Zusammenfassung
Das Verhältnis zwischen Staat und Zivilgesellschaft in den Freiwilligendiensten wird viel diskutiert und wenig analysiert. Dieser Beitrag analysiert die Rollenverteilung zwischen Staat und Zivilgesellschaft in den „deutschen“ internationalen Freiwilligendiensten. Damit sind von Deutschland aus angebotene unterschiedliche Formate wie weltwärts oder der Internationale Jugendfreiwilligendienst (IJFD) gemeint.
Nach einer kurzen Vorstellung der Besonderheiten internationaler Freiwilligendienste besteht die vorliegende Untersuchung aus zwei Teilen: Der erste Teil stellt einige theoretische Zugänge zum Verhältnis zwischen Staat und Zivilgesellschaft vor und hat dabei stets die internationalen Freiwilligendienste im Blick. Dabei wird deutlich, dass das Prinzip der politischen Verantwortung dem Subsidiaritätsprinzip Grenzen aufzeigt.
Der empirische Teil beleuchtet die konkrete Aufgabenverteilung zwischen zivilgesellschaftlichen Trägern und staatlichen Förderern in den unterschiedlichen Dienstformen. In der Praxis zeigt sich, dass das Verhältnis zwischen Staat und Zivilgesellschaft in den internationalen Freiwilligendiensten sehr unterschiedliche Ausprägungen aufweist, innerhalb der jeweiligen Dienstform jedoch recht konsistent ist.
Für hilfreiche Hinweise insbesondere zum empirischen Kapitel danken wir Claudio Jax, Anna Veigel, Karin Schulz, Andreas Klünter, Arne Bonhage und David Schäfer sehr herzlich.
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Notes
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Inwiefern die Kirchen als Teil der Zivilgesellschaft gesehen werden können, ist Gegenstand einer eigenen breiten, sowohl theologischen als auch sozialwissenschaftlichen Debatte (siehe z. B. Adloff 2005, S. 119 f.; Strachwitz 2009). Im Folgenden unterscheiden wir die Akteure der „Szene“, um die internationalen Freiwilligendienste nicht in kirchliche und säkulare, zivilgesellschaftliche Akteure zu untergliedern. Wir folgen der Argumentation, dass Kirchen dort wo sie Organisationsformen entwickeln, die auf gesellschaftliche Aufgaben gerichtet sind und zivilgesellschaftlichen Handlungslogiken folgen analytisch nur schwer von „der Zivilgesellschaft“ getrennt werden können (z. B. Anheim 2001).
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Als kleine Ausnahme mag 1969 die Einführung des Entwicklungshelfergesetzes gelten, doch entwickelte sich dieser Dienst konstant in Richtung eines Fachdienstes. Zudem erhielten Entwicklungshelfer_innen ein Unterhaltsgeld.
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Daneben entstanden noch konfessionell organisierte Freiwilligendienste wie das Diakonische Jahr im Ausland (ein Programm der Jugendarbeit und Diakonie der Evangelischen Kirche in Deutschland) oder Missionar auf Zeit (wird von katholischen Missionsorden angeboten).
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Kulturweit wird im rechtlichen Rahmen des FSJ im Ausland durchgeführt. Die Deutsche UNESCO- Kommission als einzige Entsendeorganisation ist anerkannter Träger beim BMFSFJ.
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Siehe zur Aufgabe und Rolle der Deutschen UNESCO-Kommission: http://www.unesco.de/deutsche_unesco_kommission.html
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Z. B. die Engagement Global gGmbH und im Bereich nationaler Freiwilligendienste das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA).
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Die Machtdynamiken, die diesen Verhältnissen oft zu Grunde liegen, wurden von Benjamin Haas in Bezug auf weltwärts an anderer Stelle analysiert (2012).
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Konkret: Bundeshaushaltsordnung §§ 23 und 44, die entsprechenden Verwaltungsvorschriften und die Allgemeine Nebenbestimmungen für Zuwendungen zur Projektförderung (ANBest-P).
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Etwa das Jugendfreiwilligendienstegesetz, die Richtlinie zur Umsetzung des Internationalen Jugendfreiwilligendienstes, die weltwärts-Förderleitlinien oder die Qualitätskennzeichen für den Dienst nach § 14 b Zivildienstgesetz.
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In der Interpretation anderer Verantwortungskonzepte würde das fördernde Ministerium als Instanz und der Freiwilligendienst bzw. die Freiwilligen als Objekt gelten.
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Eine einheitliche deutschsprachige Bezeichnung für die Prinzipal-Agent-Theorie scheint sich noch nicht durchgesetzt zu haben. Sie wird auch als Agenturtheorie oder Delegationstheorie bezeichnet.
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Kompletter Wortlaut: „Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen für Leistungen an Stellen außerhalb der Bundesverwaltung zur Erfüllung bestimmter Zwecke (Zuwendungen) dürfen nur veranschlagt werden, wenn der Bund an der Erfüllung durch solche Stellen ein erhebliches Interesse hat, das ohne die Zuwendungen nicht oder nicht im notwendigen Umfang befriedigt werden kann.“
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Die Autoren waren von 2007 bis 2011 (Jörn Fischer) bzw. von 2011 bis 2013 (Benjamin Haas) Mitarbeiter des weltwärts-Sekretariats bzw. der Koordinierungsstelle weltwärts, die heute bei Engagement Global gGmbH angesiedelt ist. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels ist Jörn Fischer Angestellter bei Engagement Global gGmbH, Benjamin Haas ist freiberuflich für die Koordinierungsstelle weltwärts tätig. Der Beitrag ist außerhalb dieser Tätigkeiten entstanden; beide Autoren beschäftigen sich seit einigen Jahren wissenschaftlich mit Freiwilligendiensten.
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Die „Koordinierungsstelle weltwärts“ ist Teil der Engagement Global gGmbH.
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Trotz intensiver Recherche sind uns dazu keine wissenschaftlichen Arbeiten bekannt.
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Fischer, J., Haas, B. (2015). Übergriffiger Staat und störrische Zivilgesellschaft?. In: Bibisidis, T., Eichhorn, J., Klein, A., Perabo, C., Rindt, S. (eds) Zivil - Gesellschaft - Staat. Bürgergesellschaft und Demokratie, vol 44. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-05564-6_10
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