Zusammenfassung
Dieser Beitrag untersucht, wie sich das deutsche Finanzsystem in den letzten 20 Jahren verändert hat und wie diese Veränderungen zu beurteilen sind. Dabei verwendet er einen in der Fachdiskussion unüblichen Beurteilungsmaßstab: seine interne Stimmigkeit. In sich stimmig – im Fachjargon konsistent – ist ein Finanzsystem dann, wenn die wichtigsten Elemente so ausgeprägt sind, dass sie sich in ihren positiven Wirkungen gegenseitig verstärken und ihre negativen Wirkungen gegenseitig abmildern. Es ist für ein Land, seine Wirtschaft und seine Gesellschaft vorteilhaft, wenn sein Finanzsystem konsistent ist. Im Lichte dieses Maßstabs war das deutsche Finanzsystem bis etwa zur Jahrtausendwende als gut einzustufen. Seine Hauptelemente passten gut zueinander. Im Zentrum des Systems standen die privaten Großbanken. Dann kam es zu weitreichenden Veränderungen. Vor allem die Strategieänderung der Deutschen Bank, die sich von einer deutschen Universalbank in eine internationale Investmentbank verwandeln wollte, ist ursächlich dafür, dass das deutsche Finanzsystem heute nicht mehr als konsistent – und damit nicht mehr als gut – einzustufen ist.
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Notes
- 1.
Auch wenn v. a. in populärwissenschaftlichen und politisch geprägten Schriften immer wieder und durchaus mit Recht auf die „Gier der Banker nach Boni“ und einer geradezu hemmungslosen Profitgier von Finanzinstitutionen als einen wichtigen Grund für die Finanzkrise hingewiesen worden ist, wäre es falsch, darin den einzigen Grund der Krise zu sehen.
- 2.
Als Kapitaltransformation bezeichnet man die Veränderung von Fristen der Kapitalüberlassung, von Losgrößen, von Liquiditätsgraden und von Informationsbedarfen. So „transformiert“ eine Bank eher kurzfristige Kundeneinlagen in längerfristige Kredite (Fristentransformation: „aus kurz mach lang“), eher kleine Depositen in größere Summen, die als Kredite vergeben werden können (Losgrößentransformation: „aus klein mach groß“), für Banken eher nicht liquide Kredite in für ihre Einleger hochliquide Einlagen (Liquiditätstransformation) und Unternehmenskredite, die für private Sparer sehr schwer überschaubar wären, in Bankeinlagen, deren Wert sie weitaus besser abschätzen können (Informationstransformation).
- 3.
Zur Bewertung von Finanzsystemen vgl. u. a. Allen und Gale (2000) und Schmidt und Tyrell (2004). Bei Allen und Gale und in vielen anderen Publikationen zu diesem Thema wird die hier vorgenommene inhaltliche Unterscheidung zwischen dem engen Begriff (Finanzsektor) und dem weiten Begriff (Finanzsystem) ebenfalls getroffen, doch oft ohne die hier verwendete sprachliche Unterscheidung vorzunehmen.
- 4.
Milgrom und Roberts haben dieses Konzept in einer Reihe von Veröffentlichungen entwickelt. Eine gut lesbare Zusammenfassung findet man in ihrem Lehrbuch „Economics, Organization and Management“ von 1992. Einen Überblick über die Weiterentwicklung bieten Brynjolfsson und Milgrom (2013).
- 5.
Vgl. in zeitlicher Ordnung: Hackethal und Tyrell (1999), Schmidt et al. (1999), Hackethal (2000), Hackethal und Schmidt (2000), Schmidt und Grohs (2000), Schmidt (2004), Schmidt und Tyrell (2004), Hackethal und Schmidt (2005), Hackethal et al. (2006) sowie Hackethal et al. (2005). Auf einzelne Verweise auf diese Quellen wird im Folgenden weitgehend verzichtet.
- 6.
Ergänzende Elemente, die sich durchaus in die hier vorgestellten Überlegungen einfügen lassen, sind die Vermögensbildung und Vermögenshaltung der Haushalte, die öffentlichen Finanzen, die Geldpolitik der Zentralbank, die Grundstruktur der Finanzregulierung und das Rentensystem.
- 7.
Es wäre falsch zu glauben, dass Banken immer und überall auch in erster Linie Intermediäre sind. Allen und Santomero (2001) haben für den Fall der US-amerikanischen Banken – und anhand eines ausführlichen Vergleichs mit deutschen Banken – gezeigt, dass sie gegen Ende des vorigen Jahrhunderts weitgehend nicht mehr als Intermediäre anzusehen waren.
- 8.
Vor allem die Monopolkommission hat in ihren Gutachten darauf immer wieder hingewiesen und Veränderungen angemahnt.
- 9.
Ganz ähnlich war übrigens die Situation in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg in Frankreich, das damals ein sehr stark vom Staat dominiertes Finanzsystem hatte. Man spricht rückblickend – und mit einer gehörigen Portion Nostalgie – über diese Zeit als „treinte glorieuses“, die dreißig großartigen Jahren der politischen und wirtschaftlichen Harmonie und des Aufstiegs.
- 10.
Die Kennzeichnung „The Worst of All Worlds“ ist Teil der Überschrift über das Kapitel zu Großbritannien und den USA, wo sich nach Meinung der Autoren eine spiegelbildliche Entwicklung zu der in Deutschland abgespielt hat. Die damit ausgedrückte sehr negative Einschätzung gilt allerdings nach Meinung von Hardie, Howarth und ihren Mitautoren für alle Finanzsysteme und damit auch für Deutschland.
- 11.
Mehr dazu in Kotz und Schmidt (2016).
- 12.
Auf die positive Wirkung von Krisen als Auslöser und Voraussetzung von Innovation und anderen positiven Veränderungen haben vor allem Ökonomen der österreichischen Schule wie Schumpeter und von Hayek hingewiesen.
- 13.
Es ist geradezu pikant, dass die umfassende Umstrukturierung der UBS nach einer sehr schweren Krise in Angriff genommen und erfolgreich umgesetzt worden ist, nachdem der frühere Präsident der Deutschen Bundesbank Axel Weber Verwaltungsratspräsidenten der UBS geworden war. Josef Ackermann, der frühere Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, hätte bekanntlich Weber gern als seinen Nachfolger gesehen. Damit konnte er sich aber nicht durchsetzen und statt Weber gelangte mit Anju Jain der oberste Investment-Banker der Deutschen Bank an die Unternehmensspitze. Dass dies nicht zu einer Einschränkung des Investment Banking führen würde, obwohl diese schon damals die sinnvollste strategische Orientierung der Bank gewesen sein dürfte, konnte man erwarten, zumal auch der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank, Paul Achleitner allein wegen seiner früheren Tätigkeit als Deutschland-Chef der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs als ein entschiedener Befürworter des Investment Banking einzustufen ist.
- 14.
Der Gedanke an die von Müller-Armack so bezeichnete „irenische“, also friedenstiftende, Funktion der von ihm wohl als erstem so bezeichneten „sozialen Marktwirtschaft“ drängt sich hier geradezu auf.
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Schmidt, R.H. (2020). Der Verlust eines guten Finanzsystems?. In: Meinzer, M., Pohl, M. (eds) Finanzethik und Steuergerechtigkeit. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-27783-3_3
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