Zusammenfassung
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit den spezifischen Gestaltungsaufgaben einer Führungskraft des Höheren Polizeivollzugsdienstes, die mit der Leitung einer Polizeiinspektion, eines Polizeikommissariats, mithin einer Organisationseinheit in der Größenordnung von 50 bis 150 MitarbeiterInnen, betraut ist. Es handelt sich hierbei um eigenständige Dienststellen, die oft auch als Basisorganisationseinheiten verstanden werden, da sie die operative polizeiliche Verantwortung für eine Gebietskörperschaft (beispielsweise einen Landkreis) tragen. Diskutiert wird eine inkrementelle und zugleich zielorientierte Entwicklung der jeweiligen Dienststelle – und zwar jenseits groß angelegter Reform-, Innovations- und Change-Programme. Im Mittelpunkt steht also ein „Management of Change“, d. h. der kontinuierliche und zugleich flexible Umgang mit den externen und internen Gestaltungszumutungen, die die Organisation insgesamt sowie die besondere Führungsprofessionalität der Mittleren Managementebene fordern.
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Notes
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Prätorius macht mit der Formulierung „Management of Change“ deutlich, dass gerade für Polizeiorganisationen das modische Konzept des „Change Management“ wenig ergiebig ist: Basisorganisationen der Polizei haben es weniger mit einer organisatorischen Überstabilität zu tun, die durch ein „Change Management“ zu mobilisieren wäre, als mit einer Vielfalt von Reaktionsaufforderungen, die ein umsichtiges „Management of Change“ bedürfen, damit die Organisation ihre Handlungsstabilität nicht verliert.
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Das bedeutet natürlich nicht, dass in organisationspsychologischen Lehrbüchern Organisation kein Thema wäre – im Gegenteil: Allerdings wird hier Organisation eher als „hard fact“, als objektiv vorgegebene Struktur verstanden, deren Form und Gestaltung durch andere Wissensgebiete, vornehmlich die Managementlehre, erklärt werden. Organisationspsychologie beschreibt demgegenüber die sog. „soft facts“, Handeln und Verhalten der Menschen in den Organisationen. Organisationspsychologie und Managementlehre stehen also in einem arbeitsteiligen, sich ergänzenden Verhältnis. Kritisch zum Komplementärverhältnis von Organisationspsychologie und Managementlehre s. Kieser (2006, S. 93–164).
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Dieses Organisationsverständnis war konzeptleitendes Paradigma für das Neue Steuerungsmodell in den 1990er- und 2000er-Jahren in der Polizei. Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung und nachhaltigen Implementierung dieses Modells lagen u. a. im fehlenden Verständnis für die Komplexität und Eigenlogik der Organisation.
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Die hier sehr kursorisch präsentierte organisationssoziologische Perspektive orientiert sich an der Systemtheorie in der Folge von N. Luhmann (s. insbesondere Luhmann 1964, 2000; v. a. Dirk Baecker 1999, 2003, 2012). Diese Lesart bietet sich deshalb an, weil die Dynamik, das Überraschungspotenzial und zugleich das oft erstaunliche Beharrungsvermögen der Organisation im Zentrum der Theoriebildung stehen und in einer sehr sprechenden Begrifflichkeit thematisiert werden. Das Beruhigungsversprechen und der instrumentelle Steuerungsoptimismus v. a. der klassischer Managementlehren werden auf diese Weise kontrastiert und kritisch hinterfragt.
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Das bedeutet nicht, dass „gut definierte Situation“ einfacher und stressfreier zu bewältigen sind. Jeder Dienstgruppenleiter kann ein Lied davon singen, wie aufreibend Konflikte in Dienstgruppen sein können bei prinzipiell klarer Problemlage und Lösungswegen. Im Umkehrschluss bedeuten „schlecht definierte, komplexe Situationen“ nicht zwangsläufig, dass ihre Bearbeitung viel schwieriger und belastender sind (s. Vester 2002, S. 97 f.).
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Die Verengung des Pfades von Phase 1 zu Phase 2 durch das critical juncture, ein kontingentes (d. h. mögliches aber nicht zwangsläufiges) Ereignis, lässt sich erst in einer Ex-post-Betrachtung erkennen. Vorkommnisse in der Organisation, bewirkt durch einzelne Führungspersonen, Gruppen, Interventionen von vorgesetzter Ebene u. ä. werden durch positive Rückkopplungen zu Kristallisationskernen der weiteren Entwicklung. „Mit positiven Rückkopplungen sollen allgemeine Verstärkungsmechanismen bezeichnet werden, die zu sich selbst verstärkenden Schleifen werden, ohne dabei zwingend in nutzentheoretischen Kalkülen ihren Ursprung zu haben“ (Schreyögg et al. 2003, S. 269). Diese rekursiven Schleifen äußern sich in verfestigten sozioemotionalen Prozessen, in kognitiven Selektionsmustern und dienststellenspezifischen Machtstrukturen, insbesondere auf mikropolitischer Ebene. Tendenziell entsteht eine „architecture of simplicity“ (Schreyögg et al. 2003, S. 270).
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Baecker (2012, S. 269) spricht hier von „Postheroischer Führung“: Sie „findet dort statt, wo eine Übersetzung des Außen in das Innen oder umgekehrt des Innen in ein Außen nicht möglich ist und diese Unmöglichkeit in immer wieder neue Strategien und Taktiken der Auseinandersetzung umgesetzt wird. Postheroische Führung ist daher nicht nur situativ, inkrementalistisch und improvisiert, sondern auch in der Hinsicht prozessorientiert, dass immer wieder neu überprüft wird, mit welchen Ideen, Diagnosen, Kompetenzen und Ressourcen man unter welchen Umständen welche Erfahrungen gemacht hat.“.
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Weitere Themen alltäglicher Organisationsarbeit können sein: Personalverteilung, Dienstpläne, Vertretungsregelungen, Urlaubsplanung, Überstundenregelungen aber auch Standardabläufe zum Umgang mit Verwarngeldern, Asservaten, zur Aufbewahrung der Waffen oder Regelungen zur Steuerung von Informationen, des Postweges, der Zeichnungsbefugnis usw. Derartige Baustellen sind im Blick zu halten. Gestaltungsmaßnahmen können – je nach Relevanz für die Entwicklung und Ausrichtung der Dienststelle – eine Bandbreite von der bloßen Beobachtung, über eine einfache Verfügung bis hin zur Initiierung von Qualitätszirkeln aufweisen.
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Dieses Verständnis von Organisation und Organisationsgestaltung als Kommunikationszusammenhang verdeutlicht nochmals unsere organisationssoziologischen Grundannahmen: Organisation wird nicht instrumentalistisch als Apparat, bestehend aus objektiven Regeln der Über- und Unterordnung, Aufgabenzuweisung, Kompetenzzuordnung, Fixierung von Arbeitsabläufen usw. verstanden, der „unabhängig von den Wahrnehmungen und dem Wissen der Organisationsmitglieder auf intersubjektiv eindeutige Weise“ (Kieser 1998, S. 46) existiert. Demgegenüber verstehen wir Organisation „konstruktivistisch“, nämlich in dem Sinne, dass „Organisation in den Köpfen der Organisationsmitglieder stattfindet, d. h. dass die in Organisationen gültigen Interaktionsmuster sich auf dem Wege der Verständigung zwischen Interaktionspartnern herausbilden … Dementsprechend ist eine Entwicklung neuer organisatorischer Lösungen nur über Kommunikation unter Organisationsmitgliedern möglich – über eine Kommunikation, in der es eben nicht um die Erfassung und Konzipierung objektiver Tatbestände, sondern um das Verständnis der Organisationsmitglieder vom Funktionieren ihrer Organisation geht“ (Kieser 1998, S. 46).
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Wir wollen hier zwischen Kommunikationsarchitektur und Informationsstruktur systematisch unterscheiden: Bei der Kommunikationsarchitektur handelt es um dialogische Interaktionsprozesse unter Anwesenden. Hier findet im Rahmen moderierter Gesprächs-Führung ein systematisches Sensemaking (s. Weick 2001) statt, das sich auch als Aushandlungsprozess zwischen den beteiligten Kommunikationspartnern beschreiben lässt. Mit der Informationsstruktur hingegen soll die Tatsache beschrieben werden, dass polizeiliches Handeln immer mehr durch Kommunikationstechnologie initiiert und unterstützt wird – durch Informationsportale für die Sachbearbeitung, Handys (mit entsprechenden Apps – inklusive „WhatsApp“) im täglichen Dienstgebrauch, body cams, interaktiver Streifenwagen u. v. m. Die Erfassung und Bewertung dieser rapide zunehmenden informationstechnischen Durchdringung des polizeilichen Arbeitsprozesses bedarf einer eigenen Forschungsarbeit. Ansatzpunkte hierfür bietet die Verwaltungswissenschaft unter dem Stichwort „egovernment“ (s. Lenk 2014).
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Führung wirkt hier im Sinne eines „symbolischen Managements“ – nicht im Sinne oberflächlicher Effekthascherei, sondern in der nachhaltigen Markierung dessen, was wichtig bzw. unwichtig ist. S. Hierzu Neuberger (2000, S. 642 f.).
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Es handelt sich hier ja nicht um abstrakte, die einzelnen Bereiche kaum tangierende Themen – sondern im Gegenteil – um sehr relevante Entscheidungen aus den o. g. Themenfeldern („Baustellen“) Ausrichtung/Ziele, Arbeitsorganisation und Personal, die die Organisationseinheiten ganz unmittelbar in ihrer Alltagsarbeit betreffen.
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Natürlich bewegt sich die Dienststellenleitung nicht nur von außen beobachtend um die Dienststelle herum, sondern sie ist zugleich in das alltägliche Dienstgeschehen involviert. Gleichwohl soll die äußere Umlaufbahn deutlich machen, dass Dienststellenleitungen (Führungskräfte generell) sich nicht vollständig durch die Alltagsorganisation absorbieren lassen sollten, sondern dass sie zugleich eine reflexive Distanz, d. h. ein professionelles Beobachtungsvermögen einüben, das sich durch die Realitätskonstruktionen und Suggestivität des täglichen Betriebs nicht vereinnahmen lässt.
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Barthel, C., Heidemann, D. (2017). Die Kernaufgabe des Höheren Polizeivollzugsdienstes – Dienststellenentwicklung. In: Barthel, C., Heidemann, D. (eds) Führung in der Polizei. Springer Gabler, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-10349-1_5
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