezifikationen wurden iterativ entwickelt und erfolgten in mehreren Designkonferenzen im Team, auch unter Einbezug eines professionellen Webdesigners. Das Design wurde in der Zwischenzeit mehrfach überarbeitet und bietet eine zeitgemäße Optik.

7.3.2 Umsetzung des Thesis Writer

Der TW wurde im Jahr 2013 in der Version 1 lanciert. Seine technische Grundlage stellt eine LAMP-Umgebung dar (Linux, Apache, MySQL, PHP). Es war das Zeitalter der Multi-Page-Web-Applikationen, angereichert mit Ajax, um Inhalte nachzuladen. Bereits damals wurde eine einfache Kollaborationsfunktionalität integriert, um asynchrones, gemeinsames Arbeiten an Dokumenten zu ermöglichen. Mit der umfangreichen Aktualisierung 2019/2020 zur Version 2 mussten aktuelle Sicherheits- und Usability-Anforderungen erfüllt werden, die Near-Realtime-Kollaboration mit gleichzeitigem Bearbeiten von verschiedenen Personen beinhalten. Dazu wurde der Login- und Sitzungsmechanismus überarbeitet (IEFT, 2015), die WebSocket-Technologie (IEFT, 2012) integriert, die im Unterschied zum klassischen Anfrage/Antwort-Verfahren (Polling) neu “Daten-Streaming” und Server-getriggerte “Push-Nachrichten” über eine dauerhaft bestehende Verbindung zwischen Server und Browser der benutzenden Person ermöglicht. Ein Dokument zeitgleich bearbeitende Personen können nun ohne spürbare Verzögerung den aktuellen Stand des Dokuments verfolgen und aktualisieren. Auf eine Neuimplementierung als Single-Page-Applikation mit durchgehend aktiver WebSocket-Unterstützung (z. B. via Node.js/React) wurde aus wirtschaftlichen Gründen zunächst verzichtet.

In der Praxis bedeutet das für die Nutzenden neben dem stark verbesserten Reaktionsverhalten der Benutzeroberfläche vor allem erhöhte Datensicherheit und -konsistenz, denn die Frequenz von Speicher- und Aktualisierungsvorgängen wurde deutlich gesteigert. Auch gegen einen temporären Verlust der Netzwerkverbindung (z. B. Mobilverbindung im Zug) zeigt sich die Neuimplementierung fehlertolerant und führt beispielsweise Speichervorgänge aus, sobald die Verbindung wieder verfügbar ist.

Der TW ist heute ein auf das wissenschaftliche Schreiben von Qualifikationsarbeiten optimierter webbasierter Schreibeditor. Er besteht aus folgenden Hauptelementen:

  1. 1.

    Der eigentlichen Schreibumgebung in Form eines webbasierten Editors, der auch kollaboratives Schreiben ermöglicht.

  2. 2.

    Einer vorgegeben Textstruktur analog zum Forschungskreislauf. Schreibende starten dadurch nicht mit dem leeren Blatt, sondern finden bereits eine Grundstruktur für einen Forschungsantrag bzw. einen Forschungsbericht vor.

  3. 3.

    Einer Vielzahl von linguistischen Hilfsfunktionen, die das wissenschaftliche Schreiben unterstützen und im Schreibeditor mit einem Klick zur Verfügung stehen.

  4. 4.

    Einer Projektverwaltung, in der man unter anderem neue Projekte erstellen und Mitschreibende oder Betreuende einladen kann.

  5. 5.

    Zusätzlich werden zur Vertiefung Hintergrundinformationen zu verschiedenen Aspekten des wissenschaftlichen Schreibens (Tutorials) zur Verfügung gestellt. Diese sind auf der Startseite des TW frei zugänglich. Die einzelnen Elemente werden im Folgenden kurz vorgestellt. Dabei wird chronologisch der Weg nachgezeichnet, den man im Tool durchläuft, um ein Proposal zu erstellen.

Unter https://thesiswriter.zhaw.ch/ können sich Nutzende unserer Hochschule mit ihren Hochschulzugangsdaten authentifizieren. Hier wird auch die Sprache für Dokument und Oberfläche ausgewählt (Deutsch oder Englisch). Nach dem Login erscheint eine „Landingpage“, die wichtige Informationen rund um den TW bündelt (zum Beispiel Einführungsvideos) und die Möglichkeit bietet, ein neues Projekt zu erstellen. Dabei wird unterschieden zwischen Proposal und Thesis. Wie oben erwähnt, geht der TW in der Regel von einem zweistufigen Prozess aus: Im ersten Schritt wird ein Proposal erstellt und mit der Betreuungsperson besprochen und gegebenenfalls modifiziert. In der Thesis wird dann über die Ausführung des Projekts berichtet.

Die Erstellung eines Proposals wird in einem ersten Schritt durch den sogenannten Proposal Wizard unterstützt (siehe Abb. 7.1). Hier werden die Schreibenden Schritt für Schritt durch die Etappen des Forschungskreislaufs geführt. In jedem Abschnitt gibt es ein bewusst minimalistisch gehaltenes Textfeld und knappe Instruktionen (in Form eines kurzen Tutorials). Diese Funktionalität gründet auf der Erfahrung, dass Studierende anfangs mit der komplexen konzeptionellen Struktur von Forschungsarbeiten und der dahinterstehenden Forschungslogik nicht vertraut sind und sie dementsprechend auch bei der disziplingerechten sprachlichen Umsetzung Mühe haben. Der Wizard unterstützt die Aufgabe, die geplante Arbeit konzeptionell zu durchdenken und aufzubauen. Erfahrungsgemäß brauchen Studierende im Proposal Wizard für die Erstellung eines ersten Konzepts etwa eine halbe bis dreiviertel Stunde. Dies variiert je nach Stand der Vorüberlegungen. Die Studierenden müssen darüber informiert werden, dass es hier keinesfalls um die Erstellung eines druckreifen Textes geht, sondern um eine erste grobe Skizze, die in einem nächsten Schritt in Ruhe ausgearbeitet werden kann. Das Ziel liegt darin, in Gang zu kommen, die einzelnen Bereiche des Forschungskreislaufes zu durchdenken und dabei auch die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Elementen in den Blick zu nehmen (mit Fragen wie beispielsweise: Wie hängt die Fragestellung mit der Methode zusammen? Wie sind Stand der Forschung und Forschungslücke miteinander verbunden? Inwieweit muss die Diskussion der Ergebnisse mit Fragestellung und Forschungslücke verbunden sein?). Eine Voraussetzung für die sinnvolle Nutzung des Wizard ist ein bereits gut eingegrenztes Thema. Dieser Schritt hin zum Thema wird vom Programm nur insofern unterstützt, als sich eine Reihe von Tutorials darauf beziehen. Die Beurteilung eines Themas in Bezug auf seine Sinnhaftigkeit, Machbarkeit und Relevanz ist Aufgabe der Betreuenden und kann (und soll) von einer Maschine nicht geleistet werden.

Abb. 7.1
figure 1

Proposal Wizard Thesis Writer

Sobald der Wizard beendet wird, öffnet sich der Proposal Editor (Abb. 7.2). Dies ist das Hauptarbeitsfeld des TW. Der im Wizard produzierte Text wird automatisch übernommen. Der Proposal Editor gliedert sich in drei große Bereiche: 1) den mittleren Bereich, in dem der Text erstellt wird, 2) den linken Bereich, in dem die Dokumentstruktur angezeigt wird und geändert werden kann, und 3) den rechten Bereich, in dem die Hilfsfunktionen untergebracht sind. Über diesen Bereichen sind in der Steuerungszeile die Funktionen des Texteditors (Schriftart, Schriftgröße, Formatierungen usw.) platziert. Ganz oben befindet sich eine Menüleiste zur Navigation, in der auch die Textverwaltung integriert ist.

Abb. 7.2
figure 2

Proposal Editor Thesis Writer

Im Folgenden stellen wir die verschiedenen Hilfsfunktionen dar, die der TW zur Verfügung stellt. Sie sind, neben der vorgegebenen Struktur (Forschungskreislauf), das, was den TW von klassischen Textverarbeitungsprogrammen wie MS Word unterscheidet, zielen eben auf die Anleitung und Erstellung von wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten ab und sollen in diesem Bereich Mehrwert generieren. Die folgende Darstellung bezieht sich immer noch auf den Proposal Editor. Der Editor für den eigentlichen Bericht (Thesis Editor) weist eine geringfügig andere Funktionalität auf, die später thematisiert wird.

Standardmäßig wird im rechten Bereich ein Tutorial angezeigt, und zwar spezifisch pro Bereich des Forschungskreislaufes. Wenn beispielweise etwas im Bereich „Stand der Forschung“ geschrieben wird, ist das entsprechende Tutorial dazu aktiviert. Diese Tutorials sind im Vergleich zu den Tutorials im oben beschriebenen Proposal Wizard etwas ausführlicher. Im Prinzip handelt es sich, zusammen mit den auf der Startseite verfügbaren Tutorials, um ein integriertes Lehrbuch mit dem Ziel, Medienbrüche zu vermeiden und die jeweils passenden Instruktionen zur Verfügung zu stellen.

Im TW ist eine Kommentarfunktion integriert, die über das rechte Panel, aber auch per Kontextmenü (rechter Mausklick) erreichbar ist. Die Kommentarfunktion kann auf verschiedene Arten eingesetzt werden: 1) Der Autor/die Autorin kann sie als Annotationswerkzeug nutzen, beispielweise mit einem Hinweis, dass noch Literatur fehlt. 2) Sie ermöglicht Kollaboration, sei es zwischen Autoren/Autorinnen und/ oder zwischen Autor/Autorin und Feedbackgebenden (seien es Betreuende oder Peers). In der Projektverwaltung können Dokumente sehr einfach an andere Personen in der Hochschule freigegeben werden. 3) Man kann die Kommentarfunktion auch als Chat umfunktionieren, da sie mit einer Echtzeittechnologie implementiert wurde.

Für die Organisation von Wissen haben wir einen Zettelkasten für Notizen integriert. Diese sind für kleinere bis mittlere Textmengen optimiert. Sie können mit Schlagwörtern (Tags) versehen werden, nach denen gefiltert werden kann. Auch Erinnerungen an noch zu erledigende Aufgaben sind möglich: „Am Ende der Arbeit nochmals…“ „Braucht noch mehr Unterfütterung mit Literatur…“. Natürlich kann man auch gelesene Literatur erfassen – samt entsprechender konzeptioneller Vorüberlegungen. Damit unterstützt diese Funktion auch Schreibende, die einer bottom-up Strategie folgen, also Strukturen aus den Details entwickeln. Der Strukturbaum (Dokumentstruktur, linke Seite des Arbeitsbereichs) wendet sich dagegen eher an Nutzende, die erst Strukturen generieren und dann schreiben. Um bei vielen Notizen den Überblick zu behalten, wurde eine Baumnavigation integriert.

Der Umgang mit Literatur inklusive Zitieren und Referenzieren ist eine Kompetenz, die für das Schreiben von Abschlussarbeiten essentiell ist. Der TW richtet sich primär an Bachelorstudierende. Hier stand die Frage im Raum, ob und in welchem Umfang Zitiersoftware integriert werden soll. Dies ist auch eine Ressourcenfrage: Programmierzeit, die hier investiert wird, fehlt an anderer Stelle. Gleichzeitig existiert hierzu sehr ausgefeilte etablierte Software (teils kommerzieller Natur, teils als Open Source). Vor diesem Hintergrund haben wir eine minimalistische Literaturverwaltung integriert – Quellen können einfach erfasst und beim Export nach MS Word als alphabetisch sortierte Liste angehängt werden. Es soll lediglich sichergestellt werden, dass keine Quellen vergessen werden. Eine z. B. APA-konforme Liste lässt sich dann relativ einfach mit anderen Programmen oder Webdiensten realisieren. Mittelfristig ist die Integration von Zotero geplant, das sich per Schnittstelle (API) leicht ansprechen lässt.

Ein Herzstück des TW ist die sprachliche Unterstützung. Unter den Herausforderungen der Schreibenden ist das Erlernen einer wissenschaftlichen Sprache anfangs besonders dringlich. Wissenschaftssprache ist hochgradig kodifiziert und konventionalisiert. Bis zur Hälfte des Textes eines wissenschaftlichen Artikels besteht aus immer wiederkehrenden phraseologischen Elementen (Erman & Warren, 2000). Autorinnen und Autoren müssen ihre kommunikativen Absichten rhetorisch realisieren und sich dabei an die erwartbaren Ausdrücke ihrer Disziplin halten. Hier zeigt die Erfahrung, dass Studierende in den kurzen Studiengängen bis zur Bachelorarbeit nicht genug Zeit zum Lesen wissenschaftlicher Literatur haben, um mit den sprachlichen Gewohnheiten ihrer Disziplin vertraut zu werden. Auch an entsprechender Schreibpraxis im Studium fehlt es oft. Dies ist an Fachhochschulen tendenziell wohl ausgeprägter als an Universitäten. Vor diesem Hintergrund wurden zwei korpusbasierte Hilfsmittel im TW integriert: ein sogenanntes Phrasebook und die Möglichkeit, Korpusabfragen durchzuführen. Das Korpus besteht aus gut 20.000 Dokumenten (jeweils Deutsch und Englisch) von frei zugänglichen wissenschaftlichen Texten (v. a. Forschungsartikel und Dissertationen).

Im Phrasebook (siehe Abb. 7.3) stehen im Proposal Editor pro Bereich des Forschungskreislaufes zirka zehn typische Phrasen zur Verfügung. Bei der Auswahl wurde darauf geachtet eine gewisse Bandbreite abzudecken (Heterogenität zwischen den Phrasen), um die Chance zu erhöhen, dass Nutzende zu ihrem jeweiligen Darstellungsanliegen die passende Phrase finden können. Gleichzeitig wurde die Anzahl der Phrasen bewusst limitiert, damit die Auswahl nicht zu zeitaufwendig ist. Das Vorbild, die Manchester Academics Phrasebank (http://www.phrasebank.manchester.ac.uk/), umfasst zirka 150 Seiten an Phrasen. Studierende der Anfangssemester wären davon wohl eher überwältigt als unterstützt. Die englischsprachigen Phrasen wurden jeweils zu den deutschsprachigen parallelisiert, d. h. ein sinngemäßes Äquivalent wurde gesucht statt einer wörtlichen Übersetzung (Beispiel: „My study addresses the issue of …” entspricht „Unsere Arbeit beschäftigt sich mit…“). Dabei werden die möglichen Selbstreferenzen zwischen „ich“, „wir“ und den unpersönlichen, deagentivierten und passivierten Darstellungsformen durchpermutiert, damit diese Optionen jeweils sichtbar werden. Die Phrasen lassen sich jederzeit per Rechtsklick im Text aufrufen, auswählen und mit einem Klick einfügen. Nutzende sollen während der Formulierungsarbeit leicht darauf zugreifen können.

Abb. 7.3
figure 3

Phrasebook im Proposal Editor

Im Thesis Editor stehen nochmals deutlich mehr Phrasen zur Verfügung als im Proposal Editor (ca. 1400 für jede Sprache). Hier werden noch weitere, über den Forschungskreislauf hinausgehende Bereiche abgedeckt wie: Vorspann, Definitionen und Konzepte, theoretischer Hintergrund, Argumentieren, Aufbau der Arbeit, Forschungshypothesen, Schlussfolgerungen und Empfehlungen, Moderation des Textflusses und Leserführung, wobei jeder dieser Bereiche in zirka fünf weitere Untergruppen gegliedert ist. Dort werden standardmäßig ebenfalls zehn, und bei Bedarf weitere Phrasen angezeigt. Der theoretische Hintergrund von Phrasebooks liegt in Swales‘ (1981/, 1995, 2011) genretheoretischem Ansatz, dessen „Move Analysis“ verschiedentlich genutzt wurde, um digitale Unterstützung für Schreibende auf der Ebene von Phrasen zu entwickeln (Cotos, 2018).

Schreibende werden weiterhin bei der Formulierungsarbeit durch drei Suchfunktionen unterstützt, mit denen das integrierte Korpus in Echtzeit durchsucht werden kann. Dies ermöglicht etwa eine Suche nach Kollokationen, also nach Wörtern, die häufig benachbart auftreten. Für das Nomen „Bedrohung“ wird zum Beispiel im Korpus „existenziell, Markposition, ernsthaft, empfinden“ gefunden und es werden jeweils die Wortklassen (Nomen, Adjektiv, Verb) angezeigt. Weiterhin kann man nach ähnlichen Wörtern suchen. Es handelt sich dabei nicht um exakte Synonyme, sondern um Wörter, die ähnliche word embeddings im Korpus haben. Schließlich kann man sich durch ein Konkordanz-Tool Beispiele aus dem Korpus aufzeigen lassen. Zum Suchwort „Bedrohung“ beispielsweise wird eine Liste mit einhundert Verwendungsbeispielen verb wie „Eine Bedrohung‘ für die großen Länder der EWU besteht nicht.“ Daraus können sich Nutzende den Gebrauch bestimmter Wörter in ihrer Disziplin erschließen.

7.3.3 Begründung für die Gestaltung einer neuen Arbeitsoberfläche für das Schreiben

In der Entstehung von Textverarbeitungssoftware sind Entscheidungen in Bezug auf die Gestaltung von Schreibsoftware getroffen worden, die meist recht willkürlich und oft einfach davon geprägt waren, möglichst viel von der alten Schreibmaschine und dem Blatt Papier zu erhalten (vgl. Heilmann, 2012). Das Papierformat wurde an das Din-A4-Format angelehnt und mit dem WYSIWIG-Prinzip wurde die Textgestaltung analog zum manuellen Schreiben so konzipiert, dass das, was geschrieben wurde, auf dem Bildschirm so erscheint, wie es dann auch ausgedruckt wird – die analoge Situation zum früheren Schreiben, bei dem der Text immer so bleibt, wie er aufs Papier gesetzt wird. Die Transformation von Schriftzeichen in digitale Codes hingegen würde auch völlig andere Darstellungsmöglichkeiten erlauben. Steuerungselemente wurden von dem Schriftraum ferngehalten, sodass das makellose weiße Papier wie früher die Ausgangslage des Schreibens darstellte. Erst die Entwicklung neuer Betriebssysteme mit Split-Screen-Möglichkeiten und Zoom-Funktion in Zusammenhang mit größeren Bildschirmen änderten dieses Prinzip des Einheitsfensters.

Der TW wählte ein anderes Arrangement für die Arbeitsoberfläche und schaffte damit einen neuen standardisierten, digitalen Raum für das Schreiben, der der Komplexität der Aufgabe besser entsprechen sollte. Der allgemeine Zweck dieser Veränderung liegt darin, dass die Arbeitsoberfläche selbst steuernde Funktion für das Schreiben hat und die Arbeit unterstützen soll, statt sie lediglich zu ermöglichen. Die Angst vor dem leeren Blatt (Kruse, 1993) soll durch ein strukturiertes Blatt unterlaufen werden, dessen Felder und Fenster schon per se Vorgaben dazu machen, wie der Arbeitsprozess an der Abschlussarbeit zu strukturieren ist.

Der gesamte Bildschirm ist in einen Steuerungsteil (obere Zeile) und einen Arbeitsteil gegliedert (siehe Abb. 7.2). Die Arbeitsfläche ist in drei vertikal angeordnete Panels geteilt. Geschrieben wird in der Mitte. Das linke Panel ist durch den Gliederungsbaum besetzt, während sich auf der rechten Seite die Hilfsfunktionen befinden. Wer trotz dieser fixen Anordnung das integrierte, leere Blatt zurückhaben möchte, kann dies über den Button „ablenkungsfreie Ansicht“ herstellen und dann wie früher frei von Einschränkungen den Text auf dem leeren Bildschirm entwickeln.

Das Textfeld in der Mitte ist durch horizontal angeordnete Felder gekennzeichnet. Jedes dieser Felder hat bereits eine Überschrift. Im Modus des Proposal Writing ist dieses Feld in neun Kästen aufgeteilt und jedes von ihnen mit einer Überschrift versehen. Diese Überschriften entsprechen dem oben dargestellten „Research Cycle“, den wir als Standardstruktur vorgeben. Im Gliederungsbaum auf der linken Seite wird diese Struktur abgebildet und bietet die Möglichkeit, die Gliederungspunkte umzubenennen, zu verschieben oder zu ergänzen. Wird ein Punkt umbenannt, so wird das auch für das entsprechenden Textfeld in der Mitte übernommen. Wird ein neuer Gliederungspunkt oder Unterpunkt gebildet, entsteht im mittleren Panel ein neuer Kasten mit der entsprechenden Beschriftung.

Mit diesem Aufbau ist ein Strukturelement des Genres der Abschlussarbeit in die Schreibsoftware aufgenommen worden und bestimmt, wie die Schreibenden vorgehen (sollen). Es ist dabei ein wichtiges Anliegen, dass diese Struktur veränderbar ist; es wird aber auch signalisiert, dass es Standardstrukturen in wissenschaftlichen Genres gibt, an die sich zu halten lohnend sein kann. Rückmeldungen von Schreibenden gehen dahin, dass sie die Aufteilung der Aufgabe in Teileinheiten hilfreich finden, da sie damit einen Überblick darüber erhalten, was erwartet wird, und sie die Abstimmung, welche Information in welchen Abschnitt gehört, leichter bewältigen können. Eine solche Struktur geht über das hinaus, was üblicherweise in Templates angeboten wird, da sie sehr viel flexibler aufgebaut ist und mehr als nur kurze Instruktionen dazu bietet, was in den entsprechenden Feldern zu sagen ist. Der Aufbau ist eher ein neuer Gestaltungsraum für die Textherstellung, der auf die besonderen Anforderungen an die Lernsituation, wie sie bei Abschlussarbeiten besteht, zugeschnitten ist. Mit der Standardstruktur und ihren optionalen Erweiterungen gekoppelt ist das Phrasebook, sodass rhetorische Hilfe mit minimalem Aufwand generiert werden kann.

Ob dieses Arrangement tatsächlich angenommen wird, ist offen. Es gibt auch Befürworter einer schnörkellosen Arbeitsoberfläche, in der sich die Schreibenden ablenkungsfrei mit ihren eigenen, auf dem Papier nach und nach deponierten Gedanken beschäftigen können. Auch der TW bietet die Option einer solchen „ablenkungsfreie Ansicht“, in der dann allerdings keine Hilfsfunktionen in Anspruch genommen werden können.

7.4 Effekte

Bei der Entwicklung einer Schreibplattform unter Einsatz neuer Technologie stellt sich die Frage, welche Effekte diese hat. Sind die Resultate besser als wenn konventionelle Textverarbeitungsprogramme verwendet werden? Lernen Studierende das Schreiben schneller? So wünschenswert die Beantwortung solcher Fragen auch ist, es erweist schnell, dass Antworten nicht einfach zu finden sind. Das hat im Wesentlichen drei Gründe. Der erste ist Komplexität. Für die Entwicklung einer vielschichtigen Plattform ist die Gesamtwirkung nur schwer zu ermessen, solange die einzelnen Funktionen nicht optimal gestaltet sind. Hier ist eher Forschung angemessen, die die Funktionsweise und Wirkung einzelner Funktionen optimiert. Der zweite Grund liegt darin, dass komplexe Tools auf den Kontext einwirken, in dem sie eingesetzt werden. Es ist schwer, ein Tool wie den TW als Intervention zu testen, wenn sich dabei das Anleitungsverhalten der Lehrenden verändert. Sind Effekte dann auf das Tool oder das veränderte Verhalten der Lehrenden zurückzuführen? Der dritte Grund liegt darin, dass die Nutzenden nicht dazu gezwungen werden können, den TW einzusetzen. Digitale Tools dieser Art zu nutzen, bleibt der Entscheidung der Studierenden und der Lehrenden überlassen. Alle Arten von Vergleichen in natürlichen Settings scheiden daher aus.

Ein design-based Forschungsansatz geht deshalb anders vor und untersucht Teilfunktionen und Einstellungen zur Nutzung, um damit Entscheidungen über die Weiterentwicklung treffen zu können. Zwei solcher Studien seien hier angeführt. Die erste konzentrierte sich auf die Sicht der Studierenden (self-reported data) bei der Nutzung des TW zur Erstellung eines Proposals. Die zweite untersucht die Rolle des TW in einer Betreuungssituation bei der Themendefinition von Bachelorarbeiten. Im Rahmen des Projekts wurde der TW an der ZHAW School of Management and Law vor allem in zwei Kontexten eingesetzt. 1) Er wird im ersten Semester im Rahmen des Moduls „Skills“ genutzt, das sich für die Hälfte des Semesters dem wissenschaftlichen Arbeiten und Schreiben widmet. Pro Jahr durchlaufen dieses Modul ca. 800 Studierende. Als Leistungsnachweis ist eine Disposition in Vierergruppen zu verfassen. Der TW wird den Studierenden vorgestellt, aber es besteht keine Verpflichtung, ihn zu nutzen. Eine Befragung einer Gruppe von Studierenden dieses Kurses wurde genutzt, um einige Urteile über die Usability des Tools zu erhalten. 2) In einer Pilotstudie wurde der Einsatz des TW bei der Betreuung von BA Arbeiten untersucht. Der Fokus lag dabei darauf, wie der TW in die Betreuungssituation eingreift, wenn es um die Aushandlung von Thema und Fragestellung zwischen Betreuungsperson und Studierenden geht. Zu beiden Bereichen wurden Ergebnisse bereits publiziert, daher beschränkt sich der folgende Abschnitt auf eine Zusammenfassung.

7.4.1 Pilotstudie 1: Nutzendenurteile

Rapp und Kauf (2018) sammelten quantitative und qualitative Daten im oben genannten Modul Skills, um den Einsatz, die Nutzbarkeit und den Nutzen des TW innerhalb eines TAM-Rahmens (Technology Adoption Model) besser zu verstehen (für einen Überblick siehe Oliveira & Martins, 2011; Venkatesh et al., 2003; Williams et al., 2015). Im Rahmen eines mixed method explanatory sequential design (Creswell & Plano Clark, 2011; Plano Clark & Ivankova, 2016) wurden in einem ersten Schritt Fragebogendaten erhoben, die acht geschlossene und drei offene Fragen enthielten. In einem zweiten Schritt wurden in zwölf Fokusgruppen qualitative Daten erhoben, um die Ergebnisse des ersten Schritts besser zu verstehen.

Vier Forschungsfragen wurden in der Studie behandelt: (RQ1): "Stellten die verschiedenen Teile des Proposal für die Studierenden Probleme dar? (RQ2): "Haben die Studierenden den Thesis Writer benutzt, und wenn ja, welche Teile davon? Wenn sie den TW nicht benutzt haben, was waren ihre Gründe dafür?" (RQ3): "Zu welchem Grad wurden die vom TW Proposal Editor zur Verfügung gestellten Unterstützungsfunktionen (Tutorial, Sprachführer, Beispiele und sprachliche Unterstützung) als hilfreich eingeschätzt?" und (RQ4): "Wie haben die Studierenden die Benutzerfreundlichkeit des Thesis Writer wahrgenommen?“

Die quantitativen Daten wurden mit MS Excel und dem Statistikprogramm R analysiert. Wo numerische Werte verfügbar waren, wurden Stichprobenmittelwert, Median, Standardabweichung und Größe angegeben. Bei kategorialen Daten wurden absolute Zahlen angegeben. Statistische Signifikanz wurde angenommen, wenn p < 0,5. Der Kruskal–Wallis-Test diente für Signifikanztests, bei denen mehrere Gruppen verglichen werden mussten, in denen die Daten nicht normal verteilt waren. Wilcoxon-Tests wurden für den Vergleich zwischen Gruppen mit Fehlerinflationskorrektur nach Holm, wie in R implementiert, verwendet. Qualitative Daten wurden induktiv in zwei Kodierungszyklen für aufkommende Themen analysiert (Creswell, 2013; Flick, 2014; Miles et al., 2014). Da das Ziel der Studie die Evaluation des TW war, wurden in erster Linie strukturelle, deskriptive und in-vivo-Kodierungen (Saldaña, 2013) verwendet.

Im Folgenden sind kurz die wichtigsten Ergebnisse der Studie dargestellt, die im Hinblick auf die Wirksamkeit des TW als Tool von Bedeutung sind. In RQ3 bewerteten die Benutzenden auf einer Skala von 1 (trifft überhaupt nicht zu) bis 4 (trifft voll und ganz zu), wie unterstützend die vier Hilfsmittel im Proposal Editor waren: Tutorials (n = 44, M = 3,25, SD = 0.44); Phrasebook (n = 53, M = 3,40, SD = 0.66); Beispiele (n = 53, M = 3,47, SD = 0.50); sprachliche Unterstützung (n = 23, M = 2,96, SD = 0.98). Es wurden also alle vier Hilfsmittel als unterstützend bewertet. In Bezug auf die Funktionen zur sprachlichen Unterstützung, die bei den Ergebnissen etwas weniger gut bewertet wurden ist anzumerken, dass sie zum Zeitpunkt der Datenerhebung noch nicht voll funktionsfähig waren.

Bei den qualitativen Daten wurden zwei Aspekte besonders hervorgehoben: Erstens wurde die vom TW bereitgestellte Struktur (der Forschungskreislauf) als am hilfreichsten genannt, da sie die komplexen Aufgaben des Proposalschreibens in überschaubare Blöcke aufteilt, für die dann jeweils Unterstützung bereitgestellt wird. Das Phrasebook wurde ebenfalls als sehr hilfreich eingestuft vor dem Hintergrund, dass die Studierenden über erhebliche Probleme bei der Formulierung von Texten „auf wissenschaftliche Art“ berichteten, die sie vermutlich in der Schule nicht gelernt hatten. Es wurde auch berichtet, dass die Phrasen vor allem dann hilfreich waren, wenn es darum ging mit dem Schreiben „in Gang zu kommen“. RQ4 konzentrierte sich auf die Benutzerfreundlichkeit des TW. Sechs positiv formulierte Fragen, die wiederum auf einer Skala von 1 bis 4 bewertet wurden, untersuchten verschiedene Aspekte der Verwendbarkeit, wie z. B.: „Der Thesis Writer ist leicht verständlich“, „Ich war nie durch das System verwirrt“ und „Das Layout ist klar“. Alle Mittelwerte lagen über 3,0. Zwei Items wurden negativ formuliert (sodass ein niedriger Wert auf der Skala einer hohen Benutzerfreundlichkeit gleichkam), nämlich "Ich brauchte mehr inhaltliche Unterstützung" und "Ich brauchte mehr technische Unterstützung", woraus sich Mittelwerte von 2,29 bzw. 1,88 ergaben. Für eine Gesamtbeurteilung des TW wurden zwei Items verwendet: Eines fragte, ob die Studierenden den TW auch für ihr BA-Studium verwenden würden (M = 3,19, SD = 0.71), und ob sie den TW weiterempfehlen würden (M = 3,28, SD = 0.79). Sowohl in den quantitativen als auch in den qualitativen Daten sprechen die Nutzenden dem TW also einen hohen Grad an Benutzerfreundlichkeit und Nützlichkeit zu.

7.4.2 Pilotstudie 2: Conceptual alignment

Die zweite explorative Studie (Rapp et al., 2020) bezog sich auf die Situation, in der Studierende mit den entsprechenden Betreuenden ihrer Arbeit die ersten Festlegungen zu Inhalten, Zielen und Vorgehen aushandeln. Im Fokus stand die Frage, wie sich beide auf Thema und Forschungsfragen einigen, ein Vorgang, der sich mit Schober (2005) als „conceptual alignmenet“ definieren lässt. Damit ist der Prozess einer gegenseitigen Annäherung der konzeptuellen Vorstellung gemeint, in der beide Seiten sicherstellen müssen, dass sie einander verstehen. Gefragt war, welche Rolle der TW dabei spielt.

Die BA-Arbeit an der ZHAW School of Management and Law ist auf eine Bearbeitungszeit von 14 Wochen ausgelegt und forschungsbasiert. In einem ersten Schritt werden Thema und potenzielle Forschungsfragen besprochen. Nach zirka vier Wochen geben die Studierenden ein Proposal (Disposition) ab. In der Studie wurden im Jahr 2020 Daten wie folgt erhoben: 1) ein Forscher nahm als Beobachter an drei Kickoff-Meetings zur BA-Arbeit teil (an denen in je ca. eineinhalb Stunden das Proposal besprochen bzw. bearbeitet wird), um das Proposal zu erstellen und zu diskutieren. Die Treffen wurden aufgezeichnet, Field Notes erstellt und nach dem Treffen Fragen an die Studierenden gestellt. Die Daten wurden induktiv kodiert ohne initiales Kodierungsschema (Schreier, 2012). 2) Es wurde eine virtuelle Fokusgruppe mit vier Dozierenden, die BA-Arbeiten betreuen und dabei überwiegend den TW nutzen, durchgeführt (convenience sample). Dazu wurde ein Leitfaden eingesetzt und als initiales Kodierungsschema genutzt (Saldaña, 2016). Die Fokusgruppe wurde aufgezeichnet, die Aufzeichnungen teilweise transkribiert und induktiv auf Themen hin untersucht (Gibbs, 2015; Krueger & Casey, 2015).

Die Nutzung des TW gab der Anleitungssituation eine neue Struktur. Vor der Nutzung des TW waren die Dozierenden meist so verfahren, dass sie das Thema mündlich diskutierten und sich nach der Sitzung ein Protokoll der Studierenden hatten schicken lassen. Dabei kam es oft zu frappierenden Diskrepanzen zwischen dem, was aus Sicht der Dozierenden besprochen worden war und dem, was sich im Protokoll davon wiederfand.

Der TW strukturierte das Treffen insofern anders, als die Studierenden das Programm auf dem Laptop laufen ließen und es auf einen großen Monitor projizierten. Die Interaktion zwischen Studierenden und Dozierenden orientierte sich nicht mehr face-to-face zueinander, sondern richtete sich zum Monitor aus, auf dem beide den vorher geschriebenen Text lesen und gemeinsam weiterentwickeln konnten. In einem der drei Fälle wurde der Text gemeinsam verfasst. Als positiven Effekt nannte eine Betreuungsperson, dass bei der Nutzung des TW eine direkte Kontrolle möglich sei, ob man sich verstanden habe. Ein Sachverhalt wurde dabei besprochen, und die Betreuungsperson konnte am Monitor mitverfolgen, welche Anpassungen der oder die Studierende dabei vornahm. Dabei wurde unmittelbar sichtbar, ob die schriftliche Umsetzung für beide Seiten dem vorher Besprochenen entsprach.

Die Aushandlung von Thema und Forschungsfragen war das zentrale Element der Besprechungen. Die Anleitenden mussten dabei nicht die Vorgaben für die Struktur des Proposals machen, sondern beide, Anleitende und Studierende, konnten sich an den Vorgaben des TW orientieren und gemeinsam überlegen, ob die gewählte Lösung dem entsprach. Ein Konflikt, der sich in allen drei Anleitungssituationen entfaltete, drehte sich um die Frage, wie weit die Arbeiten forschungs- oder praxisorientiert sein sollten. Der im TW hinterlegte Forschungskreislauf, als erweiterte Variante des IMRaD-Schemas, präferiert klar ein forschungsorientiertes Vorgehen. Die Studierenden waren jedoch alle drei berufstätig und planten Arbeiten im Kontext ihrer jeweiligen Firmen. Ihre Arbeiten waren entsprechend praktisch orientiert. Die Diskrepanzen traten dann vor allem in den Bereichen Forschungsfrage, Forschungsstand und Forschungslücke auf. Der Forschungskreislauf unterstütze die Betreuungsperson dabei, die Arbeit forschungsbasiert anzulegen und über die von Studierenden oft gewünschte rein praktische Lösung eines betriebswirtschaftlichen Problems hinaus zu einer wissenschaftlichen Lösung zu gelangen.

Die Aushandlung des Themas und der Forschungsfrage(n) war auch in der Fokusgruppe ein zentrales Thema. In den meisten Fällen, so berichteten die teilnehmenden Dozierenden, werden die Themen von ihnen selbst vorgegeben, meist liegen sie in ihrem eigenen Arbeits-/ Forschungsschwerpunkt, um Synergien zu erzielen. Dafür waren sie dann auch bereit, mehr Zeit in die Betreuung zu investieren als vorgesehen. Die Rolle, die die Technologie in dem Prozess der Themenaushandlung spielen sollte, wurde unterschiedlich gesehen. Einigkeit herrschte darin, dass in dem ersten Schritt, der der Vorauswahl des Themas gilt, die Technologie keine Rolle spielen sollte, damit ein offener Austausch erfolgen kann. Erst in einem zweiten Schritt schien es ihnen sinnvoll, den TW zu nutzen, um einen Entwurf für das Proposal zu schreiben. Die Unterstützung, die die Hilfsfunktionen im TW dabei leisten, wurde positiv bewertet, entlastet sie doch die Betreuenden von Routinetätigkeiten und der Beantwortung wiederkehrender Fragen. Analog zu den Beobachtungen der Kickoff-Meetings wurde die strukturierende Rolle des Forschungskreislaufes hervorgehoben, die Austausch und Verständigung über den Forschungsprozess ermöglicht und erleichtert. Es herrschte abschließend Einigkeit darüber, dass elektronische Unterstützung wertvoll ist, aber auch ihre Grenzen hat und Betreuende zwar unterstützen, aber nicht ersetzen kann.

7.5 Wenn das Tool fertig ist, was kommt dann?

Eine Schreibplattform wie der TW, die von Studierenden und Lehrenden im Dauerbetrieb genutzt wird, wird niemals einen Stand erreichen, in der sie sämtliche Anforderungen erfüllt. Je komplexer sie ist, desto mehr Elemente gibt es, die sich als revisionsbedürftig erweisen und desto mehr Adaptationen in Bezug auf Veränderungen in Browsern oder Programmiertechnologien werden nötig. Plattformen sind Daueraufgaben nicht nur in Bezug auf kontinuierliche Pflege, sondern auch in Bezug auf neue Erkenntnisse, die sich aus dem Betrieb selbst und dessen Wirkung auf ihre Adressaten ergeben.

Auch das Prüfen der verschiedenen Funktionalitäten sowie Feedback von Usern zwingen zum Handeln. Einige Bestandteile des TW funktionieren nicht wie erwartet, andere sind zu wenig ausgebaut und eine weitere Gruppe von Bestandteilen wird einfach nicht genutzt und scheint überflüssig zu sein. Im Folgenden sind die wichtigsten Punkte aufgeführt, die nach Fertigstellung einer Plattform zu erledigen sind.

7.5.1 Verstehen, was das Produkt eigentlich macht

Neue Technologien schaffen Realitäten, die den Gegenstand verändern, im vorliegenden Fall also die Arbeitsabläufe beim Schreiben, die Interaktion mit Anleitenden und Peers sowie die konzeptuelle Gestaltung und Planung einer Arbeit. Die Konstruktion des TW war anfangs davon motiviert, für eine Reihe von Problemen eine hilfreiche Lösung anzubieten. Der Seamless-Learning-Ansatz hat dabei geholfen, die Rahmenbedingungen für Abschlussarbeiten besser zu verstehen und den Aspekt der Organisationsentwicklung sichtbarer machen.

Der TW ist ein Eingriff in ein traditionelles, etabliertes Arbeitsfeld der Hochschullehre und muss sich in diesem Feld positionieren. Zwar sind die meisten Lehrenden durchaus offen für ein solches digitales Angebot, jedoch gibt es auch Reibungsflächen mit den gegebenen Anleitungsroutinen. Manche Hochschulen reagierten bei der Dissemination des TW mit Ablehnung oder stillem Boykott, wie bei einem Kooperationspartner geschehen.

Wenn man die Arbeitsabläufe beim Schreiben von Abschlussarbeiten verändert und darauf abzielt, dass sie flüssiger, integrierter und lehrreicher werden, wie es das Konzept des Seamless Learning beschreibt, dann verändert man auch die Organisation, in der dies geschieht. Entsprechend sind Maßnahmen der Organisationentwicklung nötig, wenn man ein Tool wie den TW verpflichtend in einem Studiengang integrieren will.

Auch die Binnenprozesse des Schreibens verändern sich. Schreiben und Lernen rücken näher zusammen, indem Tutorials über jeden Schritt des Schreibens verfügbar sind. Sprachlernen wird zum Thema, indem neue, integrierte Hilfen über Wortgebrauch, Idiomatik, Fachterminologie etc. angeboten werden und indem Abfragetools zwei große Korpora nach sprachlichen Mustern zu durchsuchen erlauben. Kooperation wird einfacher durch gemeinsame Verfügbarkeit von Texten und effektive Kommunikationsmöglichkeiten über das Vorgehen beim Schreiben oder die Weiterentwicklung des entstehenden Textes.

Begleitforschung zu einem Programm wie dem TW sollte dem entsprechend nicht einfach auf Effizienz ausgerichtet sein, sondern vor allem danach fragen, was sich ändert und was die Nutzenden tatsächlich mit dem Tool machen. Dazu gehört auch, welche Funktionen sie nicht in Anspruch nehmen, wie lange sie das Tool nutzen und warum sie entscheiden, wieder zu ihrem vertrauten Textverarbeitungsprogramm zurückzukehren.

7.5.2 Verpflichtungen einer Lernplattform

Abschlussarbeiten sind Prüfungsleistungen und werden unter hohem Zeitdruck verfasst. Eine Plattform, auf der Studierende ihre Arbeiten verfassen, muss Funktionsfähigkeit gewährleisten und größere Störungen, vor allem Datenverlust, weitestgehend ausschließen. Dies erfordert ein Sicherheitskonzept, das die Speicherung aller Eingaben im Sekundentakt nötig macht und auch bei Netzabbruch noch wirksam ist. Es gibt dennoch problematische Situationen, wenn z. B. ein Nutzer den Laptop einfach zuklappt oder im Zug die Mobilfunkverbindung abreißt. Eine mögliche Lösung liegt darin, so oft wie möglich Daten an den Server zu schicken. Das kann aber schnell zu ebenso unerwünschten Performanceproblemen führen. Auch der Abriss der Datenverbindung ist ein Problem, bei dem man abwägen muss. Unterbindet man die Dateneingabe (kein Arbeiten im Tunnel) oder schreibt man die Daten in einen Zwischenspeicher und riskiert Datenverlust, wenn genau in dem Augenblick die Verbindung abreißt? Allerdings reden wir hier von wenigen Zeichen, die verloren gehen könnten.

Einen großen Teil der Datensicherung haben wir gar nicht selbst in der Hand. Zu Beginn des Projekts lagen die Daten wirklich auf einem physischen Server im Erdgeschoss unserer Fakultät. Inzwischen liegen sie auf einem virtuellen Server des Rechenzentrums, der redundant gesichert ist. Hier darf und muss man sich auf die Kollegen verlassen (es wird jedoch weiterhin täglich eine zusätzliche Sicherungskopie erstellt).

Eine weitere große Herausforderung sind die Änderungen in Technologien. Der TW läuft im Webbrowser. In Bezug auf Häufigkeit der Nutzung wurde der Internet Explorer beispielweise über die Jahre rasant von Google Chrome überholt, später von Microsoft Edge abgelöst. Neben der Microsoft-Welt muss man auch die bei Studierenden beliebten Macs bzw. deren Browser unterstützen. Man hat also eine knappe Hand voll von Browsern, die man beobachten muss, um ggf. Anpassungen vorzunehmen. Glücklicherweise reduziert sich das inzwischen auf zwei “Engines” (Kernimplementierungen): Webkit und Quantum (Firefox). Denn auch Apples Safari und Microsoft Edge basieren inzwischen auf Webkit.

Programmiersprachen ändern sich ebenfalls. Der TW ist noch in PHP programmiert. Inzwischen gibt es wesentlich geeignetere Lösungen. Für ein kleines Programmierteam ist es aber herausfordernd, mit den enormen Entwicklungen im Bereich Webtechnologien Schritt zu halten. Auch ist es schwierig, Geld für eine Neuimplementierung mit neuen Technologien einzuwerben, da dies oft nicht als Notwendigkeit erachtet wird (aber oft nötig ist, um zukunftsfähig zu bleiben). Ein anderes Risiko ist der Ausfall (aus welchen Gründen auch immer) des/der Hauptprogrammierenden. Eine Verteilung von Arbeit und Verantwortung auf mehrere Schultern wäre hier wichtig, um Risiken zu minimieren, ist aber ebenfalls kostenintensiv. Eine gute Dokumentation wäre von Vorteil, um Kontinuität zu schaffen, aber solange es keine Probleme gibt, scheint sie nur aufwändig und wenig Nutzen stiftend zu sein.

Bei den genannten Herausforderungen stellt sich schnell die Frage, wer eigentlich für solch ein Tool zuständig ist und die längerfristige Wartung und ggf. Weiterentwicklung sicherstellt. Hier betreten Hochschulteams schnell ungewohnten Boden. Nicht leichter macht es der Umstand, dass solche Tools oft aus einem Projekt entstehen (sei es eine interne Finanzierung oder Drittmittel), sich entwickeln und dann mit dem Projektende auf dem Trockenen sitzen. Im Falle des TW liegt zudem eine Kooperation zwischen verschiedenen Fakultäten vor, was Verpflichtungen schafft, aber nicht von allen gleichermaßen mitgetragen wird, da sie andere Formen von Abschlussarbeiten schreiben lassen.

7.5.3 Rechtliche und ethische Aspekte

Neben der funktionalen Seite hat digitale Technologie auch eine rechtliche Dimension. Die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sieht für die Betreiber von Plattformen eine Reihe von strengen Auflagen vor. Zur europäischen Verordnung kommen landesspezifische Umsetzungsverordnungen, die teils verschärfend, teils aufweichend wirken. Deutschland und Österreich fahren dabei recht unterschiedliche Strategien, von denen die deutsche zu Vorgaben führten, die für viele praktisch unerfüllbar waren. Die österreichische Umsetzung kostete Zeit (bei der Dissemination des TW an einer Hochschule in Wien), aber die Aufgabe konnte gemeistert werden. An einer deutschen Hochschule musste die Dissemination aufgegeben werden – zumindest in der Einführungsphase des neuen europäischen Gesetzes waren die datenschutzrechtlichen Probleme nicht lösbar.

Auch hier besteht das Problem, dass man sich auf ein Terrain einlassen muss, das man als Didaktiker oder Techniker nicht kennt. Glücklicherweise besitzt die ZHAW – im Gegensatz zu vielen kleineren Hochschulen – einen ausgebauten Rechtsdienst, der beansprucht werden konnte und der seit kurzem zusätzlich Spezialisten für Datenschutzrecht hinzuziehen kann. Die Abklärungen waren spannend, aber zogen sich ungefähr ein Jahr hin. Ein großes Problem stellt dabei die Neuartigkeit der DSGVO dar. Es fehlte und fehlt an umfassender und aufgearbeiteter Rechtsprechung. Die Landesdatenschutzbeauftragten in Deutschland waren oft überlastet und geben zudem keine rechtsverbindliche Auskunft, sodass das Risiko immer beim Anbieter bleibt. Bei mehreren telefonischen Anfragen kam es teilweise zu unterschiedlichen Einschätzungen.

Ein verwandtes Thema an der Schnittstelle von Recht und Ethik ist der Umgang mit den anfallenden Daten. In der Lehre halten vermehrt computergestützte Tools Einzug und die COVID-19 Pandemie wird dies wohl noch weiter befeuern. Viele der Tools arbeiten webbasiert (Software as a Service). Die Daten fallen also serverseitig an und sind damit prinzipiell zugänglich. Damit stellt sich schnell die Frage, wer auf welche Daten Zugriff bekommen soll, wozu und auf welcher Grundlage sie ausgewertet werden können. Auch hier ergeben sich schnell Zielkonflikte. Für den TW wurde beschlossen, dass die Nutzenden die Hoheit über ihre Daten haben sollen, nicht die Hochschule oder die Anleitenden. Daher entscheiden die Nutzenden selbst, wem sie Zugriff auf ihre Texte geben. Dies ist auch entsprechend in den Nutzungsbedingungen festgelegt. Dozierende haben nur dann Zugriff auf die Texte, wenn die Studierenden sie freigeben. Auch die Verwendung der Daten zu Forschungszwecken ist genau geregelt.