Zusammenfassung
Im Rahmen von politischen, medialen, rechtlichen und wissenschaftlichen Darstellungen, die sich mit Migration beschäftigen, kommt der Kategorie des ‚Flüchtlings‘ mittlerweile ein zentraler Stellenwert zu. ‚Flüchtlinge‘ werden beforscht, über sie wird berichtet, sich gestritten, sie werden (des-)integriert, sie werden repräsentiert, ihnen wird geholfen, sie werden abgeschoben und nicht zuletzt bieten sie die Angriffsfläche für einige der rassistischsten und diskriminierendsten Reaktionen der deutschen Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten. Dabei scheint jede*r zu wissen, um wen es geht, wenn von ‚den Flüchtlingen‘ gesprochen wird. ‚Flüchtling‘ scheint eine, aus den Herkunftsländern mitgebrachte, beinahe naturgegebene Eigenschaft der Menschen zu sein, die ab dem Sommer 2015 nach Deutschland kamen. Die Zuerkennung der ‚Flüchtlings‘-Eigenschaft erfolgt aber nicht nur förmlich und als rechtlicher Status in Deutschland, sondern auch institutionell, diskursiv und interaktiv werden ‚Flüchtlinge‘ im Rahmen von komplexen institutionellen, gesellschaftlichen und insbesondere wissenschaftlichen Kategorisierungen erst in Deutschland zu ‚Flüchtlingen‘ gemacht. Vor diesem Hintergrund diskutiert der Beitrag die eigene, wissenschaftliche Beteiligung bei der Herstellung von ‚Flüchtlings‘-Definitionen anhand der Auseinandersetzung mit den Biographieerzählungen von geflüchteten und flüchtenden Jugendlichen. Im Zentrum stehen hierbei method(olog)ische Überlegungen zur Verwobenheit von Fremd- und Selbstpositionierungen zwischen Diskurs und Subjekt. Daraus folgernd plädiert der Beitrag dafür, die wissenschaftliche Beschäftigung mit (biographischen) Texten als Übersetzung zu verstehen.
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