Zusammenfassung
Ausgehend von vier verschiedenen Forschungsprojekten im Kontext Flucht*Migration wird dargelegt, inwiefern sich darin komplexe Macht- und Ungleichheitsverhältnisse artikulieren, bzw. wie die einzelnen Akteur*innen in diese verstrickt sind und schließlich welche forschungspraktischen Konsequenzen sich hieraus ergeben können – von der konkreten Forschungssituation bis zur generellen Suche nach angemessenen Forschungsansätzen. Dabei werden sowohl forschungsethische als auch u. a. repräsentationstheoretische Fragen aufgegriffen, um davon ausgehend Strategien zum Umgang mit der (Re-)Produktion dieser Ungleichheitsverhältnisse zu diskutieren. Dieser multiperspektivische Mehrebenenzugang zielt darauf ab, die Komplexität der Verstrickungen abzubilden und das Ineinandergreifen von konkreten Forschungserfahrungen, deren Theoretisierung und method(olog)ische Verankerung zu verdeutlichen.
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Notes
- 1.
Die Rekonstruktion dieser Erfahrungen und Kontexte ist u. a. Ziel meines Dissertationsprojekts „Intersektionale Perspektiven auf Bildungswege junger geflüchteter Frauen im Kontext von Ungleichheits- und Machtverhältnissen“.
- 2.
Dieser Feststellung liegt eine Vielzahl aktueller Forschungsprojekte, Veröffentlichungen und Vorträge zugrunde, wie z. B. auch im Programm der 3. Konferenz des Netzwerks Fluchtforschung 2020 ersichtlich wird (Kutscher & Grawert, 2020). Mit der Gründung eines weiteren internationalen, transdisziplinären, peer-reviewed Journals, dem Journal of Participatory Methods, kann überdies eine zunehmende Etablierung sowie Institutionalisierung des Forschungsansatzes beobachtet werden (vgl. Brenssell & Lutz-Kluge, 2020, S. 10).
- 3.
In der deutschsprachigen Forschungsliteratur und auch -praxis wird zumeist von partizipativer Forschung gesprochen. Während partizipative Forschung Mitwirkung – auch nur in Teilen – vorsieht, möchte partizipatorische Forschung „Teilhabe ausdrücklich [] bezwecken“ (Prasad, 2020, S. 19 f.).
- 4.
Die Überlegungen in diesem Abschnitt basieren auf meinem ethnografischen Dissertationsprojekt, welches sich vorrangig mit der Rekonstruktion von Praktiken des Übergangs beschäftigt, die neu zugewanderte Jugendliche innerhalb der Organisation Schule erleben.
- 5.
Lokalisiert ist die Forschung in Kursen bei freien Bildungsträgern, die sich an junge Geflüchtete richten und als (eine) konzeptionelle Zielsetzung die ‚Orientierung im und/oder die Integration in das deutsche Ausbildungs- und Beschäftigungssystem‘ ausweisen. Seit 2015 sind vor dem Hintergrund zunehmender Flucht*Migrationen eine Reihe solcher Kurse entstanden. Sie sind Ausdruck einer grundsätzlichen Neuordnung der Flucht*Migrationspolitik, die sich durch Maßnahmen zur weiteren Verschärfung eines repressiven Migrationsregimes bei gleichzeitig verstärkter Fokussierung auf die ‚Integration in den Arbeitsmarkt‘ auszeichnet (vgl. u. a. Hess et al., 2014; Kasparek, 2017).
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Bach, M., Güler, F., Scheffold, M., Warkentin, S. (2022). Verstrickungen und Strategien: Zum Umgang mit der konstitutiven Kraft von Machtverhältnissen und öffentlichen Diskursen bei ethnografischen Untersuchungen im Kontext von Flucht*Migration und Bildung. In: Hünersdorf, B., Breidenstein, G., Dinkelaker, J., Schnoor, O., Tyagunova, T. (eds) Going public?. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-34085-8_15
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