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Mündige Verbraucher – eine praxistheoretische Revision

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Verbraucherpolitik von unten

Part of the book series: Konsumsoziologie und Massenkultur ((SKM0X))

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Zusammenfassung

Das Leitbild des mündigen Verbrauchers ist in Verruf geraten. Allerdings basiert die Kritik auf dem sozialtheoretischen Zerrbild eines Homo Oeconomicus, das die Verbraucherrolle eher verklärt als den Blick auf die Problemstellung freizugeben: Entlang von Prämissen der Nutzenmaximierung unter den Bedingungen rationaler Wahl und vollständiger Informiertheit wird der mündige Verbraucher so konstruiert, dass seine Infragestellung notwendig folgen muss. Ziel des Beitrags ist es, eine kritische Begriffsaufarbeitung zu leisten, die sowohl einseitige Festlegungen offenlegt als auch den sozialtheoretischen Ertrag einer praxistheoretischen Alternative auslotet. Um die wirtschaftspolitische Ermöglichungsfunktion des Leitbilds ausmachen zu können, muss auf die Grenzen der Eigenverantwortung hin sensibilisiert werden und Begrifflichkeiten wie Verantwortung, Selbst- und Mitbestimmung, sowie Transparenz innerhalb des Verbrauchsdiskurses neu bestimmt werden.

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Notes

  1. 1.

    So sieht u. a. der Ökonom Gerhard Scherhorn (1973, S. 7) in Mündigkeit „die Fähigkeit und die Freiheit zu selbständigem Entscheiden und aktiver Teilnahme“, die es gerade im „wirtschaftlichen Lebensbereichen“ zu fördern gilt, um nicht zuletzt – und das ist entscheidend – der „demokratischen Ordnung“ und die damit verbundene gesellschaftliche Vorgabe der freien Entscheidungsfähigkeit gerecht zu werden.

  2. 2.

    Mündigkeit wird als das Mittel der Wahl gesehen, um den Umbruch in Ostdeutschland von Diktatur zu Demokratie zu gewährleisten. Gerade in Aussicht einer sich beschleunigenden Globalisierung solle eine Erziehung zur Mündigkeit damit den Wandel von zentralistischer Planwirtschaft zu einer – zu diesem Zeitpunkt noch angestrebten – sozialen Marktwirtschaft organisieren.

  3. 3.

    Für den EuGH stand im Zentrum seiner Rechtsprechung und -auslegung des Verbraucherleitbildes im Kern ‚der als mündig verstandene Verbraucher‘. Dieser verbindet zu einem das Informationsmodell, also „dass dem eigenverantwortlichen Verbraucher hinreichende Informationen als Entscheidungsgrundlage für seine selbstbestimmte und verantwortliche Entscheidung zur Verfügung“ stehen. Zum anderen wird ein Bogen zum ‚Herkunfts- bzw. Binnenmarktprinzip‘ geschlagen, also sozusagen auf den Bewegungsraum des Verbrauchers. Hier gilt es in Verbindung mit dem Informationsmodell „durch Auferlegung einer gesteigerten Eigenverantwortung mehr unternehmerische Freiräume, aber auch Wettbewerb […] zu schaffen. Zur Realisierung dieses Zieles stellte der EuGH ausdrücklich auf die normativen Kriterien des unionsrechtlichen Verbraucherleitbildes ab. Wegen seiner Aufforderungs- und Wettbewerbssteuerungsfunktion wird dem Verbraucher aufgegeben, informiert, aufmerksam und verständig, mit anderen Worten eigenverantwortlich, handeln zu sollen.“ (Schmitt 2018, S. 128 ff.)

  4. 4.

    Dieser normative Druck lässt sich auch bei der Nutzung von Social-Media-Plattformen à la Instagram, Youtube oder Facebook beobachten, vgl. hierzu Cunningham 2013.

  5. 5.

    Die inhärente Verbindung von rational Choice und persönlicher Autonomie ist nicht zuletzt hervorgehoben von: Dan-Cohen (1992). Vgl. dazu auch das Überblickswerk zur persönlichen Autonomie von Christman 1989.

  6. 6.

    Vgl. Feinberg (1989, S. 40): „[R]eason is like a traffic cop directing cars to stop and go in an orderly fashion so that they might get to their destinations all more efficiently, without traffic jams and collisions.“

  7. 7.

    Vgl. Schatzki (2002, S. 252 f.):

    „Many thinkers believe that a person is ›determined‹ to perform, or ›steered‹ toward, an action by her or his desires, beliefs, hopes, fears, preferences, expectations, and the like. Before discussing the specific sense in which this is true, it is necessary to set aside an important but misleading conception of the work of mentality. It cannot generally be the case that mental conditions, as opposed to the qualifications of paths, steer people toward one or another particular path. At least in most cases, these conditions are already implicated in the qualifications of paths. […] An individual does not, so to speak, stand self-contained over against a landscape of qualified paths. Rather, she or he is present, or implicated, in the contours and textures of the landscape. Consequently, in most cases it cannot be that desires and ends, as opposed to the qualifications of paths, were responsible for the person’s acting as she or he did. The action of the one is the action of the other“.

  8. 8.

    Maya Schechtman (1996, S. 78 f.) kritisiert in diesem Sinne Derek Parfits und Perry Lewis Annahmen einer notwendigen Durchgängigkeit bestimmter Eigenschaften.

  9. 9.

    Bspw. hat Mateusz Stachura (2017) in diesem Sinne versucht, eine Brücke zur Frankfurter Anerkennungstheorie zu schlagen. Doch missversteht er Anerkennung lediglich als eine Wertschätzung, die keine Auswirkung auf die Selbstkonstituierung als solche hat und verfehlt damit den Grundsatz der Anerkennungstheorie.

  10. 10.

    Siehe auch Hegel (1986a, S. 48 f.):

    „Aber die Abtrennung der Wirklichkeit von der Idee ist besonders bei dem Verstande beliebt, der die Träume seiner Abstraktionen für etwas Wahrhaftes hält und auf das Sollen, das er vornehmlich auch im politischen Felde gern vorschreibt, eitel ist, als ob die Welt auf ihn gewartet hätte, um zu erfahren, wie sie sein solle, aber nicht sei; wäre sie, wie sie sein soll, wo bliebe die Altklugheitseines Sollens? […] [—] wer wäre nicht so klug, um in seiner Umgebung vieles zu sehen, was in der Tat nicht so ist, wie es sein soll? Aber diese Klugheit hat unrecht, sich einzubilden, mit solchen Gegenständen und deren Sollen sich innerhalb der Interessen der philosophischen Wissenschaft zu befinden.“

  11. 11.

    Denn um diese Forderung nach Selbstverwirklichung gerecht zu werden, muss man, wie Ulrich Bröckling (2007, S. 146 f.) formuliert, einen „Modus des Regierens der eigenen Person“ praktizieren. Als unternehmerisches Selbst diszipliniere sich der Einzelne zum „zuverlässige[n] Vertragspartner seiner selbst“ und komme damit in einen Konflikt. Wer als Gleicher Verträge eingehen will, muss von dem absehen, was einander unterscheidet. Mündigkeit fordere deshalb zwei nicht miteinander versöhnbare Annahmen, eine ‚Selbstverdoppelung‘, an deren Ende die Preisgabe der eigenen Individualität stehe:

    „Seine Mündigkeit demonstriert der Einzelne nicht zuletzt dadurch, dass er als zuverlässiger Vertragspartner seiner selbst auftritt, der seine disparaten Interessen und Bedürfnisse aufeinander abstimmt, sich klare Ziele setzt und verbindliche Selbstverpflichtungen eingeht, statt vom Verstand gedrängt, von den Leidenschaften getrieben heute gute Vorsätze zu fassen, um sie morgen wieder zu verwerfen. Das Ausloten der eigenen Wünsche und Fähigkeiten, die Bindung an selbst gesteckte Ziele, die regelmäßige Prüfung, ob sie erreicht wurden, schließlich die Sicherung der Vertragseinhaltung durch selbst auferlegte Sanktionen konstituieren einen Modus des Regierens der eigenen Person, in dem Selbstdisziplinierung und Selbstmobilisierung miteinander verschmelzen und der Einzelne sich gleichermaßen als Vertragspartei (genauer: als Gesamtheit der Vertragsparteien) wie als Vertragsgegenstand zu begreifen hat. – Self-Commitment als Fortsetzung stoischer Lebenskunst mit kontraktuellen Mitteln“.

    Diese ‚Selbstverdoppelung‘ ist seit Rousseau und Kant ein immer wiederkehrendes Problem, vgl. Menke 2015.

  12. 12.

    In diesem Sinne flankiert eine immanente Kritik praxistheoretische Analysen: Der Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Explikation einer Praxis und deren konstitutive Normen, als auch die Überwindung von Normen einer Praxis (mit Hegel: Aufhebung), die für die Krisenbildung verantwortlich sind. Dabei geht es eben nicht um eine „Anpassung der Praxis an die Normen, sondern vielmehr [um] eine Revision von beidem, Normen und Praxis“ (Stahl 2013, S. 46).

  13. 13.

    Vgl. De Boer (2019, S. 25): „Aus der Perspektive von Beobachter*innen dritter Ordnung handelt es sich bei Praktiken um die kleinsten sozialen Sinneinheiten im menschlichen Tun. Diese sind immer zeiträumlich situiert. Eine Praktik wird in bestimmten kommunikativen Situationen und unter konkreten sozialräumlichen Bedingungen vollzogen.“

  14. 14.

    Vgl. Barclay (2000, S. 53 f.): „A procedural notion of autonomy – which envisions a person critically reflecting on her desires and aspirations – could be thought to presuppose that the self can somehow simply transcend the influence of all of these factors and make oneself anew, to become a fully ‘self-made (wo)man’. But this denies the obvious reality that none of us is self-made in this fashion for we are all, inescapably, ‘a product of our environment.’ This is the claim that the self is socially determined“.

  15. 15.

    Mit Marx ließe sich das Transformationsgeschehen so ausdrücken: „Der Akt der Produktion selbst ist daher in allen seinen Momenten auch ein Akt der Konsumtion. […] Die Produktion als unmittelbar identisch mit der Konsumtion, die Konsumtion als unmittelbar zusammenfallend mit der Produktion.“ (MEW, 13, S. 622)

  16. 16.

    So stellt Reckwitz (2008, S. 113) die Beziehungsstruktur klar: „Genau dies ist eine ‚soziale Praktik‘: eine Praktik der Verhandlung, eine Praktik des Umgangs mit einem Werkzeug, eine Praktik im Umgang mit dem eigenen Körper etc.“

  17. 17.

    Auch die Annahme, dass eine stimulierende Konsumpolitik für das Wirtschaftsgefüge notwendig sei, darf dem Missverständnis nicht aufliegen, dass es um bloßen Konsum gehen muss, sondern muss in seiner Forderung begreifen, dass Verbrauch als solcher leer bleibt ohne die mit ihm verbundenen Praktiken und inhärenten Normen. Eine Konsumpolitik, die bloßen Verbrauch einfordert, ohne dabei die zweckmäßige Ausrichtung der Praktiken und ihrer Aushandlung miteinzubeziehen, verweigert sich nicht nur der Diskussion um das, was konsumiert werden soll, sondern fördert in ihrer Verweigerung schließlich sinnentleerte Strukturen, soziale Pathologien und Entfremdungserfahrungen: „Je weniger [sie] zu versprechen hat, je weniger sie das Leben als sinnvoll erklären kann, um so leerer wird notwendig die Ideologie, die sie verbreitet.“ (Adorno und Horkheimer 2008, S. 155 f.).

  18. 18.

    Denken wir ‚mündige Verbraucher‘ vom Begriff der Autonomie aus, dann wird der soziale Kontext und seine Dynamik oft außenvorgelassen oder in sehr beschränkter Form mitgedacht. Nehmen wir zum Beispiel hier moralische Autonomie, dann wird der Verbraucher zu einer Art Gesinnungsethiker. Entlang letztgültiger Prinzipien steht er vor dem Problem atomistischer Konformität: Ohne Rücksicht auf seine Umstände sucht er danach, was alle machen sollten und verspielt jede Chance auf dynamische Individualität. Persönliche Autonomie erklärt ihn dagegen oft zum individuellen Hedonisten: In seinem Streben nach einem Authentizitätsabgleich – sei es mit einer inneren Substanz wie der Seele oder einem sonstigen ‚Ich-Container‘ – verkennt sie, dass die sozialen Umstände für eine gelingende Selbstverwirklichung entscheidend bleiben, egal was er oder sie für eine ‚innere‘ Einstellung hat. Wenn innerhalb dieser Spielarten andere berücksichtigt werden, dann oft als Antagonisten in einem Wettstreit, in dem jeder nur nach der eigenen Präferenzerfüllung strebt. Sie dabei nicht zu instrumentalisieren oder irgendwie zu unterjochen, geschieht dann aus der vermeintlichen Einsicht, selbst nicht unterjocht werden zu wollen. Selbst in den Diskussionen um soziale und relationale Autonomie werden die Konstitutionsbedingungen von Selbst und von Selbstständigkeit oft unterschätzt. Entweder werden meine Beziehungen zu anderen und zu unseren Konsumpraktiken als eine Art Eigenschaft verstanden, die beliebig austauschbar erscheinen. Oder aber, solche Verbrauchsbeziehungen entgleiten gänzlich der Verfügbarkeit und stehen als eine Art Fixstern im starren Gebilde des eigenen Sinnhorizonts (Cannaday 2018).

  19. 19.

    Der Punkt darf natürlich nicht dahin missverstanden werden, dass jeder Fremdbezug – sei es die Internalisierung von Erwartungen, Kritik oder Fremderfahrungen – als „bare Münze“ genommen werden soll. Er ist und bleibt Reibungsfläche und gerade darin zeigt sich Wirklichkeit. Mit Hegel (1986b, S. 494):

    „Diese Verwirklichung hat es in der Bewegung des Gegensatzes. Denn dieser Gegensatz ist vielmehr selbst die indiskrete Kontinuität und Gleichheit des Ich = Ich; und jedes für sich eben durch den Widerspruch seiner reinen Allgemeinheit, welche zugleich seiner Gleichheit mit dem Anderen noch widerstrebt und sich davon absondert, hebt an ihm selbst sich auf. Durch diese Entäußerung kehrt dies in seinem Dasein entzweite Wissen in die Einheit des Selbsts zurück; es ist das wirkliche Ich, das allgemeine Sichselbstwissen in seinem absoluten Gegenteile, in dem insichseienden Wissen, das um der Reinheit seines abgesonderten Insichseins [willen] selbst das vollkommen Allgemeine ist.“

  20. 20.

    Solange eben Reflexivität möglich ist, lässt sich Selbst auf den Fähigkeiten zu einer solchen gründen.

  21. 21.

    Auch hier darf nicht der Fehler unterlaufen, dass mit Bewusstheit Bewusstsein gemeint ist. Mit Bewusstheit ist lediglich der Modus eines Gewahrseins angesprochen im Gegensatz zu einem reinen Verhalten. Nicht zuletzt verweist Robert Brandom (1994, S. 628 ff) darauf, dass auch diskursive Praktiken soziale Praktiken sind.

  22. 22.

    Einen Umstand „stockender“ Transformativität lässt sich gerade in nicht überwundene Ungerechtigkeitsfällen ausmachen, in den gleichwohl Opfer wie Täter unter ihr leiden. In diesem Sinne ist man dem Täter ebenso die Strafe, d. h. das zur Transformation nötige Urteil (Fremdbezug), schuldig, vgl. Gadamer (1973), S. 125 ff.

  23. 23.

    Kant erkannte dies Problem bereits und äußerte sich skeptisch gegenüber einem tragfähigen Begriff der Verantwortung (Kant AA III, S. 373 und AA VI, S. 227; vgl. auch Vogelmann 2016, S. 273 ff).

  24. 24.

    Die Selbstständigkeit, die man sich durch den Anderen verspricht, setzt voraus, dass dieser Andere an-sich ist und eben nicht für-mich: Seine Eigenheit wird respektiert. Umgekehrt gilt, ist er mir nur bloßes Mittel, verkenne ich seine Selbstständigkeit als solche und verstelle meinen Bezug auf ihn als Autorität.

  25. 25.

    Mit gemeinsamem Umgang ist hier nicht ein harmonischer Konsens gemeint. Viel eher geht es auch darum, Differenzen produktiv zu gestalten, da praxistheoretisch gerade diese Differenzen und Ausschlüsse als konstitutive und dynamisierende Momente betrachtet werden können.

  26. 26.

    Die Überlegungen Adam Smiths werden oft fälschlich auf eine reine Perspektive des Selbstinteresses verkürzt, wie etwa bei Hirschman (1987). Statt um ‚selfinterest‘ besorgt zu sein, geht es Smith um die Herausarbeitung der begrenzten und schädlichen Aspekte einer solchen Verkürzung. Das Gegen- bzw. Erweiterungsmodell sieht er im Begriff des ‚selflove‘ angelegt:

    „Selflove umfasst aber nicht nur die Sorge um das eigene Selbst, sondern schließt die Sorge um das Wohl und Weh unseres gesamten Weltbereiches mit ein […] Nicht das selfinterest, sondern die selflove ist das Fundament der arbeitsteiligen Gesellschaft. Ihre unwiderstehliche Macht garantiert uns, dass unsere Mitmenschen auf unsere Tauschangebote eingehen werden. Würde der Erfolg unserer Tauschgeschäfte allein von ihrer Gunst oder ihrem Wohlwollen abhängen, würden wir uns niemals auf das Wagnis einer arbeitsteiligen, kooperativen Gesellschaft einlassen. Erst die verlässliche Macht der selflove macht die lebensgefährliche Kontingenz des ökonomischen Tausches zu einem beherrschbaren Risiko.“ (Ronge 2015, S. 257f.).

    In diesem Sinne gibt es zwischen Smith und seinem Zeitgenossen Jean-Jacques Rousseau eine Schnittmenge, wenn letzterer zwischen amour de soi, Selbstliebe, und armour-propre, Eigenliebe, unterscheidet. Während amour de soi bei Rousseau auf eine rudimentäre Glücksfindung abzielt, ohne dabei einem Konkurrenzkampf oder anderen Relata ausgeliefert zu sein, ist bei armour-propre hingegen eine komparitive Sicht gegenüber anderen Gesellschaftsmitgliedern angelegt, in der das Eigeninteresse im Zentrum der Überlegungen steht. Mit Frederik Neuhouser (2012) wird dieses dann problematisch, also zu einer ‚sozialen Pathologie‘, wenn sie zu Unterdrückung, Diskriminierung aber eben auch zum Verlust von sozial konstitutiven Anerkennungsstrukturen führt.

  27. 27.

    Für die Diskussion von Selbst- und Mitbestimmung als konstitutive Ansprüche von Mündigkeit, vgl. Cannaday 2018.

  28. 28.

    Vgl. Jaeggi (2014, S. 332): „Wenn Lebensformen nun lernen können, dann können sie als überindividuelle Formationen eine über die individuelle hinausgehende Rationalität besitzen; umgekehrt stehen kollektive (strukturelle) Lernblockaden der Lernfähigkeit der einzelnen Individuen im Weg, ohne dass das immer auf deren individuelle Lernunfähigkeit zurückführbar wäre.“

  29. 29.

    Das zweite, starke Argument macht in diesem Sinne auch Ehrlichkeit zum zwingenden Faktor für die eigene Selbstständigkeit: Indem ich den Anderen betrüge, täusche oder ihm meinen Willen aufzwinge, verspiele ich mir selbst die Möglichkeit, mich nicht nur anhand eines Tatsachenaustausch wirklich zu behaupten, sondern durch meine Missachtung des Anderen entgleitet mir die eigene Selbstkonstituierung, vgl. Brandom 2019, S. 582. So wird Vertrauen nach einem wechselseitigen Transparenzstreben für Anerkennungsverhältnisse entscheidend.

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Cannaday, T. (2020). Mündige Verbraucher – eine praxistheoretische Revision. In: Hellmann, KU., Klein, A., Baule, B. (eds) Verbraucherpolitik von unten. Konsumsoziologie und Massenkultur. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-29754-1_3

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