1 Einführung

2016 veröffentlichte der japanische Filmemacher Keiichi Matsuda einen Konzeptfilm namens „Hyper-Reality“.Footnote 1 Der in London lebende Designer und Künstler lässt den Zuschauer in seiner Zukunftsvision in eine grelle, durch visuelle Reize übersättigte Ästhetik eintauchen, in der mediale Technologien allgegenwärtig sind. Der Augmented Reality Videoclip spielt in Medellin, Kolumbien, und zeigt aus der Perspektive der Protagonistin Juliana Restrepo einen bunt blinkenden Trip durch eine mit virtuellen Anzeigen saturierte Welt, hart an der Grenze sensorischer Überlastung, wobei die physische und die virtuelle Realität verschmelzen und fast nicht mehr zu unterscheiden sind. Matsudas Video ist allerdings weniger ein dystopischer Ausblick auf den Einfluss technologischer Entwicklung auf unser Leben, sondern ein künstlerischer Wink mit dem Zaunpfahl über die Bedeutung der Medien in unserem alltäglichen Leben.

Matsudas visuelle Darstellung unserer Medienzukunft mag auf den ersten Blick verstörend wirken. Allerdings beherrschen Medien zunehmend unsere Lebenswelt, sie sind allgegenwärtig. Die dadurch entstandene Mediengesellschaft (Jarren 2002) zeichnet sich durch eine „tiefe Mediatisierung“ (Couldry und Hepp 2017) aus, welche darüber hinaus auch zu einer grundsätzlichen Transformation der Öffentlichkeit führt. Durch die Geltungszunahme von Intermediären wächst nebenbei auch die Bedeutung von Algorithmen und künstlicher Intelligenz in der Informationsvermittlung. Die Öffentlichkeit wird dadurch verstärkt durch automatisierte Selektions- und Produktionsprozesse beeinflusst, was nicht nur zu einer zunehmenden Datafizierung der öffentlichen Kommunikation führt, sondern gleichzeitig auch dysfunktionale Konsequenzen wie News-Deprivation nach sich zieht. Diese Entwicklungen verlangen im Bereich der digitalen politischen Bildung und der Medienkompetenz nach einem Schulterschluss zwischen Schule und Medienwissenschaft.

In einem ersten Schritt zeigt der Beitrag, wie stark Medien unser soziales Leben dominieren. Zweitens analysiert der Beitrag welche Folgen der Medienwandel für die Öffentlichkeit hat und wie Algorithmen die öffentliche Kommunikation vorstrukturieren und den selektiven Newskonsum beeinflussen. Im dritten Teil diskutiert der Beitrag die Folgen des Medien- und Öffentlichkeitswandels für die politische Bildung. Abschliessend plädiert der Beitrag für ein konzertiertes Vorgehen in der politischen Bildung, das den Erwerb von Medienkompetenz ins Zentrum stellt, aber auch die Medienpolitik und den Journalismus in die Strategien zur Bewältigung der neuen medialen Unübersichtlichkeit mit einbezieht.

2 Leben in einer digitalen Medienwelt

Medien spielen in unserem Leben eine zentrale Rolle. Deren Bedeutung geht dabei weit über ihre Funktion als Unterhaltungs- oder Informationsmedien hinaus. Mitte der 90er-Jahre formulierte der deutsche Soziologe Niklas Luhmann gleich zu Beginn seines Werkes „Die Realität der Massenmedien“ noch den berühmten Satz: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ (2004, S. 9) Mittlerweile sind mehr als 20 Jahre vergangen und das mediale Ökosystem hat sich grundlegend verändert. Medien sind nicht mehr nur externe Akteure, die unser Leben dahingehend beeinflussen, dass wir uns dank ihnen in der Welt orientieren können. Medien sind auch keine technologischen Artefakte, die wir selektiv dazu benützen, um uns mit der Welt auszutauschen und mit anderen zu kommunizieren.

Medien sind heutzutage in unserer Gesellschaft sehr viel stärker verankert: In seinem Werk Media-Life (2011) zeigt der Medien- und Kommunikationswissenschaftler Mark Deuze auf, dass wir heute erkennen müssen, wie die Nutzung und Aneignung von Medien alle Aspekte des zeitgenössischen Lebens durchdringt: Ob privat oder beruflich, ob im Hinblick auf unsere individuelle oder soziale Identität, all diese Aspekte konvergieren in unserer Mediennutzung. Medien sind aber nicht nur ein wichtiger Teilaspekt unserer Lebenswelt, sie strukturieren diese auch vor. Roger Silverstone (2007) spricht in diesem Zusammenhang von der sogenannten Mediapolis, also von einem medienvermittelten öffentlichen Raum, in dem Medien alltägliche Erfahrungen und Ausdrucksformen kontinuierlich überlagern. Diese Vision eines Lebens in und nicht nur mit den Medien deckt sich mit Deuzes Verständnis der conditio humana im Informationszeitalter:

Diese Perspektive baut auf einem Vorschlag in meiner Arbeit auf, dass Medien nicht als etwas angesehen werden sollten, das sich ausserhalb der gelebten Erfahrung befindet – also zum Beispiel als diejenigen Artefakte, mit denen wir uns über das Internet miteinander verbinden, oder als Botschaften, die übertragen oder entschlüsselt werden, die Auswirkungen auf Menschen haben können oder auch nicht. Medien sollten als ein wesentlicher Teil unserer Erfahrung angesehen werden. Unser Leben sollte vielleicht eher als in den Medien gelebt als mit ihnen gesehen werden – ein Media Life.Footnote 2 (Deuze 2009, S. 468, Hervorhebung im Original)

Der Einfluss der Medien zeigt sich nicht nur in ihrer Ubiquität. Ihre Bedeutung zeigt sich vor allem im alltäglichen Umgang der Menschen mit ihnen und dem Umstand, dass Medien und digitale Infrastrukturen – gerade weil sie permanent verwendet werden – im Mainstream angekommen sind und zusehends im Alltag eingebettet werden, und dadurch verschwinden. Das heisst nicht, dass sich Medien in Luft auflösen, sondern dass wir uns deren Gebrauch gar nicht mehr bewusst sind. Friedrich Kittler (2009) hat dies so beschrieben, dass wir für das blind werden, was wir in unserem Leben am häufigsten verwenden. Dieser Umstand lässt sich besonders gut am Beispiel des Mobiltelefons aufzeigen. Im Unterschied zu anderen Medien ist das Handy zu unserem ständigen Begleiter geworden. Wir verwenden es andauernd, ob unterwegs oder zuhause, weil es uns in wachsendem Ausmass als Zugangspunkt zu unserem sozialen Umfeld dient. Allerdings sind wir uns über die regelmässige Benützung des Handys gar nicht mehr im Klaren: Ob im Zug, am Küchentisch oder im Bett, der Griff zum Handy ist zu einer „normalisierten“ Aktivität geworden, über die wir uns keine Gedanken mehr machen. Das Handy ist Teil unserer alltäglichen Handlungen geworden – oder wie es Meyrowitz (1998, S. 106) formulierte: „Ironischerweise ist die Umgebung eines Mediums dann am unsichtbarsten, wenn sein Einfluss am weitesten verbreitet ist.“ Das Mobiltelefon ist längst kein neuartiges technisches Gerät mehr, weshalb die Faszination für die Technologie an sich abgeflaut ist. Allerdings ist genau dies der Moment, in dem die Digitalisierung sozial verankert wird oder, wie Clay Shirky (2008) dies umschreibt: „Kommunikationsmittel werden erst dann sozial interessant, wenn sie technisch langweilig werden.“ Dieser Aspekt wird dadurch noch verstärkt, dass wir „[…] eine starke emotionale Bindung zu den Möglichkeiten, die das Handy bietet“ (Park 2005, S. 253; Vincent 2006, S. 103), aufgebaut haben. Ohne Handy fühlen wir uns „nackt“ oder hilflos (Weinert 2019). Dies zeigt sich besonders gut bei Jugendlichen, bei denen die Handynutzung in den vergangenen sechs Jahren (bis auf die letzten zwei Jahre) stetig zunahm und das Handy mittlerweile zu einem ständigen Begleiter wurde (Suter et al. 2018, S. 75).

Die steigende Bedeutung des Mobiltelefons zeigt sich aber nicht nur bei Jugendlichen, die ihre Handys mehrheitlich für Messenger-Apps oder zu Unterhaltungszwecken wie Musik, Videos oder soziale Netzwerke verwenden. Mobiltelefone dienen je länger je mehr auch als Einstiegsportal für den Nachrichtenkonsum. Wie der Digital News Report 2019 des Reuters Institute for the Study of Journalism der Universität Oxford aufzeigt, hat sich der Anteil an Nutzern, die das Mobiltelefon als Zugangspunkt für ihren bevorzugten Nachrichten verwenden in den vergangenen sechs Jahren in allen untersuchten Ländern mehr als verdoppelt: Während 2013 der Anteil von Smartphones als Erstkontakt für die Nachrichtennutzung noch bei rund 25 % lag, ist er in den vergangenen Jahren auf rund 66 % gestiegen (Reuters 2019, S. 16). In der Schweiz liegt die Verwendung von Mobiltelefonen als primärer Zugang zu News mit 71 % sogar noch etwas höher, was mittlerweile dazu geführt hat, dass Smartphones als Gerät die erste Wahl beim Nachrichtenkonsum darstellen (Reuters 2019, S. 112).

Dieser Wandel im Zugang zu Nachrichten weg von den klassischen Medien wie Print, Radio und Fernsehen spiegelt sich auch in einer veränderten Mediennutzung wider: „Fragt man die Nutzerinnen und Nutzer danach, welche Informationskanäle ›oft‹ oder ›sehr oft‹ genutzt werden, so werden der Bedeutungsverlust klassischer Informationsmedien und die Bedeutungszunahme digitaler Quellen deutlich.“ (Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft [fög] 2019, S. 9) Die zunehmende Relevanz von Onlineinformationsquellen zeigt sich auch darin, dass die Mediennutzung in der Schweiz zu einer Plattformisierung des Newskonsums tendiert. Auch wenn soziale Medien in der Schweiz (noch) nicht die Hauptinformationsquelle darstellen, so stellen sie mit einem Anteil von 70 % trotz allem den am weitesten verbreitetsten Newskanal dar. (fög 2019, S. 9) Es ist daher nicht überraschend, wenn digitale und in erster Linie soziale Medien zu einem festen Bestandteil des Schweizer Medienmenüs geworden sind.

Mobiltelefone als unsere ständigen Begleiter im Alltag lassen auch Rückschlüsse darauf zu, welche Rolle Medien als technologische Artefakte in unserer Lebenswelt spielen. Ähnlich wie dies bereits Kittler und Meyrowitz formulierten, lässt sich die Bedeutung von Medien anhand von Beobachtungen über die Art und Weise, wie Menschen Medien nutzen, am besten umschreiben. Beispielsweise kam Meyer (2011, S. 32) auf der Basis von Feldstudien in Ghana zum Schluss, dass „Medien dazu neigen, zu verschwinden, wenn sie als Geräte akzeptiert werden (…).“ Mit anderen Worten: Je intensiver man Medien benutzt, desto rascher verschwinden sie aus dem Bewusstsein und werden dadurch zunehmend unsichtbar.

Die Zentralität von Medien in der heutigen Gesellschaft offenbart sich darüber hinaus in zwei weiteren, damit im Zusammenhang stehenden Entwicklungen: Erstens ermöglichen Medien heutzutage eine ungeahnte Interkonnektivität, die sich gerade bei der Suche nach Sinn, Bedeutung und Zugehörigkeit zeigt und oftmals über das Phänomens des alone together (Turkle 2012) beschrieben wird. Häufig verwenden wir Medien, um uns gegen die drohende Einsamkeit zu wehren, indem wir uns mit anderen Personen zum Beispiel über Messenger-Apps oder soziale Medien kontinuierlich austauschen. Man nimmt nicht nur Teil am Leben des Gegenübers, sondern teilt gleichzeitig auch die eigenen Erfahrungen mit anderen. Zwar unternimmt man virtuell gemeinsame Aktivitäten, die man miteinander teilt und erlebt, die eigentliche Mediennutzung erfolgt dabei aber immer noch individuell:

Die Vorstellung, zusammen zu sein und eine schöne Zeit zu haben, aber dennoch in der eigenen Erfahrung der Realität alleine zu sein, beschreibt den Begriff eines media life, in dem Menschen mehr denn je verbunden sind – sei es durch grenzenlose Themen wie globale Erwärmung, Terrorismus und weltweite Migration, sei es über Internet und Mobilfunk – gleichzeitig aber auch allein sind, in ihrer eigenen personalisierten und sicheren Mediensphäre. (Deuze 2012, S. 208)

Diese „geteilte Einsamkeit“ als Phänomen der Interkonnektivität erweitert die mediatisierte Lebenswelt in zwei unterschiedliche Richtungen: Einerseits ermöglicht sie es den Mediennutzerinnen und -nutzern sich ihre eigene Medienwelt zusammenzustellen und entsprechend ihren eigenen Vorlieben zu gestalten und zu filtern. Sloterdijk (2004) spricht in diesem Zusammenhang von einer Mediensphäre, die uns umgibt und auf unsere Erfahrungen bzw. unsere Kommunikation mit der Umwelt einwirkt. Dieser Rückzug auf eine personalisierte Medienumwelt führt auch dazu, dass Nutzerinnen und Nutzer aus ihren sicheren und personalisierten Informationssphären an weltweiten Ereignissen mit unterschiedlichen Risiken wie zum Beispiel den Klimademonstrationen oder dem Arabischen Frühling teilnehmen können. Andererseits können sich Nutzerinnen und Nutzer mit unzähligen anderen Personen weltweit vernetzen, was ihr persönliches Netzwerk an Kontakten ungemein erweitern kann und zu vernetzten Publika führen kann. Papacharissi (2015, S. 119) beschreibt diesen Umstand als networked digitality, also die Formierung von vernetzten Gemeinschaften rund um gemeinsame Interessen und Aktivitäten, die zwar individuell verwirklicht werden, aber trotzdem bedeutungsvoll sind, indem sie zuvor marginalisierten Stimmen eine größere Aufmerksamkeit verleihen können. Dieses Verhalten, so Papacharissi (2015, S. 119), kann auch als Anspruch auf eine Handlungsmacht interpretiert werden. Allerdings bedeutet dies nicht, dass aus diesem Anspruch auf Handlungsmacht automatisch kollektive Handlungen hervorgehen. Wie Bennet und Segerberg (2012) aufzeigen, ermöglicht der Trend hin zur Individualisierung eher konnektive als kollektive Handlungen, wo zwar private und politische Interessen miteinander verwoben werden, der Nutzerinnen und Nutzer aber nicht in die Komplexitäten gemeinschaftlicher politischer Entscheidungsprozesse eintreten muss.

Zweitens ermöglichen es Medien den Nutzerinnen und Nutzern heutzutage, Inhalte selber zu produzieren, mitzugestalten, zusammenzusetzen und zu remixen. Mit anderen Worten: Sie ermöglichen eine partizipative Kultur. Dieses Phänomen wurde insbesondere vom amerikanischen Medienwissenschaftler Henry Jenkins in seinen zahlreichen Schriften untersucht. 2006 veröffentlichte Jenkins, zusammen mit seinen Co-Autorinnen, ein Grundlagenpapier, in dem sie auf die erheblichen Herausforderungen einer partizipativen Kultur für die Medienbildung des 21. Jahrhunderts eingingen (Jenkins et al. 2006). In ihrem White Paper wiesen die Autoren nicht nur auf die unterschiedlichen Chancen und Risiken der Digitalisierung in der Entwicklung einer Kultur der Partizipation hin, sondern definierten fünf Merkmale einer partizipativen Kultur (Jenkins et al. 2006, S. 7). Erstens erlaube es die aufgrund der Digitalisierung emergente partizipative Kultur allen interessierten Menschen, sich ohne groe Barrieren künstlerisch auszudrücken oder gesellschaftlich zu engagieren. Zweitens erlaubt und unterstützt diese Kultur die Schaffung und den Austausch eigener Kreationen mit anderen. Drittens ermöglicht die partizipative Kultur nicht nur einen Austausch von konkreten Werken, sondern auch von Wissen und Fähigkeiten. Sie fördert also eine Art informelle Mentorschaft, wobei Wissen und Erfahrungen nicht auf der Grundlage von hierarchischen Strukturen weitergegeben werden, sondern immer dorthin fließen, wo sie gerade benötigt werden. Viertens glauben die Teilnehmer einer partizipativen Kultur, dass ihre Werke und Beiträge relevant sind und schenken sich deshalb gegenseitige Anerkennung und Respekt. Zu guter Letzt fühlen sich die Mitglieder dieser Kultur untereinander verbunden, insbesondere im Hinblick darauf, was gemeinsam geschaffen wurde. Für all diese Aspekte gilt allerdings eine Regel: Alle können, niemand muss.

In einer solchen Welt werden viele nur stöbern, einige werden tiefer graben, wiederum andere werden diejenigen Fähigkeiten beherrschen, die in der Gemeinschaft am meisten geschätzt werden. Die Gemeinschaft selbst bietet jedoch starke Anreize für kreatives Schaffen und eine aktive Teilnahme. (Jenkins et al. 2006, S. 7)

Die technologischen Möglichkeiten des Web 2.0 bzw. insbesondere von sozialen Medien erlauben es den Nutzern, Inhalte weiterzuverbreiten, zu verändern oder selber herzustellen. Laut Jenkins (2013) ist das Hauptmerkmal solcher Medien, dass es sich um spreadable media handelt, also um Medien, die eine Weiterverbreitung von Inhalten durch die Nutzer ermöglichen. Seine Maxime lautet denn auch: „If it doesn’t spread, it’s dead.“ (Was sich nicht verbreitet, ist tot.) Diese Kultur ermöglicht es Nutzern, Fans, Konsumenten und dem Publikum nicht nur, an der „Herstellung und Zirkulation von Inhalten“ (Jenkins 2008, S. 331) teilzunehmen, sondern auch untereinander zu interagieren und zusammenzuarbeiten. Auf der Grundlage von Lévy (1997) sieht Jenkins in einer partizipativen Kultur auch die Chance, dass Nutzer Ressourcen und Fähigkeiten bündeln und dadurch kollektives Handeln ermöglichen bzw. Medienmacht entfalten können (Jenkins 2008, S. 4).

Ähnlich wie Jenkins sieht dies Axel Bruns (2008) in seinem Konzept der produsage, einer Kombination von Produktion (Production) und Nutzung (usage). Auch Bruns sieht vor allem soziale Medien als Ausgangspunkt für die Kreation einer partizipativen Kultur, da diese es besonders leicht machen, Inhalte herzustellen und weiterzuverbreiten. Die Emergenz einer solchen partizipativen Kultur zieht allerdings auch konkrete Fragen nach sich: Eleonora Benecchi (2018) zeigt zum Beispiel auf, wie die partizipative Kultur den Begriff der Autorschaft unweigerlich aushöhlt, indem die digitale Kultur verschiedene Kulturobjekte in fließende Inhalte verwandelt, die in einen kontinuierlichen und unaufhaltsamen Austausch unzählige Male kopiert und verändert werden können, und zwar völlig unabhängig von den Absichten der Originalautoren. Tapscott und Williams (2006) wiederum weisen darauf hin, dass eine solche partizipative Kultur zu einer neuen Wirtschaftsdemokratie führen kann, zumal kollektives Handeln ermöglicht wird. Diese Prognose hat sich zwar im Hinblick auf die sharing economy bewahrheitet, allerdings zu einem hohen Preis: Soziale Medien und Plattformen sind heute weltweit dominierende digitale Monopole, die eine beispiellose Macht angesammelt haben, welche die bestehenden regulatorischen Rahmenbedingungen nur schwer zu fassen vermögen, dabei aber fundamentale Auswirkungen auf Journalismus, Politik und Gesellschaft haben. (Gillespie 2018; Moore und Tambini 2018; van Dijcket et al. 2018).

Im weiteren Verlauf seiner Arbeit verbindet Jenkins das Konzept der partizipativen Kultur auch mit demjenigen der Konvergenz (Jenkins 2008). Darin zeigt er auf, wie Medien aufgrund der technischen Möglichkeiten nicht nur benutzerfreundlicher wurden, sondern wie unterschiedliche mediale Inhalte und Formate auf den jeweiligen Kanälen und Plattformen auch zusehends verschmolzen. Die zunehmende Konvergenz – aber eben auch die wachsende Bedeutung von konvergenten Medien in unserem alltäglichen Leben – zeigt sich deshalb auch in der wachsenden Bedeutung des transmedia storytellings (Jenkins 2003). Das Konzept des transmedialen Geschichtenerzählens zielt darauf ab, Inhalte über mehrere Plattformen, Genres und Formate hinweg zu erstellen und zu veröffentlichen, was zu einer einzigartigen Geschichtenwelt mit einer geschlossenen Erzählhandlung führt. So wird beispielsweise das Harry Potter Franchise nicht nur als Buch oder Film vertrieben, sondern eben auch als Videogame, Brettspiel, App-Spiel oder sogar als Theaterstück. All diese unterschiedlichen Produkte fügen der originalen Story ein neues Element hinzu und erweitern dadurch das narrative Universum.

Der Erfolg des transmedia storytellings ist auch darauf zurückzuführen, dass die Inhalte bzw. die unterschiedlichen Aktivitäten das Publikum auf unterschiedlichen Ebenen ansprechen und das Leben der Nutzer dadurch „durchdringen“ (Jenkins 2009). Obwohl sich das transmedia storytelling in den meisten Fällen auf fiktive Inhalte konzentriert, ist in letzter Zeit auch in der journalistischen Praxis zu einem Schlagwort geworden (Moloney 2011; Scolari 2013; Serrano Tellerìa 2016). Der Vorteil des transmedialen Journalismus im Kontext des neuen medialen Ökosystems des Journalismus besteht insbesondere darin, dass er es Nachrichtenorganisationen ermöglicht, die gestiegenen Kommunikationsmöglichkeiten einer zunehmend liquiden Gesellschaft zu nutzen (Bauman 2000), in der Interaktivität und Engagement – gerade beim mobilen Konsum von Nachrichteninhalten – eine zentrale Rolle spielen (Porlezza et al. 2018).

Diese Vielfältigkeit kultureller Partizipation, Möglichkeiten und Ausdrucksformen ist das, was Felix Stalder (2016) als Kultur der Digitalität beschreibt:

Immer mehr Menschen beteiligen sich an kulturellen Prozessen, immer weitere Dimensionen der Existenz werden zu Feldern kultureller Auseinandersetzungen, und soziales Handeln wird in zunehmend komplexere Technologien eingebettet, ohne die diese Prozesse kaum zu denken und schon gar nicht zu bewerkstelligen wären. Die Anzahl konkurrierender kultureller Projekte, Werke, Referenzpunkte und -systeme steigt rasant an, was wiederum eine sich zuspitzende Krise der etablierten Formen und Institutionen der Kultur ausgelöst hat, die nicht darauf ausgerichtet sind, mit dieser Flut an Bedeutungsansprüchen umzugehen. (Stalder 2016, S. 11)

Stalder zeigt in seinem Werk Kultur der Digitalität auf, wie die aufgrund neuer Technologien explosionsartig vervielfältigten Möglichkeiten der kulturellen Produktion nicht nur das soziale Handeln und die Lebenswelt massiv beeinflussen, sondern auch etablierte Institutionen vor komplexe Probleme stellt. Der Siegeszug des Mobiltelefons sowie Trends wie das transmedia storytelling legen nahe, wie stark zuvor voneinander unabhängige Entwicklungen nun ineinander übergehen, sich gegenseitig verstärken und beeinflussen. Dabei bilden sich kontinuierlich neue „kulturelle Konstellationen“ (Stalder 2016, S. 11) heraus, die weite Teile der Gesellschaft umfassen.

Medien vermitteln nicht nur zwischen Individuen oder zwischen Individuen und der Gesellschaft, sondern sie vermitteln, gestalten und beeinflussen mehr Bereiche unseres Lebens denn je – Medien sind überall, wie dies bereits Manuel Castells (2007) beschrieben hat. Diese „Vermittlung von allem“ (Livingstone 2009) lässt sich primär auf die zunehmende Unsichtbarkeit der Medien zurückführen, die dann wiederum aufzeigt, wie stark Medien in unserem Alltag verankert sind. Dadurch, so Deuze (2011, S. 140), wird sowohl unser Identitätsgefühl als auch unsere Erfahrung der Realität selbst irreversibel verändert, gerade weil sie medial vermittelt werden. Diese „tiefe Mediatisierung“ (Couldry und Hepp 2017) birgt gewisse Risiken, die insbesondere der zunehmenden Algorithmisierung der Gesellschaft und der Öffentlichkeit geschuldet sind. Gerade social media Plattformen spielen dabei eine zentrale Rolle da soziale und wirtschaftliche Prozesse in intransparenten Algorithmen, undurchsichtigen Geschäftsmodellen und verborgenen Datenflüssen untergehen, die sich daher einer demokratischen Kontrolle weitgehend entziehen (vgl. Pasquale 2015).

3 Die Algorithmisierung der Öffentlichkeit

Die Digitalisierung der Medien führt nicht nur dazu, dass sich unsere Lebenswelt verändert, sie hat auch Auswirkungen darauf, wie Öffentlichkeit strukturiert ist und wie sie funktioniert. „Öffentlichkeit lässt sich am ehesten als ein Netzwerk für die Kommunikation von Inhalten und Stellungnahmen, also von Meinungen beschreiben“ (Habermas 1992, S. 436). Öffentlichkeit ist in dieser Perspektive kein abgeschotteter Raum, sondern steht den Mitgliedern einer Gemeinschaft offen. Diese können daran teilhaben oder, dank der partizipativen Möglichkeiten, die das Netz bietet, auch daran teilnehmen. Öffentlichkeit ist kein statisches Produkt, sie ist vielmehr als Prozess zu verstehen, in dem sich gesellschaftliche Veränderungen niederschlagen. Bei diesen Veränderungen spielen neue Technologien durchaus eine Rolle, allerdings zeichnen sie nicht alleine – was einer deterministischen Perspektive gleich käme – für Veränderungsprozesse verantwortlich. Wie im vorangegangenen Kapitel aufgezeigt, müssen technologische Entwicklungen immer im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Dynamiken und individuellen Handlungsmotiven verstanden werden:

Vielmehr ist es immer das Zusammenspiel von Technologien, die mediale Kommunikation ermöglichen und vorstrukturieren, mit dem Handeln gesellschaftlicher Akteure, ihren Interessen und Werten, das die laufende Transformation von Öffentlichkeit gestaltet. In diesem Sinne verändern z. B. nicht Social Media, wie Facebook, Instagram oder Snapchat, die Öffentlichkeit, sondern, wie wir sie nutzen – zur Selbstdarstellung wie zur Vernetzung – und wie diese Nutzung gesellschaftliche Entwicklungen reflektiert. (Jarren und Klinger 2017, S. 33)

Die Digitalisierung hat zu einer grundsätzlichen Veränderung der Öffentlichkeit geführt. Dies hängt insbesondere mit dem Prozess der Institutionalisierung neuer Intermediäre in gesellschaftlichen Kommunikationsprozessen zusammen (Jarren 2019). Die Herstellung von Öffentlichkeit kann längst nicht mehr ausschließlich über die Analyse klassischer Medien bewerkstelligt werden. Nicht nur haben klassische Informationsmedien wie Presse, Radio und Fernsehen innerhalb der Gesellschaft an Bedeutung verloren, was sich in den sinkenden Nutzerzahlen zeigt, auch der Journalismus hat längst sein einstiges Monopol als Gatekeeper, der alleine über die Themenauswahl und Relevanzzuschreibung entscheidet. Gesellschaftliche Akteure sind nun nicht länger auf die Vermittlungsleistungen des professionellen Journalismus angewiesen, sondern können über zahlreiche Kommunikationskanäle neue Interaktionsmöglichkeiten wahrnehmen und direkt mit den jeweiligen Zielgruppen in Kontakt treten. Gerade social Media erlauben es gesellschaftlichen Akteuren „eine direkte kommunikative Macht, und dies potentiell im globalen Maßstab. Social Media ermöglichen – zweitens – Akteuren die flexible Organisation von Interessen wie auch die Koordination von Handlungen.“ (Jarren 2019, S. 2).

Die im vorangegangenen Kapitel dargelegten Veränderungen in den Partizipationsmöglichkeiten der Nutzer, das Erscheinen neuer Akteure sowie die Entwicklung neuer Medienangebote repräsentieren diejenigen Dynamiken, welche die Prozesse der Öffentlichkeitsherstellung am stärksten beeinflussen. Daraus resultiert, dass Öffentlichkeit unter digitalen Bedingungen nicht mehr nur massenmedial hergestellten wird. Das ehemals stark nationalstaatlich geprägte, elitäre, massenmedial orientierte und von professionellen Akteuren dominierte Mediensystem wurde durch die Digitalisierung aufgebrochen. Das neue globale Kommunikationssystem bietet nun zahlreiche Möglichkeiten „für Individual-, Gruppen- als auch Massenkommunikation von Einzelnen“. (Jarren und Klinger 2017, S. 38) Um diese Veränderungen erfassen zu können, müssen allerdings die so genannten Intermediäre in einer umfassenden Analyse miteinbezogen werden: Im Netz haben sich neben den Onlineangeboten klassischer Medien, Blogs und alternativen Medien weitere Akteure etabliert, welche ebenfalls zur Distribution von Nachrichten und Informationen beitragen. Der Sammelbegriff Intermediäre beschreibt diese neuen Akteure, welche einerseits unterschiedliche Onlineplattformen wie soziale Medien, Microblogging Dienste, Videoplattformen wie YouTube, social messaging Dienste wie WhatsApp, Wikis, andererseits Suchmaschinen wie Google umfassen. (vgl. Neuberger 2018; Srnicek 2017).

Soziale Medien spielen dabei eine besondere Rolle, da sie aufgrund ihrer Mechanismen und affordances nicht nur die Herstellung öffentlicher Kommunikation grundlegend beeinflussen, sondern aufgrund ihrer Bedeutung Auswirkungen auf die Gesellschaft als Ganzes haben (van Dijck et al. 2018). Der Bedeutungszuwachs sozialer Medien zeigt sich im Besonderen beim Nachrichtenkonsum: Laut dem Digital News Report 2019 des Reuters Instituts benutzt mit 55 % eine Mehrheit der Nutzer Intermediäre, also soziale Medien, Suchmaschinen oder News-Aggregatoren, als Einstiegsportale für ihren Nachrichtenkonsum. Diese Daten bestätigen auch Untersuchungen aus der Schweiz: So hat der Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) in seinem letzten Jahrbuch Qualität der Medien aufgezeigt, dass knapp drei Viertel aller Schweizer soziale Medien als Newskanal verwenden, was die Autoren dazu bringt, dies als „Plattformisierung“ der Mediennutzung zu beschreiben. (fög 2019, S. 9) Die zeigt, wie wichtig soziale Medien im alltäglichen „Medienmenü“ der Nutzer geworden sind – auch wenn sich zwischen einzelnen Ländern trotzdem noch Unterschiede in der Nutzungshäufigkeit zeigen (Reuters 2019, S. 13).

Die steigende Bedeutung sozialer Medien beim Nachrichtenkonsum zieht allerdings Fragen zur Informationsauswahl bzw. zu den Selektionskriterien der Nachrichten nach sich. Als Folge daraus ist danach zu fragen, inwiefern sich diese Kriterien auf die angebotene Themenvielfalt auswirken. Die Gatekeepingprozesse haben sich grundsätzlich verändert:

Phänomene wie der Arabische Frühling, die Occupy-Bewegung und WikiLeaks zeigten eine sich verändernde Rolle der traditionellen Medien, die als exklusiver Gatekeeper bei der Selektion und Verbreitung von Informationen fungierten. In den letzten Jahren werden die Gatekeeping-Aufgaben zunehmend von nicht-journalistischen Akteuren und Plattformen wahrgenommen. […] Diese neuen Akteure wenden radikal andere Auswahlverfahren an. So ermöglichen beispielsweise soziale Netzwerke einer Vielzahl von Menschen, Informationen nach ihren eigenen individuellen Auswahlkriterien auszuwählen und zu kuratieren. (Wallace 2018, S. 274–275)

Diese individuellen Auswahlkriterien bzw. Präferenzen fließen in einen Algorithmus ein, der dann wiederum eine spezifische Selektion von Inhalten vornimmt, die darüber bestimmt, was die Nutzer schlussendlich in ihrem Feed zu sehen bekommen. Damit wächst die Bedeutung von Algorithmen und künstlicher Intelligenz (KI) in der Herstellung öffentlicher Kommunikation. Die Öffentlichkeit wird dadurch verstärkt durch automatisierte Selektionsprozesse beeinflusst, ohne dass der Nutzer Einblick in die zugrunde liegenden Entscheidungsprozesse hat.

Diese algorithmisch gesteuerte Selektion der Inhalte auf sozialen Medien führt immer wieder zu der Annahme, dass auf solchen Plattformen „Filterblasen“ und „Echokammern“ entstehen, in denen Inhalte zielgruppengerecht gefiltert oder auf ihre Interessen und (politischen) Neigungen abgestimmt werden. Allerdings zeigen empirische Untersuchungen immer wieder auf, dass diese Annahmen einer empirischen Untersuchung nicht standhalten (Bakshy et al. 2015; Bruns 2019; Dubois und Blank 2018).

Allerdings kommt mit der zunehmenden Nutzung von sozialen Medien ein Problem einher, dass insbesondere aus politisch-demokratischer Perspektive problematisch ist: Wie die aktuelle Ausgabe des Jahrbuchs Qualität der Medien (fög 2019, S. 10–11) zeigt, nimmt der Anteil der News-Deprivierten kontinuierlich zu – und stellt mit 36 % aller Nutzerinnen und Nutzer bereits eine beachtliche Gruppe dar. Bei News-Deprivierten handelt es sich um Nutzerinnen und Nutzer, die einen unterdurchschnittlichen Newskonsum über alle Medien hinweg aufweisen, gleichzeitig häufig auf social Media anzutreffen sind. Dabei nutzen sie Medien durchaus häufig, aber eben nicht zu Zwecken des Nachrichtenkonsums. Aus diesem Grund ist ihre Sicht auf die Welt häufig durch Einzelereignisse, die emotionalisiert und negativ konnotiert sind, gekennzeichnet (fög 2019, S. 36; siehe auch Schneider und Eisenegger 2018). Die News-Deprivation ist darüber hinaus im Zusammenhang mit zwei weiteren Aspekten problematisch: Der unterdurchschnittliche Nachrichtenkonsum korreliert nicht nur mit einer geringeren Teilhabe an politischen Prozessen (Blekesaune et al. 2012; Lee et al. 2014), sondern auch mit einem geringeren Vertrauen in staatstragende Institutionen (Strömbäck 2017).

Fügt man diesen aktuellen Entwicklungen auch noch den Umstand hinzu, dass soziale Medien mit Hilfe von Individuen oder KI-gestützten Bots immer wieder für manipulative (politische) Kampagnen – Stichwort „computational propaganda“ (Woolley und Howard 2018) – verwendet werden, was dazu führt, dass sich Lügen und Hass und Desinformation unglaublich rasch verbreiten, dann verlangt diese Situation nach einem raschen Schulterschluss zwischen Schule und Medienwissenschaft, wenn es um die Frage der digitalen politischen Bildung sowie der Medienkompetenz geht.

4 Medienkompetenz als zentraler Aspekt politischer Bildung

Die kontinuierliche Mediatisierung unseres Alltags und der Wandel der Öffentlichkeit im digitalen Zeitalter gehen mit einer wachsenden Komplexität und Unübersichtlichkeit der Medien einher. Jede Diskussion, die sich um Fragen der Medienkompetenz dreht, muss sich deshalb unweigerlich damit auseinandersetzen, wie sich Öffentlichkeit transformiert und wie sich die Prozesse, Normen und Regeln öffentlicher Kommunikation verändern (vgl. Jarren und Klinger 2017, S. 33). Intermediäre, und ganz besonders soziale Medien, sind zu zentralen gesellschaftlichen Akteuren in Bezug auf die Informationsvermittlung geworden und üben deshalb einen beträchtlichen Einfluss auf die öffentliche Kommunikation aus.

Die Komplexität des digitalen medialen Ökosystems macht eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Thema nicht einfacher. Es geht nämlich nicht nur um die zurecht diskutierten dysfunktionalen Aspekte wie Manipulation, Desinformation und Propaganda: Soziale Medien sind zweifelsohne ein Hort parteiischer, polarisierender und teilweise radikaler Inhalte. Dabei mag eine selektive Informationsauswahl für eine Minderheit von bereits stark polarisierten und dogmatischen Nutzerinnen und Nutzer durchaus zutreffen. Allerdings dürften die meisten Menschen insgesamt relativ wenig falschen Nachrichten ausgesetzt sein. So hat eine Fallstudie des Reuters Instituts der Universität Oxford in Frankreich und Italien ergeben, dass zahlreiche alternative Webseiten, die nachweislich Falschinformationen verbreiten, in beiden Ländern weit weniger beliebt sind und eine geringere Reichweite haben als die Webseiten der etablierten Nachrichtenorganisationen (Fletcher et al. 2018).

Neben diesen Aspekten geht es auch um Fragen des Zugangs zu Medien, der Repräsentation, der Themenselektion und, wie im vorangegangenen Kapitel aufgezeigt, auch um Fragen der politischen Partizipation und des Vertrauens in die Institutionen. Nur weil die Reichweite von Falschinformationen im Vergleich zu den etablierten Medien begrenzt ist bedeutet das nicht, dass wir uns keine Sorgen machen sollen, wenn Menschen gefälschte Nachrichten aus Profit oder für politische Zwecke produzieren und verbreiten. Gerade die Vertrauensfrage ist dabei von zentraler Bedeutung:

Das aggressive Schimpfen auf ›Lügenpresse‹ und ›Systemmedien‹ kann eine Verunsicherung in die gesamte Gesellschaft tragen. Das ist ein Nachteil nicht nur für Medienunternehmen und Journalisten, deren Produkte in der Folge vielleicht weniger gekauft, genutzt und geglaubt werden. Wenn der erst einmal gesäte Zweifel sich verbreitet, sich einnistet in das Image, das Bild, das Bürgerinnen und Bürger von den Medien haben, dann kann Journalismus weniger gut das leisten, wofür er in einer freien Gesellschaft gebraucht wird: allseitige Information […]. Das alles wird unsicher, wenn der Zweifel regiert. (Lilienthal 2017, S. 10)

Im Gegenteil, es bedeutet, dass Medienkompetenz gewisse Kenntnisse über die Rolle der Medien, und über Normen und Regeln der Öffentlichkeit vorausschickt. Dies bedeutet des Weiteren, dass wir keine vorschnellen Schlüsse ziehen sollen wenn es um potenzielle Gegenmaßnahmen oder Regulierungen geht. Etwas zu regulieren, ohne das Problem ausgiebig analysiert zu haben, ist nicht nur äußerst riskant, sondern kann zu unvorhergesehenen Folgen führen.

Gerade Medienkompetenz steht deshalb seit längerer Zeit wieder auf der öffentlichen Agenda. Was aber bedeutet Medienkompetenz genau? In diesem Beitrag orientiere ich mich an einer angelsächsischen Definition des Begriffs der media literacy. Eine erste, oft genannte Definition wurde 1993 anlässlich einer Konferenz in Aspen, Colorado (Aufderheide 1993, S. v–6) entwickelt und danach von der National Association for Media Literacy Education of North America übernommen. Diese besagt, dass es sich bei media literacy um eine Fähigkeit handelt, in unterschiedlichen Kontexten Botschaften zu analysieren, zu bewerten, zu erstellen und darauf zugreifen zu können. Einerseits geht es darum, die Fähigkeit des kritischen Denkens bei der Analyse und Bewertung von Medien zu fördern, anderseits wird Medienkompetenz auch dahingehend verstanden, dass die Nutzerinnen und Nutzer über Fähigkeiten oder Kompetenzen bei der Nutzung digitaler Technologien verfügen, wie zum Beispiel das Schreiben von E-Mails, das Erstellen von Webseiten oder Videomaterialien. (Ofcom 2004) Zentraler Aspekt dieser Definition ist der Umstand, dass Medienkompetenz nicht nur ein Verständnis für die Rolle und demokratierelevante Bedeutung der Medien in der Gesellschaft schafft, sondern eben auch konkrete Fähigkeiten vermittelt, sich im komplexe medialen Ökosystem eigenständig zurechtzufinden um zum Beispiel die Richtigkeit von Nachrichten zu überprüfen.

Dabei basiert Medienkompetenz auf einem beweglichen Objekt, das sich ständig weiterentwickelt und verändert. Medien werden komplexer, kommerzieller und globalisierter. Dies macht sowohl die Aneignung als auch den Unterricht der Medienkompetenz schwierig, zumal das Mediensystem liquide ist und sich ständig weiterentwickelt. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung glauben nur etwa zehn Prozent der Deutschen zu wissen, wie ein Algorithmus funktioniert (Fischer und Petersen 2018). Auch die Kommunikations- und Medienwissenschaft hilft nicht immer weiter, so bleibt sie bei diesen raschen Veränderungen immer einen Schritt hinter den aktuellen Entwicklungen zurück – oder sie erhält gar nicht die Möglichkeit, auf relevante Daten der sozialen Medien zuzugreifen, die für eine Analyse der zugrundeliegenden Prozess der Mediennutzung notwendig wären.

Das Vermitteln von Medienkompetenz ist zudem nicht frei von Risiken. Die Kommunikationswissenschaftlerin Danah Boyd dekonstruierte 2018 den Diskurs über „Medienkompetenz“. Für die Prä-Internet-Baby-Boom-Generation war Medienkompetenz gleichbedeutend mit der Fähigkeit, Quellen zu hinterfragen, Meinungen zu dekonstruieren und Ideologien zu entlarven. Heutzutage ist Medienkompetenz, so Boyd, gleichbedeutend mit der Fähigkeit, eigene Inhalte in Form von Blogposts und Social-Media-Updates zu veröffentlichen. Der Wechsel vom kritischen Verbraucher zum kritischen Produzenten hat seinen Preis: Informationsinflation. Deshalb ist laut Boyd Medienkompetenz zum Synonym für den Vertrauensverlust in die Medien geworden, zumal es heute vielfach ausreicht, anstelle von Fakten und Experten die eigene persönliche Erfahrung anzuführen. Dies sei, so Boyd, eine Kultur, die nur empört sein kann, eine Kultur, die zu keiner Debatte fähig ist – kurz: eine polarisierte Kultur, die den Tribalismus und die Selbst-Segregation begünstigt (Boyd 2017). Auch wenn Boyd hier sehr polarisierend argumentiert, zumindest teilweise dürfte ihre Aussage zutreffen: Wie eine Studie des fög ergab, vermeidet fast eine von drei Personen bewusst Nachrichten, weil sie den Fakten nicht vertraut oder sich nach eigenen Angaben nicht darauf verlassen kann, dass die Nachrichten auch wirklich der Wahrheit entspreche (fög 2019).

Je mehr die Medien alles in der Gesellschaft vermitteln – Arbeit, Bildung, Politik, Information, Bürgerbeteiligung, soziale Beziehungen – desto wichtiger wird, dass Menschen kritisch beurteilen können, was sinnvoll oder irreführend ist, welchen Medien sie vertrauen können, und welche kommerziellen oder politischen Interessen auf dem Spiel stehen. Kurz gesagt, Medienkompetenz wird nicht nur benötigt, um sich mit den Medien zu beschäftigen, sondern auch, um sich über die Medien mit der Gesellschaft zu beschäftigen. Es ist nicht nur notwendig, dass sich die politische Bildung auf die Medienkompetenz als zentralen Aspekt einlässt, Medienkompetenz muss zu einem Ziel der politischen Bildung im digitalen Zeitalter werden. Diesbezüglich stimme ich Monika Oberle zu, wenn sie sagt: „Politische Bildung und Medienbildung haben zahlreiche Schnittmengen und greifen in vielfältiger Weise ineinander – es ist an der Zeit, dass sich Politikdidaktik und Medienpädagogik bezüglich Theoriebildung, empirischer Forschung und Praxisprojekten verstärkt konstruktiv austauschen.“ (Oberle 2017, S. 192).

5 Schlussfolgerungen

Jede Medienkompetenzstrategie erfordert nachhaltige Aufmerksamkeit, Ressourcen und Engagement – für die Bildung, für die Entwicklung von Lehrplänen, für die Lehrerinnen- und Lehrerausbildung und nicht zuletzt für die Forschung. Das Schul- und Bildungssystem ist deshalb eine der wichtigsten Institutionen für die Vermittlung von Medienkompetenz. Es ist erfreulich, dass nicht mehr nur der praktische Mediengebrauch im Mittelpunkt der Medienkompetenz steht, sondern auch die kritische Medienreflexion, welche die Rolle der Medien sowie die Herstellung von Öffentlichkeit zum Thema hat und die Schülerinnen und Schüler auf die neuen Herausforderungen der digitalen Gesellschaft vorbereiten soll.

Mittlerweile thematisieren Schulen in der Schweiz im Rahmen des Lehrplans 21 Medien und ihre Bedeutung für die Gesellschaft, welche Mechanismen und Interessen sich hinter digitalen und sozialen Medien verbergen und welche Gefahren im Netz lauern. Das alles ist begrüßenswert. Allerdings werden Medien fächerübergreifend behandelt und stellen kein eigenes, spezifisches (Pflicht-)Fach dar – was aber in Zeiten der zunehmenden Mediatisierung erforderlich wäre. In Anbetracht der Befragungsergebnisse von Jugendlichen (z. B. Suter et al. 2018) wäre es wünschenswert, wenn der Medienkompetenz insbesondere im Zusammenhang mit problematischen Entwicklungen wie Cybermobbing, Hate Speech, Cybergrooming, Pornografie oder auch dem mangelnden Schutz der Privatsphäre einen größeren Stellenwert zugerechnet würde. Dazu sind jedoch Training und Ressourcen notwendig, um auch Lehrerinnen und Lehrern in Sachen Medienkompetenz weiterzuhelfen.

Allerdings ist dies aus meiner Perspektive nicht ausreichend, dafür bräuchte es ein konzertiertes Vorgehen in zwei weiteren Bereichen. Erstens muss der Journalismus gestärkt werden, sodass er weiterhin Fakten überprüfen, vertrauenswürdige Quellen bereitstellen und Orientierung bieten kann. Der Markt alleine kann und wird es nicht richten. Gleichzeitig muss der Journalismus aber auch seine eigene Rolle in der Gesellschaft hinterfragen: Es braucht mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht, sodass die Nutzerinnen und Nutzer Produktionsprozesse und Selektionsentscheidungen besser nachvollziehen können. Zweitens ist es notwendig, dass sich auch die Medienpolitik vermehrt dieser Thematik annimmt. Nicht nur als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern auch als Bürgerinnen und Bürger sind wir darauf angewiesen zu wissen, wie Medien funktionieren, wie (Medien-)Unternehmen mit (unseren) Daten und Informationen umgehen und welche Auswirkungen unser Onlineverhalten hat. Die Medienkompetenz der Menschen hängt deshalb auch stark davon ab, wie die Politik ihre digitale Umgebung gestaltet und reguliert.